Neue Geschäftspotenziale mit Smart Services

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BERNHARD STEIMEL | INGO STEINHAUS

Praxisleitfaden Internet der Dinge

Neue Geschäftspotenziale mit Smart Services

EINE STUDIE VON

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BERNHARD STEIMEL Am Striebruch 38 40668 Meerbusch www.mind-digital.com

Autoren: Bernhard Steimel, Ingo Steinhaus Grafik: Ernst Merheim Schlussredaktion: Astrid Schäckermann

Mit freundlicher Unterstützung von

Copyright: MIND, Meerbusch 2017

Alle Rechte vorbehalten Dieses Werk ist einschließlich seiner Teile urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die über die engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes hinausgeht, ist ohne schriftliche Zustimmung von MIND unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Speicherung in elektronischen Systemen. 2

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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Inhalt Allgemeines........................................................... 6 Vorwort.................................................................................6

Smart Home & Building.................................................... 58

Change: Unternehmen an die Zukunft anpassen..........136 In acht Schritten zum Organisationswandel.................136

Über die Studie....................................................................8

Trends und Potenziale im Smart-Home-Bereich .................................................. 59

Autoren.............................................................................. 10

Neue Geschäftsmodelle im Smart-Home-Bereich ......... 60

Herausgeber ..................................................................... 11

Smart Industry & Logistics............................................... 64

Experten .....................................................................................12

Trends und Potenziale der Smart Industry ..................... 64 Neue Geschäftsmodelle in der Smart Industry .............. 65

Kernaussagen......................................................14 TREND: Aufbruch in die Smart Service Welt.........................................................20 Das Internet verändert sich und wir mit ihm.................. 21

Trends und Potenziale bei Smart Insurance ................... 68 Neue Geschäftsmodelle bei Smart Insurance ................ 69 Smart Mobility .................................................................. 71 Trends und Potenziale der Smart Mobility ..................... 71

Viele Führungskräfte fremdeln noch .............................. 21

Neue Geschäftsmodelle im Smart-Mobility-Bereich ..... 73

Smart Services verändern die Spielregeln...................... 23

Smart Retail....................................................................... 81

Kunden werden anspruchsvoller..................................... 24

Trends und Potenziale im Smart Commerce ................... 81

Do-It-Your-Self Modus senkt Markteintrittsbarrieren ... 24

Neue Geschäftsmodelle im Smart Commerce ................ 83

Ein „Weiter so“ gibt es nicht mehr................................... 25

Das 1x1 der datengetriebenen Geschäftsmodell-Muster.................................................. 86

Starten statt warten – Drei Wege führen zum Ziel............................................... 25 1. Prozessoptimierung: Die Wertschöpfungs­ perspektiveder Industrie 4.0 ....................................... 26 2. Verbesserung des Kundenerlebnisses: Die User Experience Perspektive................................. 28 3. Smart Products and Services – Neue datengetriebene Geschäftsmodelle.................. 30 Die neuen Fähigkeiten von Smart Services ..................... 35 Die Transformation betrifft das ganze Geschäftsmodell.................................................... 36

IOT-Geschäftsmodelle für industrielle Anwendungen... 91

STRATEGIE: Von der Idee zum Smart Service..........................92 Explore: Smart Services entdecken.................................. 95 Smart Services machen Kunden glücklich....................... 95 Smart Service Design als iterativen Prozess starten....... 96 Positive Kundenerlebnisse mit Lean UX gestalten.......100 Create: Smart Services entwickeln................................104

Reinfräsen statt reinschleichen: Marketing als Vorreiter in der agilen Transformation?.141 Digitale Kulturrevolution statt Feigenblätter: Ernsthaftigkeit an den Investitionen messen................143 Das mitarbeiterzentrierte Betriebssystem: Software alleine löst keine Probleme...........................145 Flippen statt wandeln – Organisationen konstruktiv irritieren.......................................................148

TECHNOLOGIE: Die richtige Architektur von Smart Services......154 Unter den Kiel schauen: Den IoT-Stack verstehen........155 Der IoT-Stack – Den Smart Service hochfahren............155 Security By Design – Nie wieder Bad Services..............162 Angriffsvektoren ermitteln und absichern....................162 Identity/Access-Management (IAM) ..............................163 Was ist Security by Design?...........................................164 Penetration Testing und Honeypots..............................165 Design for Change: Für alle Fälle gewappnet................166 Eine zukunftsfähige IoT-Plattform oder die Maximalstrafe: Das Unternehmen hängt fest.........................................167 Die vier Säulen des Design for Change.........................171 Die Grundentscheidungen ............................................175 Alte Bestände mit Retrofitting retten............................175 Verarbeitung: Embedded, Edge oder Cloud?................177

Die Transformation erfasst alle Unternehmensbereiche............................................. 38

Digital Business Engineering: Schritt für Schritt zum Smart Service.............................105

Die Transformation erfasst das ganze Unternehmen – Ein Reifegradmodell ............................. 41

Raus aus dem Büro, ab ins Innovation Lab....................110

Die Make-Or-Buy-Entscheidung.....................................179

Folge dem Weg der Daten..............................................113

Die eigenen Daten in Werte verwandeln......................180

Die Evolution vom Produkt zum Ecosystem – Der Einstieg in die Plattform-Ökonomie......................... 45

Daten und Menschen in Einklang bringen.....................116

Erfolgskriterien für IoT-Projekte....................................181

In zwei Wochen läuft’s, Agilität ist ein Mindset............119

ANHANG.............................................................184

IMPACT: Wie Smart Services Branchen verändert..............48

Scale to Business: Ein Geschäftsmodell stark machen................................121

Fallstudien............................................................................... 184

Auf der Welle des Hypes: Das IoT als lernender Markt.............................................. 49

Die relevanten Assets in das digitale Zeitalter transformieren........................122

Early Adopter in allen Branchen...................................... 50

Plattformstrategien: Was bleibt, wenn der Gewinner alles nimmt?..................................129

Wachstumspotenziale dank IoT....................................... 52 Smart Health ..................................................................... 53 Trends und Potenziale im Smart-Health-Bereich............ 54 Neue Geschäftsmodelle im Smart-Health-Bereich ........ 55

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Smart Insurance................................................................ 67

Zwei Herzen in meiner Brust – Schizophrene Strategien für die richtige Innovationskultur................139

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Optimale Rechenleistung zu den besten Kosten..........178

Abbildungen........................................................................... 185 Literaturverzeichnis.............................................................. 186 Mehr Reichweite auch für Ihre „smarten Services“?........................................................188

Agile Skalierung: In 30 Tagen von Null bis Markteintritt...............................................131 Wer neue Geschäftsmodelle will, muss am Organisationsmodell arbeiten........................135

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VORWORT

Wertschöpfung statt Business-Theater

Unternehmen als Organisationen zu bezeichnen, klingt an sich schon falsch, da es so statisch anmutet. Das ist möglicherweise auch das große Missverständnis, was in den letzten Dekaden vielen Unternehmungen zugrunde liegt. Dabei sind Unternehmen vielmehr Organismen, die jeden Tag neue Zellen produzieren und alte abstoßen. Dass es in der Industriegeschichte seit Taylor möglich war, recht konstante Gebilde zu entwickeln – mit Aufbau und Ablauforganisationen –, ist sogar möglicherweise eine Besonderheit in der Entwicklungsgeschichte der Wirtschaft. Vor 1850 bestand die Wirtschaft aus hochflexiblen Playern, die dezentral Kleinserien von Produkten entwickelten und produzierten. Mit der Indus­ trialisierung kam ein Zeitalter der großen und stabilen Unternehmensorganisationen. Aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass wir wieder auf kleinere Einheiten zurückgreifen werden müssen. Warum? Weil die Komplexität der Umwelt dies erfordert. Große Unternehmungen müssen sich gefühlt in kleine aufspalten, Neugründungen werden vielleicht nie wieder Größen von einer halben Millionen Mitarbeiter erreichen. Wer diesen Praxisleitfaden intensiv studiert, insbesondere das Kapitel STRATEGIE , muss zu diesem Schluss kommen. Denn das entscheidende Element für die Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen und insbesondere Smart Services ist die Form und Art der Zusammenarbeit von Menschen. Und wer in großen Unternehmen arbeitet, weiß dabei genau, dass nicht die Erfordernisse des Marktes, sondern im schlimmsten Falle die Bedürfnisse des Top-Managements befriedigt werden müssen. Hier wird, wie es Lars Vollmer, der Begründer von intrinsify.me, dem größten offenen Thinktank für die neue Arbeitswelt, so schön nennt, „Business-Theater“ gespielt. Kein Wunder, dass hier wenig voran geht.

die echte neue Wertschöpfung in der Wirtschaft. Interessanterweise haben dies die „Großen“ auch erkannt und schauen neidvoll auf die schnellen Boote um sich herum, die sie versuchen, über Inkubatoren in ihre Häfen zu bringen. Aber das nützt nichts: Unternehmen müssen lernen, Teams zusammenzustellen, die keine einstudierten Managementrollen spielen und die den Atem des Kunden spüren. Wichtig sind dabei die folgenden elementaren Regeln: » Zeit nehmen und nachdenken » Den agilen Rahmen schaffen » Abteilungen aufgeben oder verschmelzen » Kompetenzen physikalisch zusammenbringen » Hierarchiefreie Kommunikation durch gemeinsame Verantwortung (Shared Ownership) schaffen Und damit kein Missverständnis entsteht: eigentlich tickten Gruppen von Menschen, die gemeinsam etwas bewegen wollen, schon immer so. Nur das Unternehmertum ist durch viele Managementlehren verschüttet worden. Es wird Zeit, wieder Wert zu schöpfen statt Theater zu spielen.

Christian Thunig Stellv. Chefredakteur absatzwirtschaft – Zeitschrift für Marketing

Die kleinen Startups dagegen entdecken wahre Bedürfnisse und konzen­ trieren sich auf eine kundenzentrierte Lösung. Hier entsteht gefühlt derzeit

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ÜBER DIE STUDIE

ÜBER DIE STUDIE

Was war der Auslöser? Im Dezember 2013 besuchte ich die LeWeb in Paris. Auf dem alljährlichen Tech-Meeting wurde die Losung für das nächste Jahr von der Internet Startup Gemeinde ausgerufen. Ich hatte gerade die Arbeiten am Praxisleitfaden Digital Transformation47 abgeschlossen und wollte erfahren, welche neuen Angriffsziele von den Internet-Kriegern ausgerufen werden. Für Tech-Investoren wie Fred Wilson war die Share Economy mit UBER und AirBnB längst kalter Kaffee. Für ihn war klar, die Entdeckungsreise geht weiter in ferne, neue Galaxien im Internet der Dinge. Den Hauptimpuls sah er von uns Menschen ausgehen, die mit dem Smartphone bewaffnet ihre Gesundheitsdaten selbst tracken und mit Unterstützung von smarten ­Services zu ihren eigenen Ärzten und Gesundheitsberatern werden wollen. Damals spürte ich, dass sich etwas Grundlegendes verändert, nämlich dass das Silicon Valley den Aufbruch in das Hardware Business probte. Eine neue Avantgarde von Hardware-Tüftlern machte sich auf den Weg, um aus dummen Produkten schlaue Smarte Services zu machen. Als dann Michael Porter 2014 in seinem Artikel „How Smart, Connected Products Are Transforming Competition“ beschrieb, wie Tech-Unternehmen die Kundenerwartungen grundlegend verändern, war klar, dass diese Veränderungen alle Unternehmen angehen, egal welcher Branche. Die vier Apokalyptischen Reiter

Wie sind wir vorgegangen? Während wir uns beim Praxisleitfaden Digital Transformation damit beschäftigt haben, wie Unternehmen neue digitale Kundenerlebnisse schaffen können, geht es nun um Produkt und Geschäftsmodell Innovation und die Chancen datengetriebener Geschäftsmodelle. Im Rahmen einer breit angelegten Metastudie wurden daher mehr als 200 empirische Untersuchungen und internationale Studien ausgewertet, die sich mit dem Internet der Dinge auseinandersetzen. Des Weiteren wurden über 250 Best Practice-Cases zusammengetragen und Pioniere interviewt. Der vorliegende Praxisleitfaden enthält mehr als 50 Fallbeispiele. Die Studienautoren führten darüber hinaus Gespräche mit über 40 Fach­ experten, darunter Vordenker wie XXX, um Innovationsansätze zu beurteilen. Die Arbeiten an der vorliegenden Studie starteten im Sommer 2015 und mussten mehrfach unterbrochen werden, weil immer wieder Beratungsprojekte Vorfahrt hatten. Dadurch konnten viele Erkenntnisse auch am lebenden Objekt gewonnen und erprobt werden.

Was war uns wichtig und was NICHT?

Was waren die zentralen Fragen? Im „Praxisleitfaden Internet der Dinge“ wollen wir der Frage nachgehen, wie Smart Services helfen, neue Wertschöpfungspotenziale zu erschließen und Unternehmen zukunftssicherer zu machen. Dazu nehmen wir sechs Branchen aus Handel, Dienstleistung und Industrie in den Fokus und beantworten wichtige Zukunftsfragen für das Management: Was steht hinter dem Trend und für welche Branchen ist er wichtig? Wie verändern Smart Services das Kundenverhalten? Wie lassen sich Smart Services entdecken, entwickeln und erfolgreich vermarkten? Welche Organisationsform eignet sich für die digitale Transformation? Welche digitalen Fähigkeiten müssen erworben werden? 47 Mind, Praxisleitfaden Digitale Transformation, 2013

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Damit richtet sich die Studie vor allem an Unternehmens-Entscheider, die ihre Geschäftsmodelle langfristig und erfolgreich an die neue Dynamik anpassen wollen. Der Praxisleitfaden bietet praktische Hilfe, um den Fahrplan für die Produkt- und Service-Innovation zu entwickeln und zeigt mit umfangreichen Praxisbeispielen und Experten-Tipps auf, wie man den Weg zum Smart Service erfolgreich geht.

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Die neue Ära des Internets macht das uns bisher bekannte Internet unsichtbar. Anstatt noch einen weiteren Bildschirm in unser Leben zu integrieren, den wir bedienen müssen, treten dienstbare Geister auf. Computertechnologie erscheint in Geräten, Fahrzeugen und deren Alltagsumgebung. Und smarte Produkte erhalten so etwas wie magische Kräfte. Das unsichtbare Internet der Dinge versteckt sich hinter Knöpfen und Schaltern und ist in intelligente Produkte eingebaut. Durch die Vernetzung und Kommunikation von allem mit jedem verschmelzen die digitale und die physische Welt und werden zu einer neuartigen Smart-Service-Welt. Das 1. Kapitel TREND gibt einen Überblick über die Entwicklungen und die Möglichkeiten für Unternehmen, die in der Smart Service Welt stecken. Wir befinden uns in einem lernenden Markt und viele Anwendungsfelder werden noch von den Innovatoren und Early Adoptern dominiert. Im 2. Kapitel IMPACT gehen wir der Frage nach, welche Smart Products und Services es bereits gibt und betrachten die Entwicklung in sechs Branchenfeldern mit dem höchsten wirtschaftlichen Potenzial. Die Gestaltung eines Smart Service geschieht agil und iterativ. Dafür hat sich eine Lean-Enterprise-Methode durchgesetzt, die in vier Phasen aufgeteilt werden kann: Explore, Create, Scale und Change. In Kapitel 3 STRATEGIE werden Vorgehensmodelle entlang des iterativen Prozesses vorgestellt. Das Internet der Dinge ist in jeder Branche und in jedem Anwendungsgebiet ein wenig anders. Trotzdem sind allgemeine Aussagen möglich. Entlang des 5-Schichten-IoT-Modells diskutieren wir im abschließenden 4. Kapitel TECHNOLOGIE das notwendige technologische Fundament für einen erfolgreichen Smart Service, stellen die wichtigsten Architekturentscheidungen vor und arbeiten die Erfolgsfaktoren heraus. Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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AUTOREN

HERAUSGEBER Bernhard Steimel

MIND DIGITAL, Inhaber Bernhard Steimel ist Inhaber der MIND Digital mit Sitz in Meerbusch bei Düsseldorf und begleitet Führungsteams, die Chancen in den digitalen Zukunftsmärkten frühzeitig zu erkennen und die digitale Transformation erfolgreich zu meistern. Er verfügt über langjährige Erfahrung in der Strategie- und Geschäftsentwicklung und hat in den vergangenen Jahren den technologischen Wandel in Studien-, Innovations- und Marktentwicklungsprojekten begleitet. Durch zahlreiche Publikationen und Vorträge gehört Herr Steimel zu den Vordenkern der digitalen Transformation und heranbrechenden Service Ökonomie. Bernhard Steimel ist unter anderem Herausgeber von smarter-service.com, Autor des Praxisleitfadens Digital Transformation sowie zahlreicher Trendstudien zu den Zukunftsmärkten der digitalen Wirtschaft. Herr Steimel erwarb das Diplom der Wirtschaftswissenschaften an der Bergischen Universität GH Wuppertal und den Bachelor‘s Degree in Economic Sciences an der Université de Paris, Sorbonne.

Ingo Steinhaus

Freier IKT-Journalist Ingo Steinhaus arbeitet seit mehr als 20 Jahren als selbständiger Autor für Print- und Onlinemedien. Zu seinen Themen gehören neben der Informationstechnologie im Allgemeinen und der Business-IT im Besonderen auch Organisationssoziologie, Management, Entrepreneurship, Innovation, digitale Transformation, Internet of Things, Industrie 4.0 und Künstliche Intelligenz. Er veröffentlicht regelmäßig Artikel auf dem Informationsportal it-zoom.de sowie in verschiedenen Magazinen wie Business Impact, Mobile Business und CEDO – Chefsache digitale Transformation. Daneben hat er Erfahrungen in der Unternehmenskommunikation und dem Content Marketing sowie in der Produktion und Redaktion von IT-Anwendermagazinen.

Unterstützung erhielten die Autoren von einem dreiköpfigen Redaktionsteam: Michael Ahmadi steuerte per Desk Research Zahlen und Fakten bei, Manja Baudis bearbeitete ­Interviews und war mitverantworlich für die ­Smarter-Service-Blogredaktion und Astrid Schäckermann bereitete ebenfalls Interviews auf und übernahm die Schluss­ redaktion des P ­ raxisleitfadens.

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MIND ist das Berater-Netzwerk mit Business Development-Kompetenz für digitale Zukunftsmärkte. Gemeinsam mit unseren Kunden entwickeln wir nachhaltige Wachstumsstrategien und unterstützen bei der erfolgreichen Umsetzung. Wir begleiten innovationsinteressierte Unternehmen, dabei neue Geschäftschancen in der heranbrechenden Service-Ökonomie zu entdecken, zu bewerten und zu erschließen. Ein Netzwerk an Top-Experten und erfahrenen Beratern liefert Ihnen stets die Kompetenzen, die Sie gerade für die digitale Transformation brauchen. Weitere Informationen unter www.mind-digital.com

aus dem Fachverlag der Düsseldorfer Verlagsgruppe Handelsblatt ist mit einer verkauften Auflage von rund 23.500 Exem­ plaren (IVW) Deutschlands führende Monatszeitschrift für Marketing. Recherchiert und geschrieben für Führungskräfte in den Unternehmen, deckt sie alle Praxisfragen des modernen Marketings und Vertriebs ab und informiert über Trends, Best Practices, neue Methoden sowie die Entwicklung auf Seiten der Medien und Marketing-Dienstleister. Weitere Informationen unter www.absatzwirtschaft.de

ist der Trend- und Innovationsblog für Digitales Marketing, Sales und Service Professionals, die Inspiration, Impulse und Ideen für die Gestaltung neuer digitaler Services suchen. Wir berichten über Service-Innovationen, die neue Geschäftschancen in der heranbrechenden Service-Ökonomie erschließen, nachhaltig das Kundenerlebnis verbessern helfen und den 10 Geboten der Einfachheit folgen. Wir wollen bei Entscheidern aus Industrie, Handel und Dienstleistung ein Verständnis dafür schaffen, Service als Produktbestandteil und Erlösquelle für zukünftige Kaufakte zu sehen und Service-Innovationen fördern, die den Verbraucher und seine Service-Erlebnisse in den Mittelpunkt stellen. Wir wollen Aufmerksamkeit für gut gemachte Services schaffen. Um die schlechten Beispiele kümmert sich die Presse. Wir wollen so den intelligenten Einsatz von Internet-Technologien unterstützen, der das Management der Kundeninteraktion über alle Kanäle erlaubt. Das umfasst personalisierte Services ebenso wie Selfservice-Konzepte. Mehr Infos auf www.smarter-service.com

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EXPERTEN

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EXPERTEN

Robert Andres CSO Eurotech Group

Stephan Grabmeier Chief Innovation Evangelist haufe Umantis

Jürgen Meffert Leiter Global Digital Practice Mc Kinsey & Company

Eric Schneider Head of Solution Team & Business Development exceet Secure Solutions

Henning Bauwe Partner Innovation & Strategic Growth Initiatives, KPMG

Achim Himmelreich Digital Transformation Consumer Products & Retail cap gemini

Jens-Uwe Meyer Geschäftsführer Innolytics

Christian Schuldt Referent Zukunftsinstitut

Dr. Dido Blankenburg Senior VP Mobilfunk Corporate Customers Telekom Deutschland

Philipp Jussen Dienstleistungsmanagement FIR e. V. an der RWTH Aachen

Michael Mücke Geschäftsführer Mücke, Sturm

Sebastian Steinbuss Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fraunhofer IML

Christian Beinke Gründer The Dark Horse

Michael Kemper Digital Architekt Adesso

Andre Panne Geschäftsführer Tradum

Christian Strobel CEO hackerbay

Michael Buck CEO convidera

Giordano Koch Managing Director Hyve

Christian Pereira Geschäftsführer Q-Loud

Pauline Tonhauser Gründer Design Thinking Coach

Dietmar Dahmen Chief Innovation Officer ecx.io An IBM company

Bernhard Kölmel stellv. Institutsleiter IOS³ – INSTITUT FÜR SMART SYSTEMS UND SERVICES an der Uni Pforzheim

Niels Pfläging Gründer BetaCodex Network

Carlo Velten CEO Crisp

Winfried Felser Geschäftsführer competence site

Knud Lüth Managing Director IOT Analytics

Conrad Rentsch Senior Managing Consultant IBM Interactive Experience

Sascha Wolter IoT-Experte Connected Home

Roman Friedrich Managing Director AlixPartners

Wolfgang Maaß Wissenschaftlicher Direktor Forschungsgruppe Smart Service Engineering DFKI

Lars Rückemann Gebietsleiter codecentric

Babak Zeini Geschäftsführer Futerest

Florian Gäng Head of Experience Strategy SapientRazorfish

Alexander Mädche Direktor KSRI – Karlsruhe Service Research Institute

Rolf Scheuch CTO Opitz Consulting

Marco Zingler Geschäftsführer denkwerk

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KERNAUSSAGEN

KERNAUSSAGEN

Tech-Unternehmen verändern Kundenerwartungen radikal Das Internet, kostengünstige Sensoren und netzwerkfähige Kleincomputer erlauben Unternehmen die Auswertung von Daten, die sie bisher nicht einmal ansatzweise nutzen konnten. Oft haben sie noch keine schlagkräftige Strategie für diese Möglichkeiten und sind gefährdet: Sie verlieren den Anschluss an die vernetzte Service-Ökonomie. Die Unternehmen aus dem Silicon Valley dominieren bislang die Digitalisierung. Sie schaffen gut durchdachte, intelligent vernetzte Produkte und Services, die die Kundenerwartungen radikal verändern. Unternehmen müssen über neue Geschäftsmodelle nachdenken und die veränderten Kundenerwartungen zum Ausgangspunkt ihrer Innovationsstrategie machen. Smarte Produkte und Services nutzen datengetriebene Geschäftsmodelle und sind der Kern der Entwicklung von Strategien für das Internet der Dinge. Sie beruhen auf innovativen smarten Produkten und Services. Es gibt drei Möglichkeiten, neue, aktive IoT-Geschäftsmodelle zu entwickeln: 1. bestehende Produkte mit IoT-Zusatzservices versehen, 2. neue Produkte mit IoT-Funktionen entwickeln und 3. produktlose Smart Services gestalten. Wenn smarte Services und Produkte Bestandteile eines Ecosystems werden, können sie im Gleichklang mit anderen Produkten und Services auch von anderen Unternehmen weiterentwickelt werden. Unternehmen können sich dadurch von einem Verkäufer einzelner Produkte zu einem Anbieter produktbasierter Services wandeln. Das IoT ist ein lernender Markt: Die Vorreiter unter den Anbietern und Herstellern sammeln jetzt wichtige Erkenntnisse über smarte Produkte und Services, die ihnen Vorteile im Markt verschaffen. Mit dem IoT beginnt die Smartification, der Aufbau von intelligenten, vernetzten Produkten und Services. Innovationsfreudige Unternehmen erkennen frühzeitig die Bedeutung für ihre Geschäftsmodelle und werden zu „Early Adoptern“. Sie wissen: Die Digitalisierung senkt Markteintrittsbarrieren und erlaubt es branchenfremden Firmen, ihre Geschäftsmodelle anzugreifen.

Branchen unter Veränderungsdruck: Spielregeln verändern sich durch Smart Services Das Potenzial des IoT ist enorm: Experten sprechen von bis zu 11 Billionen Dollar Umsatz 2025. Dabei werden die einzelnen Branchen unterschiedlich 14

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stark wachsen. Einen sehr starken Einfluss wird das IoT im Bereich Healthcare haben. Durch die Aufzeichnung von Körperfunktionen und anderen Daten mit kleinen IoT-Geräten gibt es neue Möglichkeiten in der Diagnostik und der Prävention. Wearables und smarte Kleidung gliedern sich nahtlos in den Alltag des Nutzers ein und bewirken eine engere Verzahnung von Unternehmen in Medizin, Sport, Lifestyle und Technologie. Smarte Produkte helfen Anwendern dabei, bestimmte gesundheitliche Ziele und Verhaltensweisen zu erreichen. Das Smart Home ist eine der wichtigsten IoT-Domänen. Das Potenzial ist groß, auch durch das Smart Metering zur Optimierung des Verbrauchs von Strom, Wasser oder Gas. Das hundertprozentig smarte Haus ist ein Neubau, doch es gibt auch gute Marktchancen für smarte Produkte und Services, mit denen Immobilien kostengünstig nachgerüstet werden können. Große Marktchancen gibt es bei der Energiesteuerung, vor allem im gewerblichen Bereich. Weitere Geschäftsmodelle setzen auf die vorausschauende Wartung für Großbauten, etwa bei Rolltreppen, Aufzügen, Fensterputzsystemen, Heizungs- und Belüftungsanlagen. Eine Standardisierungsinitiative wie QIVICON bemüht sich, das Smart Home hersteller- und geräteübergreifend auf einer einzigen Plattform zu ermöglichen. Doch auch branchenfremde Unternehmen steigen ein, etwa Apple mit seinem HomeKit. Für Smart Industry und Logistics wird das IoT vor allem einen bedeutenden Einfluss auf die operative Effizienz haben. McKinsey glaubt, dass die Produktivität in der herstellenden Industrie durch das IoT um 2,5 – 5% steigen kann. Auch die Zusammenarbeit zwischen Arbeitern kann im IoT verbessert werden. Eine disruptive Innovation ist der 3D-Druck. Er wird in Zukunft verstärkt die „Mass Customization“ ermöglichen. In intelligenten Industrie-Infrastrukturen („Smart Factories“) treten intelligente Maschinen in Verbindung und tauschen mit ebenso intelligenten Objekten Informationen über Aufträge und Zustände aus, um gemeinsam Abläufe zu koordinieren. Ziel dieses Netzwerks aus Maschinen und Objekten ist das Erreichen eines Gesamtoptimums bei Durchlaufzeit, Qualität und Auslastung. Das macht den menschlichen Arbeiter aber nicht überflüssig, die smarten Geräte unterstützen den Menschen mit Robotertechnik und intelligenten Assistenzsystemen. Versicherungen haben durch das IoT erstmals die Möglichkeit, dem Versicherungskunden mit Technik „über die Schulter zu schauen“. Gleichzeitig haben Versicherungskunden heutzutage veränderte Bedürfnisse und Verhaltensweisen. Versicherungsunternehmen benötigen eine ganzheitliche Strategie, um auf diese Veränderungen zu reagieren. Sie müssen die starke Orientierung an Versicherungssparten ablösen durch eine kundenzentrierte Sicht auf ihre Produkte. Die Versicherungen sind bereits ins Fadenkreuz von Startups Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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KERNAUSSAGEN

KERNAUSSAGEN

geraten, die neue Produkte anbieten: beispielsweise nutzungsbasierte Tarife, On-Demand-Versicherungen sowie Kurzzeittarife. Möglich sind damit spontane Reiseversicherungen oder situationsabhängige Unfallversicherungen für bestimmte Aktivitäten. Das Versicherungsunternehmen der Zukunft wird jedem seiner Kunden kontextsensitiv und situationsabhängig personalisierte Angebote machen. Smart Mobility bedeutet: Verkehrsmittel, Infrastruktur und Services sind intelligent vernetzt. Jeder kann das Angebot wunschgemäß nutzen und jederzeit sowie überall einen Service buchen, zahlen und Verkehrsinformationen in Echtzeit abzurufen. Zudem wird das Prinzip „Nutzen statt besitzen“ immer wichtiger: Viele Leute wollen ein Auto fahren, es aber nicht besitzen. Die Automobilindustrie wird durch die Entwicklung des IoT bedroht. Die Hersteller müssen durch neue Geschäftsmodelle gegensteuern. Entscheidende Wettbewerbsvorteile entstehen durch neuartige Bedienoberflächen, die Auswertung von Echtzeit-Fahrzeugdaten sowie von Geoinformationen wie etwa Wetter-und Verkehrsdaten. Hinzu kommt der Aufstieg der Sharing-Mobility über Plattformen, bei denen die Automarke weit in den Hintergrund rückt. Car Sharing oder Mitfahr-Plattformen sind entscheidende Modelle. Im Handel hat sich die “Customer Journey” dramatisch verändert. Omni-Channel ist jetzt entscheidend: Die Kanäle sind nutzenoptimiert verknüpft und der Kunde tritt in den Mittelpunkt. Smart Commerce spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft des stationären Einzelhandels. IoT-Anwendungen und spezielle Apps für Smartphones bieten Raum für neue Absatzkonzepte und Vertriebswege. Ein wichtiger Faktor für den Kunden ist die Effizienz des Einkaufs, also die Geschwindigkeit und Unkompliziertheit der Customer Journey. IoT-Geräte und -Services bieten jetzt zahlreiche Möglichkeiten: Smarte Buttons zum Bestellen, digitale Umkleidekabinen mit Warenkorbfunktion, Auslieferung durch Roboter und vieles mehr.

Smart Service mit Lean Enterprise-Prinzipien Design Thinking, Lean UX und Agile entwickeln Die Gestaltung eines Smart Service geschieht agil und iterativ. Dafür hat sich ein Vorgehen durchgesetzt, das in vier Phasen aufgeteilt werden kann: Explore, Create, Scale und Change. „Explore“ bedeutet, zunächst die Idee des Geschäftsszenarios zu entwickeln. Als Methode dafür kann „Design Thinking“ genutzt werden. Dabei arbeitet das Team auf agile Weise und kontrolliert sich anhand der Ergebnisse immer wieder selbst. Es bearbeitet ein Problem an einem festen Ort mit 16

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Werkstattcharakter und nutzt dabei sechs Prozessschritte: Verstehen, Beobachten, Synthese, Idee, Prototyp und Test. Design Thinking hat die besten Ergebnisse, wenn ein Entwicklungsteam interdisziplinär zusammengesetzt ist, hierarchiefrei kommunizieren darf, spielerisch und iterativ arbeiten kann und ausreichend Zeit zur Verfügung hat. Werkzeuge wie Bedürfnis-Persona, Empathy Map und Idea Map helfen beim Design eines Smart Service. Für die Phase „Create“ gibt es unterschiedliche Ansätze, zum Beispiel Digital Business Engineering. Der modell-getriebene und methodenbasierte Transformationsansatz unterstützt ein Unternehmen auf allen Ebenen: Strategisch bei der Neuausrichtung hinsichtlich Digitalisierung, bei der Adaption ihrer Prozesse und natürlich bei der technischen Umsetzung. Smart Services werden damit schrittweise entwickelt: Zunächst werden die Kundenprozesse analysiert, anschließend ein Produkt-Ecosystem gestaltet und zuletzt ein Geschäftsmodell gestaltet. Daten zu teilen schafft mehr Wert, als sie zu behalten – eine der grundlegenden Erkenntnisse für das Smart Service Design. Sobald ein Unternehmen erkennt, dass die Verwertung von Daten einen sehr großen Nutzen hat, rücken Themen wie Sensibilität von Daten oder Gefahr des Datenverlustes in den Hintergrund. Zudem verändert bereits die Sichtbarkeit von Daten den Umgang mit dem Produkt. Nutzungsdaten geben dem Unternehmen ein objektives Feedback, das wiederum in die Weiterentwicklung einfließt. Ein datenbasierter Smart Service ist in ein komplexes sozio-technisches System aus Akteuren und Technologien eingebettet. Agile Vorgehensweisen passen sich daran an und beziehen kontinuierlich den Kunden ein, um einen Mehrwert zu erzeugen. Dafür muss ein Unternehmen ermitteln, wie Anwender die Software nutzen und daraus kontinuierlich lernen. Gut dafür geeignet sind gemischte agile DevOps-Teams aus Entwicklern und Mitarbeitern aus dem IT-Betrieb, die dadurch eine interdisziplinäre Perspektive auf die Anwender erreichen. In der Phase „Scale“ wird ein agiles und digitales Geschäftsmodell entwickelt. Dafür muss das Unternehmen die relevanten Assets identifizieren und sie in das digitale Zeitalter überführen. Ein wichtiges Erfolgskriterium sind übergeordnete, interdisziplinär zusammengesetzte Entwicklungsteams, die eine hierarchiefreie Kommunikation pflegen. Das Stichwort hier ist „Shared Ownership“ des Projektes. Doch dies funktioniert nur, wenn die Leitung eines Digitalisierungsteams auch ein Durchgriffsrecht hat. Die Plattformstrategien der großen Internetanbieter bedrohen Anbieter und Hersteller, zum Beispiel im Smart-Home-Sektor. Schnelle Reaktionen sind wichtig, wenn die großen US-Digitalunternehmen angreifen. Unternehmen Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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KERNAUSSAGEN

KERNAUSSAGEN

ohne eigene Entwicklerkapazitäten können On-Demand-Entwicklungsplattformen wie Hackerbay nutzen. Wer eine Idee für eine App hat, kann dort ein Festpreisangebot einholen. Sie wird dann von oft weltweit agierenden Free­ lancern entwickelt. Entscheidend ist hier extreme Agilität. Prototypen entstehen in wenigen Tagen, marktfähige Produkte in einigen Wochen. Innovative Geschäftsmodelle entstehen nicht voraussetzungslos, sie erfordern auf der einen Seite innovativ denkende Mitarbeiter und auf der anderen Seite eine agile Organisation, die diese Mitarbeiter bei der Gestaltung von smarten Produkten und Services unterstützt. „Change“ ist die Konsequenz aus der Entwicklung von agilen Geschäftsmodellen. Dahinter verbirgt sich eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens, das in einem von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Zweideutigkeit geprägten Marktumfeld langfristig bestehen will. Das bekannteste Modell dafür stammt von John P. Kotter. Es bietet einen ganzheitlichen Ansatz für tiefgreifenden und nachhaltigen Wandel. Um im digitalen Markt bestehen zu können, benötigen Unternehmen so etwas wie „organisatorische Schizophrenie“. Sie benötigen sowohl die herkömmliche Optimierung bestehender Prozesse als auch eine Kultur der radikalen Innovation, die disruptive Geschäftsmodelle entwickelt. Inkubator-Modelle haben eine große Chance, die notwendige Veränderungsgeschwindigkeit zu erreichen. Einzelne Bereiche wie beispielsweise das Marketing werden dabei zum Vorreiter und Brutkasten für die digitale Transformation. Dafür müssen die Unternehmen experimentierfreudige Mitarbeiter identifizieren, die sehr intensiv auf digitale Prozesse vorbereitet werden. Die Mitarbeiter haben nun den Freiraum, sich zu entwickeln, etwas Neues zu lernen und digitales Know-how zu bekommen – das sie dann ins Unternehmen tragen. Nur wenn die richtigen Menschen an den richtigen Dingen arbeiten, sind Organisationen nachhaltig und wirkungsvoll. Agile Netzwerkorganisationen sind geprägt vom Vertrauen des Managements in die Fähigkeiten der Teams und Mitarbeiter, die Anforderungen des Marktes zu erkennen und eigenverantwortlich umzusetzen. Der Mitarbeiter in diesem System zeichnet sich durch eigenständiges, unternehmerisches Denken aus und ist in der Lage, komplexe Sachverhalte zu erschließen und in für das Unternehmen nutzbare Konzepte und Business-Ansätze zu formen. Die ultimative Herausforderung der Zeit ist es, weniger Energie in die formelle Struktur eines Unternehmens zu stecken und mehr in die Wertschöpfungsstruktur. Unternehmen müssen sich radikal dezentralisieren, wenn sie die Wertschöpfung erhöhen wollen und komplexitäts-robuster werden möchten. 18

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Unter den Kiel schauen und die richtige Architektur wählen Wer Smart Services entwickeln und anbieten will, braucht eine leistungsfähige technologische Basis. Dieser IoT-Stack muss eine End-To-End-Lösung sein, die allen Anforderungen gerecht wird. Mit der Wahl des richtigen IoT-Stacks lassen sich die Kosten für eine IoT-Lösung optimieren, ohne Leistungsverluste hinzunehmen. Entlang der Abschnitte Datenerfassung, Datenübertragung, Datenspeicherung und Datenverarbeitung gibt es jeweils spezifische Infrastrukturelemente: Die Geräteschicht ganz unten, anschließend die Kommunikationsschicht, darüber die Cloudservices und zum Schluss die Anwendungen. Beim Aufbau dieses IoT-Stacks müssen Unternehmen darauf achten, keine Investitionsruine zu erzeugen. „Design for Change“ ist eine wichtige Anforderung an den Stack, denn IoT-Projekte finden in einem lernenden Markt statt. Heute ist noch unbekannt, welche Geschäftsmodelle morgen aktuell sind. Aus diesem Grund muss ein IoT-Stack möglichst zukunftssicher eingerichtet werden, sodass ihn auch bisher noch nicht geplante Anwendungen nutzen können und er den Weg in die Sackgasse vermeidet. IoT-Security ist ein übergreifendes Thema, das alle Elemente des IoT-Stacks umfasst. Sicherheit ist kein Anhängsel, sondern muss in der Tiefe verwirklicht werden. Unternehmen sollten bei der Gestaltung von Hardware und Software darauf achten, das Prinzip „Security by Design“ in jeder Phase der Entwicklung zu berücksichtigen und Sicherheit in alle Elemente von Hardware und Software zu integrieren. Zudem muss Sicherheit bei allen beteiligten Partnern technisch und organisatorisch verankert werden. Starten statt warten: Jedes Unternehmen sollte die Chance des IoT zu innovativen Neuentwicklungen ergreifen. Die Erfolgskriterien dafür sind bekannt, in erster Linie Agilität. Unternehmen sollten Projekte nicht durchplanen, sondern iterativ und in kleinen Schritten verwirklichen. Wichtig sind zudem die Architektur des IoT-Stacks und die Anwendungen, die auf dem Stack arbeiten. Darüber hinaus ist es wichtig, das Know-how der Mitarbeiter zu verbessern und zusätzliche Fachkräfte einzustellen. Außerdem sollten Unternehmen ihre Organisationsstruktur aktualisieren. Sie muss dem IoT angepasst werden, denn sie sind nun Serviceprovider mit neuen Geschäftsmodellen. Nur wenn diese Aspekte berücksichtigt werden, kann ein IoT-Projekt erfolgreich sein.

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TREND

TREND Mehr als 20 Jahre nach der Entstehung des World Wide Web treten wir nun in eine neue Ära der Internet-Nutzung ein, in das Internet der Dinge. Dort werden alle Dinge, die bisher von ihren menschlichen Benutzern gesteuert worden sind, mithilfe von Computern und Netzverbindungen intelligenter. Durch die Vernetzung wachsen sie über ihren bisherigen Gebrauchswert hinaus. Durch die Vernetzung und Kommunikation von allem mit jedem verschmelzen die digitale und die physische Welt und werden zu einer neuartigen Smart-Service-Welt. Dieses Kapitel gibt einen Überblick über die Entwicklungen und die Möglichkeiten für Unternehmen, in die Welt der Smart Services aufzubrechen.

TREND: Aufbruch in die Smart Service Welt

Das Internet verändert sich und wir mit ihm Diese Entwicklung spielt sich nicht nur im privaten Alltag ab, sie betrifft auch Unternehmen. Kostengünstige Sensoren und netzwerkfähige Kleincomputer erlauben den Unternehmen die Auswertung von Daten, die sie bisher nicht einmal ansatzweise nutzen konnten. Nach Ansicht zahlreicher Experten wird in Zukunft die Wertschöpfung durch Daten strategisch wichtiger, als es zurzeit die Wertschöpfung durch die Produktion ist. Je mehr Sensoren Daten senden, desto größer wird auch die Bedeutung von Echtzeit-Datenanalysen, um eine smarte Steuerung zu ermöglichen. Dieser Veränderungsprozess wird oft auch als Digitalisierung bezeichnet und er führt dazu, dass ganze Branchen neu gestaltet werden. Zum Teil sind hier sogar Produkte möglich, die bisher nur schwer lösbare Probleme auf völlig neue Weise lösen, auch durch die Kombination unterschiedlicher Wirtschaftssektoren, etwa Bio- und Informationstechnologie im Umweltschutz.

Viele Führungskräfte fremdeln noch Dabei liegen hier Möglichkeiten für etwas, das von einigen als „digitales Wirtschaftswunder“ bezeichnet wird. Nach Ansicht vieler Experten wird die installierte Gerätebasis in den nächsten Jahren enorm anwachsen. Nach Untersuchungen der Analysten von IHS waren 2015 etwa 15 Milliarden Geräte über das Internet der Dinge verbunden. Diese Zahl soll bis 2025 auf mehr als 75 Milliarden Geräte ansteigen. Auf einer IoT-Fachkonferenz, die im Sommer 2016 in Hong Kong stattfand, bewerteten Experten von McKinsey den Gesamtmarkt im Jahr 2025 auf rund sechs Billionen Dollar.47 „Wer wird diese Möglichkeiten ergreifen?“ fragte McKinsey-Analyst Chris IP in Hong Kong. Viele Unternehmen haben noch keine schlagkräftige Strategie für diese Situation. Ihre Führungskräfte fremdeln mit der Digitalisierung, da sie außerhalb ihrer Erfahrungswelt stattfindet. Wenn das Management eines Unternehmens das Nutzenversprechen für die nächste Ära seines Geschäfts entwickeln will, darf es nicht linear vorgehen, sondern muss lernen, wie ein Internet-Startup zu denken. Diese beschränken sich schon lange nicht mehr auf Entwicklung, sondern haben begonnen, die Welt der Alltagsgegenstände umzugestalten und zu revolutionieren. Angesichts dieser Entwicklung läuft die deutsche Wirtschaft Gefahr, den Anschluss an die vernetzte Service-Ökonomie zu verlieren. 47 Chris Ip, The IoT Opportunity, Hong Kong IoT Conference 2016

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TREND Fallbeispiel

Smart Services verändern die Spielregeln

CityTree – Für Großstädte ohne Smog

Die neue Ära des Internets macht das uns bisher bekannte Internet unsichtbar. Anstatt noch einen weiteren Bildschirm in unser Leben zu integrieren, den wir bedienen müssen, treten dienstbare Geister auf. Computertechnologie erscheint in Geräten, Fahrzeugen und deren Alltagsumgebung. Und smarte Produkte erhalten so etwas wie magische Kräfte. Das unsichtbare Internet der Dinge versteckt sich hinter Knöpfen und Schaltern und ist in intelligente Produkte eingebaut.

Das Startup Green City Solutions entwickelte mit dem CityTree eine einzigartige Kombination aus Sitzbank, Werbefläche, vertikalem Garten und Internet of Things, die als natürlicher Luftfilter fungieren soll. Die Konstruktion aus Draht, Solarzellen, einem Raspberry Pi, einer Sitzgelegenheit und einer mit speziellen Moosen bewachsenen Wand soll die Großstadtluft 275 mal besser filtern als jede andere rein biologische Lösung am Markt. Der Straßenbaum der Zukunft ist darüber hinaus mobil und dank Sensor- und Fernwartetechnik unabhängig und flexibel einsetzbar. Der CityTree bringt nämlich seine eigene Solaranlage und einen Wasserund Nährstofftank mit und versorgt sich damit selbst. Die Solarzellen produzieren Strom und Regenwasser wird im Tank gesammelt. Gegossen wird immer dann, wenn die Sensoren einen trockenen Boden, trockene Luft oder zu hohe Temperaturen melden.

youtu.be/xGXqiJS_eTc Die Frage lässt sich erweitern: Werden deutsche Unternehmen diese Chance ergreifen, vor allem der traditionell starke deutsche Mittelstand? Nach einer langen Phase des Zögerns werden inzwischen in zahlreichen mittelständischen Unternehmen die ersten Projekte angegangen. Laut einer Untersuchung des Marktforschungsunternehmens IDC im Auftrag von SAP48 haben gut 63 Prozent der kleinen und mittelgroßen Unternehmen die digitale Transformation angestoßen und modernisieren ihre Geschäftsprozesse. Aber: Die Studie zeigt auch, dass der Mittelstand derzeit noch sehr zögerlich bei Investitionen ist. Er setzt auf Digitalisierungsprojekte, die ohne großen Kostenaufwand umzusetzen sind – etwa Effizienzverbesserungen bei bestehenden Prozessen. „Die Relevanz und Notwendigkeit zusätzlicher Investitionen werden hierzulande immer noch nicht gesehen“, konstatieren die Autoren der Studie. Zudem verfolgt die Mehrheit der Unternehmen das Thema nur aus technischer Sicht. Nach Ansicht der Management-und Technologieberatung Bearing Point49 besteht für den größten Teil der Unternehmen die Digitalisierung nur im Einsatz neuer Technologien und Tools. Die Realisierung neuer Geschäftsmodelle dagegen wird nur von etwa einem Drittel der Unternehmen als wichtige Aufgabe in der Digitalisierung angesehen. Dass die Transformation auch einen kompromisslosen Fokus auf den Kunden bedeutet, ist lediglich bei einer sehr kleinen Anzahl der Unternehmen angekommen: Fünf Prozent der Großunternehmen, zehn Prozent der Mittelständler. Das Internet, kostengünstige Sensoren und netzwerkfähige Kleincomputer erlauben Unternehmen die Auswertung von Daten, die sie bisher nicht einmal ansatzweise nutzen konnten. Oft haben sie noch keine schlagkräftige Strategie für diese Möglichkeiten und sind gefährdet: Sie verlieren den Anschluss an die vernetzte Service-Ökonomie.

Fallbeispiel

Amazon Go – Der Supermarkt ohne Kasse Wie ein Einkauf im Kundeninteresse maximal komfortabel gemacht werden kann, zeigt Amazon mit seinem neuen Ladengeschäft in Seattle, dem Hauptsitz des Unternehmens. Aus Kundensicht sieht dieser Komfort so aus: Der Kunde geht in den Supermarkt, packt seine Einkäufe ein und geht wieder hinaus. Währenddessen interagiert der Laden mit der Amazon-App auf dem Smartphone, füllt einen digitalen Warenkorb und veranlasst automatisch die Bezahlung. Der Kunde benötigt Amazon-Konto und -App. Beim Betreten des Ladengeschäfts identifiziert die App den Kunden. Der Laden kann nun den korrekten Warenkorb befüllen, während er über Sensoren und Kameras die Einkäufe erfasst. Beim Verlassen des Supermarkts wird dann die zu bezahlende Summe für die Einkäufe über das Amazon-Konto verrechnet. Die Kunden sollen laut Amazon keinerlei Wartezeit beim Ein- und Ausbuchen aus dem Amazon-Konto bemerken. Der Einkauf besteht jetzt tatsächlich lediglich in der Auswahl der Waren, wobei Amazon Go auch bemerkt, wenn ein Kunde Ware wieder zurück in ein Regal legt. Doch nicht nur der Kunde hat einen Vorteil, auch Amazon kann vom Ladengeschäft profitieren: Die Kameras und Sensoren sollen nicht nur die tatsächlich gekauften Produkte erfassen, sondern auch die Waren, für die sich der Kunde lediglich interessiert hat – etwa, wenn er längere Zeit vor einem Regal steht oder ein Produkt längere Zeit betrachtet. Durch diese Daten kann Amazon den Nutzwert der mit einem Kundenkonto verknüpften Daten noch weiter erhöhen.

youtu.be/NrmMk1Myrxc

Die Internet-Unternehmen aus dem Silicon Valley haben in den letzten Jahren die Digitalisierung dominiert. Ein prägnanter Vergleich: Die DAX30-Unternehmen haben etwas mehr als eine Billion Euro Marktkapitalisierung, die vier GAFA-Firmen (Google, Apple, Facebook, Amazon) kommen knapp auf das Doppelte. Dieser Erfolg kommt allerdings nicht von ungefähr, GAFA und die zahlreichen großen und kleinen Startups stellen die Kundenwünsche in den Mittelpunkt und verändern sie dadurch. Das bekannteste Beispiel ist Amazon: Es hat die Erwartungen der Kunden an den Service im Handel radikal verändert. In vielen Branchen senken Internet-Technologien zudem die Markteintrittsbarrieren. Frisch gegründete Unternehmen analysieren die Wünsche und Bedürfnisse von Kunden und erfüllen sie oft auf neue Art. Sie schaffen digitale Serviceprozesse, die so gut durchdacht und so einfach gestaltet sind, dass die Kundenzufriedenheit enorme Werte annimmt.

48 IDC SMB Digital Transformation Survey 2016. 49 BearingPoint Digitalisierungsmonitor 2016 „Die Illusion der digitalen Transformation“.

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Kunden werden anspruchsvoller Kunden erwarten, dass ein Produkt ihre Probleme tatsächlich löst und zwar möglichst schnell. Auch die Kommunikation muss flott sein und wenn ein Produkt einmal nicht so funktioniert, wie es sollte, darf der Kunde nicht im Regen stehen bleiben. Dabei gibt es nur sehr wenige Unterschiede zwischen Privatkunden und Geschäftskunden. In beiden Segmenten sind Schnelligkeit und Komfort gefragt. Smarte Services wie das Nest-Thermostat, das Fitbit-Armband oder das Sonos Sound System gestalten unser Verhältnis zu physischen Produkten neu. Wer sich einmal an den Komfort solcher smarten Produkte gewöhnt hat, erwartet dies auch in anderen Lebensbereichen.

Fallbeispiel

Zara – Nachschub per Klick Zara setzt in einigen Filialen iPads in den Umkleidekabinen ein. Kunden der Modekette können darüber Fragen an Mitarbeiter stellen und zum Beispiel andere Größen bestellen. Sich einfach in die Umkleide zu setzen und von dort aus alle Modefummel in die Kabine zu bestellen, bleibt allerdings ein Traum: Denn um Kleidung zum Anprobieren in die Umkleide bestellen zu können, müssten die Produkte über das Tablet gescannt werden. Die iPad-Anwendung orientiert sich vom Design her an der Zara-Webseite, sodass sich Kunden wie beim Online-Shopping auf dem heimischen Sofa fühlen.

Dies verändert auch das Wettbewerbsumfeld für Unternehmen: Internet-Technologien erlauben es, auch nur einzelne, genau auf eine Zielgruppe zugeschnittene und in der Nische positionierte Services anzubieten und von dort aus die Welt der Alltagsgegenstände zu erobern. Eine ganze Armada an Entwicklern greift mittlerweile den Finanzsektor, Versicherungen und die Gesundheitsbranche an. Bei Erfolg winken hier satte Gewinne. Der Vorstoß der Startups erfolgt auf dem Terrain der Traditionsunternehmen, aber unter anderen Wettbewerbsbedingungen. Praktisch jeder, der eine gute Idee und ein wenig technisches Verständnis hat, kann nun smarte Produkte und Services entwickeln. Notwendige personelle Ressourcen werden einfach auf dem freien Markt eingekauft. Unternehmen wie beispielsweise Apple gelten zwar immer noch als Hardware-Hersteller, produzieren aber eigentlich keine Geräte mehr selbst, sondern vergeben Aufträge an spezialisierte Unternehmen, meist in Asien.

Do-It-Your-Self Modus senkt Markteintrittsbarrieren Die neue Rahmenbedingung heißt: Jedermann kann smarte Produkte und Services entwickeln – im Do-It-Yourself-Modus. Jedermann kann dank zahlreicher frei verfügbarer Entwicklungsumgebungen Software herausgeben (Github/Upverter) oder Prototypen von Produkten herstellen, etwa kleine Kunststoff-Gehäuse per 3D-Drucker (MakerBot). Menschen können deshalb per Internet Projekte starten, die früher nur mit sehr großem Aufwand möglich waren. Und auch die Projektfinanzierung mithilfe des Internets ist in der Lage, Marktkonstellationen auf den Kopf zu stellen. Die Smartwatch Pebble beispielsweise ist mithilfe des amerikanischen Crowdfunding-Portals kickstarter.com zur Marktreife entwickelt worden.

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Die Internet-Unternehmen aus dem Silicon Valley dominieren bislang die Digitalisierung. Sie schaffen gut durchdachte digitale Serviceprozesse, die eine enorme Kundenzufriedenheit bewirken. Denn die Nutzer werden anspruchsvoller und erwarten, dass ein Produkt ihre Probleme wirklich löst. Dies verändert das Wettbewerbsumfeld: Internet-Technologien erlauben es, genau auf eine Zielgruppe zugeschnittene Services anzubieten.

Ein „Weiter so“ gibt es nicht mehr Unternehmen, die auch in Zukunft mit ihren Produkten Geld verdienen möchten, müssen über neue Geschäftsmodelle nachdenken und die veränderten Kundenerwartungen berücksichtigen. Es reicht nicht mehr, lediglich den Status Quo zu optimieren. Unternehmen müssen jetzt mit einer Innovationsstrategie für die Smart Service Welt beginnen. Abwarten ist keine Option mehr und kann wertvolle Geschäftschancen verhindern. Christian Pereira, Geschäftsführer des IoT-Plattformanbieters Q-Loud, drückt es gerne so aus: „Besser starten statt warten.“ Unternehmen müssen über neue Geschäftsmodelle nachdenken und die veränderten Kundenerwartungen berücksichtigen. Das Motto: „Besser starten statt warten.“

Starten statt warten – Drei Wege führen zum Ziel „The Internet of Things (IoT) is transforming how individuals and organizations connect with customers, suppliers, partners, and other individuals. IoT is all about connecting sensors, actuators, and devices to a network and enabling the collection, exchange, and analysis of generated information.” Die Grundidee des Internet der Dinge ist über 30 Jahre alt. Bereits 1982 verbanden Studenten an der „Carnegie Mellon School of Computer Science” einen Coca-Cola-Automaten mit dem Universitäts-Netz, sodass die Nutzer vom Schreibtisch aus überprüfen konnten, ob die Automaten noch befüllt und die Flaschen kalt sind.50 1991 beschrieb dann der Informatik- und Kommunikationswissenschaftler Mark Weiser (der an der University of Maryland dozierte) seine Vorstellung einer vernetzten Welt im 21. Jahrhundert.51 In seinem Aufsatz tauchen bereits viele Elemente auf, die wir heutzutage mit dem „Internet der Dinge“ in Verbindung bringen: „Smart Home“, „Ubiquitous Computing“ (Rechner­ allgegenwart) sowie damals noch wie Science-Fiction anmutende Technologien á la Tablets etc. Der eigentliche Begriff „Internet der Dinge“ geht (vermutlich) auf Kevin Asthon zurück, Mitgründer der RFID Development Community, welcher eine Firmen-Präsentation für Procter&Gamble 1999 entsprechend betitelte:52 50 Rothchild 2014 51 Weiser 1991 52 Ashton 2009 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND Wenn Objekte sowohl ihre Umwelt analysieren als auch miteinander kommunizieren, ergeben sich große Wertpotenziale.53 Es gibt hierbei drei verschiedene Möglichkeiten für Unternehmen: 1. Prozessoptimierung 2. Verbesserung des Kundenerlebnisses 3. Gestaltung neuer, „smarter“ Produkte und Services Im Folgenden werden diese Aspekte konkret erläutert. Das Wertpotenzial des IoT und der Digitalisierung liegt in 1. Prozessoptimierung, 2. Verbesserung des Kundenerlebnisses und 3. smarten Produkten und Services.

1. Prozessoptimierung: Die Wertschöpfungs­ perspektiveder Industrie 4.0 Der Begriff Industrie 4.0 (im anglo-amerikanischen Sprachgebrauch „Industrial Internet”) steht für die vierte industrielle Revolution und beschreibt eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten.54 Die Interaktion verschiedener Objekte in einem Produktionssystem nach dem Prinzip der Industrie 4.0 erfolgt dabei einerseits zwischen Maschine und Maschine (Machine-to-Machine, M2M) sowie andererseits zwischen Mensch und Maschine (Machine-to-Person, M2P). In der Smart Factory tauschen intelligente Maschinen eigenständig Informationen aus und steuern sich selbstständig (Automatisierung).55 Auch das Produkt selbst kennt hierbei seine Auftrags- und Produktionsdaten und beeinflusst seine eigene Produktion durch Interaktion mit der vernetzten Produktionsmaschine.56 Ebenso kann auf Rohstoffengpässe e in Echtzeit reagiert werden und auch Lieferzeiten lassen sich prozessoptimiert bestimmen.57 Geschäfts- und Engineering-Prozesse sind dynamisch gestaltet, wodurch die Produktion verändert und flexibel auf Störungen und Ausfälle reagiert werden kann.58 Zudem werden weitere Potenziale offensichtlich: Ein Hersteller kann hinsichtlich Design, Konfiguration, Bestellung, Planung, Produktion sowie Betrieb einschließlich kurzfristiger Änderungswünsche auf individuelle Kundenwünsche eingehen. Selbst Einzelstücke lassen sich rentabel produzieren.

Fallbeispiel

Adidas Speedfactory – Persönliche Laufschuhe aus dem 3D-Drucker Ab Sommer 2017 produziert Adidas in seiner Speedfactory in Ansbach individuelle Laufschuhe, unter anderem mithilfe von 3D-Druckern und Robotern. Kunden können aus einer Reihe von Musterelementen individuelle Designs zusammenstellen, die im Computer in einem virtuellen Modell dargestellt und anschließend mit typischen Industrie-4.0-Verfahren produziert werden. Dadurch wird die Zeit vom Design zum Verkauf auf weniger als eine Woche verringert. Adidas will auf diese Weise bis zu 500.000 Schuhe pro Jahr herstellen.

youtu.be/FVpfVdXxcCA

Schätzungen des BMWi zufolge können Unternehmen mithilfe der Industrie 4.0 ihre Produktivität um 30 Prozent steigern.59 PwC rechnet für die deutsche Industrielandschaft mit Mehrumsätzen von bis zu 30 Milliarden Euro pro Jahr durch die Industrie 4.0.60 Die Relevanz der Digitalisierung für die deutsche Wirtschaft hat auch die Bundesregierung bzw. das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) erkannt und die „digitale Agenda“ verfasst, in welcher das Thema Industrie 4.0 behandelt wird. Zudem wurde die „Plattform Industrie 4.0“ gegründet. Die Sicherheit vernetzter Systeme, die rechtlichen Aspekte sowie die Aus- und Weiterbildung sollen somit vorangetrieben werden.61 Wertschöpfungspotenziale erstrecken sich in der Industrie 4.0 also über die gesamte Wertschöpfungskette. Die Industrie 4.0 bildet jedoch auch die Grundlage für eine Revolution der Produkt- und Serviceangebote von Unternehmen und zur Umsetzung neuer, oftmals disruptiver digitaler Geschäftsmodelle.62 „Industrie 4.0 ist daher nicht „isoliert“ zu denken, sondern versteht sich als ein Bedarfsfeld von mehreren. Die Gestaltung von Industrie 4.0 sollte daher interdisziplinär und im engen Austausch mit anderen Bedarfsfeldern vorgenommen werden.“ 63

Fallbeispiel

Produktion der Mercedes A-Klasse in Rastatt Weitgehend automatisiert, in erster Linie durch Roboter, ist die Herstellung der A-Klasse von Mercedes in der 2013 eingeweihten Fabrik in Rastatt. Sie entspricht bereits relativ gut den Vorstellungen einer intelligenten Fabrik, in der komplizierte Produkte mithilfe von modernsten, computerbasierten Verfahren hergestellt werden. Diese Produktionsstätte dürfte zu den effizientesten Fabriken der Welt gehören.

youtu.be/VreG1iC65Lc 53 Chui u. a. 2010 54 Acatech & Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013; Bauer u. a. 2014; Bitkom, VDMA & Zvei 2015 55 Acatech & Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2015a; Daugherty u. a. 2014; Siemens AG 2014 56 Liebhart 2015 57 Bitkom u. a. 2015 58 Beispiel in Anlehnung an Maier & Student 2014

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Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2014 Koch, Kluge, Geissbauer & Schrauf 2014 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2014 Acatech & Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013; Bitkom u. a. 2015; Koch u. a. 2014 63 Acatech & Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND Industrie 4.0 bietet also ein enormes Potenzial zur Erhöhung der Effektivität und Produktivität in der Industrieproduktion. Dies ist allerdings gleichzeitig eine starke Einschränkung auf bestehende Produkte, Services und Geschäftsmodelle. Das Konzept ist in der Fachwelt nicht unwidersprochen geblieben. Es verhindere Innovationen und die Schaffung neuartiger Geschäftsmodelle, findet ein Kritiker wie Prof. Dr. Ing. Andreas Syska von der Hochschule Niederrhein. Er kritisiert in erster Linie die starke Konzen­ tration des Konzepts auf die Smart Factory. Sein Eindruck: Die technische Revolution hört an den Werkstoren auf. Lediglich Fabrikausrüster und Maschinenbauer profitieren bisher davon und natürlich die großen Autokonzerne, die nach seiner Ansicht heimlich immer noch den Traum von der durchautomatisierten, menschenleeren Fabrik träumen. Die Entwicklung werde jedoch genau die scheinbaren Industrie-4.0-Profiteure aus dem Markt fegen, ist sich Syska sicher. Denn während in Deutschland technikverliebt an Sensorik und Schnittstellen getüftelt wird, entwerfen US-Unternehmen Geschäftsmodelle. Sie setzen ganz pragmatisch vorhandene Technologien ein und überlegen dann, welches Geld man auf welche Weise in welchen Märkten damit verdienen kann. Der deutschen Wirtschaft sei deshalb bestenfalls der Platz in der zweiten Reihe sicher, als austauschbarer Hardwarelieferant der großen Internet-Konglomerate. „Die Amerikaner stecken die digitalen Claims ab und schürfen Gold, während die Deutschen sich darüber freuen, Spitzhacken und Spaten liefern zu dürfen. […] Deshalb hat Industrie 4.0 endlich die Technikecke zu verlassen und ist von der Gesellschaft und vom Markt her zu denken. Dies muss sich in neuen Geschäftsmodellen abbilden und bedarf der Bereitschaft, das eigene Geschäftsmodell unsentimental zu zerstören, statt es linear fortzuschreiben.“64

Prozessoptimierung ist die Domäne der Industrie 4.0. Sie ist eine neue Stufe der Organisation und Steuerung der gesamten Wertschöpfungskette über den Lebenszyklus von Produkten. Sie bietet ein enormes Potenzial zur Erhöhung der Effektivität und Produktivität, beschränkt die Unternehmen aber auf bestehende Produkte und Services. Neue Geschäftsmodelle entstehen nicht.

2. Verbesserung des Kundenerlebnisses: Die User Experience Perspektive Kunden haben heutzutage eine Vielzahl an Kontaktpunkten (Touchpoints) zur Verfügung, um mit Unternehmen in Kontakt zu treten und deren Waren und Dienstleistungen zu kaufen bzw. in Anspruch zu nehmen. Sie wandern hierbei die bekannte „Customer Journey“ entlang. Mittlerweile existieren die vielen Channels nicht mehr nur parallel (Multi-Channel) oder ermöglichen den kanalübergreifenden Einkauf (Cross-Channel), sie sind 64 Andreas Syska, Philippe Lièvre, Illusion 4.0. Deutschlands naiver Traum von der smarten Fabrik, 2016.

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vielmehr nutzeroptimiert verknüpft, was als „Omni-Channel“ bezeichnet und erst durch das IoT ermöglicht wird.65 Wie beim Cross Channel kann der Konsument den Kaufprozess beim Omni-Channel-Vertrieb über verschiedene Kanäle hinweg gestalten, allerdings rückt er hierbei noch einmal verstärkt in den Vordergrund: Unternehmen können beim Omni-Channel-Vertrieb und mit Big Data in Echtzeit sowie auf allen Etappen der Customer Journey ein einzigartiges, personalisiertes Nutzererlebnis kreieren.66 „The real challenge is to develop the corporate ability to truly understand the customer’s needs, and to address them with personalized experiences relevant to each individual’s preferences, circumstances and point in time. […] Even the best proposition at the wrong time or through the wrong channel is likely to fail.”67

Fallbeispiel

Digital aufgerüstete Stores von Nike – Online und offline kombinieren Nike hat nicht nur das Design seiner Flagship-Stores, der Website und der mobilen App einheit-lich gestaltet, auch das Einkaufserlebnis dieser Kanäle ist stark aufeinander abgestimmt. Die perfekte Integration von Store und Website erlaubt unter anderem das „Showrooming“ von Produkten, die es nur online zu kaufen gibt. Zudem unterstützt Nike jede Kanalkombination. So ist es möglich, online und offline gekaufte Produkte in einen bestimmten Store oder nach Hause liefern zu lassen. Zudem gibt es in den Nike-Stores (in den USA) keine Kassen mehr. Die Mitar-beiter nutzen stattdessen moderne Mobilgeräte mit Cardreader. Sie scannen damit Waren-codes, erfassen die Kreditkarte und senden auf Wunsch die Rechnung an eine E-Mail-Adresse. Eine Kunden-App vertieft die Benutzererfahrung. Beacons erkennen die Smartphones von vor-beigehenden Kunden und senden ihnen Informationen an die App, etwa über aktuelle Angebo-te. Im Geschäft kann sich der Kunde anhand RFID-Tags an den Waren zusätzliche Informationen zeigen lassen, etwa über zusätzliche Farben und Produktvarianten. Solche Infos stehen auch den Mitarbeitern im Ladengeschäft zur Verfügung. Durch die bei früheren Einkäufen erfassten Daten können sie den Kunden beim Einkauf beraten und ihm geeignete Produkte empfehlen. .

vimeo.com/135480452 Hinshaw und Kasanoff verdeutlichen dies in ihrem Buch „Smart customers, stupid companies“:68 Kunden sind Dank der heutigen Technologien „smart“ und allzeit informiert. Dies bedeutet nicht nur, dass sie jederzeit Informationen über das Unternehmen, seine Produkte und Dienstleistungen einholen können (im Zweifelsfalle mobil direkt am POS), sondern auch eine nahtlose Customer Experience zwischen den Kanälen erwarten. Mithilfe der gesammelten Daten können Unternehmen zudem proaktiv reagieren und den Kunden gezielter ansprechen. Accenture fasst diese Aspekte wie folgt zusammen: 65 66 67 68

Cisco 2015; Petznick 2013 Accenture 2015a; 2015b Accenture 2015b Hinshaw & Kasanoff 2012

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Von Single zu Omni Channel Single Channel

Multi Channel

Cross Channel

Omni Channel

Fallbeispiel

Quelle: www.guided-selling.org

lechal – Wohin die Füße tragen „They (the customers) want to be in control (…). Information asymmetries are fading away, since scrutiny and comparison of offers are only a click or a touch away for almost everyone. Additionally, consumers tend not to make distinctions among industries (retail, telecommunications, media, travel, insurance, banking, etc.) when it comes to searching, purchasing, or justifying belowstandard experiences. They simply expect all industries to match or beat the highest customer experiences they have already had or simply have heard about.”69

Die Verbesserung des Kundenerlebnisses basiert auf Omnichannel-­ Vertrieb und Big Data. Unternehmen erzeugen eine einzigartige, personalisierte Benutzererfahrung und sprechen ihre Kunden gezielter an. Auch hier entstehen keine neuen Geschäftsmodelle.

3. Smart Products and Services – Neue datengetriebene Geschäftsmodelle Die Schaffung datengetriebener Geschäftsmodelle ist der Kern der Entwicklung von Strategien für das Internet der Dinge. Die neuen Geschäftsmodelle beruhen auf innovativen, smarten Produkten und Services, die den Unternehmen auch in Zukunft eine Steigerung der Wertschöpfung und damit deutliches Wachstum bringen werden. Eine entscheidende Voraussetzung für datengetriebene Geschäftsmodelle ist die Verknüpfung großer Mengen an Daten (Big Data), durch deren Analyse und Kombination Smart Data entsteht.70 Aus Smart Data lässt sich dann Wissen generieren, welches wiederum die Basis für neue Geschäftsmodelle bildet. Big Data wird also zu Smart Data veredelt und in neuen, individuell kombinierbaren Smart Products und 69 Accenture 2015b 70 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2014

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Services monetarisiert.71 Dementsprechend erschließen sich neue Geschäftsmodelle jenen, die es verstehen, das Potenzial der Daten innovativ zu nutzen.72 „Whatever can be digitized is digitized“73 – und wenn diese digitalen Daten genutzt und vor allem neu kombiniert werden, ergeben sich neue, z.T. disruptive Geschäftsmodelle. Hierbei kann von einem Beratungsunternehmen für die Analyse und Nutzung von Smart Data74 zu einem produzierenden Unternehmen bis zu einem ausschließlich datengetriebenen Dienstleister jedes Unternehmen von Smart Data profitieren und neue Geschäftsmodelle etablieren. Auch für KMU wird die Nutzung von Diensten und Software-Systemen in Zukunft ermöglicht, die momentan aufgrund der heutigen Lizenzund Geschäftsmodelle noch nicht finanzierbar sind.75

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Smarte Accessoires („Wearables“) sind auf dem Vormarsch und neben Smartwatches, -glasses und Fitnessbändern gibt es nun auch Smartshoes. Der indische Forscher Anirudh Sharma begann während seiner Zeit an den HP-Labs in Bangalore die Arbeit an “Le Chal” (Hindi für: “Bring mich hin”) – einem smarten Konzept, das Sehbehinderten per Vibration unter dem Fußballen die Orientierung in Städten erleichtern soll. Schon damals erkannte er allerdings, dass der smarte Navi-Schuh auch Normalsichtigen den Weg weisen könnte. Bei dem indischen Unternehmen Ducere Technologies entwickelten Anirudh Sharma und Krispian Lawrence diesen Gedanken weiter und führten unter LECHAL – der Marke für tragbare Technologie – interaktive Schuhe und Schuhsohlen mit einem auf Haptik basierenden Navigationssystem ein. Schuhe bzw. Schuhsohlen kommunizieren via Bluetooth mit dem Smartphone des Besitzers, auf dem eine Navigationsapp läuft. Die wiederum lässt die rechte oder linke Sohle vibrieren und zeigt dem Träger damit an, in welche Richtung er abbiegen muss.

youtu.be/ucK6jhdRlUY

Smart Products und Smart Services Zunächst soll der Zusammenhang zwischen Smart Products und Smart Services erläutert werden: Smart Products sind mit Sensoren ausgestattete und internetfähige Produkte. Durch ihre Fähigkeiten, Daten zu sammeln, zu analysieren, zu versenden und zu empfangen, werden sie intelligent. In naher Zukunft werden intelligente Produkte76 »»Aufgaben selbstständig ausführen und mit anderen Dinge kommunizieren »»sich eigenständig anpassen, um den Nutzerbedürfnissen bestmöglich zu genügen »»sich selbstständig updaten 71 72 73 74 75

Arbeitskreis Smart Service Welt 2015 Edson 2015; Maier & Student 2014 IMD & Cisco 2015 Emmrich u. a. 2015 Acatech & Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013; Andersson & Mattsson 2015 76 In Anlehnung an Daugherty u. a. 2014; Porter & Heppelmann 2014 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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Wie sich Smarte Produkte einsetzen lassen

IoT Wertschöpfungskonzept – Von smarten Produkten zu Smart Services

Die Funktionen von intelligenten, vernetzten Produkten lassen sich in vier Gruppen unterteilen: Überwachung, Steuerung, Optimierung und Automatisierung. Jede Gruppe baut auf der vorherigen auf. Steuerungsfunktionen benötigen zum Beispiel erst einmal die Möglichkeit, Produkte zu überwachen. AUTOMATISIERUNG OPTIMIERUNG STEUERUNG ÜBERWACHUNG Im Produkt oder in der Überwachungs- und Die Kombination von Sensoren und externe Überwachung, Steuerung Cloud angesiedelte Steuerungsfunktionen Datenquellen ermöglichen und Optimierung ermöglicht: Überwachung von: Software ermöglicht: ermöglichen Algorithmen, die den Betrieb und die • einen automatisierten • Produktstatus • Steuerung der Nutzung des Produkts Produktfunktionen Produktbetrieb • Umfeld optimieren, mit dem Ziel: • eigenständige • Personalisierung des • Betrieb und Nutzung

Bei Smart Services steht der Nutzer im Mittelpunkt, da dank Smart Data ein personalisiertes Kundenerlebnis und ein individueller Service möglich werden.78 Service-Innovation wird in Zukunft also an Relevanz gewinnen,79 was Accenture passend ausdrückt:80 „Every product is a service waiting to happen. (…) Designing with data in mind. (…) Achieving continual service change.” Smart-Service-Anbieter benötigen dementsprechend ein umfassendes Verständnis des Nutzers, seiner Verhaltensweisen und Ansprüche. Mithilfe von Smart Data lassen sich Kundenwünsche antizipieren und befriedigen, bevor der Nutzer selbst von ihnen weiß. Dieser Wechsel von produkt- zu nutzerzentrierten Geschäftsmodellen verlangt ein Umdenken, vor allem in traditionellen Unternehmen (siehe Beispiel Klöckner & Co.).81 Unternehmen, die wettbewerbsfähig bleiben und die Chance des IoT nutzen möchten, müssen also proaktiv ihre Geschäftsmodelle überarbeiten oder u.U. sogar selbst disruptiv handeln.

des Produkts

Nutzererlebnisses

Überwachungsfunktionen ermöglichen auch Benachrichtigungen und Warnmeldungen, wenn sich etwas ändert.

• die Produktleistung zu verbessern • vorausschauende Diagnosen, Wartungen und Reparaturen durchzuführen

Abstimmung des Betriebs mit anderen Produkten und Systemen • automatische Produkterweiterung und Personalisierung • Selbstdiagnose und Service

Quelle: Porter & Heppelmann 2014

Fallbeispiel »»ihre laufenden Kosten eigenständig senken sowie optimieren und somit ihre Produktivität erhöhen »»Gefahren für Unfälle ebenso wie Ausfälle antizipieren und proaktiv reagieren Wenn die Produkte „smart“ sind und Daten sammeln können, bedeutet dies auch, dass Unternehmen ihren Kunden Mehrwerte über den eigentlichen Produktnutzen hinaus anbieten können: Zusätzliche Service-Dienstleistungen (value added services), also Smart Services, können so entstehen. Geschäftsmodelle beschränken sich folglich nicht mehr nur auf eine reine Produktorientierung, sondern sind zusätzlich daten- und servicegetrieben. Als Folge bieten sich zahlreiche Anknüpfungspunkte für neue, bisher unbekannte Geschäftsmodelle.77

Wie Klöckner selbst disruptiv handelt Der Stahlhändler Klöckner & Co. weiß das Thema IoT und Industrie 4.0 zu nutzen und spielt lieber selbst den disruptiven Zerstörer, bevor es jemand anderes tut:82 Klöckner-CEO Gisbert Rühl (55) hatte sein persönliches Erweckungserlebnis im Silicon Valley. Dort erkannte er, wie der digitale Fortschritt dem Geschäftsmodell von Klöckner gefährlich werden könnte. Rühl tat sich daraufhin mit der Berliner Consultant-Firma Etventure zusammen, die erst einmal die Kundenwünsche analysierte, um anschließend neue Tools zu entwickeln, alles binnen drei Monaten. Nach herkömmlicher Methode „hätten wir anderthalb Jahre gebraucht“, sagt Rühl. Jetzt will er Stahl online verkaufen. In einer sehr traditionsbehafteten Branche ein echtes Novum. Die Vision hierbei: Am Ende der Reformkette soll eine gemeinsame Stahlhandelsplattform stehen, die Daten von Lieferanten und Kunden enthält und über die der intelligente Stahlträger irgendwann selbst seinen eigenen Nachschub ordert. Der Organisator der Plattform will dann Klöckner selbst sein – und somit auf ein neues Geschäftsmodell setzen.

Fallbeispiel

Pro Trace – Auf die Herkunft kommt es an Mit der App METRO Pro Trace bietet das Unternehmen seinen Kunden mehr Transparenz. Der nachhaltige Service liefert wichtige Hintergrundinformationen zu den METRO-Produkten – entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Kunden sollen so über die genutzten Ressourcen und den Ursprung der Produkte informiert werden und nachvollziehen können, wie sie verarbeitet wurden.

Vor allem die Value Proposition und die Prozesse der Wertschöpfung müssen in Frage gestellt und überarbeitet werden.83 Auch wird die Relevanz von dynamischen Geschäftsnetzwerken und Kooperationen zunehmen, da Branchengrenzen aufbrechen.84 Bisher branchenfremde Unternehmen können zudem zu starken Wettbewerbern werden (Google Car).85

youtu.be/cXup_VAwHJM 78 79 80 81 82 83

77 Arbeitskreis Smart Service Welt 2015; Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2015b; Dhar 2014; Emmrich u. a. 2015

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Arbeitskreis Smart Service Welt 2015; Dhar 2014 Andersson & Mattsson 2015 Accenture 2015a Arbeitskreis Smart Service Welt 2015 Maier & Student 2014 Iansiti & Lakhani 2014. Siehe hierzu auch das Video der St. Gallen-Universität: www. youtube.com/watch?v=6MrCr-52GLI 84 Acatech & Promotorengruppe Kommunikation der Forschungsunion Wirtschaft – Wissenschaft 2013; Andersson & Mattsson 2015 85 Emmrich u. a. 2015 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND Drei Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle

Fallbeispiel

Im Verhältnis zwischen Produkten und Smart Services haben Unternehmen drei Möglichkeiten, neue, aktive Geschäftsmodelle im Internet of Things zu entwickeln:

Carrobot – Smart und sicher im Straßenverkehr

1. B estehende Produkte mit IoT-Zusatzservices versehen: Hier werden Produkte, die bereits auf dem Markt etabliert sind und möglicherweise schon seit geraumer Zeit auf die gleiche Art und Weise genutzt werden, um IoT-Features ergänzt. Diese Variante stellt die niedrigste Stufe der IoT-Geschäftsmodelle dar. Ein Beispiel ist die Geschirrspülmaschine, die misst, wann die Spültabs aufgebraucht sind und selbständig neue ordert. 2. N eue Produkte mit IoT-Funktionen entwickeln: Bei dieser Variante werden Produkte entwickelt, die es ohne die Möglichkeiten des IoT nicht geben kann. Ein Unternehmen macht sich also die Technologien des IoT zunutze, um ein innovatives Produkt zu generieren, welches vollständig mit IoT-Funktionen versehen ist. Ein Beispiel ist das selbstfahrende Google-Auto. Hier wird bereits deutlich, wie zuvor branchenfremde Unternehmen disruptive Innovationen in ihnen zuvor unbekannten Märkten etablieren können (Näheres hierzu in Kapitel 2). 3. P roduktlose Smart Services: Unternehmen können Daten nutzen, um komplett produktlose, digitale Dienstleistungen anzubieten oder zusätzliche Dienstleistungen zu den o.g. Smart Products. Ein Beispiel ist die Taxi-App Uber. Hierbei handelt es sich um einen Service, der rein datenbasiert arbeitet: Uber vermittelt Fahrgäste an reguläre Taxis sowie private Fahrer. Die Vermittlung erfolgt über die Smartphone-App bzw. die Uber-Website, wobei Uber für jede erfolgreiche Vermittlung eine Provision des Fahrpreises verlangt. Uber ist kein Taxi-Unternehmen, welches einen eigenen Fuhrpark besitzt. Vielmehr ist es ein Dienstleister-Unternehmen, welches wiederum die Dienstleistungen Anderer (und deren physische Produkte, in diesem Fall die Taxis) in Anspruch nimmt. Uber ist somit der Intermediär. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „As a Service“-Angeboten,86 die in ihrer Unterhaltung i.d.R. deutlich günstiger als „Ownership-Angebote“ sind.

Der persönliche Fahrassistent Carrobot ist ein Beispiel dafür, wie die Kombination verschiedener Digitaltechnologien zu einem smarten Produkt wird, das durch das Prinzip des „Retrofitting“ zudem einen großen potentiellen Nutzerkreis erreichen kann. Das Gerät bietet ein multifunktionales Head-up-Display (HUD) für jedes Auto. Es wird ganz einfach auf dem Armaturenbrett zwischen Lenkrad und Windschutzscheibe platziert und an Smartphone und Fahrzeug (über den OBD-II-Port) angeschlossen. Die gewünschten Infos werden direkt in die Windschutzscheibe projiziert. Die Fahrassistenz-Funktionen wie Spurassistent oder Müdigkeitsdetektor bieten umfassenden Unfallschutz. Das Gerät warnt, wenn der Fahrer von der Spur abkommt, zu dicht auffährt oder müde und abgelenkt ist. Es besitzt darüber hinaus eine Bluetooth-Fernbedienung, die sich bequem an jedes Lenkrad klemmen lässt, und eine vollständige Sprachsteuerung für Navigation, Telefon, Messaging und Musik. Durch die Integration von Künstlicher Intelligenz sorgt Carrobot dafür, dass sich der Fahrer auf die Straße konzentrieren kann. Mit “Hey, Carrot!” lässt sich die Konversation mit dem Assistenten starten. Dann kann er Telefonanrufe beginnen, Nachrichten senden, den gewünschten Song spielen, die Wetterlage abfragen oder beispielsweise Restaurants finden.

youtu.be/F8gzXND27yk

Smarte Produkte und Services nutzen datengetriebene Geschäftsmodelle und sind der Kern der Entwicklung von Strategien für das Internet der Dinge. Sie beruhen auf innovativen smarten Produkten und Services. Es gibt drei Möglichkeiten, neue, aktive IoT-Geschäftsmodelle zu entwickeln: 1. bestehende Produkte mit IoT-Zusatzservices versehen, 2. neue Produkte mit IoT-Funktionen entwickeln und 3. produktlose Smart Services gestalten.

Die neuen Fähigkeiten von Smart Services Smart Services erfordern nicht nur eine völlig neue technologische Infrastruktur, sie ermöglichen darüber hinaus auch eine Vielzahl an vollkommen neuen Features und Funktionen (Produktfähigkeiten) und führen zu einer starken Veränderung nicht nur bei den Anwendern, sondern auch bei den Herstellern.87 Smart Services lassen sich in einem von vier Feldern einsetzen. 1. Überwachung: Sie können ihren eigenen Produktstatus und ihre Umgebung überwachen. Sie liefern einem Unternehmen dadurch vollkommen neue Informationen über ihre Arbeitsweise, aber auch über den Umgang der Kunden damit. Die Überwachungsfunktionen erlauben auch Benachrichtigungen und Warnmeldungen bei kritischen Zuständen. 2. Steuerung: Über Embedded- oder Cloud-Software können Produktfunktionen gesteuert und das Nutzererlebnis in vielfältiger Weise personalisiert werden, beispielsweise auch durch Mobilgeräte.

86 Arbeitskreis Smart Service Welt 2015

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87 Porter 2015 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND

TREND 3. Optimierung: Die Kombination der Funktionen für Überwachung und Steuerung ergeben neue Möglichkeiten für die Optimierung des Betriebs und der Nutzung eines Produkts. Dadurch kann einerseits die Produktleistung verbessert werden und andererseits sind Ferndiagnose und vorausschauende Wartung möglich – bis hin zu einer Selbstreparatur des Systems. 4. Automatisierung: Die Kombination der Funktionen für Überwachung, Steuerung und Optimierung ermöglicht einen automatischen Betrieb der Produkte und Services sowie die eigenständige Abstimmung mit anderen Systemen in einem Produkt-Ecosystem. Konsequenz dieser Möglichkeiten ist eine steigende Autonomie der Produkte, befördert beispielsweise durch Algorithmen zum „Machine Learning“.88 Smart Services bieten eine große Bandbreite an möglichen Funktionen und Produktfähigkeiten. Vor allem die niedrigen Grenzkosten für zusätzliche Sensoren und Software-Komponenten erlauben es, neue Features relativ kostengünstig in ein Produkt einzubauen. Doch letztlich sollte der Kunde im Mittelpunkt solcher Überlegungen stehen. Die verwirklichten Funktionen müssen dem Kunden einen echten Mehrwert bieten und nicht lediglich durch das Vorhandensein der entsprechenden Technologie motiviert sein. Darüber hinaus ist es eine empfehlenswerte Strategie für ein Unternehmen, sich für solche Funktionen zu entscheiden, die die eigene Wettbewerbsposition stärken. Hierbei kommt es auf die generelle Produktstrategie an. Wer zum Beispiel einen Premium-Ansatz verfolgt, kann sich durch umfangreiche Funktionspakete von der Konkurrenz absetzen.

Langlebigkeit: Konventionelle Produkte werden generationsweise neugestaltet, so dass häufig jede Produktgeneration anders aussieht und andere Funktionen mitbringt. Dank der Upgrade-Fähigkeit durch Software werden smarte Produkte oft deutlich länger genutzt und seltener durch eine neue Gerätegeneration ausgetauscht. Neue Benutzerschnittstellen und Augmented Reality: Die Vernetzung erlaubt die Verlagerung der Benutzeroberfläche auf ein externes Gerät, beispielsweise ein Smartphone oder Tablet. Dies erlaubt einerseits neuartige und attraktive Benutzeroberflächen und senkt andererseits die Kosten, da die Oberfläche nur noch in Software ausgeführt wird. Darüber hinaus ist es möglich, neue Interfaces wie AR-Brillen einzusetzen, um die Smart Services zu steuern.

Fallbeispiel

ThyssenKrupp HoloLens – Verringerte Wartungszeit bei Aufzügen ThyssenKrupp Elevators gehört zu den Vorreitern beim Einsatz der AR-Brille Microsoft HoloLens. Die Servicetechniker sind mit der Brille in der Lage, die spezifischen Kenndaten eines Aufzugs bereits vor einem Einsatz zu visualisieren. Vor Ort ermöglicht HoloLens durch eine Cloud-Anwendung jederzeit Zugang zu allen technischen Informationen des Aufzugs, Expertenunterstützung per Bildübertragung und das alles mit dem Vorteil, jederzeit beide Hände frei zu haben. Erste Erfahrungen haben gezeigt, dass die Arbeit bis zu vier Mal schneller erledigt werden kann.

Die Transformation betrifft das ganze Geschäftsmodell

youtu.be/8OWhGiyR4Ns

Diese vielfältigen Einsatzszenarien erfordern eine grundsätzliche Änderung in der Konzeption und Gestaltung von Produkten. Ganz grundsätzlich entwickelt sich die Produktentwicklung von einer reinen Ingenieuraufgabe zu einem interdisziplinären „Systems Engineering“, das komplexe Systeme aus Hardware, Software und Cloud-Anwendungen gestaltet. Die folgenden Fähigkeiten sind typisch für smarte, vernetzte Produkte und Services89: Kostengünstige Varianten: Variabilität ist bei konventionellen Produkten ausgesprochen teuer, da jeweils andere Hardware notwendig ist. Doch die „Smartness“ der Produkte durch Software erlaubt es, kostengünstig unterschiedliche Produktvarianten auf den Markt zu bringen, ohne dass die Hardware geändert werden muss. Allerdings ist es notwendig, diese Variabilität direkt beim Design der Services und Produkte zu berücksichtigen. Ein guter Weg in diese Richtung ist der Ersatz von Hardware durch Software. Dabei wird beispielsweise statt spezialisierter und für bestimmte Anwendungsbereiche konfektionierte Elektronik ein umfassend nutzbarer Kleincomputer eingesetzt. Dadurch ist es nun möglich, auf der Basis der vorhandenen Sensoren, Aktoren und anderer Komponenten neue Funktionen nachzurüsten. Ein prägnantes Beispiel: Tesla Motors hat durch Veränderung der beim Model S mitgelieferten Bordcomputer-Software die Leistungskraft (PS-Zahl) des Motors erhöht und per Funk als Softwareaktualisierung ausgeliefert.

Permanentes Qualitätsmanagement: Durch Vernetzung und laufendes Monitoring von Echtzeitdaten können Testphasen und Qualitätssicherung auf den laufenden Betrieb der Produkte ausgedehnt werden. Dies erlaubt den Unternehmen zusätzliche Möglichkeiten zur Fehlerbehebung und Wartung. Vernetzte Dienste: Die Vernetzung selbst erlaubt in vielen Bereichen zusätzliche, bisher nicht mögliche Dienstleistungen, etwa Überwachung, Fehlerdiagnose oder Warnmeldungen an den Wartungsdienst. Auch hier kann wieder Tesla Motors als prägnantes Beispiel dienen: Der Hersteller aktualisiert die Assistenzsysteme seines Model S (Autopilot) regelmäßig per Funk und rüstet sie mit zusätzlichen oder verbesserten Funktionen aus. Neue Geschäftsmodelle: Unternehmen können ihre Geschäftsmodelle anpassen und sich von einem Verkäufer einzelner Produkte zu einem Anbieter produktbasierter Services wandeln. Das Modell des „Products as a Service“ ist in der IT-Branche bereits erfolgreich und kann auf zahlreiche andere Branchen übertragen werden, etwa durch Mietmodelle oder Sharing-Services.

88 Porter 2014 89 Porter 2015

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Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND

TREND Fallbeispiel

Digital Maturity Model

Kaeser Kompressoren – Damit nie die Luft wegbleibt Einer der weltweit führenden Anbieter von Kompressoren und Druckluftsystemen nutzt ein innovatives „Druckluft as a Service“-Modell mit Wartung der Geräte durch den Hersteller. Die Kompressoren senden Daten für Predictive Maintenance an SAP HANA. Eine Auswertung wird auf Smartphones oder Tablets von Technikern angezeigt, die nun gezielt reagieren können.

youtu.be/9oyInxA5vQ8 Systemübergreifende Zusammenarbeit: Wenn smarte Services und Produkte Bestandteile eines größeren Ecosystems werden, können sie im Gleichklang mit anderen Produkten und Services, auch von anderen Unternehmen, weiterentwickelt werden. Voraussetzung dafür sind systemübergreifenden Standards, die eine Interoperabilität der einzelnen Produkte erlauben. So wäre ein Plattform-Service denkbar, der unterschiedliche Verkehrsmittel (ÖPNV, Limousinen-Services wie Uber, CarSharing-Anbieter) unter einer einheitlichen Benutzeroberfläche zugänglich macht.

Neuling

Starter Neuling

Fortgeschrittener

Strategie

Vision, Strategie, Transformation-Roadmap

Führung

Management-Methoden, Sponsoren, Ressourcen

Produkte & Services

Product Life Cycle, Geschäftsmodell, Innovationsfähigkeiten

Geschäftsprozesse

Customer Life Cycle, Kanäle & Geschäftspraktiken, Agilität

Kultur

Kundenzufriedenheit, Hierarchie vs. Netzwerk

Mitarbeiter

Menge, Expertise, Fähigkeiten

Steuerung

Kommunikation- & Kollaborations-Regeln, KPIs, Abstimmung

Technologie

Software-Tools, Cloud-Architektur, ICT-Infrastruktur

Experte

Meister

Quelle: mind digital

Fallbeispiel Produktentwicklung wird zu einem interdisziplinären „Systems Engineering“, das komplexe Systeme aus Hardware, Software und Cloud-Anwendungen gestaltet. Die Vernetzung erlaubt zusätzliche Dienstleistungen wie Überwachung, Fehlerdiagnose oder Warnmeldungen. Wenn smarte Services und Produkte Bestandteile eines Ecosystems werden, können sie im Gleichklang mit anderen Produkten und Services auch von anderen Unternehmen weiterentwickelt werden. Unternehmen können sich dadurch von einem Verkäufer einzelner Produkte zu einem Anbieter produktbasierter Services wandeln.

Die Transformation erfasst alle Unternehmensbereiche

TU Dresden – 3D-Betondruck Die TU Dresden überträgt die additiven Fertigungsverfahren aus der Industrieproduktion auf das Baugewerbe. Mit dem Verfahren „Beton-3D-Druck“ werden durch schichtweises Auftragen eines schnell erhärtenden Spezialbetons mit Hilfe einer Druckvorrichtung ganze Gebäudestrukturen direkt auf der Baustelle errichtet. Die Steuerung erfolgt über Daten, die vor allem Geometrie und Materialdaten enthalten und aus speziell aufbereiteten Bauwerksmodellen generiert werden. Der Großraummanipulator zur Positionierung des Druckkopfes basiert auf herkömmlichen Maschinenkonzepten. Schalungsarbeiten können entfallen, wodurch Material- und Personaleinsatz optimiert werden.

youtu.be/EhNGgY42eqY

Neben solchen allgemeinen Produktfähigkeiten können Unternehmen beim Design von Smart Services in zahlreichen Funktionsbereichen zusätzliche, für Kunden attraktive Fähigkeiten in ihre Produkte aufnehmen.90 Industrieproduktion: In Smart Factories arbeiten vernetzte Maschinen und Anlagen, die die Produktion in großem Maße automatisieren und optimieren. Condition Monitoring und Predictive Maintenance erlauben die Verringerung von Ausfallzeiten und Erhöhung der Qualität der produzierten Waren. Durch den weitgehenden Einsatz von Software für die Gestaltung von Funktionen können die physischen kompetenten Enden der Produkte vereinfacht werden, sodass die Anzahl der notwendigen Produktionsschritte gesenkt werden kann. Darüber hinaus erlaubt Software auch das Nachrüsten von Funktionen in bereits ausgelieferten Produkten.

Logistik: In diesem Bereich werden bereits seit langem Vorformen von modernen Smart Services eingesetzt, etwa RFID-Chips zur leichteren Verfolgung von Lieferungen. Smart Services geben der Logistik zahlreiche Möglichkeiten zur Echtzeitverfolgung von Waren und der Überwachung ihres Zustands sowie der gesamten Umgebung. Darüber hinaus ist es möglich, etwa den Transport von Containern weitgehend zu automatisieren, da sie Ziel und Route via Vernetzung selbsttätig angeben können.

90 Porter 2015

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Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND

TREND Fallbeispiel

Fallbeispiel

DB Cargo – Lokschäden frühzeitig erkennen

ThyssenKrupp Max – Das sicherste Transportmittel der Welt wird smart

Die DB Cargo AG verantwortet den Schienengüterverkehr der Deutschen Bahn AG und betreibt etwa 4800 Güterzüge pro Tag. Lokomotiven unterliegen einem erheblichen Verschleiß, da sie nonstop unterwegs sind. Ein Ausfall kann erhebliche Schäden verursachen, sodass DB Cargo die Loks mit Sensortechnik und Echtzeit-Datenanalysen überwacht. Mithilfe von Mustererkennung werden potentielle Schäden frühzeitig entdeckt und Ausfall-Folgekosten somit vermieden.

youtu.be/zVJ-Z66wH7I Marketing und Vertrieb: Vor allem dieser Funktionsbereich profitiert stark von den über Smart Services ermittelten Daten. Dabei handelt es sich nicht um herkömmliche Marktforschungsdaten, sondern um tatsächliche Nutzungsdaten. Verantwortliche können nun erstmals erfahren, auf welche Weise Produkte tatsächlich eingesetzt werden und wie Marketing-Aktionen wirklich funktionieren. Dadurch ist eine bessere und zielgenaue Ansprache von Kundensegmenten möglich. Darüber hinaus etabliert ein Smart Service eine permanente Kommunikation mit dem Kunden. Sie kann zum einen für Marketingzwecke, zum anderen aber auch als „Rohstoff“ für die Produktentwicklung genutzt werden. Letztlich können Marketing und Vertrieb daraus neue Geschäftsmodelle entwickeln, die zu einer Familie aus verknüpften Produkten und Services führt. Aftersales-Service: Automatisierte Dienstleistungen wie Überwachung oder Wartung können sowohl bei den Anbietern als auch bei den Benutzern von Smart Services Kosten sparen. Vor allem im Maschinenbau können smarte Produkte durch Fernwartung deutlich komfortabler betreut werden, sodass Techniker nur noch selten vor Ort erscheinen müssen. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, über Predictive Maintenance Ausfälle bereits im Vorhinein zu erkennen und die entsprechenden Reparaturmaßnahmen einzuleiten, sodass es nicht zu Ausfallzeiten kommt. Mit AR-Brillen kann durch die Übertragung von Reparaturinformationen Wartung und Reparatur deutlich beschleunigt werden. Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, auf der Basis der vernetzten Produkte neue, Value-Added Services zu entwickeln. Security: IoT-Sicherheit und Datenschutz müssen von Anfang an bei der Entwicklung von Smart Services berücksichtigt werden. Themen wie Datenverschlüsselung, Abhörsicherheit, Diebstahlschutz oder Abwehr von Cyberangriffen gehören ebenso zu den neuen, smarten Produktfähigkeiten wie andere Merkmale. Sie werden aber auch selbst zum Produkt, wie beispielsweise die intelligente Türklingel Ring, die mit einer Videokamera ein Bild des Besuchers auf ein Smartphone überträgt und somit auch eine Kommunikation bei Abwesenheit des Hausbesitzers erlaubt. (Siehe „Security By Design – Nie wieder Bad Services“ auf Seite 162ff.) In letzter Konsequenz bewirkt die Entscheidung für oder gegen bestimmte Features und Funktionen der smarten Produkte und Services eine Transformation des gesamten Unternehmens.91 Anbieter von Smart Services sind ein Hybrid aus einem traditionellen Hersteller in der Industrieproduktion und einem Unternehmen der Digitalwirtschaft, das sich mit Themen wie Software und Cloud beschäftigt. 91 Porter 2015

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ThyssenKrupp Elevators hat ein cloudbasiertes, intelligentes Anlagen-Überwachungssystem entwickelt. Die Cloud-Anwendung meldet potentielle Störungen frühzeitig selbst, bevor es zu echten Problemen kommt und die Anlage ausfällt. Der Vorteil eines solchen Systems: Die Techniker können den Aufzug aus der Ferne in den Diagnose-Modus versetzen und genau herausfinden, welche Probleme aufgetreten sind. Anschließend wird ein Monteur zielgerichtet zu den Kunden geschickt und hat direkt die richtigen Ersatzteile dabei.

youtu.be/wHHaqgONRSQ

Smarte Services verändern viele Branchen und Bereiche. In Smart Factories optimieren und automatisieren vernetzte Maschinen die Produktion. In der Logistik entstehen Möglichkeiten zur Echtzeitverfolgung von Waren. Marketing-Verantwortliche erfahren, auf welche Weise Produkte tatsächlich eingesetzt werden. Dadurch ist eine bessere und zielgenaue Ansprache von Kundensegmenten möglich. Automatisierte Aftersales-Services wie Überwachung oder Wartung können Kosten senken. Voraussetzung für den Erfolg sind allerdings IoT-Sicherheit und Datenschutz.

Die Transformation erfasst das ganze Unternehmen – Ein Reifegradmodell Smart Produkts, Smart Services, Big Data, datengetriebene Geschäftsmodelle – alle diese Elemente sind Teil eines viel größeren Wandels in den Unternehmen, der meist unter dem Stichwort „Digitalisierung“ oder „digitale Transformation“ läuft. In vielen Unternehmen tauchen an dieser Stelle wichtige Fragen auf: »»Wie können wir das Thema digitale Transformation richtig angehen? »»Wo ist unser Startpunkt? »»Welche Fähigkeiten haben wir bereits? »»Welches Zielbild wollen wir verwirklichen? »»Welche Fähigkeiten benötigen wir dafür? Um diese Fragen beantworten zu können, müssen Unternehmen zunächst ihre digitalen Fähigkeiten gezielt auf den Prüfstand stellen. In einem Assessment sollten sie ihren Status in zweifacher Hinsicht überprüfen: Erstens ermittelt die Prüfung die Außensicht entlang der digitalen Kontaktpunkte, wobei zusätzlich ein Benchmark mit Wettbewerbern sinnvoll ist. Zweitens ermittelt das Assessment die Innensicht auf der Basis eines Reife­ gradmodells. Das hierfür benutzte Modell hat mind digital zusammen mit dem Research Center for Digital Business an der Hochschule Reutlingen entwickelt. Es positioniert jedes Unternehmen auf einer Skala von 0 (Neuling) bis 100 (Meister). Die Werte werden auf der Basis von ausführlichen Befragungen der Führungskräfte auf unterschiedlichen Ebenen ermittelt. Entsprechend Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND

TREND

neu gestalten erweitern

Neu eServices mit

Efficiency-driven

Neue Services mit

Radical

erweiterten

Transformer

erweiterten

Kompetenzen

„Doing both“

Kompetenzen

erweitern

Neuausrichtung des Betriebsmodells

Betriebsmodell oder Nutzenversprechen neu ausrichten?

erweiterten

Transformers

Kompetenzen

Neue Services mit

Produktdaten

erweiterten

monitoren

Kompetenzen

Optimieren (12 Monate) Quelle: mind digital

Erweitern (12 -36 Monate)

Digital Savy Avantgarde

Neue Services mit

Customer Centric Innovation

neu gestalten (36 – 72 Monate)

Neuausrichtung des Nutzenversprechens

5. Kultur: Treibender Faktor für die Transformation ist die Unternehmenskultur, die in Richtung kooperativer Zusammenarbeit, flacher Hierarchien und Agilität entwickelt werden muss. Doch eine Unternehmenskultur lässt sich nicht „managen“, sondern nur positiv irritieren („Flippen statt wandeln – Organisationen konstruktiv irritieren“ auf Seite 148 ff.). Zwar sind zahlreiche mittelständische Unternehmen vergleichsweise offen und agil, doch der Einfluss der Unternehmenskultur auf die Digitalisierung wird oft unterschätzt. 6. Mitarbeiter: Das vorhandene Personal hat häufig nicht die notwendigen Qualifikationen. Hier ist eine umfassende Weiterbildung der Mitarbeiter sowie die Neueinstellung von Experten aus den Bereichen Software Engineering, UI/UX-Entwicklung und Systemintegration notwendig. Darüber hinaus erfordert die Gestaltung von datenbasierten Services Datenanalysten (Data Scientists), die den Service auch tatsächlich in Betrieb setzen können.

des Reifegrads ergeben sich aus dem Modell die bereits vorhandenen und die noch zu schaffenden Fähigkeiten und Ressourcen.

7. Steuerung: Ein Unternehmen benötigt drei zeitliche Horizonte, um das Portfolio der smarten Produkte und Services zu organisieren.

Der digitale Reifegrad eines Unternehmens wird anhand von acht Dimensionen bestimmt:

a) 12 Monate – Optimieren: In diesem Zeithorizont werden alle bestehenden Produkte und Services (die Umsatzträger) inkrementell verbessert und optimiert, sodass sie die Kundenanforderungen exzellent erfüllen. b) 12 bis 36 Monate – Erweitern: Innerhalb dieser Frist werden Wachstumsthemen angegangen, bestehende (und neue) Produkte und Services werden ausgebaut und skaliert. c) Mehr als 36 Monate – Neu gestalten: Innovation erfordert eine längerfristige Aufmerksamkeit. Es handelt sich hierbei um Themen, bei denen das Unternehmen eine Wette auf die Zukunft eingeht und Hypothesen testet. Es ist zwar noch unbekannt, wer der nächste große Umsatzträger sein wird, aber es ist für ein Unternehmen sehr gefährlich, sich nicht auf die Zukunft auszurichten.

1. Strategie: Ein weit verbreitetes Problem in den Unternehmen ist das Fehlen einer digitalen Strategie. Oft gibt es zwar bereits eine Reihe von Digitalisierungsprojekten, aber keinen Plan, wie diese Projekte unter einem strategischen Ziel zusammengeführt werden. Ohne eine übergreifende Strategie wird die Digitalisierung sehr wahrscheinlich scheitern. 2. Führung: Häufig hat die digitale Transformation auch keinen „Owner“ im Unternehmen, also keine mit dem Thema befasste Führungskraft. Empfehlenswert ist die Schaffung einer Position, beispielsweise eines „Chief Digital Officer (CDO)“, der sich ausschließlich um den digitalen Wandel kümmert und auch über die entsprechenden Durchgriffsrechte auf die Fachbereiche verfügt. 3. Produkte und Services: Vielen Unternehmen fehlt es an Innovationsfähigkeit und methodischem Wissen über das Design von smarten Services. In Kapitel 3 dieser Studie findet sich eine umfassende Beschreibung der verschiedenen Vorgehensmodelle für die Entwicklung von Smart Products & Services. 4. Geschäftsprozesse: In dieser Dimension sind zahlreiche Unternehmen recht weit fortgeschritten, sie besitzen bereits sehr effiziente und oft 42

auch (teil-)digitalisierte Prozesse. Allerdings gibt es sehr viele lose Enden, da die Digitalisierungsprojekte auf unterschiedliche Bereiche wie Marketing oder Vertrieb verteilt sind. Häufig fehlen die passenden Schnittstellen und eine durchgängige Digitalisierung aller Prozesse ist noch weit entfernt.

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Die Unternehmen sollten ihr Budget so nutzen, dass sie innerhalb eines bestimmten Zeitraums möglichst viele Experimente verwirklichen können. Nur so können Unternehmen herausfinden, welche Innovationen tatsächlich zu Wachstumsthemen werden und innerhalb des zweiten Zeithorizonts zu erfolgreichen Produkten und Services skaliert werden können. 8. Technologie: Zahlreiche Unternehmen haben keine zukunftsfähige IT-Organisation, denn es müssen noch die Grundlagen für die digitale Transformation gelegt werden. Zum einen sollten die Business-Support-Systeme so angepasst werden, dass die Geschäftsprozesse Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND

TREND durchgängig digital gestaltet werden können. Zum anderen muss das Unternehmen die Fähigkeit zur agilen IT aufbauen und in der Lage sein, mit DevOps-Teams die Digitalisierung zu begleiten. Das Problem ist oft die Ausrichtung der IT auf die herkömmlichen Release-Zyklen von 24-36 Monaten. Doch smarte Produkte und Services erfordern viel kürzere Zyklen von 3-6 Monaten. Erstens müssen angesichts der gestiegenen Dynamik in der Digitalisierung Produkte in viel schnellerer Folge entwickelt werden. So dauert es typischerweise drei Monate bis zum Proof of Concept und sechs Monate bis zum marktfähigen Produkt oder Service. Zweitens müssen ICT-basierte smarte Produkte und Services kontinuierlich weiterentwickelt werden, beispielsweise aufgrund von Kundenanforderungen oder Erkenntnissen über ihren praktischen Einsatz.92 Die Erfahrung zeigt, dass der Reifegrad der Unternehmen sehr unterschiedlich ist, dass es aber auch eine Gemeinsamkeit gibt: Sehr häufig ist das Betriebsmodell deutlich stärker digitalisiert als das Kundenerlebnis bzw. das Nutzenversprechen. Ein typisches Beispiel ist die Autoindustrie: Ihre Produktionsstätten gelten gemeinhin als Vorreiter in der Industrie 4.0, da sie sehr stark auf Industrial Internet, Automatisierung oder zum Teil sogar IoT-Anwendungen setzen. In ihren Produkten hat sich dies allerdings nur in Ansätzen niedergeschlagen. Der größte Teil der im Moment angebotenen Modelle hat längst nicht den Connected-Car-Komfort wie beispielsweise das Tesla Model S, bei dem Funktionen via Internet nachgerüstet werden. Bei der Entwicklung einer Digital- und Innovationsstrategie wählen die Unternehmen mehrheitlich eine von zwei Strategien. Sehr viele Unternehmen entscheiden sich zunächst für die Neuausrichtung des Betriebsmodells, also einer Ende-zu-Ende-Digitalisierung der Wertschöpfung. Hier entstehen (in gewissen Grenzen) neue Geschäftsmodelle als Nebenprodukt, doch die Digitalisierungsstrategie wird vorwiegend an Effizienzkriterien ausgerichtet. Ein zweiter Digitalisierungspfad geht den Weg über die Erweiterung des Nutzenversprechens an den Kunden, etwa durch Ergänzung der bestehenden Kernprodukte durch digitale Services oder Ergänzung des eigenen Geschäftsmodells durch neue Produkte. Ein gutes Beispiel hierfür ist Claas (Siehe „Die Evolution vom Produkt zum Ecosystem – Der Einstieg in die Plattform-Ökonomie“ auf Seite 45ff.), die auf der Basis ihres Kerngeschäfts erweiterte digitale Dienste anbieten und ihr Produktportfolio zu einem Ecosystem ausbauen. Der dritte Digitalisierungspfad vereint beide Wege und ist in der Abbildung die Diagonale. Diesen Weg der radikalen Transformation gehen nur sehr wenige Unternehmen, da er äußerst anspruchsvoll ist und eine Vielzahl an Ressourcen erfordert.

Claas: Digitale Transformation in der Landwirtschaft Product

Product System

Smart Connected Product

Product System

Product System

Tractor Fleet

Tillers

Farm Equipment

Combine Harvesters

Farm Equipment System

Planters

Weather Farm Irrigation Mgmt. System Data System System Platform Seed Optimization System

Quelle: Claas

Der Aufbau datenbasierter Smart Services ist Teil der digitalen Transformation. Viele Unternehmen fragen sich, an welchem Punkt des digitalen Wandels sie stehen und wie sie die Transformation beginnen sollen. Anhand eines Reifegradmodells lässt sich zeigen, dass die digitale Entwicklung der Unternehmen sehr unterschiedlich ist. Dabei ist das Betriebsmodell oft stärker digitalisiert als das Kundenerlebnis. Hieraus ergeben sich drei Digitalisierungspfade: über das Betriebsmodell, über das Nutzenversprechen oder über beide Wege. Diesen Weg der radikalen Transformation gehen allerdings nur wenige Unternehmen.

Die Evolution vom Produkt zum Ecosystem – Der Einstieg in die Plattform-Ökonomie Die Unternehmen des Industriezeitalters haben Produkte verkauft – von ganz einfachen Dingen wie Eimern bis hin zu extrem komplizierten Geräten wie Autos. Wer auch heutzutage noch, zumindest in der westlichen Welt, in der Industrieproduktion bleiben will, muss sich wandeln – vom Hersteller einzelner Produkte zum wichtigen Knotenpunkt in einem eigenen Ecosystem. Letzteres ist ein Komplex aus smarten Produkten und Services, die sich untereinander ergänzen und in der Gesamtheit für die Kunden einen erheblichen Nutzen bringen. Dabei gehören zu einem modernen, digitalen Ecosystem auch andere Anbieter, die über Programmierschnittstellen (APIs) auf Teile des Microsystems zugreifen können und den Gesamtnutzen für die Anwender durch ihre eigenen Produkte und Services erweitern.

92 Interview Pereira, Q-Loud

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Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TREND

TREND Smarte Produkte vernetzen und zu einem Ecosystem ausbauen Ein interessantes Beispiel für die Entwicklung von einem Produktanbieter zu einem Anbieter im Rahmen eines Ecosystems ist der Landmaschinenhersteller Claas. Das 1913 gegründete Unternehmen ist Markt- und Technologieführer in der Erntetechnik und bietet darüber hinaus Traktoren sowie weitere Landwirtschaftstechnik wie Ballenpressen oder Heuwender an. Doch Claas hat sich von dieser noch stark an die traditionelle Industrieproduktion orientierten Beschreibung seiner Produktpalette inzwischen weit entfernt. Keimzelle für das Claas-Ecosystem ist ein Produkt, das bereits in seiner Urform sehr vielseitig ist: Der Traktor. Claas hat sehr früh angefangen, seine Traktoren zu Smart Products auszubauen, etwa durch Bordcomputer, die Fahrdaten, Angaben über die bearbeiteten Flächen und ähnliche Statistiken anzeigen. Der nächste Schritt kam im Zeitalter des rasant wachsenden Mobilfunks: Traktoren als Smart Connected Products, die beispielsweise Angaben über die zu bearbeitenden Flächen sowie die auszubringenden Mengen an Saatgut oder Dünger über Mobilfunk erhalten. Dadurch ersparen sich die Landwirte komplizierte Briefings mit den Fahrern und können jederzeit nachweisen, wo welche Mengen an Dünger, Saatgut oder anderen Stoffen ausgebracht wurden. Der nächste Schritt ist das Ecosystem: Es umfasst eine ganze Palette an vernetzten Fahrzeugen, die mit der Cloud verknüpft sind und mit ihr Daten austauschen. Dadurch können einerseits alle wichtigen Daten über Erntemengen usw. vom Landwirt jederzeit kontrolliert werden, andererseits ist eine präzise Steuerung der Fahrzeuge möglich. So werden Ladewagen genau dann zu den Mähdreschern geleitet, wenn der entsprechende Füllstand erreicht ist. Die Entwicklung des Ecosystems geht bis hin zu GPS-gesteuerten Assistenzsystemen, mit deren Hilfe mehrere Mähdrescher zentimetergenau nebeneinander fahren und mit höchster Effizienz ernten können.

Ecosysteme: Produkte, Software und Services Eine ähnliche Entwicklung vom reinen Produkt zum Ecosystem hat beispielsweise Tesla Motors, der Hersteller von Elektroautos, vorangetrieben. Noch vor einem Jahrzehnt waren die meisten Autos reine Produkte, lediglich einige Premium-Hersteller haben smarte Produkte hergestellt, etwa Autos mit Bordcomputer und integrierten Navigationssystemen. Der nächste Schritt ist dann das Connected Car, das allerdings von den Traditionsherstellern bisher nur in Ansätzen verwirklicht worden ist. Tesla Motors jedoch ist sofort den Schritt zu einem Ecosystem gegangen. Es hat darin die einzige Chance gesehen, mit dem Model S in den Markt der Premiumfahrzeuge einzudringen. Das Tesla-Ecosystem zeigt, dass nicht nur Software der Bestandteil ist, sondern auch ein smarter Service spezieller Art: Das von Tesla in eigener Regie aufgebaute Netz aus anfänglich kostenlosen Schnellladestationen in für die Reichweite des Tesla S geeigneten Abständen. Darüber hinaus trägt das Modell S selbst alle Merkmale eines modernen Smart Cars: Es ist umfassend vernetzt, kann mit einem Tablet-artigen Bordcomputer-Display bedient werden und erhält über Mobilfunk Software-Aktualisierungen, aber auch neue Funktionen wie beispielsweise die „Autopilot“ genannte Kollektion aus Assistenzsystemen.

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Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Der Triebwerkshersteller Rolls-Royce hat ebenfalls ein Ecosystem aufgebaut, das die Turbinen durch hochmoderne Supportservices ergänzt. Das Unternehmen hat seine Triebwerke mit Sensoren aufgerüstet, die permanent Echtzeitdaten ermitteln und dadurch Aufschluss über den Status der Systeme geben. Ein Rechenzentrum wertet alle Daten aus und ermöglicht dadurch den frühzeitigen Austausch fehlerhafter oder abgenutzte Bauteile. Mithilfe von Vor-Ort-Serviceeinheiten können nun Techniker am jeweiligen Standort eines Flugzeuges die Teile entsprechend austauschen – auch wenn sich die Maschine nicht im Heimatflughafen befindet. Der Vorteil für die Betreiber: Die Wartungskosten sinken und gleichzeitig steigt die „Air Time“ der Flugzeuge. Rolls Royce erweitert sein Service-Ecosystem ständig, unter anderem durch neue Wege in der technischen Dokumentation, um den Ingenieuren die Wartung zu erleichtern. So wird für die neueren Triebwerke die Dokumentation weder gedruckt noch als PDF ausgeliefert, sondern in Form einer 3D-App auf dem iPad, sodass die Techniker sich schneller über die Lage von Bauteilen orientieren können. Ein Unternehmen, das in der Industrieproduktion bleiben möchte, muss sich wandeln. Es muss zu einem wichtigen Knotenpunkt in einem eigenen Ecosystem werden, das aus smarten Produkten und Services besteht, die sich untereinander ergänzen und in der Gesamtheit für die Kunden einen erheblichen Nutzen bringen.

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IMPACT

­Megatrends Across Gartner 2016 Hype Cycles

Expectations

Digital Business Technologies (lo T, Blockchain , Wearable, 3D Printing, Digital Workplace)

Artificial lntelligence (Smart) Technologies

New Design and Innovation Approaches

Cloud, Mobile Social, Information Technologies

As of August 2016

Innovation Trigger

Peak of lnflated Expectations

Innovation Trigger

Slope of Enlightenment

Plateau of Productivity

Time Quelle: Gartner.com

Das Internet of Things (IoT) ist noch in einem frühen Stadium, wird aber in absehbarer Zeit eine größere Marktdurchdringung erreichen. Der obenstehende Gartner Hype Cycle zeigt eine Reihe von Megatrends, die zurzeit die Diskussion über digitale Technologien bestimmen. Daran zeigt sich, dass Themen wie Social, Mobile und Cloud bereits sehr weit fortgeschritten sind und das „Plateau der Produktivität“ erreicht haben. Wichtige Digitaltechnologien für Smart Services wie Artificial Intelligencewie Artificial Intelligence haben diese Entwicklung allerdings noch vor sich: Es wird von ihnen sehr viel erwartet, aber es ist in weiten Teilen unklar, welche Teiltechnologien sich tatsächlich langfristig durchsetzen werden und zu belastbaren Geschäftsmodellen führen.

Auf der Welle des Hypes: Das IoT als lernender Markt

IMPACT: Wie Smart Services Branchen verändert

Angesichts der aktuellen technologischen Entwicklungen kann man davon ausgehen, dass beim Internet der Dinge das „Plateau der Produktivität“ erst in einigen Jahren erreicht wird. Trotzdem gibt es bereits sinnvolle Anwendungen, die produktiv eingesetzt werden können und sich deshalb verbreiten – allerdings zuerst nur bei privaten und gewerblichen Anwendern, die sehr stark an innovativen Technologien interessiert sind. Nach der Diffusionstheorie von Rogers setzen sich technische Innovationen schrittweise durch. Sie erobern zunächst die sehr kleine Gruppe der Innovatoren, die sich stark von Neuerungen angezogen fühlen und auch unreife Produkte (als Betatester) gerne ausprobieren. Bei zunehmender Verbesserung der Produkte erweitert sich die Marktabdeckung auf Early Adopters, die früh die Vorteile einer neuen Technologie erkennen und sie nutzen wollen. Genau diese Situation ist nun beim IoT erreicht. Der Massenmarkt ist noch nicht erobert, aber erste Vorreiter sammeln bereits Erfahrungen. Dazu Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT

Wirtschaftsindex Digital 2016 nach Branchen

IoT – Ein lernender Markt We are here

Early Majority

THE CHASM

Late Majority

Early Adopters

Innovators

Learning Market

Laggards

Scaling Market

Quelle: mind digital

Quelle: Kantar TNS (ehem. TNS Infratest)

gehören nicht nur die Nutzer, sondern auch die Hersteller und Anbieter. In dieser Phase werden wichtige Erkenntnisse über die Funktion und den Aufbau von smarten Produkten und Services gesammelt, die zu ihrer Verbesserung dienen. Kurz: Das IoT ist im Moment noch ein lernender Markt. Das IoT ist ein lernender Markt. Die Vorreiter unter den Anbietern und Herstellern sammeln jetzt wichtige Erkenntnisse über smarte Produkte und Services, die ihnen Vorteile im Markt verschaffen.

Early Adopter in allen Branchen Viele Unternehmen beginnen im Moment, ihre Produkte zu smarten, vernetzten Produkten auszubauen. Dieser Prozess lässt sich am besten mit dem Begriff Smartification von Produkten und Services erfassen. Die Entwicklung ist noch am Anfang, aber es werden immer mehr intelligente Dinge miteinander vernetzt. Wer jetzt auf das Internet der Dinge setzt und dafür smarte Produkte und Services schafft, gehört zu den Early Adoptern: besonders innovationsfreudige Unternehmen, die frühzeitig die Bedeutung des IoT für ihre Geschäftsmodelle erkannt haben. Ein erstes Merkmal der Smartification ist die gewachsene Datenmenge. Durch die heute verfügbaren Sensoren und Kleincomputer können Unternehmen deutlich mehr Daten ermitteln, als dies bisher der Fall war. Üblicherweise entstehen Daten in Unternehmen entlang der unterschiedlichen Prozesse, also beispielsweise beim Einkauf, im Vertrieb oder bei der Wartung. Durch die Smartification liefern nun auch die Produkte erstmals große Mengen an Daten, die üblicherweise in Zentralsysteme in der Cloud überführt werden. Ein weiteres Merkmal der Smartification ist die enorme Transparenz. Die Unternehmen verfügen damit über Daten zu allen Merkmalen ihrer Kunden sowie Nutzungsweisen ihrer Produkte, die früher nur sehr umständlich und nur näherungsweise (Marktforschung) ermittelt werden konnten. Diese 50

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Transparenz ist eine gute Basis, um diese Produkte zu verbessern, die Kundenbedürfnisse deutlicher zu erkennen und ganz generell ein Ansatz der Customer Centricity zu verwirklichen. Bereits jetzt lassen sich die vielfältigen Möglichkeiten für alle Branchen erkennen. Einer Studie von Kantar TNS (ehem. TNS Infratest) zufolge ist der Digitalisierungsfortschritt in Deutschland selbst in Branchen, die schon immer einen digitalen Charakter hatten, durchaus verbesserungsbedürftig. Zwar haben in den letzten beiden Jahren alle Branchen zugelegt, doch das Gros ist lediglich durchschnittlich digitalisiert. Schwierig für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland könnte es sein, dass landläufig als innovativ bekannte Kernbranchen wie Maschinenbau oder Fahrzeugbau sowie das sonstige verarbeitende Gewerbe hier eher schlecht wegkommen. Smarte Produkte und Services als Geschäftsmodell beginnen sich erst langsam durchzusetzen und werden nur von einigen Vorreitern in einer marktfähigen Version angeboten. Wegen ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit gehören einige Konzerne (u. a. Bosch, Continental, Siemens, Telekom) zu den ersten Anbietern und Nutzern von Smart Services. Der Mittelstand ist eher zurückhaltend, hat aber bereits mit der Aufholjagd begonnen. Angesichts der mindestens ein halbes Jahrzehnt andauernden Diskussion um den digitalen Wandel wäre hier etwas mehr Engagement gefragt. Trotz der Zurückhaltung in Deutschland entwickelt sich das Internet der Dinge weltweit stark weiter. Während im Jahr 2015 etwa 15 Milliarden Produkte weltweit mit dem Internet verbunden waren, sollen es bis 2020 doppelt so viele sein. 50% der Smart Products haben ihren Ursprung derzeit in den Bereichen Consumer- und Haustechnik, 25% in Mobilitätsbranche und 20% im Industriesektor. Diese Branchen gehören somit zu den Early Adoptern und nutzen die Potenziale des IoT. Es verändert aber auch Wirtschaftsbereiche, in denen digitale Technologien bisher eine untergeordnete Rolle spielten. Die durch die Digitalisierung herbeigeführten Veränderungen hängen nach Deloitte im Wesentlichen von den zwei Faktoren Einflussstärke Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT

Disruption Map nach Industrien

IoT-Marktpotenzial nach Branchen Smart Home 200 – 350 Mrd.

Smart Mobility 210 – 740 Mrd.

Smart City 930 Mrd. – 1,7 Bil.

Smart Building 70 – 150 Mrd.

9 Bedarfsfelder in 2025 3,9 – 11,1 Bio. / Jahr

Smart Logistics

Smart Retail

560 – 850 Mrd. Smart Health 170 Mrd. – 1,6 Bil. Quelle: Deloitte Digital 2015

Smart Work 160 Mrd. – 930 Mrd.

410 Mrd. – 1,2 Bil.

Quelle: Mc Kinsey, 2015

(ausgedrückt in Prozent des Wandels am bestehenden Geschäft) und Zeitverlauf ab. Dementsprechend lässt sich eine „Disruption Map“ erstellen, welche die Einflussfaktoren Zeitverlauf („Lunte) und Einflussstärke („Knall“) wiedergibt. Vor allem Branchen im Feld „Kurze Lunte, großer Knall“ müssen sich in absehbarer Zeit einem hohen disruptiven Einfluss stellen. Die Digitalisierung führt zu sinkenden Markteintrittsbarrieren und erlaubt es zudem branchenfremden Unternehmen, bestehende Geschäftsmodelle infrage zu stellen. Dies ist eine existenzielle Gefährdung für etablierte Unternehmen. Aus diesem Grund sehen sich Unternehmer mit der Frage konfrontiert, ob sie ihre eigene Firma oder die Branche, in welcher sie agieren, selbst disruptiv verändern müssen. Dies bedeutet nicht, dass ihre bisherigen Stärken sowie ihre bestehenden Geschäftsmodelle komplett unbedeutend geworden sind. Vielmehr müssen sie die Voraussetzungen, die zum Erfolg beigetragen haben, nutzen ... und den Akt der Wertschöpfung einer eingehenden Prüfung unterziehen. Hierbei werden dann neue Wertschöpfungspotenziale sowie Schwachstellen aufgedeckt. Auf dieser Basis kann die digitale Transformation vollzogen werden. Mit dem IoT beginnt die Smartification, der Aufbau von intelligenten, vernetzten Produkten und Services. Innovationsfreudige Unternehmen erkennen frühzeitig die Bedeutung für ihre Geschäftsmodelle und werden zu „Early Adoptern“. Sie wissen: IoT und Digitalisierung verändern ohne Ausnahme jede Branche, wenn auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität. Die Digitalisierung senkt zudem die Markteintrittsbarrieren und erlaubt es branchenfremden Firmen, bestehende Geschäftsmodelle anzugreifen.

Wachstumspotenziale dank IoT Im Jahr 2013 gab McKinsey an, dass das IoT das Potenzial hätte, bis 2025 mit 2,7 bis 6,2 Billionen US-Dollar jährlich zur Wirtschaft beizutragen. 52

Smart Factory 1,2 – 3,7 Bil.

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Diese Zahlen hat McKinsey mittlerweile sogar nach oben korrigiert: Demnach soll der ökonomische Einfluss des IoT im Jahr 2025 zwischen 3,9 und 11,1 Billionen US-Dollar liegen. Die Zahlen von IDC kommen zu einer ähnlichen Prognose. Hier soll das Umsatzpotenzial durch IoT bei 7,1 Billionen US-Dollar im Jahr 2020 liegen. Die Trends, Potenziale und Geschäftsmodelle einiger ausgewählter Branchen mit großer Bedeutung für die deutsche Wirtschaft sollen hier im Überblick dargestellt werden. Dabei wird nicht auf die in der Grafik dargestellten Bereiche „Smart Work“ und „Smart City“ eingegangen, da sie eher Querschnittthemen sind. Ergänzt wird die Betrachtung durch einen Blick auf die Versicherungsbranche, die in Deutschland traditionell recht stark ist und eine große Bedeutung in der Binnenwirtschaft hat. Das Potenzial des IoT ist enorm: Experten sprechen von bis zu 11 Billionen Dollar Umsatz 2025. Dabei werden die einzelnen Branchen unterschiedlich stark wachsen.

Smart Health Das vielleicht größte Nutzenpotenzial des IoT liegt im Bereich Healthcare. Hier gibt es einen sehr wichtigen Trend, der häufig unter dem Begriff Quantified Self auftaucht. Gemeint ist damit das gezielte „Self-Tracking“ oder Überwachen der eigenen Person mithilfe digitaler Technologien. Der menschliche Körper erzeugt laufend messbare Bio-Signale (zum Beispiel gelaufene Schritte, Aktivitäten und andere Vitalwerte), welche die Anwender im IoT via Sensoren erfassen können. Der große Nutzen ist hierbei ein durch die Analyse der Daten resultierender Erkenntnisgewinn, der einerseits einer Person helfen kann, ihre Gesundheit zu verbessern, und andererseits Ärzten ermöglicht, kranke Patienten besser zu diagnostizieren oder zu überwachen. Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT Diese Möglichkeiten haben mit Sicherheit disruptiven Charakter und werden nicht nur die Gesundheits-, sondern auch die Versicherungsbranche verändern.

Trends und Potenziale im Smart-Health-Bereich Wenn Patienten sich selbst überwachen und somit eigenständig gesundheitliche Probleme lösen können, gibt es ein großes Potenzial von Kosteneinsparungen, z.B. indem Krankenhausaufenthalte vermieden werden. Vor allem bei chronischen Krankheiten geht McKinsey von Einsparpotenzialen von 10 bis 20% durch das IoT aus. Da Ärzte und Krankenschwestern auf Echtzeit-Daten der Patienten zugreifen können, soll zudem eine Zeitersparnis für jeden Arzt bzw. jede Pflegekraft von 30 Minuten bis einer Stunde pro Tag möglich sein. Dementsprechend kann das IoT im Gesundheitsbereich nicht nur das Individuum unterstützen, seine Gesundheit selbst zu „managen“, auch die Kommunikation mit Ärzten und Betreuern kann nutzbringender gestaltet werden. Im Bereich Smart Health werden vor allem die Innovativen disruptiven Charakter haben, die das Leben der Menschen positiv beeinflussen und verändern können. So können Erkrankungen präventiv behandelt werden, bevor diese überhaupt ausbrechen. In Zukunft muss man also nicht mehr darauf warten, sich unwohl zu fühlen, sondern kann bei ersten Anzeichen im Körper reagieren, die man ansonsten (noch) gar nicht wahrnehmen würde. In einem ersten Schritt monitoren Wearables somit die wichtigsten Körperfunktionen sowie in Teilbereichen spezifische Werte (z.B. Kontaktlinsen, die den Blutzuckerspiegel von Diabetes-Patienten messen) und schlagen bereits vor dem ersten Unwohlsein Alarm. Analyse-Software kann dem Patienten dann raten, ob er zur Apotheke gehen oder einen Arzt aufsuchen sollte. In dringenden Fällen wird das Programm autark und verständigt automatisch den Notdienst. Die im Moment größte Marktbedeutung haben Wearables, die dem Bereich Sport/Lifestyle angehören, beispielsweise Smartwatches und Fitness-Armbänder. Laut dem „IDC Worldwide Quarterly Wearable Device Tracker“ wurden 2016 insgesamt 102 Millionen Armbänder, Uhren und andere tragbare Gadgets verkauft. Bis 2020 soll der Markt noch mal deutlich auf etwa 220 Millionen Einheiten wachsen, wobei smarte Uhren und Fitness­ armbänder mit annähernd 70 Prozent den deutlich größten Anteil ausmachen. Hinzu kommt die noch größtenteils eher experimentelle Smartwear, bei denen die Monitoring-Funktionen direkt in die Kleidung integriert sind.

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Fallbeispiel

OMSignal – Biometric Smartwear Bei OMSignal Biometric Smartwear handelt es sich um ein Sportshirt, in das Sensoren eingearbeitet sind, die sozusagen ein EKG durchführen. Sie messen die Atmung (Frequenz, Volumen, Zielzonen), Aktivität (Schrittanzahl und Distanz) und Kalorienverbrauch. Eine kleine schwarze Box sammelt die Daten vom Shirt und überträgt sie auf das Smartphone des Nutzers per Bluetooth. Das Shirt sitzt wie eine zweite Haut und soll damit die Blutzirkulation und die Muskelerholung fördern und ist außerdem wetterresistent.

youtu.be/MDa_af2pAdo Werden in einem zweiten Schritt die Wearables durch „Under-the-Skin“IoT-Devices ersetzt, erfolgt die Analyse noch genauer. Wenn darüber hinaus im dritten Schritt die IoT-Medizin-Devices als Nanosonden den Körper von innen heraus überwachen, werden auch viele Arztbesuche entfallen, weil diese Nanosonden oft selbst die Behandlung übernehmen können. Klingt utopisch? Google hat die Medizintechnik als ein großes Zukunftsfeld identifiziert und arbeitet bereits an Nanopartikeln, die Krebs heilen sollen. Einen sehr starken Einfluss wird das IoT im Bereich Healthcare haben. Durch die Aufzeichnung von Körperfunktionen und anderen Daten mit kleinen IoT-Geräten gibt es neue Möglichkeiten in der Diagnostik und der Prävention.

Neue Geschäftsmodelle im Smart-Health-Bereich Die wichtigsten und aktuell am weitesten verbreiteten Geschäftsmodelle im Healthcare-Bereich drehen sich um Wearables. Gemeint sind Accessoires oder Kleidungsstücke, die mit einer digitalen Technologie ausgestattet sind. Sie gliedern sich nahtlos in den alltäglichen Gebrauch des Nutzers ein. Beispiele für bereits seit einigen Jahren im Alltag erprobte Wearables sind die Fitnessarmbänder Fuelband und FitBit oder das Ralph Lauren Polotech-Shirt. Vor allem die Sportartikelhersteller Nike, Adidas und UnderArmour nutzen Wearables, um wiederum ein besseres Nutzenerlebnis oder eine höhere Effektivität ihrer anderen Produkte zu erreichen. Hierbei entstehen positive Verbundeffekte.

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IMPACT

IMPACT Fallbeispiel

Fallbeispiel

Nike+ – Die Plattform für Sportler und Selbstoptimierer

Apple Watch – Der Gesundheitssensor für das iPhone

Mit Nike+ hat Nike sportlich Aktiven eine Möglichkeit geschaffen, ihre Lauf­ aktivitäten zu tracken, zu analysieren und mit Freunden zu teilen. Die Messung erfolgt über Sensoren in den Laufschuhen. Sie zeichnen die Bewegungsdaten des Läufers auf und schicken die Daten dann an das Smartphone oder das Nike-Fitnessarmband „FuelBand”. Die Daten können anschließend auf die Nike+-Plattform hochgeladen werden, wo sich Nutzer austauschen und vergleichen können. Die Plattform bietet daneben auch die Möglichkeit, neue Laufpartner zu finden. Diese Möglichkeiten geben den Nutzern echte Vorteile (Selbstoptimierung, soziale Interaktion) und führen nachweislich zu höheren Abverkäufen der Nike+-kompatiblen Produkte.

Im April 2015 veröffentlichte Apple seine Smartwatch, die über Sensoren zur Messung der Herzfrequenz sowie einen Lage- und Beschleunigungssensor verfügt. Die Apple Watch ist sehr stark auf einen Einsatz im Gesundheits- und Lifestylebereich ausgerichtet. Drittanbieter können Applikationen für die Uhr programmieren, die vor allem auf Freunde des Konzepts Quantified Self zielen. Nach einer anfänglichen Euphorie und etwa 3,6 Millionen verkauften Exemplaren in den ersten drei Monaten kann von einem großen Erfolg bei Early Adoptern gesprochen werden. Es ist jedoch inzwischen fraglich, ob sich die Apple Watch im Bereich Gesundheit und Lifestyle tatsächlich durchsetzen wird. Nach aktuellen Zahlen von IDC (Worldwide Wearable Device Tracker 12/2016) haben die einfachen und kostengünstigen Fitnessarmbänder eine deutlich größere Marktabdeckung.

Auch für Anwendungen dieser Art im Gesundheitsbereich werden Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen in Zukunft vermehrt zusammenarbeiten. Am Beispiel Wearables wird eine engere Verzahnung von Sport, Lifestyle und Technologie bereits deutlich und auch die Kooperation zwischen Institutionen der Gesundheitsbranche, z.B. Krankenkassen und Ärzten, wird weiter zunehmen. Darüber hinaus sind bereits jetzt Smart Products auf dem Markt, die mit Healthcare-Funktionen aufgewertet werden – beispielsweise intelligente Matratzen, die auch der Überwachung von Vitaldaten dienen.

Fallbeispiel

Luna – Matratzenauflage mit Brain Luna ist eine intelligente Matratzenauflage, die mit Smartphone oder Tablet steuerbar ist. Der Nutzer kann die Temperatur für beide Seiten des Betts wählen. Das Bett „lernt“ die Schlafenszeit des Nutzers kennen und bereitet das Bett für die Ankunft des Nutzers vor, indem es sich auf die gewünschte Temperatur vorheizt. Während des Schlafens misst Luna mit mehreren Sensoren die Schlafphasen, den Herzschlag, die Temperatur, das Licht und mit einem Mikrofon eventuelles Schnarchen. Auf dem Smartphone werden diese Auswertungen dargestellt, Unregelmäßigkeiten analysiert und Empfehlungen für die optimale Schlafgestaltung gegeben. Eine weitere Funktion ist der integrierte Smart Alarm, der in Phasen, in denen der Nutzer nur einen leichten Schlaf hat, ausgelöst wird.

youtu.be/VlS5SMVeKn0

Gut denkbar, dass auch in diesem Fall wieder einmal branchenfremde Innovatoren Erfolg haben und bestehende Marktführer gefährden. Denn auch hier versuchen die Big Player aus dem Silicon Valley, in den Markt einzudringen: Apple hat mit seinem Health-Kit eine an die technischen Möglichkeiten des iPhone und der Apple Watch angepasste Schnittstelle geschaffen, die es Anbietern von Healtcare-Software erlaubt, beide Geräte für medizinische Zwecke zu nutzen.

Mit dem Datensammeln allein ist es nicht getan. Die größte Herausforderung liegt für Unternehmen vor allem darin, die gesammelte Vitaldaten in echte Use Cases umzuwandeln, die dem Nutzer helfen, sein Leben auch tatsächlicher gesünder zu gestalten. Denkbar wären etwa personalisierte Dashboards, die Lebensweisen grafisch darstellen und daraus Verhaltensanleitungen ableiten. Ledger/McCaffrey47 definieren den Erfolg von Smart Products und Services im Gesundheitsbereich wie folgt: „The degree to which these devices and services make a long-term impact on their users’ health and happiness.” Eine App, die Aktivitäten misst, aber daraus keine Schlüsse zieht, bietet somit kein ausreichendes Nutzenversprechen und vergeudet Potenzial. Die Autoren nennen neun Basiskriterien, die zu einer erfolgreichen Adaption von Smart Products und Services im Gesundheitsbereich, vor allem aber im Bereich Sport/Lifestyle führen: Alleinstellung, Design, Setup-Möglichkeiten, Tragekomfort, Qualität, Benutzererfahrung, API-Integration, Lifystyle-Übereinstimmung, Gesamtnutzen.48 Nach Ledger/McCaffrey erzeugen diese Kriterien jedoch lediglich ein Basisinteresse und noch keine nachhaltige Marktdurchdringung. Erfolgreich werden Smart Services sein, die drei wichtige Kriterien in ihrer Anwendung berücksichtigen: »»Erfolgreiche smarte Produkte sollten ihren Anwendern dabei helfen, bestimmte positive Verhaltensweisen zu erreichen (und negative zu vermeiden). »»Sie sollten darüber hinaus ihre Anwender durch eine Stärkung der sozialen Motivation unterstützen, beispielsweise durch Wettkampfsituationen (Toplisten) oder eine Verbindung zu Social-Media-Angeboten. »»Ein häufiges Nutzungsszenario ist die Erreichung von bestimmten sportlichen oder gesundheitlichen Zielen. Sie sollten also ein objek­ tives, aber dennoch sehr personalisiertes Feedback geben, um die Motivation bei der Zielerreichung aufrecht zu erhalten.

47 Ledger/McCaffrey 2014, Inside Wearables 48 Ledger; McCaffrey 2014

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IMPACT

IMPACT Diese Dimensionen sind die Werttreiber bei Smart Health. Die Entwicklung wird mit Sicherheit durch ein steigendes Gesundheitsbewusstsein in der Bevölkerung begünstigt werden. Hemmend sind Datenschutz und Datensicherheit. Selbst bei grundsätzlich positiv eingestellten Anwendern wird die Auswertung der Daten und die Übermittlung an den Arzt oder die Krankenversicherung kritisch gesehen. Damit die Chancen von Smart Health nutzbringend realisiert werden können, dürfen sich die zuständigen Unternehmen nicht aus der Pflicht nehmen, sondern müssen vielmehr – vor allem bei sensiblen Nutzerdaten – ihre Aktivitäten hinsichtlich Datenschutz und Datensicherheit in Zukunft noch verstärken. Ein spezieller und hinsichtlich der Datennutzung kritischer Bereich ist das Gesundheitswesen im engeren Sinne, also eine Situation, in denen kleine IoT-Geräte für die permanente Überwachung von Patienten eingesetzt werden, etwa bei chronischen Erkrankungen, zur Nachsorge nach Operationen oder zur Ermittlung diagnostisch einsetzbarer Vitalwerte. In Arztpraxen und Krankenhäusern sind dabei zusätzliche Analytik-Anwendungen möglich, die mit Machine Learning arbeiten und das medizinische Personal bei der Diagnose von Krankheiten unterstützen. Darüber hinaus können Smart Devices auch die Krankenhausverwaltungen unterstützen, etwa beim Tracking von Leihgeräten, der Bestandsaufnahme des unübersichtlichen Geräteparks oder durch Predictive-Maintenance-Funktionen in kritischen Einsatzbereichen wie einem Operationssaal. Wearables und smarte Kleidung gliedern sich nahtlos in den Alltag des Nutzers ein und bewirken eine engere Verzahnung von Unternehmen in Medizin, Sport, Lifestyle und Technologie. Smarte Produkte helfen Anwendern dabei, bestimmte gesundheitliche Ziele und Verhaltensweisen zu erreichen.

Smart Home & Building Nach Einschätzung der Beratungsgesellschaft Deloitte soll der Smart-HomeMarkt allein in Europa im Jahr 2017 ein Volumen von 4,1 Milliarden Eiuro haben. Die Grundidee von Smart Home ist bereits mehrere Jahrzehnte alt und wurde auch in Zukunftsvisionen Hollywoods immer wieder thematisiert: Es geht hierbei um die intelligente Vernetzung eines gesamten Wohngebäudes. Hierzu zählen etwa die clevere Regulierung der Raumtemperatur, Lichtsteuerung, Steuern der Fenster- und Rollläden, Alarmanlagen sowie Überwachungskameras. Aber auch die im Haus befindlichen Einrichtungsgegenstände können smart gestaltet und mit anderen Geräten bzw. dem gesamten Haus verbunden sein. In diesen Bereich fallen vor allem Weiße-Ware-Artikel oder Multimedia-Geräte. Auf einen einfachen Nenner gebracht, geht es also um die smarte (effiziente) Nutzung des Gebäudes und seiner Einrichtungsgegenstände und somit um die Erhöhung der Lebensqualität.

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Fallbeispiel

Flic – Der kabellose Smart Button Flic ist ein Knopf, der überall befestigt werden kann und kabellos mit dem Smartphone verbunden ist. Damit lassen sich komplexe Vorgänge, für die man vorher z.B. lange auf dem Smartphone tippen musste, mit einem Knopfdruck anstoßen. Per App kann man festlegen, welche Aktion der Knopfdruck auslösen soll. Ein Anwendungsbeispiel: Flic kann zum Beispiel als Panikknopf dienen: Bei einmaligem Klicken wird die GPS-Location an einen Notkontakt gesendet, bei Doppelklick wird eine Warn-Nachricht verschickt und beim Halten wird Alarm ausgelöst.

youtu.be/MDsjBh2xOgQ

Trends und Potenziale im Smart-Home-Bereich Unterschiedliche Begrifflichkeiten und Synonyme lassen in diesem Kontext bereits das Potenzial und die Einsatzmöglichkeiten erkennen: Intelligentes Wohnen, umgebungsunterstütztes Leben, Smart House, Smart Living, E-Home, vernetztes Haus, Smart Metering. Die typischen Smart-Home-Anwendungen werden eher im Zusammenhang mit Neubauten und Wohneigentum gesehen. Doch es gibt ein sehr großes Potenzial für leicht nachrüst­ bare Lösungen, die ohne größere Umbaukosten einerseits in Altbauten, andererseits in Mietobjekten eingesetzt werden können. Wegen der geringen Verbreitung von Wohneigentum und den unsicheren Aussichten im Bereich des Neubaus von Wohneigentum bestehen hier durchaus Marktchancen für interessante, smarte Produkte und Services. Beim Smart Metering geht es um die automatische Echtzeit-Messung und Optimierung der elektrischen Energie-, Wasser-, Gas- oder Wärmezähler, sodass das Smart Home je nach Nutzungsart den Verbrauch kostenoptimiert regulieren kann. Die Fenster lassen sich automatisch unter bestimmten Bedingungen öffnen oder schließen, die LED-Beleuchtung erzeugt je nach Tageszeit, Wetterbedingungen oder Gemütsstimmung des Bewohners die passende Beleuchtung oder spielt (je nach Raum unterschiedliche) Musik ab. Beim Verlassen des Hauses aktiviert sich die Alarmanlage automatisch. Hinsichtlich der Entwicklungen im Multimedia-Bereich und einer zunehmenden Überalterung der Gesellschaft wird das Thema Smart Home in Zukunft an Relevanz gewinnen. Gerade in Altenheimen oder in Einrichtungen für betreutes Wohnen kann eine Smart Home-Umgebung den Bewohnern das Leben erleichtern und Pflegepersonal entlasten. Ältere Menschen können Dank Smart Home u.U. bis ins hohe Alter in ihren privaten Wohnungen leben. Dieses Konzept ist unter dem Begriff „Ambient Assisted Living“ bekannt geworden.

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IMPACT

IMPACT Fallbeispiel

Fallbeispiel

Enlighted – LED-Leuchtsysteme für intelligente Gebäude

Philips Hue

Das Startup bietet eine IoT-Plattform für intelligente Gebäude. Mit Hilfe von Sensortechnologie und einem skalierbaren Netzwerk für die Echtzeit-Ermittlung von Daten bietet das Unternehmen vernetzte LED-Beleuchtungslösungen für Hausverwaltungen und Unternehmen.

youtu.be/ocMjrFLwcsY Auch in gewerblich genutzten Gebäuden kommt eine energiesparende Effizienz zum Tragen. Heutzutage befinden sich in Büros Dutzende elektronische Geräte. Der Großteil dieser Maschinen bleibt auch in Betrieb, wenn sie gar nicht genutzt werden. Das Potenzial intelligenter Energieersparnis kann dementsprechend sowohl einen ökonomischen als auch einen ökologischen Vorteil mit sich bringen. „Energiemanagement ist für innovative Unternehmen, die smarte Produkte und Services anbieten möchten, ein besonders interessantes Thema. Der Grund: Es umfasst neben den Wohnungen und Häusern von Privatleuten auch sämtliche Wertschöpfungsstufen in der Wirtschaft, vom Industriebetrieb bis hin zu Smart-Grid-Anwendungen, bei denen auch IoT-Lösungen zum Einsatz kommen.“ 4 9

Das Smart Home ist eine der wichtigsten IoT-Domänen. Das Potenzial ist groß, auch durch das Smart Metering zur Optimierung des Verbrauchs von Strom, Wasser oder Gas. Das hundertprozentig smarte Haus ist ein Neubau, doch es gibt auch gute Marktchancen für smarte Produkte und Services, mit denen Immobilien kostengünstig nachgerüstet werden können.

Bei Philips Hue handelt es sich um ein personalisiertes Beleuchtungssystem. LEDLicht arbeitet hierbei mit intuitiver Technik zusammen. In Kombination werden die Lampen, die Bridge und die smarten Regelmöglichkeiten zu einer hinsichtlich von Formen, Größen und Modell personalisierbaren Smart-Home-Beleuchtungslösung. Die Hue Lampen werden über eine „Bridge“ gesteuert, die mit dem WLANNetz des Hauses verbunden ist und via Smartphone oder Tablet-App synchronisiert wird. Über sein mobiles Gerät kann der Nutzer die Lampen steuern (z.B. Helligkeit, Timer-Funktion, Farbwechsel etc.), auch von unterwegs aus. Philips bietet ein Starterset an, welches die Bridge sowie Lampen enthält. Software- und Firmware-Updates können somit kabellos und direkt an den Lampen und Leuchten vorgenommen werden.

Beleuchtungssysteme, Maschinen sowie Bürogeräte sind typische Stromverschwender in Industriebetrieben und Bürogebäuden. Energiemanagementsysteme können hierbei erheblich zur Kostensenkung beitragen, da ungenutzte Verbraucher schlicht und einfach abgeschaltet werden. Doch gewerbliche Anwender müssen nicht erst auf spezifische Smart-Building-Lösungen warten. Sie können auch kurzfristig Standardprodukte, die heute bereits im Markt verfügbar sind, verbauen. „Unternehmen sollten in erster Linie bisher nicht ermittelte Werte messen, etwa Strom, Wasser, Kälte, Wärme, Druckluft und andere. Anschließend können diese die ermittelten Daten in einer zentralen Datenbank speichern und mithilfe gängiger Analytik-Lösungen auswerten. Dadurch haben sie eine recht hohe Energietransparenz geschaffen und können nun sowohl den Verbrauch als auch die Abrechnung optimieren.“50

Fallbeispiel

LightRules von Digital Lumens Neue Geschäftsmodelle im Smart-Home-Bereich Das Smart Home kennt und analysiert permanent die Verhaltensweisen seiner Bewohner und kann Wünsche bereits im Vorhinein antizipieren. Durch die Nutzerdaten kann es auch als „Personal Assistant“ dienen und an anstehende Termine und ähnliches erinnern. Aus Marketing-Sicht besteht hierbei wiederum die Möglichkeit, den Nutzer in seinem täglichen Verhalten besser kennenzulernen und ihm kontextbezogene Angebote machen zu können.

Das US-Unternehmen Digital Lumens hat den Standort eines internationalen Transport- und Logistikdienstleisters in Deutschland mit einer intelligenten LED-Beleuchtung ausgestattet. Die intelligente Technik der LEDs stellt sich sensorbasiert auf den individuellen Lichtbedarf ein. Dafür nutzt das Intelligent Lighting System eine Steuerungsplattform sowie die in den LED-Strahlern integrierte Sensorik. Die Sensoren erfassen beispielsweise die Bewegungsmuster am Standort. Damit ermittelt die Technologie die passende Beleuchtungsstärke und dimmt das Licht gemäß Bedarf. Unternehmen sparen so bis zu 90 Prozent der bei Vollauslastung anfallenden Energiekosten.

youtu.be/UBuGSoTOTII

Zum industriellen Einsatz von Smart-Building-Lösungen gehören auch andere Aspekte. So ist es zum Beispiel möglich, über den Stromverbrauch Aussagen über den Zustand einer Maschine oder Produktionsanlage zu treffen. 49 Interview Pereira, Q-Loud

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50 Interview Pereira, Q-Loud Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT Hier können mit relativ geringen Mitteln Lösungen für die vorausschauende Wartung umgesetzt werden, die in anderen Bereichen nur mit erhöhtem Aufwand zu erreichen sind – beispielsweise ausschließliche Neubauten. Doch bereits heute setzen zahlreiche Anbieter von Lösungen für Großbauten auf das Internet der Dinge für Predictive Maintenance, etwa Hersteller von Rolltreppen, Aufzügen, Fensterputzsystemen, Heizungs- und Belüftungsanlagen. Diese Installationen erfordern traditionell Wartungsverträge, bei denen in gewissen regelmäßigen Abständen Techniker ins Haus kommen und die Systeme überprüfen. Die moderne Sensorik erlaubt für diese Systeme eine Ausrüstung mit kleinen IoT-Geräten, die aufgrund bekannter Parameter (Vibrationen, Geräusche und ähnliches) technische Probleme bereits im Vorfeld erkennen. Grundsätzlich ist es sogar möglich, solche Systeme für die vorausschauende Wartung nachträglich zu installieren. Die Anbieter solcher Systeme können damit also zwei Geschäftsmodelle aufbauen: einerseits smarte Services für Predictive Maintenance im Neugeschäft, andererseits spezielle Retrofitting-Angebote für Bestandskunden, die eine ältere Anlage nicht austauschen möchten.

All-in-One-Lösungen Die Initiative „QIVICON“ hat es sich zum Ziel gesetzt, einen gemeinsamen Standard im Smart Home zu definieren. Es ist ein Zusammenschluss führender Industrieunternehmen, die ein Smart Home hersteller-, marken- und geräteübergreifend auf einer einzigen Plattform ermöglichen wollen. Zu den Initiatoren gehören Energieversorger, Hersteller von Geräten für Haushalt, Heim und Garten sowie Telekommunikationsunternehmen und Anbieter von Sicherheitslösungen (z.B. Miele, Samsung, Telekom, Philips, Rheinenergie etc). Momentan gibt es zwar bereits All-in-One-Lösungen, diese decken allerdings nicht komplett alle Hersteller von Smart-Home-Produkten ab. Diese Services lassen sich momentan nur mit einer bestimmten Zahl an kompatiblen Smart Home Geräten verwenden. Allen Lösungen ist gemein, dass im Haus gewisse programmierbare Automatismen ablaufen und man zudem von unterwegs die Vorgänge via App steuern kann. Somit lassen sich nicht nur das Wohnerlebnis verbessern, sondern auch Kosten sparen. Apple bietet mit dem „Home-Kit“ eine App an, die mit mehreren Smart-­ Home-Anbietern (z.B. Philips Hue) synchronisiert werden kann, sodass die Steuerung über lediglich eine zentrale Stelle möglich wird. Auch die Telekom bietet einen umfassenden Smart Service, welcher sich über eine spezielle „Smart Home-App“ steuern lässt. Hierzu gehört das Ablesen des Status, Lichtsteuerung oder die Raumtemperatur. Auf Wunsch erhält der Nutzer auch Push-Nachrichten. Das Hauptangebot besteht aus einer App mit regelmäßigen Updates sowie die Home Base, welche die Konnektivität zwischen den smarten Geräten und der App sicherstellt. Die entsprechenden kompatiblen Geräte müssen dazu gekauft werden. Auch Samsung bietet die App „Samsung Smart Home“ an, mit welcher die Produkte aus dem umfangreichen Produktportfolio von Samsung bedient werden können. Hierbei kommt dem koreanischen Hersteller zugute, dass er sehr vielseitig aufgestellt ist und von Kühlschränken und Waschmaschinen über Multimedia bis hin zu Beleuchtungssystemen verschiedenste Einrichtungsgegenstände im gesamten Haus abdeckt. 62

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Fallbeispiel

BuildingOS by Lucid – Smarte BI für effiziente Gebäude Lucid bietet eine Plattform, mit der kommerzielle Gebäudedaten gesammelt werden können, die zur Basis für datengetriebene Entscheidungen hinsichtlich der Gebäudeeffizienz werden. Die mehr als 500 Kunden mit etwa 13.000 Gebäuden verwalten mit dem BuildingOS mehr als 500 Millionen Dollar an jährlichen Energiekosten.

youtu.be/QTwTJXiFiFQ Ein ähnliches Konzept erfolgt Innogy (ehemals RWE). Mit dem RWE SmartHome-Service lassen sich die Heizung, Lampen, elektrische Geräte und vieles mehr über eine App steuern. Das Angebot ist ähnlich vielfältig wie bei der Telekom, allerdings ebenso auf eine gewisse Anzahl an kompatiblen Geräten beschränkt. Ein anderer Anbieter im Smart-Home-Bereich ist Belkin. Die Wemo-Serie von Belkin umfasst smarte Steckdosen, Lampen- sowie und S ­ icher­heits­systeme. Auch Weiße-Ware-Anbieter versuchen das Thema Smart Home voranzutreiben. Die BSH-Group (Bosch und Siemens) hat bspw. einen Wettbewerb zu dem Thema „Intelligence@Home“ ausgerufen. Miele und Microsoft kooperieren gemeinsam, um smarte Küchengeräte herzustellen.

Fallbeispiel

Ring.com – Die smarte Türklingel Die Video-Türklingel Ring ist mit dem Smartphone verbunden. Aus der Ferne kann mit der Person an der Haustür gesprochen werden oder sie kann beobachtet werden. Der Anwender erhält Benachrichtigungen, wenn die Video-Türklingel betätigt wird oder eine Bewegung in der Umgebung erkannt wird. Durch Cloud-Recording werden Besuche oder verdächtige Bewegungen aufgezeichnet.

youtu.be/f9TRo7JDxFg

Ein gemeinsamer Standard oder zumindest einige wenige Standards sind die unabdingbare Voraussetzung für den Aufbau eines Massenmarkts. Die jeweiligen Standard-Anbieter (möglicherweise auch Konsortien) werden dann den Markt dominieren. Vor allem im Privatkundenmarkt könnte ein „Winner-Takes-It-All-Markt“ entstehen, bei dem eine stark konzentrierte und attraktive Lösung alle anderen Anbieter entweder zur Übernahme des Standards oder zum Aufgeben zwingt. Eine weitere Möglichkeit: Ein Startup findet eine Lösung, die alle eigentlich nicht kompatiblen Systeme verschiedener Hersteller auf einer Art Plattform vereint. Trotz dieser vielen Unklarheiten haben Smart Home and Building Potenzial, aber zurzeit sind die meisten vorhandenen Lösungen noch sehr insulär und in Teilen auch zu teuer für einen durchschnittlichen Hausbesitzer.

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IMPACT

IMPACT Große Marktchancen gibt es bei der Energiesteuerung, vor allem im gewerblichen Bereich. Weitere Geschäftsmodelle setzen auf die vorausschauende Wartung für Großbauten, etwa bei Rolltreppen, Aufzügen, Fensterputzsystemen, Heizungs- und Belüftungsanlagen. Eine Standardisierungsinitiative wie QIVICON bemüht sich, das Smart Home hersteller- und geräteübergreifend auf einer einzigen Plattform zu ermöglichen. Doch auch branchenfremde Unternehmen steigen ein, etwa Apple mit seinem HomeKit.

Smart Industry & Logistics Arbeit und Wohlstand in Deutschland beruhen nach wie vor auf einem leistungsstarken Industriesektor; so kommen fast die Hälfte der deutschen Exporte aus dem produzierenden Gewerbe. Deutsche Hersteller werden jedoch in Zukunft ihren Wettbewerbsvorsprung gegen neue Konkurrenz aus Amerika und Asien verteidigen müssen. Hierbei geht es nicht nur darum, die internationalen Wettbewerber hinsichtlich von Qualitätskriterien zu schlagen, sie müssen sich auf die digitale Transformation ihrer Branche in einer „Smart Industry“ einstellen. Die Wertschöpfung in der herstellenden Industrie hat in der IoT-Welt eine Vielzahl an Namen, z.B. Smart Manufacturing, Smart Factory, Industrie 4.0 oder Industrial IoT. Während wir in Kapitel 1 die Relevanz von Industrie 4.0 bzw. dem Industrial IoT für alle Branchen beschrieben haben, soll es in diesem Kapitel noch einmal konkret um die Beurteilung der Veränderungen von Unternehmen in der Industrie-Branche („Smart Industry“) mit Hinblick auf eine intelligente und vernetzte Produktionsstätte („Smart Factory“) gehen.

Trends und Potenziale der Smart Industry Vor allem hinsichtlich der operativen Effizienz wird das Internet der Dinge einen bedeutenden Einfluss auf die Industrie haben. McKinsey prognostiziert, dass die Produktivität in der herstellenden Industrie um 2,5 – 5% durch das IoT steigt, was zu einem wirtschaftlichen Potenzial von 900 Mrd. bis 2,3 Bio. $ bis zum Jahr 2025 führen wird. Bitkom erwartet für Deutschland und hinsichtlich der sechs Branchen Maschinen- und Anlagenbau, Elektrotechnik, Automobilbau, chemische Industrie, Landwirtschaft und Informations- sowie Kommunikationstechnologie bis 2025 ein zusätzliches Wertschöpfungspotenzial von 78 Mrd. € (jährlich 1,7% Wachstum) durch Smart-Industry-Technologien. Um das Potenzial voll auszuschöpfen, bedarf es hinsichtlich der digitalen Transformation der Industrie jedoch eines einheitlichen politischen Rahmens in Europa sowie der Schaffung einer flächendeckenden Informations- und Kommunikationsinfrastruktur, um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Länder im internationalen Vergleich zu wahren. Auch hier sehen wir die Gefährdung wieder einmal durch (branchenfremde) Disruptoren, die über herausragende digitale Kompetenzen verfügen. Auch in der Industrie werden IoT-Technologien – allen voran Sensoren – zu einer erhöhten (Ressourcen-)Effizienz führen. Sensoren können bspw. genutzt werden, um Maschinen und Lagerbestände zu kontrollieren. Da­raufhin können die Anlagen in einer Smart Factory mit Real-Time-Updates 64

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versorgt werden. Auch die Zusammenarbeit zwischen Arbeitern kann im IoT verbessert werden. Wartezeiten können verringert, der Ausfall von Maschinen und somit das Risiko von Lieferschwierigkeitenkann minimiert werden. Vor allem die Hersteller von Waren werden Effizienzsteigerungen in der IoT-Welt realisieren, da sie hinsichtlich Lagerhaltung und Kundenwünschen in Echtzeit auf die Änderungen des Marktes eingehen können. Die Optimierung des Produktionsprozesses erfolgt hierbei unter Berücksichtigung mehrerer Kennziffern gleichzeitig, wobei Zeit, Qualität, Kosten, Ressourceneinsatz oder Energiekosten nur die wichtigsten darstellen. Das Streben nach Skaleneffekten wird also unbedeutender, während die kostengünstige individualisierte Produktion zunehmend in den Vordergrund rückt.

Fallbeispiel

DHL – Augmented RealityAnwendung im Lagerbetrieb Die Beschäftigten werden mit Datenbrillen ausgestattet, die schrittweise Arbeitsanweisungen einblenden, um den Kommissionierungsprozess zu beschleunigen und Fehler zu reduzieren. In den Displays werden Hinweise eingeblendet, zum Beispiel wo sich der gesuchte Artikel in welchem Gang befindet und in welcher Menge er benötigt wird. Das Ergebnis: AR-Anwendungen können Logistikprozesse messbar optimieren. In diesem Fall wurde eine 25-prozentige Effizienzsteigerung in der Kommissionierung erzielt.

youtu.be/TXXM4IgqCII

Eine disruptive Innovation im Bereich der Smart Industry wird mit Sicherheit der 3D-Druck (3D-Printing) sein. Beim 3D-Druck erfolgt eine computergesteuerte Fertigung aus einem oder mehreren flüssigen oder festen Werkstoffen (bspw. Kunststoffe oder Metalle) nach zuvor definierten Maßen und Formen. Professionelle Drucker sind heutzutage bereits in der Lage, komplexe Objekte herzustellen. Dies wird in Zukunft verstärkt die „Mass Customization“ ermöglichen. Daher wird der 3D-Druck – sobald er wirtschaftlich tragbar und somit für die Massenadaption bereit ist – zukünftig eine dominante Rolle in der Smart Industrie einnehmen. Fraglich ist noch, ob sich ein bestimmter Industrie-Standard in Zukunft durchsetzen wird. Für Smart Industry & Logistics wird das IoT vor allem einen bedeutenden Einfluss auf die operative Effizienz haben. McKinsey glaubt, dass die Produktivität in der herstellenden Industrie durch das IoT um 2,5 – 5% steigen kann. Auch die Zusammenarbeit zwischen Arbeitern kann im IoT verbessert werden. Eine disruptive Innovation ist der 3D-Druck. Er wird in Zukunft verstärkt die „Mass Customization“ ermöglichen.

Neue Geschäftsmodelle in der Smart Industry In der Smart Industry werden Produktionsprozesse situationsbezogen und über das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk inklusive der Logistik optimiert. Die Smart Factory ist ein wichtiger Bestandteil intelligenter IndustrieInfra­strukturen. Folglich tauschen in Smart Factories intelligente Maschinen Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT in Verbindung mit ebenso intelligenten Objekten Informationen über Aufträge und Zustände aus, um gemeinsam Abläufe zu koordinieren.

Fallbeispiel

Der Industrieroboter LBR iiwa Kuka hat den Leichtbauroboter „LBR iiwa“ entwickelt, eine smarte Roboter-Automatisierungslösung. „LBR iiwa eignet sich für. Er eignet sich für den industriellen Einsatz und ist mit der Microsoft-Plattform Azure verbunden. Der Roboter kann somit jederzeit Statusmeldungen in die Cloud schicken. Diese Daten werden automatisch an Mitarbeiter im Unternehmen, an das Management oder an Zulieferer geschickt, sodass bei Problemen schnell reagiert werden kann. .

youtu.be/BZEFgNrHhGM Ziel dieses Netzwerks aus Maschinen und Objekten ist das Erreichen eines Gesamtoptimums bezüglich Durchlaufzeit, Qualität und Auslastung. Es handelt sich also um eine Automatisierung der Prozesse. In der Smart Factory kommunizieren Menschen, Maschinen und Ressourcen so selbstverständlich wie in einem sozialen Netzwerk. Die intelligenten Produktionsgüter kennen den Herstellungsprozess und wissen, an welchem Punkt desselben sie sich gerade befinden. Sie unterstützen somit aktiv den Fertigungsprozess. Im Zuge einer zunehmend stärkeren Ausrichtung der Produktion an einzelnen Kundenwünschen (Mass Customization) organisiert die Smart Factory unzählige Lieferketten parallel und gleicht ihr Angebot in Echtzeit mit sich entwickelnden Trends ab. Bei einer Smart Factory handelt es sich also zusammenfassend um ein autonomes, situatives und wissensbasiertes Planungs- und Steuerungssystem.

Fallbeispiel

Das intelligente Lager – Auf dem schnellsten Weg am richtigen Ort Moderne Lagerlogistik bedeutet, dass alle beteiligten Komponenten von den Fahrzeugen der Speditionen bis zu den Gabelstaplern im Lager miteinander vernetzt sind und in Echtzeit Daten austauschen. Dadurch gibt es weniger Leerfahrten und mehr Kapazität.

youtu.be/QWcp24tL59c Auch wenn viele Prozesse in der Smart Factory automatisiert sind, werden menschliche Arbeiter nicht überflüssig. Vielmehr entlastet die Smart Factory die Angestellten durch eben jene automatisierten Prozesse oder auch durch Montage-Assistenz. Das Thema Augmented Reality kann ebenso den Umgang mit komplexen Fertigungsanlagen vereinfachen. Die Smart Factory kann den Menschen auch mithilfe von Robotertechnik und intelligenten Assistenzsystemen unterstützen.

Fallbeispiel

Roambee – Echtzeit-Tracking von Warentransporten Das US-Unternehmen Roambee kombiniert Daten aus einer eigenen Sensor-Box („Bee“ genannt) mit Informationen aus anderen Systemen. Es bietet dadurch ein Echtzeit-Tracking von Objekten, etwa Warenpaketen oder Containern. Damit lässt sich beispielsweise der Versand von empfindlichen Medizin-Produkten verfolgen und der Nutzer kann jederzeit Daten zum Standort, zur Temperatur sowie über den Zustand der Ware abrufen.

youtu.be/9Re97S8-3CU Hinsichtlich des Austausches von Informationen in einer Smart Factory bzw. der Smart Industry kann zwischen drei verschiedenen Kategorien unterschieden werden: Machine-to-Machine (M2M)

Kommunikation der mit Sensoren ausgestatteten Maschinen untereinander Führt zu Automatisierung der Produktionsprozesse

Machine-to-People (M2P)

Maschinen analysieren und senden Daten an Personen Unterstützen beim Treffen strategischer Entscheidungen

People-to-People (P2P)

Digitale Technologien unterstützen den Austausch zwischen Mitarbeitern und Entscheidungsträgern Führen zur Verbesserung des kollektiven Zusammenhalts im Unternehmen

Quelle: In Anlehnung Bradley u.a. (2013).

In intelligenten Industrie-Infrastrukturen („Smart Factories“) treten intelligente Maschinen in Verbindung und tauschen mit ebenso intelligenten Objekten Informationen über Aufträge und Zustände aus, um gemeinsam Abläufe zu koordinieren. Ziel dieses Netzwerks aus Maschinen und Objekten ist das Erreichen eines Gesamtoptimums bei Durchlaufzeit, Qualität und Auslastung. Das macht den menschlichen Arbeiter aber nicht überflüssig, die smarten Geräte unterstützen den Menschen mit Robotertechnik und intelligenten Assistenzsystemen.

Smart Insurance Vor allem Versicherungen erhalten neue Möglichkeiten durch das Internet der Dinge, denn es ist nun möglich, dem Versicherungskunden mit Technik „über die Schulter zu schauen“. Dies sorgt für eine in der Branche ungewohnte Transparenz der Kunden und eine Abkehr von der standardisierten Versicherung, die nur bei einem Schadensfall aktiv wird. Für den Kunden kann dies im Einzelfall eine deutliche Kostensenkung gegenüber herkömmlichen Tarifen bedeuten. 51 Ein einfaches Beispiel: Das in ein Smart Bike integrierte IoT-Gerät zur Ortung via GPS erlaubt Versicherungen, Nutzern solcher Fahrräder einen Rabatt anzubieten, da die Räder nach einem Diebstahl häufig unbeschädigt sichergestellt werden können oder gar nicht erst von Diebstahl bedroht sind, da Diebe den Schutz kennen und die Räder nicht stehlen.

51 Interview Pereira, Q-Loud

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IMPACT

IMPACT Fallbeispiel

Connected Bike – Notruf, Service, Tracking Die kostengünstige und rein akkubetriebene IoT-Technologie erlaubt es, ein Fahrrad mit Zusatzfunktionen aufzurüsten. Ein integriertes IoT-Gerät berechnet den Verschleiß von Kette und Bremsen und kann dank Crash-Sensor im Notfall Polizei und Feuerwehr verständigen. Es verfügt zudem über Smartphone-Schnittstellen inklusive Apps für Navigation, Diebstahlschutz und GPS-Ortung.

youtu.be/wAByR9iOBU0

Fallbeispiel

Lock8 – Bike Sharing statt Diebstahl Velolock hat ein cleveres Fahrradschloss entwickelt, das vor Diebstahl schützt und Bike Sharing ermöglicht. Ganz ohne Schlüssel lässt sich LOCK8 per Smartphone öffnen und schließen. Es soll außerdem möglich sein den elektronischen Schlüssel per Internet, an Familienmitglieder und Freunde weiterzugeben. Versucht jemand unerlaubt, das Schloss zu öffnen oder zu knacken, schreckt ein Alarm die Diebe ab. Selbst das Erhitzen oder Vereisen des Schlosses, um das Metall mürbe und brüchig zu machen, erkennt Lock8 durch ein integriertes Thermometer und gibt Alarm. Sollte es dennoch gelingen, das Fahrrad zu stehlen, hilft die GPS-Ortung, das gute Stück bald wiederzufinden.

youtu.be/47UDVF9lI30

Versicherungsunternehmen benötigen eine ganzheitliche Strategie, um auf diese Veränderungen zu reagieren. Sie müssen die starke Orientierung an Versicherungssparten ablösen durch eine kundenzentrierte Sicht auf ihre Produkte. Das ablösen durch eine kundenzentrierte Sicht auf ihre Produkte. Das neue, ganzheitliche Versicherungsunternehmen sieht dementsprechend wie folgt aus. Versicherungen haben durch das IoT erstmals die Möglichkeit, dem Versicherungskunden mit Technik „über die Schulter zu schauen“. Gleichzeitig haben Versicherungskunden heutzutage veränderte Bedürfnisse und Verhaltensweisen. Versicherungsunternehmen benötigen eine ganzheitliche Strategie, um auf diese Veränderungen zu reagieren. Sie müssen die starke Orientierung an Versicherungssparten ablösen durch eine kundenzentrierte Sicht auf ihre Produkte.

Neue Geschäftsmodelle bei Smart Insurance Werttreiber für neue Geschäftsmodelle im Bereich Smart Insurance sind vielfältig. Der First-Mover-Vorteil kann hierbei sehr hoch sein, da das Thema in Deutschland noch entwicklungsfähig ist. Vor allem in Zusammenarbeit mit anderen Branchen ergeben sich neue Wertschöpfungspotentiale:53 Krankenversicherungen könnten bspw. basierend auf Big Data (welche über Wearables oder smarte Kleidung gesammelt wird) individuelle Angebote machen, entsprechend einer Bonus-Malus-Regelung.54 Wichtig ist hierbei, dass Versicherungen lernen, die Daten zu verstehen und sie kundengerecht zu nutzen.55

Trends und Potenziale bei Smart Insurance Die Möglichkeit des Internets der Dinge treffen im Versicherungswesen heutzutage auf veränderte Bedürfnisse und Verhaltensweisen von Versicherungskunden. Sie sind ähnlich wie die Kunden im Handel heutzutage besser informiert und haben individuelle Ansprüche und Erwartungen an eine Versicherung und die angebotenen Versicherungsleistungen. Deshalb sollte auch bei Versicherungsangeboten der Kunde im Mittelpunkt stehen. Er benötigt ein personalisiertes Angebot mit individuellem Service, und das situativ, kontextabhängig und flexibel.52

Fallbeispiel

Hioscar.com – Versicherungen mit Big Data Das Unternehmen bietet mit „Oscar Health“ eine neue Art von Krankenversicherung, die auf Big Data-Technologien basiert. Der Kunde gibt ein Symptom oder den Namen einer Krankheit in der Oscar-App ein und bekommt eine Liste von speziellen, vom Unternehmen registrierten Vertragsärzten samt der Kosten genannt. Die App bietet außerdem einen kurzfristigen Rückruf durch einen Arzt.

youtu.be/4-ehZRFYOfk

Fallbeispiel

seaswien.at Versicherung 2.0 Seaswien bietet eine schnelle und unkomplizierte Versicherungsberatung. Die Nutzer können sich von der Unfallversicherung bis hin zur Rente Angebote machen lassen. Sie müssen dafür nur genau drei Angaben machen: Alter, Familienstand und den Wiener Wohnbezirk. Anschließend bekommen sie angezeigtwelche Versicherungen sie zu welchen Preisen abschließen können. Bei Bedarf wird auch passend zu Alter, Lebenssituation und Bezirk ein Kontakt zu einem ein persönlichen Berater hergestellt.

https://seaswien.at/ Assekuranzen sollten heute von einem informierten, wenn nicht überinformierten Kunden ausgehen. 68

52 Accenture 2015b .

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Eine Reihe von sogenannten InsurTech-Startups bieten bereits nutzungsbasierte Tarife, aber auch On-Demand-Versicherungen sowie gekreuzt damit Kurzzeittarife an. So wäre es beispielsweise denkbar, per Mobilapp kurz vor einer Wochenendreise ins europäische Ausland eine nur wenige Tage gültige Reiseversicherung abzuschließen – ohne großen bürokratischen Aufwand. Doch auch andere „Blitzversicherungen“ sind möglich, beispielsweise situationsabhängige Unfallversicherungen für bestimmte sportliche Aktivitäten, die nur tage- oder sogar stundenweise ausgeübt und entsprechend nur für diesen Zeitraum versichert werden. Damit geht die Versicherungsbranche weg von den klassischen Langzeittarifen für einen umfangreicheren 53 Andelfinger; Hänisch 2014 ; LeHong; Velosa 2014 . 54 In Anlehnung an Andelfinger; Hänisch 2014 . 55 Accenture 2015b . Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT Risikokatalog. Im Trend ist jetzt die Versicherung ganz konkreter und kurzfristiger Risiken, die durch das moderne, oft nicht sehr langfristig geplante Freizeitverhalten entstehen.56 Es gibt mittlerweile einige Versicherungen, die das Quantified Self-Konzept auf Basis einer Bonus-Malus-Regelung unterstützen. Dies ist zum einen die britische Versicherungsgesellschaft Aviva,57 welche die „Aviva Drive mobile application“ entwickelte. Hierbei handelt es sich um eine App, die während der Fahrt per GPS die Fahrgewohnheiten überwacht. Sofern die Fahrer ihre Gewohnheiten den von der App ausgesprochenen Empfehlungen anpassen, erhalten sie Rabatte auf ihre Versicherungen. Aviva-CMO Amanda MacKenzie sieht hierin erst den Anfang: „It’s been said that the internet of things will revolutionise the insurance industry. It certainly has the potential to transform healthcare, improve road safety and make people’s homes more secure. In every one of these areas, technology will allow insurers to calculate risk more accurately, charge for insurance more fairly and reward positive customer behaviour.“ Das Unternehmen plant vor allem, seine IoT-Aktivitäten im Gesundheitsbereich auszuweiten, um den Versicherten beim Quantified Self-Konzept zu unterstützen.

Fallbeispiel

HDI TankTaler – Belohnung für gute Fahrer Der Versicherer HDI hat zusammen mit ThinxNet ein Connected-Car-Paket entwickelt, mit dem Autofahrer beim Tanken sparen und über ihr Smartphone unter anderem Informationen rund um ihr Fahrzeug (z.B. Batteriezustand, Kilometerstand, Streckenübersicht) abrufen können. Außerdem können Kunden in einigen Regionen an Tankstellen mit der App bezahlen – ohne zur Kasse gehen zu müssen. Zudem gibt es eine Notruffunktion, die im Fall eines Unfalls automatisch Hilfe holt. Außerdem können die Nutzer für vorausschauende Fahrweise Prämienpunkte sammeln.

Die Versicherungen sind bereits ins Fadenkreuz von Startups geraten, die neue Produkte anbieten: beispielsweise nutzungsbasierte Tarife, On-Demand-Versicherungen sowie Kurzzeittarife. Möglich sind damit spontane Reiseversicherungen oder situationsabhängige Unfall­ versicherungen für bestimmte Aktivitäten. Das Versicherungsunternehmen der Zukunft wird jeden seiner Kunden kontextsensitiv und situationsabhängig personalisierte Angebote machen.

Smart Mobility Der durchschnittliche Bundesbürger steht im Jahr 38 Stunden im Stau und verbringt in seinem Leben sechs Monate Wartezeit an einer roten Ampel. 266 Milliarden US-Dollar sollen die jährlichen volkswirtschaftlichen Kosten der Verkehrslähmung allein in den 30 größten Megacitys der Welt betragen.59 Mobilität ist heutzutage also wahrlich ineffizient. Das IoT hält jedoch Lösungen bereit.

Trends und Potenziale der Smart Mobility Mobilität in der IoT-Welt beschränkt sich nicht mehr nur auf ein einziges oder auf eine geringe Anzahl an Fortbewegungsmitteln, sondern wird vielseitiger und individueller. Hierbei wird sich für den Nutzer die Frage stellen: Welche Mobilität erscheint zu welchem Preis bzw. zu welchen Konditionen und in welcher Situation passend? Man stellt sich also seinen eigenen, situationsabhängigen „Mix“ aus passenden Mobilitätsangeboten zusammen. Dies setzt die Bereitstellung smarter Mobilitätsservices voraus. Smart Mobility bedeutet dementsprechend auch Connected Mobility: Verkehrsmittel, Infrastruktur und Mobilitätsdienstleistungen sind intelligent und nahtlos vernetzt. Sie bieten die Möglichkeit (vor allem dank mobiler Endgeräte), das Angebot bedarfsgerecht zu nutzen und jederzeit sowie überall zu buchen, zu zahlen und Verkehrsinformationen in Echtzeit abzurufen.

youtu.be/cTvonwX07w4 Das Versicherungsunternehmen der Zukunft wird kontextsensitiv und situationsabhängig personalisierte Angebote machen können. Dank Big Data weiß der Versicherer, wo sich der Kunde aufhält und in welcher Situation er sich befindet. Und dank bestimmter IoT-Geräte wie Feuermelder oder Feuchtigkeitssensoren weiß der Versicherer auch, wenn beispielsweise ein Gebäudeschaden droht. So ist durchaus denkbar, dass Versicherungen auch hier Rabatte anbieten: Wer spezielle IoT-Feuermelder mit automatischer Alarmierung der Feuerwehr installiert, erhält einen günstigeren Tarif als derjenige, der lediglich die gesetzlich vorgeschriebene Mindestausstattung installiert.58 An diesen Beispielen zeigt sich auch, dass Versicherungen davon profitieren können, ihr eigenes Ecosystem mit Lock-in-Effekten aufzubauen. Dies würde in der Konsequenz jedoch bedeuten, dass sie ihre Kompetenzen ausbauen und sich von einer spezialisierten Versicherung zu einem Full-Service-Anbieter entwickeln müssten.

56 Interview Pereira, Q-Loud 57 Mackenzie 2014 . 58 Interview Pereira, Q-Loud

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59 Rossbach u.a. 2013 .

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IMPACT

IMPACT Fallbeispiel

Der intelligente Motorradhelm Skully AR-1:

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Skully AR-1 ist ein innovativer Integralhelm, der nicht nur mehr Sicherheit bietet als ein normaler Helm. Er besitzt ein transparentes Head-Up-Display, das während der Fahrt Informationen in der rechten unteren Ecke des Fahrersichtfelds einblendet. Mit einer 180-Grad-Kamera, die in die Rückseite verbaut ist, hat der Fahrer bspw. einen Blick auf das Verkehrsgeschehen im Rücken. Der Blick muss somit nicht von der Straße abgewendet werden. Selbst der tote Winkel wird von der Kamera erfasst. Ein weiteres Feature ist das integrierte Navigationssystem, das dem Fahrer den schnellsten Weg ans Ziel zeigt. Die Ortung macht die GPS Antenne möglich. Zukünftig soll es auch möglich sein, Straßenkarten und andere Apps auf dem integrierten Speicher abzulegen. Über das Skully Synapse System können auch Telefonate geführt oder Musik gehört werden. Voraussetzung dafür ist ein Smartphone, das per Bluetooth mit dem Helm verbunden wird und gleichzeitig als Internet-Hotspot dient. Mithilfe der Sprachsteuerung können während der Fahrt Befehle an das Smartphone übermittelt werden. Es gibt außerdem die Möglichkeit, das Visier des Skully AR-1 per Knopfdruck abzudunkeln, wenn die Sonneneinstrahlung sehr stark ist. Damit das Head-Up-Display bei Nacht nicht blendet, wird die Rückkamera auch als Umgebungslichtsensor eingesetzt, der das Display automatisch abdunkelt. Die Akkulaufzeit soll 9 Stunden betragen, als Betriebssystem kommt Android zum Einsatz.

youtu.be/ZdcWd594lRw

Smart Mobility bedeutet: Verkehrsmittel, Infrastruktur und Services sind intelligent vernetzt. Jeder kann das Angebot wunschgemäß nutzen und jederzeit sowie überall einen Service buchen, zahlen und Verkehrsinformationen in Echtzeit abzurufen. Zudem wird das Prinzip „Nutzen statt besitzen“ immer wichtiger: Viele Leute wollen ein Auto fahren, es aber nicht besitzen.

Neue Geschäftsmodelle im Smart-Mobility-Bereich Am Wirtschaftsstandort Deutschland nimmt seit Jahrzehnten die Automobilindustrie eine Schlüsselstellung ein. Neue Akteure betreten jedoch den Auto- und Mobilitäts-Markt: Produzenten von postfossilen Antriebssystemen oder Batterien, Energie- und IT- Anbieter. Alternative Antriebssysteme und fortschreitende IT-Integration in jeglichen Fortbewegungsmitteln verändern die Infrastruktur und führen zu veränderten Wertschöpfungsstrukturen. Zudem wird die Vernetzung im Mobilitätssektor voranschreiten. Der volkswirtschaftliche und persönliche Nutzen wird zunehmen durch Stauvermeidung, erhöhte Sicherheit und Umweltfreundlichkeit. Es lässt sich jedoch festhalten, dass Politik und Rechtsprechung überarbeitet werden müssen, um Smart Mobility zu ermöglichen. Vor allem Ride-Sharing-Modelle befinden sich momentan noch in rechtlichen Grauzonen.64

Connected Cars oder die IoT-Autos Hierbei ist in der IoT-Welt bspw. folgendes Szenario denkbar: Eine Person fährt morgens via einem Car-Sharing-Angebot zur Arbeit. Auf dem Weg zur Arbeitsstätte meldet das Smartphone oder das Navigationsgerät einen Stau auf der momentanen Route. Es werden nun Optionen angeboten, z.B. der Weg zur nächsten S-Bahn-Haltestelle oder das nächste „Call a Bike“-Fahrrad.61 „Seamless Mobility“ bzw. Smart Mobility wird einen sicheren, effizienten und nachhaltigen Transport gewährleisten. Aus Anbietersicht wird sich Mobilität somit vom Produkt zum Dienstleistungsgeschäft entwickeln. Wer Informationsdienste anbietet, welche die gesamte Reiseplanung und das Umsteigen zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern ermöglicht – mittels Real-Time-Verkehrsinformationen – der schafft einen echten Smart Service. Es bedarf jedoch eines grundsätzlichen Umdenkens in Unternehmen, die im Mobilitätsbereich aktiv sind. In Zukunft wird die Maxime „Nutzen statt besitzen“ lauten:62 „There is a fundamental shift in attitudes towards property and ownership: People still want to drive cars and ride bikes. The difference is, they no longer have to own these vehicles if they can borrow them easily and at low cost from someone else.” Dies zeigt sich vor allem bei der jungen Generation (den „Millenials“ bzw. „Generation Y“):63 Mobilität wird als Erfolgsfaktor im Job angesehen, was jedoch nicht zwangsläufig bedeutet, dass man auch ein Automobil besitzen muss.

60 61 62 63

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Nach McKinsey65 steht der weltweite Automobilmarkt vor einer fundamentalen Neuordnung. Durch die zunehmende Vernetzung der Automobile (Connected Cars) verschieben sich die Bedürfnisse der Nutzer. So kommt für 13% der Auto-Käufer ein Neufahrzeug ohne Internetzugang gar nicht mehr in Betracht.66 Das Auto als Statussymbol verliert dementsprechend an Bedeutung. Der Wert eines Automobils definiert sich vielmehr darüber, welche Vorteile die Technik bietet und ob es Anforderungen nach Vernetzung und Kommunikation zu erfüllen weiß.67 Wo früher Werte wie Drehmoment und PS eine wichtige Rolle beim Autokauf spielten, werden in Zukunft Angebote wie Echtzeit-Wartungsinformationen, ortsbasierte Empfehlungen, dynamische Stauprognosen oder Musikstreaming an Relevanz gewinnen und Kaufkriterien darstellen.68 20% würden sogar die Automarke wechseln, sofern sich hierdurch bessere Connectivity böte. 69 Erstaunlich für eine Branche, in der Markenloyalität bisher eine große Rolle spielte.

64 Horstkötter u.a. 2014 . 65 McKinsey 2015 . 66 Nach einer Branchenstudie von McKinsey & Company mit dem Titel „Connected Cars“. Grundlage: Umfrage von 2.000 Autokäufern in Deutschland, den USA, Brasilien und China sowie mehr als 30 Interviews mit Automobilherstellern, Zulieferern, Telekommunikationsund Halbleiterunternehmen. 67 Doll 2014 . 68 Himmelreich 2015 . 69 McKinsey 2015 .

Skully 2015 Himmelreich 2015 Horstkötter u.a. 2014 Doll 2014 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT

Connected Car Connected Car

Michelin nutzt Telemetriedaten und „Fuel Analytics“, um Lkw-Flotten effizienter zu machen „TIRE AS A SERVICE“ Sensoren melden Fahrtstrecken an Midlelin

„EFFIFUEL SOLUTION“

Abrechnung über gefahrene Kilometer

Echtzeitübermittlung von Druck, Temperatur und Geschwindigkeit

Empfehlungen zur Anpassung des Fahrverhaltens

Ø Einsparungen: 1,5 l/110 km (1.335 € pro Lkw p.a. EFFIFUEL

■■ Logistikdienstleiser, die ihre operativen Kosten optimieren wollen, bietet Michelin nutzungsbasierte Reifen-Leasingverträge an ■■ Sensoren ermitteln metergenau die Fahrstrecken aller mit Michelin-Reigen ausgestatteten Fahrzeuge ■■ Michelin rechnet monatlich alle gefahrenen Kilometer mit dem Kunden ab

■■ Langfristige Serviceverträge mit Lkw-Kundn (4J+) ■■ Vereinbarung von Spriteinsparungszielen auf Basis von div. KPIs (Strecken, Zuladungen etc.) ■■ Kontinuierliches Monitoren von Nutzungsdaten über Reifen- & Telemetriesensoren wie „Fuel Analytics“ ■■ Empfehlungen wie Einsparungen erzielt werdenb können (z.B. Anpassung desFahrverhaltens) ■■ Wenn Jahresspareziel nicht erreicht werden,erstattet Michelin einen Teil der Servicekkosten zurück

Quelle: Michelin

Quelle: Wong 2015

Praxisleitfaden IoT

Quelle: intel 2016

Fallbeispiel

Drivelog Connect: Dein Auto verstehen Wer sein Auto schon immer besser verstehen oder sich das leidige Führen eines Fahrtenbuches erleichtern wollte, findet mit Drivelog Connect von Bosch jetzt die passende kostenfreie App dafür. Um die App mit Daten zu füttern, benötigt man darüber hinaus den passenden Connector für den OBD-Steckplatz (On-Board-Diagnose) im Auto. Der befindet sich meist links neben den Pedalen. Hat man den Steckplatz gefunden, lässt sich der Connector ganz einfach platzieren. Dann kann die App am Smartphone gestartet und via Bluetooth die Verbindung zum Connector hergestellt werden. Wenn die Verbindung steht, startet die App automatisch mit der Erkennung des Fahrzeuges. Der Drivelog Connector kann nun die vorhandenen Fahrzeugdaten in Echtzeit an das Smartphone weiterleiten und dort Statistiken anzeigen, ein Fahrtenbuch führen oder Fehlercodes entschlüsseln.

youtu.be/SLOsEF8wbFM

Für Automobilhersteller entstehen somit neue Geschäftsmodelle, z.B. um ihren Anteil am Wartungs- und Reparaturmarkt zu erhöhen oder um personalisierte Versicherungsangebote unterbreiten zu können (vgl. auch das Kapitel Smart Finance and Insurance). Dies bedarf jedoch neuer, digitaler Kompetenzen. Zudem werden auch hier die Branchengrenzen verschwimmen und branchenfremde Unternehmen aus der Net Economy in den Markt drängen. Kooperationen können fruchtbar, jedoch besteht für etablierte Automobilhersteller die Gefahr, dass sie sich Software-seitig zu sehr von digitalen Unternehmen abhängig machen. Vielmehr können die Zulieferer selbst an Kompetenzen gewinnen und ebenso zu Autoproduzenten werden. 74

LEISTUNGBASIERTE LEASING VON REIFEN

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Für Automobilhersteller ist es daher nach Aussage von McKinsey ­ ntscheidend, an den folgenden drei kritischen Punkten die Kontrolle zu e bewahren:70

»»HMI (Human-Machine Interface): Die Interfaces im Auto können ein Alleinstellungsmerkmal darstellen (bspw. Projektionen auf Windschutzscheiben etc.) und besonders intuitive, sichere und komfortabel zu bedienende Interfaces somit zu Wettbewerbsvorteilen führen. »»Echtzeit-Fahrzeugdaten: Big Data stellen die Grundlage für Versicherungs- und Wartungsleistungen sowie weitere Dienste dar. Automobilhersteller müssen die Sicherheit sowie die Kontrolle über diese Daten bewahren. »»Geoinformationen in Echtzeit: Aktuelle Daten zur Verkehrslage, Warnung vor Glatteis und ortsspezifische Dienste werden über diese Art von Daten realisiert und können mit den Echtzeit-Fahrzeug-Daten kombiniert werden. Wie bereits erwähnt, wird sich der Wert eines Automobils in Zukunft vor allem über digitale Anforderungen definieren, bspw. welche Vernetzungsfähigkeiten hinsichtlich anderer IoT-Services existieren. Aber auch das Fahrzeug selbst kann dank IoT-Technik effizienter genutzt werden und zudem die Verkehrssicherheit erhöhen. Beim Connected Car spielen einmal mehr Sensoren eine entscheidende Rolle. Diese können vom Reifendruck über die Abnutzung der Bremsbeläge nahezu alle technischen Daten messen.71 70 Ebenda. 71 Wong 2015 . Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT Fallbeispiel

Michelin – Bezahlung nach Verbrauch bei Lkw-Reifen72 Michelin73 nutzt die Daten aus Sensoren in Lkws, um gleich zwei neue Geschäftsmodelle umzusetzen: Sie bieten zum einen Logistikern eine verbrauchsbasierte Bezahlung für Reifen auf Basis gefahrener Kilometer an. Zusätzlich erhalten Fahrer Empfehlungen für die Anpassung ihres Fahrverhaltens zur Senkung des Spritverbrauchs auf Basis von „Fuel Analytics“, welche mit Telemetriedaten gespeist werden. Im Gegenzug bindet sich der Kunde für 4 Jahre an Michelin.

Die gesammelten Daten können nicht nur dem Fahrer unmittelbares Feedback während der Fahrt geben, sondern vielmehr in die Cloud geladen werden und dem Automobilhersteller wertvolle Einsichten liefern, welche wiederum die Gestaltung personalisierter Angebote ermöglichen. Sofern auch externe Unternehmen auf die Daten zugreifen dürfen, können diese während der Fahrt zudem kontextbezogene Angebote machen (Location-Based-Marketing). 74

Autonomes Fahren ist selbstverständlich und funktioniert technisch zuverlässig. Da das autonome Fahrzeug den Fahrer in Situationen entlastet, in denen Fahren wenig Spaß macht, wie im dichten Verkehr, kann die neu gewonnene Zeit unterwegs effizienter genutzt werden. Eine zentrale Idee des Forschungsfahrzeugs ist ein kontinuierlicher Informationsaustausch zwischen Fahrzeug, Passagieren und Außenwelt. Es handelt sich also um ein echtes „Connected Car.“

Sharing Mobility Für den Nutzer wird in Zukunft nicht mehr der Besitz des Fortbewegungsmittels, sondern die für den jeweiligen Moment am geeignetsten erscheinende Mobilitätsoption im Vordergrund stehen wird. Mobilität zu teilen ist ein neuer (aber vermutlich nachhaltiger) Trend und führt wiederum zu neuen Geschäftsmodellen – auch für etablierte Mobilitätsanbieter.76 Somit stellt das Sharing-Mobility-Konzept gleichzeitig einen neuen Trend in der Gesellschaft sowie einen Werttreiber für neue Geschäftsmodelle dar. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin sieht in der „Sharing Economy“ ein riesiges disruptives Potenzial, welches traditionelle Geschäftsmodelle etablierter Unternehmen sogar obsolet werden lässt.

Fallbeispiel Fallbeispiel

MeMobility – All-in-One Lösung für die flexible Mobilität

Tesla – Neue Funktionen und mehr PS per Funk75 Ein Beispiel für ein Connected Car ist das Elektroauto „Tesla S“. Der Hersteller nutzt die Konnektivität der Fahrzeuge, um Werkstattbesuche überflüssig zu machen. Jedes Fahrzeug von Tesla ist über eine mobile Breitbandverbindung mit dem Internet verbunden. Tesla kann über diese Verbindung das Fahrzeug überwachen und Fehler diagnostizieren. Software-Updates lassen sich somit direkt per „Over The Air“-Updates (OTA-Updates) einspielen, ohne eine Werkstatt besuchen zu müssen.

youtu.be/mQfygjJqe6A

MeMobility hilft bei der Suche nach einem Leihwagen oder Leihfahrrad. Schnell und unkompliziert lassen sich – mit Hilfe der App – alle verfügbaren Car- und Bikesharing-Angebote in Standortnähe abrufen. Dabei zeigt die Umgebungssuche die einzelnen Angebote verschiedenster Car- und Bikesharing-Anbieter übersichtlich auf einer Karte – Entfernung, Angaben zu Fahrzeugzustand, Ladestand oder Tankinhalt inklusive. Für die schnelle und effektive Suche nach einem nahegelegenen verfügbaren Auto oder Fahrrad ist das MeMobility-Konzept ideal. Die Nutzung der App selbst ist kostenfrei. Anmelden muss man sich nur bei den einzelnen Sharing-Unternehmen. Die Reservierung und Stornierung eines Angebots erfolgt dann direkt in der Detailansicht mit einem Klick.

youtu.be/doEHa81rF0U Fallbeispiel

Mercedes-Benz F015 Luxury Zugegeben, es klingt noch wie Zukunftsmusik, was sich Mercedes für sein neues, autonom fahrendes Forschungsfahrzeug „ F015 Luxury“ ausgedacht hat. Man merkt aber an dem Szenario, wie Autos in das zukünftige mobile Leben integriert werden können: Es wird weit über seine Mobilitätsfunktion hinaus privater Rückzugsraum sein und einen wichtigen Mehrwert für die Allgemeinheit bieten. Dr. Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG und Leiter Mercedes-Benz Cars hierzu: „Das Auto wächst über seine Rolle als Transportmittel hinaus und wird endgültig zum mobilen Lebensraum.“ Der innovative Viersitzer „F015 Luxury“ ist hierbei Vorbote einer Mobilitätsrevolution und verbindet sich mit der Vision einer „Stadt der Zukunft 2030+“: 72 Bildquelle: Ziegler; Römhild 2015 73 Ziegler; Römhild 2015 . 74 Ebenda. 75 Bildquelle: Ziegler; Römhild 2015

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Das bedeutet ebenso, dass auch für branchenfremde Unternehmen mittlerweile vielfältige Möglichkeiten existieren, in den Mobilitätsmarkt einzusteigen. Nicht mehr nur die reine Produktion oder das bloße Anbieten des Fortbewegungsmittels (z.B. das Auto, Fahrrad oder der öffentliche Nahverkehr) ist von Relevanz, durch das IoT wird vielmehr deren Integration in IT-Systeme eine immense Bedeutung erlangen. Disruptive Innovatoren und Startups mit Kompetenzen, die bisher im Mobilitätssektor eine untergeordnete Rolle gespielt haben, verändern die Branche grundlegend. Wenn Nutzer Car-Sharing, Bike-Sharing oder Mitfahrgelegenheiten über Online-Kanäle buchen, verschwimmen auch hier wieder Branchengrenzen: Von Online-Plattform-Anbietern über IT-Technologie-Unternehmen bis hin zu Produzenten der eigentlichen Fortbewegungsmittel ist eine Vielzahl an Akteuren am Smart-Service-Prozess beteiligt. 76 Ebenda.

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IMPACT

IMPACT Fallbeispiel

der Net Economy bspw. durch Nutzerbewertungen hergestellt werden, die öffentlich einsehbar sind.79

Kutsuplus – ÖPNV auf Abruf Kutsuplus ist ein Dienst des HSL (Helsingin Seudun Liikenne), des Verkehrsverbundes der Region Helsinki, und funktioniert wie ein persönlicher On-Demand-Service für Linienbusse. Er bietet Fahrgästen im Zentrum von Helsinki die Möglichkeit, Busfahrten per Smartphone zu buchen und daraufhin an der vereinbarten Haltestelle zur vereinbarten Zeit abgeholt zu werden. Dabei gibt es keine vordefinierten Haltestellen für die Kleinbusse von Kutsuplus. Wo ein Fahrgast am besten zusteigt, wird je nach Situation und aktuellem Standort berechnet. Auch abgesteckte Routen oder feste Fahrpläne gibt es nicht. Die Strecke ergibt sich aus den Zielen aller Passagiere. Während der Fahrt werden sie via Displays z.B. über den aktuellen Streckenverlauf informiert.

youtu.be/bPyYABVp-Jw

Durch das Paradgima des Teilens von Mobilität wird auch das soziale Element in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Dennoch sind Besitzer von Autos oder Parkflächen, die diese gegen ein Entgelt zur Verfügung stellen, nicht ausschließlich altrustisch veranlagt. Vielmehr monetarisieren sie totes Kapital (ähnlich wie bei Airnbn). Es entsteht auch hier wieder ein Nutzen auf Seiten der Anbieter, der Nutzer des Angebots sowie des Unternehmens, welches den Smart Service bereitstellt. 77

Fallbeispiel

Trucker Path – Das Uber für Trucks Trucker Path versucht, mit seinen Apps Trucker Path und Truckloads die Transportbranche zu revolutionieren. Zunächst richtete sich das Unternehmen an Trucker und schuf mit der Anfang 2013 gelaunchten App Trucker Path Amerikas am schnellsten wachsende Plattform in der Logistikbranche; ein großes Netzwerk aus Fahrern, Speditionen und Unternehmen. Bereits 500.000 Trucker verlassen sich auf Trucker Path und finden dort wichtige Informationen rund um Haltestellen und Ruheplätze, Parkmöglichkeiten, Treibstoffpreise oder Wiegestationen. Die App wird so zum Reisebegleiter von Truckern, die die große Reichweite und Beliebtheit nutzen, um in Echtzeit über ihre aktuelle Route auf dem Laufenden gehalten zu werden. Mit der App Truckloads bringt Trucker Path nun die Fahrer mit der Fracht auf einem Online-Marktplatz zusammen und richtet sich damit auch an Speditionen und Unternehmen. Auf Truckloads können Speditionen oder Unternehmen ihre Fracht posten und die App wählt den nächsten und am besten geeigneten Fahrer für das Unterfangen aus. Der wiederum hat zwei Stunden Zeit, das Angebot anzunehmen, ansonsten wird es neu vergeben. Das verhindert, dass mehrere Fahrer anrollen und leer ausgehen. Trucker Path geht noch weiter und will nicht nur die Suche und Vergabe von Fracht digitalisieren, sondern auch die administrativen Prozesse der Speditionsbranche aus der Vergangenheit in die Gegenwart holen.

Sharing-Mobility-Angebote lassen sich in vier Kategorien unterteilen:80 Car Sharing: Nach Angaben von Roland Berger Strategy Consultants können sich ca. 50% der Autobesitzer vorstellen, ihr Vehikel mit anderen zu teilen. Zudem soll das Car-Sharing-Segment ein hohes Potenzial mit jährlichen Wachstumsraten von 30% aufweisen. Die Bandbreite an neuen Geschäftsmodellen im Car-Sharing-Bereich ist groß, so kann sie von von B2B zu B2C über P2P (peer-to-peer) reichen. Auch Zusatzleistungen können hier interessant sein. Die bekanntesten Anbieter von Car-Sharing-Angeboten in Deutschland sind „Drive Now“ von BMW/Mini/Sixt81 und „Car2Go“ von Daimler/Europcar.82 Hier bearbeiten etablierte Automobil-Hersteller disruptiv die eigene Branche und reagieren auf verändertes Nutzerverhalten. Ride-Sharing: In Echtzeit organisierte Mitfahrgelegenheiten werden in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Busse, Züge und Taxis sind in dieser Hinsicht bisher die etablierten Anbieter. Diese entsprechen aber in einer IoTWelt nicht mehr den steigenden Nutzungsansprüchen, weil sie zu teuer, unflexibel, umständlich und unpersönlich sind. Fahrdienste mit privaten oder angestellten Fahrern und verschiedene Varianten von Fahrgemeinschaften lassen sich schneller sowie flexibler gestalten und nutzen.83 Ein Beispiel für einen disruptiven Anbieter, der keinen eigenen Fuhrpark besitzt, aber dennoch einen Mobilitäts-Smart-Service zur Verfügung stellt, ist „Uber“. Bike-Sharing: Vor allem in urbanen Regionen gewinnen Fahrräder vermehrt an Bedeutung.84

Fallbeispiel

Bitlock – Das elektronische Fahrradschloss Bitlock ist ein Fahrradschloss, welches über das Smartphone bedient wird. Der Besitzer kann über sein Mobiltelefon auch anderen Nutzern Zugang zum Fahrrad einräumen und Rechte vergeben, wer das Fahrrad verwenden und seine Position kennen darf. Ebenso kann er bestimmen, wo das Fahrrad wieder abgestellt werden muss. Auf diese Weise kann er mit dem Schloss einen privaten Fahrradverleih einrichten. Erfinder Mehrdad Majzoobi stellt den „Sharing-Mobility-Gedanken“ in den Vordergrund: „Mir ist aufgefallen, dass viele Gegenstände um uns herum nicht effizient genutzt werden. Städte investieren Millionen Dollar in Bikesharing-Systeme mit Stationen, dabei sind so viele andere Fahrräder an normalen Ständern auf der Straße angeschlossen. Warum können wir nicht einfach irgendwo ein Rad schnappen und damit losfahren?“

youtu.be/EIs5Rk6xpm4 Sofern der Smart-Mobility-Service die Nutzung von persönlichem Eigentum beinhaltet, muss der Anbieter Vertrauen auf seiner Plattform aufbauen, vor allem, wenn er lediglich den Intermediär darstellt.78 Vertrauen kann in 77 Horstkötter u.a. 2014 . 78 Ebenda.

78

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

79 Kollmann 2011 . 80 Horstkötter u.a. 2014 . 81 DriveNow 2015 . 82 Car2Go 2015 . 83 Horstkötter u.a. 2014 . 84 Ebenda. Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT

Smart Retail

Fallbeispiel

Velocity – Ausleihservice für Bikes Velocity ist ein 2014 in Aachen gegründeter Ausleih-Service für E-Bikes (Fahrräder mit Elektroantrieb). Per App oder SmartCard kann man über die in der Stadt verstreuten Terminals E-Bikes ausleihen. An diesen Stationen kann man ein E-Bike dann auch wieder zurückgeben. Das Ziel von Veloctiy ist es, in Zukunft 100 solcher Stationen in Aachen anzubieten.

Shared Parking : Vor allem in Innenstädten herrscht Parkplatzmangel und Autofahrer verlieren täglich viel Zeit (und Geld) bei der Parkplatzsuche. Dabei stehen jeden Tag für gewisse Zeiträume private Parkflächen zur Verfügung, die viel effizienter genutzt werden könnten. In der IoT-Welt können diese nicht genutzten Parkflächen in Echtzeit vermietet werden und somit einen echten Mehrwert für Autofahrer schaffen. 85

Die “Customer Journey” hat sich in den vergangenen 20 Jahren dramatisch verändert. Der Kaufprozess (Produktsuche, -kauf, -erhalt und After-Sales-Service) in der Prä-E-Commerce-Ära betraf nur wenige Kanäle. Durch den E-Commerce und nun das IoT wächst die Anzahl an möglichen Kontaktpunkten (bzw. Kanälen) jedoch stetig.86 Hierbei kommt der „Omni-Channel-Experience“ eine hohe Bedeutung zu: Die Kanäle sind nutzenoptimiert verknüpft und der Kunde tritt in den Mittelpunkt. Unternehmen können dank des IoT (und somit Big Data) in Echtzeit und auf allen Etappen der Customer Journey ein einzigartiges, personalisiertes Nutzenerlebnis für den Konsumenten sicherstellen.87 Dementsprechend können Unternehmen Konsumenten proaktiv und gezielter ansprechen, sie verfügen somit über neue Möglichkeiten des ... Marketings. Omni-Channel bedeutet. Omnichannel bedeutet somit nicht nur, dass der Nutzer über verschiedene Kanäle einkaufen kann, ohne den Kaufprozess zu unterbrechen, sondern vielmehr ein Einkaufserlebnis, das speziell auf den Kunden zugeschnitten ist:

Fallbeispiel „Omnichannel is about true continuity of your experience. […] Being omniscient is perceiving and understanding all things. […] And the best way for a customer to perceive everything is to allow them to own their data and experience, then give them the ability to use it to guide creation and context of every future experience.”88

Hi-Park hilft mit Crowdsourcing bei der Parkplatzsuche Das israelische Startup Hi-Park löst mit seiner App für die Parkplatznavigation ein Problem, das alle Autofahrer kennen: Wo finde ich in einer Stadt möglichst schnell einen freien Parkplatz? Zur Lösung verwendet Hi-Park die in jedem Smartphone eingebaute Kamera. Hinter der Windschutzscheibe platziert, nimmt er den Straßenrand auf und schickt die Bilder an die Hi-Park-App zur Echtzeitanalyse. Findet die App eine Parklücke, markiert sie den Parkplatz in Echtzeit für alle App-Anwender auf einer Karte.

youtu.be/NkXoSC6OXgo

Die Automobilindustrie wird durch die Entwicklung des IoT bedroht. Die Hersteller müssen durch neue Geschäftsmodelle gegensteuern. Entscheidende Wettbewerbsvorteile entstehen durch neuartige Bedienoberflächen, die Auswertung von Echtzeit-Fahrzeugdaten sowie von Geoinformationen wie etwa Wetter-und Verkehrsdaten. Hinzu kommt der Aufstieg der Sharing-Mobility über Plattformen, bei denen die Automarke weit in den Hintergrund rückt. Car Sharing oder Mitfahr-Plattformen sind entscheidende Modelle.

Der Smart Commerce spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft des stationären Einzelhandels, sowohl für inhabergeführte Geschäfte als auch für die großen Ladenketten. IoT-Anwendungen und spezielle Apps für Smartphones bieten Raum für neue Absatzkonzepte und Vertriebswege. Eine Umfrage von Internetworld.de, bei der die zehn größten deutschen Konsumgüterhersteller befragt wurden, zeigt jedoch, dass die Offenheit für Smart Commerce noch unterschiedlich ausgeprägt ist.89 Getränkehersteller wie Coca Cola oder der Bierbrauer Anheuser-Busch haben sich bisher noch nicht mit dem Thema beschäftigt bzw. sind der Meinung, dass die Relevanz des IoT für das eigene Geschäft niedrig einzuordnen sei. Bei Nestlé hingegen verfolgt man das Smart-Commerce-Konzept ebenso bei Henkel. Procter & Gamble war bei der Umfrage das einzige Unternehmen, das bereits Aktivitäten im Smart-Commerce-Bereich verfolgt: Mit der Gillette-Box bietet es selbst ein Gerät an, mit dem sich Rasierklingen nachordern lassen. Die Marke Gilette ist zudem mit einem Amazon-Dash-­ Button vertreten. Konsumenten sind heutzutage stark fragmentiert, haben eigenständige Bedürfnisse und Wünsche und wechseln ständig zwischen ihren Kontaktpunkten. Es handelt sich folglich um einen sehr dynamischen Prozess. Bereits 2004 machte das Wirtschaftsmagazin „Business Week“ das Verschwinden des Massenmarktes zum Titelthema („The Vanishing Of The Mass Market“).90 86 87 88 89 90

85 Horstkötter u.a. 2014 .

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Trends und Potenziale im Smart Commerce

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Cisco 2015 . Accenture 2015a . CloudTags 2015 . Zimmer 2015 . Bloomberg Business 2004.

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT Im IoT wird die Segmentierung in Echtzeit und kontextbezogen erfolgen. Trendwatching beschrieb dieses Phänomen als “post-demographic consumerism”91, da typische demographische Segmentierungskriterien (wie Alter, Geschlecht, Einkommen etc.) zunehmend an Bedeutung verlieren. Von der Bildung von „Mikrosegmenten“ bis hin zu einer komplett personalisierten Ansprache jedes einzelnen Konsumenten erscheint hier alles möglich. Daher müssen sich Händler auf eine erhöhte Komplexität einstellen, die eine veränderte Denkweise hinsichtlich des Managements und Marketings von Marken- und Einkaufserlebnissen zur Folge haben werden. Kunden werden in der Lage sein, ihre ganz eigenen Customer Journeys zu konstruieren und jede davon wird einmalig und individuell sein.“92 Um wirklichen Wert für Konsumenten zu generieren, müssen Einzelhändler also die Einkaufsgewohnheiten und Ansprüche (respektive Kundenwünsche) jedes einzelnen Kunden kennen und verstehen. Nur dann sind sie in der Lage, zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der richtigen Situation Angebote zu machen. Das bedeutet natürlich, dass sich die Komplexität für Händler erhöht. Cisco bezeichnet dieses Phänomen als “Hyper-Relevance”: „Hyper-relevance is a new paradigm that enables consumers to receive what they want, when and how they want it.” Das Prinzip der Hyper-Relevance geht aber über in Echtzeit gesendete, persönliche Nachrichten hinaus, welche den Verkäufer bspw. mit Namen ansprechen, Produkte anbieten, die seinem Hobby entsprechen oder ihn an einen bevorstehenden Geburtstag erinnern. Vielmehr muss der Käufer genau in dem Moment, in dem beim Konsumenten ein Bedürfnis auftritt, seine Angebote präsentieren, also schneller als die Konkurrenz und zudem noch kontextbezogen arbeiten. Das Angebot selbst ist dann personalisiert, was jedoch nur einen Teil des Hyper-Relevance-Prinzips ausmacht. „In short, personalization is when the retailer knows who you are; hyper-relevance arises when a retailer intuits and enables you to accomplish what you want to do at that moment.” In der IoT-Welt macht sich Hyper-Relevance u.a. Informationen über die Position des Konsumenten und sein Surfverhalten zunutze. Genutzte Technologien sind bspw. Wifi-Netzwerke oder Bluetooth Beacons. Das ist zwar aus datenschutzrechtlicher Sicht nicht unbedenklich, eine Umfrage von Cisco hat allerdings ergeben, dass Kunden eher bereit sind, solche Daten freizugeben, wenn sie einen wesentlichen Nutzen erwarten können.93 Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass Händler transparent kommunizieren, welche Daten in welcher Form genutzt werden. IoT-Lösungen stehen im Smart Commerce erst am Anfang und werden in Zukunft drastisch an Relevanz gewinnen, da sie das Einkaufserlebnis für den Kunden komfortabler und personalisierter gestalten werden. Je intelligenter die Systeme werden und je mehr Unternehmen in der Lage sein werden, die Datenströme zu nutzen, desto enger lassen sich auch die unterschiedlichen Kanäle verzahnen.

91 trendwatching.com 2014 . 92 Accenture 2015b ; Cisco 2015 . 93 Cisco 2015 .

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Die „Customer Journey” im Handel hat sich dramatisch verändert. Omni-Channel ist jetzt entscheidend: Die Kanäle sind nutzenoptimiert verknüpft und der Kunde tritt in den Mittelpunkt. Smart Commerce spielt eine entscheidende Rolle für die Zukunft des stationären Einzelhandels. IoT-Anwendungen und spezielle Apps für Smartphones bieten Raum für neue Absatzkonzepte und Vertriebswege.

Neue Geschäftsmodelle im Smart Commerce Ein sehr wichtiger Werttreiber für den Kunden ist die Effizienz des Einkaufs, also letztlich die Geschwindigkeit und Unkompliziertheit, mit der er seine Customer Journey bewältigen kann. Hierzu zählen Aspekte wie In-Store-Navigation (z.B. via Augmented Reality), Produktsuche, -verfügbarkeit und -erwerb oder Bestellprozesse sowie einfachere Bezahlvorgänge. Dieser Bereich ist ein wichtiges Anwendungsgebiet für IoT-Lösungen, da es hierbei zahlreiche Möglichkeiten gibt, durch smarte Produkte den Kunden das Leben zu erleichtern. Ein wichtiges Beispiel ist der Dash-Button von Amazon, der Nachbestellungen von Verbrauchsprodukten erleichtert.

Fallbeispiel

Amazon Dash-Button – Einkaufen durch Antippen Amazon bringt die bereits aus dem E-Commerce bekannte „Mit 1-Click kaufen-Option“ in die reale Welt. Über sogenannte „Dash-Buttons“ können Prime-Kunden mit einem Knopfdruck vordefinierte Produkte online bestellen und erhalten das Paket unmittelbar danach nach Hause geliefert. Dash-Buttons sind an das Internet angeschlossen und werden an Orten platziert, wo die entsprechenden Produkte im Einsatz sind. So wird der Dash-Button für Waschmittel direkt an der Waschmaschine befestigt. Mehr und mehr Produkte von verschiedenen Herstellern kommen hinzu. Dies erscheint auf unserer vorgestellten Ebene der Smart-Service-Grade noch auf der untersten Stufe zu sein. Es ist aber ein Anfang, denn Amazon-Sprecherin Kinley Pearsall erklärt: „Das langfristige Ziel wird sein, überhaupt keine Buttons mehr drücken zu müssen.“

youtu.be/EHMXXOB6qPA

Auch der Dash-Stick, mit dem Produkte via Barcode-Scan sowie per Sprachbefehl bestellt werden können, oder die vernetzten Lautsprecher „Amazon Echo“, denen Nutzer im Bedarfsfall Bestellungen zurufen können, sind weitere innovative Produkte aus dem Hause Amazon. Ebenso kooperiert Amazon mit Elektronikherstellern wie Whirlpool, Brita, Brother oder Quirky, um Internetfähige Waschmaschinen, Wasserfilter, Drucker oder Kaffeemaschinen zu entwickeln, die eigenständig Bedarf erkennen und entsprechen nachordern. Momentan besteht hierbei noch ein Kostenproblem, denn der Versand von kleinen Mengen ist weder für Amazon noch für den Kunden rentabel. Sollte der Online-Händler allerdings im Logistik-Bereich weiter Fortschritte erzielen, könnten auch die sogenannten „Fast-Moving-Consumer-Goods“ bald interessanter für den Online-Handel werden. Doch nicht nur die Bestellung von Verbrauchsprodukten kann effizienter gemacht werden, es gibt selbst in Ladengeschäften ein hohes Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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IMPACT

IMPACT Verbesserungspotenzial, wenn beispielsweise die von zahlreichen Kunden als eher lästig angesehene Umkleidekabine digitalisiert wird. Hierbei können fest im Laden installierte Tablets helfen. Sie zählen grundsätzlich auch zum IoT.

Fallbeispiel

Digitale Umkleide bei Macy’s Alle Artikel im Verkaufsraum können durch einfaches Scannen mit dem Smartphone in einer bestimmten Umkleidekabine bereitgelegt werden. Die Kunden sehen die Nummer der Umkleide in der App. In der Kabine bestellen die Kunden bei Bedarf über ein Tablet an der Wand weitere Größen oder Farben, die nach kurzer Zeit aus einem Schacht fallen. Nicht gewünschte Ware werfen die Kunden in einen anderen Schacht und sie werden aus dem eigenen Warenkorb gestrichen. Auf dem Tablet werden darüber hinaus Empfehlungen und Kombinationen angezeigt, weitere Kleidungsstücke können direkt angefordert werden.

youtu.be/7zm7gFOjycE Doch die Smartification der Umkleidekabine ist noch lange nicht der letzte Schritt auf dem Weg zu einem umfassenden digitalen Kundenerlebnis auch im Ladengeschäft. Grundsätzlich ist es möglich, IoT-Technologien und verwandte digitale Verfahren einzusetzen, um dem Kunden ein personalisiertes Einkaufserlebnis zu verschaffen.

Fallbeispiel

Inspirational Corridor – der personalisierte Schaufensterbummel Klépierre, ein europäischer Spezialist für Einkaufszentren, bietet Kunden ein einzigartiges und persönliches Einkaufserlebnis: Ein personalisierter Korridor, in dem verschiedene Marken der Einkaufszentren erworben werden können. Eine Infrarot-Kamera analysiert Besucher mit Hilfe von Body-Scanner Technologie. Darauf basierend werden Produkte aus dem Einkaufszentrum für den entsprechenden Besucher ausgewählt. Beim Gang durch den Korridor werden die Produkte auf interaktiven Bildschirmen präsentiert. Durch Antippen eines Produkts wird es automatisch via App in einen Warenkorb gelegt. Am Ende zeigt die App den genauen Standort der Produkte im Einkaufszentrum.

youtu.be/bjY1i1-HX64 Die bisher für den Smart Commerce vorgestellten, smarten Produkte und Services widmen sich jedoch lediglich einzelnen Aspekten des Kundenerlebnisses. Doch es ist inzwischen durchaus möglich, mithilfe verschiedener Technologien wie IoT, NFC, Beacons, Touchscreens und den privaten Smartphones der Kunden ein integriertes Einkaufserlebnis zu schaffen, welches ohne diese Technologie nicht möglich wäre.

Fallbeispiel

The Dandy Lab – Connected Store für ein integriertes Einkaufserlebnis Im August 2015 eröffnete in London das Ladengeschäft „The Dandy Lab“.94 Hierbei handelt es sich um einen „Interactive Store“ in der realen Welt, der als Labor für alle Technologien rund um den personalisierten Einkauf gedacht ist. Basierend auf Technologien von Cisco wird dem Käufer ein „easier, more engaging and personalized“ Einkaufserlebnis ermöglicht. Basierend auf Smartphone-Daten sowie NFC- und Beacon-Technologien erhält der Käufer zunächst personalisierte Produkt-Empfehlungen, wenn er am Ladenfenster (welches mit einem Screen ausgestattet ist) vorbeigeht. Betritt er den Shop, wird er dort von einem aufgestellten Bildschirm im Eingangsbereich persönlich mit Namen begrüßt. Dieser schickt ihn auch gleich zur passenden Stelle im Geschäft. Während des Kaufprozesses erhält der Kunde laufend Informationen auf sein Smartphone. Zudem gibt es einen „Magic Mirror“, der es ermöglicht, die Kleidung digital anzuprobieren. Nach dem Kauf kann der Kunden zudem noch eine „Social Corner“ betreten, in welcher ihm Kaffee angeboten wird und wo er Zeit hat, sein Einkaufserlebnis seinen Freunden auf Facebook mitzuteilen.

youtu.be/ZfXlh4e1R_U Kunden erhalten durch IoT-Technologien ein personalisiertes und komfortables Einkaufserlebnis, das in Zukunft im Smart Commerce eine sehr hohe Relevanz haben wird. Ziel der modernen, smarten Customer Journey wird es sein, nahtlos Menschen, Daten und Dinge in den gesamten Kaufprozess zu integrieren und somit neue Werte für Kunden und Verkäufer gleichermaßen zu schaffen. 95 Ein wichtiger Aspekt dabei wird auch die Liefergeschwindigkeit sein, die klassischen 3-Tage-Fristen für herkömmlichen Paketversand sind nicht mehr zeitgemäß. Dementsprechend müssen Verkäufer ihre Geschäftsmodelle anpassen: „Those retailers that have made significant investments toward hyper-relevance – with their existing e-commerce and omnichannel strategies – will be in the best position to move forward on this transformation journey. However, complexity will only increase, and retailers must ensure that they have the right partner ecosystem in place in order to accelerate and further evolve their business models.”96

Ein wichtiger Faktor für den Kunden ist die Effizienz des Einkaufs, also die Geschwindigkeit und Unkompliziertheit der Customer Journey. IoT-Geräte und -Services bieten jetzt zahlreiche Mög-lichkeiten: Smarte Buttons zum Bestellen, digitale Umkleidekabinen mit Warenkorbfunktion, Auslieferung durch Roboter und vieles mehr.

94 Moore-Colyer 2015 ; The Dandy Lab 2014 . 95 Cisco 2015 . 96 Ebenda.

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IMPACT

IMPACT

Das 1x1 der datengetriebenen Geschäftsmodell-Muster Trotz der enormen Vielfalt der in den einzelnen Branchen verwirklichten Geschäftsmodelle gleichen sie sich in einigen Aspekten. Hofman und van ‘t Spijker (BlinkLane Consulting) haben fünf „Data-driven Business Model Patterns“ auf Basis von Osterwalders/Pigneurs bekanntem Business Model Canvas97 identifiziert. Diese tauchen bei den unterschiedlichen Geschäftsmodell-Innovationen in einzelnen Branchen immer wieder auf. Die fünf datengetriebenen Geschäftsmodell-Muster sollen im Nachfolgenden kurz erläutert werden.98 Wie für alle Geschäftsmodell-Muster gilt, dass sie sowohl in ihrer idealtypischen Form, als auch kombinatorisch umsetzbar sind.

Muster 1: Basis-Data-Sales

Es gibt fünf unterschiedliche Muster für datenbasierte Geschäftsmodelle. Das erste und einfachste ist schlicht der Verkauf der ermittelten Daten.

Muster 2: Product Innovation Hierbei werden Daten genutzt, welche durch den Kauf und die Nutzung eines Produkts generiert werden, um ein neues Produkt oder eine Ergänzung zum Originalprodukt anzubieten. Es lassen sich somit komplett neuartige Produkte herstellen oder bestehende verbessern. Vor allem Ersteres kann zu einer innovativen Value Proposition führen, wobei sich auch bisher fremde Kundengruppen erschließen lassen.

Hierbei verkauft ein Unternehmen Daten, welche sowieso bei der Leistungserstellung anfallen, an andere Unternehmen. In der Regel werden die Daten „roh“, also unverarbeitet (u.U. jedoch anonymisiert) verkauft. Es handelt sich um das simpelste Muster.

Eine Bank bietet ihren Kunden (A) bspw. ein Girokonto an und sammelt hierbei Transaktionsdaten. Die Bank kann nun (anonymisierte) Daten an Dritte (B), z.B. Einzelhändler verkaufen, damit diese aus den Kundendaten wertvolle Erkenntnisse zum Konsumentenverhalten schließen können. Die Bank fügt ihrem bestehenden Angebot „Girokonto für Bankkunden“ also ein neues Leistungsangebot (Kundendaten) für eine neue Kundengruppe (bspw. an den Kundendaten interessierte Einzelhändler) hinzu.

Eine Bank kann hierbei bspw. ihren Online-Banking-Service erweitern, indem sie ein „Haushaltsausgaben-Dashboard“ anbietet. Dieser Service kann erst dank der durch Kundendaten gewonnenen Erkenntnisse entwickelt und gegen eine geringe Gebühr zusätzlich zum bestehenden Online-Banking vom Kunden (A) wahrgenommen werden. Durch die Nutzung beider Dienste werden diese wiederum – mithilfe von Datenanalyse – permanent weiterentwickelt. Das Dashboard ist auch losgelöst von einem Bankkonto dieses Instituts nutzbar. So können es auch Kunden anderer Banken verwenden, um ihre Ausgaben besser im Blick zu behalten (B). Beim 2. Modell werden die bei der Produktanwendung erzeugten Daten genutzt, um den Kunden ein neues Produkt oder einen neuen Service anzubieten.

97 Vgl. hierzu ausführlich Osterwalder & Pigneur 2009 98 Vgl. zu den folgenden Ausführungen und Abbildungen Hofman & van ’t Spijker 2013

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IMPACT

IMPACT Muster 3: Commodity Swap

Muster 4: Value Chain Integration

Hierbei wird ein durch den Kauf oder die Nutzung eines bestehenden Handelswaren-Produkts (oder eines Service) Daten generiert, welche wiederum verwendet werden, um ein neues, komplementäres Produkt anzubieten (das untrennbar mit dem bestehenden verknüpft ist) und sich somit von der Konkurrenz differenziert.

Hierbei tauschen verschiedene Unternehmen Daten aus, um Kosten zu senken oder ihre Wertschöpfungsaktivitäten zu optimieren. Die entsprechenden Vorteile haben wir bereits in 1.2 Industrie 4.0 (Wertschöpfung/Prozessoptimierung) beschrieben.

So können bspw. ein Supermarkt (X) und ein Getränkelieferhandel (Y) mithilfe von Echtzeit-Daten ihren Bedarf genau berechnen und die Lieferung (automatisiert) aufeinander abstimmen. Ein Energieversorger (X) bietet bspw. Stromverträge an. Diese Verträge beinhalten auch die Installation von „Smart Meters“, welche den Stromverbrauch messen. Durch diese Daten kann der Stromanbieter zusätzlich ein „Smart Thermostat“ anbieten, welches den Stromverbrauch nutzungsadäquat regelt.

Beim 4. Modell vernetzen unterschiedliche Unternehmen ihre Daten, um Kosten zu senken oder die Wertschöpfung zu optimieren.

Beim 3. Modell werden die ermittelten Daten eingesetzt, um Komplementärprodukte anzubieten, die das ursprüngliche Produkt erweitern.

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IOT Geschäftsmodell Framework

IMPACT Muster 5: Value Net Creation Bei diesem Muster arbeiten mehrere Unternehmen zusammen, um ein identisches Kundenbedürfnis zu befriedigen und ein optimiertes Nutzenerlebnis zu gewährleisten. In der Regel wird bei dieser Kooperation ein identisches Kundensegment bedient. Jedes Unternehmen ist somit Teil eines „Value Creating Systems“99 und übernimmt quasi einen Teilaspekt einer „großen“ Wertschöpfungskette. Es werden also verschiedene Geschäftsmodelle unterschiedlicher Unternehmen durch Zusammenarbeit kombiniert.

IMPACT

IoT Geschäftsmodell Framework

Quelle: goetz partner

Praxisleitfaden IoT

IOT-Geschäftsmodelle für industrielle Anwendungen

Bucht ein Fluggast (A) bei einer Airline (Y) bspw. einen Flug, werden die Daten an einen Datenverarbeiter (Z) weitergeleitet, der die Bedürfnisse des Fluggastes erkennt und diese an eine Hotelkette (X) sendet. Zimmer dieser Hotelkette können bei der Buchung des Fluges dann direkt mit angeboten werden. Das 5. Modell kombiniert verschiedene Geschäftsmodelle unterschiedlicher Unternehmen durch Zusammenarbeit, sodass der Kunde ein optimiertes Nutzenerlebnis erhält.

Quelle: goetz partner

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Für IoT-Anwendungen in der industriellen Produktion können diese Geschäftsmodellmuster recht leicht abgewandelt werden. Die Geschäftsmodelle entstehen dabei aus einer Matrix mit zwei Dimensionen. In der ersten Dimension wird die Art der Umsatzgenerierung betrachtet: Umsatz durch Verkauf oder durch nutzungs- und ergebnisbasierte Berechnung. Die zweite Dimension ist die Kompetenzebene, also die Antwort auf die Frage: Wird das Internet der Dinge lediglich zur Absatzförderung eines Kernprodukts, zum Aufbau von zusätzlichen Geschäften, eigenständigen Angeboten oder Plattform genutzt? Für industrielle Anwendungen können Geschäftsmodelle über eine Matrix generiert werden. Sie hat die Dimensionen Kompetenzen und Umsatz, die zu unterschiedlichen Geschäftsmodellen führen.

99 Nach Parolini

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STRATEGIE

STRATEGIE: Von der Idee zum Smart Service

Es gibt keinen speziellen Ansatz für die Gestaltung von Smart Services. Allerdings gibt es einige etablierte Verfahren, die in diesem Kapitel vorgestellt werden.47 Von der Idee bis zur Einführung hat sich ein generelles Vorgehen durchgesetzt, welches in vier wichtige Phasen aufgeteilt werden kann. 1. Explore: Am Anfang steht die Idee des Geschäftsszenarios, das der Smart Service verwirklichen soll. Hierzu müssen im Portfolio des Unternehmens Produkte und Services entdeckt werden, die sich für die digitale Transformation eignen oder die digital vollkommen neu entworfen werden. 2. Create: Nun wird das Grobkonzept zu einem funktionalen Prototypen und anschließend zu einem MVP („Minimum Viable Product“) ausgebaut. Das ist eine Problemlösung mit einem minimalen Funktionsumfang, die nur Basisanforderungen der Kunden verwirklicht und dadurch sehr schnell auf den Markt kommt. 3. Scale: Die ersten Kunden sind gewonnen, der Smart Service ist ein rundes Produkt. Nun geht es darum, das Geschäftsmodell zu skalieren, die Rückmeldungen von Kunden zu berücksichtigen und den Smart Service in einem möglichst großen, international gedachten Markt auszurollen. 4. Change: Passt die eigene Organisation zur Welt der smarten Services und Produkte? IoT-Geschäftsmodelle erfordern eine andere Herangehensweise als herkömmliche Projekte oder Szenarien. Nicht nur Produkte und Services müssen sich ändern, auch das gesamte Unternehmen.

47 Interview Friedrich, Strategy& Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE

Think-Make Schleife in der Smart Service Innovation

Design Thinking, Lean UX und Agile Hand in Hand BETTER TOGETHER

BETTER TOGETHER

Hypothesis

Brainstorm Concepts

New Ideas

Prioritize Inssight

Make

Build

Think

Experiment

Research Observe

Lorem ipsum

it

Explore

Clear Need Recise Hypothesis UX Designe / Research

Pain Point

Dev, Test, PM, PO

Customer Experience

CORE TEAM WORKS END-TO-END Design Think Quelle: David Landis, What does Lean UX have that I don’t?

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Resolve

Lean UX

Agile

Quelle: David Landis, What does Lean UX have that I don’t?

Explore: Smart Services entdecken

Dieser Weg zu einem Smart Service umfasst kreative, technische und auch Management-Aufgaben. Es wäre allerdings ein Fehler, den Weg als linearen Prozess nach dem klassischen Wasserfall-Modell zu sehen, auch wenn viele Unternehmen erwarten, dass sie zuerst eine Idee entwickeln, daraus zwangsläufig ein Prototyp und schließlich ein fertiges Produkt folgen und die Anpassung der Organisation als Sahnehäubchen nachgeliefert werden kann. Die Gestaltung eines Smart Service ist eine agile, iterative Vorgehensweise und reicht vom Entwickeln einer Idee über das Gestalten eines Prototyps bis hin zum Betreiben des endgültigen Service. Sie besteht im Wesentlichen aus zwei großen Schleifen, die sich als „Think“ (links in der Abb.) und „Make“ kennzeichnen lassen. Sie werden mehrfach durchlaufen, um zu einer guten Idee oder einem guten Prototypen zu kommen. Die Make-Schleife hat zudem noch eine Vielzahl innerer Schleifen, in denen das Produkt oder der Service mit agilen Methoden weiterentwickelt wird.48 Die beiden Phasen „Explore“ und „Create“ sind Bestandteile der ThinkSchleife, „Scale“ und „Change“ gehören in die Make-Schleife. Die beiden Grafiken von David Landis zeigen dabei deutlich den iterativen Prozess beim Design von Smart Services, dessen Schritte mehrfach durchlaufen werden und die aufeinander aufbauen. Deshalb ist es nicht immer gut möglich, die vier Phasen sauber voneinander zu trennen. Vor allem die innerhalb einer Schleife befindlichen Phasen laufen sehr stark ineinander über. Die Schilderung in einzelnen Abschnitten hat darstellerische Gründe: Die in einem Unterkapitel beschriebenen Methodiken und Vorgehensweisen sind oft nicht ausschließlich in der jeweiligen Phase anzuwenden, eignen sich aber besonders darin.

„Die Grundfrage ist ganz einfach: Womit kann ich den Endkunden glücklich machen?“49 Die Entwicklung eines Smart Service ist kein Selbstzweck, sie muss immer von einem konkreten Bedarf der Kunden ausgehen. Besonders die folgende Frage ist wichtig: Wodurch kann der Aftersales-Service relativ schlank gestaltet werden, sodass nicht unbedingt ein Service-Mitarbeiter sofort oder regelmäßig beim Kunden erscheinen muss. Im Anschluss an diese Grundüberlegung sollte das Unternehmen Probleme identifizieren, die mit digitalen Technologien gelöst werden können. Die in Startups und IT-Unternehmen erprobte Methode des Design Thinking ist das Werkzeug, mit dem Ideen in einem offenen, kreativen Prozess gefunden werden können. Das Konzept verwirklicht einen etwas spielerischen, experimentellen Ansatz, der sich sehr gut zur Ideengenerierung

48 David Landis, What does Lean UX have that I don’t?, http://lithespeed.com/lean-ux-dont-part-1-3-2/

49 Interview Rentsch, IBM

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Am Anfang des Prozesses, der zu einem Smart Service oder einem Smart Product führt, steht die Idee des Geschäftsszenarios. Hierzu müssen im Portfolio des Unternehmens Produkte und Services entdeckt werden, die sich für die digitale Transformation eignen oder die digital vollkommen neu entworfen werden. Aus dieser empirischen Bestandsaufnahme der Ressourcen eines Unternehmens können nun Ideen für innovative Produkte und Services gebildet werden. Dabei sollen aber keine Ideen am „grünen Tisch“ entstehen oder „von oben“ durch das Topmanagement durchgesetzt werden. Entscheidend ist dagegen eine starke Kundenzentrierung, damit sich die Ideen an den Wünschen und Bedürfnissen der Nutzer des Smart Service orientiert.

Smart Services machen Kunden glücklich

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STRATEGIE

STRATEGIE eignet. Dabei wird in gemischten Teams gearbeitet, zu denen nicht nur Mitarbeiter unterschiedlicher Fachbereiche gehören, sondern in vielen Fällen auch Kunden.

Design Thinking Prozess

Fallbeispiel

PaketButler – Innovatives Produkt dank Design Thinking Ein Beispiel für einen erfolgreichen Innovationsprozess mit Design Thinking ist der der PaketButler, eine intelligente Paket-Box, die die Deutsche Telekom seit einiger Zeit vertreibt. Diese Box. Diese Box kann am Morgen vor der Wohnung platziert und mit einer entsprechenden Funktion gesichert werden. Der Paketbote öffnet die Box mit einer App und legt das Paket hinein. Der Kunde wird per App informiert, dass sein Paket da ist. Auch das komplizierte Retourenproblem ist gelöst: Der Kunde kann das Paket am nächsten Tag wieder in die Box legen und dem Paketboten per App mitteilen, dass es abgeholt werden soll. Das Entwicklungsteam hat im Vorfeld die Kundenbedürfnisse systematisch erhoben, den physischen sowie digitalen Prototypen entwickelt und das Ergebnis in Testmärkten erprobt. Es wurde anschließend aufgrund der Anwenderreaktionen weiterentwickelt und nach etwa zehn Monaten begann die Produktion.

Verstehen

Beobachten

50

www.youtube.com/watch?v=Zqo11E9eSjQ&t=43s

Smart Service Design als iterativen Prozess starten Die Gestaltung von smarten Services und Produkten sollte nicht wie ein klassischer Wasserfallprozess gestaltet werden. Das Team arbeitet auf agile Weise und kontrolliert sich immer wieder selbst: Verfolgen alle Teammitglieder noch das richtige Ziel? Das Smart Service Design erfolgt im Rahmen von Design Thinking in sechs Prozessschritten51: »»Die ersten drei Schritte heißen Verstehen, Beobachten und Synthese. Sie sind der Problemraum und ermöglichen die Antwort auf die Frage: Welches Problem will ich eigentlich lösen? »»Die letzten drei Schritte heißen Ideen, Prototypen und Testen. Sie sind der sogenannte Lösungsraum und beantworten die Frage: Welche Lösung passt zum beschriebenen Problem? Der erste Schritt („Verstehen“) ist hierbei die Definition des Problems, das in IBM-Terminologie „Hill“ genannt wird. Darunter ist ein ausformuliertes Ziel zu verstehen, das im Design-Thinking-Prozess erreicht werden soll. Anschließend wird das Problem aus der Sicht von verschiedenen „Personas“ (Kundentypen) analysiert.52 Das Smart Service Design schaut immer auf die drei folgenden Grundfragen: Wo sind tatsächlich Probleme? Wo sind Bedürfnisse? Wo gibt es aktuell Schwierigkeiten? Von da aus entwickelt sich dann die Service-Idee mit dem Ziel, dass der Service anschließend wirklich smart ist und funktioniert.

50 Interview Koch, Hyve 51 Interview Tonhauser, DesignThinkingCoach 52 Interview Rentsch, IBM

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Sichtweise definieren

Ideen finden

Prototypen entwickeln

Testen

Quelle: HPI School of Design Thinking

Kundenzentriert Anforderungen definieren Im Entwicklungsprozess wird nicht danach gefragt, was im Unternehmen geändert werden muss. Im Vordergrund stehen stattdessen Überlegungen, wie dem Endkunden geholfen werden kann. Dazu müssen Unternehmen analysieren, welche Fähigkeiten sie haben und sie den Kundenwünschen zuordnen. Erst auf diesem Weg kommen sie zu kundenzentrierten Anforderungen, die mit digitalen Technologien umsetzbar sind. Diese Denkweise ist dabei für viele Unternehmen neu und ungewohnt. Für diese Methode ist eine etwas spielerische Arbeitsweise mit Postits und Zeichnungen typisch. Ergänzt wird dies durch eine offene Kommunikationskultur, bei der niemand vorne steht und einen Monolog hält.53

Alle betroffenen Mitarbeiter beteiligen Für die einfache Zusammenarbeit auf Augenhöhe nutzt beispielsweise IBM sogenannte Design Studios – europaweit verteilte Räumlichkeiten, in denen in angenehmer und kreativer Atmosphäre gearbeitet werden kann. So ist es möglich, jeden Mitarbeiter, der mit dem Problem zu tun hat, tatsächlich am Prozess zu beteiligen – etwa, weil sie die Produkte und Lösungen später verkaufen oder betreuen müssen. In vielen Unternehmen ist diese interaktive Zusammenarbeit und Kommunikation über mehrere Hierarchie-Ebenen hinweg ungewöhnlich. Deren Mitarbeiter sind es im Normalfall nicht gewohnt, Meinungen zu äußern, die als wichtig und richtig eingeschätzt werden. „Bei einem unserer Kunden haben wir das gesamte Topmanagement, aber auch den Fieldservice eingeladen. Dadurch waren auch Mitarbeiter beteiligt, die letztlich mit der Lösung arbeiten. Das hat natürlich erhebliche Aha-Effekte erzeugt, weil hier plötzlich Leute mit dem CEO zusammensaßen und gearbeitet haben, die ihn sonst nur von Fotos kennen.“54 53 Interview Rentsch, IBM 54 Interview Rentsch, IBM

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STRATEGIE

STRATEGIE Interaktiv Ideen finden Der große Vorteil der Ideenfindung mit strukturierten Methoden: Sie können nicht nur in einem Workshop eingesetzt werden, sondern führen weiter in die eigentliche Produktentwicklung sowie die endgültige Bereitstellung der Lösung. Es wäre widersinnig, zunächst die Ideenfindung interaktiv zu gestalten, anschließend aber wieder traditionelle, nicht-interaktive Methoden einzusetzen, um die Lösung in den Markt einzuführen. Workshops eignen gut sich zur Entdeckung von Ideen, die dann zu einem wichtigen Bestandteil eines sehr viel längeren Prozesses der Digitalisierung und agilen Transformation werden. In den entsprechenden Workshops können die Unternehmen vergleichsweise schnell Digitalisierungsinitiativen generieren – ein typischer Zeitraum sind vier bis acht Wochen. Bei einem Kunden konnte IBM innerhalb weniger Wochen gut 30 Ideen generieren, von denen anschließend einige in Projekten verwirklicht wurden.55 Anschließend sollte das Unternehmen ein interdisziplinäres Digitalisierungsteam ins Leben rufen.

Grundsätzlich gilt bei Design Thinking die Anforderung, dass sich das Team tatsächlich an einem Ort befindet. Allerdings ist das in vielen Unternehmen und Projekten nicht ohne weiteres zu verwirklichen, weil etwa globale Teams gebildet werden müssen. In diesem Fall sind Videokonferenzen ein gutes Hilfsmittel für die Zusammenarbeit. Sehr praktisch für weltweit verteilte Teams ist eine Always-On-Konferenz. Dabei gibt es einen einzelnen Teamraum, der für die örtlich anwesenden Mitarbeiter ausreichend groß dimensioniert sein muss. Er ist gleichzeitig auch ein Videokonferenzraum, bei dem die Kameras den ganzen Tag laufen, sodass die Mitarbeiter unkompliziert miteinander sprechen können.

Expertentipp:

Design Thinking ist nicht für jedes Problem geeignet

Lean Service Creation – das digitale Powerpack56

Kreativmethoden wie Design Thinking sind als strukturierte Vorgehensweise ein flexibles Werkzeug, das Unternehmen in drei Bereichen einsetzen können:

Die Digitalagentur SapientRazorfish verknüpft die drei Methoden Design Thinking, Lean Start-up und agile Softwareentwicklung unter dem Schlagwort “Lean Service Creation”. Dieser schlanke Ansatz hilft den Kunden der Agentur, schneller ans Ziel zu kommen. Durch schlanke Methoden der Erkenntnisgewinnung, des Bauens und des Testens kann ein Projektteam schneller überprüfen, ob die Annahmen über die Kunden und den Service richtig sind. Die Strategen und UX-Designer der Agentur besuchen die Kunden und Nutzer und arbeiten kollaborativ. Das ist sicher eines der zentralen Elemente dieser Methoden: Sie ermöglichen eine schnellere Zusammenarbeit. Das bewirkt „Alignment“. Das Projektteam – idealerweise besetzt von Kunden und echten Nutzern – kann sich sehr schnell auf ein gemeinsames Verständnis, auf eine gemeinsame Aufgabe, einen gemeinsamen Problemkreis und vielleicht auf ein Set an möglichen Lösungen einschwören. Die UX-Strategen bei SapientRazorfish versuchen, ein klares Bild des Kontextes zu erzeugen: Wer hat eigentlich welches Problem? Wo entsteht eine Lücke in einer Serviceerfahrung? Die Methode dahinter ist User Research. Das kann ein ganzes Methodenset umfassen, angefangen bei Guerrilla-Methoden, über Ethnografien, um erst einmal anekdotisch Wissen zu sammeln. Wichtig ist natürlich, diese Methoden zu verfeinern – im Hinblick auf die Gütekriterien Reliabilität, Validität und Objektivität. Zudem ist eine möglichst breite Datenbasis notwendig. Das können einerseits Verhaltensdaten sein, die auch schon im digitalen Service- oder Nutzungskanal messbar sind. Das können andererseits unstrukturierte Daten sein, die über Nutzerbeobachtung, Interviews und andere Beobachtungsformen ermittelt werden. Die große Gefahr ist, dass die Menschen in Nutzer Interviews etwas Bestimmtes sagen, sich in der Wirklichkeit aber ganz anders-verhalten. Die Diskrepanz zwischen beschriebenem und tatsächlichem Verhalten ist umso größer, je mehr es beispielsweise um erwünschtes Verhalten geht oder Themen wie Ernährung und Gesundheit. Deshalb ist es wichtig, dass das reale Verhalten sowohl digital als auch im Alltag mit technischen Mitteln gemessen wird, um es korrekt zu erfassen und daraus bestimmte Muster ableiten zu können.

55 Interview Rentsch, IBM 56 Interview Gäng, SapientRazorfish

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Es ist wichtig, hier die Kunden einzubinden, damit aus der potentiellen Problemlösung auch tatsächlich eine so genannte Opportunity, eine Gelegenheit, einen Wertbeitrag zu leisten, entsteht. Das umfasst auch die Kenntnis der verschiedenen Rahmenbedingungen des Kunden. Die Agentur betrachtet dafür den Nutzer möglichst früh und genau. Außerdem berücksichtigt sie alle Kanäle und Artefakte, mit denen ein Kunde interagiert.

1. Produkte, Services und Geschäftsmodelle entwickeln: Bei der Entwicklung von neuen Geschäftsmodellen, Produktideen und smarten Services steht der Endkunde im Fokus und zwar sowohl im B2C- als auch im B2B-Sektor. 2. Innovationskultur fördern, Mitarbeiter coachen: Bei der Weiterentwicklung des Unternehmens und seiner Performance können strukturierte Methoden helfen, das Unternehmen innovativer zu machen und das Mindset der Mitarbeiter zu verändern. Ziel ist dabei die Fähigkeit, im Rahmen eines Design-Thinking-Prozesses innovativ zu arbeiten. Zu dem neuen Mindset gehört auch, die Angst vor Fehlern zu verlieren – sie sind notwendig, um einen Lernprozess anzustoßen. 3. Strategische Weiterentwicklung und Digitalisierung: Denkweisen und Kultur gilt es im ganzen Unternehmen zu verändern. Ein methodisches Vorgehen hilft dabei, alle Fachbereiche des Unternehmens darauf vorzubereiten. Interne Prozesse werden verändert und neu entwickelt, um auf die Herausforderungen der digitalen Transformation zu reagieren. Allerdings sind kreative Methoden nicht für jedes Problem geeignet. Sie sind beispielsweise nicht ratsam bei Problemen, bei denen die Aufgabe und der Lösungsweg bereits bekannt sind. In diesem Fall kann die Ideenfindung nichts zur Problemlösung beitragen.57

57 Interview Tonhauser, DesignThinkingCoach Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE

„Explore“ bedeutet, zunächst die Idee des Geschäftsszenarios zu entwickeln. Als Methode dafür kann „Design Thinking“ genutzt werden. Dabei arbeitet das Team auf agile Weise und kontrolliert sich anhand der Ergebnisse immer wieder selbst. Es bearbeitet ein Problem an einem festen Ort mit Werkstattcharakter und nutzt dabei sechs Prozessschritte: Verstehen, Beobachten, Synthese, Idee, Prototyp und Test.

»»Die Bedürfnispersona59 ist ein prototypischer Nutzer oder Kunde eines bestimmten Produkts oder Services. Er wird ähnlich wie die Hauptfigur in einem Computergame mit bestimmten, mehr oder weniger starken Persönlichkeitsmerkmalen, Bedürfnissen, Wünschen und Zielen ausgestattet. Eine oder mehrere Bedürfnispersonas sind im Rahmen eines kreativen Prozesses die Stellvertreter der zukünftigen Nutzer. User Persona Template, Quelle: xtensio.com

Positive Kundenerlebnisse mit Lean UX gestalten Positive Kundenerlebnisse entstehen, wenn die Anwender eines Produktes oder Services im Mittelpunkt der Entwicklung stehen. Das klingt einfach, scheitert aber oft an technikgetriebenen Sichtweisen. In den frühen Phasen eines Innovationsprozesses ist die technische Perspektive nicht ausreichend, da sie kaum nutzerzentriert ist. Viel zu häufig ist das Ergebnis technisch hochwertig, wird aber trotzdem nicht genutzt, da es die Kundenbedürfnisse nicht (gut genug) erfüllt.58 Ein Ausweg aus dieser Situation bietet die Änderung des Mindsets und der Herangehensweise in den Kreativphasen der Innovationsprozesse. Hierfür setzen vor allem IT-Unternehmen bzw. Unternehmen der Digitalwirtschaft Konzepte aus dem UX-Design (User Experience Design, Gestaltung der Benutzererfahrung) ein. Es ist nutzerzentriert, setzt aber auch das Entwicklungsteam in den Fokus der Betrachtungen. Für einen Erfolg der Teamarbeit sind folgende Rahmenbedingungen wichtig: 1. 2. 3. 4. 5.

Die Zusammensetzung, die Art der Kommunikation, die Arbeitsweise, der Zeitrahmen und die Arbeitsräume des Teams.

»»Die Empathy Map60 ist ein Template oder Canvas, mit dem die Gedanken, Gefühle, Aussagen, Sichtweisen und Handlungen der Kunden analysiert werden können. Mit ihr kann ein wirkliches Verständnis für die Motivation und Bedürfnisse der Nutzer entwickelt werden. Idealerweise werden die einzelnen Felder des Templates mit Felddaten (Mafo, Kundenkontakte) ausgefüllt. Empathy Map Template, Quelle: eventmodelgeneration.com

Die besten Ergebnisse in den Kreativphasen gibt es, wenn das Team 1. interdisziplinär zusammengesetzt ist, 2. hierarchiefrei kommunizieren darf, 3. spielerisch und iterativ arbeiten kann, 4. ausreichend Zeit zur Verfügung hat und 5. einen flexibel gestaltbaren, fest gebuchten Raum besitzt. Diese Kriterien erlauben kreatives Selbstvertrauen, wirkliche Empathie für die Anwender und effiziente Prozesse bei der Ideenfindung. Erst wenn dieser Rahmen erfolgreich gesetzt ist, können Werkzeuge und Methoden optimal genutzt werden.

Die wichtigsten Werkzeuge aus dem UX-Design Grundsätzlich ist UX-Design ein verbreiteter Ansatz, um auf der Grundlage von menschlichen Grundbedürfnissen innovative Produkt- und Servicekonzepte zu gestalten. Er nutzt unter anderem drei praktisch anwendbare Werkzeuge: Bedürfnispersona, Empathy Map und Idea Map.

58 Vgl. http://www.smarter-service.com/2016/03/21/ux-concept-inspiration-so-gehts/

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59 Vgl. http://www.smarter-service.com/2016/03/21/ux-concept-inspiration-so-gehts/ 60 Vgl. http://www.smarter-service.com/2016/03/21/ux-concept-inspiration-so-gehts/ Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

xxx

STRATEGIE »»Die Idea Map61 unterstützt Ideenfindungsprozesse, indem sie einen strukturierten Ablauf für die Umsetzung einer Kreativphase vorgibt. Zunächst werden Ideen in der „Ideengarage“ gesammelt und dann im „Workspace“ zu größeren Ideenblöcken zusammengeführt und erweitert. Erst am Schluss kommt eine Bewertung der einzelnen Ideen.

UX Innovation Workshop 30

10

min

min

MINDSET

KONTEXT

20

min

30

10

min

30

min

min

Evaluation

VISUALISIERUNG

Idea Map Template, Quelle: Anne-Elisabeth Krüger, Fraunhofer IAO

Design Thinking User Experience

Szenario

EMPATHIE

Bedürfnispersona

IDEENFINDUNG Positive Erlebnisse

Prototyping

Quelle: Anne-Elisabeth Krüger, Fraunhofer IAO

Fallbeispiel:

Audi VR Experience – Mit Virtual Reality zum Wunschauto

Sichtweisen und Perspektiven von Technikern verändern

Praxisleitfaden IoT

Solche Ansätze sind nur grobe Rahmen für zahlreiche Themen. Sie legen Wert auf möglichst viel freie, kreative Beschäftigung mit den Bedürfnissen und Wünschen von Kunden. Diese Offenheit kollidiert jedoch häufig mit der Mentalität von Ingenieuren, die aus ihren Innovationsmethoden (bspw. dem morphologischen Kasten) eine klare Struktur, definierte Randbedingungen und Handlungsanleitungen gewöhnt sind. Die beiden strukturierten Methoden „UX Innovation Workshop“ und „UX Concept Inspiration“ bieten eine geführte Handlungsanleitung mit klaren Quality Gates und Timeframes. Sie kombinieren die spielerische Herangehensweise mit effizienten Prozessen ,basierend auf den Bedürfnissen der Nutzer. »»Ein UX Innovation Workshop62 setzt die Benutzererfahrung in einen praktischen Kontext. Er eignet sich besonders in den frühen Phasen der Produktinnovation. Der Workshop hat eine Zeitdauer von etwas mehr als zwei Stunden. Er dient der strukturierten und anhand festdefinierter Schritte geleiteten Entwicklung eines non-funktionalen Prototyps mit einfachen Materialien wie Knete, Papier oder Lego.

61 Interview Krüger, Fraunhofer IAO 62 Interview Krüger, Fraunhofer IAO

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Audi geht den nächsten Schritt der Integration digitaler Technologien in den Automobilvertrieb. Die macht es Audi-Kunden möglich, ihren potenziellen Neuwagen in Wunschkonfiguration schon vor dem Kauf im Autohaus anzuschauen und zu testen. Dabei nutzt der Hersteller eine völlig neue Art der Benutzerinteraktion. Dank Virtual Reality müssen Händler diesen Wagen nicht in der exakt gewünschten Ausstattung direkt vor Ort vorhalten. Für einen ersten Eindruck reicht es zukünftig, eine VR-Brille aufzusetzen und sich damit alle Einzelheiten des Autos von innen und außen anzuschauen. Mit der Technik lässt sich die gesamte Audi-Modellpalette präsentieren – inklusive aller Farben, Lederarten, Sitze oder Infotainment-Systeme. Der Kunde erlebt sein Fahrzeug virtuell so in allen Details.

youtu.be/JOLbUr4BDQ4 33 »»Die Methode UX Concept Inspiration63 verteilt die einzelnen Schritte auf mehrere Tage. Nach einem Briefing am ersten Tag werden an drei Tagen Ideen erzeugt und Prototypen gestaltet, bei denen ein Bedürfnis im Fokus steht. Zuletzt werden die Ideen bewertet. Der gesamte Zeitaufwand beträgt etwa zweieinhalb Stunden mit einem 90-minütigen Workshop am ersten Tag, an drei Tagen jeweils 10-minütigen Kreativ­ phasen und am letzten Tag einer 30-minütigen Bewertungsphase.

Design Thinking hat die besten Ergebnisse, wenn ein Entwicklungsteam interdisziplinär zusammengesetzt ist, hierarchiefrei kommunizieren darf, spielerisch und iterativ arbeiten kann und ausreichend Zeit zur Verfügung hat. Werkzeuge wie Bedürfnis-Persona, Empathy Map und Idea Map helfen beim Design eines Smart Service.

63 Interview Krüger, Fraunhofer IAO Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE Doch die Entwicklung eines Prototyps oder Einstiegsprodukts („Minimum Viable Product“) ist nicht ausreichend, um einen guten und erfolgreichen Smart Service zu gestalten. Hierzu gehören auch Überlegungen zu den Kundenprozessen, der Gestaltung eines digitalen Ecosystems sowie zur Optimierung von Usability und User Experience.

UX Concept Workshop EMPATHIE Bedürfnisse

KICK OFF

EMPATHIE

Achtsamkeitsübung Bedürfnissteckbrief

30

min

30

min

Bedürfnispersona

30

30

min

min

10

min

MINDSET

Design Thinking User Experience

KONTEXT Szenario

Quelle: Anne-Elisabeth Krüger, Fraunhofer IAO

Evaluation

EMPATHIE

Bedürfnispersona

VISUALISIERUNG Prototyping

IDEENFINDUNG Positive Erlebnisse

Create: Smart Services entwickeln Eine gute Idee allein reicht nicht, der Smart Service oder das smarte Produkt müssen auch zu einem funktionierenden Prototypen und dann zu einem ersten marktfähigen Produkt weiterentwickelt werden. In vielen Unternehmen der Digitalwirtschaft, vor allem in Startups, werden agile Methoden genutzt. Es gibt eine Reihe von unterschiedlichen Methoden wie Scrum, Kanban, Lean Startup oder Digital Business Engineering, die eingesetzt werden können. Sie haben einige Elemente gemeinsam: »»Sie entwickeln einen Service oder ein Produkt in kleinen Schritten, die nicht vorgeplant werden. Dabei gibt es relativ häufig neue, verbesserte Produktversionen. »»Sie nutzen für die Entwicklung einer Produktversion iterative Zyklen, deren Ergebnisse getestet und ausgewertet werden, wobei die Ergebnisse der Tests in den nächsten interaktiven Zyklus einfließen. »»Sie sind stark benutzerzentriert. Die Wünsche und Reaktionen der Anwender werden in jedem Entwicklungsschritt berücksichtigt. »»Sie setzen auf selbstorganisierte und selbstständig arbeitende Teams, die ein Produkt oder einen Service ohne detaillierte Vorgaben aus dem Management designen. Das im Abschnitt „Explore“ geschilderte Design Thinking wird häufig in denselben Kontexten wie die hier beschriebenen Methoden eingesetzt. Es ist jedoch u.E. mehr als „Ideengenerator“ und weniger für die Entwicklung eines marktfähigen Produkts geeignet. Umgekehrt haben Methoden wie Lean Startup weniger das Ziel, möglichst viele unterschiedliche Ideen zu generieren, sondern Smart Services in einem effizienten, iterativen Prozess bis zur Marktreife zu bringen.

Digital Business Engineering: Schritt für Schritt zum Smart Service Die Digitalisierung bietet Unternehmen zahlreiche Chancen, neue Geschäftsmodelle vor allem durch die Auswertung der strategischen Ressource „Daten“ aufzubauen. Viele deutsche Unternehmen, auch aus dem Mittelstand, haben durch die Digitalisierung die Chance, hybride Services oder hybride Leistungsbündel anzubieten, bei denen es sich zumeist um IT-Services handelt. Die Frage ist jedoch, auf welche Weise ein Unternehmen zu einem neuen Geschäftsmodell kommt. Hierfür gibt es einen methodischen Ansatz, den das Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST zusammen mit der Universität St. Gallen entwickelt hat: Digital Business Engineering. Das Vorgehensmodell unterstützt Unternehmen bei der digitalen Transformation und richtet sich an Projekt- und Linienverantwortliche aus Marketing, Vertrieb, Geschäftsentwicklung, Supply Chain Management sowie der IT. „Deutschland ist nicht das Silicon Valley und nur wenige deutsche Unternehmen werden jemals so ticken wie Firmen aus dem Silicon Valley. Was in Deutschland aber gut funktioniert, ist ein ingenieursartiger Ansatz.“64 Digital Business Engineering ist ein modell-getriebener und methodenbasierter Transformationsansatz. Er bietet Führung und Struktur in einem relativ unerforschten Handlungsfeld. Darüber hinaus fließen Praxiserfahrungen kontinuierlich in die Methodenweiterentwicklung ein. Digital Business Engineering unterstützt ein Unternehmen auf allen Ebenen: strategisch bei der Neuausrichtung hinsichtlich Digitalisierung, bei der Adaption ihrer Prozesse und natürlich bei der technischen Umsetzung auf Systemebene.

Digital Business Engineering im Überblick Insgesamt bietet das Konzept des Digital Business Engineering sechs ­strategische Meilensteine für die Gestaltung eines digitalen Ge­schäfts­ modells. 1. Ende-zu-Ende-Kundenprozess: Analyse, Modellierung und Beschreibung des Kundenprozesses von der Entstehung eines bestimmten Produkt- bzw. Dienstleistungsbedarfs bis hin zur Nachbereitung. 2. Digitales Ecosystem: Identifikation und Analyse der Akteure im Ecosystem sowie ihrer Interaktion. 3. Digitale Produkte und Dienstleistungen: Anreicherung physischer Produkte oder klassischer Dienstleistungen mit digitalen Diensten oder Aufbau einer digitalen Plattform, auf der Software-Dienste entwickelt werden. 64 Interview Steinbuß, Fraunhofer ISST

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STRATEGIE Digital Business Engineering

STRATEGIE anderen Cyber-Physical Systems. Dies ist beispielsweise bei autonomen Systemen der Fall, die sich untereinander abstimmen, wer was wann tut. Zur Veranschaulichung ein Beispiel aus der Medizintechnik: Ärzte in Kliniken beispielsweise könnten Ultraschallgeräte einsetzen, die sich selbst orten und daher wissen, in welchem Raum sie sind. Der nächste Schritt in Richtung eines smarten Gerätes wäre dann die automatische Erkennung von Arzt und Patient. In Deutschland ist das sicher noch ein rechtliches Problem, aber der Vorteil wäre, dass das Gerät die Untersuchung direkt auf eine Kostenstelle bucht und in eine digitale Patientenakte einfügt.

Digital Business Engineering

Smarte Produkte für zukünftige Anforderungen

Quelle: Fraunhofer ISST

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4. Digitale Fähigkeiten: Referenzmodelle für „Digital Capabilities“ dienen als Blaupause, um die Kompetenzlücken sowohl in fachlicher als auch in informationstechnischer Hinsicht zu schließen. 5. Datenarchitektur und „Data Value Chain“: Techniken des Datenarchitekturmanagements helfen bei der Erstellung von Datenlandkarten für digitale Anwendungsfälle. Zudem müssen Unternehmen die Datenwertschöpfungskette identifizieren, analysieren und im Sinne eines Ende-zu-Ende-Kundenprozesses modellieren. 6. Digitale Technologiearchitektur: Kombination der bestehenden betrieblichen Anwendungssysteme (z. B. ERP, CRM, MES) mit neuen Technologien (z. B. In-Memory-Datenbanken, Big-Data-Software, mobile Applikationen).65

Vernetzte Produkte mit lokaler Intelligenz als Grundlage von smarten Services Der Kern vieler Smart Services ist ein sogenanntes Cyber Physical System (CPS). Damit ist eine Verbindung von physikalischen Produkten mit IT in vielerlei Dimension gemeint. Ein Beispiel ist ein Temperatursensor in einem Raum: Bisher war es so, dass der Sensor die Temperatur gemessen und diese Daten regelmäßig gesendet hat. Das war sehr einfach, es ging im Grunde nur darum, eine physikalische Größe zu messen. Diesem Gerät kann jetzt aber ein kleines Stück Intelligenz verschafft werden, indem etwa bestimmt wird, dass es nicht mehr ständig Temperaturwerte schickt, sondern in dem Fall einen Alarm anzeigt, wenn sich der Temperaturwert um fünf Prozent verändert. Doch das Produkt steht nie allein da, sondern es ist entweder mit Systemen in der Cloud verbunden oder mit 65 Interview Steinbuß, Fraunhofer ISST

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Digital Business Engineering hat solche smarten Produkte zum Ziel. Aber was Unternehmen schwerfällt, sind Vorüberlegungen zu künftigen Kundenwünschen. Sie sehen ihre jetzigen Produkte und wissen nicht, was Kunden in Zukunft brauchen werden. Es wird oft gewartet, bis neue Anforderungen kommen und dann wird überlegt, wie man diese bedienen kann. Digital Business Engineering setzt genau hier an: Es gilt zu überlegen, was die neuen Anforderungen sein können und welche Fähigkeiten das Unternehmen braucht, um diese Anforderungen umzusetzen. Wichtig ist auch der zeitliche Aspekt, denn früher waren die Produktentwicklungszyklen lang. Gerade bei IT-Projekten wurde zuerst ein Anforderungsprofil plus Lasten- plus Pflichtenheft geschrieben, dann begann die Entwicklung und wenn das Produkt marktfähig war, war es oft schon veraltet. Heute gibt es Startups, die sehr viel kürzere Produktentwicklungszyklen realisieren können, und auch die großen Internetunternehmen leben das vor. Netflix, Twitter oder Facebook zum Beispiel stellen nicht einmal pro Jahr eine neue Softwarevariante bereit, sondern täglich. „Zunächst muss ein Unternehmen Klarheit über die strategische Perspektive bekommen: Wo möchte ich als Unternehmen hin, was möchte ich umsetzen? Falsch wäre die Überlegung: Ein System für einen spezifischen Anwendungsfall wird als Webservice digitalisiert.“66 Ein Beispiel wäre eine Versicherung mit einem internen Dokumentenmanagement-System, die nur über Briefe mit den Kunden kommuniziert und ihren großen Digitalisierungsschritt darin sieht, die Dokumente nun übers Internet verfügbar zu machen. Das ist ein „Ansatz von unten“, von der Technologie her. Besser wäre es dagegen, eine Strategie zu gestalten und festzulegen, wie die Kunden mit dem digitalisierten Unternehmen interagieren möchten.

66 Interview Steinbuß, Fraunhofer ISST Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE Expertentipp

versichert, sodass das Geschäftsmodell erweitert worden ist. Insgesamt ist es sehr wichtig, offen für den Netzwerkgedanken zu sein. Unternehmen müssen relevante Partner identifizieren, sich womöglich an bestehenden Unternehmen beteiligen und völlig neue Geschäftsmodelle implementieren. 3. Gestalten des Geschäftsmodells. Hierfür gibt es verschiedene Methoden, etwa den Business Model Canvas, der sich sehr gut agil weiterentwickeln und situativ pflegen lässt. Ebenfalls sinnvoll sind Business Model Patterns, die sich zu echten Geschäftsmodellen ausbauen lassen. Sie antworten jeweils auf die folgenden Fragen: Wer sind meine Kunden? Über welche Kanäle kann ich sie ansprechen? Wie sieht mein Kernangebot aus? Welche Ressourcen brauche ich? Welche Kosten entstehen dabei? Wie kann ich Geld verdienen?

Das „Innovation Board“ als Werkzeug für SmartService-Entwickler Wichtiger als die Methode und der Arbeitsprozess ist die Rolle des „Entrepreneurs im Unternehmen“ mitsamt des dazugehörigen Mindsets. Die Herausforderung besteht darin, beide Seiten zu bedienen: Unternehmen müssen auf der einen Seite prozesssicher und effizient arbeiten, aber auf der anderen Seite Freiraum schaffen, in dem kreative Ressourcen zum Einsatz kommen. In erster Linie ist es wichtig, stärker auf die eigenen Mitarbeiter zu schauen. Entrepreneure im Haus benötigen Rückendeckung. Innovationsprozesse können nur erfolgreich sein, wenn die Rückkopplung ins Unternehmen funktioniert. Das „Digital Innovation Playbook“ von Christian Beinke stellt mit dem „Innovation Board“ jedem Entrepreneur eine Arbeitsgrundlage zur Verfügung. Mit ihr kann er seine Ideen strukturieren und ausarbeiten. Gleichzeitig bringt es Ideen und Geschäftsmodell-Konzepte in eine einheitliche Form. Dadurch ist es dem Management möglich, unterschiedliche Konzepte zu vergleichen und im Kontext des eigenen Marktumfelds zu bewerten. 67

Innovation Board

Quelle: TheDarkHorse

Die richtige Auswahl an Werkzeugen und die Fähigkeit, auf Unvorhergesehenes Praxisleitfaden IoT zu reagieren, sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren für die Innovationsentwicklung im Unternehmen. Außerdem muss das Management den groben Plan festlegen – langfristige Visionen und strategische Ausrichtung. Es muss im Vorfeld klären, warum überhaupt das Abenteuer in Angriff genommen werden soll und worum es ganz konkret geht.

Smart Services schrittweise entwickeln Die Entwicklung des Smart Service geschieht in drei Schritten68: 1. Analyse der Customer Journey. Die Unternehmen müssen sämtliche Kundenprozesse in den Blick nehmen und von Ende zu Ende durchdenken. 2. Design eines Ecosystems. Hierzu muss ein Unternehmen zusätzliche und benachbarte Services oder Produkte identifizieren, die mit dem eigenen Produkt in Verbindung stehen. Ein Beispiel: Ein Versicherungsunternehmen in der Schweiz ist zum Carsharing-Anbieter geworden. Die Fahrzeuge sind über das eigene Unternehmen

69 Interview Steinbuß, Fraunhofer ISST 70 Siehe „Explore: Smart Services entdecken“, S. 95 ff. 71 Ries 2011

67 Interview Beinke, TheDarkhorse 68 Interview Steinbuß, Fraunhofer ISST

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Hilfreich bei der Gestaltung eines Smart Services sind drei Methoden:69 1. Design Thinking70: Diese Methode wird im Digital Business Engineering nicht in Reinform eingesetzt, doch es ist vor allem für die Entwicklung des Geschäftsmodells geeignet. Hier wird verlangt, sich sehr intensiv mit dem Problem auseinanderzusetzen. Erst dann kann eine Lösung entstehen – wobei es nicht unbedingt die einzige Lösung sein muss. Die Methode kommt recht schnell zu einer leichtgewichtigen Lösung, die aber auch ungeeignet sein kann und dann im Test aussortiert wird. Trotzdem entsteht in dieser Lernschleife ein besseres Verständnis des Problems und eine andere Lösung kann erprobt werden. 2. Digital Artefact Design: Mit dieser Methode wird geklärt, wie ein Digital Artefact aufgebaut sein muss. Darunter wird ein Gerät verstanden, das eine Art Computer mit Betriebssystem darstellt. Es verfügt demnach über eine Software und eine Netzwerkanbindung. Die Leitfragen in diesem Zusammenhang lauten: Wie gestalte ich den physikalischen Transport, wie müssen Nachrichten zugeschnitten sein, die über das Netzwerk gehen und welche Services für Funktionen, die das Device erweitern, muss ich an anderer Stelle anbieten? (Diese und andere Fragen sind Thema in Kapitel 4, „Die richtige Architektur von Smart Services“). 3. Design eines Minimum Viable Product (MVP): Diese Methode ist im Rahmen des Konzeptes „Lean Startup“71 entwickelt worden. Dabei geht es darum, als ersten Schritt ein Produkt oder einen Service zu entwickeln, der grundlegende Benutzerbedürfnisse erfüllt und sich gut als Startpunkt für die iterative Weiterentwicklung eignet. Das Produkt oder der Service erfüllen dabei alle Grundanforderungen der Anwender. Das Entwicklungsteam erzeugt in kurzen „Sprints“ von etwa zwei Wochen Schritt für für Schritt das MVP. Häufig kann nach Entwicklungszyklen mit einer Gesamtdauer von sechs bis acht Monaten bereits ein einsatzfähiges Produkt oder ein Service präsentiert werden. Anschließend wird der Entwicklungsprozess durch die Auswertung der Kundenreaktionen verfeinert. Dadurch entsteht in kleinen Schritten eine optimale Lösung.

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STRATEGIE

Innovation Lab Ein gutes Beispiel hierfür ist ein E-Book-Lesegerät wie der Kindle. Da sind zunächst das physikalische Device, die Software und die Datenübertragung, die über USB oder das Netzwerk erfolgen kann. Weitere Dienste kommen hinzu, außerdem ein E-Shop, in dem die Kunden Bücher anschauen und kaufen können. Und es ist ein Content Layer nötig, auf dem die eigentlichen Daten, sprich die E-Books liegen, die es zu verwalten und zu verkaufen gilt.

STRATEGIE

Innovation Lab

Fallbeispiel

Schutz vor Zugverspätungen Ein neuartiges Geschäftsmodell für Versicherungen ist ein Schutz für Bahnkunden in der Schweiz vor Verspätungen der Züge. An dem Punkt der Customer Journey, an der der Kunde sein Ticket kauft, soll er auswählen können, ob er auch eine Versicherung gegen das Zuspätkommen bucht. Tritt der Versicherungsfall ein, könnte die Bahn ihm ein Taxi zum Bahnhof schicken, das ihn zu seinem Zielort bringt. Zunächst muss das Unternehmen wissen, über welche Kanäle der Ticketkauf erfolgt. Die Analyse zeigte, dass dies zu mehr als 50 Prozent am Automaten geschieht, in geringerem Umfang außerdem online, per App und am Schalter. Relativ einfach ist das Zubuchen der Versicherung online, per App oder am Schalter. Neue Fähigkeiten sind aber nötig für den Verkauf am Ticketautomaten. Die Prozesse dahinter müssen voll automatisiert sein, es sind Big-Data-Fähigkeiten nötig, um dem Kunden beispielsweise direkt darstellen zu können, wie hoch der Preis für die Versicherung ist.

Für die Phase „Create“ gibt es unterschiedliche Ansätze, zum Beispiel Digital Business Engineering. Der modell-getriebene und methodenbasierte Transformationsansatz unterstützt ein Unternehmen auf allen Ebenen: strategisch bei der Neuausrichtung hinsichtlich Digitalisierung, bei der Adaption ihrer Prozesse und natürlich bei der technischen Umsetzung. Smart Services werden damit schrittweise entwickelt: Zunächst werden die Kundenprozesse analysiert, anschließend ein Produkt-Ecosystem gestaltet und zuletzt ein Geschäftsmodell gestaltet.

Raus aus dem Büro, ab ins Innovation Lab Viele Unternehmen nutzen zur Entwicklung von smarten Produkten und Services externe Innovationswerkstätten oder Digital Labs. Sie binden stärker als bisher die Organisation mitsamt der Stakeholder und Mitarbeiter ein. Darüber hinaus geht es hier um den Kontakt mit oder den Aufbau von Startups. Statt sich mit den Kunden in abgeschottete Entwicklungszentren für Innovationen zurückzuziehen, bauen die Unternehmen Netzwerkstrukturen und Ecosysteme.72 Die Unternehmensberatung Hyve aus München ist besonders aktiv bei sogenannter Open Innovation, die Innovationsprozesse über eine Plattform für externe Innovatoren wie beispielsweise Stakeholder oder Kunden öffnet. Unter anderem empfiehlt sie Unternehmen in der digitalen Transformation und auf der Suche nach einem digitalen Geschäftsmodell Innovation Labs, um sich für eine gewisse Zeit mit digitaler Innovation zu beschäftigen. Grundsätzlich bedeutet dies: Ein Team zieht sich von der normalen täglichen Arbeit zurück und kommt für sechs bis zwölf Wochen in das Lab 72 Interview Koch, Hyve

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Quelle: Hyve

innerhalb der Geschäftsräume von Hyve. Auf der Reise der Innovation probieren die Berater mit dem Kundenteam Methoden und neue Formate aus Praxisleitfaden IoT das Projektmanagement in einer agilen Vorgehensweise. Dabei und lernen ist es wichtig, die Schnittstelle zum Unternehmen sicherzustellen, damit die Erfahrungen aus dem Lab in die Organisation zurückfließen und das Top-Management eingebunden ist.

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„In einigen Formaten ist es zwingend vorgesehen, dass ein Vorstand einmal pro Woche ins Lab kommt, sein Jackett vor der Tür auszieht, die Ärmel hochkrempelt und mitarbeitet.“73

Der Innovationsprozess in einem Lab Ein Lab braucht relativ viel Vorlaufzeit. Die Berater müssen das Top-Management involvieren und die richtigen Fragestellungen finden. Die Teammitglieder müssen freigestellt werden und auch die richtigen Skills mitbringen. Denn es sollten vor allem die Mitarbeiter weitergebildet werden, die die Organisation in diesen Formaten auch voranbringen können. Der Prozess selbst ist ein Dreiklang aus Learn, Ideate und Prototype. Dies entspricht den Kerndisziplinen der Innovation. Wichtig sind die in der Abbildung im unteren Bereich dargestellten blauen Pfeile. Hier geht es neben dem Projektmanagement um die Datenperspektive. Von der ersten bis zur dritten Phase müssen die Kundenbedürfnisse beachtet werden und zudem muss es eine datengetriebene Validierung geben. Auch wenn es weitergeht in die Innovation-Factory, in die Vorentwicklung und tatsächliche Umsetzung, bleibt diese Datenperspektive wichtig. 73 Interview Koch, Hyve

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STRATEGIE

STRATEGIE Gleiches gilt für die Digitalperspektive: Es macht keinen Sinn, ein physikalisches Produkt zu entwickeln und einen digitalen Layer darauf zu setzen. Umgekehrt macht es auch keinen Sinn, ein digitales Produkt oder einen Service zu entwickeln und sich erst später um die Hardware zu kümmern. Stattdessen geht es um integriertes Denken und darum, die User Journey durchgängig zu designen. Es ist eine Herausforderung für Unternehmen, neben dem physischen Produkt und der digitalen Innovation auch über ein neues Business-Modell nachzudenken. Während der Entwicklung eines Smart Services muss ständig geprüft werden, welche Auswirkungen es auf den Service, die App und das physische Produkt hat. Der Prozess wird dadurch komplex und auch fragil. Im Prozess ist es deshalb Pflicht, die Methoden sauber einzusetzen. Die Kür ist eine sinnvolle Verknüpfung von Querschnittsfunktionen wie Data, Digital, Design, Business-Model und Kundenperspektive. Diese Perspektiven müssen das Endprodukt befruchten. Das Business-Modell darf am Ende kein Show-Stopper oder gar Totschlagargument sein. Umgekehrt darf ein inte­ res­santes Geschäftsszenario nicht in einem langweiligen Produkt enden. Alle Dimensionen müssen im Entwicklungsprozess immer wieder abgestimmt und getestet werden. So kann das Unternehmen sicherstellen, dass Veränderungen beispielsweise im Business-Case auch in den digitalen oder physischen Layer eingebracht werden. „Das ist für ein Unternehmen die neue Waffe nach dem Schwert. Wenn es die Digitalisierung beherrscht und nicht zu einer Quersubvention verkommen lässt, hat es seine neue Waffe im Kontext von Innovation identifiziert. Dann kann es mit neuen Produkten und Services letztlich auch Geld verdienen.“ Die Entwicklungsprozesse sind besonders erfolgreich, wenn sowohl das Top-Management als auch Kollegen der Teammitglieder in Ideation und Testing eingebunden sind. Wird das richtige Thema mit den richtigen Leuten verknüpft und am Ende die Perspektive mit dem Management, können hervorragende Smart Services entstehen. Ein Beispiel74: Pro Team konnte Hyve in Workshop-Formaten mit HypoVereinsbank (HVB)-Mitarbeitern und externen Anwendern 20 bis 30 Grobkonzepte und daraus zwei bis drei Prototypen entwickeln. Am Ende wurde darüber diskutiert, wie viele Ressourcen die HVB zur Verfügung hat, um die Ideen umzusetzen – ein Luxusproblem. Zahlreiche Unternehmen sind froh, wenn sie auch nur eine Idee umsetzen können. Durch das Startup-nahe Denken haben einige Mitarbeiter aus den Teams in der Bank alle Hebel in Bewegung gesetzt, damit die in den Labs entstandenen „Babys“ tatsächlich zu Produkten heranwachsen.

Fallbeispiel

Emotionstelefone aus der Denkwerkstatt Denkwerk zählt zu den führenden Digitalagenturen Deutschlands und beschäftigt sich bereits seit Jahren mit dem Thema Internet of Things. In ihrer Denkwerkstatt kann die Agentur jede Hardware selbst herstellen, die sie für ihre Digitalideen braucht, die aber oft nicht auf dem Markt angeboten werden. Wie in einer klassischen Abteilung für Forschung und Entwicklung agiert das Unternehmen ohne Kundenauftrag. Es handelt sich dabei im Grunde um interne Trainings, um zukünftige Dinge vorausdenken zu können. „Wenn IoT auch im B2C-Umfeld massentauglich geworden ist, wollen wir nicht erst anfangen nachzudenken, sondern schon einen Schritt weiter sein“, kommentiert Marco Zingler, der Geschäftsführer der Digitalagentur Denkwerk. Weil die Mitarbeiter von Denkwerk häufig miteinander telefonieren und sich per Videokonferenz verbinden, kamen sie auf die Idee, ein spezielles Konferenztelefon zu bauen: den Teye. Er kann zu den Worten, die er hört beziehungsweise überträgt, das passende Gesicht als Emoticon darstellen. Das gelingt über eine eingebaute Spracherkennung. Die Schlüsselworte sind bestimmten Stimmungen zugeordnet und die wiederum entscheiden über das Gesicht von Teye – das dann ähnlich aussieht wie ein Emoticon bei WhatsApp. Das Gerät ermöglicht eine emotionale Kommunikation ohne Bildübertragung. Zugleich ist das Telefon aus Holz mit einer sehr schönen Oberfläche ausgestattet. Als Denkwerk sein Konferenztelefon im Internet vorstellte und den Source Code veröffentlichte, kamen sehr viele Anfragen von Interessenten, die den Teye kaufen wollten. Obwohl es für die Agentur ein reines Forschungs- und Entwicklungsprojekt war, ist das Unternehmen in Gesprächen mit einer Firma aus Indonesien, die eine Serienproduktion erwägt.

vimeo.com/111114770

Viele Unternehmen nutzen zur Entwicklung marktfähiger smarter Produkte und Services Innovation Labs oder Digital Labs. Ein Team zieht sich von der normalen täglichen Arbeit zurück und geht für sechs bis zwölf Wochen in das Lab. Dabei ist es wichtig, die Schnittstelle zum Unternehmen sicherzustellen, damit die Erfahrungen aus dem Lab in die Organisation zurückfließen und das Top-Management eingebunden ist. Im Lab werden integrierte Produkte und Services entwickelt, die eine durchgängige Benutzererfahrung bieten.

Folge dem Weg der Daten Viele Unternehmen suchen bei der Entwicklung von neuen datenbasierten Geschäftsmodellen auch nach einer Unterstützung aus der Wissenschaft. Um diese Nachfrage zu decken, wurde das Center Smart Services im Forschungsinstitut für Rationalisierung an der RWTH Aachen gegründet. Es unterstützt Unternehmen bei der Entwicklung von Geschäftsmodellen für industrielle Dienstleistungen im Bereich Digitalisierung, digitale Vernetzung, Industrie 4.0 und Smart Services.75

Digital und physikalisches Produkt Hand in Hand entwickeln Zwei wesentliche industrielle Dienstleistungen sind der Kern einer Entwicklung von neuen Smart Services: Erstens After-Sales-Services im klassischen deutschen Maschinen- und Anlagenbau, zweitens Instandhaltung. 74 Interview Koch, Hyve

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75 Interview Jussen, Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE After-Sales-Services beginnen bei Klassikern wie dem Ersatzteilgeschäft und der Reparatur defekter Maschinen und Anlagen durch Servicetechniker und geht bis hin zu Firmen, die Mehrwertdienstleistungen wie Beratung und Qualifikation oder auch Condition Monitoring und Predictive Maintenance anbieten. Beim Thema Konnektivität arbeitet das Center Smart Services mit Ericsson an 5G-Anwendungen. Eine der ersten 5G-Antennen befindet sich am Gebäude der Demofabrik auf dem RWTH-Campus. In dieser Fabrik gibt es zum Beispiel ein Lagersystem mit rund hundert Boxen. In jeder Box befinden sich Schrauben einer bestimmten Größe und sie ist mit einem digitalen Bestellsystem verbunden. Das klassische 3G und die LTE-Vernetzung stoßen hier schnell an ihre Grenzen. Die Technologie 5G kann gut tausendmal mehr Geräte anbinden und es gibt tausend- bis zehntausendmal mehr Möglichkeiten, Objekte zu verbinden. Nachdem die Connectivity hergestellt ist, gibt es weitere Fragen, zum Beispiel zu den Themen Datenanalyse oder Internet-of-Things-Plattformen. In der Demo-Fabrik kann das Center zeigen, wie Unternehmen schnell eine Einzelapplikation realisieren können. Andererseits bildet es zusammen mit seinen Partnern die gesamte Servicekette ab: Die Sensorik erfasst Daten und ein System bietet auf Basis dieser Daten eine Predictive-Analytics-Funktion. Die Servicekette geht weiter über das Asset-Management, den konkreten, automatisch ausgelösten Service-Auftrag und Remote-Services bis hin zu Augmented Reality. Ein sehr einfaches Beispiel war eine analoge Stanzmaschine, für die erst einmal Konnektivität hergestellt werden musste. Der eigentliche Use Case im Sinne von Visualisierung war ein Dashboard, mit dem die gezählten Stanzvorgänge angezeigt wurden. Die Elemente ähneln Smart Services: Daten erfassen, Daten übertragen und sie auf einer Plattform darstellen. Ziel des Centers Smart Services ist es, innerhalb von kurzer Zeit – maximal in etwa acht Wochen – vernetzte Services zu realisieren. Dank der Technologiepartner und der Infrastruktur am Center kann die Entwicklung auch wesentlich schneller geschehen, abhängig von den Voraussetzungen im Auftrag gebenden Unternehmen. Der Wert der hohen Entwicklungsgeschwindigkeit besteht darin, dass weitere Lösungen entwickelt werden, wenn die erste verworfen wird. 76

Fallbeispiel

SmartSite – Vernetzung von Maschinen, Baustellen und Leitsystemen im Straßenbau SmartSite entwickelt hocheffiziente, offene und flexible Plattformen für intelligente autonome Baumaschinen, intelligente autonome Baustellennetze und die intelligente Bauprozesssteuerung. Das Hauptaugenmerk liegt auf einem Fahrerassistenzsystem für die Walzenfahrer. Das Verfahren erfasst die logistisch relevanten Daten – wie die Geschwindigkeit des Lastwagens und des Fertigers – und speichert sie in einer Cloud-Lösung. Dabei werden die Daten aller beteiligten Unternehmen intergiert. Das gewährleistet eine Ankunft des Materials Just-inTime. Der Vorteil: Kürzere Bauzeiten und langlebigere Straßen von besserer Qualität.

youtu.be/JHkp4n-iQY4

Die typischen Problemstellungen von Unternehmen orientieren sich entlang des Weges, den die Daten nehmen. Das beginnt mit grundlegenden technischen Fragen, in welcher Frequenz Daten zu erfassen sind und welche Datenmenge sich daraus ergibt, die übertragen werden muss. Dann sind operative Fragen zu klären, etwa die des richtigen Digital-Analog-Wandlers. Es mündet dann in Fragestellungen, wie der Kundennutzen kommuniziert werden kann und wie die Vertragsgestaltung mit dem Kunden aussehen

Sobald ein Unternehmen seinen Kunden zeigen kann, dass die Verwertung von Daten einen sehr großen Nutzen für ihn hat, rücken Themen wie Sensibilität von Daten oder Gefahr des Datenverlustes in den Hintergrund. Ein Beispiel: Vor zwei Jahrzehnten war es undenkbar, dass Krankenhäuser Daten aus hochsensiblen Krankenakten rausgeben würden. Heute gibt es Expertenplattformen, auf denen sich Mediziner über konkrete Fälle austauschen. Man hat erkannt, dass es wertvoller ist, Daten zu teilen, als sie für sich zu behalten. Zudem verändert bereits die Sichtbarkeit von Daten den Umgang mit dem Produkt. Die Daten zu sehen, ist vergleichbar mit einem objektiven Feedback für das Unternehmen. Deutlich geworden ist das im Verhalten von Stromkunden, das im Rahmen von Smart-Home-Studien untersucht wurde. Einspareffekte ließen sich weniger auf die Technologie selbst zurückführen, sondern auf das Erkennen des Stromverbrauchs und dessen Kosten. Erst die Sichtbarkeit hat die Verhaltensänderung bewirkt. Bei einer Maschine ist das ähnlich. Daten legen die Art und Weise der Nutzung offen und sorgen für objektivere Entscheidungen. Ein zweiter wichtiger Aspekt neben dem Nutzen ist die Möglichkeit, ein Erlebnis für den Kunden zu erzeugen. Deutsche Maschinen- und Anlagenbauer im hochpreisigen Segment etwa zielen darauf ab, dass ihre Produkte so etwas wie Statussymbole sind. DMG Mori zum Beispiel hat einen Anspruch an das Design seiner Produkte, der mit Apple vergleichbar ist. Diesem Anspruch wird das Unternehmen auch beim Servicedesign gerecht und wurde vom FIR vor zwei Jahren im Rahmen einer Benchmarking-Studie ausgezeichnet. 78 Das Unternehmen agiert professionell und bietet nicht einfach nur Nutzen, sondern ein besonderes Design, zum Beispiel am Bedienpult einer Maschine. Wie groß der Anteil ist, den dieses Erlebnis bei der Kaufentscheidung hat, lässt sich in Prozentpunkten nicht ausdrücken. Klar ist aber, dass es dem Unternehmen gelingt, sich dadurch erfolgreich zu differenzieren.

76 Interview Jussen, Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) 77 Interview Jussen, Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR)

78 Interview Jussen, Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR)

„Lange Projektlaufzeiten sind falsch. Es kommt darauf an, sehr schnell auch kleinere Ergebnisse in kurzzyklischen Projekten zu entwickeln und diese dann auszuprobieren.“ 77

Daten zu teilen schafft mehr Wert, als sie zu behalten

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muss: Warum hat der Kunde unseres Auftraggebers einen Vorteil davon, wenn er ihm seine Daten zur Verfügung stellt?

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STRATEGIE

STRATEGIE Daten zu teilen schafft mehr Wert, als sie zu behalten – eine der grundlegenden Erkenntnisse für das Smart Service Design. Sobald ein Unternehmen erkennt, dass die Verwertung von Daten einen sehr großen Nutzen hat, rücken Themen wie Sensibilität von Daten oder Gefahr des Datenverlustes in den Hintergrund. Zudem verändert bereits die Sichtbarkeit von Daten den Umgang mit dem Produkt. Nutzungsdaten geben dem Unternehmen ein objektives Feedback, das wiederum in die Weiterentwicklung einfließt.

Daten und Menschen in Einklang bringen Ein datenbasierter Smart Service ist immer in ein komplexes System eingebettet. Diese Systeme sind zum Teil relativ neu und erst durch die Digitalisierung entstanden. Zum Beispiel der Finanzsektor: Bis vor wenigen Jahren fanden sämtliche Interaktionen zwischen Kunde und Bank in einer Filiale statt. Heutzutage ist dieses System komplexer, da die Kunden digitale Dienste wie Online-, Mobile- und Social Banking benutzen, gleichzeitig aber auch noch die Filialen besuchen.

Fallbeispiel:

Blue Yonder Predictive Analytics – Bessere Aussichten mit Big Data Für ein Handelsunternehmen hat Blue Yonder den Werbemittelversand mit Hilfe von Big Data optimiert. Dabei analysiert der Dienstleister die kundenindividuelle Kaufhistorie der letzten fünf Jahre und prognostiziert mithilfe eines Algorithmus die Kaufwahrscheinlichkeit und Warenkorbgröße auf Kundenebene mit und ohne Werbemittel. Das Handelsunternehmen verschickt alle zwei Wochen Prospekte an bis zu eine Million Kunden. Die Steuerung des Katalogversands ist kostenintensiv und personell sehr aufwendig, da die Kundenselektion manuell ausgeführt wird. Durch den Einsatz von Customer Targeting werden die Entscheidungen zur Kundenselektion verbessert und automatisiert.

Die Forschungsgruppe von Prof. Dr. Alexander Mädche am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) beschäftigt sich damit, diese Gesamtsysteme unter Berücksichtigung sozialer Aspekte und der Potenziale der Technologie zu gestalten. Dabei steht nicht eine rein technische Vorgehensweise im Vordergrund, sondern das Gesamtsystem wird sozio-technisch betrachtet. Ein wesentliches Merkmal dieser Systeme ist die dynamische Weiterentwicklung, die sich insbesondere im Thema der nutzerzentrierten Gestaltung widerspiegelt. Bei den Herstellern von Software und Hardware ist in den letzten zehn Jahren agile Entwicklung in den Vordergrund gerückt. Agilität hat den Zweck, sich dynamisch den Rahmenbedingungen anzupassen und kontinuierlich den Kunden einzubeziehen, um einen Mehrwert zu produzieren. Agilität reicht nicht aus, um eine nutzerzentrierte Lösung zu schaffen, die gleichzeitig hohe Usability erzeugt und eine positive User Experience ermöglicht. Notwendig sind Design-Techniken wie Personas, Prototyping und verschiedene Methoden der Nutzerforschung, etwa kontextuelle Interviews. Diese Methoden gilt es in den Entwicklungsprozess von digitalen Dienstleistungen systematisch einzubetten. 116

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„Diese Methoden sind mittlerweile relativ gut erforscht, aber leider nicht jedem bekannt. Es ist auch nicht ganz einfach, sie zum richtigen Zeitpunkt zur Anwendung zu bringen.“79 Aus diesem Grunde hat sich die KIT-Forschungsgruppe entschieden, die entsprechenden Methoden bereits Studenten in einem Praxisseminar zu vermitteln.

Fallbeispiel

Practical Seminar for Digital Services Design Für jedes dieser Seminare gibt es ein Unternehmen als Kooperationspartner, das eine „Challenge“ für das Seminar definiert. Anschließend machen die Studenten während eines Semesters User Research und entwickeln einen ersten lauffähigen Prototypen, zum Beispiel unter Verwendung von Platform-as-a-Service-Lösungen, in diesem Fall die SAP HANA Cloud Platform. Für die Commerzbank und Vodafone haben die Studenten des KIT kürzlich einen Challenge zur Akzeptanz von Mobile Payment realisiert. In Deutschland ist diese Zahlungsmethode nicht so weit verbreitet wie in anderen Ländern. Die Frage war: Was müssen Banken und Handel unternehmen, um die Akzeptanz von Mobile Payment zu verbessern? Das Seminar hat problemgetrieben gearbeitet und einen Lösungsraum geöffnet. Anschließend hat es dann Prototypen entwickelt, um zu sehen, welche Maßnahmen möglich sind. Es hat festgestellt, dass die Hürden beim Mobile Payment trotz Security- und Kryptografie-Anforderungen eher nicht technischer Natur sind. Die eigentliche Herausforderung ist nicht das „Wie“, sondern das „Was“ und „Wozu“. Das Seminar versucht, den Studenten einen wichtigen Aspekt nahezubringen: Nur Innovationen und viele Ideen zu erzeugen, diese aber nicht umzusetzen, ist nutzlos. Ein Innovationsteam muss es schaffen, das Thema Nutzer- und Kundenzen­ trierung kontinuierlich von der Innovation bis zur agilen Umsetzung zu leben. Dieser Prozess beginnt mit einem Bedürfnis, anschließend werden verschiedene Alternativen entwickelt, die dann experimentell validiert werden müssen. Ab einer bestimmten Ergebnismenge muss ein iterativer, inkrementeller und agiler Prozess starten, der mit der Nutzerzentrierung angereichert ist.

DevOPs: Der nächste Schritt Ein einziges Team hat sicher nicht alle Skills, um den Gesamtprozess durchlaufen zu können. Es braucht spezielle Kompetenzen, um eine Strategie in Business-Modelle umzuwandeln. Auch beim Prototyping und dem operativen Prozess sind überlappende Teams nötig. Das Thema DevOps („Developer and Operations“) wird aber wichtiger: Wer systematisch Feedback sammeln will, macht das am besten über die Nutzung. Die Entwickler schauen sich an, wie die Menschen die Software nutzen und lernen kontinuierlich daraus. Deswegen werden heute die Entwickler-Teams mit den IT-Teams verzahnt, die Software betreiben. Um ein Team nicht wegen eines zu hohen Anspruchs zu „verbrennen“, sollte man interdisziplinäre Kompetenzen geschickt miteinander verzahnen.

79 Interview Mädche, KIT Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE „Früher war die Entwicklungsabteilung sauber getrennt vom Marketing und vom Produktmanagement, auch Usability und User-Experience waren eigene Bereiche. Heute wird das alles viel stärker verschmolzen, und es ist tatsächlich fundamental, in Teams zu agieren, die diese Skills zusammenbringen. Damit haben Unternehmen eine gute Chance, den Transformationsprozess erfolgreich zu durchlaufen. Sequenzielles Denken führt in der digitalen Welt zu nichts.“80

Ein datenbasierter Smart Service ist in ein komplexes sozio-technisches System aus Akteuren und Technologien eingebettet. Agile Vorgehensweisen passen sich daran an und beziehen kontinuierlich den Kunden ein, um einen Mehrwert zu erzeugen. Dafür muss ein Unternehmen ermitteln, wie Anwender die Software nutzen und daraus kontinuierlich lernen. Gut dafür geeignet sind gemischte agile DevOps-Teams aus Entwicklern und Mitarbeitern aus dem IT-Betrieb, die dadurch eine interdisziplinäre Perspektive auf die Anwender erreichen.

In zwei Wochen läuft’s, Agilität ist ein Mindset Optimierung durch Nutzungsdaten Die amerikanischen Service- und Cloud-Companies sind in dieser Hinsicht schon sehr viel weiter. Sie verwenden Nutzungsdaten systematisch, um ihre Software in Echtzeit zu optimieren. Beim Testen neuer Features stellt etwa Amazon nur einer Teilmenge der User diese neuen Features zur Verfügung, beobachtet das Verhalten und die Reaktionen und entscheidet dann, ob das Feature bleibt. Neben diesem A/B-Testing gibt es zudem noch komplexere Verfahren. Ein bekanntes ist das Data-Driven-Design: Mit den gesammelten Daten wird das Design optimiert. Bei diesen Themen sollten Unternehmen die Augen offenhalten, sonst verschenken sie Potenzial. Die Lebenszyklen der Produkte umfassen nicht mehr Jahre, sondern teilweise nur noch Wochen – dabei sind andere Mechanismen erforderlich. Es ist immens wichtig, dass Unternehmen mit Daten umgehen lernen. Ein weiteres Beispiel ist Microsoft: Nach den Problemen mit Windows Vista hat das Unternehmen seine gesamte Organisation auf agil umgestellt. Es dauerte drei Jahre, die agilen Prozesse nicht nur zu installieren, sondern auch zu leben. Auch klassische Industrieunternehmen setzen auf diese Methodik. So nutzen große Maschinenbauer agile Methoden für die Entwicklung. Bisher wurden komplexe Maschinen in einem klassischen Ingenieurs-Ansatz entwickelt – mit der Gefahr, am Kunden vorbei zu entwickeln. In den neuen agilen Konzepten geht es stark um Kommunikation und die Fähigkeit, Änderungswünsche mit aufzugreifen. Doch Agilität lässt sich einem Team nicht in Form eines Prozesses vorschreiben, sondern muss in einem Prozess täglich praktiziert werden, indem sie Teil des Denkens, der Kultur und der Zusammenarbeit wird. Dieses Thema braucht Zeit und eine hohe Aufmerksamkeit des Managements, es muss wertgeschätzt und in der Organisation vorangetrieben werden. „Deutsche Maschinenbauer bieten tolle Produkte an, und wenn sie experimentierfreudig sind, erweitern sie diese Produkte durch kleine, wertschöpfende Smart Services. Das kann ein ganz fundamentaler Impact für das Geschäftsmodell, die Kundenbindung und die Customer Experience sein. Diesen Mix brauchen wir.“81

„Die meisten Unternehmen sind wie eine Pyramide: An der Spitze wird entschieden, unten umgesetzt. So funktionieren agile Methoden nicht.“ 83 Agilität ist ein Mindset, das sich erst im Unternehmen verbreiten muss. Deshalb sollte zunächst ein Pilotprojekt gestartet werden. Für das Projektteam sind zum einen erfahrene Leute aus den Fachbereichen notwendig, die alle Kundenanforderungen kennen und nah am Markt arbeiten. Zum anderen sind Entwickler aus dem eigenen Haus nötig, die eigenständig arbeiten können. Hierfür müssen die Unternehmen lernen, wie ein Software-Unternehmen zu denken. Die logische Konsequenz: Sie müssen im Unternehmen (wieder) IT-Kompetenz aufbauen. „Wir holen die IT wieder ins Haus. Wir verlassen uns nicht auf externe Dienstleister, die alle drei Jahre mit 50 Leuten vorbeikommen.“ 84

82 Interview Rückemann/Siprell, Codecentric 83 Interview Rückemann/Siprell, Codecentric 84 Interview Rückemann/Siprell, Codecentric

80 Interview Mädche, KIT 81 Interview Mädche, KIT

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Die meisten Unternehmen benötigen viel zu viel Zeit, um ein neues Produkt auf den Markt zu bringen – eher Jahre als Wochen oder Monate. So muss ein großes Handelshaus aus Düsseldorf nach eigener Auskunft für bestimmte größere Software-Projekte mindestens vier Jahre einplanen. Amazon dagegen führt einen neuen Service innerhalb weniger Wochen ein. Eine sehr wichtige Frage für alle Unternehmen lautet: Wie können wir diese Geschwindigkeit erreichen? Der Weg zu dieser Art der Agilität beginnt mit dem Verzicht auf die herkömmliche, plangetriebene Vorgehensweise. Agile Projekte starten klein und verwirklichen nur ausgewählte Funktionen. Hierfür werden in einem Workshop möglichst viele neue Ideen für Innovationen erzeugt. Ein vielversprechender Einfall wird anschließend möglichst rasch verwirklicht. So setzen die Coaches Lars Rückemann und Stefan Siprell von der Digitalagentur codecentric mit ihren Kunden innerhalb von zwei Wochen ein Innovationsprojekt mit agilen Methoden um.82 Dabei entsteht lediglich ein Proof of Concept. Trotzdem handelt es sich um eine lauffähige Software, die vorgezeigt werden kann. Sie beweist, dass agile Methoden auch in großen Unternehmen funktionieren. Oft sind die herkömmlichen Organisationsstrukturen aber zu träge, so dass ein solches Projekt nur neben ihnen oder sogar außerhalb verwirklicht werden kann.

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STRATEGIE

STRATEGIE Das Pilotprojekt schafft durch diese Maßnahmen Sichtbarkeit für agile Methoden. Dadurch entsteht in den Unternehmen häufig ein Multiplikator Effekt: Immer mehr Projekte steigen auf dieses Modell um und das Unternehmen sich wandelt zu einer agilen Organisation. Die Transformation eines Unternehmens erzeugt allerdings Widerstände und kann auch scheitern. Im herkömmlichen Organisationsmodell gibt es zahlreiche Rollen und Funktionen, die in den agilen Pilotprojekten umgangen werden. „Wir ignorieren ganze Schichten des mittleren Managements. Das erzeugt natürlich Abneigung.“ 85 In großen Unternehmen sind oft nicht nur viele Manager, sondern auch der Betriebsrat dagegen. Das führt zu schlechten Kompromissen. Die Unternehmen passen also nicht ihre Regeln an oder führen neue Regeln ein. Stattdessen versuchen sie, das agile Modell in die vorhandenen Regeln des Unternehmens einzuzwängen. Damit ist aber die Transformation zum Scheitern verurteilt.

Erfolgreiche agile Projekte versprechen deutliche Kostenvorteile in den IT-Budgets Erfolgreiche Projekte zeichnen sich durch eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen den Beratern und den betroffenen Mitarbeitern im Unternehmen aus. Die Hürde dabei: Jede Veränderung führt zwangsläufig im ersten Moment zu einer Verschlechterung. Das Unternehmen verlässt die ausgetretenen Wege der etablierten Prozesse und erkundet eine neue Methodik. Dies führt zu Unsicherheit, die erst langsam durch erfolgreiche Projekte abgebaut wird. Die Möglichkeiten agiler Projekte zeigen die Erfahrungen eines Versicherungskonzerns. Dort sollten BI-Tools für spartenübergreifende Auswertungen eingeführt werden. Das Projekt wurde ein Jahr geplant, war auf drei Jahre ausgelegt und hatte ein Budget von 16 Millionen Euro – hauptsächlich für die Lizenzkosten der Standardanwendungen und deren Anpassung. Nun die Gegenprobe: Mit Open-Source-Software und einer agilen Vorgehensweise hat codecentric innerhalb von zwei Wochen ein Proof of Concept entwickelt, das zwei von den acht geplanten Use Cases abgebildet hat. Die Kosten: Wenige tausend Euro. Hochgerechnet auf eine produktionsreife Lösung könnte das agile Projekt eine Laufzeit von etwa einem Jahr haben – bei einem Zehntel der Kosten

Fallbeispiel

VR-Brille für optimale Laufwege86 Um auch im Zeitalter von E-Commerce erfolgreich zu sein, muss der stationäre Handel herausfinden, was der Kunde wirklich will und dabei eine neue Haltung ausprägen. Er sollte sich klar darüber sein, dass nicht er der Experte für das Kundenerlebnis ist, sondern der Kunde selbst.

85 Interview Rückemann/Siprell, Codecentric 86 Interview Babak Zeini, Futurest

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Die Unternehmen müssen die Customer Journey mit den Kunden erproben, permanent von ihren Reaktionen lernen und sie dann iterativ weiterentwickeln. Hierbei kann auch die Digitalisierung helfen, denn Shop-Konzepte müssen nicht unbedingt in kostenintensiven Testläden erprobt werden. Die Digitalagentur Futurest setzt dafür Virtual Reality ein. Testkunden erhalten eine VR-Brille und können sich so im Laden bewegen. Dabei produzieren sie Daten, die mit Analytics-Software ausgewertet werden. Auf diese Weise bestimmt Futurest beispielsweise die optimale Laufrichtung oder die richtige Positionierung von Beschriftungen. Der große Vorteil von VR: Unterschiedliche Shop-Konzepte können kostengünstig und ohne aufwändige Umbauaktionen ausprobiert werden.

Agilität ist ein Mindset, das sich erst im Unternehmen verbreiten muss. Deshalb sollte zunächst ein Pilotprojekt gestartet werden. Für das Projektteam sind zum einen erfahrene Leute aus den Fachbereichen notwendig, die alle Kundenanforderungen kennen und nah am Markt arbeiten. Zum anderen sind Entwickler aus dem eigenen Haus nötig, die eigenständig arbeiten können. Hierfür müssen die Unternehmen lernen, wie ein Software-Unternehmen zu denken. Die logische Konsequenz: Sie müssen im Unternehmen (wieder) IT-Kompetenz aufbauen.

Scale to Business: Ein Geschäftsmodell stark machen Sobald der Smart Service gestaltet ist, beginnen die Mühen der Ebene: Das Geschäftsmodell muss präzisiert und in die Praxis umgesetzt werden. Dafür muss selbst ein noch so gut gestalteter und funktionsfähiger Prototyp zu einem „herstellbaren“ Produkt oder Service werden – unter Berücksichtigung der Kosten der Bauteile und anderer notwendiger Ressourcen. Dafür muss die Produktion von Hardware und Software möglichst effizient, gleichzeitig aber auch dynamisch und für Kundenwünsche reaktionsfähig gestaltet werden. Hierzu dienen agile Methoden, die eine dauernde Verbesserung der Produkte ermöglichen. Anders als in der traditionellen Industrieproduktion werden die Dinge der IoT-Welt „on line“ ausgebaut und verbessert. Dies betrifft vor allem den Software-Aspekt, da smarte Produkte und Services immer eine Kombination aus Hardware, Software und Dienstleistungen sind. Ein weiterer Punkt: Unternehmen stoßen oft auf unerwartete Probleme, die mit dem Wachstum des Kundenstamms zu tun haben. Es ist eine ganz andere Situation, einen Smart Service für ein paar Dutzend Testanwender zu betreiben als für tausende oder gar hunderttausende Nutzer. Die Pro­ bleme entsprechen denen, die jedes junge Unternehmen hat, das plötzlich wachsen muss: Personal und Prozesse sind notwendig. Ein Beispiel: IoT-Services müssen natürlich in irgendeiner Form abgerechnet werden und dafür sind automatisierte Prozesse, aber auch Ressourcen in der Buchhaltung notwendig. Diese Skalierungsprobleme können nur durch eine möglichst flexible IT- Architektur behoben werden (Siehe „Design for Change: Für alle Fälle gewappnet“, S. 165 ff.). Eine dritte Schwierigkeit wird oft beim Einsatz agiler Methoden in der Praxis deutlich: Es ist reicht nicht aus, einzelne Teams oder Projekte agil arbeiten zu lassen. Vielmehr muss das gesamte Geschäftsmodell dynamisch, flexibel und iterationsfähig sein. So verweist „Scale to Business“ zwangsläufig auf „Change the Enterprise“. Die beiden Phasen „Scale“ und „Change“ Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE sind ähnlich wie die ersten beiden Phasen nur schwer zu trennen, da sie sich gegenseitig bedingen. Aus diesem Grund geht es im aktuellen Unterkapitel in erster Linie um die Einführung agiler Methoden. Das nächste Unterkapitel beschäftigt sich mit einem grundlegenden organisationalen Wandel, der über eine eher prozessual verstandene Agilität hinausgeht.

Die relevanten Assets in das digitale Zeitalter transformieren Zu jedem smarten Produkt oder Service gehört ein agiles und digitales Geschäftsmodell, das überhaupt erst die Voraussetzung für „Scale to Business“ ist. Doch wie wird ein solches Geschäftsmodell erreicht? Dass sich große Unternehmen als Startup ausgeben, ist kein Erfolgsweg zu digitalen Geschäftsmodellen, findet Dr. Jürgen Meffert, Digitalisierungsexperte und Direktor bei McKinsey & Company. Zurzeit sind bei sehr vielen Unternehmen drei verschiedene Vorgehensweisen verbreitet:87 »»Gründen eines neuen Ventures. Die Ausgründung und der Aufbau eines neuen Ventures ist sicher eine gute Idee und Unternehmen sollten auch solche Instrumente gezielt einsetzen. Es ist nur leider ein Missverständnis, dass ein aktueller Marktführer sich mit dieser Struktur neu erfinden kann. So etwas hat es noch nie gegeben und wird es auch nicht geben, weil sich jede Neugründung in Wettbewerb mit vielen anderen in den neuen Feldern befindet. »»Digitalisierung als IT-Problem. IT-Lösungsanbieter verbreiten vielfach im Markt die Nachricht: Digitalisierung sei ein IT-Problem und könne via Outsourcing von ihnen selbst für die zu transformierenden Unternehmen erledigt werden. Das ist ein fataler Fehler, weil sich in der Digitalisierung die Geschäftsprozesse auf eine Art verändern, die am Beginn des gesamten Prozesses noch nicht vollständig klar ist und auch nicht beschrieben werden kann – etwa in einem Pflichtenheft. »»Transformation der relevanten Assets in das digitale Zeitalter. McKinsey beschreitet als Digitalberatung diesen Weg, der allerdings nicht ganz einfach ist. Unternehmen müssen sich zu Anfang wichtige Leitfragen stellen: Was ist ihr relevantes Asset? Ist das ihr Kundenstamm, ihre Technologie, ihre Marke? Was ist es, wofür der Kunde wirklich bezahlt? Und was muss das Unternehmen deshalb in das digitale Zeitalter mitnehmen? 88

auszuprobieren. Letztlich heißt das, dass bestimmte Fähigkeiten ausgewählt werden, um sie in die vorhandenen Strukturen einzubringen. Diese Fähigkeiten eignen sich in erster Linie dazu, um Erfahrungswerte zu gewinnen. Doch am Ende des Transformationsprozesses muss ein Unternehmen in der Lage sein, sich komplett von seinem alten Geschäftsmodell zu trennen und neu zu erfinden. Unternehmen sind heute wie gelähmt. Sie haben in den letzten 20 Jahren fundamental in Effizienzsteigerungen investiert und sind deshalb immer arbeitsteiliger organisiert, immer spezialisierter. Und niemand in den Unternehmen hat noch eine Ende-zu-Ende-Sichtweise und versteht, was der Kunde eigentlich will. Dadurch haben sie die Fähigkeit verloren, sich zu erneuern.89

Das richtige Geschäftsmodell wählen Der erste Schritt eines Beratungsprozesses auf dem Weg zu einem Geschäftsmodell ist es, einen Moment der Wahrheit auszulösen. Vielen Unternehmen sind die Folgen der digitalen Transformation noch nicht klar. Hierzu ist es durchaus sinnvoll, Startups oder erfolgreiche Unternehmen der digitalen Wirtschaft in Asien und der Bay Area zu besuchen und sich neue Geschäftsmodelle anzusehen. Ein Beispiel: Thalia-Chef Michael Busch hatte am Anfang des Digitalisierungsprozesses, der schließlich zur Einführung des E-Book-Readers Tolino führte, Gespräche mit Apple-Führungskräften über eine Kooperation in Sachen Content geführt. Deren Nachricht: „Wir brauchen dich nicht, wir werden dich aus dem Markt drängen.“ Erst diese „kalte Dusche“ (Michael Busch) hat dazu geführt, dass Thalia die Digitalisierung konsequent angegangen ist. Als zweiten Schritt muss das Unternehmen einen strategischen Plan aufstellen, da eine digitale Transformation nicht in einigen Monaten erreicht werden kann. Stattdessen handelt sich hierbei um eine fundamentale Änderung eines Unternehmens über 2-3 Jahre. Besonders wichtig ist die Identifizierung von Eco-Systemen, die dem Unternehmen neue Chancen bieten. Der dritte Schritt sind Anpassungen im Kerngeschäft. Hier gibt es drei große Blöcke. Zunächst müssen Marketing und Sales erneuert werden, beispielsweise mit Omnichannel, dynamischem Pricing und Customer Experience Management. Die weiteren Themenblöcke im Rahmen der digitalen Transformation sind Produktinnovation und Supply Chain.90

Kurz zusammengefasst heißt digitale Transformation: Ein Unternehmen identifiziert die relevanten Assets und überführt sie in das digitale Zeitalter. Dies gilt aber für das gesamte Unternehmen, nicht nur für New Ventures. Das Gründen eigener Startups, das Pflegen von Startups in Inkubatoren oder Acceleratoren wird von vielen Unternehmen in der Erwartung eingesetzt, dass das nächste Google oder das nächste Amazon dabei ist. Diese Erwartung ist zum Scheitern verurteilt, da sie völlig falsche ... Maßstäbe setzt. Die Gründung eigener Startups oder die Zusammenarbeit mit Startups anderer Gründer sollte mit der Zielsetzung erfolgen, neue Produkte zu testen, neue Kundensegmente kennenzulernen oder neue Geschäftsprozesse 87 Interview Meffert, McKinsey 88 Interview Meffert, McKinsey

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89 Interview Meffert, McKinsey 90 Interview Meffert, McKinsey Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE

Die Einführung schlanker Prozesse Um die Prozesse digital zu transformieren, braucht ein Unternehmen eine Ende-zu-Ende-Sichtweise. Da die meisten Unternehmen allerdings in funktionalen Silos organisiert sind, ist ein solcher Wandel nicht einfach. Die Verteilung von Funktionen wie Head of Sales/Service/Marketing/IT usw. ist nur schwer zu durchbrechen. Der heutige Unternehmenserfolg ist sehr stark davon abhängig, welche Personen diese Funktion vorangetrieben haben. Hier fällt es sehr schwer, Neuerungen einzuführen.91 Hierbei ist die Unternehmenskultur ein entscheidendes Problem, das sich nicht kleinreden lässt. Ein großer Teil der Mitarbeiter in einem Unternehmen, die in den vergangenen 15 oder 20 Jahren das Unternehmen geprägt haben, bleiben oft der alten Technologie und herkömmlichen Strukturen verhaftet und schaffen nicht den Sprung ins Neue. Es sehr wichtig, für diese Mitarbeiter faire Lösungen zu finden und ihnen eine neue Rolle zu geben. Allerdings: Diese Probleme fangen beim Chef an. Sie betreffen die Geschäftsführer und Eigentümer im Mittelstand und auch die Aufsichtsräte in den Großunternehmen. „Wenn Sie Ihr Leben lang Segelschiffe hergestellt haben, dann bauen Sie eher einen Fünfmaster, als dass Sie ein Schiff mit einem Dampfmotor erfinden.“ 92

91 Interview Meffert, McKinsey 92 Interview Meffert, McKinsey

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Digital Business Model Kundenerlebnis

Produktinnovation

Omni-channel

Digital, open, agile Innovation

Digital marketing and social media

Product Design

Wertschöpfung Digital supply chain E2E digital production

Pricing, advanced commercial model

Digitized governance & support functions

Customer relationship, lifecycle management

Core

Diese Veränderungen stehen auf zwei Fundamenten: der Technik und der Organisation. Auf Seiten der Technik müssen die Unternehmen einige grundlegende Fähigkeiten beherrschen. Dazu gehören unter anderem IT-Sicherheit, Datenschutz, breitbandige Zugriffe. Ganz grundsätzlich muss die Technik, vor allen Dingen die vorhandene IT-Architektur, die digitale Transformation ermöglichen. Auf Seiten der Organisation muss ein Unternehmen flache Hierarchien schaffen und dadurch eine Umwelt, in der agile Produkte entwickelt werden. Zudem muss sichergestellt sein, dass die Integrität der Kunden- und Bestandsdaten nicht gefährdet wird. Die Organisation benötigt eine „IT der zwei Geschwindigkeiten“, in der agile und herkömmliche Strukturen nebeneinander existieren. Zudem müssen die Unternehmen erkennen, dass sie für die Digitalisierung eine Reihe von Talenten brauchen, die sie heute möglicherweise gar nicht haben. Vor allem Software und Entwicklung werden für alle Unternehmen – sogar den traditionellen B2B-Maschinenbau – sehr wichtig. Hier können sie gar nicht genug investieren. Allerdings sind nur die wenigsten Unternehmen in der Lage, alles selbst zu machen. Vor allem bei Plattformen wie eine Automated Home Platform ist die Zusammenarbeit mit Partnern gerade für mittelständische Unternehmen sehr sinnvoll, weil kein Unternehmen eine kritische Masse besitzt.

Digital procurement

Integrated physical and digital experience

End-to-end digitization

Technologie Fundament

9 Gebote für erfolgreiche digitale Transformation

2-speed IT architecture Cyber security Devices and connectivity

Kultur und Organisation Big data and advanced analytics

Digital leadership, e.g., CDO

Embedded software

Digital talent management

2-speed org: agility and waterfall

Organizing for Digital (agile, culture) Partner management …

Quelle: McKinsey

Die Umsetzung der digitalen Transformation kann ähnlich funktionieren wie bei der Einführung der Lean-Prozesse. Dabei wurden einzelne Prozesse nacheinander aus der Produktion herausgegriffen und nach dem Lean-Modell optimiert. Auf dieselbe Weise kann die digitale Transformation in ein Unternehmen getragen werden. „Im Prinzip nehmen wir uns die Prozesse Stück für Stück vor. Und plötzlich kommt auch wieder Selbstvertrauen. Wenn ich einmal gezeigt habe, dass es geht und dass ich es weiterentwickeln konnte, dann kann ich es auch ein zweites oder drittes Mal im Unternehmen. Und dann entsteht plötzlich ein Momentum.“ 93 Erfolgreich ist ein solches Digitalisierungsprojekt allerdings nur, wenn die entsprechenden Änderungen, die in von dem Team ermittelt werden, auch Priorität haben. Dies wiederum kann typischerweise nur dann durchgesetzt werden, wenn der Ordner des Projekts sehr weit oben in der Hierarchie aufgehängt ist, etwa ein Chief Digital Officer oder direkt den CEO. Digitalisierung funktioniert nur, wenn die Leitung eines Digitalisierungsteams auch ein Durchgriffsrecht hat. Hinzu kommen dann Steuerungssysteme und KPI sowie ausreichend viele Talente, die einen solchen Digitalisierungsprozess – vielleicht sogar in anderen Branchen mit einem anderen Mindset – schon einmal umgesetzt haben.

93 Interview Meffert, McKinsey Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE

9 Gebote für erfolgreiche digitale Transformation … was es wirklich heißt

Gebot …

Plan

1 Digitalisiere das gesamte Unternehmen

§  §

Priorisiere Themen nach Wertbeitrag/Dringlichkeit Baue Technologie, SW und Analytics Fähigkeiten auf

2 Überraschung – es geht um den Kunden!

§  §

Immer vom Kunden aus denken Digitalisierung E2E durch das Unternehmen treiben

3 Breche funktionale Silos auf!

§  §

Setup: Digitale BU, von 2-speed zur voll digitalen Firma Mandat verleihen und digitale Talente aufbauen

§  §  §  §  §  §  §  §  §

Schnelles Kundenfeedback auf MVP statt Determinismus Design Thinking/Rapid Prototyping/Tägliche Builds u. DevOps Ständiges Testen & Lernen

Top Management muss mit gutem Beispiel vorangehen “Lizenz zum Töten” (CDO, dezentrale Verantwortung) Digitale Talente anziehen, inspirieren und entwickeln

7 Es geht ums Ganze!

§  §

E2E: Thema um Thema, konsequent und mit Fokus Auf alle Geschäftsprozesse anwenden

8 Wie IT zur Waffe wird

§  §  §  §  §  §

Skalierung braucht Architektur der 2 Geschwindigkeiten Marker für digitale Unternehmung: Überall DevOps fähig Digitale BU: Grüne Wiese, um schnell loszulegen

4 Wechsle zum Digitalen Betriebssystem

Digitale Unternehmung

Skalierung

Shared Ownership: Alle sitzen in einem Boot!

5 Steure die Veränderung 6 Ermutige zu führen – und das auf allen Ebenen

9 Schnelligkeit als Leitmotiv

Operations

Projekt Management

Support Inside Sales Code

Steuerungsteam: CxO, CDO, und CFO Operative Kennzahlen (nicht nur AE, Umsatz, Gewinn) Wie ein VC: Knüpfe Budgets an Meilensteine

Test

Marketing

Design

Digital Natives hinterfragen lassen – und das immer Neue Entscheidungsmuster erkennen und lernen Schnelligkeit schlägt Synergien

Quelle: McKinsey

Quelle: IBM

Talente für die digitale Transformation Die vielzitierten Hidden Champions haben häufig das Problem, dass sie an Standorten liegen, die für Talente in der Digitalwirtschaft eher unattraktiv sind. Wer ein Angebot von Google in München hat, wird nur ungern nach Heidenheim an der Brenz gehen. Hierfür gibt es zwei Lösungen: Die Unternehmen müssen zunächst einmal dort präsent sein, wo die Talente der Digitalwirtschaft sind. Das sind in Deutschland Berlin, München und noch ein paar andere Standorte wie beispielsweise Hamburg, Köln oder Hannover. Die Unternehmen müssen dort eine Zweigstelle aufbauen, die allerdings einen eigenen Geschäftsauftrag braucht – etwa die Identifizierung von Start­ ups mit interessanten Geschäftsmodellen oder Ähnliches. Zweitens benötigen die Unternehmen attraktive Job-Beschreibungen, die auch Talente aus der Digitalwirtschaft anziehen. Deutsche Maschinenbau-Ingenieure gehen durchaus zu Unternehmen wie Voith nach Heidenheim an der Brenz, da es dort sehr spannende Aufgaben gibt. Der Weltmarktführer für Papiermaschinen und Wasserkraftwerke gehört zu den Top-Adressen für Ingenieure. Es gibt auch Berater, die McKinsey verlassen und zu einem Mittelständler abseits von Großstädten und Ballungsgebieten wechseln. Mit anderen Worten: Unternehmen sollten mit relevanten Projekten dort präsent sein, wo die Talente sind. Und sie sollten ein Wertversprechen aufbauen. Gerade junge Fachkräfte sehen außer dem Job durchaus andere Themen, die sie für wichtig erachten. Das hat in den alten Technologien wie Maschinenbau und Elektrotechnik geklappt, warum soll es bei der IT nicht auch klappen?

Interdisziplinäre Teams mit Shared Ownership: Alle sitzen im selben Boot Ein wichtiges Erfolgskriterium für eine Digitalisierungsinitiative sind übergeordnete, interdisziplinär zusammengesetzte Entwicklungsteams, die eine hierarchiefreie Kommunikation pflegen. Das Stichwort hier ist „Shared Ownership“ des Projektes. Hierbei sind ein oder mehrere Vertreter von Funktionsbereichen wie Vertrieb, Einkauf, Service, Marketing, Betrieb, Design, Support sowie bei Software-Projekten Entwickler und Tester gleichberechtigt am Team beteiligt. Anders ausgedrückt: Alle Teammitglieder sitzen im selben Boot. Es gibt keinen klassischen Projektleiter, der für alles verantwortlich ist.94 Die zusätzliche Rolle des Produktmanagers ist allerdings hervorgehoben. Er ist der „Product Owner“, ein Begriff aus der Scrum-Methodik. Er achtet darauf, dass das Projekt die gewünschte Richtung behält und entscheidet, welche der Anforderungen umgesetzt werden sollen. Er garantiert den Erfolg der Lösung und hält dafür engen Kontakt mit den Fachbereichen und dem Kunden. Bei agilen Projekten geht es nicht um möglichst viel ‚Output‘, sondern um möglichst werthaltigen ‚Outcome‘. Viele Unternehmen müssen allerdings bei der Zusammenstellung eines solchen Teams umdenken, da die einzelnen Rollen normalerweise in teils fest voneinander getrennten Silos organisiert sind. Doch für die Entwicklung eines neuen Produktes oder Services ist es unbedingt notwendig, die entsprechenden Fachbereiche mit einzubeziehen. Vielfach gibt es unterschiedliche Vorstellungen von Art und Ausrichtung eines neuen Produkts, sodass die Fachbereiche hier wertvolle Beiträge leisten können. 94 Interview Rentsch, IBM

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STRATEGIE

STRATEGIE „Hier muss in vielen Unternehmen noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Wir erleben anfangs oft Vorbehalte, aber am Ende des Projekts sind alle Beteiligten von der interdisziplinären Arbeitsweise begeistert.“ 95

Fallbeispiel

In der Phase „Scale“ wird ein agiles und digitales Geschäftsmodell entwickelt. Dafür muss das Unternehmen die relevanten Assets identifizieren und sie in das digitale Zeitalter überführen. Ein wichtiges Erfolgskriterium sind übergeordnete, interdisziplinär zusammengesetzte Entwicklungsteams, die eine hierarchiefreie Kommunikation pflegen. Das Stichwort hier ist „Shared Ownership“ des Projektes. Doch dies funktioniert nur, wenn die Leitung eines Digitalisierungsteams auch ein Durchgriffsrecht hat.

#noprojects mit Bluemix DevOps96 In der agilen Szene wird seit einiger Zeit die interessante und etwas provokative These diskutiert, dass Projekte von Anfang an zum Untergang verdammt sind. Sie kann über das Hashtag #noprojects mit einer Google-Suche nachvollzogen werden. Viele Experten fordern im Rahmen dieser Diskussion, vollkommen auf Projektstrukturen im herkömmlichen Sinn zu verzichten. Projekte sind zeitlich begrenzt. Doch warum sollte man aufhören, einem Produkt oder Service neue, sinnvolle und werthaltige Merkmale hinzuzufügen? Ein Brückenbau findet beispielsweise irgendwann sein Ende, da die Brücke nicht mehr weiter verbessert werden kann. Doch es gibt zahlreiche Produkte und Services, die einen ganz anderen Lebenszyklus haben. Beispielsweise ist eine Website nie in dem Sinne fertig, in dem eine Brücke fertig ist. Sie kann immer weiter ausgebaut, verbessert und verfeinert werden. Amazon hat dieses Prinzip perfektioniert und hat pro Tag bis zu 200 Releases, von denen der Endanwender praktisch nichts mitbekommt. Auf ähnliche Weise arbeiten auch die IBM Bluemix Devops Services, die den Anwendern zahlreiche Tools zur Verfügung stellen. Die gesamte Entwicklungsumgebung inklusive der DevOps-Werkzeuge stehen den Endanwendern sofort bereit, sodass sie unmittelbar loslegen können. Sie müssen lediglich Benutzerkonten öffnen. Entscheidend für Unternehmen ist der Einsatz einer smarten und integrierten Plattform. Der gesamte Software-Stack unterstützt Methoden wie Design Thinking, Scrum oder DevOps und erlaubt schnelle Ergebnisse. Dadurch sind sämtliche Entwicklungsprozesse deutlich schneller und einfacher. So gibt es beispielsweise auf der Bluemix-Plattform von IBM vorgefertigte Templates für mobile Apps, die sich für branchenspezifische Anwendungsfälle oder bestimmte Einsatzgebiete eignen. Dadurch müssen Unternehmen nicht jedes Mal bei Null beginnen, sondern nur das Template anpassen und ausbauen. Durch die Virtualisierung ist es zudem sehr einfach, jederzeit zusätzliche Entwicklungsumgebungen, Test- und Produktivsysteme aufzusetzen. Dabei können die Abschnitte des Produkt-Lebenszyklus schnell durchlaufen werden. Durch die praktischen Vorteile einer Cloud-Plattform werden diese Systeme gewissermaßen auf Knopfdruck erzeugt, beispielsweise durch Duplizierung einer bereits vorhandenen Umgebung. Der Fortschritt der Entwicklung ist transparent, sämtliche Entwicklungsschritte und Verbesserungen sind deutlich sichtbar. Die einzelnen Teammitglieder können sich gegenseitig beobachten und auf diese Weise Fehler vermeiden. „Das fördert das offene, kommunikative Miteinander“, sagt Conrad Rentsch.

95 Interview Rentsch, IBM 96 Interview Rentsch, IBM

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Plattformstrategien: Was bleibt, wenn der Gewinner alles nimmt? Plattformen werden im Kontext von datengetriebenen Geschäftsmodellen heiß diskutiert. Am Beispiel des Smart-Home-Markts lässt sich ihre Wirkung erläutern, da hier IoT-Lösungen langsam den Massenmarkt erreicht haben und nicht länger die Domäne von Bastlern und Technikfreaks sind. Nach Erkenntnissen der Managementberatung Mücke Sturm & Company wird die Anzahl der potenziellen Kunden aus zwei Gründen größer: Erstens sinken die bislang sehr hohen Kosten für Smart-Home-Systeme deutlich und zweitens können neue Kundenanforderungen erfüllt werden. Beides hat seine Basis in der Mobilfunktechnologie, denn die Vielfalt an kostengünstigen Sensoren und Aktoren ermöglicht Anwendungsgebiete, die bislang lediglich Nutzern mit sehr großem Geldbeutel vorbehalten waren.97 Erkennbar ist dies unter anderem daran, dass die großen US-Player in der Digitalwirtschaft sich alle sehr intensiv um das Thema kümmern. Google hat wie so oft einfach ein entsprechendes Unternehmen aufgekauft: Nest, ein Anbieter von Heizungssteuerungen. Zudem ist seine Strategie datenbasiert: Android soll als zentrales Betriebssystem eingesetzt werden und den Datenfundus des Unternehmens durch Auswertung der Smart-Home-Daten stärken. Eine andere Strategie verfolgt Apple, das mit seinem HomeKit auch Smart-Home-Geräte in sein eigenes iOS-Ecosystem einbindet. Wer Apple-Mobilgeräte nutzt, soll auch die Heimautomatisierung mit Apple erledigen und wer sich für Letzteres interessiert, soll dazu animiert werden, in das Apple-Ecosystem einzusteigen und auch andere Produkte und Services des Anbieters zu nutzen. Eine dritte Strategie hat Amazon entwickelt. Es nutzt den sprachgesteuerten Assistenten Echo als Hub, der auch Smart-Home-Systeme steuern können soll. Da Amazon den Fokus auf den Handel legt, ist eines seiner ersten wirklich funktionierenden Smart-Home-Systeme der Bestellbutton Dash, der beispielsweise in der Nähe der Waschmaschine angebracht für die Nachbestellung von Waschpulver sorgen kann. Die Angebote der großen Hersteller sind noch in einem sehr frühen Stadium und bislang noch nicht zu einem smarten Service für Haus und Hof zusammengewachsen. Es handelt sich eher um Insellösungen, wie an Nest (Thermostat und Rauchmelder) oder dem Dash-Button zu sehen ist. Diese Entwicklungen sind eine Gefahr für deutsche Anbieter, die entweder bereits seit mehreren Jahrzehnten nicht vernetzte Systeme für Heimautomation vertreiben oder – wie Bosch oder Telekom AG – seit kurzem auf 97 Interview Mücke, Mücke Sturm Company

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STRATEGIE

STRATEGIE kostengünstige Vernetzung mithilfe von IoT-Modulen setzen. Da der Markt aber noch nicht vergeben ist, können die unterschiedlichen Anbieter noch reagieren und zumindest den deutschen oder sogar europäischen Markt für sich erobern.98 Der Smart Home Markt ist durch drei wichtige Akteure gekennzeichnet: die traditionellen Plattform-Anbieter, die Gerätehersteller und Serviceprovider.99 Jede dieser drei Gruppen muss auf ihre eigene Weise auf die Herausforderungen durch Google und Co. reagieren. »»Plattform-Anbieter: Die Anbieter bisheriger Smart-Home-Systeme und -Plattformen werden durch andere Use Cases, aber auch durch veränderte Kundenerwartungen herausgefordert. Bei diesen Unternehmen gehören dringend die aktuellen Geschäfts-und Erlösmodelle auf den Prüfstand. Sie müssen sich zukünftig neu im Markt positionieren und einen starken USP (Unique Selling Point) definieren. Darüber hinaus ist es empfehlenswert, Nischenmärkte (Energie, Gesundheit, Sicherheit) zu besetzen und dort die Position „Best in Class“ zu erreichen. »»Gerätehersteller: Die Strategie der Giganten in der Digitalwirtschaft ist häufig die Lizenzproduktion unter eigener Marke. Dies kann für die Hersteller geringere Freiheit in der Entwicklung neuer Geräte und eine sinkende Markensichtbarkeit bedeuten. Doch es gibt eine positive Seite der Medaille: Sie haben großes Potenzial durch ausgelagerte Backend-Funktionen, standardisierte Integrationsprozesse und eine vergrößerte Kundenbasis. Die Hersteller sollten nicht nur produzieren, sondern die Plattformen der großen Unternehmen nutzen, um ihre Kundenbasis abzusichern. Darüber hinaus ist es eine gute Strategie, Geräte für alle wichtigen Plattformen anzubieten und zusätzliche digitale Services auf ihnen anzubieten. »»Serviceprovider: Die Verfügbarkeit einer Vielzahl an unterschiedlichen vernetzten Geräten, Plattformen und ihren Eco-Systemen gibt Serviceprovidern die Möglichkeit, ihr Leistungsportfolio zu erweitern und ihre Kundenbasis zu vergrößern. Deshalb sollten sie auf allen wichtigen Plattformen aktiv sein, die zu ihrer digitalen Strategie passen und dort die Funktion der vernetzten Geräte und ihre Verfügbarkeit bewerten. Anschließend können sie neue Services entwickeln, die sich der Marktreichweite der jeweiligen Plattformen bedienen.

Das Steuerungssystem aus einem zentralen Thermostat sowie zusätzlichen ebenfalls smarten Heizkörper-Thermostaten ermöglicht es den Nutzern, die Heizung automatisch oder manuell steuern. So erkennt das System, ob jemand zu Hause ist und anhand der App, ob sich ein Bewohner nähert. Entsprechend wird die Temperatur geregelt. Zudem können Heizung und Klimaanlage von jedem Ort aus mit der App gesteuert werden. Das System ist ein direkter Konkurrent zu Google Nest. Der Hersteller baut es nach und nach zu einem umfassenden Ecosystem aus, setzt aber im Unterschied zur Qivicon-Plattform zumindest im Moment nur auf den Kernbereich Heizung/Klima. Die Ergänzung der Produkte durch eine umfassende Servicekette von der Beratung bis zur Reparatur ist der nächste strategische Schritt des Unternehmens.

Die Plattformstrategien der großen Internetkonzerne bedrohen Anbieter und Hersteller, zum Beispiel im Smart-Home-Sektor. Dabei nutzen sie drei Wege: Aufkauf von interessanten Startups (Google/Tado), Integration in das eigene Ecosystem (Apple/HomeKit) und Design eines Hubs, der alle anderen Systeme integriert (Amazon/Echo). Es gibt zwei Gegenstrategien: Aufbau einer eigenen Plattform zur Integration möglichst vieler Produkte und Services oder die Unterstützung aller großen Plattformen mit Geräten und Services.

Agile Skalierung: In 30 Tagen von Null bis Markteintritt Das von Christian Strobl in Berlin mitgegründete Startup Hackerbay ist eine On-Demand-Entwicklungsplattform. Wer eine Idee für eine App hat, kann auf hackerbay.com ein Festpreisangebot einholen. Die App wird dann von Freelancern entwickelt. Dahinter steckt zum einen der Crowdsourcing-Gedanke und zum anderen haben Entwickler die Möglichkeit, weltweit Aufträge anzunehmen und dabei zu jeder Zeit und an jedem Ort zu arbeiten. Seit Mai 2016 ist das Unternehmen in San Francisco angesiedelt, da sich ein renommierter Investor in den USA daran beteiligt hat. „In Deutschland ist der Hacker in der Regel jemand, der Bösartiges tut. Es ist jemand, den man kontrollieren muss, jemand, der sein Talent grundsätzlich immer schlecht nutzt, nämlich dafür, um Sicherheitslücken auszunutzen, um digitale Banküberfälle zu machen und ein Rebell zu sein.“100

Fallbeispiel

Smarte Produkte für Kernbereiche Tado ist ein relativ junges Unternehmen, das noch als Startup bezeichnet werden kann. Es bietet ein smartes Thermostat, eine smarte Klimaanlagensteuerung sowie als Ergänzung einen Care-Service, der Beratung, Installation, Wartung und Reparatur umfasst. So stellt der Hersteller sicher, dass die Geräte ordnungsgemäß eingebaut und betrieben werden.

98 Interview Mücke, Mücke Sturm Company 99 Interview Mücke, Mücke Sturm Company

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Innovation von unten: Go the Hacker Way Das Bild des Hackers in den USA ist dagegen deutlich positiver. So wurde beispielsweise bei Facebook der sogenannte Hackathon erfunden. Das war im Ursprung ein 24-Stunden-Event, die ersten Facebook-Recruiting-Veranstaltungen. Die Facebook-Führung hat gesagt: „Wir treffen uns bei Pizza und Bier am Wochenende und bauen coole Sachen. Die präsentieren wir, weil uns Technik interessiert und weil wir eine Leidenschaft dafür haben.“ Diesen Geist hat sich Facebook bis heute erhalten, unter anderem sichtbar an der Straßenadresse von Facebook: Hacker Way 1. 100 Interview Strobl, Hackerbay

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STRATEGIE

STRATEGIE Besonders innovativ daran ist die Kombination aus Experimentier-Plattform und Hacking. Die Produktentwicklung bei Facebook läuft ungefähr so: Auf einem Hackathon wird in kurzer Zeit ein neues Produkt entwickelt, bei Facebook mit einer ausgewählten Gruppe von vielleicht 10.000 Anwendern gelauncht und getestet. Die Entwickler prüfen, ob es den Anwendern einen Mehrwert bringt und sie längere Zeit mit dem Produkt verbringen. Aus der Datenanalyse wird dann der Vorteil für das Unternehmen berechnet und im Erfolgsfall bekommt dieses Produkt mehr Budget. Dieses Prinzip der Innovation von unten hat viele Vorteile: Das Unternehmen wird dadurch in der Produktentwicklung dezentraler und kann deutlich mehr Ideen generieren. Darüber hinaus wird das Unternehmen offener, demokratischer und motivierender für die Entwickler. In diese interne Experimentier-Plattform sind in einem längeren Optimierungsprozess Millionen Dollar hineingeflossen. Dadurch kann wirklich jeder einzelne Entwickler und Techniker bei Facebook ein neues Produkt erzeugen und in den Rahmen des Hauptproduktes einfügen. Das ist möglich, ohne nach Berechtigungen zu fragen und gleichzeitig, ohne das Hauptprodukt und den laufenden Betrieb zu beschädigen. 101 Kernaufgabe von Hackerbay ist das Rapid Prototyping mit dem Ziel der Entwicklung eines funktionsfähigen und skalierbaren Produkts, das dem Kunden vorgeführt werden kann. Dabei setzt das Unternehmen auf Automatisierung, um möglichst günstige Preise anbieten zu können und den Experimentalcharakter zu betonen. Denn bei günstigen Preisen und kurzen Entwicklungszyklen ist das Scheitern eines Prototyps eher zu verkraften. „Wir raten Unternehmen, so schnell wie möglich mit einem Produkt in den Markt zu gehen. Dies hat einen einzigen Grund: Die Unternehmen müssen möglichst frühzeitig Kontakt zu den Kunden bekommen und herausfinden, ob sie auch das richtige Produkt entwickeln.“ 102

Experimentier-Plattformen brauchen Freiräume Diese Vorgehensweise ist grundsätzlich auch in Deutschland möglich, denn es gibt hier ebenso viele Tech-Talente wie im Rest der Welt. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Leuten, die programmieren – was jeder lernen kann – und Leuten mit tatsächlichem Einfluss. Letztere sind die eigentlichen Talente, die als einzelne Personen sehr viel mehr erreichen können als andere, weil sie brillant im Einsatz der Technologie sind. Hinzu kommt, dass ein echtes Talent auch eine gewisse Leidenschaft und Motivation benötigt. Ein großes Problem in Deutschland ist aus Sicht eines typischen Hackers die Tatsache, dass das Management ungünstige Entscheidungen trifft, die bei den Talenten Frustration erzeugen. Diese Entscheidungen sind häufig rational aus Sicht des Managements, behindern aber eine freie Produktentwicklung. Ein Beispiel ist der Datenschutz. Er muss in jedem Produkt berücksichtigt werden und schlägt sich unter anderem in bestimmten Regeln nieder – etwa dass ein Hosting nur in Deutschland möglich ist oder zwingend eine eigene Server-Infrastruktur genutzt werden muss.

Expertentipp

Hackathons als Beschleuniger der Produktentwicklung104 Wir reden seit 30 Jahren über smarte, vernetzte Dinge und meistens handelt sich dabei um Sachen, die kein Mensch braucht. Das Problem: Es wird viel zu selten an den Kunden gedacht – was er sinnvoll nutzen kann und will. Ein gutes Beispiel dafür ist der legendäre Internet-Kühlschrank, der bereits ein gutes Vierteljahrhundert alt ist. Die Hersteller müssen dringend ihre Strategie ändern und mit ihren Produkten die einfach wirkende Frage „Warum sollte ein Kunde dieses Produkt nutzen?“ beantworten. Leider sind die meisten Smart-Home-Lösungen noch nicht gut genug für den Massenmarkt, sondern lediglich für Technikfans und „Early Adopter“ geeignet. Diese Situation wird sich nur dann ändern, wenn die Hersteller und Anbieter die Bedürfnisse und Wünsche einer möglichst großen Zahl von Kunden berücksichtigen. Der Weg dorthin sollte mit „Explore and Learn“ beginnen. Es ist sehr wichtig, dass alle mit Services und Produkten befassten Personen sie selbst einsetzen, damit herumspielen, ihre Möglichkeiten und Grenzen ausloten und versuchen, sie auf experimentelle Weise in neuen Kontexten einzusetzen. Ein Beispiel: Ein Fenster/Tür-Sensor kann auch in den Briefkasten eingebaut werden, um über die eintreffende Post zu informieren.105 Vereinfacht ausgedrückt, müssen Entwickler die Möglichkeit zu Experimenten haben, um neue Anwendungsbereiche für die Technologie zu erschließen. Darüber hinaus ist es wichtig, auf die Kunden zu hören. Einige von ihnen werden zu Entwicklern, um mit den vorhandenen Systemen ihre Wünsche zu erfüllen. Und manchen gelingen sogar recht innovative Lösungen, deren Übernahme Services und Produkte eines Unternehmens weiterbringen können. Sie werden dadurch zu „Prosumern“, die nicht nur konsumieren, sondern auch produzieren. In gewisser Hinsicht ist es für alle Unternehmen empfehlenswert, diese Dinge zu institutionalisieren. Dazu sollten in einem ersten Schritt die Lösungen und die Software als „Open Source“ freigegeben werden, sodass interessierte Anwender nicht vor einer Blackbox stehen, sondern einerseits den Code nachvollziehen können und andererseits ihn ergänzen, erweitern, korrigieren und in andere Projekte einbauen können – im Rahmen der jeweils genutzten Open Source Lizenz.

103 Interview Strobl, Hackerbay 104 Interview Wolter, Telekom 105 Interview Wolter, Telekom

101 Interview Strobl, Hackerbay 102 Interview Strobl, Hackerbay

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In einem typischen Silicon-Valley-Unternehmen müssen sich die Entwickler nicht häufig nicht mit solchen Fragen beschäftigen und können einfach ohne Vorgaben vom Management beliebige Anbieter wie AWS oder Digital Ocean Instant einsetzen. Dadurch können sich die Entwickler hundertprozentig auf die Innovation fokussieren. Diese Beschränkungen werden auch vermehrt in traditionellen Unternehmen gesehen, seit etwa Anfang 2016 ist ein großes Interesse an Hackathons entstanden – auch bei Unternehmen aus dem DAX30. Viele Unternehmen prüfen dieses neue Innovationsformat im Rahmen der digitalen Transformation.103

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STRATEGIE

STRATEGIE Der zweite Schritt ist die Veranstaltung von Hackathons und ähnlichen Formaten. Grundsätzlich ist ein Hackathon eine Veranstaltung zur kooperativen Entwicklung von Hardware und Software. Die Entwickler arbeiten dabei beispielsweise ein Wochenende lang an einem Projekt, das vom Veranstalter vorgegeben wird. Das Ziel ist dabei, während der Veranstaltung gemeinsam im Team vorzeigbare Ergebnisse zu produzieren. Ein Nebeneffekt ist das Networking. Die Veranstalter können Kontakte zu Anwendern, Prosumern, Makern und Softwareentwicklern bekommen. Dadurch erhalten sie interessante Einblicke in die Art und Weise, wie Anwender ihre Produkte und Services nutzen und bekommen im Idealfall wertvolle Ideen für die Erweiterung der Produktpalette.

Hackathons sind in aller Regel als Wettbewerb organisiert und enden mit der Entscheidung der Jury und anschließender Preisverleihung. „Die Unternehmen sind begeistert, waren am Wochenende innovativ und haben schöne Fotos gemacht. Aber um ein Produkt zur Marktreife zu bringen, ist noch einmal sehr viel Disziplin und Struktur nötig.“ 106 Um kein Potenzial zu verschenken, sollten Unternehmen die Offenheit und Unvoreingenommenheit des Hackathon-Ansatzes weiter pflegen. Dass dadurch innovative und oft auch verblüffende Lösungen entstehen, zeigt das Fallbeispiel Twitter.

Fallbeispiel

Twitter messen – Geht nicht gibt’s nicht Das Twitter-Marketing in Europa wollte für europäische YouTuber einen Wettbewerb ausrichten. Sie sollten ihren Followern sagen: Retweete mich auf Twitter, wer die meisten Retweets hat, bekommt ein Emoji. Das Problem dabei: Mit der Twitter-API musste gemessen werden, wie viele Retweets jeder YouTuber hat. Das ist keine einfache Aufgabe, denn erfolgreiche YouTuber haben hunderttausende oder sogar mehr als eine Million Follower. Die auch bei Twitter übliche Vorgehensweise ist der Einsatz einer entsprechenden Agentur, die das Entwicklungsprojekt anhand von Requirements aufsetzt und managt. Dazu musste allerdings die Twitter-Zentrale in San Francisco einen speziellen Datenzugriff für diese Agentur liefern. Aus internen Gründen ging das nicht, sodass die Agentur das Projekt abgebrochen hat. Hackerbay dagegen hat das Projekt gestemmt, da die Entwickler gesagt haben: „Es gibt immer eine technische Lösung, die finden wir und dann holen wir das Beste heraus.“ Am Ende wurde in wenigen Tagen und Nächten eine verteilte Software entwickelt, die mithilfe von 40 parallel arbeitenden Servern die entsprechenden Angaben aus der öffentlichen Twitter-API ausgelesen haben und das Problem lösen konnten.

Schnelle Reaktionen sind wichtig, wenn die großen US-Digitalunternehmen angreifen. Unternehmen ohne eigene Entwicklerkapazitäten können On-Demand-Entwicklungsplattformen wie Hackerbay nutzen. Wer eine Idee für eine App hat, kann dort ein Festpreisangebot einholen. Sie wird dann von oft weltweit agierenden Freelancern entwickelt. Entscheidend ist hier extreme Agilität. Prototypen entstehen in wenigen Tagen, marktfähige Produkte in einigen Wochen.

In den Beschreibungen des Digital Business Design und der agilen Skalierung wird es deutlich: Innovative Geschäftsmodelle entstehen nicht voraussetzungslos, sie erfordern auf der einen Seite innovativ denkende Mitarbeiter und auf der anderen Seite eine agile Organisation, die diese Mitarbeiter bei der Gestaltung von smarten Produkten und Services unterstützt. In einer geschlossenen Struktur lassen sich Innovationen nur ein- oder zweimal erfolgreich vorantreiben. Mit der Zeit läuft sich die kreative Leistung einer Organisation tot. Um die Innovationsmaschine in Betrieb zu halten, sind „Open Innovation“-Prinzipien essentiell. 107 Bereits länger existierende Unternehmen haben per Definition eine gewisse Trägheit, weil sie ein Produkt mit dem dazugehörigen Geschäftsmodell über Jahre und Jahrzehnte immer weiter optimieren konnten. Doch heute gibt es schnelle Paradigmenwechsel aufgrund technologischer Neuerungen. Dadurch sind Unternehmen gezwungen, spätestens alle zwei Jahre zu überlegen, wie sie fundamental und disruptiv alles überdenken und verändern sollten, was sie in der Vergangenheit gemacht haben. Facebook beispielsweise war anfangs Desktop-orientiert, aber im Zuge der mobilen Revolution musste das Unternehmen die Agilität haben, sich schnell anzupassen. „Agilität ist ein Wesen jüngerer Startups, sie ist ihre DNA, ihre kulturelle Identität. Der Erfahrungshintergrund im Management von großen Unternehmen ist ein ganz anderer – Stichwort ‚Command and Control’.”108 Diese Unternehmen müssen Agilität also erst erzeugen und eine Organisationsform finden, die deutlich mehr Empowerment aufweist und agiler ist. Durch diese neue Form können Änderungen, die in Teilbereichen im Unternehmen auftreten, aufgegriffen werden. „Warum ist eine Innovation wie der Messenger-Dienst ‚WhatsApp’, die eigentlich schon in der SMS angelegt war, nicht aus der Telekommmunikationsbranche gekommen? Die Antwort ist einfach: Die Art und Weise, wie hier typischerweise Innovationen betrieben wird, ist falsch.” Eine Innovation wird mit etablierten Produkten wie Sprachdiensten oder Connectivity verglichen. Diese hatten einen wahnsinnigen Beitrag zum Geschäftsergebnis geleistet und als Konsequenz eine KPI-Logik erlangt, die Innovationsmodelle nicht erreichen konnten. Deshalb sind viele Innovationen nie systematisch weiterentwickelt worden, obwohl sie von Top-Playern angelegt waren. Vielen Unternehmen fehlt das Wissen, wie ein etabliertes Produkt parallel zu einem neuen Produkt gemanagt wird – das eine auf Cash angelegt und das andere auf Wachstum.109

107 Interview Friedrich, Strategy& 108 Interview Friedrich, Strategy& 109 Interview Friedrich, Strategy&

106 Interview Strobl, Hackerbay

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Wer neue Geschäftsmodelle will, muss am Organisationsmodell arbeiten

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STRATEGIE

STRATEGIE Das führt zu der Frage, wie ein Unternehmen digitalisiert werden kann. Zwei Dinge müssen dabei deutlich unterschieden werden: Erstens geht es um das Generieren digitaler Umsatzträger, zum Beispiel datengetriebener Geschäftsmodelle. Die „Lesson to learn“ besagt, dass sie möglichst weit vom Kerngeschäft entfernt zu etablieren sind, also außerhalb. Die dafür notwendige Management-Logik ist eine andere. Von Ausnahmen abgesehen war es immer so, dass Neuentwicklungen nicht die entsprechenden Ressourcen und Aufmerksamkeiten bekommen haben, wenn sie im etablierten Bereich gemanagt wurden. Zweitens muss auch das Kernprodukt oder die Kerndienstleistung digitalisiert werden – die Unternehmen dürfen dies keinesfalls übersehen. Das Auto ist ein hervorragendes Beispiel: Lange hat sich die Automobilindustrie mit ihren etablierten Händlernetzen schwergetan, ihr Produkt online zu verkaufen. Der Kunde wollte sich aber online informieren, er wollte online konfigurieren und am Ende sogar online bestellen. Ergo muss auch das ganz klassische Produkt in der Art und Weise, wie es angeboten wird, digitalisiert werden.

Change: Enhanced Enhanced 8-Step-Modell Change: 8-Step-Modell

Innovative Geschäftsmodelle entstehen nicht voraussetzungslos, sie erfordern auf der einen Seite innovativ denkende Mitarbeiter und auf der anderen eine agile Organisation, die diese Mitarbeiter bei der Gestaltung von smarten Produkten und Services unterstützt. Quelle: Kotter 2014

Change: Unternehmen an die Zukunft anpassen Der Aufbau innovativer Geschäftsmodelle und die Schaffung innovativer Produkte und Services hat sehr viele Voraussetzungen, von denen die wichtigste die Organisationsstruktur ist. Die Mitarbeiter eines Unternehmens können nur kreativ sein, wenn sie dafür die notwendigen Freiräume haben. Diese Freiräume entstehen, wenn die Organisationsstruktur mit der für Großunternehmen typischen, die Mitarbeiter einengenden „Bürokratisierung“ umgebaut wird.

In acht Schritten zum Organisationswandel Der Umbau der Organisationsstrukturen eines Unternehmens wird häufig mit dem Kürzel „Change“ bezeichnet. Dahinter verbirgt sich eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens, das in einem von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Zweideutigkeit geprägten Marktumfeld langfristig bestehen will. Der Vordenker des Organisationswandels und Change-Managements ist John P. Kotter, emeritierter Professor der Harvard Business School. In seinem Buch „Leading Change“ hat er bereits 1996 sein inzwischen zum Standard des Change-Management gehörendes Acht-Stufen-Modell für erfolgreichen organisatorischen Wandel vorgestellt. Seitdem hat er es stetig verfeinert und zuletzt 2014 an neuere Entwicklungen angepasst. Es ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Eine häufige Kritik daran ist die starke Formalisierung und Bürokratisierung, die in dem stark wie ein automatisch ablaufender Prozess wirkenden Modell bereits angelegt ist. (Siehe „Flippen statt wandeln – Organisationen konstruktiv irritieren“, S. 148 ff.)

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Praxisleitfaden IoT

Das Modell bietet einen ganzheitlichen Ansatz für tiefgreifenden und nachhaltigen Wandel. Dabei müssen alle acht Stufen in der vorgegebenen Reihenfolge durchlaufen werden. Das Überspringen einzelner Schritte schafft nach Ansicht von Kotter lediglich die Illusion von raschem Fortschritt und führt nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis. Die Schritte lassen sich in drei Phasen einteilen: Die ersten drei Schritte schaffen im Unternehmen ein Klima der Veränderung, die nächsten drei Schritte binden alle in den Veränderungsprozess ein und die beiden letzten Schritte sorgen für eine nachhaltige Umsetzung des Wandels. Die Formulierung der einzelnen Schritte110 sind eine Aufforderung an veränderungswillige Mitarbeiter des Unternehmens. Damit sind in erster Linie Führungskräfte des C-Levels (CEO, CFO, CMO, CIO, …) gemeint, die eine Veränderung im Unternehmen anstoßen möchten. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Erzeugen Sie ein Gefühl der Dringlichkeit Bauen Sie eine Führungskoalition auf Entwickeln Sie Vision und Strategie Gründen Sie ein Team aus freiwilligen Helfern Räumen Sie Hindernisse aus dem Weg Erzeugen Sie kurzfristige Erfolge Behalten Sie die Entwicklungsgeschwindigkeit bei Verankern Sie die Veränderungen im Unternehmen

110 Kotter 2014

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STRATEGIE

STRATEGIE 1. Erzeugen Sie ein Gefühl der Dringlichkeit Führungskräfte und andere Mitarbeiter benötigen ein Bewusstsein für die Dringlichkeit des Wandels. Stellen Sie die positiven Möglichkeiten des Wandels dar und appellieren Sie sowohl an die Köpfe als auch an die Herzen aller Mitarbeiter, um ein großes „Freiwilligenheer“ für den Wandel zu bilden. 2. Bauen Sie eine Führungskoalition auf Das Freiwilligenheer für den Organisationswandel benötigt ein gutes Führungsteam aus seinen eigenen Reihen, die als richtungweisende Personen für die Idee werben und kommunizieren. 3. Entwickeln Sie Vision und Strategie Entwickeln Sie eine möglichst starke, begeisternde Vision und konkrete Strategien, mit denen diese Vision umgesetzt werden soll. Übergeordnete Ziele sind leistungsfähige Werkzeuge für die Gestaltung des Organisationswandels. 4. Gründen Sie ein Team aus freiwilligen Helfern Ein umfassender Organisationswandel kann nur geschehen, wenn eine große Zahl der Mitarbeiter ein gemeinsames Thema verfolgen und in dieselbe Richtung gehen. Bilden Sie in Ihrem Unternehmen ein Netzwerk aus Freiwilligen, das den Wandel unterstützt. 5. Räumen Sie Hindernisse aus dem Weg Schaffen Sie für das Change-Team Freiräume, in dem Sie ineffiziente Prozesse, überflüssige Hierarchiestufen, abgeschlossene Silos und andere Barrieren beseitigen. 6. Erzeugen Sie kurzfristige Erfolge Kurzfristige Erfolge und Zwischenziele sind die wichtigsten Elemente, die zu langfristigem Erfolg führen. Sie müssen gesammelt, kategorisiert und kommuniziert werden – und zwar früh und häufig, um Fortschritte zu erkennen und den Mitarbeitern Erfolgserlebnisse zu geben. 7. Behalten Sie die Entwicklungsgeschwindigkeit bei Die Vorreiter des Organisationswandels müssen sich schnell an veränderte Bedingungen anpassen, um die Veränderungsgeschwindigkeit beizubehalten. „Change Leader“ sollten eine agile Entwicklung anstoßen, um das langfristige Ziel zu erreichen. 8. Verankern Sie die Veränderungen im Unternehmen Die neuen Verhaltensnormen und gemeinsamen Werte müssen tief in der Unternehmenskultur verankert werden, damit der Veränderungsprozess erfolgreich abgeschlossen wird. Diese acht Schritte basieren im Wesentlichen auf Kommunikation, nicht zu sehr auf Technologie und Managementmethoden. Eine Veränderung in einem Unternehmen kann nur dann geschehen, wenn eine permanente Kommunikation die Mitarbeiter „bei der Stange hält“. Außerdem ist die Anpassung an dynamische Marktsituationen nicht in jedem Fall mit einem einzelnen Change-Prozess erledigt. Im Verlauf des Organisationswandels können die „Change Leader“ zusätzlichen Bedarf an weiterem Wandel feststellen, entweder aus eigener Erkenntnis oder anhand der Rückmeldungen von Mitarbeitern. Dadurch ist es möglich, dass ein Unternehmen mehrere dieser Change-Prozesse nacheinander durchlaufen muss, um sich an die Marktsituation anzupassen.

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„Change“ ist die Konsequenz aus der Entwicklung von agilen Geschäftsmodellen. Dahinter verbirgt sich eine strategische Neuausrichtung des Unternehmens, das in einem von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Zweideutigkeit geprägten Marktumfeld langfristig bestehen will. Das bekannteste Modell dafür stammt von John P. Kotter. Es bietet einen ganzheitlichen Ansatz für tiefgreifenden und nachhaltigen Wandel.

Zwei Herzen in meiner Brust – Schizophrene Strategien für die richtige Innovationskultur Für die meisten Unternehmen bedeutet Digitalisierung die Fortsetzung der bisherigen Geschäftsmodelle im Internet. Das genügt allerdings nicht und ist nicht weit genug gedacht, denn in Zukunft werden sich Unternehmen und Märkte von Grund auf neu definieren. Doch die Entwicklung digitaler Geschäftsmodelle fällt den Unternehmen schwer. Obwohl sie wissen, dass Geschwindigkeit der entscheidende Faktor ist, bremsen sie sich selbst aus. Sie investieren zwar in radikale Innovation, erhalten aber trotzdem nur eine etwas aktualisierte Version des Bestehenden. „Warum ist das so? Die Antwort: Unternehmenskultur und Strukturen sind nicht auf die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle ausgerichtet. Denn die Entwicklung radikaler digitaler Innovationen unterscheidet sich grundlegend von der Umsetzung digitaler Transformationsstrategien.“111 In der digitalen Zukunft zählt vor allem Geschwindigkeit bei der Entwicklung neuer digitaler Servicekonzepte. Unternehmen müssen sehr schnell und in rascher Folge innovative Ideen zu marktfähigen Prototypen entwickeln, um tatsächlich eine destruktive Innovation gestalten zu können. Schon bei der optimistischen Annahme, dass jede vierte Innovation eine wirkliche Durchbruchsinnovation ist, mit der überdurchschnittlich hohe Umsätze und Gewinne erzielt werden können, müsste ein Unternehmen mindestens vier innovative Konzepte pro Jahr verwirklichen, um einmal im Jahr einen Durchbruch zu schaffen. Der Schlüssel zu solchen Entwicklungen ist die digitale Innovations­ fähigkeit. Sie beantwortet drei wichtige Fragen112: »»Wie viele Ideen entstehen im Unternehmen? »»Wie radikal neu sind diese Ideen? »»Wie schnell werden die Ideen umgesetzt? Eine hohe digitale Innovationsfähigkeit basiert außerdem auf ­zahlreichen weiteren Faktoren, die sich in Fragen wie den folgenden fassen lässt: »»Haben die Mitarbeiter die Bedeutung der Digitalisierung verstanden und handeln sie danach? »»Fördern Führungskräfte innovative Ideen für die Digitalisierung von Prozessen und Produkten?

111 Interview Meyer, Innolytics 112 Interview Meyer, Innolytics Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE »»Wo sind die Prioritäten: beim operativen Tagesgeschäft oder bei Innovationsprojekten? »»Sind die Teams so zusammengesetzt, dass maximale Kreativität möglich ist? »»Können die Teams Hindernisse bei der Umsetzung überwinden oder werden Hindernisse als gegeben angesehen? Die Innovationskulturen in Unternehmen gehören grob zu zwei Typen: Etwa 80 % aller Unternehmen sind nicht auf die Entwicklung radikaler Innovation ausgerichtet. Strategien, Strukturen und Kultur sind dort darauf ausgelegt, das Bestehende zu optimieren. Höchstens 20 % aller Unternehmen gehören zum Typ der proaktiven Innovatoren. Dies ist die Kultur der meisten digitalen Startups und Internetkonzerne, die sich beständig neu erfinden müssen. An dieser Stelle entsteht in der Regel die Frage: Welche Innovationskultur ist die richtige für den digitalen Wandel? Die Antwort lautet: beide. Jedes Unternehmen benötigt eine auf Weiterentwicklung des Tagesgeschäfts ausgerichtete Kultur, um im Markt bestehen zu können. Parallel dazu sind Geschäftseinheiten notwendig, die die Merkmale proaktiver Innovation aufweisen. „Das klingt schizophren und ist es auch. Vorstände und Geschäftsführer müssen eine Strategie verfolgen, die scheinbar schizophren ist: Das Bestehende durch fortwährende Innovation so lange wie möglich erhalten und es zugleich durch radikale Neuentwicklungen ersetzen. Also gleichzeitig bewahren und bekämpfen.“113 Diese schizophrene Strategie kann durch unterschiedliche Unternehmensteile verwirklicht werden. Ein Unternehmensteil arbeitet beispielsweise daran, die Bankfiliale so attraktiv wie möglich zu machen und der andere, sie zu ersetzen. In Ansätzen geschieht dies bereits in vielen Unternehmen, häufig jedoch halbherzig. Weil zu viele Mitarbeiter nicht mehr an den Fortbestand des alten Geschäfts glauben, werden neue Konzepte nicht mit dem notwendigen Pioniergeist entwickelt. Und weil die Unternehmen ihrem Stammgeschäft auch nicht zu sehr schaden möchten, wird die Entwicklung disruptiver Geschäftsmodelle ebenfalls ohne volle Energie verfolgt. Das Ergebnis: halbherzige Produkte sowohl im Stammgeschäft wie auch bei Smart Services. Unternehmen müssen die Schizophrenie zur Strategie machen und unterschiedliche Unternehmenskulturen unter einem Dach aufbauen.114 Mitarbeiter und Führungskräfte müssen die „Ambidextrie“ radikaler Marktumbrüche verstehen. Das Unternehmen braucht beides, den Erhalt des bestehenden Geschäftsmodells ebenso wie seine Ergänzung durch neue Modelle. Beide Ziele müssen mit Innovationsgeist verfolgt werden, mindestens 3-5 Jahre lang mit gleicher Priorität verfolgt werden.

113 Interview Meyer, Innolytics 114 Interview Meyer, Innolytics

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„Durch kluge Innovationen kann auch das Stammgeschäft noch lange Zeit existieren und höchst profitabel sein. Zugleich sind die Unternehmen durch ihre Doppelstrategie in der Lage, das Bestehende irgendwann durch etwas komplett Neues zu ersetzen und ihren Fortbestand zu sichern. Kompromisse mit ein bisschen Transformation hier und ein bisschen Disruption dort funktionieren nur selten.”115 Um im digitalen Markt bestehen zu können, benötigen Unternehmen so etwas wie „organisatorische Schizophrenie“. Sie benötigen sowohl die herkömmliche Optimierung bestehender Prozesse als auch eine Kultur der radikalen Innovation, die disruptive Geschäftsmodelle entwickelt.

Reinfräsen statt reinschleichen: Das Marketing als Vorreiter in der agilen Transformation? Das größte Hindernis auf dem Weg zur digitalen Transformation ist das mittlere Management in den Unternehmen. Es scheut das Risiko, den Aufwand und die Unsicherheit von Veränderungen. Die Widerstände aus dem mittleren Management sorgen dafür, dass sich Veränderungen nicht in der notwendigen Geschwindigkeit umsetzen lassen. Nur sehr wenige Unternehmen haben die Zeit, die Veränderungen organisch umzusetzen, also jeden einzelnen Mitarbeiter im Unternehmen mitzunehmen und an den Veränderungen zu beteiligen. Den größten Veränderungsdruck hat das Marketing, da hier die gesamte Kommunikation des Unternehmens bewältigt werden muss. Die Marketingfunktion in einem Unternehmen muss deutlich schneller als andere Bereiche reagieren. In der Praxis stellt sich das Marketing den Veränderungen hin zu einer agilen Organisation früher als andere Funktionsbereiche in den Unternehmen. Es ist häufig Vorreiter für die digitale Transformation und wird dadurch zu einem Inkubator für die Veränderung. „Ich denke nicht, dass die digitale Transformation in der Breite anfangen kann. Dies würde zu überstarken Widerständen führen und die Entwicklung hemmen. Das Marketing kann hier eine Pilotfunktion übernehmen.“116 Allerdings dürfen Unternehmen nicht zu vorsichtig agieren. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass ein „Hineinschleichen“ nicht funktioniert. Da die Zeit angesichts der Marktentwicklung drängt, ist hier eher ein „Reinfräsen“ (Thomas Sattelberger) notwendig. Es ist nicht ausreichend, beispielsweise nur Einzelpersonen oder kleinere Teams aus der normalen Organisation herauszulösen und in agilen Methoden zu schulen. Die Situation für diese Personen ist dann folgende: Sie haben als einzige in der Organisation die Aufgabe, sich zu verändern und auf eine andere Art und Weise zu arbeiten. Das kann nicht funktionieren. So genannte Inkubator-Modelle haben eine viel höhere Chance, die notwendige Veränderungsgeschwindigkeit zu erreichen. 115 Interview Meyer, Innolytics 116 Interview Buck, Convidera

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Der Sattelburger STRATEGIE

STRATEGIE Das Unternehmen muss zunächst Mitarbeiter identifizieren, die veränderungswillig und digital affin sind oder zumindest bereit sind, einen experimentellen Weg zu gehen. Diese Mitarbeiter werden nun aus der normalen Organisation und dem Tagesgeschäft des Unternehmens herausgenommen. Außerdem sollten sie räumlich oder eventuell sogar geographisch vom eigentlichen Unternehmen getrennt werden. Sie werden nun mit einer Organisation zusammengebracht, die bereits digital und agil ist, beispielsweise eine Digitalberatung. Sie werden durch die Experten sehr intensiv auf digitale Prozesse vorbereitet. Dadurch erhalten die Mitarbeiter den Freiraum, sich zu entwickeln, etwas Neues zu lernen und digitales Know-how zu bekommen. Für einen Inkubator ist eine räumliche Trennung zwar sinnvoll, es ist aber ratsam, Unternehmen voneinander lernen zu lassen. Aus diesem Grunde hat die Digitalberatung convidera in Köln einen eigenen Campus aufgebaut, der Unternehmen beherbergt, die an digitalen Geschäftsmodellen arbeiten. „Dadurch arbeiten die Unternehmen nicht isoliert. Sie stehen im ständigen Austausch mit unseren Experten und können – unter Berücksichtigung von Datenschutz und Firmengeheimnissen – auch von den Erfahrungen anderer profitieren, die in denselben Veränderungsprozessen stecken.”117 Die Ankündigung des Vorstandsvorsitzenden Dieter Zetsche, in absehbarer Zeit etwa zehn bis 20 Prozent der Mitarbeiter in eine agile „Schwarm­ organisation“ zu überführen, beschreibt einen notwendigen Weg, den die Unternehmen gehen müssen. Die Daimler AG wird wissen, dass ergänzend hierzu Inkubatoren weiterhin notwendig sind. Die Initiative von Dieter ZetPraxisleitfaden IoT sche setzt ein Zeichen. Jemand muss vorangehen, damit die anderen folgen können. Auch Karl Neumann, der Vorstandsvorsitzende von Opel Deutschland, profiliert sich als digitaler Vorreiter. „Es sind aber leider viel zu wenige Vorstände, die in dieser Hinsicht ein echtes Vorbild sind. In den USA gibt es tatsächlich Unternehmen, die sich radikal verändern. Was deutsche Unternehmen machen, geht noch lange nicht weit genug. Es sollten sich mehr Firmen trauen, Inkubator-Modelle auszuprobieren und sich auf den Weg zu machen. Eine Pilgerfahrt nach Silicon Valley reicht nicht.“ 118

Inkubator-Modelle haben eine große Chance, die notwendige Veränderungsgeschwindigkeit zu erreichen. Einzelne Bereiche wie beispielsweise das Marketing werden dabei zum Vorreiter und Brutkasten für die digitale Transformation. Dafür müssen die Unternehmen experimentierfreudige Mitarbeiter identifizieren, die sehr intensiv auf digitale Prozesse vorbereitet werden. Die Mitarbeiter haben nun den Freiraum, sich zu entwickeln, etwas Neues zu lernen und digitales Know-how zu bekommen – das sie dann ins Unternehmen tragen.

117 Interview Buck, Convidera 118 Interview Buck, Convidera

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Der Sattelburger

Quelle: Winfried Felser

Digitale Kulturrevolution statt Feigenblätter: Ernsthaftigkeit an den Investitionen messen Die Erkenntnis wächst langsam: Deutsche Unternehmen müssen sich dringend intensiv mit digitalen Themen auseinandersetzen. Die bisherigen Gewissheiten der deutschen Wirtschaft bröckeln, siehe die Stichworte Exportweltmeister, Hidden Champions, Ingenieursnation. Zwar spielt Deutschland noch in der internationalen Spitzengruppe der Weltwirtschaft mit, ist aber nicht länger unangefochten. Im Gegenteil: Die deutsche Wirtschaft gerät aus zwei Richtungen unter Druck. Auf der einen Seite gibt es Unternehmer- und Gründernationen wie beispielsweise die USA und auf der anderen Seite Niedrigkosten-und Flexibilitätsnationen wie etwa China. Ein großer Teil der Industrieproduktion, vor allen Dingen im Privatkundenmarkt, wandert Zug um Zug in die Niedrigkostenländer ab. Gleichzeitig sind die Gründernationen in vorderster Front dabei, wenn neue Geschäftsmodelle und innovative smarte Produkte und Services entwickelt werden. Die deutsche Wirtschaft ist also zwischen diesen beiden Ländergruppen eingeklemmt wie eine Bulette zwischen zwei Hamburger-Brötchen. Dieses Bild wird manchmal als „Sattelburger“ bezeichnet, weil der Management-Vordenker und ehemalige Telekom-Personalvorstand Thomas Sattelberger auf diese Situation hingewiesen hat. Die große Gefahr dabei: Deutschland gerät in eine Situation, in der es den Ländergruppen nichts entgegensetzen kann. Einerseits wird zu teuer produziert, sodass ein großer Teil der Industrieproduktion davon bedroht ist, in die untere Hälfte des Sattelburgers abzusinken. Andererseits werden keine neuen, digitalen Geschäftsmodelle entwickelt, um dem Druck der oberen Hälfte des Sattelburgers standzuhalten. Doch langsam scheint sich die Lage zu verbessern. Digitalagenturen wie Denkwerk stellen immer häufiger fest, dass ihre Ansprechpartner in den Unternehmen Digitalprofis sind, mit denen sie auf Augenhöhe diskutieren

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STRATEGIE

STRATEGIE und Projekte entwickeln können.119 In der Wirtschaft wächst also die Bereitschaft, sich intensiv mit digitalen Themen auseinanderzusetzen. Viele Unternehmen haben digitales Know-how gesammelt und ihre Mitarbeiter entsprechend weitergebildet oder digitale Köpfe eingestellt. Wichtige Stichworte im Zusammenhang mit der digitalen Transformation sind Corporate Startups, Inkubatoren, Acceleratoren und Innovations-Labs. So gut wie jedes DAX30-Unternehmen, aber auch viele andere große und mittlere Unternehmen nutzen diese ausgelagerten Entwicklungsabteilungen als Nährboden für digitale Innovationen.120 Trotzdem ist die Gefahr groß, dass es sich bei den neuen Strukturen um eine Scheinblüte handelt. „Ich warte immer noch auf die wirklich messbaren Erfolgserlebnisse, die aus den unzähligen Inkubatoren und Acceleratoren generiert werden. Natürlich verstehe ich sehr gut, dass DAX-Unternehmen ihren Investor-Relations-Kollegen gute Geschichten an die Hand geben müssen und dementsprechend auch die Digitalisierung fokussieren. Oft jedoch handelt es sich bei der Realisierung um Feigenblätter.“121 Leider fehlt in zahlreichen Unternehmen eine nachvollziehbare Strategie, wie die Ergebnisse in die Organisation integriert werden können. Zudem sind die Ergebnisse dieser Digitalisierungseinheiten häufig nicht besonders innovativ. Die Unternehmen müssen hier viel Lehrgeld zahlen und wirklich digitales Denken erst noch lernen. Sie versetzen sich nicht in die Bedürfnislage ihrer Kunden hinein. Hier wird nicht aus der Kundenperspektive gearbeitet – auch wenn es vielleicht einen ausgegliederten Accelerator für digitale Innovationen gibt.

Die Dimension der Veränderung und die disruptive Kraft des Internets wurden in Deutschland lange nicht erkannt oder sogar verneint. Die jetzt nötige Kulturveränderung wird nach Einschätzung von Digitalexperten wieder 10-15 Jahre dauern. Doch was geschieht in der Zwischenzeit? „In Deutschland ist leider sehr viel Zeit verschenkt worden. Vor dem Börsengang der Deutschen Post im Jahr 2000 war Digitalisierung ein heißes Thema und wir sind beauftragt worden, ein E-Mail-Portal zu bauen. Ein Jahr nach dem Börsengang gab die Post das Projekt auf. Zehn Jahre später erhielten wir wieder den Auftrag, ein E-Mail-Portal aufzubauen. Dass wir das schon gemacht hatten, hatte man zwischenzeitlich vergessen.“ 122 Corporate Accelerators und ähnliche Modelle sind in erster Linie Themen, die von Investor Relations und Marketing vorangetrieben werden. Ob ein CEO es ernst meint mit der digitalen Transformation, lässt sich an einem wirklich ausreichenden Investment erkennen. Leider sind viele Accelerator-Programme in Deutschland enorm unterfinanziert, so dass verglichen mit den USA keine Chance auf ein erfolgreiches Startup auf Weltmarktebene besteht. Die deutsche Wirtschaft gerät aus zwei Richtungen unter Druck. Auf der einen Seite durch Unternehmer- und Gründernationen wie den USA und auf der anderen Seite durch Niedrigkosten- und Flexibilitätsnationen wie etwa China. Deutschland ist in Gefahr, beiden Ländergruppen nichts entgegensetzen zu können. Doch in der Wirtschaft wächst inzwischen die Bereitschaft, sich intensiv mit digitalen Themen auseinanderzusetzen. Allerdings wird oft keine offene Diskussion über Organisationswandel und eine digitale Kulturrevolution geführt, sodass es zu viele digitale Feigenblätter gibt.

Fallbeispiel

Die falsch gedachte Giro-Plus-Karte Ein Kreditinstitut hat die Gebühren für Girokonten deutlich erhöht und den Kunden zum Ausgleich die sogenannte „Giro-Plus-Karte“ geschenkt. Sie kann den Kunden helfen, beispielsweise einen Schlüssel wiederzufinden, falls er ihn verlieren sollte. Dafür muss allerdings der Kunde an seinem Schlüsselbund ein rotes Metallschild anbringen in der Hoffnung, dass ein ehrlicher Finder sein Fund auf einem Internetportal meldet. Aus Sicht eines digitalen Kopfes ist diese Marketingmaßnahme nicht zu Ende gedacht. Denn es gibt inzwischen bereits viele Technologieunternehmen, die Bluetooth-Anhänger zum Auffinden verlorener Dinge anbieten. Hierbei wird das Smartphone zum Lokalisieren des entsprechenden Objektes eingesetzt. Es muss sich allerdings in der Nähe befinden, sonst funktioniert diese Methode nicht. Deshalb bauen einige Hersteller zusätzlich die Funktion „Crowd GPS“ ein, bei der die Smartphones aller App-Nutzer zur Lokalisierung des verlorenen Objektes eingesetzt werden. Mit der GPS-Funktion der Smartphones kann dann der genaue Ort ermittelt werden, an dem das Bluetooth-Signal geortet wurde.

119 Interview Zingler, denkwerk 120 Interview Zingler, denkwerk 121 Interview Zingler, denkwerk

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Das mitarbeiterzentrierte Betriebssystem: Software alleine löst keine Probleme Der Reifegrad der digitalen Transformation eines Unternehmens wird häufig an der Existenz bestimmter Technologien festgemacht, etwa Collaboration-­ Tools, mobilen Apps oder Enterprise Social Networks. Es stimmt zwar, dass Technologie ein Kernfaktor in der Transformation ist, doch es gibt noch zwei weitere: die Organisation und die Mitarbeiter. Software alleine löst keine Probleme und ändert keine Kulturen. Es kommt auf die richtige Integration dieser drei Kernfaktoren an. Wir sprechen deshalb von dreidimensionalen Ansätzen.

122 Interview Zingler, denkwerk Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE

Der Haufe Quadrant

Der Haufe Quadrant

Fall: Ein Mitarbeiter, der Freiräume hat und agile Ansätze nutzen kann, möchte eigentlich lieber jeden Tag vorgegeben bekommen, was er zu tun hat. Der Haufe Quadrant zeigt auf einfache Weise das komplexe Zusammenspiel zwischen Organisationsformen und den Rollen der Mitarbeiter. 125

Quelle: Haufe

Praxisleitfaden IoT

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„Was nützt ein Digital Leadership Programm, wenn es keine technologisch durchgängige und mobile Infrastruktur gibt? Was nützt das beste Social Network, wenn die Unternehmenskultur von Angst, Intransparenz oder Command & Control geprägt ist? Was nützen agile Teams, wenn die Prozesse einen Tanker daran hindern, vorwärts zu kommen? Nichts. Die Initiativen sind gut gemeint und kosten viel Geld, haben aber kaum einen Impact.“123

»»In den meisten traditionellen Unternehmen ist das Organisationsdesign stark auf Steuerung ausgerichtet und die Rolle der Mitarbeiter entspricht die der von Umsetzern. Das Ergebnis: Weisung und Kontrolle als stärkste Merkmale des Unternehmens. »»Vor allem bei neuen und stark motivierten Mitarbeitern kann das Selbstverständnis anders sein. Sie empfinden sich als Gestalter oder werden in diese Rolle hineingedrängt, um Probleme zu beheben. Hier entstehen also Schattenorganisationen, die zwar dem Organisationsdesign widersprechen, aber für den Unternehmenserfolg wirksam sein können. »»Ein weiterer kritischer Fall entsteht, wenn nach einem Organisationswandel das Unternehmen stark auf agile Methoden und große Freiräume ausgerichtet ist, die Mitarbeiter jedoch nicht „mitgenommen“ wurden. Sie sehnen sich dann nach klar definierten Prozessen und deutlichen Vorgaben. Auch hier arbeitet die Organisation nicht optimal. »»Ein ebenso effizientes wie effektives Unternehmen, dass organisationale Ambidextrie (Beidhändigkeit) verwirklicht, besitzt eine auf Selbst­ organisation ausgelegte Struktur und Mitarbeiter, die sich in erster Linie als innovative Gestalter verstehen. Hierdurch entsteht ein wenig hierarchisches, agiles Netzwerk. Agile Netzwerke sind geprägt von einem tiefen Vertrauen des Manage-

44 in die Fähigkeiten der Teams und Mitarbeiter, die Anforderungen des ments

Das Software- und Transformationsunternehmen Haufe AG propagiert einen Ansatz zur innovativen Weiterentwicklung eines Unternehmens, ein so genanntes Upgrade des Betriebssystems, das unter dem Stichwort „mitarbeiterzentriertes Betriebssystem“ läuft124. Kern dieses Konzepts ist der Gedanke, dass Menschen das Richtige tun. Denn es sind nur die Menschen, die ein Unternehmen voranbringen. Nur wenn die richtigen Menschen an den richtigen Dingen arbeiten, sind Organisationen nachhaltig und wirkungsvoll. Nur wenn Organisationsdesign und Selbstverständnis des Mitarbeiters zueinander passen, entstehen funktionierende Systeme. Dieses Ziel ist angesichts der Komplexität, der sich moderne Unternehmen gegenübersehen, nicht so leicht zu erreichen. In zahlreichen Unternehmen bewegen sich viele Mitarbeiter in Strukturen, die nicht zu ihnen passen. Da gibt es zum Beispiel den Mitarbeiter, der gern eigenverantwortlich arbeiten will, aber in seiner aktuellen Rolle nur Befehle von oben entgegennimmt und ausführt. Genauso gibt es den umgekehrten

Marktes zu erkennen und eigenverantwortlich umzusetzen. Der Mitarbeiter in diesem System zeichnet sich durch eigenständiges, unternehmerisches Denken aus und ist in der Lage, komplexe Sachverhalte zu erschließen und in für das Unternehmen nutzbare Konzepte und Business-Ansätze zu formen. Ein optimales Zusammenspiel zwischen Organisationsdesign und Selbstverständnis der Mitarbeiter ist zentraler Erfolgsfaktor für funktionierende Managementsysteme. Doch welches dieser Systeme ist das richtige? Hier gibt es nicht die eine Antwort, denn alle diese Systeme finden in nahezu jedem Unternehmen in Koexistenz statt. Und genau dieses Zusammenspiel aus verschiedenen Formen der Organisation von Arbeit macht Unternehmen produktiver und leistungsfähiger. Somit können in ein und demselben Unternehmen Einheiten in hierarchisch geprägtem Top-Down-Design neben agilen Netzwerken bestehen, gut zusammenarbeiten und in allen unternehmerischen Teilbereichen maximale Beiträge leisten. Denn: Effiziente Arbeit in großen Produktionsstätten und an Fließbändern funktioniert am besten über Weisung und Kontrolle. Kreative Wissensarbeit in Innovationsschmieden verlangt nach agileren Formen der Zusammenarbeit. Doch die Realität in den Unternehmen sieht anders aus, die Organisationsform „Weisung und Kontrolle“ ist bestimmend. Im Rahmen des Haufe-Konzepts ist es ein grundlegender Erfolgsfaktor, in jedem Unternehmen ein mitarbeiterzentriertes „Betriebssystem“ zu

123 Interview Grabmeier, Haufe umantis 124 Interview Grabmeier, Haufe umantis

125 Interview Grabmeier, Haufe umantis Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE etablieren, das unterschiedlichsten Mitarbeiter-Typologien und diversen Organisationsdesigns gerecht wird. Diese komplexe, aber erfolgswirksame Vielfalt wird zu einem sinnvollen und produktiven großen Ganzen orchestriert.

Struktur gehört auch die Kaffeepause, der Flurfunk, die Gespräche in der Raucherecke und als allerwichtigstes: die Wertschöpfungsstruktur. Sie findet sich in jedem Startup und jedem Konzern.

Nur wenn die richtigen Menschen an den richtigen Dingen arbeiten, sind Organisationen nachhaltig und wirkungsvoll. Agile Netzwerkorganisationen sind geprägt vom Vertrauen des Managements in die Fähigkeiten der Teams und Mitarbeiter, die Anforderungen des Marktes zu erkennen und eigenverantwortlich umzusetzen. Der Mitarbeiter in diesem System zeichnet sich durch eigenständiges, unternehmerisches Denken aus und ist in der Lage, komplexe Sachverhalte zu erschließen und in für das Unternehmen nutzbare Konzepte und Business-Ansätze zu formen.

„Wertschöpfung lässt sich auch nur erklären, wenn man Teams berücksichtigt. Leistung wird nicht von einzelnen Akteuren gemacht, sondern im Raum zwischen diesen Menschen. Wichtig ist, was die Akteure miteinander füreinander leisten.“127

Flippen statt wandeln – Organisationen konstruktiv irritieren Jeder kennt Unternehmen, in denen Aussagen wie „Das funktioniert nur, wenn sich das Management nicht einmischt“ oder „Kriegen wir hin, aber der Chef darf nichts davon wissen“ üblich sind. Das sind Unternehmen, bei denen die eigentliche Wertschöpfung hinter der Bühne stattfindet. Auf der Bühne dagegen wird lediglich „Business-Theater“ (Lars Vollmer) gespielt: Es gibt eine Hierarchie mit Weisungen von oben nach unten, aber um ihre Alltagsarbeit hinzukriegen, müssen die meisten Mitarbeiter alles anders machen. Das ist der Unterschied zwischen formeller und informeller Struktur.

Formelle und informelle Strukturen Jede Organisation besitzt eine formelle Struktur, die ab einer gewissen Größe durch ein Organigramm versinnbildlicht wird. Damit erzeugen Unternehmen üblicherweise Kompetenz und Gesetzmäßigkeiten. Diese Struktur wird allerdings auch für andere Zwecke gebraucht, nämlich um zu steuern. Solche typischen Steuerungselemente sind Budgetierung, formelle Zielvorgaben, Bonussysteme, Reisekostenrichtlinien und Kostenmanagement-Methoden. Sie stammen aus der Welt von Weisung und Kontrolle, aus dem Industriezeitalter. Aus derselben Zeit stammt auch die Vorstellung der Economies of Scale – ein Mythos. Größenvorteile spielten früher, im Zeitalter der großen, trägen Massenmärkte, eine wichtige Rolle. Doch seit es dynamische globalisierte Märkte mit großem Wettbewerb gibt, existieren Skaleneffekte nicht mehr. Die Wertschöpfung in Dienstleistungsmärkten ist nicht mehr skalierbar. Es gibt dynamische Anteile an der Wertschöpfung, die sich nicht einfach wegautomatisieren lassen. Deswegen funktionieren heute auch Mergers & Acquisitions nicht richtig.126 Zusätzlich zu den formellen Strukturen gibt es aber in den Unternehmen noch informelle Strukturen. Das ist das Schmiermittel, über das Ökonomen und Ingenieure gerne hinwegsehen. Damit ist die Sozialstruktur gemeint. Hier entstehen tolle Dinge wie Solidarität, Kollegialität oder Mitgefühl. Nebenbei bemerkt: Natürlich kann eine informelle Struktur auch schlechte Dinge wie Fraktionsbildung oder Mobbing transportieren. Zur informellen 126 Interview Pfläging, BetaCodex

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Die ultimative Herausforderung der Zeit ist es, weniger Energie in die formelle Struktur zu stecken und mehr in die Wertschöpfungsstruktur. Unternehmen müssen informelle Strukturen kultivieren, etwa durch coole Arbeitsräume, das Auflösen formeller Arbeitsplätze oder dadurch, dass es ein Restaurant gibt, in dem sich die Beschäftigten jederzeit jenseits ihrer Leistungserbringung treffen können. Dadurch werden eine soziale Dichte und ein stärkeres Miteinander erzeugt, wodurch die Wertschöpfung gefördert wird.

Komplexe Phänomene lassen sich nicht steuern Innovationen, Wissen, Mitarbeiter und Kunden lassen sich nicht managen und steuern. Warum? Diese Dinge sind eng an sehr komplexe Phänomene gekoppelt: Erfolg, Kundenzufriedenheit oder Mitarbeiterzufriedenheit. Für ein Verständnis dieser Tatsache ist die Unterscheidung zwischen komplizierten und komplexen Phänomenen entscheidend. »»Kompliziert ist ein Phänomen, das aus vielen Elementen besteht, die auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Sie sind aber recht gut handhabbar und können zum Bestandteil eines Plans werden. So ist zum Beispiel die Herstellung eines Autos eine komplizierte Aufgabe. Sie ist aber vergleichsweise problemlos zu lösen, wie die Millionen Autos in Deutschland beweisen. »»Komplex dagegen ist ein Phänomen, dessen Eigenschaften sich nicht vollständig anhand der Merkmale der einzelnen Bestandteile dieses Phänomens bestimmen lassen. So ist zum Beispiel das Führen eines Unternehmens eine komplexe Aufgabe, da sehr viele „unscharfe“ Aufgaben und nicht vollständig zu berücksichtigende Dinge dazugehören. Komplizierte Phänomene können prozessual gesteuert, geregelt, automatisiert und in eine App verpackt werden. So ist zum Beispiel die Herstellung von Produkten kompliziert und erfordert eine sehr genaue und umsichtige Herangehensweise. Es ist aber möglich, die Produktion durch An­weisungen zu steuern und weitgehend zu automatisieren, da es sich lediglich um ein kompliziertes Phänomen handelt. Komplexe Phänomene dagegen enthalten nicht-berechenbare Elemente und entziehen sich der Steuerung, beispielsweise eine Organisation mit allen Mitgliedern und ihren Beziehungen untereinander. Es ist nicht einfach, Manager, Führungskräfte, Teams und Unternehmenseigentümer davon zu überzeugen, dass es einen wesentlichen Unterschied 127 Interview Pfläging, BetaCodex

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STRATEGIE

STRATEGIE zwischen diesen beiden Arten der Phänomene gibt. Sie haben sich angewöhnt, Komplexes wie Kompliziertes zu behandeln, als wären Kunden, Mitarbeiter oder Geschäftsbeziehungen steuerbar und beherrschbar. In den heutigen Märkten reicht es jedoch nicht aus, das Komplizierte zu beherrschen, wir müssen auch mit dem Komplexen intelligent umgehen lernen.128 „Man kann der Komplexität nur mit menschlichen Ideen und Fähigkeiten begegnen. Und da fängt das Problem an. Unternehmen steuern weiterhin aus dem Management, aus dem Zentrum heraus die Peripherie – und damit steuern sie das Unternehmen letztlich gegen die Wand.”129 Volkswagen ist ein passendes Beispiel. Kalifornien lässt nur noch umweltfreundliche Dieselmotoren zu. Das Management von VW aber sagt, es gibt weder Zeit noch Geld, um solche Motoren zu entwickeln. Die Entwickler werden daraufhin kreativ und schreiben eine Software, die Abgaswerte verfälscht. Das ist zwar kriminell, aber in der Logik zentraler Steuerung hochintelligent.

Radikale Dezentralisierung – Die Organisation von unsinnigen Strukturen und Prozessen befreien Unternehmen müssen sich radikal dezentralisieren, wenn sie die Wertschöpfung erhöhen wollen und komplexitäts-robuster werden möchten. Wenn die Märkte komplexer werden, muss die Peripherie gestärkt werden und Entscheidungsrechte bekommen. Die meisten Organisationen sind bereits Netzwerke, aber heimlich hinter der Bühne. Die Wertschöpfungsstruktur ist in den Organisationen bereits vorhanden. Inoffiziell wird bereits dezentral agiert, um Kundenwünsche zu erfüllen und auf Veränderungen der Marktbedingungen zu reagieren. 130 Um sich auch offiziell zu zu dezentralisieren, müssen sich Organisationen von zahlreichen unsinnigen Strukturen und Prozessen befreien. Mitarbeiterbeurteilung und Personalentwicklung müssen als formelle Strukturen abgeschafft werden, damit die Weiterentwicklung der Mitarbeiter nicht mehr bürokratisch administriert wird. Fest fixierte Ziele und Bonussysteme müssen abgeschafft werden, damit die Teams tatsächlich frei zusammenarbeiten können. Dies betrifft sogar ganze Abteilungen, beispielsweise den Vertrieb. Er ist ein Relikt aus dem Industriezeitalter. Ein Vertriebler ist normalerweise jemand, der mit den Kunden redet. In seine Arbeit fließen Dinge wie Service, Angebotserstellung, Backoffice-Leistungen oder Logistik mit ein. Das ist die Wertschöpfung am Kunden. In einem dezentralen System wird diese Wertschöpfung von einem Team in der Peripherie gemacht und die klassische Vertriebsarbeit ist nur ein Element, eine Subfunktion.

128 Interview Pfläging, BetaCodex 129 Interview Pfläging, BetaCodex 130 Interview Pfläging, BetaCodex

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Das Organisationsmodell ist häufig ein blinder Fleck, eine vernachlässigte Ressource Organisationen sind nicht zentral steuerbar, sie sind komplex und lebendig. Deshalb kann das Topmanagement nichts steuern. In den Unternehmen muss sich die Erkenntnis verbreiten, dass jede Form von zentraler Steuerung über die gesamte Organisation hinweg immer Fehlsteuerung bedeutet. „Komplexität bedeutet, dass man es ständig mit Überraschungen zu tun hat. Es kann nicht einer denken und steuern und alle anderen machen dann das Richtige.”131 Die selektive Übernahme von agilen Methoden reicht allerdings nicht aus. „Agile“ muss zum neuen Projektmanagement werden. Darin steckt die Erkenntnis, dass Projektarbeit nicht mit Planung und Steuerung bewältigt wird. Stattdessen sind dafür Iterationen, soziale Dichte und ein hohes Maß an Transparenz notwendig. Das reicht für die meisten Organisationen aber nicht aus, weil ihre Probleme nicht nur mit Projektarbeit zu tun haben. Jedes Unternehmen hat zwei Arten von Modellen. »»Erstens das Geschäftsmodell: Da müssen die Mitarbeiter innovativ sein und überlegen: Was vertreibe ich wann und wo, wie hoch muss der Serviceanteil sein, was betreibe ich eigentlich für ein Business? »»Zweitens das Organisationsmodell: Wie betreibt ein Unternehmen sein Business? Wie bezahlt es seine Mitarbeiter, wie behandelt es sie, welche Arbeitsstrukturen stehen zur Verfügung? Wird versucht, die Teams zu steuern? Oder gibt es einen Rahmen, in dem die Teams arbeiten können? Das Organisationsmodell ist für die meisten Unternehmen ein blinder Fleck, eine vernachlässigte Ressource.

Flippen als Geheimnis der Organisationsentwicklung Wenn ein Unternehmen im Bereich der Smart Services Innovationen schaffen will, muss es bereit sein, radikal an der Organisation etwas zu ändern. Ein Unternehmen kann auf der einen Seite keine Innovationen bei den Geschäftsmodellen erwarten, wenn es auf der anderen Seite Mitarbeiter wie Idioten behandelt – wie das zu viele Unternehmen machen. Sie stellen Spitzenkräfte ein, aber wenn sie im Unternehmen sind, behandeln sie sie wie kleine Kinder. 132 Hier ist dringend ein Organisationswandel notwendig, der beispielsweise nach dem Kotter-Modell ablaufen kann. Doch es handelt sich dabei nicht um ein Managementsystem, bei dem nacheinander ablaufende Phasen durch das Management angesteuert werden können. „Jede Form von Change-Management ist toxisch. Man kann Change nicht managen, man darf Change nicht steuern. Das Geheimnis von Organisationsentwicklung: Wir müssen Organisationen und Systeme flippen.” 133

131 Interview Pfläging, BetaCodex 132 Interview Pfläging, BetaCodex 133 Interview Pfläging, BetaCodex Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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STRATEGIE

STRATEGIE Organisationen zu flippen heißt, die Organisation als System in einen neuen Zustand zu bringen. Dies geschieht durch irritieren und intervenieren. Die Menschen passen sich dem sehr schnell und sehr intelligent an. In diesem Fall ist der gesamte Kotter-Prozess (Siehe „Change: Unternehmen an die Zukunft anpassen“, S. 136 ff.) mit seinen acht Phasen nicht notwendig. Unternehmen müssen anfangen, so intelligent am System zu arbeiten, dass sich die Mitarbeiter – ob sie es wollen oder nicht – darauf einlassen und sich verändern. Für das Design von Smart Services müssen die Mitarbeiter Ressourcen richtig einsetzen dürfen. Die Unternehmen müssen aufhören, ihre Mitarbeiter zu gängeln. Bereits das ist schon ein Flip, der die Organisation verändert. Ein weiterer Flip: Die Umstellung von der Entwicklung nach dem Wasserfallmodell auf Agile. Im Management sind Veränderungen zu lange als etwas betrachtet worden, das wie ein Projekt einen Anfang und ein Ende hat und in einem Verfahren abbildbar ist. Aber Veränderungen passieren sowieso dauernd und die Anpassung daran fällt uns Menschen eigentlich leicht. Erst wenn man anfängt, den Change zu managen und zu steuern, wird es schwierig. Wenn Unternehmen an den Menschen arbeiten, beobachten sie plötzlich Widerstand. Wenn sie aber am System arbeiten und konsequent falsche Mechanismen abbauen, dann stellen sich die Mitarbeiter darauf ein. Die ultimative Herausforderung der Zeit ist es, weniger Energie in die formelle Struktur eines Unternehmens zu stecken und mehr in die Wertschöpfungsstruktur. Unternehmen müssen sich radikal dezentralisieren, wenn sie die Wertschöpfung erhöhen wollen und komplexitäts-robuster werden möchten. Dieser Wandel kann aber nicht gemanagt werden. Eine Organisation wird stattdessen geflippt: Sie wird als System in den neuen Zustand gebracht. Dafür müssen konsequent falsche Mechanismen abgebaut werden.

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE: Die richtige Architektur von Smart Services

Bei IoT-Projekten geht es nicht in erster Linie um Geräte und Daten, sondern um Anwendungen. Es geht darum, was die Unternehmen mit diesen Daten machen. Neue Geschäftsmodelle sind ein wichtiges Element, das jedoch auf einem technologischen Fundament aufbaut. Und die technischen Grundlagen sind noch sehr heterogen, denn im Internet der Dinge gibt es nicht wie bei Mobile Apps eine einheitliche Architektur mit standardisierten Be­­triebss­ ystemen.47 Deshalb ist es wichtig, zunächst ein Blick auf den sogenannten IoT-Stack zu richten und die technologische Basis zu verstehen. Dabei muss besonders IT-Security beachtet werden. Anschließend ist über den Ort der Datenverarbeitung und die Offenheit ihrer Plattform zu entscheiden. Nur wenn diese Fragen vorher geklärt sind, ist es möglich, Daten in Werte zu verwandeln.

Unter den Kiel schauen: Den IoT-Stack verstehen Das Internet der Dinge ist in jeder Branche und in jedem Anwendungsgebiet ein wenig anders, sowohl bei Lösungen für Privatleute als auch für Unternehmen. Es gibt sehr unterschiedliche Hardware, verschiedene Arten der Connectivity und natürlich ein sehr breites Spektrum an Anwendungen. Es ist also sehr schwierig, hierfür übergreifende und alle Anwendungsfälle berücksichtigende Produkte und Services bereitzustellen.48

Der IoT-Stack – Den Smart Service hochfahren Eine End-To-End-Lösung im Internet der Dinge kann in einem generalisierten 5-Schichten-Modell dargestellt werden. Die ersten vier Schichten bauen dabei aufeinander auf: Unten kommt das Gerät, anschließend die Kommunikationsschicht, darüber die Cloudservices und zum Schluss die Anwendungen. Quer zu diesen Schichten steht IoT-Security – ein Hinweis darauf, dass Sicherheit kein Zusatz ist, sondern in allen Schichten verwirklicht werden muss. Mit der Wahl der richtigen Hardware und der richtigen Konfiguration lassen sich die Kosten für eine IoT-Lösung optimieren, ohne Leistungsverluste hinnehmen zu müssen. Die für die Leistung einer IoT-Lösung entscheidenden Komponenten lassen sich sehr gut am Fluss der Daten innerhalb des IoT-Stacks zeigen. Es gibt insgesamt vier Abschnitte: Datenerfassung, Datenübertragung, Datenspeicherung und Datenverarbeitung. Entlang dieser Kette gibt es unterschiedliche Infrastrukturelemente, die jeweils eine bestimmte Aufgabe erfüllen.49

47 Interview Lüth, IOT Analytics 48 Interview Lüth, IOT Analytics 49 Interview Pereira, Q-Loud Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE

Der Full IoT Stack Applications

Cloud & IOT Platform

API – Business Application Integration

Advanced Analytics

App Development

Application ID & Access Mmt

Storage / Database

Device Mmt

Event Processing

Privacy Mmt Data at Rest

Connectivity

Connectivity Network

E2E Encrytion Of Data & Communication

Edge Gateway

Physcial Protection, Firmware Atte

Steuerelektronik einer Maschine oder eines Gerätes integriert wird. Er wird mit neuen oder vorhandenen Sensoren verbunden und sendet dann deren Daten an das Gateway. Diese Lösungen sind fehleranfällig, denn der Ausfall eines einzelnen Gateways führt sofort zu einem Verbindungsverlust mit allen angeschlossenen Devices. »»Die IoT-Spezialisten von Q-Loud haben ein anderes Konzept gewählt: Die Funkverbindungen sind wie ein Mobilfunknetz aufgebaut. Bei der Q-Loud-Lösung für das Internet der Dinge sind die einzelnen Devices nicht fest mit einem bestimmten Gateway verbunden. Sie verbinden sich stattdessen mit dem nächsten jeweils in Reichweite liegenden Gateway. Dadurch können erstens große Flächen und auch mehrstöckige Gebäude problemlos und ohne großen Installationsaufwand abgedeckt werden. Zweitens ist die IoT-Lösung recht ausfallsicher: Bei Störung eines Gateways wird einfach ein anderes genutzt.51

Connectivity: Viele Wege führen nach Rom

Device

Smart Device

Simple Device

Quelle: Mind (2017) in Anlehnung an Analytics

IoT-Gateway: Die intelligente Datensammelstelle IoT-Lösungen basieren darauf, dass alle Geräte mit dem Gateway kommunizieren und das Gateway anschließend die Daten in die Cloud sendet. Die IoT-Geräte sind bei komplexen Anwendungen keine Smart Devices und nur für die sichere Übertragung von Sensordaten geeignet. Lediglich das Gateway ist ein Smart Device im eigentlichen Sinne: Es ist ein Computer, der mit Linux als Betriebssystem arbeitet und entsprechend Speicherplatz und Rechenkapazität anbietet. Nur bei weniger komplexen Lösungen mit einzelnen Geräten wird die Connectivity direkt in das eigentliche Gerät integriert und die Daten werden unmittelbar in die Cloud übertragen. Sofern lediglich Sensordaten in die Cloud übertragen werden sollen, können die Hersteller auf die teure Gateway-Elektronik verzichten. Dadurch liegen die Kosten für die Hardware bei nur wenigen Euro.50 Doch auch Systemlösungen für ganze Anlagen und Maschinenparks sind häufig stark kostenoptimiert: Ein einzelnes, relativ teures Smart Device verbindet sich mit einer großen Zahl an kostengünstigen Simple Devices. Diese sind vom Grundsatz her Massenprodukte. Ein einzelner Chip kostet weniger als zwei Euro, ein Gateway dagegen weit mehr als 50 Euro. Es gibt zwei unterschiedliche Möglichkeiten für die Verknüpfung der Geräte: »»Eine gängige Lösung ist, jedes IoT-Device mit einem bestimmten Gateway zu verbinden, per Funk oder per Kabel. Eine typische Installation in einer Industrieanlage sieht so aus, dass der IoT-Chip in die 50 Interview Pereira, Q-Loud

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Auch in der Verbindungsschicht eines IoT-Stacks gibt es verschiedene Möglichkeiten, Leistung und Kosten zu optimieren, unter anderem durch den Einsatz unterschiedlicher Connectivity-Arten. Das häufigste Szenario sind M2M-Karten, die in sehr viele Geräte eingebaut werden. Diese Connectivity-Form ist ein Kostenfaktor, da bei Benutzung der Mobilfunknetze Übertragungsgebühren entstehen. Ein typischer Tarif liegt hier bei drei Euro für 50 MB Datenübertragung. Die Karten haben haben vor allem bei mobilen Einsatzszenarien zum Beispiel in der Logistik wichtige Vorteile. Üblicherweise wird für den Datenaustausch eine Verbindung zu einem 3G- oder 4G-Netz geöffnet. Ein Beispiel ist ein Container, der sich gerade von Rotterdam nach Hamburg bewegt und über das herkömmliche Mobilfunknetz Informationen überträgt, etwa die Innentemperatur oder Daten von einem Bewegungssensor, der die korrekte Behandlung des Containers ermittelt. Dasselbe Prinzip wird auch für die Tourenverfolgung von Lkw eingesetzt. Mangels anderer Alternativen werden die Daten über das Mobilfunknetz gesendet und erst am Empfangsort an die eigentliche Cloud-Anwendung übertragen. Eine oft fast kostenlose Alternative ist WLAN. Sie wird insbesondere bei Geräten für Privatkunden benutzt, aber auch in Unternehmen. In beiden Fällen wird ein vorhandenes WiFi-Netz eingesetzt, was normalerweise keine zusätzlichen Kosten bedeutet. Die Daten werden anschließend über das Internet in die Cloud gesendet. Das hat für Anbieter den Riesenvorteil, dass sie im Geschäftsszenario nicht die unterschiedlichen Mobilfunktarife berücksichtigen müssen. Zudem sind viele Konsumenten nicht geneigt, zusätzlich zu einem bestimmten Gerät auch noch eine monatliche Gebühr zu zahlen. Seit einigen Jahren gibt es jedoch neue Technologien für LPWANs (Low Power, Wide-Area Networks), beispielsweise SigFox und LoRa oder Narrow Band IOT, eine Weiterentwicklung der Mobilfunktechnologie. Die verschiedenen Anbieter und Netzbetreiber, die diese Technologie entwickeln, versprechen eine besonders effiziente und kostengünstige M2M-Kommuni­ kation.

51 Interview Pereira, Q-Loud Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE „Im Moment ist unklar, wie kostengünstig LPWAN wirklich ist, da es noch nicht im Markt angeboten wird. Sicher wird noch mindestens ein weiteres Jahr vergehen, bevor die Netze entsprechend ausgerüstet sind. Es gibt das Gerücht, dass LPWAM nur ein Softwareupdate ist. Das stimmt leider nur in Regionen, in denen relativ neue Funkstationen vorhanden sind.” 52 Initiativen wie SigFox und LoRa steigen im Moment mit einer sehr aggressiven Preisstrategie in den deutschen Markt ein. Entscheidend für den Erfolg dieser spezifischen IoT-Funknetze ist allerdings, möglichst schnell eine große Flächenabdeckung herbeizuführen. Eine Option hierbei sind die Energieanbieter. So wird beispielsweise E.ON sämtliche Smart Meter mit LoRa anbinden. Der Konzern nutzt dafür das LPWAN-Funknetzwerk des deutschen Smart-Meter-Herstellers Digimondo, einer E.ON-Tochter.

Expertentipp

Offene Kommunikationsstandards vermeiden IoT-Silos Das industrielle Internet der Dinge kann nur dann erfolgreich sein, wenn es mehr ist als eine Sammlung von unabhängigen Silos, die jeweils ein Hersteller auf einen einzigen Use Case zugeschnitten hat. Um diese Situation zu vermeiden, sollten alle Hersteller auf offene Standards setzen und Open-Source-Technologien nutzen. Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass sich neue Technologien am leichtesten verbreiten, wenn sie offen und frei verfügbar für alle sind. Ein Beispiel für offene Standards im IoT ist die „Eclipse IoT Working Group“. Das ist ein Zusammenschluss von mehr als 20 Unternehmen, neben IBM, Siemens und Bosch beispielsweise auch Red Hat und Eurotech. Eine der von dieser Gruppe geschaffenen Anwendungen ist Eclipse Hono, das einheitliche Schnittstellen für eine sichere Kommunikation von IoT-Geräten bietet und unter anderem in der Bosch IoT Suite eingesetzt wird. Bosch hat damit den Service „Track My Tools“ verwirklicht, mit dem Baustellenwerkzeuge durch einen Ortungsservice gesichert werden. Dafür werden die bereits vorhandenen Werkzeuge mit Funkchips (Bluetooth LE) ausgerüstet, sodass sie geortet werden können. Über ein Smartphone als „Gateway“ werden die Daten via MQTT in die Cloud gesendet. Sie werden nun von Hono weiterverarbeitet und an die Software gesendet, die den Service „Track My Tools“ anbietet. Ein anderes Anwendungsbeispiel für Hono ist „Smart Parking“ von Bosch. Dabei werden freie Parkplätze in einer Tiefgarage oder einem Parkhaus über Sensoren gemeldet, die in jedem Parkplatz untergebracht sind. Hier sind sehr zahlreiche Geräte am Gateway angebunden und die Daten werden mit einem spezialisierten Funkprotokoll übertragen, dass speziell für Räume mit sehr vielen Betonwänden und -decken geeignet ist. Hono basiert auf Microservices und arbeitet in der Cloud als „OS-Platform as a Service“. Es ist problemlos skalierbar und kann parallel zur Ausbreitung der Geräte mitwachsen. Grundsätzlich ist es möglich, mit Hono Millionen von Geräten mit einem Backend zu verbinden. Dadurch sorgt es für eine einheitliche Kommunikation. Die Backend-Anwendungen arbeiten unabhängig und nutzen nur noch Hono als Kontaktpunkt zu den Geräten, nicht mehr das Kommunikationsprotokoll. So ist es möglich, ein Backend für alle Geräte und Protokolle einzusetzen.

Allen IoT-Geräten ist gemeinsam, dass die Daten in der Cloud gespeichert und von unterschiedlichen Diensten weiterbearbeitet werden. Deshalb ist Storage ein zentraler Aspekt aller IoT-Lösungen, da hier Besonderheiten gegenüber der herkömmlichen Business-IT gelten. Die meisten Unternehmen haben durch ihre eigene IT sehr lange Erfahrung mit SQL-Datenbanken. Im IoT werden allerdings NoSQL-Datenbanken eingesetzt, da hier sehr große Datenmengen gespeichert werden, die über einen langen Zeitraum bereitgestellt werden müssen. Zudem gibt es hohe Verfügbarkeitsanforderungen, die teilweise sogar bis in Echtzeit-Zugriffe hineingehen. Hierzu werden üblicherweise verteilte Datenbanken eingesetzt, die eine höhere Verfügbarkeit als herkömmliche Datenbanken erlauben, beispielsweise Hadoop oder Cassandra.53 »»Hadoop ist ein Framework für skalierbare, verteilt arbeitende Software. Es wurde ursprünglich von Google für seine eigenen Zwecke entwickelt und ermöglicht es, extrem große Datenmengen im Petabyte-Bereich auf Computerclustern zu bearbeiten. »»Cassandra ist ein verteiltes Datenbankverwaltungssystem für große, strukturierte Datenmengen und gehört zu den sogenannten NoSQL-Datenbanksystemen. Es ist auf hohe Skalierbarkeit und Ausfallsicherheit hin optimiert und wurde ursprünglich von Facebook als Basis-Datenbanksystem des sozialen Netzwerks entwickelt. Diese und einige andere NoSQL-Datenbanken eignen sich sehr gut für eine Standardaufgabe im Internet der Dinge: Die Devices senden innerhalb eines kurzen Zeitraumes sehr große Datenmengen, die möglichst schnell im verteilten System gespeichert werden müssen. Ergänzt wird die hohe Arbeitsgeschwindigkeit durch Zusatzfunktionen, etwa die Bestimmung der Lebensdauer der Daten. Es ist beispielsweise möglich, direkt beim Schreiben ein Ablaufdatum zu vergeben, an dem die Daten automatisch und ohne weiteren Benutzereingriff gelöscht werden.54

Device-Management und identitätsbasierte Zugriffsrechte Ein wichtiges Merkmal für die Zuordnung von Daten zu Datenquellen ist die Identität eines einzelnen Gerätes. Die Verwaltung der Geräteidentität ist ein entscheidender Bestandteil des gesamten Device-Managements. Zugleich ist es verknüpft mit dem Sicherheitskonzept. Eine gute Lösung für Plattform-Anbieter ist die Verknüpfung von Identität und Device direkt bei der Fertigung. Jedes Gerät kommt direkt bei der Herstellung eine eindeutige Nummer eingebrannt. Dadurch kann es unabhängig vom Plattform-Nutzer identifiziert werden. 55 Im Device-Management entsteht zu jedem Device ein digitaler Zwilling – der Datensatz in der Verwaltungssoftware stimmt mit der in der Hardware gespeicherten Identität überein. Dem Device-Management der IoT Plattform ist dadurch zu jeder Zeit klar, um welches Gerät es sich handelt und welche Daten von ihm ermittelt und übertragen werden. Nach der Auslieferung an einen Plattform-Kunden bekommt das Gerät nun einen Eigentümer. Dieses Verhältnis muss auch im Device-Management dargestellt werden, so dass der digitale Zwilling des Gerätes ebenfalls einen Besitzervermerk bekommt. 53 Interview Pereira, Q-Loud 54 Interview Pereira, Q-Loud 55 Interview Pereira, Q-Loud

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Storage

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE Letztlich kann darauf ein Rollen- und Rechte-Konzept aufgebaut werden. Mit ihm wird sichergestellt, dass nur bestimmte berechtigte Personen den Zugriff auf die Geräte und Daten haben und damit bestimmte Operationen ausführen können. Das Rechtemanagement kann dabei komplex werden. Ein Beispiel dafür wäre ein Energiemanagement-Dienstleister, der eine IoT-Lösung für Smart Meter betreibt. Aber auch der Stromkunde möchte die Daten erhalten. Hierfür gibt es beim Stromversorger ein Rechtemanagement und die entsprechenden Zugriffsrechte müssen auch an die Plattform durchgereicht werden. Ein sehr wichtiger Aspekt des Device-Managements sind Firmware-Updates, die neue Funktionen bringen oder Fehler und Sicherheitslücken beheben. Die Software für das Device-Management muss die Firmware-Versionen aller angeschlossenen Geräte kennen und dann in Eigenregie, zu einem guten Zeitpunkt, ein Update starten. Dies ist durchaus eine Herausforderung, da in einzelnen IoT-Szenarien mehrere 10.000 Geräte bedient werden müssen. 56

Expertentipp – Interview Dr. Dido Blankenburg

„So unkompliziert kann das Internet der Dinge sein” Maschinen aus der Ferne überwachen, die Route von Containern am Bildschirm verfolgen, einen effizienteren Wartungsservice anbieten: dank Industrie 4.0 schon Realität. Wie Unternehmen den Einstieg ins Internet der Dinge problemlos schaffen, verrät Dr. Dido Blankenburg, Senior Vice President Mobilfunk Corporate Customers Telekom Deutschland GmbH.

Dr. Dido Blankenburg ist Senior Vice President Mobilfunk Corporate Customers Telekom Deutschland

Herr Blankenburg, die Möglichkeiten von Industrie 4.0 könnten vielen Unternehmen das tägliche Arbeiten wesentlich erleichtern. Warum herrscht in manchen Branchen dennoch Skepsis vor dem Schritt in die Digitalisierung? Die Unternehmen wissen durchaus, welche Vorteile ihnen speziell das Internet der Dinge bietet. Doch oft überwiegen Bedenken, die Unternehmen daran hindern, einfach mal anzufangen. Auch verfügt nicht jedes Unternehmen über die notwendigen IT-Ressourcen, solche Lösungen allein zu planen und auch umzusetzen. Hier kann der richtige Partner helfen. Die Deutsche Telekom etwa bietet mit der „Cloud der Dinge“ eine komplette IoT-Lösung für kleine und mittlere Unternehmen an. Ein kleines Modul mit SIM-Karte erfasst Sensordaten und schickt sie per Mobilfunk in die Cloud, wo sie analysiert werden und der Kunde sie über ein Webportal einsehen kann. Das Plug’n’Play-Prinzip unserer Lösung erfordert kein spezielles IT-Know-how; mit unseren Starter-Paketen sind Geräte in wenigen Minuten vernetzt und das Unternehmen kann sofort von den Vorteilen profitieren. Und wie steht es um das Thema Sicherheit? Die Sorgen um Datenschutz und Datensicherheit nimmt die Telekom sehr ernst. Das IoT-Modul überträgt die Sensordaten verschlüsselt über unser zuverlässiges Mobilfunknetz in die „Cloud der Dinge“ – unabhängig vom Firmennetzwerk des Kunden. Wir hosten die Plattform in unseren hochsicheren Rechenzentren: Datenschutz nach hohem deutschem Standard ist so garantiert. Wie sieht es mit den Kosten aus? Unternehmen können sich mit einem Pilotprojekt risikofrei von den Möglichkeiten der „Cloud der Dinge“ überzeugen. Bei den Starter-Paketen lassen sich weitere Geräte und Nutzer jederzeit hinzufügen. Die Kosten bleiben stets transparent: Abgerechnet wird nach Anzahl der angeschlossenen Geräte. So unkompliziert kann das Internet der Dinge sein: “Einfach machen“ lautet unser Motto.

56 Interview Pereira, Q-Loud

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Messaging Neben Storage und Device Management ist das Messaging ein wichtiges Element jeder IoT-Lösung. Im Unterschied zur Datenübertragung von Computer zu Computer gibt es im Internet der Dinge andere Regeln. Die Grundfunktionalität des üblicherweise eingesetzten Messaging-Protokolls MQTT wird „Publish and Subscribe“ genannt oder kurz PubSub. Bei diesem Verfahren senden die IoT-Geräte ihre Daten nicht direkt an einen bestimmten Empfänger. Stattdessen veröffentlichen („Publish“) sie Nachrichtenklassen, die von beliebigen, ihnen unbekannten Empfängern ausgewertet werden können. Diese Empfänger abonnieren („Subscribe“) dann die Nachrichten dieser Klassen. Der Vorteil dieser Vorgehensweise: Ein Gerät kann seine Nachrichten in unterschiedlicher Form an zahlreiche Geräte versenden, ohne dass es dafür spezielle Routinen kennen muss. Der Empfänger ruft entsprechend seiner Kodierung die Nachrichten ab. Damit ist es auf Empfängerseite zum Beispiel möglich, nur bestimmte Nachrichtentypen oder nur Nachrichten aus einzelnen geografischen Regionen abzurufen. MQTT ist ein Standard für dieses Verfahren und ein sehr schlankes und leistungsfähiges Protokoll. Es eignet sich deshalb gut für IoT-Lösungen. Damit können Geräte auch Nachrichten parallel an mehrere Message-Broker senden. Sie umgehen damit Probleme mit zu starken Workloads, ohne Loadbalancing einsetzen zu müssen.57

Analytics – Datenbearbeitung vor Ort und in der Cloud Auf dem Weg der Daten in die Anwendungsschicht müssen die Nachrichten­ ereignisse zunächst verarbeitet (Event-Processing) und aufbereitet (Basic Analytics) werden. Diese beiden Aufgaben gehören zusammen und können entweder durch Cloud Computing oder durch Edge Computing erfüllt werden. Vor allem im Bereich industrieller Anwendungen ist es häufig erforderlich, die grundlegende Datenverarbeitung im Gateway abzuwickeln. Ein wichtiger Grund dafür ist die Anforderung, Alarm-Trigger wie etwa das Überschreiten bestimmter Schwellenwerte direkt im Gateway zu verarbeiten und dann dort entsprechende Aktionen auszulösen. Zudem ist es in vielen Szenarios sinnvoll, Netzwerkverbindungen nur dann aufzubauen, wenn es unbedingt notwendig ist. Dadurch können Kosten für das Mobilfunknetz gespart oder lange Signallaufzeiten vermieden werden. Letzteres ist vor allem in Anwendungen für die Industrie 4.0 wichtig, da Maschinensteuerungen in der Regel auf eine Echtzeit-Verarbeitung angewiesen sind. Ein dritter Grund für Basic Analytics im Gateway ist die Möglichkeit, in die Cloud nur aufbereitete Daten zu übertragen. Normalerweise entstehen durch Sensorik enorme Datenmengen, da die Messwerte in sehr kurzen Zeitabständen ermittelt werden. Für zahlreiche Anwendungen ist es ausreichend, lediglich Wertänderungen zu übertragen, etwa bei einem Temperatursensor.

57 Interview Pereira, Q-Loud Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE API-Integration, Advanced Analytics und App-Development Die Cloud bietet vier wichtige Anwendungsbereiche: 1. Daten speichern und archivieren 2. Daten auswerten („Advanced Analytics“) 3. Daten visualisieren 4. Daten in Anwendungen nutzen, etwa Predictive Maintenance Eine Anwendung für Advanced Analytics ist ein wichtiger Kernbereich der Cloud Services, die auf einer IoT-Plattform basieren. Hierbei ist allerdings eine feste Bindung an einen bestimmten Anbieter, etwa den Betreiber der IoT-Plattform, nicht flexibel genug. Vor allem im Bereich Analytik ist der Markt sehr heterogen und entwickelt sich sehr schnell. Darüber hinaus möchten sicher die meisten Unternehmen ihre vorhandene Anwendungsbasis weiter benutzen. Entscheidend für die Flexibilität eines IT-Services ist also der Einsatz eines Cloud Services eigener Wahl. Diese Flexibilität wird darüber hinaus durch zwei weitere Elemente des IoT-Stacks gewährleistet: Erstens eine REST-basierte API, an die über einen Konnektor in beliebigen anderen Anwendungen eingesetzt werden kann. Sie erlaubt es Anwendungsentwicklern, auf bestimmte Funktionen des IoT-Stacks von Anwendungen aus zuzugreifen und beispielsweise Daten in eine Business-Anwendung zu integrieren. Darüber hinaus ist es sinnvoll, wenn der IoT-Stack ein Framework zur Anwendungsentwicklung anbietet, mit dem das Unternehmen basierend auf den Daten und Funktionen der gesamten IoT-Plattform eigene Business-Anwendungen entwickeln kann. Eine End-To-End-Lösung für das IoT erfordert einen vollständigen Hardware/Software-Stack, der aus fünf Schichten besteht. Die ersten vier Schichten bauen dabei aufeinander auf: Unten kommt das Gerät, darüber die Kommunikationsschicht, dann die Cloudservices und zum Schluss die Anwendungen. Quer zu diesen Schichten steht IoT-Security – ein Hinweis darauf, dass Sicherheit kein Zusatz ist, sondern in allen Schichten verwirklicht werden muss.

Security By Design – Nie wieder Bad Services Die Ebene der IT-Sicherheit erstreckt sich im Modell eines IoT-Stacks quer über alle anderen Ebenen. Sie ist extrem wichtig, wird aber in der Praxis häufig noch vernachlässigt. Ein Beispiel: Bekannt geworden ist ein Cyberangriff auf ein Geländewagenmodell, dessen Steuerung und Bremssystem übernommen werden konnten. Ein Sicherheitsexperte konnte den Wagen abbremsen und in den Graben lenken. Der Grund: Das eingebaute Bussystem hat nicht zwischen Zugriffen von innen und von außen unterschieden.58

Angriffsvektoren ermitteln und absichern Unternehmen unterschätzen die Sicherheitsaspekte beim Internet der Dinge, da es deutlich mehr Angriffsszenarien gibt als in der herkömmlichen Business-IT. So gibt es mindestens drei Angriffsvektoren: Die mobilen Apps, Webportale und die Geräte selbst. Für das Internet der Dinge sind Sicherheitskonzepte erforderlich, die über bisher bekannte Absicherungsmaßnahmen hinausgehen.59 So wird in einem 58 Interview Lüth, IOT Analytics 59 Interview Pereira, Q-Loud

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typischen Rechenzentrum der Schutz durch Abschottung erreicht: Es gibt Zugangskontrollen zum Rechenzentrum selbst, Ports sind entweder verlötet oder abgetrennt, der Zugriff auf die Systeme ist stark beschränkt und viele andere Maßnahmen mehr. Doch das Internet der Dinge funktioniert nicht als abgeschottetes System. IoT-Geschäftsszenarien bedeuten eine Öffnung der Systeme, etwa durch API-Zugriffe auf die eigenen Systeme. Auf jeder der vier Schichten eines Stacks sind andere Sicherheitsvorkehrungen notwendig, um solche Probleme zu vermeiden. 1. Auf der Ebene der Geräte geht es um den physischen Schutz. Hier sind vor allem eine Absicherung der Firmware und der Betriebssysteme notwendig sowie der Schutz vor Hackerangriffen und Malware. 2. Auf der Ebene der Kommunikation geht es im Wesentlichen um die Verschlüsselung der Datenübertragung. 3. In der Cloud sind die Verschlüsselung von Datenträgern sowie Maßnahmen zur Erhaltung des Datenschutzes wichtig. 4. Für den Zugriff auf die Anwendungen muss unbedingt ein Identity- & Access-Management (IAM) verwirklicht werden. „IoT-Lösungen sind so komplex aufgebaut, dass das Gesamtsystem auf sehr vielen verschiedenen Ebenen abgesichert werden muss. Aus diesem Grunde muss die Sicherheit bei allen beteiligten Partnern technisch und organisatorisch verankert werden.“60 Zurzeit gibt es keine schlüsselfertigen Lösungen für die Sicherheit im Internet der Dinge. Jeder Anbieter eines Smart Service muss das Thema Security von vornherein berücksichtigen und entsprechend sichere Geräte und Services auswählen. Die Unternehmen sind gut beraten, wenn sie mit Sicherheitsexperten zusammenarbeiten und dabei möglichst realistische Angriffsversuche starten – etwa Versuche, in Systeme einzudringen und Sicherheitslücken aufzudecken. Die Unternehmen sollten bei der Analyse ihres Bedarfs an Security-Maßnahmen das STRIDE-Gefahrenmodell („Spoofing, Tampering, Repudiation, Message Disclosure, Denial of Service, Elevation of Privilege“) einsetzen. Es kennt alle gängigen Bedrohungskategorien, mit denen Risiken und potenzielle Angriffsvektoren ermittelt werden können. Sicherheit muss direkt bei der Gestaltung eines Smarten Service berücksichtigt werden, sodass sich die Architektur des Gesamtsystems an Sicherheitskriterien orientiert.

Identity/Access-Management (IAM) Eine ganz wesentliche Anforderung an die IoT-Security: Sie ist identitätsbasiert, um die Zugriffe auf Geräte, Daten und Anwendungen anhand von Rechte- und Rollenkonzepten zu steuern. Dabei ist wesentlich, dass die Identität (etwa in Form einer eindeutigen Nummer) jedem Device direkt bei der Fertigung aufgeprägt wird. Daraus ergibt sich eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen Geräten und Plattform, die genau diese Art der Identität ebenfalls unterstützen muss.

60 Interview Lüth, IOT Analytics Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE Fallbeispiel

Private Keys ab Werk Q-Loud hat ein zum Patent angemeldetes Security-Protokoll entwickelt, das im Wesentlichen auf der Verschlüsselung nach dem Public/Private-Key-Verfahren beruht. Dabei erhält jedes IoT-Device direkt bei der Fertigung einen individuellen Private Key, der als Zertifikat im Speicherbereich des Gerätes abgelegt wird. Zur Verbesserung der Sicherheit werden für jedes Gerät in regelmäßigen Abständen neue Private Keys berechnet. Dadurch gibt es erstens keinen Key, der für alle Geräte gültig ist – eine in manchen älteren Geräten vorhandene Sicherheitslücke. Zweitens kann ein Cyberangriff immer nur ein Gerät kompromittieren, bereits im benachbarten Gerät funktioniert ein geknackter Schlüssel nicht mehr. Drittens wird der Angreifer nach einiger Zeit durch den automatischen Austausch des Schlüssels wieder aus dem System herausgeworfen, selbst wenn der Angriff als solcher unbemerkt bleiben sollte. Ein solches Sicherheitskonzept erfordert natürlich entsprechend ausgerüstete Devices. Die Geräte müssen so ausgestattet sein, dass regelmäßige Firmware-Updates möglich sind, etwa um Zertifikate auszutauschen oder aktualisierte Sicherheitsfunktionen auf das Gerät zu bringen.

„IoT-Lösungen sind immer ein Gesamtsystem, das neben der Plattform auch die Devices umfasst. Die Unternehmen dürfen dabei nicht den Fehler machen, die Hardware zu schwach zu gestalten, um 20 Cent einzusparen. Dies geht dann auf Kosten der Sicherheit. Der Ausweg ist Security by Design.“61

Was ist Security by Design? Wer bereits während der Innovationsphase die IT-Sicherheit vernachlässigt, läuft in eine Falle: Die Produkte werden relativ schnell bei den Kunden gehackt, wodurch in aller Regel eine schlechte Presse entsteht und beim Kunden, aber auch indirekt beim Hersteller, wirtschaftlicher Schaden entsteht. Die Nachlässigkeit zeigte sich beispielsweise bei kostengünstigen, über Discounter vertriebenen IP-Kameras, die relativ leicht aus dem Internet zu kapern waren. Security muss direkt beim Design eines smarten Produktes oder Services berücksichtigt werden: Welchen Schutzbedarf haben die Daten und welchen Angriffsvektoren sind sie ausgesetzt? Es gibt eine Reihe von typischen Angriffsarten62, die beim Produktdesign berücksichtigt werden müssen: 1. DDOS-Attacken, mit denen die Devices etwa durch zu viele gleichzeitige Datenabrufe überlastet werden. 2. Würmer und Trojaner, die Besonderheiten und versteckte Fehler der benutzten Betriebssysteme ausnutzen, um Schaden anzurichten. 3. Exploits in den Kommunikationsprotokollen, die für einen Angriff darauf ausgenutzt werden. 4. Land& Expand-Attacken, die versuchen, über Schwachstellen im Produkt in die Backendsysteme zu gelangen.

„Viele Hersteller scheuen die Ausgaben für Sicherheit. Doch Security by Design ist nicht teuer. Eher ist es umgekehrt: Nachträglich Sicherheit in ein Produkt einzufügen ist weit aufwendiger. Dies würde unter Umständen bedeuten, dass die Geräte in einer Rück­ holaktion oder durch Kundenbesuche nachgebessert werden müssen. Die direkte Berücksichtigung von IoT-Security beim Design der Produkte und Services ist erheblich kosteneffizienter.” 64

Penetration Testing und Honeypots Ein wichtiger Punkt in der Schutzbedarfsanalyse sind Penetrationstests, die schon bei den ersten Prototypen und nicht erst beim fertigen Produkt ausgeführt werden müssen. Dabei versuchen Sicherheitsexperten mit typischen Hacker-Methoden, Angriffspunkte und Schwachstellen im System zu finden. In zahlreichen Unternehmen werden solche Dinge vernachlässigt. So hat das Global Security Enforcement Network 314 vernetzte Fitness-Geräte untersucht und bei einer Vielzahl davon erhebliche Sicherheitslücken entdeckt.65 Unternehmen müssen bereits während der Produktentwicklung geschlossene Testumgebungen aufbauen, in denen dann die Prototypen sehr intensiv auf Sicherheitslücken hin untersucht werden. Sobald der Service oder das Produkt einen ausreichenden Reifegrad für die Markteinführung erlangt hat, müssen diese Tests erweitert werden auf eine vernetzte Umgebung. Auch hierbei geht es wieder darum, dass möglichst realistische Angriffe simuliert werden, um Sicherheitslücken in einer ganzen Plattform oder einem Ecosystem aufzudecken. Leider sind Hacker in der Gestaltung ihrer Angriffe 63 Interview Schneider, exceet 64 Interview Schneider, exceet 65 Interview Schneider, exceet

61 Interview Pereira, Q-Loud 62 Interview Schneider, exceet

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Die Konzeption von Security by Design beginnt bereits beim Use Case. Aus der Art der Daten und Informationen, die dort übertragen, verarbeitet und gespeichert werden, lässt sich sehr leicht ableiten, welchen Schutzbedarf diese Daten haben. Empfehlenswert ist der Einsatz agiler Methoden, um nicht nur das Produkt oder den Service, sondern auch die Sicherheit anhand der Rückmeldungen der Kunden schrittweise aufzubauen. Dabei ist jedoch wichtig, dass die Sicherheit nicht nur aus der Perspektive der einzelnen Hardware gesehen wird. Unternehmen müssen sich die gesamte Ende-zu-Ende-Kommunikation anschauen, um sicherheitsrelevante Komponenten und Schnittstellen zu identifizieren. Die Sicherheit von Produkten, die im Rahmen eines Ecosystems eingesetzt werden, wird auch durch die anderen Bestandteile dieses Ecosystems beeinflusst. 63 Dabei müssen nicht immer alle Komponenten höchste Sicherheit verwirklichen – es kommt auf das Einsatzszenario an. So ist es denkbar, dass in Hochsicherheitsszenarien die Daten bereits in den Sensoren verschlüsselt werden müssen, damit beispielsweise keine Informationen abgehört werden können. Sicherheitskritische Einsatzgebiete sind beispielsweise Healthcare und Automotive: Durch Fehlfunktionen besteht hier Gefahr für Leib und Leben der Anwender. Bei weniger kritischen Anwendungsgebieten wie einfachen Fitness-Trackern könnte es umgekehrt ausreichen, lediglich die Datenübertragung via Internet zu verschlüsseln.

Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE unglaublich kreativ und entwickeln ihre Methoden immer weiter. Deshalb ist es unerlässlich, dass Unternehmen diese Entwicklungen genau verfolgen und während des ganzen Lebenszyklus eines Service oder Produkts die Sicherheit immer wieder verbessern. Ein wichtiges Mittel hierfür sind sogenannte Honeypots. Dies sind computerbasierte Simulationen von IoT-Devices oder -Plattformen, die im Internet gut sichtbar sind. Sie wirken von außen wie ein fehlkonfiguriertes System, bei dem bestimmte Sicherheitsmaßnahmen nicht aktiv sind. Ihr Zweck: Echte Angriffe aus dem Internet anzuziehen, um eine Analyse der Angriffsmuster zu erlauben. Hierbei ist es durchaus möglich, bislang unbekannte Sicherheitslücken aufzudecken oder Angriffsverfahren, die Eigenheiten der Systeme aus­nutzen.66 Dies bedeutet aber auch, dass die Unternehmen die Firmware sowie sonstige Software regelmäßig anpassen und aktualisieren müssen. Ein Produkt oder Service, der längere Zeit nicht aktualisiert worden ist, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit als unsicher gelten. Für viele Hardwarehersteller erfordert dies völlig neue Kompetenzen und Prozesse, da sie häufig auf den Verkauf von Einzelprodukten ausgerichtet sind. Bei einem smarten Produkt oder Service gehört allerdings auch die (für den Endkunden kostenlose) Sicherheitsaktualisierung zum Produkt und erfordert deshalb einen dauerhaften Kundenkontakt. Auch dies kann ein Grund dafür sein, dass vereinzelte Unternehmen vor allem im Endkundenmarkt die Sicherheit vernachlässigt. Im B2B-Markt ist ein dauerhafter Kontakt für Wartung und Reparatur häufig schon der Standard und muss deshalb nur noch auf Software-Updates erweitert werden. Sicherheitsaspekte beim Internet der Dinge sind komplex, da es deutlich mehr Angriffsszenarien gibt als in der herkömmlichen Business-IT. Für das Internet der Dinge sind deshalb andere Sicherheitskonzepte erforderlich, die Security muss direkt beim Design eines smarten Produktes oder Services berücksichtigt werden.

Design for Change: Für alle Fälle gewappnet Unternehmen haben in der Vergangenheit immer Legacy-Systeme aufgebaut, die auf Standardsoftware basieren und Standardprozesse abbilden. IoT-Infrastrukturen dagegen benötigen deutlich mehr Flexibilität und müssen mit agilen Methoden betrieben werden. Der Grund: Viele Unternehmen steigen gerade erst in das IoT ein und sind im Moment noch dabei, ihr aktuelles Geschäftsmodell zu definieren. Doch mit hoher Wahrscheinlichkeit wird es sich in den nächsten Jahren noch deutlich verändern. Die Infrastruktur muss deshalb in der Lage sein, flexibel mitzuwachsen. 67

66 Interview Schneider, exceet 67 Interview Pereira, Q-Loud

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Eine zukunftsfähige IoT-Plattform oder die Maximalstrafe: Das Unternehmen hängt fest Eine mögliche Aufgabe für eine zukunftsfähige IoT-Plattform ist die Ausweitung eines bestimmten Geschäftsszenarios auf neue Nutzergruppen. So ist es zum Beispiel denkbar, dass die Produktwartung von vernetzten Produkten bislang lediglich ein oder zweimal im Jahr von Wartungstechniker über bestimmte Schnittstellen erledigt wurde. Nun könnte es zu einem neuen Geschäftsmodell gehören, diese Schnittstellen für die Endkunden zu öffnen. Dies ist allerdings ein vollkommen neuer Use Case: Denn jetzt wird permanent, womöglich sogar in Echtzeit, auf die Daten zugegriffen. Die Anforderungen an die Performance der IoT-Plattform sind dadurch vollkommen andere und können häufig mit der auf den ursprünglichen Use Case zugeschnittenen Infrastruktur nicht erfüllt werden. „Das ist die Maximalstrafe. Das Unternehmen hängt fest und kann nicht mehr innovieren. Es hat sich also seine Zukunft regelrecht verbaut.” 68 Es ist ein erheblicher Unterschied, 20.000 Kunden über eine Plattform zu bedienen oder die 100fache Anzahl. Die Probleme entstehen beim Ausbau der vorhandenen Technologie: »»So muss zum Beispiel sichergestellt werden, dass die eingesetzten Server und Datenbanken diese Skalierung unterstützen. »»Ein weiterer kritischer Punkt ist auch die Frage der Kosten, zum Beispiel Hosting- und Lizenz-Kosten. Hierbei müssen Unternehmen darauf achten, dass die Kosten im Verhältnis eins zu eins wachsen, so dass die doppelte Anzahl der Nutzer auch nur die doppelten Kosten hat. »»Es sehr wahrscheinlich, dass in wenigen Jahren neue Technologien und Ecosysteme entwickelt werden, die dann zu den vorhandenen Systemen passen müssen. Ein Beispiel wäre die Mensch-Maschine-Interaktion mit AR-Brillen. Diese Systeme haben eigene Anforderungen an Datenübertragungskapazitäten und müssen in die Plattform eingepasst werden können.

Offene Plattformen als zukunftssichere Lösung Auf Seiten der Anbieter gibt es zusätzlich den Trend, gar nicht erst zu versuchen, bestimmte Standards zu harmonisieren, sondern die Plattformen einfach über Schnittstellen über die Cloudschicht miteinander zu verbinden. Dadurch entstehen sehr rasch große Ecosysteme mit heterogenen Landschaften, die ein Betreiber unterstützen muss. Vereinfacht ausgedrückt: Wer in die Welt der Smart Services eintreten will, benötigt eine stabile und zukunftssichere Lösung, die auf Maximalanforderungen ausgerichtet ist und diese leicht durch Skalierung und Erweiterung erreichen kann. Dies hat allerdings eine weitere Voraussetzung: Die Unternehmen müssen sich von proprietären Systemen verabschieden und ihre IoT-Architekturen direkt auf Offenheit ausrichten.69

68 Interview Pereira, Q-Loud 69 Interview Pereira, Q-Loud Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE „Die Unternehmen müssen für jedes Software-Modul und jede Aufgabe, die sie mit ihrer Architektur erledigen, eine eigene API vorsehen. Dadurch können sie schnell und einfach eine kontrollierte Kommunikation mit Dritten aufbauen und Daten austauschen.” 70 Ein wichtiger Aspekt bei der Gestaltung einer offenen und skalierbaren Lösung ist der Einsatz von Cloud Services an allen Punkten, an denen dies sinnvoll ist. Der Aufbau von Smart-Service-Geschäftsmodellen ist sehr komplex und erfordert einen hohen Aufwand, sodass Unternehmen unbedingt prüfen müssen, welche Aufgaben sie an Cloud-Dienstleister auslagern und welche Aufgaben sie selbst erfüllen können. Zudem müssen Devices, Gateways und die Plattform für die Möglichkeit von OTA-Updates („Over The Air“) ausgerüstet sein. Dies hat bestimmte Anforderungen an Speicherplatz und Verarbeitungskapazität auf den Geräten zur Folge. Direkt beim Design muss berücksichtigt werden, dass OTA auf der einen Seite Fehlerkorrekturen und neue oder veränderte Funktionen ausgeliefert werden, sowie auf der anderen Seite regelmäßige Sicherheitsaktualisierungen, ohne die ein IoT-Service nicht marktgängig sein wird. Dabei muss es möglich sein, die gesamte installierte Basis in vergleichsweise kurzer Zeit mit einer Sicherheitsaktualisierung auszustatten. Unter Umständen geht es hier um etliche 100.000 oder sogar Millionen Geräte. Die Offenheit der IoT-Plattform erlaubt völlig neue Geschäftsmodelle, die in einem „Closed Shop“ nicht möglich sind. Dies kann sogar so weit gehen, dass ein Unternehmen offene Organisationsstrukturen nutzt, um innovative Produkte herzustellen – wie beispielsweise Local Motors.

Fallbeispiel

Local Motors – Open Innovation als Innovationsmotor Local Motors ist ein Fahrzeughersteller, der mit Crowdsourcing und Open Source arbeitet. Auf der frei zugänglichen Entwicklungsplattform des Unternehmens können Interessenten ihre Anforderungen an ein Fahrzeug beschreiben. Anschließend wird die Local-Motors-Community aktiv, etwa 50.000 Ingenieure und Designer aus rund 130 Ländern. Die Mitarbeit beruht dabei auf Freiwilligkeit: Wer sich für das ausgeschriebene Fahrzeug interessiert, kann Lösungen für Karosserie, Antrieb oder Ausstattung vorschlagen. Die Ideen werden diskutiert und die Experten von Local Motors wählen gemeinsam mit den Auftraggebern die besten aus. Die Ideen werden dabei auf der Basis der sogenannten Creative-Commons-Richtlinien zur Verfügung gestellt, nach der auch freie Software produziert wird, die nicht durch Patente oder herkömmliche kommerzielle Lizenzen geschützt ist. Auf diese Weise entstand das erste Local-Motors-Auto innerhalb von 18 Minuten von der Idee bis zur Marktreife. Die Einzelteile kamen dabei von vielen verschiedenen Zulieferern aus der Automobilindustrie. Als eines der nächsten Projekte entstand bei Local Motors das erste Auto aus dem 3-D-Drucker und ein selbstfahrender Bus, der ab 2017 in Berlin eingesetzt wird.

youtu.be/N5czlUeclB4

Durch die Offenlegung von APIs können Unternehmen in die sogenannte API-Ökonomie einsteigen, mit der sehr leicht Mehrwert über den offenen Austausch von Daten erreicht werden kann. Dabei werden beispielsweise die eigenen Daten anderen Cloud-Anwendungen zur Verfügung gestellt. Bei einer API handelt es sich um eine Integrationsschicht, die als zweite Säule der Digitalisierung dient. Der erfolgreiche und werterzeugende Datenfluss über API hat wichtige Voraussetzungen, die jede offene Plattform erfüllen muss71: 1. Eine Benutzerkontenverwaltung erlaubt den Betreibern die Vergabe von Zugriffsrechten und ermöglicht ihnen das Wissen darüber, wer die API einsetzt. 2. Die API muss mit umfassenden Security-Maßnahmen abgesichert werden, sodass unberechtigte Nutzer weder auf Daten zugreifen noch sie „abhören“ können. 3. Ein umfassendes API-Management erlaubt eine genaue Analyse der Datenströme: Wer nutzt wann welche Daten in welchem Volumen? Diese Informationen sind notwendig, um auch im Nachhinein noch Geschäftsmodelle auf der Basis der API-Zugriffe aufzubauen, etwa eine Abrechnung von Entwicklerzugriffen. 4. Die Anwender der API benötigen einen möglichst einfachen Zugang, etwa durch Beispiel-Code in allen gängigen Programmiersprachen. „Einen internen Datenfluss zwischen Systemen aufzubauen, ist in den meisten Unternehmen kein großes Problem. Kritisch wird es, wenn Dritte per API auf die Daten zugreifen sollen. Dies muss in den Systemen direkt bei der Entwicklung berücksichtigt werden, beispielsweise durch ein serviceorientiertes Design, das relativ einfach in eine API übersetzt werden kann.“72

Fallbeispiel

PortBase vernetzt alle Akteure am Hafen Der Rotterdamer Hafen vereint Hunderte von Akteuren, die sich gemeinsam dafür einsetzen, Güter so effizient, schnell und sicher wie möglich von A nach B zu befördern. Wie in einem Präzisionsuhrwerk müssen alle Räder perfekt aufeinander abgestimmt sein. Die gegenseitige Abstimmung und der Informationsaustausch verlaufen in Rotterdam auf effiziente und einfache Weise über das API-basierte Port-Community-System (PCS) von Portbase.

youtu.be/7EVOLNS9g7g Durch diese Offenheit können einzelne smarte Services Teil eines Ecosystems werden. Voraussetzung dafür ist die Kommunikationsfähigkeit zwischen allen, über Standards und APIs. Nur dadurch können Unternehmen auf Informationen von Dritten zugreifen und diese in ihren eigenen Systemen verarbeiten. Diese Form der Standardisierung ist leider sehr selten, im Moment versucht noch jeder Hersteller, seine eigenen proprietären 71 Interview Pereira, Q-Loud 72 Interview Pereira, Q-Loud

70 Interview Pereira, Q-Loud

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Einstieg in die API-Ökonomie

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE Standards aufzubauen. Innerhalb der eigenen Produktwelt funktioniert die Kommunikation problemlos, doch weder auf Daten noch auf Steuerungsfunktionen kann von außen zugegriffen werden. Dahinter verbirgt sich die zurzeit gängige Strategie, den Nutzen für das eigene Unternehmen zu maximieren und Lockin-Effekte zu realisieren. 73

Auf dem Weg zu mehr Plattform-Offenheit Diese Strategie weicht jedoch langsam auf. Auf der einen Seite gibt es Großabnehmer, die von den Herstellern einfach bestimmte Funktionen verlangen, und auf der anderen Seite gibt es den Versuch, eine Plattform zu schaffen, die möglichst viele Anbieter vereint. Diese Entwicklung ist zurzeit beispielsweise im Heizungsbau zu sehen, bei dem einige Anbieter von Heizungen Industriepartnerschaften mit Thermostatherstellern oder ähnlichen Unternehmen aufnehmen und so sukzessive ein Ecosystem aufbauen. Auf der anderen Seite gibt es neue Ecosystem-Anbieter wie etwa Apple mit seinem Homekit, die den Herstellern ganz klare Vorgaben machen, um an diesem Ecosystem teilzunehmen. Die große Gefahr dabei ist: Für die Kunden ist der eigentliche Hersteller letztendlich unsichtbar, da er hinter der Ecosystem-Marke verschwindet. „Jeder Hersteller muss individuell überlegen, ob dies für ihn ein Vorteil ist. Auf der einen Seite ist es von Vorteil, Teil eines sehr großen Ecosystems mit der entsprechenden Kundenbasis zu sein. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, dass die ‚Brand Identity‘ verschwindet. Unternehmen sollten in dieser Situation in der Lage sein, ihre Markenidentität trotzdem zu stärken und auszubauen.” 74 Andere große Anbieter wie etwa Microsoft mit „Microsoft Flow“ haben einen etwas anderen Ansatz, bei dem die auf der Plattform vertretenen Einzelmarken nicht in den Hintergrund treten. Es handelt sich dabei um einen fairen Einstieg in die Any2Any-Kommunikation, bei der sämtliche Anbieter auch weiterhin wahrgenommen werden. Der nächste Schritt ist die direkte Kommunikation zwischen Geräten, etwa wenn sich die Assistenzsysteme von zwei Autos direkt verbinden und beispielsweise einen Sicherheitsabstand und eine Geschwindigkeit aushandeln, damit sie als Kolonne fahren können. Aus technischer Sicht ist dies bereits heute möglich, doch es gibt eine Vielzahl an Gründen, warum solche Anwendungen noch nicht im Markt sind. Ein wichtiger Punkt sind offene rechtliche Fragenüber die Verantwortlichkeiten bei Unfällen oder anderen Problemen.

IoT-Plattformen: Ein Markt in Bewegung Prinzipiell ist die Technologie leistungsfähig genug, um eine Anforderung der Unternehmen zu erfüllen und beliebig zu skalieren. Darüber hinaus ist die Technologie auch in dem Sinne kostengünstig, dass die Kosten zu dem jeweiligen Businessplan und Geschäftsmodell passen. Allerdings ist der Markt noch sehr stark in Bewegung. Es hat sich bis heute noch kein allgemein akzeptierter Standard ausgebildet und es gibt keine

„Die Situation ist ganz ähnlich wie in der Frühzeit des PCs: Es gab damals einfach keine ideale Kaufsituation, da die Geräte bereits nach kurzer Zeit leistungsfähiger oder günstiger waren. Diese dynamische Marktsituation wird sich allerdings nicht so bald ändern, auf den Fall nicht in den nächsten 4-5 Jahren. Ich empfehle hier einfach die Strategie: ist ganz ähnlich wie in der statt warten. Die Unternehmen müssen loslegen und Erfahrungen sammeln.” 76 Die enorme Marktdynamik führt bei den Anwendern zu Irritationen, da beispielsweise die Dokumentation nicht immer aktuell ist oder plötzlich bestimmte Funktionen nicht mehr verfügbar sind oder sich anders verhalten, als das bisher der Fall war. Bei einzelnen Anbietern ist es sogar so, dass für die APIs keine Service Level Agreements getroffen werden – Stichwort „Permanent Beta“, wie das beispielsweise bei Facebook der Fall ist. Zurzeit steigen alle bekannten größeren Softwareanbieter mit IoT-Plattformen in den Markt ein. Es ist zu erwarten, dass in 18-24 Monaten alle Anbieter ein Portfolio von sehr stabilen und sinnvollen Angeboten haben werden. Zurzeit ist die Situation aber noch sehr unübersichtlich, es gibt keinen Anbieter, der einen definierten Service zu einem definierten Preis bereitstellen kann. Wer in die Welt der Smart Services eintreten will, benötigt eine stabile und zukunftssichere Lösung, die auf Maximalanforderungen ausgerichtet ist und diese leicht durch Skalierung und Erweiterung erreichen kann. Die Unternehmen müssen sich von proprietären Systemen verabschieden und ihre IoT-Architekturen direkt auf Offenheit („API-Ökonomie“) ausrichten. Dadurch werden smarte Services zum Teil eines Ecosystems.

Die vier Säulen des Design for Change Eine moderne IoT-Infrastruktur nach dem Prinzip „Design for Change“ basiert auf vier wichtigen Elementen77: 1. Zukunftsorientierte Mensch-Maschine-Interaktion 2. Ganzheitliche Integrationsarchitekturen 3. Effektive Analytics & Business Insights 4. Reaktionsfähige hybride Infrastrukturen

Zukunftsorientierte Mensch-Maschine-Interaktion Eine Architektur für Enterprise-Applikationen besteht traditionell aus den drei Schichten Backend, Service und Frontend. Im Internet der Dinge genügt 75 Interview Pereira, Q-Loud 76 Interview Pereira, Q-Loud 77 Whitepaper „Die vier Säulen der Digitalisierung“, Optiz Consulting

73 Interview Pereira, Q-Loud 74 Interview Pereira, Q-Loud

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Marktführer. 75 Diese Situation ist eine Herausforderung für die Unternehmen. Es gibt im Moment beispielsweise eine Vielzahl an unterschiedlichen Mobilfunkstandards für das Internet der Dinge, die sich gerade etablieren. Das verunsichert die Marktteilnehmer natürlich, da eine Entscheidung für oder gegen einen bestimmten Standard zu früh sein kann.

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE dies nicht. Die Clients benötigen Daten aus verschiedenen Aggregationsstufen, verbinden Daten aus unterschiedlichen internen und externen Services zu neuen Informationsobjekten und nutzen öffentliche APIs oder gerätespezifische Dienste, die in typischen Business-Services nicht vorgesehen sind. Um nicht permanent die Business-Services oder die Frontends anpassen zu müssen, ist eine zusätzliche architektonische Schicht notwendig – die Delivery-Schicht. Mit ihrer Hilfe können Entwickler Oberflächen und Funktionalitäten optimal auf das gewünschte Device abstimmen, ohne die da­runterliegenden Business-Services zu verändern und damit möglicherweise zu destabilisieren. Hinzu kommt, dass die durch sehr kurze Innovationszyklen gekennzeichneten IoT-Technologien nun unabhängig von den Business-Services angepasst und weiterentwickelt werden können. Die Delivery-Schicht wird auch als „Backend for Frontend“ bezeichnet, weil nun das eigentliche Backend nur sehr selten geändert werden muss. Zwar bringt sie zusätzliche Komplexität, hat aber den Vorteil, die Weiterentwicklung der eigentlichen IoT-Dienste gleichzeitig von den Frontends und den Enterprise-Backend zu entkoppeln. Das Ergebnis ist eine höhere Nutzerakzeptanz und die Vermeidung von Medienbrüchen. Durch die Optimierung der Prozesse erhalten die Anwender kürzere Innovationszyklen und eine Komplexitätsreduktion während der Entwicklung. Die neue Delivery-Schicht bedeutet darüber hinaus einen Investitionsschutz, da die empfindlichen Backend-Module nicht angetastet werden müssen.

Expertentipp

Multi-Client-Fähigkeiten bringen IoT-Projekte zum Erfolg Eine Schwierigkeit bei der Gestaltung von Smart Services ergibt sich aus der Notwendigkeit, bereits auf der Gateway-Ebene oder auf dem Feldgerät unterschiedliche Dienste gleichzeitig zu nutzen. Die Maschinenhersteller erweitern ihr Serviceportfolio mit Angeboten wie Fernwartung, OTA-Updates („Over the Air“), Business Analytics und Predictive Maintenance. Außerdem haben die Nutzer der Maschinen eigene Anforderungen, beispielsweise den fortlaufenden Datenaustausch mit MES- oder ERP-Systemen. Die Maschinen müssen also nicht nur in die IoT-Plattform des Maschinenherstellers, sondern auch in die Infrastruktur des jeweiligen Kunden eingebunden werden. Die dafür gewählten Lösungen können zum Teil in der Cloud, zum Teil im eigenen Rechenzentrum implementiert werden. Sie basieren in der Regel auf den Lösungen führender Unternehmen, beispielsweise Microsoft, Oracle, IBM, Red Hat, SAP, Amazon und andere. Die Integration dieser Systeme ist allerdings eine Herausforderung, die sich zudem noch bei jedem Kunden unterscheiden kann. IoT-Gateways und Endgeräte müssen also eine “Multi-Client”-Fähigkeit besitzen, die entscheidend zum Erfolg der Projekte beiträgt. Sie lässt sich am besten auf einer offenen Plattform verwirklichen, etwa mit Middleware-Lösungen für IoT-Gateways wie Eurotechs ESF (Everyware Software Framework) und dem Eclipse KURA-Projekt. Sie lösen die technischen Probleme, die sich aus der parallelen, zeitgleichen Integration und Nutzung multipler IoT-Client- oder Agent-Implementationen ergeben.

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Ganzheitliche Integrationsarchitekturen Ein zentraler Aspekt bei digitalen Geschäftsmodellen ist die Integration unterschiedlicher Systeme. Besonders beim Internet der Dinge muss eine immense Anzahl von einzelnen Objekten integriert werden, die eine bislang unübliche Masse an Daten (Sensorik) produzieren. Die Integration betrifft dabei den gesamten Datenstrom vom IoT-Gerät bis zu den nachgelagerten Anwendungen und wieder zurück. Integrationsarchitekturen haben dadurch die Aufgabe, den Datenstrom „End-To-End“ zu unterstützen und eine ganzheitliche Sicht zu ermöglichen. »»Erstens ist es sinnvoll, direkt auf der Ebene des IoT-Devices oder des Gateways mit einer Vorstufe von Filterung, Aggregation und Analyse zu beginnen (Edge Computing). Dadurch lässt sich einerseits die in einen Cloudservice zu übertragende Datenmenge verringern und andererseits können bereits erste Analyse-oder Steuerungsaufgaben direkt vor Ort erledigt werden – etwa Notabschaltungen oder aber die selbstständige Steuerung wie im Falle von Assistenzsystemen im Auto. »»Zweitens bieten zahlreiche IoT-Services oder -Plattformen eine Vorintegration der Daten an, noch bevor sie das eigentlich Unternehmensnetzwerk erreichen. Die Daten werden an einen Cloudservice gesendet und dort analysiert. Die eigenen Systeme im Unternehmensnetzwerk erhalten in diesem Fall lediglich Ereignisse signalisiert, nicht aber die Rohdaten. Hierdurch sinkt der Verarbeitungsaufwand in den eigenen Backend-Systemen der Unternehmen. »»Drittens ist zusätzlich das Streaming von Daten in die Backend-Systeme notwendig, wenn zusätzliche Aufgaben im Bereich Advanced Analytics erfolgen müssen. Hierzu werden aber entweder nur aggregierte und aufbereitete oder ausgewählte Rohdaten übertragen. Der ganzheitliche Blick auf die Integration der Daten bringt neben einer Senkung der Prozesskosten mehr Automatisierung und höhere Agilität. Dadurch erschließen sich Unternehmen neue Umsatzpotenziale und ermöglichen eine klare Differenzierung ihrer Services und Produkte im Markt.

Effektive Analytics & Business Insights Das Internet der Dinge und Big Data sind direkt miteinander verknüpft: Durch Sensorik entsteht eine Vielzahl an unterschiedlichen Daten, deren Menge das von den üblichen Business-Anwendungen bekannte Maß deutlich überschreitet. In Abgrenzung zur herkömmlichen Business Intelligence lässt sich Big Data durch vier typische Dimensionen charakterisieren: Datenmenge, Datenvielfalt, Geschwindigkeit und analytische Fragestellungen. Die Sicht auf die Datenbewirtschaftung hat sich durch das Internet der Dinge stark verändert. IoT-Daten haben einen anderen Charakter: Sie sind kurzlebiger und veralten schneller. Ihre Analyse sollte im Regelfall in Echtzeit geschehen und die Ergebnisse werden häufig automatisiert zur Steuerung verwendet. Dabei ist das Datenvolumen einerseits sehr hoch, andererseits aber nicht vorhersehbar. Außerdem ist die Datenqualität sehr fraglich, sodass fehlertolerante Analyseverfahren eingesetzt werden sollten. Ganz generell besitzen IoT-Daten eine enorme Komplexität, basieren auf einer extrem hohen Anzahl an Datenquellen und benötigen eine Historisierung durch Zeitstempel sowie Filterung und Aggregation aufgrund der hohen Zahl an Quellen. Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE Diese enormen Herausforderungen gehen weit über die bisher verbreiteten Data-Warehouse-Ansätze hinaus. Notwendig sind umfassende analytische Architekturen, die sowohl herkömmliche Business Intelligence als auch Big Data bewältigen können. Zwar ist die technische Implementierung verschieden, doch sie haben die Aufgabe, aus Daten Informationen zu gewinnen und durch Analysen eine bessere Steuerung des Geschäfts zu erreichen. Big Data und Advanced Analytics erlauben ein tieferes Verständnis des Kunden und seines Nutzungsverhaltens. Dadurch können Unternehmen Wettbewerbsvorteile erreichen und Umsatzpotenziale erschließen. Eine weitere Folge der besseren Business Insights sind eine höhere Entscheidungsqualität und eine größere Operational Excellence.

Reaktionsfähige hybride Infrastrukturen Die Enterprise-IT der letzten Jahre ist gekennzeichnet durch zwei wichtige Trends: »»Zum einen verschwinden die traditionellen monolithischen Infrastrukturen, die eine All-in-One-Lösung innerhalb des eigenen Rechenzentrums bieten. Hybride Ansätze sind auf dem Vormarsch, da die Unternehmens-IT nun eine Vielzahl an Cloud-Lösungen mit unterschiedlichen Liefer- und Servicemodellen in die vorhandenen On-Premise-Infrastrukturen integrieren muss („Multicloud“). »»Zum anderen entkoppeln sich Hardware und Software mehr und mehr. Alles wird jetzt Software. Vor allem Infrastruktur- und Plattform Anbieter (IaaS, PaaS) erlauben die Konfiguration und Bereitstellung von Servern durch DevOps-Automatisierungstools wie Puppet oder Chef. Eine „Software Defined Infrastructure“ ist eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz des Prinzips „Design for Change“. Sie erlaubt die schnelle Skalierung der bestehenden Umgebung ebenso wie ein unkompliziertes Provisionieren von Testumgebungen. Das Internet der Dinge verstärkt diesen Trend, da die Integrationsplattform für die IoT-Daten sich normalerweise in der Cloud befinden sollte. Sie ist dadurch näher am Ursprung der Daten und erlaubt dadurch eine Near-Realtime-Integration, die verschiedene IoT-Szenarien besser verwirklichen kann. Durch hybride Infrastrukturen können Unternehmen ihre Reaktionsfähigkeit erhöhen, die Betriebskosten optimieren und die Business Kontinuität besser absichern. Die Agilität und Flexibilität einer „software-definierten“ IT-Infrastruktur unterstützt neuartige Geschäftsmodelle bei einer gleichzeitigen Komplexitätsreduktion der IT-Landschaft. Design for Change basiert auf einer modernen Mensch-Maschine-Interaktion, der ganzheitlichen Sicht auf die Integration der Daten, einer umfassenden IT-Architektur für Business Analytics und auf reaktionsfähigen, hybriden Infrastrukturen, die multicloud-fähig sind.

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Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Die Grundentscheidungen Während der Entwicklungsphase eines Smart Service müssen einige technologische Grundentscheidungen getroffen werden, etwa über die Orte, an denen Daten verarbeitet werden, oder über die Art der genutzten Computing-Plattform. Der Abschnitt erläutert die Möglichkeiten und gibt Hinweise für eine fundierte Entscheidung.

Alte Bestände mit Retrofitting retten Smart Devices sind Geräte, die direkt ab Werk für das Internet der Dinge ausgerüstet sind. Darunter fallen sowohl Geräte aus dem Bereich Consumer Electronics, also etwa Smart-Home-Lösungen, als auch Industriemaschinen und -anlagen. Ältere Systeme in der Industrieproduktion besitzen allerdings häufig keine Sensoren und müssen erst durch Retrofitting an das IoT angepasst werden. Häufig werden Industrieanlagen in regelmäßigen Abständen überholt, etwa indem Elektromotoren oder Pumpen sowie Anlagensteuerung ausgetauscht werden. Dies ist für Unternehmen eine gute Gelegenheit, bestimmte Maschinen im Internet der Dinge verfügbar zu machen. Grundsätzlich gibt es dann die Möglichkeit, ein Smart Device an das Gerät anzubauen, Sensoren anzuschließen und bestimmte Daten zu ermitteln.

Fallbeispiel

Werkzeugmaschinen nachrüsten Das dänische Startup Blackbird bietet ein Nachrüstsystem für beliebige Industrie­ anlagen an, das den Namen FactBird trägt. Dabei handelt es sich um eine kleine Box, die an einer beliebigen Position einer Werkzeugmaschine angebracht werden kann. Zusätzlich werden an kritischen Punkten der Anlage Sensoren installiert, etwa für Temperatur, Bewegung oder Druck. Diese Sensoren werden per Kabel mit FactBird verbunden und das Gerät überträgt Sensordaten verschlüsselt via WLAN und Internet an eine Cloud-Plattform des Herstellers. Grundsätzlich ist es damit möglich, auch sehr alte Maschinen und Anlagen nachzurüsten, da FactBird vollkommen unabhängig arbeitet. Dadurch kann auf dem Wege des Retrofitting ein modernes Condition Monitoring für Industriebetriebe aller Größen aufgebaut werden.

Doch ein Großteil der Industrieanlagen wurde in den 1990er Jahren entwickelt und besitzt eine eigene Steuerelektronik mit proprietären Protokollen. Für solche Anlagen ist Retrofitting nicht so einfach: Es gibt keine Standards für den Anschluss an das Internet und durch die starke Heterogenität der Maschinen ist ein unkomplizierter Anschluss nicht möglich. Im Grunde muss für jede Maschinensteuerung eine eigene Anwendung entwickelt werden, die die Daten umwandelt und in die Cloud überträgt. Die Anbieter entwickeln zurzeit eher neue Produkte, da ein Retrofit häufig schwierig ist. Im Moment ist das Internet der Dinge in Deutschland noch in einer Phase, in der erste Pilotprojekte starten, bei denen Neuentwicklungen ausprobiert werden. Einzelne Anbieter von Industriesteuerungen sind bereits in den Retrofit-Markt eingestiegen. So bietet beispielsweise Weidmüller einen kommunikationsfähigen Signalwandler an, der die entsprechenden Schaltungen aus älteren Leitsystemen ersetzt. Er digitalisiert die anlogen Signale und Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE überträgt sie via Ethernet-Schnittstelle in ein internes Unternehmensnetzwerk. Diese Lösung arbeitet getrennt von den bereits vorhandenen Signalwegen und stört den Betrieb der vorhandenen Steuerungssysteme nicht. Die ausgeleiteten Daten erlauben die Bearbeitung mit jeder gängigen Analyse-Software. Andere Lösungen arbeiten mit kleinen Boxen, die zum Teil sogar eigene Rechenkapazitäten haben. So bietet der Industrie-Ausrüster Harting ein Erweiterungssystem an, das sogar mit unterschiedlichen Steckverbindungen ausgerüstet werden kann.

Fallbeispiel

Ein Kleincomputer am Altsystem Die MICA (Modular Industry Computing Architecture) von Harting ist eine IoT-Einheit, die an sehr unterschiedliche Steuersysteme und vorhandene Sensoren angeschlossen werden kann. Darüber hinaus ist es möglich, zusätzliche Sensoren anzuschließen, um ergänzende Daten wie beispielsweise Temperatur, Druck oder Feuchte zu ermitteln. Die offene Architektur des Systems arbeitet als Gateway für die analogen Signale älterer Industriesteuerungen, die in digitale Datenströme umgewandelt werden, wie sie von modernen Anwendungen erwartet wird. Dabei wird beispielsweise der Industrie-4.0-Standard OPC UA unterstützt, der auch auf neuen Anlagen verwirklicht wird. Der Kleinstcomputer setzt als Betriebssystem darüber hinaus Linux ein. Das erlaubt Entwicklern, Anwendungen mit den gängigen Programmiersprachen Java, Python oder C/C++ zu entwickeln.

Die „Nachrüst-Bausätze“ von Weidmüller oder Harting sind in erster Linie für größere Unternehmen gedacht, die mit ihrer eigenen IT in der Lage sind, die Daten zu verarbeiten. Doch auch kleinere Unternehmen können ihre Anlagen IoT-kompatibel machen. So gibt es eine Reihe von Startups, die kleine IoT-Einheiten anbieten, die mit einer Hersteller-spezifischen Cloud-Lösung verbunden sind, die die Aufbereitung und Auswertung der Daten übernimmt. Retrofitting ist die Anpassung von vorhandenen Maschinen und Anlagen an das Internet der Dinge. Dabei werden sie mit kostengünstigen Sensoren und IoT-Geräten ausgestattet, die Daten an Edge-Gateways liefern.

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Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Verarbeitung: Embedded, Edge oder Cloud? Für datenbasierte Geschäftsmodelle müssen die Daten zunächst weiterverarbeitet werden. Dabei gibt es recht häufig auch die Anforderungen der Echtzeit-Verarbeitung. Dies bringt die Frage nach dem Ort der Datenverarbeitung in den Blick. Hierbei gibt es insgesamt drei Möglichkeiten: Embedded Computing: Die Daten werden direkt im oder am Gerät verarbeitet. Dies bedeutet allerdings, dass die Geräte recht komplex sind und mit eigenen, integrierten Computersystem ausgestattet werden müssen. Die Kosten eines einzelnen Produktes steigen dadurch natürlich, da zusätzlich zu den eigentlichen Produktkosten noch die Kosten für Sensoren und die Datenverarbeitungssysteme mit einberechnet werden müssen. Edge Computing: Die Daten werden am „Rand“ des lokalen Netzes in unmittelbarer Nachbarschaft der eigentlichen IoT-Geräte verarbeitetet. Üblicherweise wird dafür das Gateway zum Internet eingesetzt, dass in diesem Fall mit ausreichend Computing-Fähigkeiten aufgerüstet ist. Es sammelt die Daten der einzelnen Devices ein und bereitet sie so auf, dass sie über das Internet zur Weiterbearbeitung, beispielsweise in eine Cloud-Anwendung, übertragen werden können. Cloud Computing: Die Daten werden hier zentral in einer Public oder Private Cloud verarbeitet und auch dort gespeichert und langfristig archiviert. Die Vorteile von Cloud Services sind die enorme Vielfalt an Anwendungen und die hohen Rechen-und Speicherkapazitäten solcher Lösungen.

Fallbeispiel

Cloud an Dampfmaschine: Bitte melden! Die Dampfautomaten des Krefelder Mittelständlers CERTUSS sind wahre Allrounder: Sie sterilisieren medizinisches Gerät und erhitzen chemische Erzeugnisse, entfetten Autoscheiben und verformen Kunststoffverkleidungen oder kochen Lebensmittel und reinigen Bügelwäsche. Wie alle Maschinen benötigen sie Wartungen und Reparaturen – und diesen Service hat CERTUSS jetzt mit Hilfe der Deutschen Telekom optimiert. Intelligente Vernetzung mit der Cloud: Die Automaten sind mit diversen Sensoren bestückt, die bis zu 60 Messwerte erfassen. Je nach Anforderung sammelt alle paar Sekunden ein im Gerät verbautes Mobilfunk-Gateway mit SIM-Karte Daten wie Druck, Temperatur, Gasverbrauch oder Wasserzufluss und sendet sie verschlüsselt über eine sichere Mobilfunkverbindung – unabhängig vom IT-Netz des Kunden – an die „Cloud der Dinge“. Diese IoT-Plattform aus einem deutschen Rechenzentrum der Telekom wertet die Daten aus und stellt die Informationen grafisch in einem Webportal dar. Überschreiten bestimmte Parameter vorher festgelegte Schwellenwerte, löst die IoT-Lösung einen Alarm aus und informiert definierte Personen. Fernwartung und Predictive Maintenance: Diese Vernetzung mit der Cloud hat für CERTUSS und seine Kunden mehrere Vorteile. Auch wenn der Dampfautomat an einer schlecht einsehbaren Stelle steht, etwa in einem Keller, geht nun automatisch eine Meldung an den Hersteller heraus, sobald das Gerät ausfällt. CERTUSS kann umgehend prüfen, ob eine Fernwartung über die Cloudplattform möglich ist oder sie einen Service-Techniker zum Kunden schicken muss. Dank Langzeitanalyse erkennt der Hersteller zudem mögliche Probleme vorzeitig und kann sie beheben, bevor eine Störung eintritt oder der Dampfautomat ausfällt. Die Datenanalyse nutzt CERTUSS außerdem, um die Geräte optimal an individuelle Bedürfnisse anzupassen. Der Kunde wiederum steigert die Produktivität dank geringerer Ausfallzeiten der Dampfautomaten und reduziert Kosten durch präventive Wartung und bedarfsgerechte Einstellungen.

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE

Optimale Rechenleistung zu den besten Kosten Die Verarbeitungskapazität beim Embedded Computing ist begrenzt, da die IoT-Geräte nicht zu komplex und teuer werden sollten. Für sehr einfache Anwendungen, bei denen lediglich einzelne Devices eingesetzt werden, ist diese Vorgehensweise sicher empfehlenswert. Je größer die Zahl der ausgebrachten IoT-Geräte jedoch ist und je aufwendiger die Verarbeitung der Daten, desto weniger sinnvoll ist Embedded Computing. Cloudservices sind zwar zentral für den Aufbau einer Ende-zu-Ende-Lösung, doch trotzdem kann nicht alles in der Cloud abgewickelt werden. So sind beispielsweise autonome Fahrzeuge darauf angewiesen, dass die eigentliche Steuerintelligenz direkt in den Wagen eingebaut ist. Außerdem müssen für die Echtzeitbearbeitung von Daten bestimmte Auswertungen und Entscheidungen unmittelbar umgesetzt werden – am besten direkt vor Ort, um Verzögerungen durch die Übertragung via Internet zu vermeiden. Hier wird üblicherweise Edge Computing genutzt.78 Ein guter Kompromiss zwischen beiden ist das Edge Computing, bei dem einerseits die eigentlichen IoT-Geräte recht einfach gehalten sein können und lediglich Sensorik anbieten und andererseits Cloud-Anwendungen ihre Stärken in der nicht zeitkritischen Weiterbearbeitung von Daten, etwa mit Lösungen für Advanced Analytics, ausspielen können. Kosten- und Leistungsoptimierung sind deshalb die beiden wichtigsten Treiber des Edge-Computing. Wenn Leistung an den Geräten weniger wichtig ist, können IoT-Systemanbieter kostengünstige, aber weniger leistungsfähige Hardware einsetzen. Die meisten IoT-Geräte benötigen nicht die Leistungsfähigkeit eines vollwertigen Industriecomputers.79 Ein wichtiges Kriterium für die Auswahl der Hardware: Die Rechenleistung muss so dimensioniert sein, dass Datenverschlüsselung zusätzlich zur normalen Datenverarbeitung möglich ist. Verschlüsselungsroutinen erfordern relativ viel Rechenleistung, sodass unterdimensionierte Geräte sehr leicht einen enormen Leistungsabfall haben, wenn gerade Daten verschlüsselt werden. 80 Zudem muss die Stromversorgung beachtet werden. In vielen Fällen geschieht dies mit einer Batterie. Ein typisches Beispiel sind Rauchmelder: Dort sind Laufzeiten der Batterie von mindestens acht Jahren gefordert. Zusammen mit einem Sicherheitspuffer, unter anderem für die im Handel oft übliche, längere Lagerung, fordern hier viele Abnehmer eine garantierte Laufzeit von einem Jahrzehnt. Dies kann ausschließlich über die 868-MHz-Funktechnologie erreicht werden und zusätzlich durch eine Optimierung der Sendevorgänge. Die Daten dürfen nicht regelmäßig verschickt werden, sondern nur dann, wenn es wirklich notwendig ist. Ganz generell sind die meisten Devices auf eine möglichst effiziente Systemleistung bei gleichzeitig niedriger Leistungsaufnahme optimiert. Am anderen Ende des Spektrums finden sich Geräte, bei denen ein vollwertiges Computing (etwa mit SAP) innerhalb des Edge-Bereichs verwirklicht werden muss. Ein Beispiel dafür sind Maschinensteuerungen, die auch ohne Verbindung mit der Cloud umfangreiche Rechenoperationen ohne zusätzliche Kommunikationsvorgänge autark bearbeiten können. Diese Anforderung lässt sich nur mit sehr rechenstarken Geräten verwirklichen, die vollwertige 78 Interview Lüth, IO Analytics 79 Interview Pereira, Q-Loud 80 Interview Pereira, Q-Loud

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Industriecomputer mit einem ebenso vollwertigen Betriebssystem sind, etwa ein Enterprise-Linux oder Windows 10. Dadurch erhalten die Unternehmen höchstmögliche Leistung, müssen aber entsprechend hohe Kosten tragen. 81 Es gibt drei Orte der Datenverarbeitung: direkt am Gerät („Embedded“), am Rand des lokalen Netzes („Edge“) und zentral in der Cloud. In der Praxis wird es ein Mischsystem geben, bei dem die Daten entsprechend ihrer Bedeutung verarbeitet werden.

Die Make-Or-Buy-Entscheidung Im Moment gibt es auf dem Markt keinen Anbieter, der komplett alle Elemente einer IoT-Lösung liefern kann.82 Deshalb müssen sich Unternehmen zunächst einmal für ein Ecosystem entscheiden, beispielsweise Microsoft, Amazon oder IBM. Diese Entscheidung ist natürlich in gewisser Hinsicht bereits vorbestimmt, wenn die Business-Anwendungen einem dieser Ecosysteme entstammen. Bei der Frage „Make or Buy?“ muss genau zwischen den unterschiedlichen Möglichkeiten abgewogen werden. Der Vorteil einer vollständig selbst entwickelten IoT-Anwendungslösung: Das Unternehmen kann alle Details der Anwendung selbst bestimmen. Doch der Nachteil ist der hohe Aufwand dafür.

„Die wenigsten Unternehmen sind in der Lage, alles selber zu machen. IoT-Anwendungen sind komplex und benötigen Fachwissen, das in den meisten Unternehmen nicht vorhanden ist. Es spricht sehr viel für eine Buy-­ Entscheidungen, jedenfalls für die meisten Elemente eines IoT-Projekts.” 83 Großunternehmen können eine Mischvariante wählen und die Services eines Systemintegrators nutzen, der vor Ort die Lösung anpasst. Der Markt für vorgefertigte IoT-Systemlösungen entwickelt sich kontinuierlich weiter. Zahlreiche Standardisierungsinitiativen bieten Open-Source-Konnektoren zu bekannten Anwendungen und Datenbanken. Zudem haben viele IoT-Anbieter eine Cloud-Plattform, an die Geräte mit zertifizierter Hardware angeschlossen werden können. Dort sind zahlreiche Tools und Anwendungen bereits vorhanden, beispielsweise Blueprints für Predictive Maintenance oder Monitoring. Viele Unternehmen schätzen diese „Lösungen von der Stange“, da sie dort spezifische Datenmodelle sowie passende Konnektoren, Applikationen und Dashboards finden. Ein weiterer Grund für eine Entscheidung in Richtung „Buy“: Die unterschiedlichen Aspekte des Device-Managements sollten in aller Regel nicht vom Gerätebetreiber, sondern von einem speziellen Dienstleister erledigt werden. Hier finden sich die personellen und technischen Ressourcen bereits, sie müssen nicht kostenträchtig aufgebaut werden.

81 Interview Pereira, Q-Loud 82 Interview Lüth, IOT Analytics 83 Interview Lüth, IOT Analytics Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE „Eine sinnvolle Regel lautet: Alle Dinge, die nicht zum Kerngeschäft gehören und nur funktionieren müssen, sollten extern erledigt werden.” 84 Externe Dienstleister mit spezialisierten IoT-Plattformen sind zudem leichter in der Lage, auch komplexe Cloud-To-Cloud-Situationen zu bewältigen. Dabei werden die Geräte in der Cloud des IoT-Systemanbieters verwaltet, die Daten aber beispielsweise bei einem Drittanbieter in einer Public-Cloud-Lösung verarbeitet. Der eigentliche Nutzer der IoT-Lösung sieht nur Ergebnisse und aggregierte Daten, hat aber mit der eigentlichen Verwaltung der Geräte und der Datenbearbeitung nur indirekt zu tun. Eine selbstentwickelte IoT-Lösung erlaubt den genauen Zuschnitt auf die eigenen Bedürfnisse, erfordert aber enorme finanzielle und personelle Ressourcen. Doch nicht jeder Aspekt muss selbst erledigt werden, nur bei Kernaufgaben kann auf ein Outsourcing verzichtet werden.

Die eigenen Daten in Werte verwandeln Daten nur zu sammeln und oberflächlich zu verarbeiten, reicht nicht. Eine echte Wertschöpfung entsteht erst, wenn der Smart Service mit einem genauen Konzept verbunden ist, auf welchem Weg Daten in Werte für den Kunden und das Unternehmen verwandelt werden. Während des Betriebs von Produkten und Services entsteht eine Vielzahl an Daten, die gespeichert und ausgewertet werden müssen. Hierbei ist zu beachten, dass Gerätedaten im Normalfall nicht unter den Datenschutz fallen, persönliche Daten von Nutzern allerdings schon. Obwohl der Betreiber eines IoT-Services in rechtlicher Hinsicht der Besitzer der Daten ist, ist die Verarbeitung aber ähnlich wie bei Personendaten aus typischen kaufmännischen Anwendungen, wie etwa Stammdaten aus Warenwirtschaftssystemen, so zu organisieren, dass die Datenschutzregeln (Datenschutzgrundverordnung der EU) eingehalten werden. Zur Aufwertung von Services können zudem Fremddaten eingekauft werden, beispielsweise Wetterdaten oder anonymisierte Massendaten von Kaufvorgängen mit geographischem Bezug. Dadurch ist es möglich, die Services noch deutlich zu verfeinern, indem die Fremddaten zusätzlich zu den eigenen Daten bei Advanced Analytics eingesetzt werden.

84 Interview Pereira, Q-Loud

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Fallbeispiel

Echtzeitinfos in der Logistik Lieferfahrten sind im Normalfall nur sehr schwer zu planen, sodass ein Empfänger lediglich über einen recht groben Zeitraum der Ankunft („zwischen 9 und 14 Uhr“) informiert werden kann. In einer speziellen Logistik-Anwendung, die auf GPS-Sensoren im Lieferfahrzeug setzt, kann diese Zeitangabe präzisiert werden. Hierbei werden im Fahrzeug anfallende und zusätzlich externe Daten genutzt: Informationen über die aktuelle Verkehrsdichte auf Autobahnen und großen Bundesstraßen, Verkehrsinformationen über Staus und Baustellen, die aktuelle Geschwindigkeit und Position des Fahrzeugs sowie bei Fernfahrten eventuell Wetterdaten und daraus abgeleitete Angaben über die Befahrbarkeit von Straßen. Grundsätzlich ist es damit möglich, einen großen Teil der Lieferfahrten auf eine halbe Stunde genau zu bestimmen und den Empfänger dauerhaft auf dem Laufenden zu halten, auch wenn durch Unfälle oder ähnliche Ereignisse Verzögerungen entstehen.

Daten nur zu sammeln und oberflächlich zu verarbeiten, reicht nicht. Eine echte Wertschöpfung entsteht erst, wenn der Smart Service mit einem genauen Konzept verbunden ist, auf welchem Weg Daten in Werte für den Kunden und das Unternehmen verwandelt werden.

Erfolgskriterien für IoT-Projekte Smarte Services und Produkte sind nicht nur ein Modell für wachstumsorientierte Startups. Jedes Unternehmen sollte die Chance ergreifen, durch innovative Neuentwicklungen am zukünftigen Wirtschaftswachstum teilzuhaben. Dieser Praxisleitfaden enthält zahlreiche Hinweise für das Auffinden, Gestalten und Organisieren von innovativen Produkten und Services auf der Basis von datenorientierten Geschäftsmodellen. Er hat gezeigt, dass es eine Reihe von Erfolgskriterien gibt, die es den Unternehmen ermöglichen, den digitalen Wandel nicht zu erleiden, sondern zu gestalten. Wichtig ist hierbei die anfangs genannte Grundregel: Besser starten als warten. Agilität: Ein wichtiges Erfolgskriterium für IoT-Projekte ist der Einsatz agiler Methoden wie Scrum oder Kanban. Niemand sollte den Fehler machen, den Business Case erst ein Jahr lang im Elfenbeinturm zu planen. Unternehmen sollten zunächst eine Idee und eine Vision für das Internet der Dinge entwickeln und sie dann in kleineren Projekten testen. Dabei ist es empfehlenswert, nicht nur mit einem Projekt zu beginnen, sondern direkt mit mehreren. Diese Projekte werden dann mithilfe der agilen Methodik in kleinen Schritten verwirklicht.85 Architektur: Das zweite Erfolgskriterium für IoT-Projekte ist eine genaue Definition der Architektur. Sie unterscheidet sich im Internet der Dinge stark von den Standards der Business-IT. So müssen zum Beispiel sämtliche IoT-Geräte auf Seiten der Hardware und der Software für einen möglichst geringen Stromverbrauch optimiert werden, da sie üblicherweise batteriebetrieben sind und mit einer vollen Ladung möglichst lange einsatzbereit sein müssen. Diese Anforderung ist in der herkömmlichen Business-IT unbekannt. Anwendungen: Das dritte Erfolgskriterium ist die genaue Definition der Anwendungsgebiete für die Daten und die Ergebnisse der Analyse. Hierzu müssen auf den unterschiedlichen Ebenen des IoT-Stacks die jeweils rich85 Interview Lüth, IOT Analytics

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TECHNOLOGIE

TECHNOLOGIE tigen Analytics-Anwendungen arbeiten. Mitarbeiter: Ein viertes Erfolgskriterium ist Know-how. Leider fehlen in vielen Unternehmen Mitarbeiter mit spezifischen Fähigkeiten. Vor allem Data Scientists sind Mangelware. Weiterer Fachkräftemangel besteht in der Anwendungsentwicklung für das Internet der Dinge. Dort werden Systeme, Protokolle, Programmiersprachen und Entwicklungsumgebungen eingesetzt, die sich zum Teil deutlich von denen in der herkömmlichen IT unterscheiden. So wird die Programmiersprache Python in der Business-IT normalerweise nicht eingesetzt, ist aber im IoT Standard. Dies bedeutet, dass die Unternehmen zunächst neue Fachkräfte einstellen oder die Mitarbeiter entsprechend schulen müssen. Organisation: Ein fünftes Erfolgskriterium: Die Organisationsstrukturen in den Unternehmen müssen an Smart Services und das Internet der Dinge angepasst werden. Die Unternehmen werden durch das Internet der Dinge Serviceprovider. Dafür benötigen sie passende Serviceprozesse, die genau auf die jeweiligen Geschäftsmodelle abgestimmt sind. So ändern sich Geschäftsmodelle vom Verkauf eines Einzelproduktes zum Festpreis hin zum Verkauf einer Dienstleistung, die nach Nutzungsdauer, -art oder -intensität abgerechnet wird. In vielen Fällen müssen die Unternehmen Strukturen und Regeln so verändern, dass sie zu den neuen Geschäftsmodellen passen. Unternehmen müssen IoT-Projekte also durch Change-Prozesse begleiten, damit die Mitarbeiter sich in der Welt der datengetriebenen Geschäftsmodelle besser zurechtfinden. „Das Management muss so früh wie möglich alle Mitarbeiter informieren und später dann jederzeit über den Stand der Entwicklung aufklären. Nur dann ist ein IoT-Projekt erfolgreich.” 86

86 Interview Lüth, IOT Analytics

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ANHANG

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Fallstudien CityTree – Für Großstädte ohne Smog.............................22 Amazon Go – Der Supermarkt ohne Kasse......................23

Das intelligente Lager – Auf dem schnellsten Weg am richtigen Ort....................66 Roambee – Echtzeit-Tracking von Warentransporten ....67

Schutz vor Zugverspätungen......................................... 110 Emotionstelefone aus der Denkwerkstatt.................... 113

Offene Kommunikationsstandards vermeiden IoT-Silos....................................................... 158 „So unkompliziert kann das Internet der Dinge sein”................................................ 160

Connected Bike – Notruf, Service, Tracking.....................68

SmartSite – Vernetzung von Maschinen, Baustellen und Leitsystemen im Straßenbau.............. 115

Lock8 – Bike Sharing statt Diebstahl...............................68

Blue Yonder Predictive Analytics –

Private Keys ab Werk..................................................... 164

Produktion der Mercedes A-Klasse in Rastatt.................27

seaswien.at Versicherung 2.0..........................................68

Bessere Aussichten mit Big Data................................... 116

Digital aufgerüstete Stores von Nike – Online und offline kombinieren.......................................29

Hioscar.com – Versicherungen mit Big Data....................69

Practical Seminar for Digital Services Design.............. 117

Local Motors – Open Innovation als Innovationsmotor..................................................... 168

HDI TankTaler – Belohnung für gute Fahrer.....................70

VR-Brille für optimale Laufwege................................... 120

Der intelligente Motorradhelm Skully AR-1: ..................72

#noprojects mit Bluemix DevOps................................. 128

Drivelog Connect: Dein Auto verstehen..........................74

Smarte Produkte für Kernbereiche............................... 130

Michelin – Bezahlung nach Verbrauch bei Lkw-Reifen................................................76

Hackathons als Beschleuniger der Produktentwicklung................................................ 133

Tesla – Neue Funktionen und mehr PS per Funk..............................................................76

Twitter messen – Geht nicht gibt’s nicht...................... 134

Cloud an Dampfmaschine: Bitte melden!..................... 177

Die falsch gedachte Giro-Plus-Karte............................. 144

Echtzeitinfos in der Logistik.......................................... 181

Zara – Nachschub per Klick...............................................24 Adidas Speedfactory – Persönliche Laufschuhe aus dem 3D-Drucker.........................................................27

lechal – Wohin die Füße tragen........................................31 Pro Trace – Auf die Herkunft kommt es an......................32 Wie Klöckner selbst disruptiv handelt............................33 Carrobot – Smart und sicher im Straßenverkehr.............................................................35 ThyssenKrupp HoloLens – Verringerte Wartungszeit bei Aufzügen..........................37 Kaeser Kompressoren – Damit nie die Luft wegbleibt...........................................38 TU Dresden – 3D-Betondruck...........................................39 DB Cargo – Lokschäden frühzeitig erkennen..................40 ThyssenKrupp Max – Das sicherste Transportmittel der Welt wird smart...............................41

Kutsuplus – ÖPNV auf Abruf.............................................78 Trucker Path – Das Uber für Trucks...................................78 Bitlock – Das elektronische Fahrradschloss....................79

Nike+ – Die Plattform für Sportler und Selbstoptimierer........................................................56

Hi-Park hilft mit Crowdsourcing bei der Parkplatzsuche.....................................................80

Wie sich Smarte Produkte einsetzen lassen...................... 32

Luna – Matratzenauflage mit Brain..................................56

Amazon Dash-Button – Einkaufen durch Antippen................................................83

Philips Hue........................................................................61 LightRules von Digital Lumens.........................................61 BuildingOS by Lucid – Smarte BI für effiziente Gebäude.....................................63 Ring.com – Die smarte Türklingel.....................................63 DHL – Augmented RealityAnwendung im Lagerbetrieb............................................65 Der Industrieroboter LBR iiwa..........................................66

184

Ein Kleincomputer am Altsystem.................................. 176

Abbildungen Von Single zu Omni Channel................................................. 30

Enlighted – LED-Leuchtsysteme für intelligente Gebäude..................................................60

Werkzeugmaschinen nachrüsten.................................. 175

MeMobility – All-in-One Lösung für die flexible Mobilität...................................................77

Velocity – Ausleihservice für Bikes .................................80

Flic – Der kabellose Smart Button....................................59

Multi-Client-Fähigkeiten bringen IoT-Projekte zum Erfolg................................................. 172

Mercedes-Benz F015 Luxury ...........................................76

OMSignal – Biometric Smartwear....................................55

Apple Watch – Der Gesundheitssensor für das iPhone...................................................................57

PortBase vernetzt alle Akteure am Hafen..................... 169

Digitale Umkleide bei Macy’s...........................................84 Inspirational Corridor – der personalisierte Schaufensterbummel........................................................84 The Dandy Lab – Connected Store für ein integriertes Einkaufserlebnis...............................85 PaketButler – Innovatives Produkt dank Design Thinking ......................................................96 Lean Service Creation – das digitale Powerpack.....................................................98 Audi VR Experience – Mit Virtual Reality zum Wunschauto............................ 103 Das „Innovation Board“ als Werkzeug für Smart-Service-Entwickler........................................ 108 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Digital Maturity Model............................................................ 39 Betriebsmodell oder Nutzenversprechen neu ausrichten?........................................................................ 42 Claas: Digitale Transformation in der Landwirtschaft.............................................................. 45 ­Megatrends Across Gartner 2016 Hype Cycles................ 49 IoT – Ein lernender Markt....................................................... 50 Wirtschaftsindex Digital 2016 nach Branchen................. 51 Disruption Map nach Industrien........................................... 52 IoT-Marktpotenzial nach Branchen..................................... 53 Connected Car.......................................................................... 74 Michelin nutzt Telemetriedaten und „Fuel Analytics“, um Lkw-Flotten effizienter zu machen............................... 75 IoT Geschäftsmodell Framework.......................................... 91 Praxisleitfaden 2017 | Internet der Dinge

Think-Make Schleife in der Smart Service Innovation....................................................... 94 Design Thinking, Lean UX und Agile Hand in Hand......... 95 Design Thinking Prozess........................................................ 97 UX Innovation Workshop.................................................... 103 UX Concept Workshop......................................................... 104 Digital Business Engineering............................................. 106 Innovation Lab....................................................................... 111 Digital Business Model........................................................ 125 9 Gebote für erfolgreiche digitale Transformation...... 126 Shared Ownership: Alle sitzen in einem Boot!.............. 127 Change: Enhanced 8-Step-Modell.................................... 137 Der Sattelburger................................................................... 143 Der Haufe Quadrant............................................................. 146 Der Full IoT Stack.................................................................. 156

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MEHR REICHWEITE AUCH FÜR IHRE „SMARTEN SERVICES“? Die neue Ära des Internets macht das bisher bekannte Internet unsichtbar. Im Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) werden Produkte intelligent und erhalten jetzt so etwas wie magische Kräfte. Die digitale und die physische Welt verschmelzen zu einer neuartigen Smart-Service-Welt. In diesem Praxisleitfaden gehen die Autoren der Frage nach, welche smarten, vernetzten Produkte und Services es bereits gibt, wie Unternehmen eigene IoT-Lösungen gestalten und welche technologischen Voraussetzungen zu beachten sind. Starten statt warten: Jedes Unternehmen sollte die Chance des IoT zu innovativen Neuentwicklungen ergreifen. Die Studie nennt alle wichtigen Erfolgskriterien wie das Knowhow der Mitarbeiter oder die Leistungsfähigkeit des IoT-Stacks inklusive der darauf arbeitenden Anwendungen. An erster Stelle jedoch steht die Agilität. Unternehmen sollten Projekte nicht durchplanen, sondern sie iterativ und in kleinen Schritten verwirklichen. Außerdem müssen Unternehmen ihre Organisationsstruktur aktualisieren: Sie sind nun Serviceprovider mit neuen Geschäftsmodellen.

Bernhard Steimel, Herausgeber

Erhalten Sie weitere Einblicke in die Welt der Smarter Services unter www.smarter-service.com/download

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