Thema > Kindersamstage
November 2014
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Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS
ganzOHR
> Kindersamstage: Vier Tage im Zirkus! > VideoCom: Mit Gehörlosen telefonieren – so funktioniert es. > Ticketverlosung für den Film «Marie Heurtin».
Thema > Kindersamstage
> Mailbox
> Editorial
«Es ist Zeit, Neues zu lernen, wenn die Begeisterung dafür da ist» Kindersamstage im Zirkus – ein bilinguales Abenteuer für Kinder. Roland Hermann Präsident Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS
> Gehörlose und hörbehinderte auch ausserhalb der Schule fördern,
Liebe Spenderin, lieber Spender Angebote für Kinder und Familien sind enorm wichtig. Egal, ob ein gehörloses oder schwerhöriges Kind in einer hörenden Familie aufwächst oder umgekehrt: Alle diese Kinder sind in der sogenannt «Hörenden Welt» etwas Besonderes, und manchmal erleben sie sich dann auch als Aussenseiter. Sobald sie mit anderen Kindern aus ähnlichen Lebensumständen zusammen sind, tritt der Hörstatus als Thema in den Hintergrund. Dann geht es darum, gemeinsam etwas zu erleben, zusammen spielerisch zu lernen und natürlich auch darum, neue und andere Gspänli kennen zu lernen. Die Kindersamstage, über die wir in dieser Ausgabe mit einem Schwerpunkt berichten, sind eines dieser wertvollen Angebote. Wir freuen uns sehr, wenn Sie es mit Ihren Spenden und Beiträgen weiterhin unterstützen. Vielen Dank!
Roland Hermann (gehörlos)
arbeit mit dem bekannten Kinderzirkus Robinson durchgeführt.
«Es ist sehr speziell, mit gehörlosen Kindern zu arbeiten. Es war toll!»
ihre Sprach- und Kommunikationsfähigkeit schulen und ihnen dabei möglichst viel Spass und Abenteuer bieten – das ist das Ziel der «Kindersamstage». Dieses Jahr: im Zirkus! Viele Eltern wünschen sich, gehörlose und hörende Kinder zusammenzubringen. Die Kinder sollen Gleichgesinnten begegnen und gemeinsam Neues lernen können. Deshalb gibt es seit 2008 die Kindersamstage mit jeweils einem Jahresthema und vier ganztätigen Veranstaltungen pro Jahr. 2013 haben insgesamt 93 Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren an den Kindersamstagen teilgenommen, darunter 64 gehörlose und 29 hörende Kinder. 2014 hiess das Thema «Zirkus», und die Kindersamstage wurden in Zusammen-
Sozialbegleiter Dominik Hermann (26) aus Basel hat – zusammen mit zwei TrainerInnen des Kinderzirkus Robinson – die Kinder in ihrem Zirkusabenteuer begleitet. Dominik Hermann ist selber als hörendes Kind in einer gehörlosen Familie und mit der Gebärdensprache als Muttersprache aufgewachsen (siehe Mailbox-Interview nebenan). Das Thema «Zirkus» sei ein Volltreffer, sagt er. Dominik Hermann: «Letztes Jahr war der Zoo unser Thema. Dabei ist uns aufgefallen, dass bei allen Kindern – unabhängig vom Hörstatus – die grösste Begeisterung dann aufkam, wenn es etwas zu tun gab. Sprich: wenn es etwas zu basteln gab oder Ponys gebürstet werden mussten.» So entstand die Idee, mit dem Kinderzirkus Robinson zusammenzuarbeiten. Und diese Idee hat bestens funktioniert. Zirkusleiter Sandro Weibel kann das nur bestätigen: «Diese Kinder sind sehr ausdrucksstark! Sie wissen, wie sie ihre Gefühle vermitteln sollen, damit sie verstanden werden. Und sie sind auch sehr fortgeschritten im theatralischen Bereich.» Wenig Angebote in Gebärdensprache Ziel der Kindersamstage ist es, die Gebärdensprachkompetenzen zu fördern. Kommuniziert wird in Gebärdensprache. Dominik Hermann: «Egal ob ein Kind gehörlos, schwerhörig oder hörend ist. Die Kindersamstage schaffen soziale Kontakte mit anderen Kindern, und es wird Wissen vermittelt. Solche Angebote in Gebärdensprache sind sehr rar.» Zum
Sandro Weibel, Zirkustrainer
ist. Nur macht das Lernen so gar keinen Spass – und wenn wir mal ehrlich sind ... eigentlich auch für Erwachsene nicht.» Der Spass und die Freude im Zirkus waren jedenfalls riesig. Und das nicht nur bei den Kindern, sondern sogar bei den Profis. Zirkusleiter Sandro Weibel: «Es ist sehr speziell, mit gehörlosen Kindern zu arbeiten. Das habe ich zuvor noch nie gemacht. Aber es war toll!»
Kinder lieben es, spielend zu lernen. Von Jahr zu Jahr nehmen mehr Kinder an den Kindersamstagen teil.
«Die Kindersamstage schaffen wertvolle soziale Kontakte.» Dominik Hermann, Betreuer
Kindersamstagsprogramm im Zirkus gehörten so interessante Dinge wie das Üben verschiedener Zirkusdisziplinen: Fässlilaufen, mit Kugel, Seil und Jonglage arbeiten und sich in Akrobatik versuchen. Zwei Mitarbeitende des Kinderzirkus Robinson bringen das Material mit und instruieren die Kinder im Umgang mit den diversen Geräten. Jedes Kind
durfte sich zwei Disziplinen aussuchen, in denen es am Ende des Jahres den Eltern sein Kunststück vorstellen darf. Dominik Hermann: «Kurz gesagt: Wir mussten üben, üben, üben!» Er hat die Kinder bei den Übungen unterstützt, hat geholfen, Ideen zu finden und zu erweitern, und auch bei Kommunikationsproblemen zu vermitteln und Brücken zu bauen. «Es ist Zeit, Neues zu lernen, wenn die Begeisterung dafür da ist! Kinder lernen durch Begeisterung. Oftmals machen wir Eltern oder die Schulen Druck auf die Kinder, dies und jenes zu können, weil wir Erwachsene das Gefühl haben zu wissen, was für die Kinder wichtig
Der Bedarf ist da Die Kinder freuen sich bereits auf die nächsten Kindersamstage im Jahr 2015. Der Hörstatus des teilnehmenden Kindes spielt keine Rolle: Angesprochen werden hörende Kinder mit gehörlosen Eltern oder umgekehrt gehörlose Kinder aus hörenden Familien. Dominik Hermann macht gerne weiter: «Die Teilnehmerzahl steigt stetig. Das zeigt, dass Bedarf da ist und die Kinder von diesem Angebot profitieren können.» Und neben dem Lernen bringen die Kindersamstage für später auch schöne Erinnerungen. Dominik Hermann denkt heute selber noch gerne zurück an seine Kindheit: «Ich war zwar schon sehr sehr lange nicht mehr im Zirkus. Aber in meiner Erinnerung sehe ich mich Popcorn mampfend auf der Bank sitzen. Ich war noch klein, das meiste fand ich nicht so interessant – bis der Clown kam! Clowns waren in meinen
Augen das Highlight, auch wenn sie mir etwas Angst machten. Der Clown betrat die Manege und hielt einen Jutesack in der einen Hand. Schon wie er aussah und daher kam, war es zum Lachen. Er lief vor der ersten Reihe im Kreis und schien etwas im Publikum zu suchen. Was wohl? Natürlich einen Freiwilligen. So blieb der Clown also vor einem Mann stehen, den er sich ausgesucht hatte. Der Clown sprach kein Wort und machte diesem Mann mit Gesten klar, was er von ihm wolle. Er solle die Hand hoch halten, so wie man es aus der Schule kennt, wenn man die Antwort auf eine Frage wusste und es unbedingt sagen wollte. Der Mann war schon peinlich berührt, da die Aufmerksamkeit des Publikums auf ihn gerichtet war, und streckte auf. Der Clown reagierte prompt und stülpte dem Mann den Jutesack über den Kopf und lief lachend davon. Schallendes Gelächter...» <
Dominik Hermann, warum haben Sie die Aufgabe, die Kindersamstage zu leiten, übernommen? Ich sehe mich als Brückenschläger oder Kulturvermittler zwischen den zwei Welten, weil ich die Gehörlosenkultur wie auch die Hörendenkultur erlebt habe und beide verstehen kann. Ich kann auf beide Seiten vermitteln und erklären. Dazu sammle ich für mich selber weitere Erfahrungen, um die Vermittlungsqualität zu verbessern. Was ist Ihr persönliches Ziel mit den Kindersamstagen? Ich möchte eine Sensibilität und auch ein Verständnis für das "Hören" oder eben das "Nicht-hören" schaffen. Hörende sind ablenkbarer durch das Gehör, und die Gehörlosen müssen oft warten, wenn etwas wiederholt werden muss. Umgekehrt braucht es bei gewissen Wörtern oder Redewendungen mehr Erklärung, wenn etwas in der Lautsprache als gängiger Ausdruck verwendet wird. Damit will ich keinem einen schwarzen Peter zuschieben. Einen "schwarzer Peter zuschieben" wäre übrigens genau so ein Beispiel, das es so nicht gibt in der Gebärdensprache und etwas Erklärung bedarf. Es gibt auch Gebärdenwörter, die in der Lautsprache ausführlicher beschrieben werden müssen, um sie richtig zu verstehen. Ich will einfach aufzeigen, dass es auf beide Seiten ein gewisses Verständnis braucht. Was ist denn Ihr eigener familiärer Hintergrund betr. Gehörlosigkeit? Ich wuchs mit der Gebärdensprache als Muttersprache auf. Meine Eltern wie auch meine Grosseltern sind gehörlos. Mein Sohn ist wie ich hörend, und ich bringe ihm die Gebärdensprache bei wie es auch meine Mutter mit mir tat. Dominik Hermann (26) ist Sozialbegleiter FA in Ausbildung und lebt in Basel.
Mit Gehörlosen telefonieren? Das funktioniert. Und wie! > Dank VideoCom können Gehörlose genauso einfach per Telefon einen Arzttermin abmachen oder für ein be-
Lautsprache
Gebärdensprache
stimmtes Anliegen mit ihrer Gemeindeverwaltung sprechen wie Hörende. Mit Smartphone und Internet, mit SMS und Mail sind Hörende und Gehörlose einander in ihrem Kommunikationsverhalten näher gekommen: Wir alle schreiben. Häufiger, schneller und unkomplizierter denn je. Für Gehörlose ist das Kommunizieren auf dieser Ebene einfacher geworden und ihre Möglichkeiten vielfältiger und grösser. Die Innovation auf elektronischem Gebiet hat enorme Veränderungen und Vorteile gebracht. Mittlerweile ist es sogar möglich, mit einer gehörlosen Person zu telefonieren! Das Gespräch ist fliessend! VideoCom heisst dieses Angebot, und es funktioniert so: Man wählt – nur wochentags, von 8 bis 12 und 14 bis 17 Uhr – die Nummer von VideoCom und gibt dort die sogenannte ViTAB-Nummer der gewünschten Gesprächspartnerin an. Eine Gebärdensprachdolmetscherin wählt die gewünschte Nummer. Auf dem Schreibtisch der Telefongesprächspartnerin steht neben einem Computer ein kleiner Bildschirm, das ViTAB-Gerät. Auf diesem Bildschirm erscheint für die gehörlose Person die Dolmetscherin und übersetzt das, was der Anrufer sagt, in Gebärdensprache. Die Antwort wird von der Gehörlosen Gesprächspartnerin in Gebärdensprache per Videokamera an die Dolmetscherin weitergeleitet. Und diese übersetzt für den Anrufer in Lautsprache. Auch wenn
Hörende Person mit Telefon
Dolmetscherin mit Telefon (Headset) und ViTAB
Lautsprache
Gebärdende Person mit ViTAB
Gebärdensprache
Dieses Schema zeigt, wie das Telefonieren mit Gehörlosen konkret abläuft.
das jetzt etwas kompliziert klingen mag: Das geht blitzschnell hin und her, das Gespräch ist absolut fliessend. Und wer sich, etwa aus beruflichen Gründen, als Hörende dazu noch Notizen machen möchte, muss sich also sputen! Die Video-Vermittlung VideoCom ist eine Dienstleistung der procom, Stiftung Kommunikationshilfen für Hörgeschädigte in der Schweiz, unterstützt u.a. vom Schweizerischen Gehörlosenbund und vom Eidgenössischen Büro für Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen. VideoCom ermöglicht Gehörlosen einen natürlichen, spontanen Austausch in Gebärdensprache. Dank neuster Technologie und dem Einsatz einer Gebärdensprachdolmetscherin kann die gehörlose Person das – vor allem im Geschäftsleben, aber auch privat – so wichtige Telefon nutzen wie eine hörende Person: vom Anruf beim Steueramt bis zum Gespräch mit einer
Die Nachfrage ist gross. VideoCom ist ein Erfolg. hörenden Tante oder Tochter. Das Projekt VideoCom ist 2010 gestartet und wurde als Pilotprojekt angelegt. Erste Auswertungen zeigen: VideoCom ist ein Erfolg. Die Nachfrage ist gross. Zahl der Anrufe ist explodiert Procom müsste für das Projekt die Besetzung mit Dolmetscherinnen ausbauen. Seit einem Jahr ist VideoCom bereits ab 8 Uhr geöffnet, und am Nachmittag wird in Doppelbesetzung gearbeitet. Die Zahl der Anrufe ist seither förmlich explodiert. Seit 2012 gibt es VideoCom auch in der Romandie und im Tessin. Insgesamt sind in der Schweiz zur Zeit mehr als 600 ViTAB-Geräte bei Gehörlosen installiert. www.procom-deaf.ch <
Fotos: procom
Videovermittlung VideoCom: Kommunikationsbrücke zwischen Gehörlosen und Hörenden
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Foto: filmcoopi
Neuer Film mit einer hinreissenden gehörlosen Schauspielerin
«Marie Heurtin» mit Ariana Rivoire läuft ab 25. Dezember im Kino.
taubblind zur Welt und wird von ihren Eltern, einfachen Bauern, in ein Kloster gebracht. Das Mädchen ist völlig unfähig
Die Geschichte von Marie Heurtin spielt in Frankreich, gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Marie (Ariana Rivoire) kommt
zu kommunizieren, weigert sich, Kleider anzuziehen und klettert am liebsten auf Bäume. Aber die junge Nonne Marguerite (Isabelle Carré) ist überzeugt: Marie ist nicht geistig gestört. Ganz im Gegenteil. Marguerite bringt dem Mädchen die Gebärdensprache bei, bis – nach vielen Höhen und Tiefen – ein Druchbruch gelingt. «Marie Heurtin» wurde im Sommer am Filmfestival von Locarno präsentiert. Die gehörlose Schauspielerin Ariana Rivoire begeisterte nicht nur in ihrer Filmrolle, sondern auch, als sie auf der berühmten Piazza ein Interview in Gebärdensprache gab. Das Publikum war hingerissen. Der Film läuft ab 25. Dezember in den Deutschschweizer Kinos. <
Foto: designport.ch
Wir stellen vor: Spender Christian Marugg und sein wohltätiges Legat
Der Bündner Christian Marugg hat nach seinem Tod im Juli 2012 in einem Legat weit mehr als die Hälfte seines Vermögens an insgesamt 48 Wohltätig-
keitsorganisationen vermacht. Christian Marugg berücksichtige dabei auch den Schweizerischen Gehörlosenbund! Der grosszügige Wohltäter lebte in Fläsch, Graubünden, zuletzt noch ein Jahr in einem Altersheim. Freunde nannten ihn «Christli». Am Vorabend haben sie mit ihm noch eine Flasche Wein getrunken und Lieder gesungen. Es wird ganz bestimmt ein Tropfen aus der Bündner Herrschaft gewesen sein. Der durchschnittliche Erbteil zugunsten gemeinnütziger Organisationen beträgt
Impressum Herausgeber: Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS, Oerlikonerstr. 98, 8057 Zürich T 044 315 50 40, spenden@sgb-fss.ch, www.sgb-fss.ch Erscheint 4 x jährlich mit einer Gesamtauflage von 55 525 Ex in Deutsch und Französisch. (Reduktion der Auflage ab 1. Juli 2013 auf 35 000 Ex.) Spendenkonto: 80-26467-1 Redaktion: Christine Loriol Gestaltung: www.designport.ch Fotos: Pirmin Vogel
in der Schweiz etwa 1,0 bis 1,5%. Christian Marugg hat 65% seines Vermögens an die Gesellschaft verteilt. Legate sind für alle gemeinnützig Tätigen und Hilfsorganisationen eine grosse Unterstützung, unabhängig von der Grösse der Spende, die via Testament festgelegt wurde. Die Spenden aus Legaten kommen oftmals überraschend und können für Projekte eingesetzt werden, die sonst vielleicht nicht realisierbar gewesen wären. Schade ist einzig, dass sich die Begünstigten nicht mehr persönlich beim Spender bedanken können. <