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FORSCHUNGSWELT

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PUBLIREPORTAGE

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Wissenschaftskritische Metastudie

Gleiche Daten – variable Ergebnisse

In der Studie zur Analyse, Replikation und Vorhersage von Neuroimaging Daten (Narps) sammelten Forscher zunächst einen Hirnbild-Datensatz von 108 Teilnehmern, mit dem die Gehirnaktivität während einer Entscheidungsaufgabe mittels funktioneller Magnetresonanztomographie registriert wurde. Dieser Datensatz wurde an 70 Analyseteams aus der ganzen Welt verteilt.

Jedes Team analysierte unabhängig voneinander die gleichen Daten, wobei sie ihre jeweiligen Standard-Methoden zur Prüfung von neun vordefinierten Hypothesen einsetzen. Bei jeder dieser Hypothesen wurde gefragt, ob sich die Aktivität in einem bestimmten Teil des Gehirns in Bezug auf einen bestimmten Aspekt der Entscheidungen verändern würde.

Prognosemarkt-Analysen

Eine Gruppe international führender Ökonomen und Behavioral-Finance-Experten lieferte den ersten Anstoss für das Projekt und leitete den Prognosemarkt-Teil. Prognosemärkte sind ein innovatives Instrument, mit dem überprüft werden soll, ob Experten in der Lage sind, die Ergebnisse eines Forschungsprojektes vorherzusagen – in diesem Fall, welche der neun getesteten wissenschaftlichen Hypothesen bestätigt werden. Die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen hatten bis zu drei Monate Zeit, um die Daten zu untersuchen, danach lieferten sie ihre Endergebnisse für die neun Hypothesen mit detaillierten Informationen über die Art und Weise, wie sie die Daten analysiert hatten. Wichtigste Erkenntnis des Narps-Projektes: Die beträchtliche Varianz, was die Beantwortung der Hypothesen als zutreffend oder nicht betrifft, wenn derselbe komplexe Bildgebungs-Datensatz mit verschiedenen Analyse-Ansätzen analysiert wurde. Bei gleich fünf der Hypothesen gab es erhebliche Unterschiede in der Beantwortung. Dieser Unterschied lässt sich durch die unterschiedlichen Ansätze in der Beantwortung der Hypothesen erklären. Bei einer binären Entscheidung mit Ja oder Nein geht viel Information verloren, während

Wichtigste Erkenntnis des Narps-Projektes: Die beträchtliche Varianz, was die Beantwortung der Hypothesen als zutreffend oder nicht betrifft, wenn derselbe komplexe Bildgebungs-Datensatz mit verschiedenen Analyse-Ansätzen analysiert wurde.

bei der Meta-Analyse durch die Aggregierung von Daten mehr Information vorliegt.

Ergebnisse kritisch hinterfragen

Die Meta-Analyse der individuellen Ergebnisse bestätigte jedoch eine hohe Konvergenz zwischen den Ergebnissen der 70 Teams. Zudem waren die Gehirnaktivierungskarten (also die eigentlichen Ergebnisse, die der binären Entscheidung, ob eine Hypothese bestätigt wird, zugrunde liegen) relativ konsistent über die 70 Analysen hinweg. Was die Vorhersehbarkeit der zu erwartenden Ergebnisse angeht, zeigte sich, dass die Forscher die Wahrscheinlichkeit signifikanter Ergebnisse zu optimistisch einschätzten – und zwar selbst dann, wenn diese direkt an der Analyse beteiligt waren. Originalpublikation Tom Schonberg et al., (2020) «Variability in the analysis of a single neuroimaging dataset by many teams»; DOI: 10.1038/ s41586-020-2314-9

Kontakt Univ.-Prof. Mag. Dr. Claus Lamm Universität Wien Institut für Psychologische Grundlagenforschung und Forschungsmethoden Liebiggasse 5 A-1010 Wien +43 14277 471 30 claus.lamm@univie.ac.at www.univie.ac.at

Molekulare Kräfte

Das verblüffende Dehnverhalten der DNA

Wenn grosse Kräfte auf einen Balken einwirken, etwa im Brückenbau, dann wird sich der Balken ein bisschen verformen. Die Zusammenhänge zwischen Kräften, inneren Spannungen und Verformungen zu berechnen, gehört zu den Standardaufgaben im Bauingenieurwesen. Aber was passiert, wenn man diese Überlegungen auf winzige Objekte anwendet – etwa auf eine einzelne DNA-Doppelhelix?

Experimente mit DNA-Molekülen zeigen, dass sie völlig andere mechanische Eigenschaften haben als makroskopische Objekte – und das hat wichtige Konsequenzen für die Biologie und die Medizin. An der TU Wien gelang es nun, diese Eigenschaften genau zu erklären, durch eine Kombination von Ideen aus dem Bauingenieurwesen und der Physik.

Unerwartetes Verhalten auf Molekül-Ebene

Auf den ersten Blick könnte man die DNA-Doppelhelix für eine winzig kleine Feder halten, die man einfach dehnen und stauchen kann, wie man das auch von gewöhnlichen Sprungfedern kennt. Doch ganz so einfach ist die Sache nicht: «Wenn man ein DNA-Stück langzieht, würde man eigentlich erwarten, dass dabei die Zahl der Windungen abnimmt. Doch in bestimmten Fällen ist das Gegenteil der Fall: Wenn die Helix länger wird, dreht sie sich manchmal noch mehr ein», sagt der Bauingenieur Johannes Kalliauer vom Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen der TU Wien. «Ausserdem sind DNA-Moleküle viel dehnbarer als die Materialien, mit denen wir im Bauingenieurwesen sonst zu tun haben: Sie können unter Zugspannung um 70% länger werden.» Für Biologie und Medizin sind diese seltsamen mechanischen Eigenschaften der DNA von grosser Bedeutung: «Wenn die Erbinformation vom DNA-Molekül abgelesen wird, kann es von den Details der Geometrie abhängen, ob es zu einem Lesefehler kommt, der im schlimmsten Fall sogar Krebs auslösen kann», sagt Johannes Kalliauer. «Bisher musste man sich in der Molekularbiologie mit empirischen Methoden zufriedengeben, um den Zusammenhang zwischen Kräften und Geometrie der DNA zu erklären.» In seiner Dissertation ging Johannes Kalliauer dieser Sache auf den Grund – und zwar in Form einer eher ungewöhnlichen Fächerkombination: Seine Arbeit wurde einerseits vom Bauingenieur Prof. Christian Hellmich betreut, andererseits auch von Prof. Gerhard Kahl vom Institut für Theoretische Physik. «Wir verwendeten Methoden der Molekulardynamik, um das DNA-Molekül am Computer auf atomarer Skala nachzubilden», erklärt Kalliauer. «Man legt fest, wie die DNA-Helices gestaucht, gedehnt oder verdreht werden – und dann ermittelt man, welche Kräfte auftreten, und in welche Endposition die Atome schliesslich gelangen.» Solche Rechnungen sind sehr aufwendig und nur mithilfe grosser Supercomputer möglich – Johannes Kalliauer verwendete dafür den Vienna Scientific Cluster (VSC). So konnte man die merkwürdigen experimentellen Befunde erklären – etwa das kontraintuitive Ergebnis, dass sich die DNA in bestimmten Fällen bei Dehnung noch mehr eindreht. «Auf grosser Skala kann man sich das schwer vorstellen, aber auf Ebene der Atome ergibt das plötzlich Sinn», sagt Johannes Kalliauer.

Seltsame Zwischenwelt

Im Rahmen der atomaren Modelle der theoretischen Physik kann man interatomare Kräfte und Abstände ermitteln. Mit bestimmten Regeln, die das Team basierend auf Prinzipien aus dem Bauingenieurwesen entwickelte, kann man daraus dann die relevanten Kraftgrössen ermitteln, die man benötigt, um den DNA-Strang als Ganzes zu beschreiben – ähnlich wie man die Statik eines Balkens im Bauingenieur-

Johannes Kalliauer: eine interdisziplinäre Doktorarbeit über das mechanische Verhalten des Erbguts. Im Hintergrund sind unterschiedlich stark gestauchte DNA-Moleküle.

wesen mithilfe einiger wichtiger Querschnittseigenschaften beschreiben kann. «Wir bewegen uns hier in einer interessanten Zwischenwelt, zwischen dem Mikroskopischen und dem Makroskopischen», sagt Johannes Kalliauer. «Das Besondere an diesem Forschungsprojekt ist, dass man wirklich beide Sichtweisen benötigt und sie miteinander verbinden muss.» Diese Kombination deutlich unterschiedlicher Grössenskalen spielt am Institut für Mechanik der Werkstoffe und Strukturen immer wieder eine zentrale Rolle. Schliesslich werden die Materialeigenschaften, die wir täglich im grossen Massstab spüren, immer vom Verhalten auf der Mikroebene bestimmt. Die aktuelle Arbeit, die nun im «Journal of the Mechanics and Physics of Solids» publiziert wurde, soll einerseits zeigen, wie man das Grosse und das Kleine auf wissenschaftlich exakte Weise miteinander verbinden kann, und andererseits helfen, das Verhalten der DNA besser zu verstehen – bis hin zur Erklärung von Erbkrankheiten.

Medienmitteilung Technische Universität Wien www.tuwien.at

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