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VERANSTALTUNGEN

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Placebo wirkt besser als Ingwerextrakt

Prophylaxe von Migräneanfällen

In einer Studie untersuchten Forschende die Wirksamkeit von Ingwerextrakt als vorbeugende Massnahme gegen Migräneanfällen. Im Vergleich zur Placebotherapie gab es keinen Vorteil – allerdings sank in beiden Studiengruppen die Häufigkeit schwerer Migräneanfälle. Vermutlich wirkte in beiden Fällen der Placeboeffekt besonders gut. Doch was kann gegen Migräneanfällen prophylaktisch sonst noch getan werden?

Laut Angaben der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e.V. [2] leiden ungefähr zehn bis fünfzehn Prozent der Bevölkerung an Migräne. Im Erwachsenenalter sind Frauen etwa dreimal häufiger betroffen als Männer. Standard der medikamentösen Migräne-Prophylaxe sind Betablocker, Kalziumkanal-Blocker, Antikonvulsiva oder Botulinumtoxin. Wenn all diese Therapieoptionen wirkungslos bleiben (oder Kontraindikationen vorliegen), können gemäss neuer Leitlinienergänzung [3] auch moderne Antikörper zum Einsatz kommen. Letztere gehen mit relativ wenig Nebenwirkungen einher, haben aber das Manko, dass fast ein Drittel der Migränepatienten von vornherein gar nicht auf sie ansprechen. Die herkömmlichen Substanzklassen führen zu verschiedenen Nebenwirkungen, die oft die Therapietreue der Patienten beeinträchtigen. Bei etwa 38 Prozent der Betroffenen wäre eine Therapie zur Prophylaxe von Migräneanfallen aus medizinischer Sicht angeraten, aber nur etwa 3–13 % unterziehen sich einer solchen Therapie, so eine Studie aus dem Vorjahr [4].

Sanfte Massnahmen sind beliebt

«Patienten fürchten Nebenwirkungen. Sanfte, nicht-medikamentöse Massnahmen als Alternative zur medikamentösen Migräneprophylaxe stehen hoch im Kurs», erklärt Professor Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). «Es ergibt daher Sinn, pflanzliche Präparate für die Migräneprophylaxe zu untersuchen.» Seit langem ist bekannt, dass Ingwer einen schmerzstillenden Effekt hat, weshalb eine aktuelle brasilianische Studie [1] in einem

Ingwer ist für seine schmerzlindernde Wirkung bekannt. Doch in einer Studie zur Prophylaxe von Migräneattacken konnte der Ingwerextrakt nicht überzeugen.

doppelblinden Placebo-kontrollierten Design ein Ingwerextrakt testete. 107 Patienten mit episodischer Migräne im Alter zwischen 18 und 60 Jahren, die ansonsten keine prophylaktische Therapie erhielten, wurden eingeschlossen und erhielten über drei Monate entweder das Ingwerextrakt (3-mal täglich 200mg) oder ein Placebo (1:1-Randomisierung). Die Patienten wurden einmal im Monat ärztlich konsultiert und mussten ein Schmerztagebuch führen. Wie sich zeigte, unterschied sich der Anteil der Patienten, die auf die Therapie ansprachen (definiert als eine Halbierung der Migräneanfälle bis zum Studienende), zwischen den Gruppen nicht. Ingwerextrakt war gegenüber Placebo nicht überlegen – insgesamt war in beiden Gruppen aber ein Rückgang der Migränetage mit starken Schmerzen (in der Gruppe mit der echten Behandlung um 42%, in der Placebogruppe um 39%) und des Schmerzmittelgebrauchs zur Behandlung der Attacken festgestellt worden. «Die vorliegende Studie gibt leider keinen Hinweis darauf, dass Ingwer in der Migräneprophylaxe wirksam ist. Sie zeigte keine Überlegenheit von Ingwer gegenüber Placebo. Zwar kam es in beiden Gruppen zu einem Rückgang der schweren Anfallstage und der Einnahme der Akutmedikation, doch können wir von einem Placeboeffekt ausgehen, der in beiden Armen der verblindeten Studie eintrat.»

Ausdauersport hilft den meisten

Wie der Experte ausführt, gäbe es bislang nur zwei Naturheilmittel mit nachgewiesener migräneprophylaktischer Wirkung: Pestwurzextrakt und Mutterkraut. Mutterkraut war in den Studien als CO2-Extrakt untersucht worden und hatte sich als wirksam erwiesen. Doch in dieser Form wird Mutterkraut nicht vertrieben und der Einsatz anderer Formen wurde nicht geprüft und kann daher nicht empfohlen werden. Zudem darf Mutterkraut weder während der Schwangerschaft noch Stillzeit eingenommen werden.

«The Head Ache» vom britischen Karikaturisten George Cruikshank (1792–1878).

Erfolgreich im Hinblick auf die Schwere der Migräneattacken (wenn auch nicht auf die Häufigkeit), ist die Kombination von Vitamin B2, Magnesium und Coenzym Q10, das hatte bereits 2015 eine randomisierte Multicenterstudie aus Deutschland gezeigt [5]. Professor Dr. Peter Berlit, Generalsekretär der DGN, fasst abschliessend zusammen: «Viele naturheilkundliche Mittel haben bisher enttäuscht und können eine medikamentöse Prophylaxetherapie nicht ersetzen. Es gibt aber eine nichtmedikamentöse Massnahme, die nachweislich Wirkung hat, keine Nebenwirkungen, auch in den Leitlinien verankert ist, aber von Patienten häufig nicht genügend berücksichtigt wird: Regelmässiger Ausdauersport kann die Anfallsfrequenz bei Menschen mit Migräne senken. Wir möchten Patienten ermuntern, das Potenzial dieser nachweislich wirksamen Intervention voll auszuschöpfen.»

Medienmitteilung DGN www.dgn.org

Literatur [1] Laís Bhering Martins, Ana Maria dos Santos Rodrigues, Nayara Mussi Monteze et al., «Double-blind placebo-controlled randomized clinical trial of ginger (Zingiber officinale Rosc.) in the prophylactic treatment of migraine», Cephalalgia (2019); https:// doi.org/10.1177/0333102419869319 [2] http://www.dmkg.de/patienten/ antworten-auf-die-wichtigsten-fragen-rundum-den-kopfschmerz-onlinebroschuere/ online_broschuere_migraene.html [3] H.-C. Diener, A. May et al., «Prophylaxe der Migräne mit monoklonalen Antikörpern gegen CGRP oder den CGRPRezeptor, Ergänzung der S1-Leitlinie Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne», 2019, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/ leitlinien [4] H. Ha, A. Gonzales, «Migraine headache prophylaxis», Am Fam Physician (2019); 99:17–24 [5] C. Gaul, H.C. Diener et al., «Improvement of migraine symptoms with a proprietary supplement containing riboflavin, magnesium and Q10: a randomized, placebo-controlled, double-blind, multicenter trial», J Headache Pain (2015); 16: 516. DOI: 10.1186/s10194-015-0516-6.

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Niedrige Konzentrationen nachweisbar

Biomarker im Blut weist auf MS hin

Bei Multipler Sklerose (MS) erlauben klinische Kriterien oft keine zuverlässige Einschätzung der Prognose. Neueste technische Entwicklungen ermöglichen die Messung von Neurofilament-Leichtketten-Proteinen (NFL). NFL ist ein Protein des Stützgerüsts von Neuronen, das bei Zellbeschädigung freigesetzt wird und in geringen Konzentrationen im Blut gemessen werden kann. Forschende in Mainz haben das Potenzial dieses neuen Biomarkers erkannt.

Die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose ist eine der häufigsten Erkrankungen junger Erwachsener in den Industrienationen. Bei dieser greift das eigene Immunsystem das zentrale Nervensystem (ZNS) an: Immunzellen (T-Zellen) wandern über die Blut-Hirn-Schranke – die physiologische Barriere zwischen Blutkreislauf und ZNS – ins Gehirn und schädigen dort die schützende Hülle (Myelinschicht) der Nervenfasern. Dadurch kommt es zu einem Abbau bzw. Funktionsverlust von Nervenzellen und in der Folge zu neurologischen, mit Behinderung einhergehenden Symptomen.

Eiweiss wird direkt in den Nervenzellen gebildet

Bisher werden in der Praxis unter anderem das klinische Bild sowie Magnetresonanztomographie-(MRT)-Aufnahmen vom Gehirn und Rückenmark zur Diagnose, Risiko-Stratifizierung und Evaluation des Therapie-Ansprechens genutzt. Viel wissenschaftliche Aufmerksamkeit erfährt aktuell jedoch ein bestimmtes Eiweiss mit dem Namen «Neurofilament light chain» (NFL), welches in Nervenzellen gebildet wird und bei einer Zellschädigung in die Umgebung freigesetzt wird. «Dank technischer Weiterentwicklung und neuer hochsensitiver Methoden («single molecule array» = Simoa) in spezialisierten Zentren ist es heute möglich, nicht nur die relativ hohe NFL-Konzentration im Nervenwasser, sondern auch die sehr viel geringeren NFL-Level im Blut zu bestimmen. Dies ermöglicht nun die serielle NFL-Bestimmung in individuellen Patienten nach standardmässiger Blutentnahme», so Prof. Dr. Stefan Bittner, Leiter der Sektion Neuroimmunologie an der Universitätsmedizin Mainz und Erstautor der Studie. Den Nutzen von NFL als Biomarker für diagnostische Präzision, Prognose des Krankheitsverlaufs und Therapieentscheidung haben die Wissenschaftler um Prof. Dr. Stefan Bittner, Steffen Falk und Univ.Prof. Dr. Frauke Zipp von der Klinik und Poliklinik für Neurologie der Universitätsmedizin Mainz in Zusammenarbeit mit weiteren grossen deutschen Experten-Zentren vom Kompetenznetz Multiple Sklerose in einer prospektiven Studie mit über 800 Betroffenen untersucht. Besonderheiten dieser Kohorte waren der Einschluss der Probanden direkt nach Diagnosestellung noch vor Initiierung einer spezifischen Therapie sowie die systematische Rekrutierung an verschiedenen Standpunkten in Deutschland mit standardisierten Untersuchungen, Blutabnahmen und MRT-Protokollen. In dieser Kohorte konnten die Mainzer Neurologen nun zeigen, dass Multiple-Sklerose-Patienten mit neuronaler Schädigung tatsächlich durch die neuen Diagnosekriterien früher erfasst werden.

Protein könnte bei der Therapiewahl helfen

Darüber hinaus führte die Hinzunahme von NFL zu bereits implementierten diagnostischen Parametern zu einer verbesserten diagnostischen Genauigkeit. Bei der gemeinsamen Therapieentscheidung durch Arzt und Patient waren weder den behandelnden Ärzten noch Patienten der aktuelle NFL-Wert bekannt. Nichtsdestotrotz ergaben die späteren Analysen, dass die Patienten, welche auf stärkere Therapieoptionen eskaliert worden waren, in der Tat besonders hohe NFL-Werte aufwiesen. Patienten, die sich bei der Folgeuntersuchung nach zwei Jahren in der höchsten

Ein Arzt orientiert sich kurz an MRT-Aufnahmen vom Gehirn eines Patienten. Nicht nur Aufnahmen des Gehirns, sondern auch des Rückenmarks werden standardmässig zur Diagnose von MS verwendet.

Therapiestufe befanden, zeigten bereits bei Studieneinschluss die höchsten NFL-Konzentrationen im Blut. Dies unterstreicht das Potenzial von NFL als Entscheidungshilfe bei der Therapiewahl. Zusammenfassend unterstützen diese neuen Erkenntnisse eine mögliche Hinzunahme des Biomarkers NFL zum zukünftigen Untersuchungsstandard bei Diagnosestellung und im weiteren Krankheitsverlauf.

Originalpublikation Stefan Bittner, Falk Steffen, Timo Uphaus et al., «Clinical implications of serum neurofilament in newly diagnosed MS patients: A longitudinal multicentre cohort study», EBioMedicine (2020); https://doi. org/10.1016/j.ebiom.2020.102807

Kontakt Prof. Dr. Stefan Bittner Universitätsmedizin Mainz Langenbeckstrasse 1 D-55131 Mainz +49 6131 17 2805 stefan.bittner@unimedizin-mainz.de www.unimedizin-mainz.de

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