Solidarität 4/2010

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www.sah.ch

Das Magazin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH • November 4/2010

Pakistan Nothilfe für die Flutopfer Schweiz Brücke ins Leben für traumatisierte MigrantInnen


Editorial

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Medienschau

Liebe Leserin, lieber Leser Diesen Herbst feierten wir das 35-Jahr-Jubiläum des SAH in Burkina Faso. Der grösste Erfolg ist eine Bildungsre-

form nach dem Modell «Zweisprachige Erziehung», zu der das SAH seit den 1990er-Jahren wesentlich beigetragen hat. An diesem Geburtstag wird aber auch anderes erwähnt:

Henri Kabore, der Bürgermeister von Ouagadougou, dankt für die rasche Hilfe, die das SAH nach den Überschwemmungen im September 2009 geleistet hatte.

13.10.2010  Positive Erfahrung mit Arbeitsprojekt Zusammen mit 7 weiteren Gemeinden des Zürcher Unterlandes beteiligt sich Dällikon noch bis im Dezember am Projekt «Etcetera im Bezirk Dielsdorf». Im Rahmen dieses vom Schweizerischen Arbeiterhilfswerk (SAH) lancierten Projektes konnten 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern insgesamt 3982 Arbeitsstunden vermittelt werden. Einzelne Personen haben dank der Temporäreinsätze eine Festanstellung gefunden (…). Aufgrund der positiven Erfahrungen haben sich das SAH und die Sozialdienste des Bezirkes Dielsdorf, die das Projekt koordinieren, für eine definitive Einführung entschieden. (…)

Während wir in Burkina Faso weilen, führen sintflutartige Regenfälle zu Überschwemmungen im Nachbarland Benin. Ein Drittel der 8.5 Millionen EinwohnerInnen des

Landes sind betroffen. Die lokalen TV-Sender zeigen Bilder von Häusern, die bis zum Dach unter Wasser stehen, von Menschen, die verzweifelt versuchen, ein paar Habseligkeiten zu retten. Die Bilder schaffen es nicht bis in unsere Medien. Ist das kleine Land zu unbekannt bei uns? Oder sind die Folgen der Flut zuwenig dramatisch? Mit dem Klimawandel häufen sich Unwetterkatastro-

28.9.2010  So überprüfen Sie Ihre Gemeinde Auf seiner Internetseite bietet das Schweizerische Arbeiterhilfswerk (SAH) eine Gemeindeübersicht zur Beschaffungspolitik an. Mit wenigen Mausklicks lässt sich dort überprüfen, ob die eigene Wohngemeinde ausschliesslich fair produzierte Ware beschafft. Das SAH will so politischen Druck auf die Gemeinden machen und dafür sorgen, dass die Bestimmungen der International Labour Organisation (ILO) (…) eingehalten werden.

phen. Ob diese im Lichte oder im Schatten der Weltöffent-

lichkeit passieren: Immer sind die Ärmsten am stärksten betroffen. Solidarisch sein bedeutet, unmittelbare Hilfe zu bringen. Lesen Sie dazu den Bericht zu unserer Unterstützung der Flutopfer in Pakistan auf Seite 8. Wir müssen aber weitergehen: Das heisst alle unsere

Mittel dafür aufwenden, Armut im Süden zu überwinden, und bei uns eine Politik einfordern, die Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit ins Zentrum stellt. Für das SAH bedeutet Solidarität darum, gemeinsam mit den Menschen im Süden an einer nachhaltigen Entwicklung zu arbeiten. Ruth Daellenbach, Geschäftsleiterin SAH

2.9.2010  Die WM war ein Fehlschlag Grosse Versprechungen, falsche Schätzungen und wachsende soziale Ungleichheit – in einem Bericht über die Folgen der Fussball-Weltmeisterschaft 2010 zieht das Schweizerische Arbeiterhilfswerk eine ernüchternde Bilanz. (…) Die Bauarbeiter, die zehn Stadien für die WM neu bauten oder umbauten, arbeiteten unter höchst prekären Bedingungen, derweil die grossen Baufirmen des Landes ihre Gewinne vervielfachten. (…) Eine strikte Marketingpolitik bescherte den wenigen FifaPartnern exklusive Profite und verhinderte weitgehend, dass auch kleine HändlerInnen vom MegaEvent profitieren konnten. (…)


inhalt

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INTERNATIONAL Jugendliche in Südosteuropa engagieren sich gegen Arbeitslosigkeit

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Vernichtende Bilanz der WM in Südafrika

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Unvorstellbare Zerstörung nach der Flut in Pakistan – das SAH leistet Nothilfe

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PINGPONG

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STANDPUNKT Ada Marra: Zweimal Nein zu unmenschlichen Vorlagen

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SCHWEIZ Lehrlinge führen einen Laden und finden den beruflichen Einstieg

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Eine Brücke zurück in die Arbeitswelt für traumatisierte MigrantInnen

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SPENDEN Schenken Sie ein Velo

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EINBLICK Tomasa Cortedano berät LandarbeiterInnen bei Arbeitsrechtsverletzungen

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INTERNATIONAL Die Bilanz der WM in Südafrika ist ernüchternd: Verluste für Südafrika – Gewinne für die Fifa, wachsende Lohnschere statt dauerhafte Arbeitsplätze, leer stehende Stadien. S. 7

INTERNATIONAL Nach den Zerstörungen durch die Flut naht im Norden Pakistans der Winter: Das SAH unterstützt die Menschen, den Schlamm zu beseitigen, und stellt Notunter­ künfte bereit. S. 8–9

Titelbild: Eine Familie watet durch die Fluten im überschwemmten Pakistan. Foto: Adrees Latif/Reuters Rückseite: Ein von den Fluten zerstörtes Haus. Foto: Debora Neumann

Impressum Herausgeber: Schweizerisches Arbeiterhilfswerk SAH, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: info@sah.ch, www.sah.ch, Postkonto 80-188-1 Zürich

SCHWEIZ Das Projekt Ponte hilft MigrantInnen, trotz Traumatisierung wieder in der Arbeitswelt Fuss zu fassen. S. 14–15

Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Christian Engeli, Hans Fröhlich, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger Layout: Atelier Binkert, www.atelierbinkert.ch Übersetzungen: Irene Bisang, Ursula Gaillard, Milena Hrdina, Walter Roselli, Peter Schrembs Korrektorat: Angelo Ciampi, Marianne Enckell, Jeannine Horni Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000 Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier.

EINBLICK Tomasa Cortedano berät LandarbeiterInnen in Nicaragua bei Arbeitsrechtsverletzungen und schliesst nebenbei ihr Studium als Anwältin ab. S. 18–19


international

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«Wähle deine Ausbildung – wähle deine Zukunft»: Die Broschüre des Jugendkommunikationszentrums in Banja Luka bietet Jugendlichen Orientierung beim Eintritt ins Arbeitsleben.

«Ich will auch Teil des Arbeitsmarkts sein» Mit innovativen Projekten setzen sich Jugendorganisationen in Südosteuropa gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit ein. Text: Karen Rohwedder, Fotos: Dukagjin Nishiqi und Christoph Baumann

Bis zu 70 Prozent der Jugendlichen in Kosovo, Serbien und Bosnien-Herzegowina sind arbeitslos. «Und die Behörden tun nichts dagegen», stellt Irene Djumic, Projektleiterin des Jugendkommunikationszentrums in Banja Luka in Bosnien und Herzegowina fest. Im Gegenteil: Statt die Arbeit des Zentrums zu unterstützen, würden die Behörden sie immer wieder behindern. «Das Recht auf Information besteht nur auf dem Papier. Die Behörden geben keine Zahlen heraus und hüten sich zu sagen, wie desaströs die Arbeitsmarktlage ist.» Um Informationen zugänglich zu machen, führt das Jugendkommunikationszentrum in Mittelschulen Berufswahltage durch und bietet eine Berufsberatung für

SchülerInnen der Unterstufe an, die auf reges Interesse stösst. Daneben wird den Jugendlichen eine ansprechend gestaltete Broschüre abgegeben, die alle wichtigen Informationen und Anlaufstellen zu Berufswahl und Ausbildungsmöglichkeiten enthält.

Der serbische Staat verweigert die direkte Einreise aus dem Kosovo noch immer. Die kosovarischen TeilnehmerInnen mussten an der Grenze ihren Pass abgeben und lange warten, während unklar war, ob sie einreisen können.

Länderübergreifender Austausch

Nicht einfach den Beruf der Eltern übernehmen

Im serbischen Vrnja´cka Banja fanden Ende September sechs Organisationen aus Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Serbien zusammen, um sich gegenseitig die Resultate ihrer Projekte gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit vorzustellen (siehe Kasten). Ein solches Treffen ist nicht selbstverständlich, wie bereits die Schwierig­keiten bei der Anreise zeigten:

Schlussendlich erreichten alle die Konferenz rechtzeitig und tauschten in angeregter Atmosphäre Erfahrungen aus. Es wurden gemeinsam Lösungen für die Prob­leme der Jugendlichen erarbeitet – zum Beispiel zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Behörden. Das gemeinsame Ziel kommt im programmatischen Projekttitel des kosovari-


International

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Jugendliche trainieren in Workshops ihre Fähigkeiten und erhalten bei Betriebsbesichtigungen einen Einblick in die Arbeitswelt.

schen Jugendzentrums Istog zum Ausdruck: «Ich will auch Teil des Arbeitsmarkts sein». Einen speziellen Fokus legt das Projekt auf den Einbezug der Eltern in die Berufswahl. «Traditionellerweise setzen sich im Kosovo allzu oft weder LehrerInnen noch Eltern gebührend mit den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Jugendlichen auseinander, da erwartet wird, dass diese den Beruf der Eltern übernehmen», erzählt Projektleiter Luan Hasanj. Workshops regen die Jugendlichen an, ihre  Berufswünsche zu hinterfragen, ihre Fähigkeiten zu erkennen und diese in Bewerbungsunterlagen zur Geltung zu bringen. Die NGO «Cube» aus Serbien setzt wiederum einen anderen Schwerpunkt: Sie ermutigt junge Frauen, bei der Berufswahl auch männerdominierte Berufe in Erwägung zu ziehen. In Workshops werden das Selbstbewusstsein der jungen Frauen gestärkt und Informationen über ihnen offen stehende Möglichkeiten vermittelt.

Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Auch Bojana Bijelovi´c von der Jugendsektion des serbischen Gewerkschaftver-

bands CATUS nahm an der Konferenz teil. Den Gewerkschaften begegnen die Jugendorganisationen wegen ihrer ehemaligen Nähe zum kommunistischen Regime immer noch mit Misstrauen. Bojana Bijelovi´c stellte die Arbeit der Jugendsektion vor – zum Beispiel die Weiterbildung über Arbeitsrechte – und erzählte über die schwieri­gen Be­ dingungen der Jugendarbeit innerhalb der Gewerkschaften: «Wir haben weder ein  eigenes Budget noch ein Mitspracherecht bei der Verteilung der Gelder.» Gleich­ zeitig bedauerte sie, dass die Zusammen­

arbeit mit NGOs bis anhin vernachlässigt worden ist. Die ähnlichen Ziele und Behinderungen, mit denen sie konfrontiert sind, förderten das gegenseitige Verständ-

«Die Behörden tun nichts gegen die Jugendarbeitslosigkeit.» nis. So beschlossen Gewerkschaftsangehörige und VertreterInnen der Jugendorganisationen, sich in Zukunft über ihre Projekte und Aktionen auszutauschen, um gemeinsam Druck auf die Behörden auszuüben, damit diese ihre Verantwortung wahrnehmen.

Jugendwettbewerb des SAH in Südosteuropa Mit dem Wettbewerb «Jugend und Arbeit» thematisiert das SAH die enorm hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südosteuropa und fördert die Eigeninitiative von jungen Erwachsenen. Das Ziel ist, die Chancen von Jugendlichen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Ausserdem soll die länderübergreifende Vernetzung der Projekte unterei­ na­nder wie auch mit den jeweiligen SozialpartnerInnen und Behörden gestärkt werden. Sechs Projekte aus Bosnien und Herzegowina, Kosovo und Serbien wurden im Dezember 2009 zur Unterstützung ausgewählt und werden seither umgesetzt.


Notizen

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Revolten in Moçambique

Neues Schulprogramm in Benin

35 Jahre SAH-Engagement in Burkina Faso

In den ersten drei Septembertagen ist Moçambique von gewalttätigen Ausschreitungen erschüttert worden. In der Hauptstadt Maputo, in Matola und in Chimoio gingen Hunderte von Menschen auf die Strasse, errichteten Barrikaden, plünderten Geschäfte und zündeten Autoreifen an, um gegen Preiserhöhungen bei Strom, Wasser und Brot zu protestieren. Allein der Brotpreis war aufgrund der auf dem Weltmarkt explodierenden Weizenpreise und der Abwertung der moçambiquanischen Währung um 30 Prozent gestiegen. Polizei und Militär gingen gewaltsam und mit scharfer Munition gegen die Demonstrierenden vor: Es gab 13 Tote und 443 Verletzte. Die Regierung entschied zunächst, die Preiserhöhungen nicht zurückzu­ nehmen, tat dies am 7. September 2010 dann aber doch. Jorge Lampião, SAH-Koordinator in Moçambique, meinte dazu: «Proteste wird es immer wieder geben, solange die Regierung deren Ursachen nicht angeht. Dazu gehören die wachsende Armut in den Städten und fehlende Investitionen zur Verbesserung der Produktion und Produktivität in der Landwirtschaft. Die Menschen kämpfen täglich ums Überleben. Da reicht ein kleiner Funken, und das Pulverfass explodiert.» www.sah.ch/news

Das SAH hat im August 2010 im Konsortium mit Helvetas ein Mandat der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA in Benin übernommen. Ziel ist die Entwicklung eines Bildungsprogramms für Kinder zwischen 9 und 15 Jahren, die vom formellen Erziehungssystem ausgeschlossen sind. Zunächst soll das Schulmodell in sieben ländlichen Gemeinden im Departement Borgou auf den Schulanfang 2011 eingeführt werden. In diesem Gebiet, das zu den ärmsten in Benin zählt, gehen 54 Prozent der Kinder nicht zur Schule. Speziell die Mädchen sind vom Bildungssystem ausgeschlossen. Innerhalb von 15 Jahren soll das an die sozioökonomischen Realitäten angepasste Modell auf das ganze Land ausgedehnt werden.

Mit grosser öffentlicher Beteiligung hat das SAH Burkina Faso am 3. Oktober 2010 seinen 35. Geburtstag gefeiert. Odile Bonkoungou, die ErziehungsMinisterin, würdigte die Arbeit des SAH: «Die hohe Qualität des SAH-Programms überzeugte uns in unserem Kampf gegen die Armut.» Die ersten Aktivitäten des SAH in den 1970er-Jahren unterstützten die ländliche Entwicklung mit dem Ziel, den Menschen ein kleines Einkommen zu verschaffen. Bildung bildet den zweiten und heute wichtigsten Schwerpunkt. Mitte der 1990er-Jahre hat das SAH in Partnerschaft mit dem Erziehungs­ ministerium eine Bildungsreform initiiert: Die Einführung des zweisprachigen Unterrichts in lokalen Sprachen und in Französisch. www.sah.ch/news

Nach dem Millenniumsgipfel Am Millenniumsgipfel Ende September 2010 hat die UNO Bilanz der Resultate auf dem Weg zu den Millenniumszielen gezogen. Das zentrale Ziel, Hunger und Armut in der Welt zu überwinden, wird weit verfehlt. Trotzdem liessen sich die Industrieländer nicht auf jene 20 bis 40 Milliarden Dollar zusätzliche Mittel verpflichten, die nötig wären, um die Ziele bis 2015 auch nur annähernd zu erreichen. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey appellierte an die Internationale Gemeinschaft, verstärkt für die Millenniumsziele zu arbeiten, und stellte die Frage, ob sich die Entwicklungszusammenarbeit zu oft auf die Symptombekämpfung beschränkt statt an den Ursachen anzusetzen. Das SAH unterstützt diese Sichtweise und fordert den Bundesrat auf, an den Wurzeln von Armut und Ungerechtigkeit anzusetzen. So muss etwa die «Decent Work-Agenda», die das Recht auf Arbeit und die Einhaltung der Arbeitsrechte postuliert, eine Priorität der Schweizer Entwicklungspolitik werden. www.sah.ch/news


INTERNATIONAL

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Während sich die Löhne der CEOs verdreifachten, streikten die ArbeiterInnen auf den Stadion­baustellen in Südafrika für den Teuerungsausgleich.

Falsche Versprechungen, überrissene Schätzungen, grosse Enttäuschung Eine Studie des SAH zeigt, was die WM der Bevölkerung in Südafrika wirklich gebracht hat. Text: Christian Engeli, Foto: SAH Die erste Fussball-Weltmeisterschaft auf afrikanischem Boden löste in der südafrikanischen Bevölkerung riesige Hoffnungen aus. Von wirtschaftlichem Aufschwung, von neuem Glanz für Südafrika, von Per­ spektiven und Jobs war die Rede. Doch die Bilanz ist ernüchternd.

ren wurde – im Gegenteil. Bis Ende Juli 2010 sank die Beschäftigung gegenüber dem Vorjahr um 4,9 Prozent. Im Bausektor gingen sogar 111 000 Jobs verloren. Für die fünf grössten Bauunternehmen in Südafrika hingegen war die Fussballweltmeisterschaft ein Riesengeschäft: Sie konnten ihren Gewinn von 110 Millionen 17 Mal teurer als geplant (2004) auf 1,4 Milliarden Franken (2009) Eine Studie des SAH zu den sozialen steigern. Die Löhne ihrer CEOs stiegen in und ökonomischen Folgen der WM dieser Zeit im Schnitt um 200 Prozent. Die kommt zu einem vernichtenden Ergebnis: Bau­arbeiterInnen hingegen mussten mit Die Kosten für den südafrikanischen Staat 26 Streiks dafür sorgen, dass ihnen  fielen um 1709 Prozent höher aus als ge- wenigstens die Teuerung ausgeglichen plant. Statt einem erwarteten Gewinn von wurde. 700 Millionen Franken resultierte für SüdUnter den zehn gebauten oder erweiafrika ein Verlust von mindestens 2,8 Mil- terten Stadien sind mindestens drei «Weisliarden. Die Fifa hingegen nahm zusam- se Elefanten»: Sie sind viel zu gross, als men mit ihren Partnern über 3 Milliarden dass sie nach der WM jemals kostendeFranken ein und hat ihren Gewinn gegen- ckend betrieben werden könnten. Auf über der WM 2006 in Deutschland um  Druck der Fifa wurden sie trotz Einwän50 Prozent gesteigert. Auf Druck der Her- den des südafrikanischen Fussballverren aus Zürich hat die südafrikanische Re- bands gebaut. Für diese und andere Infragierung die Gewinne der Fifa und ihrer strukturbauten wurden laut Schätzungen Partner von den Steuern befreit. Ein Spre- der UNO gegen 20 000 Menschen aus ihcher der südafrikanischen Steuerbehörde ren Unterkünften vertrieben. meint dazu: «Die Privilegien und KonzesDie für die WM investierten 5,5 Milliarsionen, die wir der Fifa zugestehen muss- den Franken hätte das Land dringend für ten, waren schlicht zu hoch, als dass für andere Projekte gebraucht. Die Mehrheit uns ein monetärer Nutzen hätte entstehen der Bevölkerung in Südafrika lebt in unkönnen.» würdigen Verhältnissen: 7,5 Mil­lio­nen Menschen sind ohne Arbeit (40 Prozent), Weniger statt mehr Jobs es fehlen Unterkünfte für mindestens  Die WM führte auch nicht zu einem 12 Millionen, 8,4 Millionen Menschen ledauerhaften Jobwunder, wie oft beschwo- ben in Slums.

Kein Unrechtsbewusstsein bei der Fifa Stossend ist nicht, dass die WM in Südafrika veranstaltet worden ist. Stossend ist, dass die Fifa sich zwar den Slogan «For the game, for the world» auf die Fahnen schreibt, aber offensichtlich nur am eigenen Profit interessiert ist. Bei der Fifa scheint man sich jedoch keines Unrechts bewusst zu sein. Bereits hat sie für die Austragung der WM 2018 eine totale Befreiung von allen direkten und indirekten Steuern gefordert. Sie argumentiert, sie bezahle ja bereits in der Schweiz Steuern. Das stimmt nicht ganz: Die Fifa gilt in der Schweiz trotz dreistelligem Millionengewinn als «gemeinnützige Organisation» und ist von den direkten Bundessteuern befreit. Das Parlament hat es erst im Juni dieses Jahres abgelehnt, die Regelung zu ändern.

Mehr Fairplay bei der nächsten WM Für die Menschen in Brasilien zeichnet sich bei der WM 2014 eine Wiederholung des Debakels von Südafrika ab. Das SAH fordert von der Fifa und ihrem Präsidenten Sepp Blatter Fairplay – auch abseits des Spielfeldes. Die Fifa muss die Fussball-WM so gestalten, dass nicht nur sie selbst und die grossen Baukonzerne, sondern auch die Menschen in den Gastgeberländern davon profitieren.


INTERNATIONAL

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Alles ist kaputt Von der Jahrhundertflut in Pakistan im August und September sind zwanzig Millionen Menschen betroffen. Das SAH leistet Not- und Wiederaufbauhilfe für die Flutopfer. Text und Fotos: Debora Neumann Mitte August, eine Woche nach Beginn der katastrophalen Flut, treffe ich in Pe­ shawar im Nordwesten Pakistans ein, um die Nothilfe des SAH zu koordinieren. Der Regen lässt endlich nach und das zurückgehende Wasser macht die enormen Zerstörungen sichtbar. So etwas Schlimmes habe ich noch nie zuvor gesehen. Die Flutwellen haben alles mitgerissen und die Häuser meterhoch mit Schlamm gefüllt. Die Nummernschilder der angeschwemmten Autos stammen zum Teil aus Regionen, die 300 bis 400 Kilometer weiter nördlich liegen.

Zwei Meter hohe Schlammschicht Die Flüsse sind drei bis vier Mal so breit wie normalerweise zur Zeit des Monsunregens. Das ist umso verheerender, als in der betroffenen Gegend rund 90 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft leben. Die Felder, auf denen Mais, Getreide und Zuckerrohr angepflanzt werden, sind von einer ein bis zwei Meter hohen Schlammschicht zugedeckt, überall liegt Geröll herum. Die ganze Ernte ist vernichtet. Zudem ist die Infrastruktur ruiniert. Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, das Elektrizitätsnetz, Wasserleitungen – alles ist kaputt. Ich habe schon viele von Erdbeben zerstörte Regionen gesehen, auch die Folgen des Tsunami. Doch das war nichts im Vergleich zur Katastrophe in Pakistan, die vor allem den ärmsten Teil der Bevölkerung trifft.

ihre Häuser und Felder vom Schlamm zu befreien. Deshalb verteilt das SAH in den Distrikten Noshera und Charsadda Hilfsgüter: Schaufeln, Kübel, Schubkarren und Plastikplanen. Im Zuge dieser Nothilfe lerne ich Ende September die Witwe Hussan Bano kennen, die mit ihrem Sohn und sechs Enkeln im Dorf Agra Payan lebt. Ihr Haus ist von den Fluten total zerstört worden, nur Schlamm und Schutt sind übrig geblieben. Sie hat zwar von der Regierung ein Zelt erhalten, in dem nun die ganze Familie übernachtet. Doch um ihr Haus wenigstens notdürftig wieder herrichten zu können, ist sie auf unsere Hilfe angewiesen. «Ich brauche mein ganzes Geld für Essen und neue Kleider für meine Grosskinder. Schaufel und Schubkarre zu kaufen, liegt nicht drin», sagt Hussan Bano. «Mit den Werkzeugen des SAH können mein Sohn und ich nun endlich den Schlamm und den Schutt wegräumen.» Als wir tags darauf in das Nachbardorf von Agra Payan fahren, sehen wir eine Gruppe von Männern, die mit den an sie abgegebenen Werkzeugen und Schubkarren den Schlamm aus einem Kanal schaufeln, damit das Abwasser des Dorfes wieder abfliessen kann. Mehr und mehr DorfbewohnerInnen kommen, um mitzuhelfen oder zuzusehen. Am Nachmittag ist der Kanal sauber und die Strasse frei von Abwasser.

Notunterkünfte vor Wintereinbruch Haus und Feld ausbuddeln Nach der Versorgung mit sauberem Trinkwasser und Nahrungsmitteln brauchen die Leute dringend Werkzeuge, um

Das Ausmass der Zerstörung ist so immens, dass es noch Jahre dauern wird, bis die Folgen der Flut behoben sind. 2,2 Millionen Häuser sind zerstört, und Ende

September waren noch immer 12 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Sie leben weiterhin in den Ruinen ihrer Häuser oder in Zelten. Im Norden beginnt bald der Winter mit Durchschnittstemperaturen von null bis fünf Grad. Das SAH hat Anfang Oktober in der Region um Agra Payan mit dem Bau von 800 Notunterkünften und sanitären Einrichtungen begonnen. Denn die Menschen brauchen dringend bessere Unterkünfte, um durch den Winter zu kommen und ein würdiges Leben führen zu können, bis ihre Häuser wieder aufgebaut sind.

Ihre Spende wirkt! Das SAH hat im Norden Pakistans dringend benötigte Hilfsgüter an 20 000 von der Flut betroffene Menschen verteilt und baut 800 Notunterkünfte. Die Projekte werden in Zusammenarbeit mit Partnern des europäischen Netzwerks SOLIDAR und mit Unterstützung der Glückskette durchgeführt. Ab Dezember werden wir auch in der südlichen Provinz Punjab Baumaterial verteilen und die Leute beim Wiederaufbau ihrer Häuser unterstützen. Debora Neumann sorgt vor Ort dafür, dass die Hilfe rasch und effizient bei den Betroffenen ankommt. Unterstützung ist weiterhin nötig: Spenden Sie auf www.sah.ch/spenden oder auf das Postcheckkonto 80-188-1.


INTERNATIONAL

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Die Überschwemmungen haben in ganz Pakistan 2,2 Millionen Häuser zerstört.

Mit den vom SAH verteilten Werkzeugen und Schubkarren legen Dorfbewohner einen verschütteten Abwasserkanal frei.


PINGPONG

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Rätsel

Auswertung Barometer

SAH-Sudoku

22 Personen beteiligten sich am Solidaritäts-Barometer zum Thema Lehrstellen.

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Spielregeln Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3-Blöcke nur ein Mal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1=N, 2=D, 3=M, 4=G, 5=H, 6=E, 7=C, 8=I, 9=K

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Gibt es Ihrer Meinung nach genügend Lehrstellen in der Schweiz?

nein ja keine Antwort je nach Branche

Was braucht es, damit alle Jugendlichen eine Lehrstelle bekommen? 22 20 22 15 20

Lösungswort:

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Schicken Sie das Lösungswort ans SAH mit dem beiliegenden vorfrankierten Antwort-Talon, einer Postkarte oder per E-Mail an: info@sah.ch, Betreff: «Rätsel». Jede richtige Lösung nimmt an der Verlosung teil. 1. Preis: Kaleidoskop 2. Preis: Tasche 3. Preis: Insektenvilla Die Preise werden freundlicherweise vom BOA des SAH Schaffhausen zur Verfügung gestellt. Einsendeschluss ist der 3. Januar 2011. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 1/2011 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende des SAH und der SAH-Regionalvereine. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 3/10 lautete «Lehrstellen für alle». Die GewinnerInnen waren: Jari Günther aus Rüti und Fiona Fröhlich aus Winterthur. Wir danken den MitspielerInnen für ihre Teilnahme und dem SAH Zürich für die gestifteten Preise.

Solidaritäts-Barometer Sind Sie der Meinung, dass die Entwicklungszusammenarbeit zu sehr Symptombekämpfung betreibt und zu wenig an den Ursachen von Armut ansetzt (siehe S. 6)? Worauf sollte sich die Entwicklungszusammenarbeit vermehrt konzentrieren? Sollte die Schweiz ihre Ausgaben für die Entwicklungshilfe erhöhen (siehe S. 13)? Beantworten Sie die Fragen des Solidaritäts-Barometers auf dem beigelegten Antworttalon.

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Förderung von Integrationsprojekten für Kinder und 0Jugendliche

Finanzieller Anreiz für Betriebe, Lehrstellen anzubieten Mehr öffentliche Gelder für die Bildung Jugendliche müssen bei der Berufswahl flexibler sein Gesetzliche Verankerung des Rechts auf Ausbildung bis zum Erstabschluss Wie könnte die Diskriminierung von Jugendlichen mit Migrationshintergrund bei der Lehrstellensuche verhindert werden? Coaching wurde als wichtige Strategie vorgeschlagen, gefolgt von der Möglichkeit anonymer Bewerbungen, besseren Sprachkenntnissen und Solidarität mit den Jugendlichen. Kommentar von Silvia Caluori und Christine Spychiger vom SAH Zentralschweiz Unsere Erfahrung in der Beratungsarbeit mit Jugendlichen verschiedenster Herkunft zeigt, dass es in der Schweiz zwar genügend Lehrstellen gibt, diese jedoch oft nicht mit den Berufswünschen und schulischen Voraussetzungen der Jugendlichen übereinstimmen. Es fehlt vor allem an Attestausbildungsplätzen: einfacheren, praxisbezogenen Ausbildungen, die den Fähigkeiten der Jugendlichen entsprechen. Nötig sind sowohl die Offenheit der Lehrbetriebe als auch das Interesse und eine hohe Motivation der jungen Menschen. Bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz hilft die Begleitung durch Coaches, öffnen diese doch Türen, die den Lehrstellensuchenden allenfalls verschlossen blieben.


Zweimal Nein zu unmenschlichen Vorlagen Die Ausschaffungsinitiative der SVP und der Gegenvorschlag des Bundesrates sind nutzlos und widersprechen den Menschenrechten. Text: Ada Marra, SP-Nationalrätin

Ada Marra SP-Nationalrätin

Die Unterschriftensammlung für die Initiative zur Ausschaffung krimineller AusländerInnen wurde äusserst polemisch geführt. Leider wurde die SVP-Initiative aber vom Bundesgericht nicht verurteilt. Sie verlangt die Ausschaffung aller ausländischen Personen, die wegen Mord, Verge­ waltigung, schweren Sexualdelikten, Gewalttaten wie Raub, Menschen- und Drogenhandel, Einbruch oder auch Versicherungs- und Sozialhilfemissbrauch verurteilt worden sind. Damit wider­spricht sie diversen gesetzlichen Grundlagen, zum Beispiel der Europäischen Menschen­ rechts­konvention, den Freizügigkeitsabkommen mit der EU und dem Grundsatz der Verhält­nismässigkeit, der in der Verfassung verankert ist. Denn sie sieht eine zwin­gen­de Wegweisung straffälliger AusländerInnen vor. So müsste etwa ein Fami­lien­vater, der seit 20 Jahren in der Schweiz lebt und neben seiner offiziellen beruflichen Tätigkeit Schwarz­­arbeit leistet, in sein Heimatland zurückgeschafft werden und seine Familie hier zurücklassen. Ebenso würde ein Flüchtling – ein Mensch, der erwiesenermassen in Gefahr ist und dem in seiner Heimat vielleicht sogar der Tod droht –, zwingend ausgeschafft.

Wegweisungen schon möglich Die heutige Praxis stützt sich auf das Ausländergesetz, das bereits Bestimmungen über die Wegweisung krimineller AusländerInnen enthält. Dabei ist es den Kantons­gerichten überlassen, diese Massnahme anzuordnen. In der Schweiz werden pro Jahr 350 bis 500 Personen in ihre Heimatländer ausgeschafft. Diese Zahl schwankt je nach Kanton be­trächtlich.

Der direkte Gegenvorschlag zur SVP-Initiative respektiert zwar das NonRefoulement-Prin­zip, das einem Staat verbietet, einen Flüchtling in ein Land zurückzuschicken, in dem sein Leben gefährdet sein könnte. Hinsichtlich der Liste der Delikte, die eine Wegweisung zur Folge hätten, ist er jedoch nicht weniger hart. Ihm wurde ein Integrationsartikel beigefügt, der festhält, dass die Kantone Integrationsmass­nahmen ergreifen müssen. Die Finanzierung dieser Massnahmen hat jedoch die Hürden der parla­mentari­ schen Kommission nicht genommen. Somit dürften sie ein frommer Wunsch bleiben.

Fehlender Mut bei Mitte-Rechts Am 28. November braucht es also ein Nein zur Initiative und ein Nein zum Gegenvorschlag. Ein Ja zum Gegenvorschlag leugnet, dass Wegweisungen gemäss geltendem Gesetz schon heute möglich sind. Personen, die ihren Aufenthalt in der Schweiz missbrauchen, können ausgeschafft werden. In gewissen Fällen war eine Wegweisung ganz einfach nicht möglich, weil die erforderlichen Unterschriften auf den Rückübernahmeabkommen fehlten. Daran ändert aber auch der Gegenvorschlag des Bundesrates nichts. Es braucht ein doppeltes NEIN, weil die Linke diesen Vorschlag der MitteRechts-Parteien nicht mittragen kann, die – herausgefordert von der SVP – einmal mehr von ihren Prinzipien abgewichen sind und nicht den Mut aufbrachten, die Aus­schaffungsinitiative für ungültig zu erklären, wie es SP und Grüne forderten. Lassen wir uns am 28. November nicht von Angst und Irrationalität leiten!

standpunkt

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schweiz

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Arianit Lokaj lernt im Outlet strukturierter zu arbeiten und hat seine Führungsqualitäten entdeckt.

Mit 21 schon zu alt Ein Projekt des SAH Waadt konfrontiert junge VerkäuferInnen in einem Outlet-Laden mit den Gegebenheiten in der realen Arbeitswelt. Dies erleichtert ihnen den beruflichen Einstieg. Text: Alexandre Mariéthoz, Fotos: Robert Hofer

«Ich bin schüchtern und habe wenig Selbstvertrauen. Bei meiner Arbeit im Laden habe ich gelernt, mit Kunden umzugehen. Für mich hat ein neues Leben begonnen.» Juliana Groubel stammt ur-  sprünglich aus Madagaskar und ist vor zwei Jahren in die Schweiz ge­kom­men. Sie absolvierte eine Vorlehre im Outlet in Villeneuve, dank der es ihr bald gelang, eine Lehrstelle im Verkauf zu finden. Die Tatsache, dass sie bereits über konkrete Verkaufserfahrung verfügte, spielte da­bei eine grosse Rolle. «Mein Chef hat schnell gemerkt, dass ich schon im Verkauf ge­ arbei­tet habe», erzählt Juliana Groubel. Der Outlet-Laden von Le Coq Sportif (siehe Kasten) beschäftigt ausschliesslich zwei Lehrlinge und vier Vorlehrlinge, die von einer Detailhandelsangestellten betreut werden. Hier arbeiten die jungen Menschen unter Arbeits­markt-Bedingun-  gen: Mit den Einnahmen aus dem Verkauf muss ein Teil des Ladens finanziert werden. Geschäftsleiterin Anita Tissot erklärt:

«Das Innovative an diesem Projekt ist, dass Stellen in der realen Arbeitswelt an­ geboten werden.» Das Konzept scheint sich zu bewähren: 75 Prozent der jungen Menschen, die im Laden gearbeitet haben, finden eine berufliche Lösung.

Bewegungsdrang Die meisten Jugendlichen, die im Outlet ausgebildet werden, hatten aufgrund ihres Alters Mühe, eine Lehrstelle zu finden. Das gilt auch für Arianit Lokaj. Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit im Jahr 2002 begann der junge Mann aus dem Kosovo eine Lehre in einem Ver­ sicherungsunternehmen. Doch die Büro­ arbeit gefiel ihm nicht. «Ich muss mich  bewegen können, und Versicherungsausweise und Bescheinigun­gen auszustellen fand ich etwas langweilig.» Deshalb brach er seine Lehre im Alter von 19 Jahren ab, um sich dem Verkauf zuzuwenden. Dort erhielt er jedoch keine Lehrstelle. «Viele Unternehmen fanden mich zu alt.»

Von 2004 bis 2008 arbeitete er temporär, meist auf dem Bau. «Ich wohnte zwar noch bei meinen Eltern, aber ich musste trotzdem Geld verdienen, um meinen Anteil an Kost und Logis zu bezahlen. Als ich arbeitslos wurde, konnte ich das nicht mehr. So meldete ich mich 2006 bei der Sozialhilfe an.» Arianit erhielt finanzielle Unter­stützung und konnte an Integra­ tionsmassnahmen teilnehmen. Dennoch gelang es ihm nicht, eine Lehrstelle zu finden, und er arbeitete weiter in temporären Stellen.

Auf den Erfahrungen aufbauen 2008 meldete sich der junge Mann beim SAH Waadt, wo er lernte, seinen Lebenslauf ansprechender zu for­mulieren und seine Erfahrungen in ein besseres Licht zu rücken. Mit dieser Unterstützung fand er 2009 eine Lehrstelle im Outlet von Villeneuve. Heute ist Arianit Lokaj voller Tatendrang: «Bevor ich ins Outlet kam, hatte ich


Kolumne

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Hans-Jürg Fehr SAH-Präsident und SP-Nationalrat

Versagt

Dank der Arbeitserfahrung im Outlet-Laden hat Juliana Groubel eine Lehrstelle im Verkauf gefunden.

schon viele Erfahrungen gesammelt, die ich in meiner jetzigen Tätigkeit nutzen kann. Zudem lerne ich hier, strukturierter zu arbeiten und meine Zeit besser einzuteilen.» Parallel zu seiner Ver­kaufslehre absolviert er die kaufmännische Berufsmatura. Diese wird ihm die Türen zu den Fachhochschulen öffnen. Arianit möchte sich auf den Bereich Finanzmanagement spezialisieren.

Ein Team führen Wenn Arianit über die Vergangenheit spricht, spürt man manchmal eine leise Bitterkeit. «Ich habe teuer dafür bezahlt, dass ich nicht sofort die richtige Lehre gefunden habe.» Aber es ist nicht die Zeit der Reue, sondern die Zeit der Projekte: Er will das Eidgenössische Fähigkeitszeugnis erlangen und die Berufsmatura be­stehen. Sein Ziel ist es, irgendwann einmal ein Team zu führen. «Ich fühle mich fähig, andere Menschen zu motivieren und mehrere Dinge gleichzeitig zu mana-

gen. Und ich bin bereit, mich voll und ganz für meine Ziele einzusetzen.»

Ein Sprungbrett für den Arbeitsmarkt Seit Februar 2008 beschäftigt ein Outlet-Geschäft in Villeneuve zwei Lehrlinge und vier junge Lehrstellensuchende. Betreut von einer Detailhandelsan­ge­stell­ten arbeiten sie drei Tage pro Woche im Laden. Der Rest der Woche ist reserviert für Kurse, schulische und psychosoziale Unterstützung sowie die Lehrstellensuche. Das An­gebot wurde von der Genossenschaft Cooqpit geschaffen: Zu ihr zählen das SAH Waadt und die Firma AIRESIS, der unter anderem die Modemarke Le Coq Sportif gehört. Finanziert wird das Programm je zur Hälfte aus dem Verkaufserlös und mit Subven­tionen des Kantons Waadt.

Zur Jahrtausendwende beschloss die UNO ehrgeizige Millenniumsziele. Unter anderem sollte die Zahl der hungernden Menschen bis ins Jahr 2015 von einer ganzen auf eine halbe Milliarde reduziert werden. Dieses Ziel wird – wie alle anderen auch – verpasst, und zwar gründlich. Die Zwischenbilanz der Millenniumsziele am diesjährigen UNO-Gipfel in New York hat deutlich gemacht, dass die internationale Staatengemeinschaft vollständig versagt hat. Leider kann man die Schweiz von dieser Kritik nicht ausnehmen. Wenn’s hoch kommt, werden die eidgenössischen Räte demnächst eine bescheidene Aufstockung unserer Mittel für Entwicklungszusammenarbeit auf 0,5 Prozent des BIP beschliessen, aber das liegt noch weit weg vom Sollwert von 0,7 Prozent. Leider unterlässt es die schweizerische Handelsdiplomatie noch immer, in Freihandelsverträgen auf verbindliche Art und Weise soziale und ökolo­gische Mindeststandards einzubauen, die beide Seiten unter Androhung von Sanktionen durchsetzen müssen. Und leider schliesst die schweizerische Finanzdiplomatie weiterhin mit Entwicklungsländern entweder überhaupt keine Abkommen zur Bekämpfung der Steuerflucht ab oder dann solche ohne die Amtshilfe, die wir den OECD-Staaten zugestehen mussten. Mit anderen Worten: Es fehlt eine auf die Armutsbekämpfung ausgerichtete Aussenwirtschaftspolitik. Diese Aufgabe wird fälschlicherweise der Entwicklungszusammenarbeit überlassen, und die ist damit überfordert. Ohne eine kohärente Politik, die auch Steuer- und Handelsabkommen auf die Millenniums­ ziele ausrichtet, wird in fünf Jahren dasselbe festgestellt werden müssen wie in diesem Jahr: Die UNO und ihre Mitgliedstaaten haben versagt.


schweiz

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Anna Ganz unterstützt traumatisierte MigrantInnen bei der Bewältigung der Probleme, mit denen sie beim Schritt ins Arbeitsleben konfrontiert sind.

Eine Brücke zurück ins Leben Das Projekt Ponte unterstützt traumatisierte MigrantInnen bei der Integration in die Arbeitswelt. Zum Beispiel Albert Delija aus dem Kosovo oder Abiel Tarek aus Eritrea. Text: Katja Schurter, Fotos: Sabine Rock

Immer nervöser spielt Albert Delija mit seinen Fingern. Ganz offensichtlich quälen ihn die Fragen der Interviewerin, Antworten gibt er keine. Wir unterbrechen das Interview und gehen in die Werkstatt.

chen hat er im Hausdienst des Altersheims Buttenau in Adliswil ein halbjähriges Praktikum zu 50 Prozent begonnen. «Als er zu uns kam, war er niedergeschlagen und demotiviert», erzählt Zvenko Ljevar, der Chef des technischen Dienstes. «Die Arbeit tut ihm gut, auch wenn er schnell müde wird.» Albert Delija bestätigt diese Aussage: «Es ist für mich wichtig, dass ich eine Aufgabe habe.» Er ist Jurist, hat allerdings im Kosovo wegen des Kriegs als Automechaniker gearbeitet.

Was schreibt jemand, der zwölf Jahre im Gefängnis war, in den Lebenslauf ? Albert Delija sucht die Reinigungsutensilien zusammen, denn ihm wurde aufgetragen, die Fenster zu putzen. Verloren hält er inne: Wo sollte er die Fenster putzen? War es im Aufenthaltsraum? Auf halbem Weg muss er umkehren, weil er das Reinigungsmittel vergessen hat.

Eine Aufgabe haben Albert Delija hat den Krieg im Kosovo erlebt und ist im Ambulatorium für Folterund Kriegsopfer (AFK) in Behandlung. Seine Therapeutin machte ihn auf das Projekt Ponte aufmerksam, das traumatisierte MigrantInnen bei der Integration in die Berufswelt unterstützt. Vor zwei Wo-

Verlorenes Vertrauen «Viele Traumatisierte sind sehr misstrauisch», erklärt Anna Ganz, Projektleiterin von Ponte. «Neue Menschen und Situationen sind für sie schwierig. Ich brauche bis zu einem halben Jahr, um eine Arbeitsbeziehung aufzubauen.» Bei der Frage nach der Berufsbiografie zeigen sich bereits erste Schwierigkeiten: Was erzählt eine Person, die zwölf Jahre im Gefängnis war?

Wenn der Lebenslauf steht, wird ein Einsatzplatz für ein halbjähriges, unbezahltes Praktikum gesucht, damit sich die Teilnehmenden Arbeitstraining und fachliche Fähigkeiten aneignen können. Das Ziel ist, eine Stelle zu finden. «Ich setze mich dafür ein, dass die Leute auch eine Aus­ bildung absolvieren können, damit die berufliche Integration nachhaltig ist», erklärt Anna Ganz. Bis anhin haben elf Männer und fünf Frauen am Projekt Ponte teilgenommen, abgeschlossen hat es bis jetzt noch niemand.

Ausbildung als Pflegeassistent Abiel Tarek* arbeitet seit einem knappen Jahr in einem Wohnheim für körperlich Behinderte im Kanton Zürich. Er unterstützt die BewohnerInnen beim Toilettengang und beim Essen, dazwischen arbeitet er am Computer. «Zu Beginn hatte Abiel eine meterdicke Mauer um sich, keine Mimik bewegte sein Gesicht», erzählt sein Vorgesetzter. Kaum vorstellbar, dass er von dem jungen Mann spricht, der engagiert von seinen Zukunftsplänen erzählt. Nach Abschluss des unbezahlten Praktikums steht ihm ein re-


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Seine Arbeitsstelle ist für Albert Delija Herausforderung und Unterstützung zugleich.

guläres Praktikum in der Wohngruppe in Aussicht, in dem er sich für eine Ausbildung als Pflegeassistent qualifizieren kann. Es gefällt ihm hier: «Die BewohnerInnen sind jung, das ist besser als im Altersheim», meint er.

Handicap ist viel schwieriger therapeutisch anzugehen und der grössere Hemmschuh für die Integration als Krankheitssymptome», weiss Schick. Ausserdem fehlt den AFK-KlientInnen, was auf dem Arbeitsmarkt gefragt ist: «Sie sind nicht dynamisch, belastbar und flexibel, sondern Vom Hirten bis zum Anwalt haben Mühe, sich zu konzentrieren, oder «Wir gehen die Situation unserer Klien- sie haben Ausfälle nach einer schlaflosen tInnen ganzheitlich an», erklärt Leiter Nacht.» Umso mehr brauchen sie UnterMatthis Schick die interdisziplinäre Arbeit stützung bei der beruflichen Integration, des AFK. «Sie sind psychisch und körper- die für Matthis Schick auch eine geselllich beeinträchtigt, schlecht integriert, fi-  schaftliche Komponente hat: «Traumatinanziell am Limit und haben oft einen pre- sierte Kriegsveteranen in den USA haben kären Aufenthaltsstatus in der Schweiz.» ähnliche Probleme wie unsere KlientInPonte trägt zum Therapieerfolg bei, nen. Deshalb wurde für sie das Programm denn Arbeit ist wichtig für das Selbstwert- ‹American heroes at work› entwickelt. Die gefühl, und es geht darum, Brücken zu- Kriegsveteranen geniessen eine ganz anrück ins Leben zu bauen. Ihre beruflichen dere gesellschaftliche Unterstützung als . Voraussetzungen sind weit gefächert – Hier ist der prekäre Aufenthaltsstatus ein «vom Hirten, der zwei Jahre zur Schule riesiges Problem für die Behandlung.» ging bis zum Anwalt mit guten Deutschkenntnissen». Den Grund dafür, dass mehr Flucht als Deserteur Abiel Tarek ist aus Eritrea geflüchtet, Männer als Frauen am Projekt teilnehmen, vermutet Schick in den traditionellen Rol- um dem Militärdienst zu entkommen. Traumatisiert vom Krieg und der Flucht, lenvorstellungen seiner KlientInnen. Viele Traumatisierte haben das Ver- die ihn über den Sudan in ein libysches trauen in die Menschen verloren. «Dieses Gefängnis führte, kam er vor knapp drei

Jahren krank in die Schweiz. Er hatte Magenprobleme, und als er immer weiter abnahm, schickte ihn der Hausarzt ins AFK. «Er war ganz durchsichtig, als ich ihn kennen lernte», erinnert sich Anna Ganz. Noch heute will er sich nicht fotografieren lassen, weil er trotz Flüchtlingsstatus Angst hat, als Deserteur vom eritreischen Staat bis in die Schweiz verfolgt zu werden.

* Name geändert.

Ponte Ponte unterstützt traumatisierte MigrantInnen zwischen 25 und 45 Jahren, die im Ambulatorium für Folter- und Kriegsopfer (AFK) in therapeutischer Behandlung sind, beim Einstieg in den Arbeitsmarkt. Finanziert vom Bundesamt für Migration, wird Ponte gemeinsam vom SAH Zürich und AFK durchgeführt. Das Pilotprojekt bietet seit einem Jahr Coaching und Begleitung und wurde im Sommer 2010 um zwei Jahre verlängert.


notizen

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Check deine Gemeinde! Steuergerechtigkeit – umverteilen! Weltweit werden 12 Millionen Menschen als SklavInnen gehalten und 218 Millionen Kinder zum Arbeiten gezwungen. 1,2 Milliarden Menschen arbeiten für Löhne unter zwei Dollar pro Tag. Das sind knapp 20 Prozent der gesamten Weltbevölkerung. Für diese Zustände tragen die reichen Staaten eine Mitverantwortung. Viele dieser Menschen werden ausgebeutet, damit wir hier Billigprodukte einkaufen können. Auch viele Schweizer Gemeinden schauen beim Einkauf von Waren nur auf den Preis. Sie nehmen damit Ausbeutung, Sklaverei und Kinderarbeit in Kauf. Dass es anders geht, zeigen hundert Gemeinden, die sich auf eine faire Einkaufspolitik verpflichtet haben. Auf unserer Webseite können Sie mit zwei Klicks nachschauen, ob Ihre Gemeinde bereits fair einkauft – und falls nicht, können Sie die Verantwortlichen mit einer E-Mail zum Handeln auffordern. Bereits haben über 2000 Menschen bei unserer Aktion mitgemacht – und rund 40 Gemeinden haben zugesagt, dass sie ihre Einkaufspolitik überdenken wollen. www.check-deine-gemeinde.ch

Rechtzeitig zur Volksab­stimmung «Für faire Steuern» erörtert die Zeitschrift «Widerspruch» die Fragen der aktuellen Steuerdebatte in der Schweiz. Die Strategien der Steuerver­meidung und -hinterziehung der multinationalen Konzerne bleiben ein Skandal, wie Bruno Gurtner schreibt. Den Auswirkungen der öffentlichen Budgetpolitik auf die vorwiegend von Frauen getragene unbezahlte Versorgungs- und Betreuungsarbeit geht Mascha Madörin nach. www.widerspruch.ch

Cartoon von ANNA

Gemeinsam gegen Jugendarbeitslosigkeit Im September haben die zehn SAHRegionalvereine das Projekt Coaching Transition 2 lanciert. Es richtet sich an Lehr- und StudienabgängerInnen zwischen 18 und 30 Jahren, die auf der Suche nach ihrer ersten Arbeitsstelle sind. Während vier Monaten erhalten sie Einzelcoaching und Bewerbungs­ training. Das SAH akquiriert auch Arbeitsstellen. 600 Jugendliche können sich jährlich am Projekt beteiligen, das von der Credit Suisse für drei Jahre finanziert wird. www.ct2.ch


Spenden

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Schenken Sie ein Velo Auch dieses Jahr können sie die beliebten SAH-Karten verschenken. Mit dem Kauf einer Geschenkkarte unterstützen Sie unsere weltweiten Entwicklungsprogramme. Text: Rosanna Clarelli

Oder schenken Sie…

… ein Alphabet, damit Bäuerinnen und Bauern in Burkina Faso lesen lernen. … Gerechtigkeit für die Landarbeiterinnen auf den Obstplantagen in Südafrika. … eine Radiosendung, die Zuckerrohrarbeiter in Bolivien über ihre Rechte informiert. … eine Hühnerschar, die einer Familie in Burkina Faso die Existenz sichert.

Weitere Unter­­stüt­zungsformen Nachlass-Spenden In unseren Merkblättern finden Sie wertvolle Tipps zu Erbrecht und Testament. Siehe auch www.sah.ch/testament Regelmässige Spenden Mit einem Lastschrift-Auftrag bei der Post oder Ihrer Bank können Sie das SAH regelmässig unterstützen, ohne dass Ihnen oder uns Kosten entstehen. Anlass-Spenden Sei es bei einer Geburt, einer Jubiläumsfeier, einem runden Geburtstag, einer Hochzeit oder der Pensionierung: Berücksichtigen Sie das SAH an Ihrem Fest. Bestellen Sie die Unterlagen mit beiliegendem Antwort-Talon.

Ein Velo für die RückkehrerInnen

So einfach funktioniert es:

Nach dem Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka im Mai 2009 sind über 250 000 Flüchtlinge in Lagern in der Region Vavuniya festgehalten worden. Auf internationalen Druck wurde ihnen vor einem Jahr endlich erlaubt, nach Hause zurückzukehren. Seither konnten 160 000 Menschen die Lager verlassen und an ihre Wohnorte zurückreisen. Da die Infrastruktur ihrer Dörfer zerstört worden ist, müssen sie grosse Distanzen zurücklegen, um Zugang zu Wasser, Schulen, Gesundheitsversorgung und Arbeitsmöglichkeiten zu erhalten. Öffentliche Transportmittel gibt es kaum. Damit benötigte Güter transportiert werden und Lehrerinnen und Schüler wieder in die Schule gelangen können, hat das SAH den RückkehrerInnen 1100 Velos mit Transportkisten verteilt.

• Tragen Sie auf dem beiliegenden vorfrankierten Antwort-Talon Ihre Bestellung ein. • Sie erhalten vom SAH umgehend die gewünschten Karten mit Couvert im Wert von je 50 Franken und einen Einzahlungsschein. • Sie können Ihren eigenen und den Namen der beschenkten Person in die Karte eintragen. • Wir garantieren Ihnen die Lieferung der Geschenkkarten vor Weihnachten für alle Bestellungen bis zum 17. Dezember 2010. Haben Sie noch Fragen? Dann kontaktieren Sie uns bitte unter 044 444 19 19 oder info@sah.ch


einblick

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Engagement für soziale Gerechtigkeit Tomasa Cortedano von der Gewerkschaft ATC berät Land­ arbeiterInnen in Nicaragua bei Arbeitsrechtsverletzungen. Ende Jahr schliesst sie ihr Studium als Anwältin ab. Text: Katja Schurter, Foto: SAH «Die Gesetze sind da, doch wenn niemand gegen Arbeitsrechtsverletzungen klagt, werden sie nicht durchgesetzt», weiss  Tomasa Cortedano aus Erfahrung. Seit  15 Jahren arbeitet sie bei der Beratungsstelle der LandarbeiterInnengewerkschaft ATC in Managua, an die sich die ArbeiterInnen bei Arbeitsrechtsverletzungen wenden können. Jährlich melden sich etwa 2800 Personen, sei es, weil ihnen der Mindestlohn von 4.30 Franken pro Tag nicht bezahlt, ihnen missbräuchlich gekündigt oder bezahlte Ferien verweigert wurden. «Wir besuchen die Haciendas, wo der

Radio darüber, dass dieser Mann Frauen belästigt hat. Normalerweise lässt er dann von weiteren Belästigungen ab.» In Radiosendungen thematisiert Tomasa Cortedano das Recht der ArbeiterInnen, sich zu organisieren, sozial abgesichert zu sein und Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. Sie vermittelt auch praktische Informationen, zum Beispiel über die derzeit sehr hohen Kaffeepreise: «So können die ArbeiterInnen höhere Löhne verlangen.» Das Frauensekretariat des ATC kämpft auch für den Landbesitz von Frauen. «Wenn der Vater stirbt, geht das Land an die Söhne, nicht an die Töchter», erklärt Tomasa Cortedano. Damit Frauen Land erhalten, wurde am 5. Mai dieses Jahres ein Gesetz verabschiedet: «Das Gesetz 717 schafft einen Fonds, um Frauen mit Krediten den Kauf von Land zu ermöglichen.» Wann jedoch die Regierung das Geld für diesen Fonds zur Verfügung stellt, ist unklar.

«Wenn es weniger Arbeit gibt, werden zuerst die Frauen entlassen.» Mindestlohn nicht bezahlt wird, und zeigen die Arbeitgebenden beim Arbeitsministerium an», erklärt Tomasa Cortedano. «Dieses führt daraufhin Inspektionen durch, und die Fehlbaren werden gebüsst.» Die Beratungsstellen des ATC streben bei Arbeitsrechtverletzungen auch Prozesse an – 2009 waren es 1225, von denen nicht einer verloren wurde. Ausserdem gelang es, eine Erhöhung des Mindestlohnes für LandarbeiterInnen um 13 Prozent durchzusetzen.

Kampf gegen Belästigung «Wenn es weniger Arbeit gibt, werden zuerst die Frauen entlassen», sagt Tomasa Cortedano. Frauen sind auch häufig von sexueller Belästigung durch ihre Vorgesetzten betroffen. «Wenn wir davon erfahren, informieren wir im Fernsehen und

Bereits als 15-Jährige aktiv Tomasa Cortedano setzte sich bereits als 15-Jährige für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen ein: «Ich brachte den Leuten auf dem Land Lesen und Schreiben bei.» Sie hatte damals gerade die dritte Klasse der Primarschule abgeschlossen. Daneben arbeitete sie auf einer Hacienda. «Mein Vater starb, als ich neun Jahre alt war, deshalb musste ich arbeiten, um meine Mutter und meinen kleinen Bruder zu unterstützen.» In den 1990-  er-Jahren holte Tomasa Cortedano die Sekundarschule nach und studiert nun mit Unterstützung des SAH Jus. «Im De-

zember schliesse ich mein siebenjähriges Studium ab», berichtet sie stolz. «Ich freue mich darauf, den Leuten weitergeben zu können, was ich gelernt habe.» Neben dem Studium und der Arbeit für den ATC – für die sie lediglich eine Spesenentschädigung erhält – baut sie Gemüse für den Eigenkonsum an, ist Schulpräsidentin und unterstützt Menschen, die sie wegen ihrer juristischen Kenntnisse aufsuchen.

Ein Computer und Austausch Tomasa Cortedano hat auch drei Kinder aufgezogen. Die 20-jährige Tochter und der 24-jährige Sohn leben nicht mehr zuhause, das dritte Kind ist gestorben. Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit ist ihr wichtig. Auf ihre Zukunftswünsche angesprochen, meint sie: «Ich hätte gerne einen Computer und möchte mich mit Frauen auf der ganzen Welt darüber aus-  tauschen, wie wir uns organisieren, um unsere Lebensbedingungen zu verbessern.»

Gewerkschaft für LandarbeiterInnen Seit 2001 unterstützt das SAH den Aufbau eines Netzwerks von Rechtsberatungsstellen für LandarbeiterInnen. Dort berät die LandarbeiterInnengewerkschaft ATC jährlich 20 000 Menschen in Fragen der Arbeitsrechte. ATC betreibt auch Radioprogramme und bildet GewerkschaftsführerInnen an der Basis aus. Das Frauensekretariat des ATC setzt sich für die Organisierung der Frauen und die Verbesserung ihrer Arbeitsrechte ein.


einblick

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Tomasa Cortedano setzt sich f端r die Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen und der Frauen in Nicaragua ein.


«Endlich konnten wir den Schlamm und den Schutt wegräumen.» Das SAH unterstützt die Opfer der Überschwemmungen in Pakistan.

www.sah.ch


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