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Verwunschene Tiere
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Verwunschene Tiere Auf französischer Seite der Basler Grenze wohnen Tiere, die noch lange nach ihrem Tod eine kleine Einzimmerwohnung mit dem Charme einer längst vergangenen Epoche erfüllen. Mit grosser Passion und Hingabe verfolgt der Mieter seit ungefähr sechs Jahren eine nicht unbedingt alltägliche Sammlung. Hauptbestandteil davon sind oftmals ausrangierte Tierpräparate. Begonnen hat alles auf einem Estrich. Dem Estrich der Grossmutter. Sie war zu Kindertagen im Besitz von mehreren Puppenhäusern sowie Porzellanpuppen gewesen. Beim Ausräumen des Dachbodens stiess man auf diese längst vergessenen Schätze. Als der Staub verflog, entfachte die Leidenschaft. Die Begeisterung für die edlen Spielsachen und Textilien des 19. Jahrhunderts wuchs mit jedem Fundstück und schon bald sammelte sich ein ganzes Arsenal an Stoffen, Bekleidungsstücken, Puppen sowie Puppenzubehör an. Der Sprung von den Spielsachen auf die ausgestopften Tiere erfolgte über ein entscheidendes Objekt... Beim betreten der geschätzten 15 Quadratmeter grossen Wohnung fühlt man sich umgehend heimelig. Die mit feinen Stoffen gepolsterten Wohnsessel, der Kronleuchter, die vielen Bilderrahmen an den Wänden, die schweren, gemusterten Vorhänge - alles Wohnelemente, die ein Willkommensgefühl vermitteln und trotz ihres nicht unbedingt zeitgenössischen Erscheinungsbildes auf eine Stilsicherheit hinweisen. Beim Umherschauen fällt einem schon bald einmal der türkisblaue Schmetterling (1) auf, der brav eingerahmt unter seinen Artgenossen an der Wand hängt. Sogleich erfahre ich, dass genau dieser Schmetterling den Grundstein für die Sammlung legte. Er war ein Geschenk einer Bekannten. Die Vielfalt an Falter (2) an dieser Wand ist bemerkenswert. Die Muster, Farben und Formen nutze er gerne als Inspiration für seine Projekte, erzählt mir der Sammler. Unter anderem befinden sich an dieser Wand noch andere Krabbeltierchen. So zum Beispiel Insekten und Skorpione. Eines der Skorpione (3) sei lediglich ein Feriensouvenir aus Nordafrika, jedoch hätte dieser so gut in die Sammlung gepasst, dass man ihn eigenhändig auf einen Hintergrund befestigt und in einen Rahmen gelegt hätte. Aufgefallen wäre das nicht, hätte man es mir nicht erzählt. Weiter links an der Wand posiert ein Marder (4) auf einem vergoldeten Ast. Der Sammler stelle sich den Marder immer als Kammerzofe oder als Wächterin vor. Das kleine Kleidungsstück, dass es trage, sei selbstgenäht aus originalen Stoffen der Epoche. Man hört den Stolz in den Worten, was einem Freude beim Zuhören macht.
Bei der Frage, wie er darauf gekommen sei, den ausgestopften Tieren Charaktere zu verleihen und sie einzukleiden, antwortete er, er habe die Geschichten und Illustration der Kinderbücher von Beatrix Potter schon immer sehr gemocht. Dort hätten auch alle Tiere ihre Rolle und die dazugehörigen Requisiten. Vor allem aber der Stil sei ein wesentliches Merkmal, das er versuche in seinen Kreationen wiederzugeben. Oben am Marder prangt ein Hirschkopf (5) veredelt mit goldenem Geweih sowie einer Masche um den Hals. Nie könne er sich vorstellen Tiere selber zu jagen und zu töten, so der Sammler. Am Präparieren sei er aber schon auch interessiert. Vis-à-vis von dieser Wand befindet sich eine weitere Wand, die wieder zum erkunden und genauem Hinschauen einlädt. Als erstes fallen einem die weiteren vergoldeten Geweihe (6) auf. Darunter steht ein kleiner Schreibtisch mit einem, gemäss dem Sammler, originalen Ausstellungsmodell (7) aus dem 19. Jahrhundert. Genau so müsse man sich ausgestopfte Tiere vorstellen, die zu einem dekorativen und nicht wissenschaftlichen Zweck genutzt wurden. Der Wert der gesamten Sammlung lässt sich nur erahnen, liege aber sehr wahrscheinlich im fünfstelligen Bereich. Wie bereits oben erwähnt besteht die Sammlung zudem auch aus Puppenhäusern und Puppenhauszubehör. Leider befindet sich nicht die komplette Sammlung in der kleinen Einzimmerwohnung. Doch in einer Vitrine gleich am Eingang, erhält man einen relativ guten Eindruck davon. In einem selber gebauten und mit originalen Accessoires ausgestatteten Puppenhaus befinden sich drei Nagetierpräparate. Er nenne diese die Mäusefamilie, obwohl die Mutter eine Ratte (8) sei und nicht wie die anderen beiden Mäuse (9)(10). Inszeniert in diesem Puppenhaus wirken die drei fast wie auf einer Bühne. In der Vitrine findet man noch weitere Tierchen ganz unterschiedlicher Art. So zum Beispiel ein kleines Krokodil (11) oder ein Hermelin (12), dessen Charakter der Sammler als ein romantischer Gitarrist sehe. Bei der Gestaltung der Figur berücksichtige er immer stark die Postur sowie die Mimik des Tieres. Am besten lasse sich dieser Prozess am Dachs (13) zeigen. Der Dachs steht vor einem Spiegel in der einen Zimmerecke. Besonderes Merkmal ist wahrscheinlich sein weit aufgerissenes Maul. Als er dieses Tier kaufte, war es in horizontaler Lage, so wie es als lebendes Tier stehen würde. Er habe es dann aber aufrecht gestellt und seine markante Position und Mimik als singend interpretiert. So entstand der Charakter der Opernsängerin. Er stelle sie sich als eine angehende Diva vor, die nach dem ersten Weltkrieg auf einer Bühne, gestaltet von Walter Gropius, auftritt. Eine Tierart, die man immer auf Flohmärkten finden würde, seien Vögel. Madame und Monsieur Vogel sind ein Paradebeispiel dafür. Zusammen bilden sie ein gutbürgerliches Ehepaar um 1870 - der Ehemann ein Falke (14) und seine Frau ein wildes Perlhuhn (15). Eine gewisse Ironie bzw. Komik lässt sich beim Betrachten der Sammlung nicht vermeiden, was das
ganze aber keineswegs entwertet. Im Gegenteil wirkt es erfrischend auf mich. Eines der Lieblingsstücke des Sammlers ist der Specht (16). Dieser trage die Rolle einer Prinzessin, die besonderen Wert auf ihr Perlengewand lege. Abschliessend zu diesem kleinen Rundgang steht eine Frage: Was für eine Person könnte hinter all diesen Wesen und Figuren stehen? Ganz im Gegenteil zu dem was man vielleicht vermuten würde, ist der Sammler noch sehr jung. Mit seinen 21 Jahren lebt der Elsässer (17) zusammen mit seinen Tierchen in dieser Wohnung und studiert Innenarchitektur und Szenographie an der Basler Kunsthochschule.
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Verwunschene Tiere Dokumentation zur Sammlung von Benjamin Wolf Silvia Gonçalves VSD13, FS14 Zürcher Hochschule der Künste Dozent: Markus Bucher