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Vorwort
Abseits der Routine ist der Massenanfall von Verletzten oder Erkrankten (MANV) ein Ereignis, das den Rettungsdienst immer vor eine besondere Herausforderung stellt. Das liegt zum einen daran, dass der MANV selten vorkommt, und zum anderen, dass das Rettungsdienstpersonal in der nötigen taktischen Qualifikation oft unzureichend ausgebildet wird. Denn abweichend vom Einsatzgeschehen beim Individualnotfall bedarf es beim MANV neben der notfallmedizinischen Hilfe sofort der Organisation des Raumes und der Koordination von Einsatzkräften: Sie müssen geführt werden. Das zuerst eintreffende Rettungsteam sieht sich beim MANV einer vollkommen anderen Situation gegenübergestellt als beim individuellen Notfall. So weiß jedes Rettungsdienstmitglied vom Rettungshelfer über Notfallsanitäter bis zum Notarzt, was sie bei einer Patientin mit einem akuten Koronarsyndrom machen müssen. Sie arbeiten routinemäßig die Standard Operating Procedure (SOP) ab – Priorität hat die notfallmedizinische Behandlung des einzelnen Patienten. Jedoch handelt es sich bei einem MANV nicht nur um einen Verletzten/Erkrankten, sondern um eine Vielzahl – Priorität für das ersteintreffende Rettungsteam muss die Führungsorganisation haben. Ereignisse wie das Zugunglück von Bad Aibling (2016) oder der Busunfall von Wiesbaden (2019) zeigen, dass sich die Anzahl der Verletzten sehr unterscheiden kann, bei den genannten Ereignissen zwischen 23 und 100, in jedem Fall aber die ersten Ressourcen übersteigt. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die erste Besatzung am Ereignisort mit äußerster Disziplin ihre koordinierende und strukturierende Aufgabe wahrnimmt, damit möglichst vielen Verletzten in kürzester Zeit geholfen werden kann. Würde sich die Besatzung wie beim individuellen Notfall um einen Verletzten kümmern, würde sie 7
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damit unter Umständen das Leben anderer aufs Spiel setzen. Vor vielen Jahren wurde stellenweise das Eintreffen der rettungsdienstlichen Führungskräfte (Leitender Notarzt und Organisatorischer Leiter) abgewartet, um die Einsatzstelle personell und räumlich zu strukturieren. Dabei müssen in erster Linie bereits durch das ersteintreffende Rettungsdienstpersonal wichtige organisatorische Maßnahmen ergriffen werden, um den Einsatz erfolgreich zu bewältigen. Zu den einsatztaktischen Maßnahmen zählen u.a. ˘ die Erkundung der Einsatzstelle, ˘ das Erfassen der Patientenanzahl, ˘ die qualifizierte Rückmeldung an die Leitstelle, ˘ die (Vor-)Sichtung und Kennzeichnung von Verletzten, ˘ weitere eintreffende Rettungskräfte in die Lage einweisen, ˘ Unterabschnitte, wie z.B. Patientenablagen, bilden, ˘ die entsprechende Führungsstruktur aufbauen und ˘ eine entsprechende Übergabe an die nächste Führungsorganisation.
In diesem SEGmente-Band schildern die Autoren die ersten Maßnahmen bei einem MANV-Einsatz, erklären, was von den Besatzungen der verschiedenen Rettungsmittel unternommen werden muss, und zeigen, wie eine Einsatzstelle aufwächst. Sie stellen dar, welche Aufgaben konkret auf eine Besatzung zukommen und welche Einsatzabschnitte sinnvoll sind. Außerdem führen sie aus, welche Aufgaben die einzelnen Leiter von Bereitstellungsraum, Patientenablage oder Erstversorgung haben. Des Weiteren geben sie durch Checklisten eine Handlungsoption beim Massenanfall von Verletzten.