Thema > Gehörlose Kleinkinder
Juni 2018
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Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS
Foto: Dieter Spoerri
ganzOHR
> Kinder früh fördern – wichtig fürs ganze Leben > Was der gehörlose Max in der Krippe erlebt > Gehörlosen Kindern eine Perspektive schenken
Thema > Gehörlose Kleinkinder
Gehörlose Kleinkinder hab einfachen Weg vor sich Deshalb sollen sie möglichst früh gefördert werden > Agonesa und Blerim B. möchten, dass ihr gehörloser Sohn Max* mit der Gebärden- und der gesprochenen Sprache aufwächst. Da die Eltern auch Brigitte Daiss-Klang Leiterin Strategische Entwicklung, Mitglied der Geschäftsleitung
gehörlos sind, wird zu Hause in Zürich in der Gebärdensprache kommuniziert. Diese fördert zudem die Sprachentwicklung des Dreijährigen und erleichtert ihm den Zugang zur gesprochenen Sprache. So kann Max auch ausserhalb der Familie am Leben teilnehmen und hat später die Chance, eine vollwertige Schulbildung zu erhalten.
Gehörlose Kinder nicht ausgrenzen Es ist wichtig, dass gehörlose und hörende Kinder zusammen aufwachsen, gemeinsam spielen, Sport treiben und sich austauschen. So wird ihnen schon früh bewusst, dass es unterschiedliche Arten gibt, miteinander zu kommunizieren. Ich bin selbst gehörlos und Mutter von drei Kindern – einem gehörlosen, einem schwerhörigen und einem hörenden – und habe darauf geachtet, dass sie ihre Freizeit in gemischten Gruppen verbringen. Diese Offenheit gegenüber allen Seiten hat sie sensibilisiert und in ihrer Entwicklung massgeblich gefördert. Für dieses Miteinander setzt sich auch der Schweizerische Gehörlosenbund SGB-FSS ein. Gehörlose und hörbehinderte Kinder liegen uns besonders am Herzen. Für unsere Angebote und Projekte zur Frühförderung von Kindern und zur Stärkung der Familien sind wir auf Spenden angewiesen. Ich danke Ihnen herzlich, dass Sie uns dabei unterstützen.
Brigitte Daiss-Klang (gehörlos)
Die Gebärdensprache ermöglicht gehörlosen und hörbehinderten Menschen, sich zu verständigen. Kleinkinder lernen sie intuitiv und legen damit früh die Basis für ein gutes Sprachgefühl. Dies erleichtert ihnen das Erlernen der gesprochenen Sprache, die für sie eine Fremdsprache ist. Die Erfahrung zeigt: Gehörlose Kinder, die mit der Gebärden- und der gesprochenen Sprache aufwachsen, entwickeln ihr Potenzial besser, können in jedem Umfeld situationsgerecht kommunizieren und sich in der Kultur der Gehörlosen und jener der Hörenden entfalten. Wenn sie in beiden Sprachen unterrichtet werden, können sie sich den gleichen Schulstoff aneignen wie hörende Kinder und haben somit eine bessere Chance auf eine gute Ausbildung: die Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Leben. Je früher, desto besser Dabei gilt auch hier: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Denn die ersten Jahre sind für die Sprachentwicklung eines jeden Kindes entscheidend – unabhängig davon, ob es hörend oder hörbehindert ist. Deshalb engagiert sich der Schweizerische Gehörlosenbund SGBFSS für die Frühförderung von gehörlosen Kleinkindern. Unter anderem helfen wir
den Familien, für die Entwicklung des Kindes den bestmöglichen Weg zu finden. «Geben wir unser Kind in eine Krippe mit hörenden Kindern oder in eine Gehörlosenkrippe?» Diese Frage stellen sich viele Eltern mit einem hörbehinderten Kind. Eine wichtige Frage – denn eine Kinderkrippe oder Spielgruppe ist eine wertvolle Ergänzung zum Leben in der Familie. Sie bietet den Kindern die Möglichkeit, sich in eine Gruppe von Gleichaltrigen zu integrieren. Aller Anfang muss nicht schwer sein Agonesa und Blerim B. haben sich entschieden, Max in die Zürcher Kinderkrippe Kita Schmetterling zu geben. Lesen Sie dazu das Gespräch mit der Mutter in diesem ganzOHR. Liebevolle Betreuerinnen sind in phantasievollen, hellen Gruppenräumen für die – normalerweise hörenden – Kinder da. Dank der Krippe können die Eltern ihrer Berufstätigkeit nachgehen in der Gewissheit, dass ihr Kind während dieser Zeit nicht nur in guten Händen ist, sondern auch entsprechend seinen Neigungen gefördert wird. Die Kinder gewinnen in einem organisierten Rahmen auf spielerische Weise einen breiten Überblick über die verschiedens-
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ten Aspekte des Lebens und können dabei ihre Persönlichkeit entfalten. Gilt das auch für Max? «Auf jeden Fall», sagt Fabienne Wegner, eine der Gruppenleiterinnen. «Max lernt hier auf natürliche Art, sich mit hörenden Kindern zu verständigen, eine wichtige Erfahrung für sein ganzes späteres Leben.» Mitten im Leben Die Gruppenleiterinnen behandeln Max wie jedes andere Kind. Er braucht aber mehr Aufmerksamkeit. Seine Gspänli in der Kinderkrippe akzeptieren das und wissen, dass bei Max etwas anders ist als bei ihnen selbst. Fabienne Wegner sagt: «Mitten im Spiel vergessen sie das aber schnell und möchten ganz normal mit ihm sprechen – bis sie wieder merken,
dass das nicht geht. Oft legen sie dann die Spielsachen weg und teilen sich spontan mit Händen und Füssen mit und die Verständigung klappt wieder.» Auch Streitsituationen machen vor Max nicht halt, zum Glück. Seine besondere Stellung zeigt sich nur punktuell bei der Kommunikation. Die Gruppenleiterinnen sagen ihm auch, wenn er etwas nicht gut gemacht hat. Hilfreich ist zudem, dass in einer Kinderkrippe viele Abläufe ritualisiert sind und vieles nicht ständig neu erklärt werden muss.
deutlich zu artikulieren. Hat Fabienne Wegner dank Max selbst auch etwas gelernt? Sie sagt: «Ich weiss heute gut über Gehörlosigkeit Bescheid und kenne die wichtigsten Gebärden wie essen, spielen, spazieren oder schlafen. Wenn ich spreche, gestikuliere ich automatisch mehr. Und ich habe erlebt, dass Max alles kann, ausser eben hören.» <
Für alle bereichernd Es ist für die anderen Kinder bereichernd, Max in der Gruppe zu haben. Denn sie werden bei der Kommunikation ebenfalls vor Herausforderungen gestellt. So lernen sie, Rücksicht zu nehmen, das Gegenüber beim Sprechen anzuschauen und sich
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* Zum Schutz der Privatsphäre wurde der Vorname des Kindes geändert.
Mit Ihrer Spend gehörloser Kind
Familien mit Rat und Tat zur Seite stehen
> Gebärden
Für den bestmöglichen Start ins Leben
Auf
http://signsuisse.sgb-fss.ch
finden Sie unser einmaliges Online-
Kindern und die Unterstützung der Familien zählen zu unseren wichtigsten Anliegen. Deshalb bieten wir den Betroffenen viele hilfreiche Dienstleistungen. Heimkurse: Sich gegenseitig verstehen In unseren Heimkursen lernt ein gehörloses Kind zusammen mit seinen Eltern, Geschwistern und Angehörigen die Gebärdensprache – eine gemeinsame Familiensprache. Die Kurse sind auf den Familienalltag abgestimmt. Dabei nimmt das gehörlose Kind die gehörlose Lehrperson als Vorbild wahr. Bitte beachten Sie dazu auch den Artikel auf der Rückseite. Lehrmittel: Spielend lernen Gehörlosen Kindern fällt es nicht leicht, die gesprochene Sprache zu lernen, die für sie eine Fremdsprache ist. Deshalb sollten sie Lerninhalte auch in ihrer Muttersprache, der Gebärdensprache, vermittelt bekommen. Leider gibt es dafür immer noch zu wenig Lehrmittel. Aus diesem Grund haben wir die Internetplattform ekids geschaffen. Sie bietet gehörlosen Kindern Lernspiele und Videos mit span-
nenden Geschichten in Gebärdensprache. Sie ermöglichen es den Kindern, ihren Wortschatz zu erweitern und Wissen zu erwerben, das für hörende Kinder selbstverständlich ist. In unserem Shop auf www.gehörlosenbund.ch/shop findet man weitere Lehrmaterialien (Bücher, DVDs) für Kinder unterschiedlichen Alters.
Ge bärdensprache-Lexikon. Es um-
Kinderlager: Gemeinsame Erlebnisse
Passend zum Thema dieser Ausgabe
fasst alle drei Gebärdensprachen der Schweiz: die schweizerdeutsche, französische und italienische. Die Begriffe werden in einem Video vorgeführt, schriftlich erläutert und mit einem Anwendungsbeispiel ergänzt. Viel Vergnügen beim Entdecken!
von ganzOHR zeigen wir Ihnen die
Foto: Pirmin Vogel
> Die Frühförderung von gehörlosen
Gebärde für «Familie», eine wichtige Gebärde für jedes gehörlose Kind.
In unseren beliebten Kinderlagern erleben gehörlose, schwerhörige und hörende Kinder im Alter zwischen sieben und zwölf Jahren gemeinsam Abenteuer und schliessen Freundschaften. Die gehörlosen Kinder sind für einmal voll dabei und fühlen sich nicht ausgeschlossen. Das macht Spass, und wie! < «Familie»
erung ter anderem die Förd de unterstützen Sie un Ihnen von Herzen. der. Dafür danken wir
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«Wir wünschen unserem Sohn eine gute Zukunft.» > Der gehörlose Max besucht die Kinderkrippe Kita Schmetterling in Zürich Albisrieden, die ausser ihm
Foto: Dieter Spoerri
Agonesa und Blerim B. geben Max* in eine gemischte Kinderkrippe
Agonesa B. weiss:
nur hörende Kinder betreut. Seine
Die ersten Lebensjahre sind sehr wichtig.
ebenfalls gehörlose Mutter Agonesa
Deshalb legen sie und ihr Mann Blerim grossen Wert auf die Frühentwicklung ihres dreijährigen Sohnes Max – und geben ihn in eine Krippe mit nur hörenden Kindern.
spricht über die Erfahrungen, die dieser Schritt mit sich gebracht hat. Warum haben Sie Ihren Sohn Max in eine Kinderkrippe gegeben, in der er das einzige gehörlose Kind ist?
Natürlich hat die Integration in eine Krippe mit nur hörenden Kindern Vor- und Nachteile. Die Alternative wäre das «Zentrum für Gehör und Sprache» in ZürichWollishofen gewesen. Dorthin hätte Max aber einen weiten Weg gehabt, währenddem es zum «Schmetterling» nur fünf Minuten sind. Ein ausführliches Gespräch mit der Krippenleitung hat meinen Mann, der ebenfalls gehörlos ist, und mich überzeugt, dass das der richtige Ort für Max ist. In erster Linie geht es uns darum, unseren Sohn schon früh auf bestmögliche Weise zu fördern – ihm die Möglichkeit zu geben, in der Gebärden- und der gesprochenen Sprache gut kommunizieren zu lernen. Hat sich Max gut eingelebt?
In der ersten Zeit ist es nicht einfach gewesen. Die Kinder haben wie üblich miteinander gesprochen und Max hat gebärdet. Das hat zu Verständigungsproblemen geführt und von allen Beteiligten viel guten Willen erfordert. Wir mussten viel mit Max und den Krippenverantwortlichen sprechen. Geholfen hat, dass die Kinder gelernt haben, Rücksicht zu nehmen. Und dass die Gruppenleiterinnen die wichtigs-
«Der Austausch mit hörenden Kindern tut Max gut.» ten Gebärden gelernt haben: essen, spielen, spazieren, schlafen und so weiter.
deren Anlässen ist eine Gebärdensprachdolmetscherin dabei. Man findet immer einen Weg. Unter den Müttern ist der Austausch allerdings nicht so gross. Denn oft sind wir im Stress – und das hat nichts mit dem Gehörlossein zu tun (lacht). Hätten Sie im Nachhinein etwas anders gemacht?
Wie gefällt es Max in der Krippe?
Max verbringt zwei ganze Tage pro Woche dort – und es gefällt ihm mittlerweile sehr gut. Er erzählt zu Hause voller Freude viel von seinen Erlebnissen. Max ist gerne mit den anderen Kindern zusammen, spielt aber auch gerne für sich alleine – am liebsten mit Autos und der Eisenbahn. Wir spüren, dass er in der Krippe sein Kindsein ausleben kann. Das ist gut so. Wie kommunizieren Sie mit den Krippenmitarbeiterinnen und den anderen Eltern?
Wir tauschen uns über WhatsApp aus, aber auch mündlich – ich trage ein Cochlea-Implantat**. Bei Sitzungen oder an-
Vielleicht wäre es einfacher gewesen, Max zuerst in eine Krippe mit nur gehörlosen Kindern zu geben und erst danach in eine gemischte Integration. Meines Erachtens sind beide Wege möglich. Im Sommer wechselt er nun in die Spielgruppe des «Zentrums für Gehör und Sprache» in Wollishofen. Dort wird bilingual kommuniziert – in der gesprochenen und der schweizerdeutschen Gebärdensprache, die er lernen wird. Das ist für seine weitere Entwicklung wichtig. < * Zum Schutz der Privatsphäre wurde der Vorname des Kindes geändert. ** Das Cochlea-Implantat ist eine implantierte Hörhilfe für hörbehinderte Menschen und ermöglicht, abhängig von der Art der Hörbehinderung, eine gewisse Hörleistung.
Gehörlose Kinder brauchen Sie Mit einer Patenschaft helfen Sie gehörlosen Kindern besonders wirksam > Möchten Sie gehörlosen Kindern eine Perspektive und Lebensmut schenken? Und die betroffene Familie stärken? Dann entscheiden Sie sich am besten für eine Patenschaft. Würden doch alle früh gefördert werden! Lernt ein gehörloses Kleinkind die gesprochene und die Gebärdensprache, kann es sich mit Mama, Papa und seinen Geschwistern in jeder Situation verständigen. Zudem entwickelt es seine Persönlichkeit besser und hat später die gleichen Bildungschancen wie hörende Kinder. Es gibt einen Weg Wir unterstützen Familien mit gehörlosen Kindern beim Erlernen der gesprochenen und der Gebärdensprache. Mit der Patenschaft «Family-Package» unterstützen Sie gezielt Heimkurse, in denen Eltern, Geschwister und Angehörige gleichzeitig mit dem gehörlosen Kind die Gebärdensprache lernen. Gehörlose Lehrpersonen besuchen die Familien zu Hause für das gemeinsame Training und geben ihnen Tipps für ihren Alltag, in dem sie viele Hürden überwinden müssen. Wir brauchen Ihre Hilfe Obwohl sich die Familien an den Kurskosten beteiligen, wird damit nur ein Teil der
Kosten gedeckt. Deshalb sind wir auf Menschen angewiesen, die eine Patenschaft «Family-Package» übernehmen. Nur so können wir dieses wichtige Angebot aufrechterhalten.
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind weint und Sie können nicht mit ihm reden.
Patenschaft als wirksamste Hilfe Mit einer Patenschaft ab 240 Franken pro Jahr helfen Sie gehörlosen Kindern und deren Familien direkt und nachhaltig. Diese regelmässige Unterstützung ist für unsere Arbeit von zentraler Bedeutung. Unsere ZEWO-Zertifizierung garantiert Ihnen den wirksamen und transparenten Einsatz Ihrer Gelder. Wie unterscheidet sich eine Patenschaft von einer Spende? Spenden sind einmalig oder unregelmäs sig. Mit einer Patenschaft unterstützen Sie den Schweizerischen Gehörlosenbund SGB-FSS hingegen regelmässig mit einem bestimmten Betrag. Sie gehen dabei aber keinen Vertrag ein. Vielmehr entscheiden Sie jedes Jahr frei, ob Sie die Patenschaft erneuern möchten oder nicht. Werden Sie jetzt Pate! Beim beiliegenden Brief finden Sie einen separaten Einzahlungsschein für Ihre Patenschaft. Die 240 Franken entsprechen Ihrem ersten Jahresbeitrag. Wir danken Ihnen von Herzen für Ihre nachhaltige Unterstützung. <
Impressum Herausgeber: Schweizerischer Gehörlosenbund SGB-FSS, Räffelstrasse 24, 8045 Zürich Verantwortlich: Peter Schläfli, T 044 315 50 40, spenden@sgb-fss.ch, www.gehörlosenbund.ch Redaktion: Stefan Meier, Peter Schläfli Fotos: Benjamin Hofer Gestaltung: www.designport.ch Erscheint 4 x jährlich mit einer Gesamtauflage von 37 056 Ex. in Deutsch und Französisch. Spendenkonto: 80-26467-1
«Dank Gebärdensprachkursen verstehe ich meine Tochter besser – und sie mich.»
«Haben Sie Fragen zur Patenschaft? Ich beantworte sie Ihnen gerne persönlich.»
Peter Schläfli Projektleiter Mittelbeschaffung p.schlaefli@sgb-fss.ch Tel.: 044 315 50 40