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Marek Janowski, Leitung
DIE BOTSCHAFT LAUTET TROST
VON CHRISTA SIGG Er schaut gerne ein bisschen grimmig, aber davon sollte man sich nicht irritieren lassen. Marek Janowski hat mit medialer Aufmerksamkeit einfach nichts am Hut, vor allem ist er kein DirigentenDarsteller. Dem mittlerweile 83-Jährigen aus dem Bergischen Land, südlich des Ruhrgebiets, geht es allein um die Musik. Genau das gefällt seinen Anhängern – und den Musikerinnen und Musikern, die sich auf einen perfekt vorbereiteten, hoch konzentrierten Partiturwerker verlassen können. Alte Schule eben. Statt den Verlockungen einer schnellen Karriere zu erliegen, hat er lieber Aufbauarbeit geleistet und dabei das zeitgenössische Repertoire nie aus den Augen verloren. Das tut gerade auch den Klassikern gut, die Janowski – wie nun Johannes Brahms’ Deutsches Requiem – immer wieder neu erkundet.
CS Herr Janowski, Maestro, Kapellmeister, Dirigent – was ziehen Sie vor? MJ Kapellmeister war über viele Jahrzehnte hinweg die korrekte Berufsbezeichnung für jemanden, der ein Orchester leitet. Heute klebt an diesem Wort etwas Schulmeisterliches, Handwerkliches, und das völlig zu Unrecht. Richard Strauss hat bekanntlich in Garmisch gewohnt, und im Telefonbuch stand neben seinem Namen: Kapellmeister. Sagt das nicht alles?
CS Sie gelten als sehr gründlich probender Dirigent. MJ Man sollte die Zeit zum intensiven Erarbeiten auch kleinster Details nutzen. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass man das Ergebnis der Probe dann im Konzert einfach ablaufen lässt. Vielmehr
INTERVIEW sollte ein Orchester beim Proben ein sicheres, stabiles Fundament erhalten, um dann vor Publikum frei zu agieren. Als jüngerer Dirigent fand ich das Improvisieren zum Teil ganz interessant, davon bin ich längst kein Freund mehr.
CS Oper und Orchestermusik waren Ihnen immer gleich wichtig. Nun kommt im Oratorium beides zusammen.
Aberist Johannes Brahms’ Deutsches Requiem nicht ein Sonderfall? MJ Im eigentlichen Sinne ist das auch kein Requiem. Brahms hat sich die Texte selbst aus der Bibel zusammengesucht, und die sieben einzelnen Sätze sind in zeitlich grossen Abständen entstanden. Am Ende hat er alle zu diesem Requiem gefügt, das ist eigentlich ein Widerspruch. Ich habe eine ganze Reihe an Brahms’schen Chorwerken mit Orchester dirigiert, das Schicksalslied zum Beispiel oder den Gesang der Parzen. Das Deutsche Requiem überragt all das bei Weitem und gehört zu den ganz grossen Kompositionen für Chor und Orchester – wie Beethovens Missa solemnis, das Verdi-Requiem oder Mozarts c-MollMesse. Ja, es ist ein absolutes Unikat.
CS Dieses Requiem wird fern der Liturgie verhandelt, und genauso fehlt die
Schreckensvision des Jüngsten Gerichts. Fügt es sich dadurch nicht besonders gut in unsere säkularisierte
Welt? MJ Das tut es natürlich auch, doch daran würde ich das Deutsche Requiem nicht festmachen wollen. Dieses Werk ist überzeitlich, darin liegt eine grosse Qualität. Man muss ja auch kein wirklich gläubiger Mensch sein, um den grandiosen dramatischen Katholizismus des Verdi-Requiems in sich aufzunehmen.
MAREK JANOWSKI
10 entsprechenden Botschaft eingebaut.
Ist das bei diesem Freigeist nicht kurios? MJ Wir werden es nicht mehr erfahren, diese Frage muss man sich aber auch nicht stellen. Damit will ich keineswegs sagen, man möge das Brahms-Requiem einfach nur geniessen. Das wäre Unsinn. Nein, ich meine, man sollte sich diesem Werk öffnen, und dann wird man ein tiefes musikalisches Erlebnis haben.
CS Man bringt dieses Requiem dennoch mit dem Suizidversuch Robert Schumanns zusammen, und während
Brahms es komponiert, stirbt die geliebte Mutter. Wie wichtig ist die tröstende Komponente? MJ Ganz entscheidend! Damit unterscheidet sich das Deutsche Requiem von den anderen bekannten Requiems. Und insofern ist der Konzerttitel ‹Seelentrost› absolut passend. Das ist die Botschaft, der Kern dieses Werks.
CS Die Musik geht dauernd von Moll in
Dur über. Betont man das als Dirigent bewusst? MJ Sicher nicht im Detail, wichtiger ist der Überbau. Aber man muss in diesem Stück auch starke Kontraste herausarbeiten, mit den beiden Fugensätzen richtig umgehen und wissen, wie man hier die Steigerungen aufbaut. Im 6. Satz gibt es ein c-Moll-Vivace in einem sehr schnellen Dreivierteltakt, da ist eine enorme Theatralik gefragt, die man dann den Sätzen von grosser Ruhe gegenüberstellen muss, die ja gerade für den Trost stehen. Das Stück ist in sich schon auch sehr gegensätzlich.
CS Sie sprechen gerne von Beethoven und Wagner als den entscheidenden
Dreh- und Angelpunkten, nach ihnen sei in der Oper und in der Sinfonie alles anders. Wo steht Brahms? MJ Viele sagen, Brahms sei der verlängerte Arm oder die Auslaufschiene Beethovens. Das ist so natürlich nicht richtig. Ich würde Brahms auch nicht in der Dualität von Beethoven und Wagner sehen. Das vom Kammermusikalischen her entwickelte sinfonische Denken bei Brahms hat damit so wenig zu tun wie das Liedhafte bei Robert Schumann. Es heisst ja auch, die 1. Sinfonie von Brahms hätte die 10. von
INTERVIEW Beethoven sein können. Da ist ein bisschen was dran. Aber nehmen Sie nur Brahms’ 4. Sinfonie, in deren Schlusssatz er auf sehr romantische Weise die barocke Form der Passacaglia etabliert. Das ist etwas ganz anderes, ja Ausserordentliches – genauso wie das Requiem.
CS Sagt Ihnen die Akustik im neuen alten Stadtcasino Basel zu, gerade auch für Brahms? MJ Schon vor der Renovierung war das ein wundervoller Saal – und jetzt hat er sogar noch einmal gewonnen.