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Dreimal gut - 3 Tage, 3 Täler, 3 Dreitausender
Text & Fotos: Stefan Herbke
3 TAGE, 3 TÄLER,
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3 DREITAUSENDER
-- DREIMAL GUT
DIE WILDSPITZE IST DER HÖCHSTE GIPFEL TIROLS – UND DER MITTELPUNKT EINER UNGEWÖHNLICHEN SKITOURENRUNDE ZWISCHEN ÖTZTAL, VENT UND PITZTAL. DABEI BEGEISTERN EINSAME DREITAUSENDER, LANGE ABFAHRTEN UND IMMER WIEDER UNGEWOHNTE BLICKE AUF TIROLS HÖHEPUNKT.
Am Mittelbergjoch kommen wir kurz ins Grübeln. Verführerisch zieht eine breite Spur über den imposanten Taschachferner mit seinen markanten Gletscherrampen Richtung Wildspitze. Der 3.770 Meter hohe Berg ist umgeben von den vielleicht eindrucksvollsten Gletschern Österreichs und begeistert mit einer der längsten Abfahrten der Ostalpen. Kein Wunder, dass es die Tourengeher in Scharen auf diesen lohnenden Gipfel zieht, der zudem Dank der Pitztaler Gletscherbahnen mit einem umschlagbaren Verhältnis von Aufstiegsmühen zu Abfahrtsgenuss punktet. Eine Tour, die uns noch nie enttäuscht hat und immer wieder begeistert. Also doch wieder die Wildspitze? Nein, diesmal machen wir bewusst einen Bogen um den Klassiker und queren nach einer flachen Abfahrt über die Pisten hinüber Richtung Linker Fernerkogel.
Von dieser Seite zeigt der Dreitausender zwar seine felsige Seite, doch auch dieser Berg ist ein Skiklassiker – und in einigen Jahren vielleicht der Mittelpunkt der größten Gletscher-Skischaukel der Alpen. Zumindest dann, wenn alle Pläne genehmigt werden. Noch ist das Zukunftsmusik, im Hier und Jetzt ist der Linke Fernerkogel ein überaus dankbares Skitourenziel, das vom Pitztaler Gletscherskigebiet problemlos zu erreichen ist – und dennoch von vielen links liegen gelassen wird. Zu groß ist die Anziehungskraft der Wildspitze, immerhin Österreichs zweithöchster Gipfel, zu klein der Linke Fernerkogel. „Vom Pitztal aus gehst du auf die Wildspitze – und die von Sölden kommenden Freerider zieht es eher Richtung Silbergrube“ weiß Paul Walser. Der Bergführer aus Obergurgl kennt die Klassiker und Standardrouten, doch auf dem Linken Fernerkogel war selbst er erst einmal mit Ski – vor über 20 Jahren. Dabei ist die Abfahrt über den spaltigen Hangender Ferner ein Traum – und für uns der Auftakt einer ungewöhnlichen, aber überaus spannenden Dreitagestour durch die Ötztaler Alpen.
Vom Linken Fernerkogel ins Pollestal „Big 3” heißen drei Dreitausender und Aussichtspunkte im Skigebiet von Sölden. Wir wandeln das Thema etwas ab und wollen in drei Tagen zwischen Pitz-, Ötz- und Venter Tal drei Dreitausender besteigen. Abseits der gut frequentierten Skigebiete und abseits der Modeskitouren. Denn das stellen wir bereits beim Anstieg auf den Linken Fernerkogel fest: Im direkten Umfeld der Skigebiete sind nur wenige Tourengeher unterwegs, außer das Ziel heißt Wildspitze. Nur wenige Spuren zieren daher die genussreichen Nordhänge des Linken Fernerkogels, der wie so oft mit locker leichtem Pulverschnee begeistert. Für den Übergang Richtung Pollestal gibt es aufgrund des Gletscherrückgangs eine elegante Variante: Steil hinauf zur großen Stütze der Gondelbahn Schwarze Schneid, kurze Abfahrt und Querung in die Mulde unter dem Polleskogel, von der erneut sehr steil eine Scharte östlich des Gipfels erreicht werden kann. Die Genussabfahrt durch das Pollestal nach Huben im Ötztal war ein Abfahrtsklassiker, doch heute sind nur noch wenige Leute unterwegs. Und „die nehmen lieber die Sesselbahn auf den Schwarzkogel“ erzählt Paul Walser, „da musst du nicht aufsteigen und kannst direkt von der Bergstation ins Pollestal abfahren“. Eine beliebte Variante für Freerider, während die komplette obere Hälfte des Pollestals dadurch unberührt bleibt. Auf den ersten 700 Höhenmetern dürfen wir daher als erste unsere Spur in die flachen Hänge legen – so haben wir uns das vorgestellt, auch wenn sich das Wetter nicht von seiner schönsten Seite zeigt.
Einsamer Taufkarkogel Neuschnee und Sonne – die Voraussetzungen für einen grandiosen Skitag stimmen. Doch egal, wie verlockend die Rinnen über den Rettenbachtal auch ausschauen, für uns geht es weiter zum Tiefenbachferner und nach einem kurzen Abstieg durch eine steile Rinne Richtung Mittelbergferner
– und damit vom Trubel in die Einsamkeit. Über unberührte, endlos weite und flache Hänge spuren wir Richtung Taufkarkogel. „Das kennt keiner und ist ein ziemlicher Hatsch“ sucht Paul Walser nach Gründen, warum hier niemand unterwegs ist, „das macht einfach keiner, weil es nirgends publiziert ist und weil keiner weiß, dass das gut ist.“ Dabei ist der Anstieg vom Aussichtssteg am Tiefenbachferner bestens zu überblicken. Doch der Taufkarkogel ist ein eher unbedeutender Gipfel, wenig markant und streng genommen unsichtbar inmitten der deutlich höheren Nachbarn. Außerdem schauen die flachen Hänge am Mittelbergferner skifahrerisch nicht gerade lohnend aus. Doch über die steigen wir nur auf, genießen dabei einen ungewohnten Blick auf die Wildspitze und erreichen schließlich über einen gut zu gehenden Grat den Taufkarkogel – Start für eine außergewöhnliche Abfahrt über 1.450 Höhenmeter, die über die Traumhänge des Taufkars bis ins Bergsteigerdorf Vent führt. „Du bist zwischen den Skigebieten unterwegs und doch komplett abseits“, schwärmt Paul über die auch für ihn neue Tour und gibt zu, dass auch
Einheimische ihre Klassiker haben und dabei Ziele wie den Taufkarkogel schlichtweg übersehen.
Skiabenteuer über dem Taschachferner In Vent fühlt man sich als Skitourengeher deutlich besser aufgehoben als im lauten Sölden, doch die Orte sprechen natürlich ein unterschiedliches Zielpublikum an. Vent ist ein Ort für Ruhesuchende und Familien, denen das kleine Skigebiet Stablein ausreicht, und für Skitourengeher, die von hier aus zur bekannten Venter Runde oder zur Vernagthütte aufbrechen. Richtung Mitterkarjoch und Wildspitze geht dagegen kaum
einer. Gerne hätten wir die Lifte des kleinen Skigebietes genutzt, um den Aufstieg zu verkürzen, doch die starten erst um 9:30 Uhr. Zu spät für die lange Etappe und so steigen wir ganz früh über die Pisten auf, gehen hinüber zur Breslauer Hütte und erreichen schließlich durch das Mitterkar und den kurzen Klettersteig das Mitterkarjoch. Mit Blick auf die vielen Tourengeher, die vom Pitztaler Gletscherskigebiet zur Wildspitze aufsteigen, queren wir um den Hinteren Brochkogel flach hinüber zur Petersenspitze – und genießen dort erneut die Einsamkeit und einen schönen Blick auf den höchsten Tiroler Gipfel. Neugierig und gespannt schauen wir in die steile Nordflanke, durch die unsere finale Abfahrt über Rampen neben der Taschach-Eiswand erfolgen soll. Wir könnten entlang des Grates abrutschen und weiter vorne ganz gut in die Hänge queren, doch die Verhältnisse sind gut und so wagen wir die direkte Einfahrt in die Wand. Der Schnee ist hart, entsprechend verhalten sind die ersten Schwünge, doch dann kommt der Pulverschnee. Flott ziehen wir hinunter und hinaus auf die Rampe, fahren in einem weiten Bogen um die schon vom Gipfel erkennbare Spaltenzone und können kaum glauben, wie genial das Gelände ist. Entlang der Felsen geht es weiter, bis die Hänge nach links drehen und wir mit Blick auf die Reste der Hängegletscher zum Taschachferner abfahren. Gewaltig und das passende Finale für eine abwechslungsreiche Tour, bei der wir gleich neben den Pistenarealen einsame Skitourenmöglichkeiten entdecken durften. Die liegen quasi auf dem Präsentierteller, doch irgendwie machen alle einen Bogen drum herum. Eigentlich schade, doch für uns genau richtig.
INFORMATIONEN:
ANREISE: Von Imst im Inntal ins Pitztal und durch das komplette Tal bis zu den Parkplätzen bei der Talstation der Pitztaler Gletscherbahnen (1.730 m).
BESTE ZEIT: März bis April.
CHARAKTER: Einsame Skihochtour über teils große Gletscher (Spalten), gute Kondition und komplette Gletscherausrüstung erforderlich. Abschnittsweise große Lawinengefahr, nur bei sicheren Verhältnissen machbar!
KARTEN: Alpenvereinskarte, Blätter 30/5, Ötztaler Alpen – Geigenkamm und 30/6, Ötztaler Alpen – Wildspitze (jeweils 1:25.000).
BERGFÜHRER: Paul Walser, Tel. +43 / 664 / 886 756 93, www.walserpaul.com
AUSKUNFT: Tourismusverband Pitztal, Tel. +43 / 5414 / 869 99, www.pitztal.com; Ötztal Tourismus, Tel. +43 /57200 / 200, www.oetztal.com
DIE ETAPPEN:1. Tag: Linker Fernerkogel und Pollestal
Aufstieg: 935 Hm, Abfahrt: 2.585 Hm, Zeit: 6 Std. (vom Skigebiet)
Mit der Stollenbahn (Gletscherexpress, www.pitztal. com, Tickets für Skitourengeher erhältlich) ins Skigebiet (2.840 m) – Abfahrt zum Mittelbergferner und Aufstieg zum Linken Fernerkogel (3.278 m) – Rettenbachferner – Scharte östl. vom Polleskogel – Pollestal – Sattelalm (1.505 m) – Huben im Ötztal (1.190 m) – mit dem Bus nach Sölden.
2. Tag: Vom Taufkarkogel nach Vent
Aufstieg: 475 Hm, Abfahrt: 1.780 Hm, Zeit: 3.30–4 Std. (vom Skigebiet)
Mit Liften (www.soelden.com) von Sölden (1.368 m) zur Bergstation des Mutkogel-Schlepplifts am Tiefenbachferner (3.200 m) – Abstieg durch eine steile Rinne zum und Aufstieg über den fl achen Mittelbergferner – Taufkarkogel (3.367 m) – Taufkar – Vent (1.896 m). Tipp: Wer bei der Abfahrt zu spät dran ist, der quert auf etwa 2.700 Meter Höhe nach rechts zu den Pisten des Skigebietes und fährt über diese ab nach Vent (1.896 m).
3. Tag: Über die Petersenspitze ins PitztalAufstieg: 1.685 Hm, Abfahrt: 1.840 Hm, Zeit: 7–8 Std.
Von Vent Anstieg über die Piste nach Stablein – Breslauer Hütte (2.840 m) – Mitterkar – Mitterkarjoch (3.468 m) – Petersenspitze (3.484 m) – Taschachferner – Taschachtal – Mittelberg (1.740 m).