Reisetagebuch Bolivien

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REISE–TAGEBUCH BOLIVIEN Christof Hotz 22.11.2010 – 3.12.2010

Oben: Strasse durchs Hochland zwischen Oruro und El Alto Unten: Strasse in Rurrenabaque (Amazonas Tiefland)

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Der Reisebericht.................................................................................................................... 3 Reise und Ankunft in La Paz.............................................................................................. 3 Fenatrahob ........................................................................................................................ 6 Fahrt nach Coroico ............................................................................................................ 9 Partnertreffen in Coroico...................................................................................................10 Gespräch mit Soledad Machaca Mayta, Schauspielerin des AltoTeatro, 18 Jahre ........12 Oruro – Huanuni ...............................................................................................................14 Rafael Altamirana, Sekundarlehrer und Comunicador Local in Huanuni, 36 Jahre, erzählt ...........................................................................................................................17 Oruro-Huanuni-Oruro-La Paz............................................................................................21 La Paz Padem ..................................................................................................................25 Rurrenabaque...................................................................................................................26 Rurrenabaque-La Paz.......................................................................................................31 La Paz – Zürich.................................................................................................................34 Schlussgedanken .............................................................................................................34 Anhang - Ergänzende Infos..................................................................................................35 Hintergrundinfo Bolivien –– Joachim Merz ........................................................................35 Jugendliche als demokratische Hoffnungsträger ...........................................................35 Faire Arbeitsbedingungen: ein Schlüssel in der Armutsbekämpfung .............................36 Förderung der Demokratie auf Gemeindeebene – Padem – Joachim Merz ......................36 Die Anliegen der Bevölkerung ernst nehmen.................................................................36 Beratung der Gemeindebehörden .................................................................................36 Die Herausforderungen der neuen Verfassung .............................................................37 Kontakte........................................................................................................................37

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21.11. - 22.11.10 La Paz und der Illimani (6439 m.ü.M.)

Der Reisebericht Reise und Ankunft in La Paz Landung nach langer Reise in El Alto. Es ist Montagabend, 22.11. 2010 etwa 21 Uhr Ortszeit. El Alto (4100 m.ü.M, also rund 500 m höher als das Jungfraujoch) war bis 1985 ein Stadtteil von La Paz. Es hat in den letzten 20 Jahren seine Einwohnerzahl gut verdoppelt. Mit heute rund 990'000 Einwohnern wurde La Paz (rund 897'000 Einwohner) überflügelt. El Alto ist jetzt die zweitgrösste Stadt Boliviens nach Santa Cruz (1'686'000 Einwohner). Zusammen mit La Paz bildet El Alto den grössten Ballungsraum Boliviens. Martín Pérez Bustamante, der Vertreter von Solidar Suisse in Bolivien, holt uns ab. Wir, das sind Joachim Merz, der Programmkoordinator für Bolivien, und ich. Es gibt Coca-Tee aus der Thermoskanne, der gegen die Höhenkrankheit Sorochi helfen soll. Der Flughafen, früher allein auf weiter Flur, liegt inzwischen mitten in El Alto. Gleich umfängt uns auch der hektische Lärm und das Chaos der bolivianischen Strassen. Es ist etwa halb zehn, aber noch immer rasen die Autos auf allen Spuren der geraden Strecken, bremsen brüsk vor Schwellen oder Strassengräben und geben wieder Vollgas. Dabei stinken und qualmen die Motoren um die Wette. Auf Kreuzungen wird gehupt und gedrängelt, alles ist in Bewegung. Privatautos, Busse, Lastwagen, alt und neu bunt gemischt. Die Fahrt geht durch das Rotlichtviertel, das nahtlos mit den armen Quartieren der Zuzüger vom Altiplano und den Randständigen verzahnt ist. Ein Quartier, in dem man nachts als Nicht-Einheimischer nicht unbegleitet unterwegs sein sollte… Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Am Strassenrand sitzen Trinker, Frauen in traditionellen Aymara-Trachten verkaufen ihren Krimskrams, während die Kinder daneben spielen oder schlafen. Dann bricht die Strasse über den Rand der Hochebene. Vor uns breitet sich das Lichtermeer von La Paz1 aus, das den Talkessel des Rio Chokeyapu ausfüllt und an den schroffen Hängen hochschwappt. Es ist ein traumhaftes Bild. In steilen Kurven geht es dann hinunter in die Stadt. Durch ein lehmiges, staubiges Quartier, in dem immer wieder Häuser abrutschen, Leitungen bersten und Erdrutsche Menschenleben fordern, denn es wird regellos gebaut. Ich habe Herzklopfen und Schmerzen im Hinterkopf. Ich bemühe mich, bewusst und ruhig zu atmen, dann gibt es keine Probleme. Nur wenn die Panik zuschlägt und der Atem hektisch wird spüre ich Atemnot. Wir fahren nach Sopocachi, zur Plaza España. Dort liegt unser Hotel, wenige Schritte vom Solidar Suisse2 Koordinationsbüro entfernt. Sopocachi ist ein altes Wohnquartier, rund 400 m tiefer als der Flughafen – und noch 600 Höhenmeter über dem Villenquartier Zona Sur. Der Talkessel schützt La Paz vor den eisigen Winden des Altiplano (Hochebene) und verschafft der Stadt ein angenehmes Klima.

23.11.2010 Die erste Nacht in Bolivien. Ich schlafe schlecht, fühle mich am Morgen etwas fiebrig. Am Nachmittag ins Büro, dort lerne ich unsere Mitarbeiterinnen Gladys und Scarlett kennen.

Gladys

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Scarlett

Mit vollem Namen: Nuestra Señora de La Paz (Unsere liebe Frau des Friedens) In Bolivien noch bis etwa Ende 2011 AOS (Ayuda Obrera Suiza) Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Mit dem Taxi fahren wir zur Plaza Murillo, wo die Regierung gerade über das neue Rentengesetz verhandelt. Dieses Gesetz ist eigentlich sehr fortschrittlich, wie auch das Arbeitsgesetz aber arbeitgeberfeindlich: Die Abgaben sind derart hoch, dass sie mit einer normalen Wertschöpfung kaum abgefangen werden können. Deshalb werden keine neuen formellen Arbeitsplätze geschaffen – und das in einem Land, bei dem 80% der Bevölkerung informell beschäftigt sind! Das scheint nicht der richtige Anreiz zu sein. Die grosse Informalität führt dazu, dass an jeder Ecke Marktstände stehen, die von Fruchtsäften, Früchten und Gemüsen über Coca-Blätter bis zu Ramschartikeln aus China oder anderen Billiglohnländern alles Mögliche feilbieten, auch Schmuggelware. Die Regierung drückt beide Augen zu, werden diese Stände doch meist von Indigena3Frauen – hier vor allem Aymaras – betrieben. Frauen, die in ihren bunten Trachten und dem schräg aufgesetzten Hut unbeweglich neben oder zwischen ihren Artikeln sitzen, den ganzen Tag lang die Abgase einatmen und den Lärm und das Chaos ertragen, in der Hoffnung, ein paar Bolivianos zu verdienen4.

Joachim Merz, Christof Hotz und Martín Pérez auf der Plaza Murillo (von links)

Der öffentliche Verkehr ist vollständig in privaten Händen. Überall hat es Taxis, die beim Vorbeifahren hupen, um einen anzulocken. Dann gibt es die Micros, private Kleinbusse mit festen Routen, an denen man überall einund aussteigen kann. Oft steht in der immer offenen Tür ein Ausrufer oder eine Ausruferin, und schreit die Route und die Preise heraus. Es gibt auch grössere Busse, alte, längst ausgemusterte amerikanische Schulbusse in allen Farben, oft mit einem grossen Bild hinten drauf. Alle diese Busse, Kleinbusse und Taxis kannibalisieren sich gegenseitig und verpesten die Luft mit ihren alten, schlecht eingestellten Motoren und dem Billigdiesel miesester Qualität aus Venezuela.

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Gemeint sind die indianischen Völker Aymara, Quechua, Guarani etc. 7 Bolivianos (abgekürzt Bs.) entsprechen ca. 1 CHF Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Fenatrahob In einer steilen Nebenstrasse steht ein altes Haus. Am Holztor klebt ein Flyer, der auf eine Veranstaltung von Fenatrahob5 hinweist. Wir gehen durch einen langen düsteren Gang. Eine Treppe hoch und in einen Raum für etwa 60-70 Menschen mit dunklen Holzbänken. An den Wänden ein Transparent von Fenatrahob, über der Bühne ein martialisches Transparent und Embleme der Besitzer dieser Räume: die COB (Central Obrera Boliviana – Gewerkschaftsdachverband). Hier also findet die Startveranstaltung zum neuen Gratis-Beratungstelefon der Fenatrahob statt.

Die Leiterin von Fenatrahob, Daniela Quenta (rechts), und die Radiosprecherin Yolanda Mamani begrüssen sich.

Es laufen laute, alte revolutionäre Lieder zu traditioneller Musik. Wir warten etwa eine Stunde. Der Raum füllt sich mit dreissig Frauen, die meisten in der Tracht der Indigenas, einige mit kleinen Kindern. Viele wirken alterslos. Ich lerne, dass die unübersehbare Leibesfülle Wohlstand signalisieren soll – was aber gerade hier wohl oft nicht der Fall ist. Joachim und Martín werden herzlich begrüsst und plaudern mit alten Bekannten. Dann kommt der offizielle Teil. Yolanda Mamani, die für Fenatrahob jeden Tag eine einstündige Sendung auf einem feministischen Radiosender moderiert, eine selbstbewusste, quirlige Indigena, begrüsst die Gäste. Auf dem Podium, neben Martin Perez und Daniela Quenta, der jungen Secretaria Ejecutiva, ein Funktionär des Vizeministeriums für Dekolonisation und hoher MAS6-Mann. Der MAS platziert seine wichtigsten Leute nicht unbedingt an Spitzenpositionen. Minister sind oft Symbolfiguren, wirklich entscheiden tun Leute wie dieser Compañero-Funktionär. 5

Federación Nacional de Trabajadoras del Hogar de Bolivia, die Gewerkschaft der Hausangestellten und eine unserer Partnerorganisationen. Mehr unter www.fenatrahob.org (nur spanisch) 6 Movimiento al Socialismo, Regierungspartei unter Evo Morales, mehr dazu im Anhang Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Martin spricht kurz von der Bedeutung von Fenatrahob und der neuen Beratungsstelle, der Funktionär redet lang und anekdotisch. Am Schluss verspricht er, die Nummer der Hotline auf staatlichen Spots zu veröffentlichen. Daniela Quenta bleibt wortkarg, dankt allen Beteiligten und wünscht dem Projekt gutes Gelingen. Die Radiospots, die auf den Dienst verweisen, werden vorgestellt. Sie beginnen immer mit einer Frage. Dann kommt der Hinweis auf den Dienst mit einem Jingle der Telefonnummer und der Slogan von Fenatrahob, dass sie stolz für würdige Arbeit einstehen. Nachher gibt’s süssen bolivianischen Wein zum gemeinsamen Anstossen und köstliche Tucumanes, süsssalzige Krapfen, die mit Eiern, Fleisch und Gemüsen gefüllt sind. Yolanda Mamani, der Regierungsvertreter, Daniela Quenta und Martín stossen auf die neue Beratungshotline an

Dann stellt uns Marisol Murillo, unsere Projektverantwortliche und Stellvertreterin von Martin, die Frau vor, die das Telefon bedient. Sie heisst Rosa Linda Miranda und ist 46 Jahre alt. Sie trägt ein rosarotes Indigena-Gewand. Sie erzählt uns, dass sie selbst als 14-Jährige angefangen hat, als Hausangestellte zu arbeiten. Von morgens sechs bis abends um elf Uhr. 17 Stunden! Sie ist sehr froh um die neuen Gesetze, die einen Arbeitsvertrag, zumindest einen mündlichen, vorschreiben und geregelte Arbeitszeiten garantieren (8 Stunden Arbeitstag, 6 Tage die Woche und geregelte Ferien). Obwohl das Telefon noch nicht offiziell lanciert ist, bekommt sie schon täglich Anrufe (zwischen 1 und 15). Etwa gleich viele von Hausangestellten wie von Arbeitgebern (34 Arbeitgeber, 29 Hausangestellte). Diese wollen vor allem wissen, was der Mindestlohn sei (rund 680 Bs. pro Monat) und was die Arbeitszeiten. Von Angestelltenseite kommen viele Fragen zu den Ferienansprüchen. Einige rufen auch aus Dörfern an und fragen, wie sie in der Stadt Arbeit finden können. Es haben auch schon andere LandarbeiterInnen aus entfernten Departementen angerufen und arbeitsrechtliche Fragen gestellt. Das Arbeitsministerium hat davon Wind bekommen und will nun selbst Hotlines in verschiedenen Departementen einrichten.

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24.11.2010 Wir fahren mit dem Taxi zu einem Haus, das in keiner Art und Weise bezeichnet ist. Marisol weiss, welche der vier in Kopfhöhe in alle Himmelsrichtungen montierten Klingeln sie drücken muss. Nach einiger Zeit kommt Maria öffnen. Sie ist eine kleine Indigena-Frau, die am Vorabend die Präsenzliste geführt hat. Sie führt uns in einen Innenhof, der umgeben ist von halbfertigen Häusern. Wir steigen auf einer offenen Wendeltreppe in den zweiten Stock. Dort sind die Büros von Fenatrahob in einer altmodisch dunkel möblierten Wohnung. Wir sehen die neue Hotline: In einer fensterlosen, kühl ausgeleuchteten Nische stehen ein grosser Computer und ein Telefon. Die Anwältin, eine lebhafte und humorvolle Frau, erklärt die Datenbank der Gesetze und Vorschriften, die sie erstellt und nach Stichworten geordnet hat.

Besprechungsrunde im Büro von Fenatrahob

Die verantwortliche Juristin

Und auch, dass alle mit Rosa Linda sprechen möchten. Diese wird gezielt als die Autorität aufgebaut, denn viele Hausangestellte schrecken zurück vor der Doctora und verstummen. Rosa Linda aber ist eine von ihnen!

Daniela Quenta

Ein Medienbericht über das Beratungstelefon

Yolanda Mamani

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Yolanda (die vom Radio) erzählt viel und lebhaft mit melodiöser Stimme. Daniela sagt wenig, ist sehr verschlossen im Gesicht. Sie spricht von Vertrauen. Aber wir haben das Gefühl, dass sie uns (noch) nicht ganz vertraut. Sie ist auch erst wenige Monate im Amt und sehr jung (ca. 25J). Vielleicht erklärt auch die jüngere Geschichte von Fenatrahob das mangelnde Vertrauen: Die vorhergehende Leitung liess auf Druck des MAS ihre Forderungen zu Gunsten der Hausangestellten fallen. Daniela hat sie wieder erhoben. Uns erscheint nicht alles ganz berechtigt. Es geht halt um einen grundsätzlichen Gedanken: Die jetzige Directiva (vor allem Daniela und Yolanda) bestehen darauf, dass für die Hausangestellten besondere Punkte in das allgemeine Arbeitsgesetz aufgenommen werden. Die Juristinnen und AOS finden eher, es braucht ein allgemeines Arbeitsgesetz, das die Arbeitszeiten, die Krankenversicherung und die Altersvorsorge regelt. Der Rest soll in Sektorgesetzen festgehalten werden. Aber es fällt den Verantwortlichen manchmal schwer, über ihre eigenen Bedürfnisse hinauszudenken.

Fahrt nach Coroico Nach dem Mittagessen geht’s los in die Yungas: Eine mehr als dreistündige Fahrt auf sehr unterschiedlichen Strassen. Zuerst geht’s auf Asphalt bis auf 4600m hoch. Karge Passlandschaft, früher ganzjährig mit Schnee bedeckt, ein dramatisch leerer Stausee, Lamas in allen Farben, zum Teil geschmückt mit roten Glücks-Zötteli. Polizeikontrolle, Strassengebühr, Marktstände – über den Pass und eintauchen in den Nebel.

Eine Lamaherde auf der Passhöhe (4'600 m.ü.M.)

Verkaufsstände bei der Strassenkontrolle

Die Strasse windet sich die Kordillerenhänge hinunter. Es wird wärmer, die Vegetation üppiger.

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Kurz vor den Yungas eine gross aufgemachte Kontrolle der Drogenpolizei – wir werden müde durchgewinkt. Dann noch ein Stempel auf die Strassengebühr-Karte und weiter ins Tal. Durch eine Zone, die derart instabil ist, dass die Strasse nicht asphaltiert oder mit Betonplatten gebaut ist, sondern mit Kopfsteinpflaster. Risse in den Stützwänden zeigen die gewaltigen Kräfte der Natur. Wir fahren hinunter bis fast auf 1’200m. Etwas entfernt auf einem Bergsporn sehen wir Coroico auf 1740 m.ü.M. Am Gegenhang eine hoch hinauf ausgebrannte Schneise im Wald: Für ein kleines Coca-Feld. Bis dahin ist es aber noch etwa eine halbe Stunde auf staubiger, steiler Strasse. Alles grünt, wir sehen reifende Bananenstauden und überall bunte Blüten. Wir machen eine kurze Pause auf dem Dorfplatz, der sehr belebt ist. Auch hier überall die Marktstände der Frauen. Auffällig viele Restaurants und Bars. Dann weiter durchs Dorf bis in unser Hotel etwas ausserhalb. Es liegt wunderbar mit Ausblick auf das Tal, leider ist immer noch alles nebelverhangen. Fremde Vogelstimmen zwitschern, schimpfen oder flöten, Grillen zirpen Tag und Nacht. Im Hotel gibt es herrliche, frische Fruchtsäfte; Wassermelonen, Limetten, Papaya, Mango und einen Saft, der mit eingelegten Leinsamen und Zucker hergestellt wird. In der Nacht ein gewaltiger Sternenhimmel: Die Milchstrasse zieht über den ganzen Himmel. Ich finde das Sternbild Orion – aber auf dem Kopf stehend, das Schwert zeigt nach oben.

Unser Hotel in Coroico

Besprechung in einer Gruppe

Partnertreffen in Coroico Das Treffen beginnt mit der Begrüssung und einer Vorstellungsrunde. Es sind etwa 30 Personen anwesend: das ganze Büro von Solidar Suisse, der Grossteil des Padem7 und viele Partner. Als Einstieg spielt das AltoTeatro von Freddy Chipana und Andrea Riera das Stück En una plaza8. Je vier junge Frauen und Männer spielen rasant und mit unglaublicher Intensität Szenen aus dem Alltag. Es geht um Gewalt, Polizeiwillkür, Ausgrenzung und Liebe. Ich habe kaum etwas vom Dialog verstanden, trotzdem bin ich mit den grossen Linien mitgekommen und sehr beeindruckt von der Eindringlichkeit und Klarheit der Aussage. 7

Programa de Apoyo a la Democracia Municipal (Programm zur Stärkung der Demokratie): Ein grosses Programm, das wir im Auftrag der DEZA durchführen. www.padem.org.bo/. Genaueres siehe Anhang 8 Übersetzt: Auf einem Platz Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Am Schluss des Stücks, nach maximaler Entfremdung, gegenseitiger Überlistung und Gewalt keimt eine Lösung auf. Die Szenerie verwandelt sich vollständig zu einem eindrücklichen, nachdenklich stimmenden Schlussbild.

Eine gewalttätige Szene auf dem Platz

Die SchauspielerInnen bedanken sich

25.11.2010 Das Thema des Treffens heisst Diskriminierung. Es werden persönliche Beispiele ausgetauscht von Diskriminierungen, die oft aufgrund der Hautfarbe oder des Geschlechts gemacht werden. Martín definiert Diskriminierung als eine wiederholte, absichtliche Missachtung des Respekts vor anderen Personen. In Gruppenarbeiten werden Teilaspekte diskutiert. Ein grosses Problem für die Non-Discriminacion oder Igualdad sind die kommunitären Regelungen. In den Dörfern herrscht neben dem gewählten Alcalde9 jeweils noch ein traditioneller Mallku10. Daraus entstehen oft Reibereien und Rechtsunsicherheit.

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Bürgermeister Indianischer Dorfchef, Mallku heisst übersetzt Kondor

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Am Abend wird Billard und Tischfussball gespielt. Vergessen ist, dass ich am anderen Ende der Welt bin: es gelten das gleiche Lachen, die gleichen Spiele…

Gespräch mit Soledad Machaca Mayta, Schauspielerin des AltoTeatro, 18 Jahre Sie lebt in La Paz und hat eben die 4. Sekundarschule abgeschlossen (in etwa Matur). Sie will an der UMSA (Universität La Paz) Industrieingenieur studieren. Sie kam vor einem Jahr zum AltoTeatro. Ihr erstes Stück hiess „Auf die Plätze“ und zeigte die Probleme der Jugendlichen. Das Stück wurde von Jugendlichen aus El Alto und La Paz erarbeitet. Es wurde dann in sieben Städten im ganzen Land mit viel Erfolg gezeigt. Soledad im Gespräch mit Joachim Merz

Das jetzige Stück „En una plaza“ wurde bereits in 29 Sekundarschulen in La Paz aufgeführt – in allen Teilen der Stadt, vom armen Norden bis zum reichen Süden. „Es ist ein eher gewalttätiges Stück und wird mit grosser Intensität gespielt. Die erste Reaktion der SchülerInnen ist immer ein Lachen. Das Tragische dabei ist, dass sie über ihre eigene Realität lachen!“ Am Schluss bleibt oft eine nachdenkliche Stimmung. Soledad hofft, dass die Jugendlichen hier erreicht werden und verinnerlichen, dass sie ihre eigene Haltung verändern müssen. Am Schluss der Aufführungen entstehen nicht immer offene Diskussionen, bisweilen aber doch. Für die SchülerInnen ist Theater primär Unterhaltung. Aber es ist auch ein Mittel, schwierige oder komplexe Themen wie Demokratie, Bürgerrechte oder Sexualität unmittelbar zu vermitteln. In der Schule werden diese Themen oft sehr theoretisch vermittelt. Theater soll ein Instrument zur Reflexion sein. Lehrkräfte nehmen die Themen zum grossen Teil im Unterricht wieder auf uns führen sie weiter. Von ihnen kommt grosse Unterstützung. Sie empfehlen das Stück auch weiter, da viele in mehreren Schulen beschäftigt sind. Es

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kommt auch vor, dass Lehrkräfte selbständig auf die Theaterform zurückgreifen, um komplexe Themen zu vermitteln. Nächstes Jahr wird ein anderer thematischer Schwerpunkt gewählt. Jede Partnerorganisation, die an dem Projekt teilnimmt erarbeitet ihr eigenes Stück. Soledad findet, sie sei im letzten Jahr sehr viel kritischer und engagierter geworden. Früher war für sie der Begriff Demokratie sehr positiv besetzt: das beste aller Herrschaftssysteme. Demokratie ist Partizipation, Toleranz und Gleichberechtigung, die Meinung aller wird respektiert. Heute ist sie enttäuscht. Die reale Demokratie in Bolivien sieht sie nur noch als politisches Schlagwort, das nichts an der Willkür ändert. Sie fragt sich, wie das herauskommen wird, wenn die Jugendlichen von heute – welche die politische Führung von morgen wählen und später selber werden – Demokratie nur als inhaltsleeres Schlagwort verstehen? Das macht ihr Angst. Für Soledad persönlich hat sich auch viel verändert. Seit sie beim Theater ist, diskutiert sie mehr und engagierter. Sie geht auch nicht mehr indifferent weiter, wenn jemand etwas schlecht macht, zum Beispiel seinen Müll auf die Strasse schüttet. Der Prozess der Theaterkreation hat ihr gezeigt, dass die Meinungen der anderen genauso wichtig sind wie die eigenen. Sie will mit gutem Beispiel vorangehen als „Motor der Veränderung“ in ihrem persönlichen Umfeld. Sie will ein Körnchen zur Veränderung beitragen und auch weiter Theater spielen. Dann dankt sie uns für die Finanzierung und Unterstützung. Sie ist überzeugt, dass nur auf diese Art so viele Leute erreicht werden können. Sie ist eine engagierte und intelligente junge Frau, sehr beeindruckend und ermutigend! Ein Beispiel für das, was wir erreichen möchten.

26.11.2010 Ein Marathonmorgen folgt, an dem sich verschiedene Partner vorstellen. SLIM (Cynthia - Tihuanaco): Lokale Anlaufstellen gegen Gewalt und Ausgrenzung. Sie erzählt, dass sie besonders von indigenen Frauen und Jugendlichen genützt werden. Radio Salamandra (Angel – La Paz) : Radio für Junge in allen Departementen. Es werden Themen der Jugendlichen selbst und Sendungen zu Demokratisierung und Menschenrechten ausgestrahlt, aber auch zu Kunst und Kultur.

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AltoTeatro (Freddy Chipana - Andrea Riera -La Paz): Sie haben in Huanuni angefangen bei der Lancierung von Lanzarte11. Ziel ist das Reflektieren von Situationen und Verhaltenswiesen im Nachbilden auf der Bühne. Dazu gegenseitiges Kennenlernen, Respektieren und Verbindungen schaffen. CDC (Abogado Dr. Gonzalo Orihuela Peñaranda –La Paz): Rechtsanwälte für Menschenrechte. Ein Netzwerk, 2008 gegründet, seit 2009 funktionierend. Zu Beginn 30 Interessenten und 4 Konsulenten aus Peru, Chile, Argentinien und Bolivien. Das Netz bestimmt seine Arbeits- und Forschungsbereiche selbst. Vor allem: Verteidigung, Ausbildung und Forschung bei Menschenrechten; Gratisabwicklung von Fällen – z.B. bei Rassismus oder Ausgrenzung von Homosexuellen. Heute 17 Mitglieder im Netz Cochabamba, 15 Oruro, 52 La Paz, nächstes Jahr kommt Santa Cruz dazu. Die erwähnten sowie einige andere Partnerorganisationen, werden von Solidar Suisse unterstützt. Abschluss der Tagung, Mittagessen und Abschied. Es ist eigenartig, sich von Menschen zu verabschieden, die man voraussichtlich nie mehr wiedersehen wird – Menschen, die irgendwo, weit weg selbständig in unserem Sinn arbeiten.

27.11.2010

Oruro – Huanuni Ein überreicher Tag: Früh am Morgen brechen wir in Coroico auf und fahren zurück nach La Paz. Stau im Vorort Villa Fatima (Bild rechts), wie angeblich immer. Wir ziehen uns um und fahren weiter durch das trostlose El Alto und durch das staubige Hochland nach Oruro. Auf dem rötlichbraunen Boden wächst nur grünsilbernes Büschelgras für die vielen Schafe, die wenigen Rinder und die Lamas.

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Mehr dazu bei Huanuni Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Ferne Hügel mit grauen Regenschleiern, sonst wolkiger Himmel. Wir können ein paar Windhosen beobachten. Sie sind aber nicht gefährlich sondern fühlen sich an wie Windböen. Die pfeifengerade Autostrasse lässt einen a) schläfrig werden und b) Entfernungen und Geschwindigkeiten falsch einschätzen. Deshalb wohl ist die Strasse nach Oruro bekannt als die gefährlichste Boliviens. Schwere Unfälle sind an der Tagesordnung. Auslöser sind meist eingenickte Lastwagenfahrer oder waghalsige Überholmanöver.

Die wenigen Strassendörfer – praktisch ausschliesslich von Indios bewohnt – sind braun wie der Boden: schnell gebaut aus Adobe und Backstein. Dazwischen leuchten bunt und sauber bemalte Häuser. Sie werben meist für Telekom-Firmen, die das Malen und damit auch die Fassadenpflege übernehmen. Dadurch werden auch einige Schlupfwinkel der Raubwanzen, die die Chagas-Krankheit übertragen, entschärft.

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Oruro war einst eine reiche Stadt, deren Reichtum auf dem Bergbau gründete. Davon zeugen prächtige Gebäude, prunkvolle Alleen mit Kunstwerken, ein grosses Hotel und edle Plätze. Jetzt ist es aber recht heruntergekommen, vieles verlottert und Kinder betteln uns an. Zum Zmittag gibt’s getrocknetes Lamafleisch in einem Lokal für Einheimische, wo wir eher misstrauisch angeschaut werden. Das Fleisch wird in knusprigbraunen, dünnen Fasern serviert. Dazu gekochte Eier, Choclos (blassgelbe, grosse Maiskörner) und die mehligsten Kartoffeln der Welt. Oben drauf ein eher unangenehm säuerlich riechender Frischkäse. Dazu trinken wir Cola. Das Lamafleisch hat einen ausgeprägten Wildgeschmack. Weiter geht’s nach Huanuni, einem noch trostloseren Ort mit rund 30'000 Einwohnern. Es gibt keine durchgehende Trinkwasserversorgung, das Abwasser läuft zum Teil offen auf der Strasse und über allem liegt bleihaltiger Staub, der bei jedem Windstoss aufgewirbelt wird. Es liegen Abfälle, Plastiksäcke und Petflaschen herum. Es gibt viel Alkohol, Gewalt, Teenager-Schwangerschaften, Prostitution und Aids. Denn die Mineros verdienen vergleichsweise gut (ein Mehrfaches des Lehrerlohns, der bei 1800 Bs. liegt. Mineros verdienen oft bis 5'000 Bs. monatlich) und sie leben nicht lang. Also muss jetzt genossen werden. Viele Jugendliche haben keine Vision für ihr Leben, einzig, dass sie auch in der Mine arbeiten wollen. Und sterben.

Auf dem Platz vor der prunkvollen Alcaldia12 begrüsst uns der lokale Partner Rafael Altamirana und zeigt uns den Bauplatz zu einem Centro cultural13 (Bild rechts). Es wird grösser als die Alcaldia!

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Bürgermeisteramt Mehr dazu im nachfolgenden Gespräch mit Rafael Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Rafael Altamirana, Sekundarlehrer und Comunicador Local in Huanuni, 36 Jahre, erzählt 2006 gab es in Huanuni gewalttätige Auseinandersetzungen um den Zugang zu den Minen zwischen zwei Bergarbeiter-Gruppen: Auf der einen Seite die selbständigen Mineure bzw. Bergbaukooperativen, auf der anderen diejenigen der staatlichen Gesellschaft COMIBOL14. Die Risse gingen zum Teil sogar durch Familien, es gab Verletzte und 10 Tote. Die DEZA15 beauftragte das Padem, hier über Jugendliche und Kunst etwas zu unternehmen. Das ist der Beginn von Lanzarte (da drin steckt Arte = Kunst, aber lanzarte! bedeutet auch: Engagiere dich, gib dich hinein!) Das Programm umfasste Theater, Musik, Tanz, Gesang, Poesie, Foto, Film und Kurzgeschichten. Während sieben Monaten wurde an den Wochenenden in verschiedenen Workshops gearbeitet. Die beteiligten Jugendlichen waren Feuer und Flamme. Es gab Aufführungen in Huanuni und auch in La Paz, im Kunstmuseum. In den Workshops lernten die Jungen wieder miteinander zu reden, miteinander etwas zu erleben, Probleme anzusprechen und zu lösen. So trugen sie zur Versöhnung bei. Dabei wurde auch die Gemeindeverwaltung einbezogen. Aber leider ist die Gemeinde ziemlich instabil: in den letzte vier Jahren gab es sechs verschiedene BürgermeisterInnen. Ohne politische Kontinuität wurden auch keine grösseren Projekte angegangen. Bei den Jugendlichen (30 junge Leute) entstand aber der Wunsch nach eigenen Räumlichkeiten. Sie gründeten mit Rafael und seiner Frau (auch sie Lehrerin) ein Comité impulsor casa de la cultura16. Bis 2007 hatten sie die halbherzige Zusicherung von 1 Mio. Bs. im Gemeindeplan erreicht. Das reichte aber nicht. Eine Bürgermeisterin hatte endlich Gehör und unterstützte ein Projekt am Hauptplatz, direkt neben der Alcaldia für 2,3 Mio. Bs. Der Gemeinderat wollte die Unterzeichnung wieder verschieben, denn es standen Wahlen an und der voraussichtliche neue Gemeinderat wollte damit in der neuen Legislatur glänzen. Rafael und seine Leute starteten eine Kampagne und sammelten über 3000 Unterschriften (gut 10% der Bevölkerung!). Es gab am Platz Theateraufführungen und zwei Entschlossene (einer davon Rafael) drohten mit einem Hungerstreik im Gemeindehaus. Der Konflikt wurde auch übers Radio publik gemacht. Daraufhin berief der Gemeinderat eine Notsitzung ein und genehmigte das Projekt im April 2010. Jetzt ist es im Bau. Die jetzige Finanzierung reicht für den Rohbau, nachher wird weiter gewirbelt…

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Corporación Minera de Bolivia. Seit 1952 staatliche Bergbaugesellschaft Boliviens Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit des Schweizer Aussendepartementes 16 Förderkomitee für das Kulturhaus 15

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Seit 2007 wurden 4 Theaterstücke inszeniert. 2008 gab es ein gemeinsames Theaterstück mit dem AltoTeatro. Themen waren Gewalt und Missbrauch in der Familie, Alkoholismus. 2009 ein weiteres Projekt mit El Trono, einer anderen theaterpädagogisch aktiven Organisation, und 2010 hat Rafael selber die Arbeit inszeniert. Entstanden ist ein Stück über Huanuni, über häusliche Gewalt, Verslumung und Abfall in den Strassen, Alkohol, Jugendbanden, Kriminalität. Nach den Aufführungen, die im Durchschnitt von 200 Personen besucht werden, wird in der Bevölkerung viel diskutiert, die Stücke lösen Betroffenheit aus. Es gibt auch viele Medienberichte. Die Stücke werden noch in 5 anderen Gemeinden gezeigt. Immer geht es um Werterziehung, Selbsterfahrung und Reflektion, das Theater ist dabei das Instrument für die Sensibilisierung der Bevölkerung. Seit 2009 gibt es zusätzlich einen Filmclub. Er wird in einem Lokal für Oberstufenschüler (3. Klasse) durchgeführt. Die Filme, ausgewählt von der Cinemathek in La Paz, sind sehr verschieden. Beispiele: La Ola (ein Film über die Anfälligkeit für Rassismus), der Junge im gestreiften Pyjama (eine Geschichte, die die Gräuel von Auschwitz aus dem Blickwinkel eines naiven deutschen Jungen erzählt) etc. Zu Beginn gab es einen Film pro Woche, der 2x gezeigt wurde (Di und Do). Jetzt erhalten sie jeweils 14 Filme und gruppieren sie nach Geschmack. Sie werden bei Erfolg auch länger gezeigt. Früher mit privater Stereoanlage und dem Beamer der Gemeinde, heute mit einer Anlage von Solidar Suisse. Rafael und seine Frau moderieren die Diskussionen nach den Filmen. Themen sind dabei Erziehung, Gewalt und die universellen Menschenrechte. Im lokalen NGO-Radio wurde kräftig für die Anliegen von Huanuni cultural geworben, auch für die Filmklubs. Es werden auch regelmässig eigene Sendungen gestaltet über Kulturelles, aber auch zu Themen wie Menschenrechte, die neue Verfassung und Musik. Rafael dankt uns bewegt für unser Engagement in diesem Bereich. „Diese Arbeit gehört zum Schönsten in meinem Leben“. Und jetzt zurück zu unserem Reisebericht. Wir stehen immer noch auf dem Platz vor der Alcaldia. Mit viel Verspätung werden wir vom Bürgermeister Huanunis (Hilarión Achacollo Martínez, links im Bild) und dem Vizepräsidenten des Gemeinderates empfangen. Es gibt eine formelle Begrüssung in der Alcaldia. Der Präsident im Fauteuil, wir auf Couches zu seiner Rechten und die Jugendlichen mit Rafael, später auch der Sänger Luis Rico, auf Holzbänken. Dank- und Grussadressen gehen hin und her, dann stellt Joachim ein paar kritische Fragen. Zum Beispiel, warum eine so reiche Stadt (der Zinnabbau ist wieder recht lukrativ) kaum Investitionen in Infrastruktur und Gesundheit macht. Der Alcalde verteidigt sich, dass Huanuni nur eine Durchgangsstation sei für viele Mineros, die nach ein paar Jahren wieder verSolidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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schwänden. Und die alteingesessene Bevölkerung sei längst weggezogen in andere Städte. Deshalb gebe es kein Engagement. Martín Pérez motiviert zum Weitermachen und streicht die Wichtigkeit der Jugend und der Kultur heraus. Der ebenfalls anwesende Luis Rico17 (er wird am Abend auftreten) weist auf die sanfte Kraft der Kunst hin, Veränderungen zu bewirken. Er sagt auch, er habe immer gegen Diktaturen und für Demokratie gesungen. Jetzt hätten sie endlich zwei Demokratien gleichzeitig, nämlich die repräsentative und die kommunitäre. Ob und wie das funktioniere, sei ihm aber noch nicht ganz klar. Eine sanfte aber unüberhörbare Kritik. Rafael nutzt die Gunst der Stunde, um vom Alcalde und vom Gemeinderatsvertreter Zusagen zu erhalten. Es soll eine regionale Musikschule entstehen unter Leitung des Centro. Dann fordert Rafael auch mich auf, etwas zu sagen. Ich bin überrascht und nach einem Schreckmoment beginne ich, übersetzt von Joachim, mit einem Dank und der Entschuldigung, dass ich nicht spanisch spreche. Ich erzähle kurz, wie mich das Engagement der Jugendlichen bei den Theateraufführungen bewegt hat und wie wichtig diese Arbeit sei. Dann schliesse ich mit dem folgenden Zitat, das mir zum Glück rechtzeitig eingefallen ist: „Kunst wäscht den Staub des Alltags von der Seele18.“ Ich verbinde es mit dem Wunsch, dass auch der giftige Staub in den Strassen von Huanuni verschwinden möge. Zum Schluss erhalten Joachim und Martín Diplome, die mit vielen Unterschriften und Stempeln einen Gemeinderatsbeschluss verkünden, nämlich dass die Erwähnten von jetzt an Ehrengäste von Huanuni seien.

Von links: Der Vizepräsident des Gemeinderates, der Alcalde, Martín, Joachim, Martín, Luis Rico

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1945 bei Potosì geboren ist Rico seit 1968 als Protestsänger unterwegs. Er hat schon einige Workshops für Solidar Suisse geleitet 18 Pablo Picasso Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Dann beginnt der Abend im ziemlich verlotterten Kino von Huanuni. Rafaels Frau wirbt vor dem Kino um Zuhörer, drinnen ist es laut: schwatzende, lachende und herumspazierende Jugendliche vermischt mit Rafaels Durchsagen, die laut dröhnen wie vor einem BoxkampfSpeaker.

Gerade vor uns sitzt ein Teenager-Elternpaar mit Kind (ca. 1-jährig). Kein liebevoller Umgang, eher wie mit einer Puppe oder einem Tier. Der junge Vater raucht ungeniert. Es gibt zwei Musikgruppen, Gewinner eines Musikwettbewerbs, danach folgen eine Theaterszene und ein längeres Theaterstück, in dem Rafael eine Hauptrolle spielt.

Die Bedingungen sind schwierig: Es gibt kein gutes Bühnenlicht und man versteht wegen dem Lärm im Saal wenig vom Gesagten. Thema des Stücks: Unverantwortlicher Sex zwischen Jugendlichen mit Schwangerschaft, Abtreibung, Alkohol, Gewalt, Konsumsucht, Ausgrenzung, Rücksichtslosigkeit, Selbstmord. Gegen Ende kommen Botschaften der Toleranz, Rücksichtnahme etc. und am Schluss der Anfang des Stücks in idealisierter Form. Es ist erfreulich, wie engagiert gespielt wird. Und wie offenbar trotz des Lärms zugehört wird, denn es gibt ein paar Mal Szenenapplaus, Lacher und Zwischenrufe. Rafael ist wie verwandelt, er blüht auf und sein sonst oft strenges und nachdenkliches Gesicht wird lebendig. Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Dann kommt der Star des Abends: Luis Rico.

Zuerst trägt er mit seiner traditionell besetzten Band (Gitarren, Flöten, Perkussion) eigene Songs vor. Dann kommen die Jugendlichen von Lanzarte auf die Bühne und singen mit ihm einige der gemeinsam verfassten Lieder. Eines über die schönen Plätze, die es in und um Huanuni auch gibt, eines über den dreckigen Rio Huanuni in dem sie vorschlagen, all den Plastikabfall nach La Paz zu transportieren und vor dem Regierungsgebäude abzuladen. Nachher erfahren wir, dass sich während der Aufführung draussen vor dem Kino zwei Jugendbanden eine Schlacht mit Steinen geliefert haben bis die Polizei kam. Rafaels Kommentar: „Das ist normal. Zum Glück gibt es noch andere Jugendliche, die etwas Konstruktives machen!“ Auf der Rückfahrt nach Oruro halten wir kurz an. Ein fantastischer Sternenhimmel von Horizont zu Horizont, eine unglaubliche Sterndichte, gewaltig!

28.11.2010

Oruro-Huanuni-Oruro-La Paz Schlecht geschlafen im 7. Stock des ersten Hotels am Platz. Grosses Zimmer mit Bad und Blick auf den Hauptplatz. Aber Lärm in der Nacht und um 6 Uhr ein lautes Gebimmel, wahrscheinlich Schichtwechsel. Wir fahren ohne Martín nochmals nach Huanuni. Rafael hat für uns einen Minenbesuch organisiert. Das Portal ist abgeschlossen, alles sieht etwas altertümlich aus. Die Mine wird bewacht mit Militärpolizei. Wir kommen durch ein seitliches Tor in den Empfangsraum. Das Minengelände ist wie ein Dorf mit

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Fabrikhallen, Aufenthaltsräumen, Fahrzeugen. Man grüsst sich mit compañero19. Der Chef Arbeitssicherheit ist ein freundlicher, stämmiger Indio um die 50. Auf einer Schautafel erklärt er, wie die Mine aufgebaut ist und dass wir, weil kürzlich Unfälle in benachbarten Minen aufgetreten sind, nicht hinein können. Wir bekommen einen gelben Helm und eine Signaljacke. Dann geht’s los. Zuerst fahren wir mit einem alten lotterigen Schrägseillift zum Mineneingang auf 3'997 m.ü.M. Er fährt langsam. Immer wieder steigen Arbeiter ein und aus.

Es gibt zwei Eingänge auf dieser Höhe: Den einen für die Stollenbahn, die geradeaus fährt bis zum Lift, den anderen für Lastwagen, die sich auf einer eigenen Rampe in die Tiefe schrauben. Gearbeitet wird rund um die Uhr in Schichten zu 300 Mann. 6 Tage in der Woche. Am Sonntag ist InstandHaltungs-Tag. Gottseidank! Sonst hätten wir in dem Höllenlärm nichts verstanden.

Unser Führer zeigt uns alle Verarbeitungsschritte von den gut kopfgrossen Brocken, wie sie aus dem Berg kommen, bis zum fast mehlfeinen Zinnstaub mit einem Zinngehalt von rund 70%, der am Schluss in genormte Säcke abgefüllt wird. Der momentane Zinnpreis von 11$ pro Pfund ist sehr attraktiv. Dazwischen gibt es viele Etagen von Steinmühlen, Rütteltischen, Sieben, Wasserabscheidern etc. Auch chemische Verarbeitungsstufen, um das Pyrit – häufiges Begleitmineral – vom Zinn zu trennen.

Die verschiedenen Verarbeitungsstufen

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Kumpel, auch Genosse

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Das Endprodukt und die Säcke für den Transport

Die Feinauswaschung geschieht heute noch zum Teil von Hand im Rio Huanuni. Dann gehen wir weiter zu einer kleinen anderen Mine, ein vergittertes Loch im Fels mit einer Tafel und Sicherheitsinstruktionen. Hier werden Blei, Silber und andere Mineralien abgebaut. Wir bekommen eine Grubenlampe und dürfen bis zum Lift – etwa 50, 60 Meter – hinein. Der Boden ist schlammig und wir müssen uns bücken. Ich entdecke an der Wand des Ganges verschiedene Kristalle. Der Lift, eine einfache Holzkonstruktion, führt in die schwarze Tiefe. Die Vorstellung, in dieser atemraubenden Höhe in einer engen tiefen Mine zu arbeiten, ist für mich kaum vorstellbar. Um sich Sicherheit zu geben, verlassen sich die Mineros auf ihre Schutzpatrone und ihre Rituale: Ausserhalb der Mine beten sie zur Virgen del Socavón, ihrer Schutzheiligen. Sie beschützt ihr Leben, ihre Gesundheit und ihre Zukunft. Ihr zu Ehren wird z. B. am Carnaval in Oruro getanzt. In der Grube wacht ein Tio (Onkel), ein Dämon oder Teufel über die Mineros. Er trägt hier in Huanuni jeweils den Namen eines Kumpels, der entweder in der Mine gestorben ist oder sonst wie auffällt. Einer z.B. sei Tag und Nacht nicht mehr aus der Mine herausgekommen, habe darin gelebt. Der Tio wird bei jedem Einfahren mit Namen gegrüsst und beim Herausgehen bedankt. Am 1. August ist ein Fest. Ein Curandero (Heiler, Schamane) schlachtet drei weisse Lamas. Deren Herzen werden von Kumpel zu Kumpel weitergegeben. Das Fleisch wird gebraten und von allen gemeinsam gegessen. Dazu macht ihnen der Curandero mit dem Blut der Tiere Striche ins Gesicht. Der Altar neben dem Tio wird mit Köstlichkeiten bedeckt: Bier, Wein, Brot, Fleisch, Getreide, Kokablätter, Geld. Dann folgt ein grosses Fest mit Tanz.

Der Altar des Tio Renato in Huanuni

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Der Rundgang ist beendet. Wir kehren zurück ins staubige Huanuni, das wie ein Blinddarm an der Mine klebt. Bei der Rückfahrt nach Oruro werden wir, wie schon am Abend zuvor, von der Minenpolizei angehalten. Sie schauen in jedes Auto und kontrollieren, dass keine Säcke mit den wertvollen Mineralien drin sind. Dann die Marathonfahrt zurück nach La Paz. Einzige Abwechslung in der gleichförmig braungrauen Landschaft sind die Lamas und natürlich die Kleider der Frauen, die allein oder zu zweit am Strassenrand hocken und versuchen ihren Frischkäse oder andere Produkte zu verkaufen, stundenlang. Wir sehen fürchterliche Überhol-Manöver und kurz vor El Alto einen Unfall: Ein Lastwagen und ein Personenwagen stehen am Strassenrand. Der PW völlig eingedrückt, ein Bild der ungeheuren Wucht des Zusammenpralls. Kurz vor El Alto ein herrlicher Blick auf die Stadt und dahinter in einem Lichtstreif die Kordillere. Im weitgehend hässlichen El Alto gibt es einige eher auffällige Häuser: Unten 2-4 Stockwerke hoch simple viereckige, oft nicht fertig gebaute Wohnungen und oben drauf und darüber hinausragend luxuriöse Einfamilienhäuser mit verspiegelten Scheiben, farbigen Wänden, Giebeldach. Zum Teil gibt es auch ganze Häuser, die von oben bis unten luxuriös verspiegelt sind. Martín sagt, dass dies reiche Händler, Schmuggler oder Drogenhändler sind, zum Teil sogar Drogenlabors. Sie werden von der Regierung aber geduldet… Dann tauchen wir wieder hinunter Richtung La Paz, zurück ins Hotel. Lange kühle Dusche (kein Heisswasser bis Ende Reise). Kleines Nachtessen. Der zehnminütige Weg nach dem Essen zurück (aufwärts!) zum Hotel bringt uns ganz ausser Atem.

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29.11.2010

La Paz Padem Mit dem Taxi zur Plaza San Francisco. Leider im Umbau, alles aufgerissen, Riesenverkehr rundherum. Zuerst besuchen wir die üppige Kolonialkirche, Die Wände voll mit Galerien verschiedenster Virgencitas20 und anderer Heiligen. Dann streifen wir durch die Gassen. Die Strassenmärkte sind sehr billig und ramschig, alle verkaufen in etwa die gleichen Artikel aus China. Daneben Geschmuggeltes und Kopiertes. Dann steigen wir schwer atmend eine Strasse hoch und treffen auf den Hexenmarkt. Wässerchen und Pillen für und gegen alles Mögliche, getrocknete Lamaföten, die Glück beim Hausbau bringen sollen, getrocknete Seesterne (die vielarmigen), süssliches Räucherharz, Süssholz und immer wieder der köstlich würzige Geruch frisch geschnittener Kräuter: Kamille, etwas, was wie Basilikum aussieht und anderes. Dann biegen wir in eine Gasse mit edleren – touristischeren – Läden: Flöten, Lederwaren, wollene Ponchos, Filzhüte, Silberschmuck, T-shirts Evo-lucion21 und der ganze weitere Touristen-Krempel. Mit einem Taxi fahren wir auf völlig anderem Weg zurück ins Hotel.

Der Hexenmarkt

Der Touristenmarkt

Am Nachmittag besuchen wir das Projekt Padem22. Das Padem hat sich der Unterstützung der kommunalen Demokratie in Bezirksgemeinden verschrieben. Das Projekt fördert gute Regierungsführung mit dem Ziel einer echten Demokratisierung. Gearbeitet wird in engen Büros, die oft zu dritt belegt sind, es gibt wenig Ablageflächen. Zwei Mitarbeitende sind sogar auf dem gedeckten Balkon platziert.

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Marienstatuen für verschiedenste Zwecke. Die Verkleinerungsform –cita ist typisch für Bolivien Wortspiel mit Evolucion = Entwicklung und Evo (Morales) 22 Siehe auch Anhang 21

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Über Frauen- und Jugendprojekte, über verschiedenste Kommunikationskanäle und über die enge Zusammenarbeit mit Gemeindebehörden wird Transparenz gefördert. Es werden Informationen über Rechte und Pflichten vermittelt sowie über neue Gesetze und Verordnungen. Allgemein werden die BürgerInnen dazu ermutigt, sich zivilgesellschaftlich mehr zu engagieren. Interaktiv, mit Spielen, Infobroschüren, über KommunikatorInnnen und Radiosendungen sowie übers Internet werden rund 200 Gemeinden erreicht (von insgesamt 337 in ganz Bolivien). Für uns so klare Dinge wie die saubere Übergabe einer Gemeindeverwaltung an die nachfolgende sind hier überhaupt nicht geklärt. Erst das Padem hat Instrumente (Handbücher, Checklisten) geschaffen, um dies transparent zu tun. Staatsbürgerliche Bildung wird vermittelt über ein Spiel, das wie das Gänsespiel konstruiert ist, mit Ereigniskarten, die z.B. verlangen, einen staatsbürgerlichen Begriff pantomimisch darzustellen. Der Bezugsrahmen für alle Aktivitäten sind die universellen Menschenrechte. Das Padem ist sehr innovativ und bestens vernetzt. Es wird auch überhäuft mit Anfragen von Gemeinden und sozialen Gruppen. Kürzlich hat es einen Wettbewerb für Frauen- und Jugendgruppen ausgeschrieben. Je rund 100 Anträge wurden eingereicht, obwohl der Förderbetrag nur maximal 3800 Bs., das sind gut CHF 500, für Frauenprojekte und 2500 Bs. (rund CHF360) für Jugendprojekte beträgt. Dann gibt es ein Abendessen mit dem ganzen Büro, sowie Renata Hoffmann, der früheren und langjährigen Solidar Suisse Koordinatorin in Bolivien.

30.11.2010

Rurrenabaque Heute früh um 7 Uhr auf den Flughafen. Es ist kühl. Joachim, Marisol, Angel (von Radio Salamandra) und ich fliegen mit einer 18-plätzigen TurboPropmaschine der Línea Aérea Amaszonas in rund 40 ohnrenbetäubenden Minuten zwischen den Andengipfeln hindurch nach Rurre23. Schlechte Sicht, da die Scheiben recht verkratzt sind. Saubere Landung in tropisch dampfendem Grün. Es ist bedeckt. Wir fahren mit einem holprigen Kleinbus ins Dorf und mit einem Mototaxi ins Hotel Maya, direkt am Rio Beni.

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Rurrenabaque (auch Rurre genannt) ist eine Kleinstadt im Departamento Beni im Tiefland von Bolivien. Rurrenabaque wurde am 2. Februar 1844 gegründet. Der Ortsname stammt aus der örtlichen TacanaIndianersprache und bedeutet „Ententeich“. Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Per Mototaxi wieder ins Dorf zum Frühstücken. Rurrenabaque ist recht touristisch ausgerichtet, alles wird auch englisch angeschrieben. Trotzdem ist es angenehm unaufdringlich und nicht herausgeputzt. Wegen des bedeckten Himmels ist es auch nicht allzu heiss. Wir begrüssen unsere lokale Promotorin Ana Maria Oblitas Cartagena, von allen Anita gerufen (Bild links). Sie ist Journalistin – hat eben einen landesweiten Preis für eine Reportage gewonnen –, alleinerziehend, etwa 35 Jahre alt. Lebhaft, sicher durchsetzungsstark, streng. Sie begeleitet uns zum Empfang in der Alcaldia beim Dienstchef Kultur und Bildung, da der Alcalde mit Denguefieber im Bett liegt. Das Departement Beni, nur durch den gleichnamigen Fluss vom Departement La Paz getrennt, ist kein MAS-Gebiet. Das zeigt sich im langen Lamento des Beamten über eine geplante Brücke, die Rurre mit dem Städtchen San Buenaventura (Departement La Paz) am gegenüberliegenden Ufer verbinden soll. Niemand ist gegen eine Brücke, aber die Regierung hat eigenmächtig als Standort die Mitte der Stadt ausgesucht, das heisst, der ganze Verkehr muss durch Rurre, der verschlafene Hauptplatz wird zerstört. Der Vorschlag, die Brücke ausserhalb zu bauen wird scheinbar nicht gehört. Wir besichtigen dann zusammen mit der Kulturverantwortlichen das zur Zeit noch leerstehende Kulturhaus, das aber, aufgrund unserer Initiative, den Jugendlichen zur Verfügung gestellt werden soll. Zudem verspricht die Frau, ihre Bibliothek mit französischsprachigen Büchern (sie war mal mit einem Welschen verheiratet…) zur Verfügung zu stellen. Wir spüren viel Goodwill für unser Projekt.

In der Alcaldia mit dem Bildungsverantwortlichen

Joachim und die Kulturbeauftragte vor dem (noch) leerstehenden Kulturhaus

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Zum Mittagessen gibt es ein köstliches, etwas heftig gewürztes Fischgericht (Surubi24 in Alufolie gebacken). Dazu eine herrlich erfrischende Limonen-Limonade. Wir essen unter einem Mangobaum, von dem im Verlauf des Essens drei reife Früchte fallen. Sie sind klein und wunderbar. Danach fahren wir in einem Rumpeltaxi (ein alter Landcruiser) nach Reyes, der etwa 40 km entfernten Provinzhauptstadt. Die Fahrt geht über eine holprige Naturstrasse, durch lichten Wald. Immer wieder Häuser, kleine Felder, Viehzucht. Dann plötzlich Betonstrasse: Wir sind in Reyes. Es erscheint wie eine Stadt, obwohl es nur 11'000 Einwohner hat. Wieder ein Empfang beim Alcalde. Ein unkomplizierter junger Mann, der auch gleich stolz seine Tochter präsentiert. Er redet viel.

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Surubi ist ein grosser Wels mit ausgezeichnetem Fleisch. Da die Gräten sehr grob sind, kann man sie gut herauslesen. Weisses, festes Fleisch das nicht fischelt. Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Reyes gibt 1% seines Budgets für Kultur aus. Ist auch sehr aktiv in der Prävention: von der Stadt aus wurden am Karneval Präservative verteilt. Die Zusammenarbeit mit uns ist sehr gut. Dann besichtigen wir mit dem Kulturbeauftragten, der eng mit Anita zusammenarbeitet, die Casa de la cultura und das angegliederte Museum. Reyes heisst eigentlich Los tres Reyes Magicos und ist eine jesuitische Reduccion, eine Missionsstation. Rurre dagegen ist eine franziskanische Gründung, vielleicht deshalb viel dörflicher. Reyes wurde reich durch Kautschuk und zog Menschen aus aller Welt an, aus dem nahen Osten, aus Japan und auch aus der Schweiz (wir finden im Museum den Namen Kägi u.a.). Unser Begleiter selbst hat libanesische Wurzeln. Vor dem Museum gibt es einen kleinen Garten, wo Nutz- und Heilpflanzen (Baumwolle, Tabak etc) angebaut werden. Im Museum einige wenige Artefakte aus der Region und viele erklärende Tafeln über die Geschichte von Reyes. Es geht zurück zum gedeckten Hauptplatz zum Theaterfestival. Laut Anita wurden die Szenen in zweiwöchigen Workshops mit El Trono25 erarbeitet und einstudiert. Ziel war dabei nicht unbedingt die Aufführung, sondern der Prozess der Auseinandersetzung und Erarbeitung. Es gab jeweils nur wenige Aufführungen und dann meist verbunden mit Diskussionen, ähnlich den Cinéclubes. Das Festival in Reyes, wo die Stücke nun gezeigt werden, ist vor allem für uns organisiert worden. Alle Gruppen aus Reyes und Rurre haben ihre Freizeit geopfert, um hier zu spielen. Die Themen sind auch hier Gewalt in der Familie, Drogen, Alkohol, Diskriminierung zwischen den Ethnien, frühe Schwangerschaft, Abort. Anita inszeniert nicht selber. Sie organisiert das Ganze und begleitet die Jugendlichen weiter, wenn der Workshop zu Ende ist. Dabei entstehen auch erfreuliche Eigendynamiken: Eine Gruppe aus Rurre will selbständig zum Weihnachtskonzert des Chors ein Theater beisteuern.

Dieses Stück erzählt von einer Familie aus dem Hochland, über deren Aussehen und Sprache hier gespottet wird. Aber diese Familie kann ein krankes Kind heilen und wird danach akzeptiert

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Dieses Stück über Jugendalkoholismus und Drogenmissbrauch endet in einem wütenden Gedicht des Jungen im Vordergrund, in dem er dazu aufruft, andere Lösungen zu suchen

Ein Theater, das pädagogische Arbeit macht wie das AltoTeatro Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Das Publikum hört zu, freut sich und nimmt die Botschaften mit.

Nach der Aufführung wird ein Mädchen von Angel interviewt. Sie sagt, durch das Theaterspielen habe sie gelernt, ehrlicher zu sein mit sich, ihren Eltern und ihren KollegInnen. Anita ergänzt, das Mädchen sei überheblich gewesen und daher ziemlich ausgeschlossen und Ziel giftiger Bemerkungen. Sie hätte gelernt, von ihrem hohen Ross herunterzukommen und sei jetzt viel besser integriert. Ein Jüngling findet, durch das Theaterspielen habe er sich mit neuen und wichtigen Themen auseinandergesetzt und er verstehe seine Eltern und überhaupt andere Meinungen jetzt viel besser. Joachim wird von Lokalradios und –fernsehen etwa viermal interviewt und auch der Gemeinderatspräsident, ein ernster junger Mann, will uns kurz sehen. Ziel des Projektes ist immer, die Vernetzung mit der Gemeinde und der Bevölkerung zu etablieren und so zu stärken, dass eine Eigendynamik entsteht, die das Projekt weiter ausbreitet, getragen von der lokalen Bevölkerung und der Politik. Der Stolperstein sind aber auch hier immer wieder die Finanzen. In den Cinéclubes, ähnlich wie in Huanuni, werden Filme der Cinemathek in La Paz gezeigt.. Dann folgt eine holperige Rückfahrt in der einsetzenden Dämmerung. Wunderschöne Stimmungen über dem Grün der Pflanzen spiegeln sich in kleinen Wasserlachen. Zum Glück hat es geregnet, sonst wäre die Fahrt noch staubiger. Um 19 15 Uhr ist es dunkel.

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Im Hotel erleben wir hintereinander drei totale Stromausfälle, der letzte über eine halbe Stunde lang. Offenbar ist der Dieselgenerator, der Rurre mit Strom versorgt, überfordert und/oder schlecht gewartet. Wir essen, was es im kerzenbeleuchteten Restaurant halt ohne Strom zu essen gibt: Ein lokales Gericht aus Reis mit Fleisch und Ei sowie Platanos: einfach, nahrhaft, gut. Dann zu Radio 21, das auch unsere TV-Spots ausstrahlt. Sie sind von Jugendlichen gemacht und zeigen an den Beispielen Umweltverschmutzung und Waldbrand, was verantwortliches Handeln bedeutet. Dann spazieren wir schweissnass durch die tropische Nacht zurück ins Hotel, begleitet von verwilderten, aber zahmen Hunden und melodiösem Grillengezirp.

1.12.2010

Rurrenabaque-La Paz Es ist der 1. Dezember 2010. Mitternacht. In der Schweiz ist alles Stein und Bein gefroren. Hier kann ich wegen der Hitze nicht tief schlafen, bin trotzdem gut erholt. Entdecke beim Spazieren auf dem Hotelbalkon einen grünen Papagei auf einem nahen Mangobaum. Er sitzt da, dreht sich und schwatzt vor sich hin. Nach dem Frühstück fahren wir mit Mototaxis zum Hafen. Anita hat ein schmales Motorboot, ein Art Weidling mit blauem Plastikdach und vier Sitzen organisiert. Unser Führer war jahrelang Parkwächter im Madidi. Er quittierte wegen schlechtem und oft verspätetem Lohn – und sicher auch aus Frust, weil die paar Wächter in dem unzugänglichen Riesengebiet kaum etwas ausrichten können.

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Der Rio Beni strömt breit und stark durch Rurre. Seine milchkaffeebraune Flut bringt immer wieder Baumstämme mit. In Kurven gibt es gefährliche Strömungen und Wirbel, die unser Führer geschickt meistert. Am ersten Felsvorsprung zeigt er uns etwa auf Kopfhöhe eine eingekerbte Schlange, die wohl früher dazu diente anzuzeigen, ob der Fluss schiffbar ist oder zu gefährlich. Wunderbare Flussufer mit rotbrauner Erde oder Fels, dazu die Grüntöne der Büsche und Bäume, darüber das Blau des Himmels mit weissen Wolken, die zackigen Konturen der letzten Andenausläufer und die warme Luft.

Es ist überwältigend schön! Schmetterlinge in allen Grössen, Formen und Farben spielen wie Möwen um das Schiff herum, ich sehe immer wieder Vögel. Das einzige Säugetier, das wir zu sehen bekommen, ist ein Capybara, das aus dem Wasser steigt und im Ufergehölz verschwindet. Auf der Rückfahrt badet es mit seinem Partner die längste Zeit, obwohl wir näher kommen. Dann der Einstieg in den Park. Ein Steg, eine Tafel und ein Ranger in Uniform.

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Er erklärt uns zusammen mit unserem Führer den Park an einem Modell und zeigt auch, wie unmöglich die Kontrolle des riesigen Gebietes ist. Der Kampf gegen Wilderer, Schmuggler und illegale Siedler ist fast aussichtslos. Von weitem sehe ich einen metallischblauen Morphofalter vorbeigaukeln und geniesse die Geräusche und den Geruch. Es ist absolut fantastisch, ich könnte noch lange weiter machen, aber wir müssen express zurück nach Rurre und zum Flughafen. Rückflug mit toller Sicht, zuerst auf Fluss und Wald, die frisch geteerte Landebahn und nachher die Andengipfel, die rechts und links von uns aufragen. Der Flug hinauf dauert etwa 5 Minuten länger als der Hinflug.

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2.12.2010 -3.12.2010

La Paz – Zürich Um 5 30 Uhr aufs Taxi zum Flughafen. Pünktlicher Abflug nach Lima – Madrid – Zürich. Viele Flughäfen in Europa sind wegen Schneestürmen geschlossen…

Beim Rückflug über dem Titicacasee

Schlussgedanken Soweit mein subjektiver Bericht. Natürlich konnte ich in der kurzen Zeit nicht alle Aspekte des Bolivien-Programmes von Solidar Suisse persönlich kennen lernen. Von wichtigen Treffen hörte ich nur erzählen: den Verhandlungen mit Ministerien und der DEZA, dem tripartiten Sozialdialog in Chuquisaca, Cochabamba und El Alto sowie den Sitzungen mit Zuckerrohrschneidern und anderen LandarbeiterInnen. Aber auch vom alljährlichen Workshop, wo Jugendliche aus allen Landesteilen zusammen kommen, um über künstlerische Mittel Themen wie gegenseitigen Respekt, Mitspracherechte, Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung zu erleben und auszudrücken. Die Intensität dieser Workshops hat offenbar die meisten Beteiligten so berührt, dass sie ein ganz neues Verständnis von Zusammenleben gewonnen haben und dies weitertragen in ihren Alltag und ihr Umfeld. Dadurch möchte Solidar Suisse das politische Engagement und das demokratische Empfinden der Jugendlichen und damit der kommenden Generation von StaatsbürgerInnen fördern.

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Ein anderes wichtiges Treffen ist der halbjährliche Austausch der lokalen KommunikatorInnen und PromotorInnen, die aus dem ganzen Land zusammenströmen, um sich auszutauschen und neue Anregungen für ihre weitere Arbeit mitzunehmen. Solche Treffen sind unglaublich wichtig. Sie motivieren, verbessern die Programme, multiplizieren das Wissen und fördern das gegenseitige Verständnis. Mit viel Fingerspitzengefühl leitet und steuert das Solidar-Team unter Leitung von Martín Pérez diese Prozesse und Verhandlungen. Fruchtbar und wichtig ist auch die enge Zusammenarbeit mit Joachim Merz, der im Solidar Suisse Büro in Zürich darauf achtet, dass das Gesamtprogramm in Einklang steht mit den strategischen Schwerpunkten von Solidar Suisse. Joachim legt auch Rechenschaft ab gegenüber den Geldgebern in der Schweiz. Eine Arbeit, die neben der fachlichen Qualifikation auch grosse Integrität und zwischenmenschliches Gespür erfordert.

Anhang - Ergänzende Infos Hintergrundinfo Bolivien –– Joachim Merz Bolivien, nach wie vor das ärmste Land Südamerikas, hat seit 2006 zum ersten Mal in seiner fast 200-jährigen Geschichte nach der kolonialen Unabhängigkeit einen indigenen Präsidenten. Im Dezember 2009 wurde Evo Morales mit grosser Mehrheit (64%) für weitere fünf Jahre im Amt bestätigt. Die Regierungspartei MAS erzielte eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhaus wie auch im Senat und festigte ihre uneingeschränkte politische Vorherrschaft. Unter der Präsidentschaft von Evo Morales hat Bolivien eine neue Verfassung verabschiedet. Die Rechte der indigenen Bevölkerung wurden erweitert und Umverteilungsmassnahmen zugunsten der ärmeren Bevölkerung eingeleitet. Aussenpolitisch hat sich Bolivien den ALBA-Staaten angeschlossen. Doch der Kurs der Regierung Morales bleibt nicht unwidersprochen. Kritische Stimmen werfen der Regierung Autoritarismus sowie eine Missachtung grundlegender Menschenrechte und demokratischer Spielregeln vor. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen sind stark von ethnischen Ressentiments geprägt. Die Eliten in den wirtschaftlich besser gestellten Departementen der «Media Luna» verteidigten ihre Privilegien und verlangen Autonomie. Bolivien steht vor der grossen Herausforderung, einen neuen Sozialvertrag für eine demokratische, pluriethnische Gesellschaft zu verwirklichen, einen Ausgleich zwischen kollektiven und individuellen Menschenrechten herzustellen und gleichzeitig die Lebensbedingungen der marginalisierten Bevölkerungsschichten zu verbessern. Jugendliche als demokratische Hoffnungsträger Solidar ist seit 1985 in Bolivien tätig. Seine Partner sind hauptsächlich zivilgesellschaftliche Organisationen wie Gewerkschaften und Basisorganisationen. Solidar setzt sich ein für die Rechte benachteiligter Bevölkerungsgruppen auf politische Mitbestimmung und materielle Teilhabe. Die Programme von Solidar stehen ein für demokratische Grundrechte, für die Menschenrechte, für soziale Gerechtigkeit, für den Respekt gegenüber Andersdenkenden und für staatliche Rechenschaftspflicht gegenüber den BürgerInnen. In diesem Sinn kommt der Arbeit mit Jugendlichen besondere Bedeutung zu: kulturelle Angebote wie Theater oder Film fördern die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und die Bereitschaft für ein demokratisches politisches Engagement. Im Auftrag der DEZA führt Solidar ein Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Programm zur Förderung einer demokratischen politischen Kultur durch, das die Mitbestimmung und Mitverantwortung auf Gemeindeebene stärkt und die Einhaltung der Menschenrechte überwacht. Faire Arbeitsbedingungen: ein Schlüssel in der Armutsbekämpfung Noch immer leben zwei Drittel aller BolivianerInnen in Armut. Die Schaffung von Arbeitsplätzen und faire, menschenwürdige Arbeitsbedingungen sind ein Schlüssel, um die Armut zu überwinden. Ein Minimum an materieller Sicherheit ist auch eine Grundvoraussetzung für demokratische Mitbestimmung. Deshalb setzt sich Solidar ein für prekär Beschäftigte wie LandarbeiterInnen, Zuckerrohrschneider und Hausangestellte. Mit Weiterbildung, Informationskampagnen, sowie der Unterstützung des sozialen Dialogs mit den Arbeitgebern und den zuständigen Behörden hilft Solidar, ihre Rechte zu stärken. Joachim Merz ist verantwortlich für die Solidar-Projekte in Bolivien. Quelle: http://www.solidar.ch/bolivien.html Link zum Solidar Büro in Bolivien (spanisch): http://www.aosbolivia.org.bo/

Förderung der Demokratie auf Gemeindeebene – Padem – Joachim Merz Damit öffentliche Gelder sinnvoll eingesetzt werden, müssen alle Betroffenen mitreden können. Mit dem Dezentralisierungsprozess Mitte der Neunziger Jahre stieg der Einfluss der Kommunalverwaltungen auf die Verwendung der öffentlichen Finanzen. Damit diese effizient und im Sinne der Bevölkerung eingesetzt werden, müssen sich die Bürgerinnen und Bürger über ihre Verwendung äussern und die Gemeindebehörde kontrollieren können. Zentral für das Funktionieren einer Gemeinde ist der Informationsaustausch zwischen BürgerInnen und Behörden. Wichtig ist auch das Verständnis aller Akteure für die demokratischen Rechte und Pflichten. Die Anliegen der Bevölkerung ernst nehmen Im Auftrag der DEZA führt Solidar Suisse ein Programm zur Förderung einer demokratischen politischen Kultur durch. Eine wichtige Programmkomponente ist die Demokratieförderung auf kommunaler Ebene (PADEM). Ziel ist, dass die StaatsbürgerInnen mehr und mehr Mitverantwortung für die lokale Entwicklung übernehmen. Ein besonderer Fokus wird auf die Partizipation von Frauen und Jugendlichen gelegt. Das Projekt hat erreicht, dass den Bedürfnissen der bis anhin von politischen Entscheiden weitgehend ausgeschlossenen Bevölkerung bei der kommunalen Planung und Verwaltung verstärkt Beachtung geschenkt wird. Beratung der Gemeindebehörden Partizipation allein ist aber noch keine Garantie für eine kompetente und effiziente Kommunalverwaltung. Deshalb ist die Beratung und Ausbildung der Gemeindebehörden ein weiterer wichtiger Pfeiler. Mit einem eigens dafür eingerichteten Fonds (FOCAM) offeriert das PADEM Beratungsdienstleistungen, die von den Gemeinden abgerufen werden können. Dieser Fonds hat sich in sehr kurzer Zeit zu einem viel beachteten Modell entwickelt. Über ihn haben bisher rund 200 der etwas über 300 Kommunalverwaltungen in Bolivien Solidar Suisse | Quellenstrasse 31 | Postfach 2228 | CH - 8031 Zürich | www.solidar.ch

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Unterstützung erhalten. Eine wichtige Komponente des Projektes ist die Kommunikation. Erfolgreiche Beispiele aus den Gemeinden werden mit einer kreativen Kommunikationsstrategie landesweit bekannt gemacht und zur Nachahmung empfohlen. Die Herausforderungen der neuen Verfassung Grosse Herausforderungen stehen mit der Umsetzung der neuen Verfassung an, die neben der politischen Dezentralisierung auf Kommunalebene auch departementale, regionale und indigene Autonomien vorsieht. Hier geht es darum Wege zu finden, wie diese verschiedenen politisch-administrativen Körperschaften neben- und miteinander funktionieren und die lokalen Entwicklungsanstrengungen fördern können. Quelle: http://www.solidar.ch/foerderung-der-demokratie-auf-gemeindeebene.html Die Website des Solidar-Mandates PADEM (spanisch): http://www.padem.org.bo/

Kontakte Koordinationsbüro in Bolivien

Kontakt in der Schweiz

Ayuda Obrera Suiza AOS Martín Pérez Casilla 636 La Paz- Bolivia

Solidar Suisse Joachim Merz Programmverantwortlicher Bolivien Tel. 044 / 444 19 86

E-Mail: mperez@aosbolivia.org.bo

E-Mail: joachim.merz@solidar.ch

Christof Hotz | Gönnerbetreuung und Projektfinanzierung Postfach 2228 | CH - 8031 | Zürich Tel. +41 (0)44 444 19 45 | Fax +41 (0)44 444 19 00 christof.hotz@solidar.ch | www.solidar.ch Mitglied des europäischen Netzwerks

Alle Bilder: Solidar Suisse Text: (wo nicht anders angeben) Christof Hotz, September 2011

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