Solidarität 3/12

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Ausgabe August 3/2012

thema Arbeitsrechte in China afrika Stimme der Sprachlosen

Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Diese Nummer der Solidarität hat China zum Schwerpunkt. Ein facettenreiches Land mit einem enormen kulturellen Reichtum, das sich in einem gewaltigen Entwicklungsprozess befindet. Ein Land, das aus einer für uns fremden Mischung aus Einparteiensystem und Kapitalismus besteht. Ein Land, in dem eine Fülle von Produkten, die wir für unser modernes Leben brauchen, billig hergestellt wird – oft unter schlechten Arbeitsbedingungen.

sie gilt. Unsere Partnerorganisation LAC unterstützt die ArbeiterInnen dabei, ihre Rechte einzufordern. Doch wir können auch hier unseren Beitrag gegen Ausbeutung leisten. Vor vier Jahren hat Solidar Schweizer Gemeinden aufgefordert, nur noch fair produzierte Waren zu beschaffen – zum Beispiel wenn sie den Dorfplatz neu pflästern. Die benötigten Steine werden häufig aus China importiert. Damals war es schwierig, diese fair zu beschaffen. Was die gestiegene Nachfrage nach fair produzierten Natursteinen bewirkt hat, zeigt ein Interview mit Karoline Herrmann von WiN=WiN, die das Fair-Stone-Label betreibt.

Solidar engagiert sich seit zwei Jahren für diejenigen Menschen, die in China für die Einhaltung der Arbeitsrechte kämpfen. Dabei hat sich einmal mehr die Universalität der Forderung nach würdigen Fairer Handel ist eine Voraussetzung für Arbeitsbedingungen gezeigt: Wenn ArZoltan Dòka würdige Arbeitsbedingungen. Deshalb beiterInnen an die Grenzen des ErtragLeiter Ostzusammenarbeit fordert Solidar die Schweizer Regierung baren kommen, wehren sie sich. Wenn auf, im zurzeit verhandelten FreihandelsMenschen von Arbeitgebenden und Behörden nicht ernst genommen werden, beginnen sie sich zu or- abkommen mit China die Menschen- und Arbeitsrechte zu verganisieren, um sich Respekt zu verschaffen. Dabei geht es ih- ankern. Wir wollen keinen freien Handel. Wir wollen einen fairen nen zunächst nicht um grosse politische Ziele. Sie wollen eine Handel, der allen zugutekommt. Zoltan Dòka menschenwürdige Arbeit, und sie wollen, dass das Gesetz für

Medienschau

24.6.2012 Schulmahlzeiten in Burkina Faso Das Glückskette-Partnerhilfswerk Solidar Suisse leistet Hilfe, um die Nahrungsmittelknappheit in der Sahelzone zu lindern. Täglich werden in Burkina Faso mehr als drei Millionen Menschen nicht satt. (…) Im Innern des Landes erhalten zurzeit über 2000 Kinder täglich eine ausgewogene Mahlzeit. Das Essen wird während der Schulzeit an die Schulkantinen geliefert, in den Ferien erhalten die Familien der Kinder zweimal pro Monat Lebensmittel. Eine Entschärfung der Lebensmittelkrise sei nur möglich, wenn es einige Wochen intensiv regnen würde und so die nächste Ernte gesichert werden könnte, erklärt Rolf Stocker von Solidar Suisse. www.drs.ch/gluecksketteaktuell

19.4.2012 So kickt die Fifa in Brasilien (…) Nie floss mehr Geld als bei den Vorbereitungen zur Fussballweltmeisterschaft im Juni 2014 in Brasilien. Kein Wunder, wird der Weltfussballverband Fifa immer dreister mit seinen Forderungen gegenüber den Gastländern. Wie dreist, zeigen Zahlen und Fakten, die Solidar Suisse im Zuge der neuen Kampagne «Pfeifen Sie Sepp Blatter Ihre Meinung» auf seiner Website veröffentlichte. Im Dossier «(K)Ein Fest für alle» wird (…) aufgeführt, welche Bedingungen etwa bezüglich gesetzlicher Anpassungen die Fifa an Brasilien stellt – und wie bereits zwei Jahre vor Anpfiff deutlich ist, wie weite Teile der brasilianischen Bevölkerung unter der WM leiden werden. (…)

10.4.2012 Sepp Blatter lässt Hüften schwingen Ein merkwürdiges Video von Fifa-Präsident Sepp Blatter sorgt momentan im Internet für Furore. Darin lässt der 76-jährige Walliser zu brasilianischen Rhythmen die Hüften schwingen. (…) Beim hemmungslos tanzenden Fifa-Präsident handelt es sich allerdings nicht um das Original, sondern um ein Double. (…) Mit seiner Kampagne will Solidar Suisse Missstände rund um die Fussball-WM 2014 in Brasilien aufzeigen. «Es ist unfassbar, dass die Fifa an der WM erneut Milliarden verdienen wird und gleichzeitig Hunderttausende Leute ihre Existenz verlieren», sagt Mediensprecher Christian Engeli. (…)


3 THEMA Engagement für Arbeitsrechte in China

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Die Solidar-Partnerorganisation LAC unterstützt die ArbeiterInnen im Kampf um ihre Rechte

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Die Schweiz muss die Einhaltung der Menschenrechte zur Voraussetzung für das Freihandelsabkommen mit China machen 8 Die Nachfrage nach fairen Produkten bestimmt das Angebot: Faire Steine aus China sind nun in der Schweiz erhältlich 10 Kulturell Melina Kameric´: Made in Yugoslavia

THEMA

Kampf für Arbeitsrechte, Fairtrade, Verankerung der Menschenrechte im Freihandelsabkommen: Wie sich Solidar für faire Arbeitsbedingungen in China engagiert.

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aktuell Das Africa Labour Radio Project gibt ArbeiterInnen in zehn afrika­nischen 14 Ländern eine Stimme kolumne

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PINGPONG

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AKTUELL

Das Africa Labour Radio Project nutzt das populäre Medium Radio, um die ArbeiterInnen über ihre Rechte zu informieren und ihnen eine Plattform zu bieten.

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NETZWERK News aus den SAH-Vereinen 17 EINBLICK Maribel Abrego setzt sich im salva­dorianischen Cabañas für die Partizipation von Frauen und Jugendlichen ein 18

kulturell

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Made in Yugoslavia: Melina Kameric´ s Geburtsland existiert nur noch auf dem Boden der Töpfe, in denen sie Ajvar kocht.

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EINBLICK

Misshandelte Frauen schrecken nicht mehr vor Anzeigen zurück und Jugendliche übernehmen Verantwortung: Maribel Abregos Engagement in El Salvador zeigt Wirkung.

IMPRESSUM Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Christian Engeli, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Irene Bisang, Daniel Süri, Milena Hrdina, Walter Roselli, Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Carol Le Courtois Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Ein an Staublunge erkrankter chinesischer Steinschleifer zeigt das Röntgenbild seiner Lunge. Foto: Ming Pao. Rückseite: Der neue Post-It-Clip von Solidar jetzt online: www.solidar.ch


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THEMA Wegen mangelndem Schutz gegen die Staubentwicklung erkranken viele ArbeiterInnen in der Stein­ industrie an Staublunge.

China

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China ist der drittwichtigste Handelspartner der Schweiz. Doch trotz gewisser Verbesserungen in den letzten Jahren hat das Land in Bezug auf Arbeits- und Menschenrechte noch immer einen schlechten Ruf. Bei vielen chinesischen Produkten, die wir hier kaufen, stellt sich deshalb die Frage, ob diese unter aus­beuterischen Bedingungen hergestellt wurden. Aktuell steht die Schweiz mit China in Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen, um den Handel weiter auszubauen. Welche Rolle wird den Menschenrechten in diesem Abkommen zugestanden? Ist fairer Handel mit China möglich? Wie setzt sich Solidar in der Schweiz und in China für faire Arbeitsbe­ dingungen ein? Lesen Sie dazu den Themenschwerpunkt auf den folgenden Seiten. Foto: Ming Pao


6 Kampf für Arbeitsrechte

In China kämpfen immer mehr ArbeiterInnen mit wilden Streiks und der Unterstützung von NGOs für menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Unabhängige Gewerkschaften sind weiterhin verboten. Text: Suki Chung, LAC, Fotos: Ming Pao (l. u. r.) und LAC (Mitte)

Mit dem rapiden Wirtschaftswachstum in China wachsen auch die sozialen Spannungen und die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen. Dies zeigt sich in einer wachsenden Zahl wilder Streiks und Demonstrationen, die den chinesischen Staat zwingt, Gesetze zum Schutz von Arbeitsrechten und soziale Sicherungssysteme zu schaffen. Doch trotz gelegentlicher Zugeständnisse an die ArbeiterInnen sind Politik und Gesetzgebung wei­terhin im Grunde kapitalfreundlich und undemokratisch. ArbeiterInnen dürfen sich nicht frei organisieren, da nach wie vor einzig die staatliche Gewerkschaft ACFTU offiziell zugelassen ist. Erfolgreicher Kampf um höhere Mindestlöhne Beispiel einer erfolgreichen Aktion von ArbeiterInnen ist der Kampf gegen einen

Zweiklassen-Mindestlohnstandard in Pan­ yu, einer Region der Provinz Guangzhou im Südosten Chinas. In Panyu betrug der Mindestlohn nur 1100 Yuan, in anderen Regionen der Provinz jedoch 1300 Yuan. Die Solidar-Partnerorganisation Labour Action China (LAC) unterstützte seit Mitte 2011 die ArbeiterInnen im Kampf um Transparenz in der Berechnung des Mindestlohns und um dessen Vereinheitlichung. Im Februar 2012 reagierte die Regierung mit einer offiziellen Erklärung: Sie werde den Mindestlohn in Panyu auf die Höhe von Guanzhou Stadt heben. Ein seltener Sieg, der umso wichtiger ist, als es auch um die grundsätzliche Frage der Beteiligung der ArbeiterInnen an der Ausgestaltung der Spielregeln geht. In ganz China wurde in den Medien darüber berichtet.

Gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen LAC setzt sich seit 2004 für die Rechte der WanderarbeiterInnen ein, und hat erreicht, dass die Firma Lucky Gems in den Jahren 2010 und 2011 von der Uhrenund Schmuckmesse Basel World ausgeschlossen wurde (siehe Solidarität 2/2011: www.solidar.ch/solidaritaet). Seit­her hat LAC weitere ArbeiterInnen im Kampf gegen gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen in der Schmucksteinindustrie unterstützt. Im Februar dieses Jahres übte LAC an der Hongkong International Jewelry Show, die sich die zweitgrösste Schmuckmesse der Welt nennt, Druck auf zwei weitere Firmen aus: Good Luck Jewelry und Worldwide Gems and Jewelry. An Silikose (Staublunge) erkrankte ehemalige ArbeiterInnen hatten die Firmen verklagt und vor


THEMA 7

In einer Protestaktion an der Hongkonger Schmuckmesse fordern ArbeiterInnen eine Entschädigung für Silikose-Opfer.

ge Kompensation ein. Der Geschäftsleiter verweigerte ihnen das Gespräch «aus Angst vor den Protestierenden». Worldwide reagierte jedoch mit einem Angebot auf die Proteste: Den Betroffenen sollen monatlich 3000 Yuan (450 Franken) Entschädigung be«Es geht um die Beteiligung zahlt werden. Angesichts des der ArbeiterInnen an der AusGerichtsurteils, das allen Klagestaltung der Spielregeln.» genden insgesamt je über 300 000 Yuan zusprach, ist der Beschwerden von LAC schloss die dies jedoch völlig ungenügend. Zumal Hongkonger Schmuckmesse dieses Luo Youzhong, einer der Kläger, im letzten Stadium der Silikose nur noch mit Jahr beide Firmen aus. Sauerstoffzufuhr leben konnte – die 3000 Yuan hätten kaum seinen LebensErste Anerkennung unterhalt gedeckt, geschweige denn die für Wander­arbeiterInnen An einer Protestversammlung mit 300 Kosten für die medizinische Versorgung. TeilnehmerInnen vor dem Hongkonger Aufgrund des grossen Aufsehens, den Hauptsitz von Worldwide Gems forderten ein Bericht im Guangdong Satelliten-TV zwei kranke ArbeiterInnen ihre überfälli- erregte, rief die Regierung im Mai einen über einem Jahr Recht bekommen. Doch Worldwide Gems bezahlte den Klagenden nur vereinzelt Entschädigungen aus, während sich Good Luck weigerte zu bezahlen und Berufung einlegte. Aufgrund

Preis für ArbeitsmigrantInnen ins Leben – und hat somit zum ersten Mal deren Leistung offiziell anerkannt. Auch Luo Youzhong war unter den 13 Ausgezeichneten. Am 2. Juni erlag er jedoch seiner Krankheit. www.solidar.ch/china

Ihre Spende wirkt Dank Ihrer Spende von 100 Franken kann LAC einer Arbeiterin oder einem Arbeiter, deren Gesundheit durch schädliche Arbeitsbedingungen zerstört wurde, juristischen Beistand bieten, um eine Entschädigung zu erkämpfen. Je mehr Klagen, desto grösser der Druck auf die Unternehmen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.


8 thema

Fairhandel statt Freihandel mit China Mit dem geplanten Freihandelsabkommen mit China droht die Schweiz den Import von Produkten aus chinesischen Zwangsarbeitslagern zu fördern. Text: Christoph Baumann, Solidar Suisse

Bald sollen die Verhandlungen über ein bilaterales Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und China abgeschlossen sein: Bundesrat Johann Schneider-Ammann möchte es bis Ende 2012 unter Dach und Fach bringen. Kein leichtes Unterfangen, denn bis heute ist noch kein Freihandelsabkommen zwischen China und einem europäischen Land abgeschlossen worden. Ausserdem hat die Schweizer Verhandlungs­ delegation von der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates die Auflage erhalten, ein Nachhaltigkeitskapitel zu integrieren, das die Einhaltung der Kern­ arbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) durch beide Vertragsstaaten sicherstellt. Das bedeutet: China muss die schlimmsten Formen der Kinderarbeit abschaffen, sämtliche Formen von Zwangsarbeit beseitigen und die Gewerkschaftsfreiheit garantieren. Keine Informationen über die Verhandlungen Die Bundesverwaltung hüllt sich über die Fortschritte der Verhandlungen in Schweigen. Nach jeder Verhandlungsrunde – so auch nach der fünften im Mai dieses Jahres – wurde bekannt ge­ geben, es sei über «nachhaltige Entwicklung» diskutiert worden. Nun sollen ExpertInnen bis zur nächsten Runde Anfang

September weiterdiskutieren. Inzwischen ist bekannt geworden, dass – wenn überhaupt – Menschen- und Arbeitsrechte sowie Umweltstandards lediglich in der Präambel erwähnt werden sollen. Befürchtungen sind deshalb berechtigt, dass das Abkommen lediglich unverbindliche Absichtserklärungen enthalten und damit zur Untergrabung von menschenund arbeitsrechtlichen Mindeststandards in China beitragen wird.

der Gewerkschaften in China aus, die zunehmend zu sozialen Unruhen und spontanen Streiks der ArbeiterInnen führt. Das Arbeitsrecht ist im vergangenen Jahrzehnt zwar verbessert worden, doch Behördenwillkür bei Arbeitsinspektionen und Einflussnahmen auf die Arbeitsgerichte erschweren die Durchsetzung der Arbeitsrechte. Zwangsarbeitslager in China Den wohl schlimmsten Verstoss gegen die Menschen- und Arbeitsrechte bilden die Zwangsarbeitslager: Die chinesische Regierung betreibt auch heute noch solche Lager, in denen geschätzte drei bis fünf Millionen Gefangene als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden. Die Gefangenen können bis zu drei Jahre eingesperrt werden, ohne jemals formell verurteilt worden zu sein. Sie arbeiten meist von früh morgens bis spät abends

Transparenz und arbeitsrechtliche Mindeststandards Um dies zu verhindern, engagiert sich Solidar Suisse in der China-Plattform. Zusammen mit der Alliance Sud, der Erklärung von Bern, der Gesellschaft für bedrohte Völker und der Gesellschaft Schweiz-Tibet fordert Solidar mehr Transparenz bei den Verhandlungen und die Festlegung von arbeits- und menschenrechtlichen Mindeststandards. Eine Studie des «Es fehlen Gesetze, die Schweizerischen Kompetenz­ den Import von Produkten zentrums für Menschenrechte von 2011 stützt diese Foraus Zwangsarbeitslagern derung. verbieten.» In seinem Positionspapier «Bilaterales Freihandelsabkommen zwischen der Schweiz und Chi- ohne Lohn und unter unmenschlichen na: Kein Freihandel ohne arbeitsrechtli- und gefährlichen Bedingungen. Den zum che Mindeststandards» drückt Solidar die Tode verurteilten und hingerichteten GeSorge über die fehlende Unabhängigkeit fangenen werden zum Teil die Organe


THEMA 9 entnommen und im In- oder Ausland verkauft. So testet der Schweizer Pharmakonzern Roche in China ein Medikament, das die Abstossung von transplantierten Organen verhindern soll. Die meisten gespendeten Organe stammen von Gefangenen und Roche kann nicht ausschliessen, dass in den Testreihen Organe von Hingerichteten verwendet werden. Mangelndes Importverbot In der Schweiz und anderswo in Europa fehlen Handelsgesetze, die den Import von Produkten aus Zwangsarbeitslagern verbieten. Dabei nimmt die Zahl solcher Produkte im Westen zu und fördert so das Elend in China. Die bereits jetzt mangelhafte Regulierung des Handels hat potenziell Auswirkungen auf unseren Arbeitsmarkt: Die Arbeitsleistung der drei bis fünf Millionen unbezahlten Gefangenen in China entspricht in etwa der gesamten Arbeitsleistung der Schweiz (mit 4,4 Millionen Erwerbstätigen). Theoretisch – wenn auch nicht realistisch – könnte also das Zwangsarbeitssystem in China all jene Arbeitsplätze in der Schweiz vernichten, die nicht zwingend ortsgebunden sind. So könnte der Abbau von Handelsschranken durch ein Frei-

Cartoon von Corinne Bromundt

handelsabkommen den chinesischen Staat dazu verleiten, die Zwangsarbeitslager auszubauen, um auf Kosten der Menschenrechte in China und der Erwerbstätigen in der Schweiz zusätzliche Einnahmen zu generieren. Kein Freihandel ohne Menschenrechte Ein Freihandelsabkommen mit China muss auch der Entwicklung und der Respektierung der Menschenrechte dienen. Deshalb hat Solidar sieben Mindestanforderungen an das Freihandelsabkommen aufgestellt (siehe Kasten). Die Generalversammlung von Solidar Suisse hat diese Resolution am 24. Mai 2012 verabschiedet. Falls der Bundesrat nicht für die Verankerung der Menschen- und Arbeitsrechte sorgt, fordert Solidar Suisse das Parlament auf, das Freihandelsabkommen abzulehnen. Die SP hat an ihrer Delegiertenversammlung vom 23. Juni 2012 eine Resolution mit ähnlichen Forderungen verabschiedet. Falls das Abkommen keine genügenden Nachhaltigkeitsbestimmungen enthält, wird sie prüfen, ob sie das Referendum ergreifen wird. www.sp-ps.ch/positionen

Mindestanforderungen an das Freihandelsabkommen mit China 1. Das Freihandelsabkommen (FHA) zwischen der Schweiz und China beinhaltet ein Nachhaltigkeitskapitel mit sozialen und ökologischen Bestimmungen. 2. Das Nachhaltigkeitskapitel stellt die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation IAO (Gewerkschaftsfreiheit; Verbot von Kinderarbeit, Zwangsarbeit und Diskriminierung) als arbeitsrechtliche Mindeststandards sicher. Darüber hinaus legt es weitere Standards auf Basis des Uno-Pakts 1 (Sozialrechte) verpflichtend fest. 3. Das FHA garantiert die Freiheit und Unabhängigkeit der Gewerkschaften und sichert ihnen explizit das Recht zu, sich in internationalen Gewerkschaftsverbänden einbringen zu dürfen. 4. Das FHA stellt sicher, dass kein Freihandel erfolgt, solange nicht sämtliche Zwangsarbeitslager geschlossen sind. 5. Eine tripartite Kommission überwacht die ausreichende Integration der arbeitsrechtlichen Belange sowie die Umsetzung des FHA und leitet als Schweizer Kontaktstelle für Beschwerden bei Regelverletzungen Schritte ein, wie z. B. Sanktionen. 6. Werden die menschen- und arbeitsrechtlichen Standards des Nachhaltigkeitskapitels verletzt, ist ein bilaterales Schiedsgerichtverfahren vorgesehen. 7. Das FHA regelt verbindlich die Zusammenarbeit im Bereich Arbeit, insbesondere in Bezug auf das Arbeitsrecht und seine rechtliche Durchsetzung. www.solidar.ch/freihandelsabkommen


10 «Wir werden nicht immer freundlich empfangen»

Fair produzierte Steine aus China? Ja, das gibt es. Solidar Suisse sprach mit Karoline Herrmann, die bei WiN=WiN das Label «Fair Stone» betreut. Interview: Christian Engeli, Fotos: WiN =WiN GmbH Solidar Suisse hat vor vier Jahren erstmals Schweizer Gemeinden aufgefordert, nur noch fair produzierte Natursteine zu verwenden. Damals war das gar nicht so einfach, denn es gab kaum zertifizierte Steine auf dem Markt. Hat sich dies verändert? In der Schweiz haben wir mittlerweile neun PartnerInnen, die Fair-Stone-zertifizierte Steine anbieten. Das heisst: Ja, es ist heute möglich, faire Steine zu kaufen. Es reicht aber noch nicht. Je grösser die Nachfrage nach sozialverträglich produzierten Steinen, desto mehr ImporteurInnen werden diese Forderung in ihren Lieferketten umsetzen. Verlangen die KundInnen heute faire Steine? Immer mehr Gemeinden fordern mittlerweile Natursteine, die unter sozial- und umweltverträglichen Bedingungen pro-

duziert wurden. In der Schweiz sind hier die Städte Zürich und Bern Vorreiterinnen. Private KäuferInnen, die nach fair produzierten Steinen fragen, gibt es ganz selten, obwohl ein Angebot existiert.

in China verbreitet ist, können wir nicht bestätigen. Das Problem sind vielmehr die schlechten Arbeitsbedingungen. Kann ich sicher sein, dass Natursteine mit einem Fair-Stone-Zertifikat wirklich fair produziert sind? Können Sie das vor Ort überprüfen? Die europäischen ImporteurInnen melden uns, aus welchen Fabriken sie die Steine beziehen. Wir besuchen die Fabriken und

Viele hier verbaute Natursteine stammen aus China. Welches sind dort die grössten Probleme? Das Bewusstsein der ArbeiterInnen für die Gefährlichkeit ihres Jobs ist oft nicht vorhanden. Viele tragen keine Schutzausrüstung. Dabei lassen sich arbeitsbedingte «Überzeugungsarbeit ist Krankheiten wie Silikose ein wichtiger Bestandteil (Staublunge) und Gehörverunserer Arbeit.» lust oder Unfälle durch einfache, aber effektive Massnahmen (Ohrstöpsel, Mundschutz, Sicher- begutachten die aktuelle Arbeitssituation. heitsbrillen) verhindern. Leider gibt es oft Unsere PartnerInnen, die ImporteurInnen, auch keine Verträge oder Sozialversiche- setzen sich dann gemeinsam mit den Farungen. Die Annahme, dass Kinderarbeit brikmanagerInnen für die Verbesserung


THEMA 11 Die ArbeiterInnen einer Steinfabrik in Xiamen, die das «Fair Stone»-Label trägt, benutzen Schutzausrüstungen.

Gibt es keine Widerstände von den Fabrik- und SteinbruchbesitzerInnen vor Ort? Die Reaktionen sind gemischt. Natürlich geht es vielen zunächst nur darum, ihre Steine an ein europäisches Unternehmen zu verkaufen. Wenn dieses verlangt, dass die Steine unter Fair-Stone-Bedingungen produziert werden, muss es sich beteiligen. Deswegen sind für unsere Arbeit langfristige Lieferbeziehungen sehr wichtig. Für einzelne Bestellungen funktioniert das System nicht, und das Engagement bricht wieder weg. Überzeugungsarbeit ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit.

der Arbeitsbedingungen ein. Sie müssen uns regelmässig über die umgesetzten Massnahmen Bericht erstatten. Wir haben lokale RepräsentantInnen, die die Angaben überprüfen. Wichtig ist zudem: Jede Lieferung wird gekennzeichnet und in unserer TracingSoftware (www.tracingfairstone.com) erfasst. So kann stets nachvollzogen werden, woher die Ware stammt. Gibt es eine Prüfung von unabhängiger Seite? Nach spätestens drei Jahren muss sich jeder Fair-Stone-Partner extern prüfen lassen. In China werden diese Audits zum Beispiel von einer Arbeitsrechtsexpertin und dem TÜV Rheinland durchgeführt, der vor Ort ein Büro unterhält. Wir haben darauf keinen Einfluss. Dieses Jahr werden die ersten Fabriken unabhängig auditiert.

Und Sie können auch in einem Land wie China unangemeldete Kontrollen durchführen? Ja. Manchmal werden unsere RepräsentantInnen zwar nicht gerade freundlich empfangen, aber die Kontrollen müssen sein. Wenn ein Betrieb dies nicht zulässt, darf er das Label nicht mehr tragen. Was geschieht, wenn Sie Verstösse gegen Ihre Kriterien feststellen? Wir geben jedem Betrieb eine maximale Umsetzungszeit von drei Jahren, in denen es messbare Verbesserungen geben muss. Werden die Fristen nicht eingehalten, mahnen wir sie an. Gemeinsam mit dem Partner versuchen wir dann herauszufinden, woran es bei der Umsetzung hapert. Grundsätzlich versuchen wir immer, Unterstützungsarbeit zu leisten. Momentan haben wir einen Fall, bei dem ein Betrieb bei der Berichterstattung geschummelt hat. Er hat nun eine letzte Frist bekommen. Sind unsere Bedingungen bis dann nicht erfüllt, wird er ausgeschlossen. Dies ist besonders schade, da wir davon ausgehen müssen, dass sich die Situation für die ArbeiterInnen dann

wieder verschlechtert. Aber «Fair Stone» funktioniert nur, wenn alle Beteiligten der Lieferkette an einem Strang ziehen. Und die Natursteinbranche in Europa? Setzt sich hier die Idee der fairen Steine langsam durch? Im Vergleich zur großen Anzahl von NatursteinimporteurInnen arbeiten nur wenige mit uns zusammen. Doch ihre Zahl steigt langsam aber stetig. Es gibt einige ImporteurInnen, die ein Eigenlabel kreiert haben. Hier müssen die KundInnen besonders vorsichtig sein. Eigenlabel klingen schön, sie sind aber oft nur heisse Luft. Teilweise sind noch nicht einmal die – angeblich eingehaltenen – Kriterien definiert. Niemand überprüft die Behauptungen. Je transparenter, desto glaubwürdiger ist ein Zertifikat. Daher bemühen wir uns sehr um Transparenz. Die Nachverfolgung der Bestellungen ist nur ein Beispiel. Auch die Fortschrittsberichte, der Standard, das Auditmanual und viele andere Dokumente sind auf unserer Homepage frei verfügbar.

WiN=WiN Die WiN=WiN GmbH, Agentur für globale Verantwortung, ist spezialisiert auf Corporate-Social-Responsibility-Projekte in Entwicklungs- und Schwellenländern und baut seit 2008 das Label «Fair Stone» auf. Die Koordinatorin Karoline Herrmann ist für die Kommunikation mit PartnerInnen, die Unterstützung der Standardumsetzung in den steinverarbeitenden Betrieben, die Öffentlichkeitsarbeit und die Kommunikation mit den Kommunen zuständig. www.win--win.de


12 Notizen Pfeifkonzert für die Fifa in Bogota Am 21. Mai 2012 verabschiedete StreetNet International, die Allianz der StrassenhändlerInnen, in Bogota einen Brief an die Fifa mit der Forderung, an der WM in Brasilien die Rechte der StrassenhändlerInnen zu respektieren. Das heisst konkret: • Die Fifa soll die lokalen Behörden auffordern, an den Austragungsorten den Dialog mit den Organisationen der informellen ArbeiterInnen zu suchen. • Innerhalb der Fanmeilen rund um die Stadien sollen 50 Prozent der Stände für lokale HändlerInnen reserviert sein, die typisches Handwerk, Essen und Trinken aus der Region anbieten. • In allen Städten sollen Foren für informellen Handel etabliert werden. Die 17 Organisationen aus 13 Ländern in Lateinamerika, Europa, Afrika und Asien schickten den Brief auch an ihre nationalen Fussballverbände und luden sie zu einem Treffen ein, um ihre Anliegen zu diskutieren. Als Zeichen der Unterstützung der Solidar-Petition an Sepp Blatter veranstalteten die Anwesenden ein Pfeif­konzert. www.solidar.ch/news

Hungerkatastrophe in Burkina Faso verhindern Die Ernteausfälle wegen der anhaltenden Dürre im letzten Jahr führen in Burkina Faso – wie in anderen Ländern des Sahel – zu einer zunehmenden Nahrungsmittelkrise. Die Regierungen der

135 285 fordern klare Regeln für Schweizer Konzerne Am 13. Juni wurde die Petition «Recht ohne Grenzen» mit 135 285 Unterschriften dem Parlament übergeben. Sie fordert Bundesrat und Parlament auf, dafür zu sorgen, dass Firmen mit Sitz in der Schweiz die Menschenrechte und die Umwelt weltweit respektieren. Gleichzeitig reichten Mitglieder verschiedener Parteien Vorstösse zum Thema ein. «Recht ohne Grenzen», eine Koalition von 50 Organisationen, der

101. IAO-Konferenz

Eine WM für alle Der Start der Solidar-Kampagne gegen Ausbeutung an der WM 2014 in Brasilien war ein grosser Erfolg. Über 25 000 Menschen haben Fifa-Boss Sepp Blatter aufgefordert, sich gegen die Vertreibung von 150 000 Menschen aus ihren Quartieren und gegen die schlechten Arbeitsbedingungen auf den Stadionbaustellen einzusetzen sowie auf exklusive Verkaufsrechte für Fifa-SponsorInnen rund um die Stadien zu verzichten. www.solidar.ch/fairewm

An der diesjährigen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation IAO wurde mit Guy Rider erstmals ein Gewerkschaftsvertreter als Direktor gewählt. Zentral war die Verabschiedung der IAOEmpfehlung «Sozialer Basisschutz für eine soziale Gerechtigkeit und faire Globalisierung», die die Wichtigkeit eines minimalen Sozialversicherungssystems (Krankheit, Erwerbslosigkeit, Rente) für die Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern betont. Denn über 70 Prozent der Weltbevölkerung leben ohne jegliche soziale Absicherung. Auch die Jugendarbeitslosigkeit war ein wichtiges Thema. Bis anhin als Phänomen des Südens betrachtet, hat sie heute auch in den Industrienationen ein be-

betroffenen Länder und die internationale Gemeinschaft haben nun Massnahmen ergriffen, um einer Hungerkatastrophe wie letztes Jahr in Ostafrika zuvorzukommen. Solidar Suisse hat mit Unterstützung der Glückskette Ende Juni begonnen, an die SchülerInnen der zweisprachigen Vor- und Primarschulen in Burkina Faso Essen zu verteilen. So wird der Schulbesuch der Kinder gefördert und die Familien werden dabei unterstützt, die Zeit bis zur nächsten Ernte zu überstehen. www.solidar.ch/news

auch Solidar Suisse angehört, arbeitet nach der Übergabe weiter an der Umsetzung der Forderungen der Petition. www.solidar.ch/rog

ängstigendes Ausmass angenommen. So sind in Spanien 50 Prozent der erwerbsfähigen Jugendlichen arbeitslos. Global ist die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen seit der Krise 2008 um vier auf 75 Millionen gestiegen. Zu einem Eklat kam es in der Normenkommission, die Klagen wegen Verstössen gegen die IAO-Konventionen ahndet. Die Arbeitgeberdelegation verweigerte der Kommission die Entgegennahme der Klagen, weil die IAO sich nicht zum Streikrecht äussere und ihre ExpertInnen parteiisch seien. Dieses Jahr wird es deshalb zum ersten Mal keine Untersuchung der eingereichten Klagen geben. Es ist zu hoffen, dass die Arbeitgebenden nächstes Jahr die Relevanz der IAO auch als Klageinstanz vollumfänglich anerkennen.


kulturell 13

Melina Kameric Made in Yugoslavia Das Land, in dem ich geboren bin, existiert nur noch auf dem Boden der Töpfe, in denen ich Ajvar koche. Wenn der Ajvar fertig ist, spüle ich die Töpfe. Und wenn ich die gespülten Töpfe zum Abtropfen umdrehe, blitzt von deren Boden die Aufschrift «Made in Yugoslavia» auf. Ich bin mit Cockta und Jupi1, Stella Eis und Rum ploice2 gross geworden. In einem Land, in dem auf allem «Made in Yugoslavia» stand. Ich habe ein echtes Problem. Auf dem Antrag für das amerikanische Visum steht: Staatsangehörigkeit bei Geburt? Ich wage nicht zu fragen, was die eintragen sollen, die in einem Land geboren sind, das es nicht mehr gibt. Ich lasse das Feld leer. Und überspringe auch die Frage: Waren Sie jemals Mitglied der Kommunistischen Partei? Ich schäme mich total, denn irgendwie habe ich das Gefühl, als würde ich meinen Pioniereid verraten, und Tito, und alle Partisanen. Aber ich hab Angst, dass die Amerikaner mir kein Visum geben, wenn ich zugebe, dass ich in der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien geboren bin. Und dass theoretisch auch Pioniere Kommunisten sind. Immer, wenn ich nervös bin, juckt meine Narbe am Knie. Während ich hysterisch daran kratze, erinnere ich mich an mein Fahrrad. Das Pony-Fahrrad, mit dem ich

gestürzt bin, und wie ich mir die Knie aufgeschürft habe, bis zu den Knochen. Dieses Fahrrad hat Papas Traupate mir gekauft. Es war mein zehnter Geburtstag, und Onkel Pero schenkte mir ein Pony-Fahrrad. Er war in meinen Augen furchtbar wichtig, denn alle sagten, er sei eine Waise aus dem Kozara-Gebirge3. Seine Frau Mira gab mir im Pionierzentrum Boško Buha Englischstunden. Sie war von der Insel Lošinj, und im Sommer besuchten wir ihre Oma und sahen uns die Delfine an. Die Traupaten sind jetzt in Amerika. Und ich fahre hin und weiss, dass ich sie nicht treffen werde. Amerika ist groß, und sie sind auch nicht mehr unsere Traupaten. Sie gingen kurz vor Ende des Krieges. Ich wollte immer begreifen, was für einen zusätzlichen Druck sie spürten, außer den Granaten und dem Hunger. Sie gingen, ohne sich richtig zu verabschieden. Sie murmelten etwas wie, sie wollten raus aus der Scheiße und ein neues Leben beginnen. Später dann nur eine Nachricht. Sie war an Mama adressiert und lautete: «Wir haben uns eingerichtet. Pero arbeitet. Ich sitze zu Hause. Es ist schwer. Wir finden keine Freunde. Die Serben meiden uns, weil ich Kroatin bin. Und die Kroaten, weil Pero Serbe ist. Und eure Bosniaken, die

wollen erst recht nichts von uns wissen. Wir versuchen, irgendwie klarzukommen. Gruss.» Mama sagte nur: Schert euch zum Teufel mit euren Serben, Kroaten und Bosniaken! Dann wandte sie sich zu mir und sagte: Bitte, merk dir nur eins: Jeder trägt seine Scheisse in seinem Kopf mit sich herum! Von da an waren sie nicht mehr unsere Traupaten. Ich fahre nach Amerika. Um Freunde zu besuchen. Dave ist Diplomat. Und Demokrat. Er und sein Partner Steve, ein eiserner Republikaner, haben zwei adoptierte Kinder. Moni aus Russland und Naser aus Malaysia. Und ein dickes, analphabetisches Kindermädchen aus Guatemala. Sie heisst Maria und kocht den besten Curry der Welt. Die Katze ist von mir. Sie heisst Mrkva. Ich freue mich, sie bald zu sehen. Das heisst, wenn ich das Visum bekomme. Ich weiss immer noch nicht, was ich sagen soll, wenn sie mich fragen: Staatsangehörigkeit bei Geburt? Ich fürchte, meine Antwort wäre: Ajvar. 1 2 3

Anm. d. Ü.: Limonaden der Firma Droga Kolinska. Anm. d. Ü.: Schokoriegel der Firma Kandit. Anm. d. Ü.: Im Kozare-Gebirge wurden 1942 fast 4000 PartisanInnen getötet.

Aus dem Bosnischen von Margit Jugo. Zuerst erschienen in: Wespennest Nr. 159 (November 2010), www.wespennest.at


14 AKTUELL

Den Sprachlosen eine Stimme geben Das Africa Labour Radio Project gibt den ArbeiterInnen eine Stimme und stärkt ihren Einfluss, um würdige Arbeitsbedingungen und soziale Gleichheit zu erreichen. Text und Foto: Martin Jansen, Workers’ World Media Productions Radio ist in Afrika das zentrale Medium, um die Menschen zu erreichen. Ein Radio haben alle, und es ist populär. Deshalb unterstützt Solidar Suisse das afrikanische ArbeiterInnen-Radioprojekt (Africa Labour Radio Project), das die arme Bevölkerung über ihre Rechte informiert. Die ghanaische Radiomacherin Susan Sekyere ist stolz auf die Erfolge in ihrem Land: «Jeden Montag wird unser Radioprogramm gesendet und spricht Themen an, die ghanaische ArbeiterInnen beschäftigen, wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, Armut oder Sicherheit am Ar-

beitsplatz. Viele rufen in unsere LiveSendung an, um Fragen zu stellen oder ihre Meinung zu äussern», erzählt sie begeistert. «Und kürzlich hat uns eine Radiostation aus Accra angefragt, ob sie unsere Programme übernehmen darf.» Auch in Uganda ist das Radio eine Erfolgsgeschichte: Davon zeugt neben vielen Anrufen von HörerInnen auch die Tatsache, dass ArbeiterInnen zunehmend Arbeitsrechtsverletzungen bei den Behörden melden. Offensichtlich wissen sie nun, wohin sie sich wenden müssen, um sich zu wehren.

Eine Plattform für die afrikanischen ArbeiterInnen Das 2008 initiierte Radioprojekt klärt die ArbeiterInnen über ihre Rechte auf und versucht, sie zu organisieren. GewerkschaftsvertreterInnen – zur Hälfte Frauen – erhalten Medientrainings. Es werden Sendungen in Englisch und lokalen Sprachen für Lokalradios produziert und ausgestrahlt. Zum Beispiel in Ghana, Lesotho, Malawi, Uganda oder Zambia. Ausserdem produziert die Solidar-Partnerorganisation Workers World Media Productions wöchentliche Radiopro-


KOLUMNE

aktuell THEMA 15

Bosco Onyik (links) und weitere VertreterInnen des Africa Labour Radio Project aus Zimbabwe, Tansania und Malawi auf Sendung.

gramme, die in verschiedenen Ländern ausgestrahlt werden. In den Radiosendungen wird eine breite Palette gesellschaftlicher Themen angesprochen. Zum Beispiel prekäre Arbeit, soziale Ungleichheit, HIV/Aids oder Diskriminierung – sei es aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder sexueller Orientierung. Doch das Projekt muss Widerstände überwinden, um die ArbeiterInnen zu erreichen. Auch das Gewerkschaftskader muss erst von der Wichtigkeit der Medienpräsenz für die Verbesserung der Situation der ArbeiterInnen überzeugt werden. Recht auf Redefreiheit Ein anderes Problem sind die mangelnden Möglichkeiten, in öffentlichen und kommerziellen Medien die Sichtweise

Africa Labour Radio Project Das Africa Labour Radio Project nutzt das Radio für Information, Bildung und Empowerment und stärkt die Stimme der Gewerkschaften in der öffentlichen Diskussion um Armuts­ bekämpfung und menschenwürdige Arbeit. In zehn anglophonen afrikanischen Ländern sollen wöchentliche Sendungen ausgestrahlt werden mit dem Ziel, Themen aus einer ArbeiterInnenperspektive zu beleuchten, die Medienkompetenz bei den beteiligten Gewerkschaften aufzubauen und ihre Organisationskraft zu stärken. Ausschnitte aus einer Sendung finden Sie hier: www.soundcloud.com/velapi/promo www.solidar.ch/alrp

der Gewerkschaften und die Stimmen der ArbeiterInnen einzubringen. Dies liegt auch an der Schwäche der Gewerkschaften, die in vielen afrikanischen Ländern von der Regierung gering geschätzt werden. VertreterInnen des Radioprojekts waren mit unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert, als sie Sende­ zeiten bei den öffentlichen und kommerziellen Radiostationen in ihrem Land erwirken wollten. So gelang dies Onyik Bosco in Uganda lediglich in einem Lokalradio, bei den anderen Sendern blitzte er ab: «Viele Radiostationen wollten eine Menge Geld dafür, was wir uns nicht leisten können.» Onyik Bosco findet, dass die beteiligten Gewerkschaften sich mehr für Sendezeiten im öffentlichen Radio einsetzen sollten: «Eine Plattform für die ArbeiterInnen im öffentlichen Radio ist eine Form der Redefreiheit, auf die wir ein Recht haben», ist er überzeugt. «Dafür müssen wir kämpfen.» Das Projekt wird in nächster Zukunft den Schwerpunkt auf die Medienfreiheit legen, um zu erreichen, dass diese nicht nur im Gesetz steht, sondern auch praktisch umgesetzt wird – zum Beispiel durch die Unterstützung von Medienplattformen. Denn laut Bericht von Freedom House zur Pressefreiheit 2012 sind in Sub-Sahara-Afrika nur zehn Prozent der Medien vollständig, 46 Prozent teilweise und 44 Prozent gar nicht frei. Arabischer Frühling Anfang 2011 wurden als Reaktion auf den arabischen Frühling Gewerkschaften aus Tunesien und Ägypten eingeladen, am Projekt teilzunehmen. Um für die Berücksichtigung der Bedürfnisse der ArbeiterInnen beim angestrebten Übergang zur Demokratie zu kämpfen, wird nun mit dem Gewerkschaftsbund des Mittleren Ostens und anderen Partnerorganisationen ein arabisches Labour Radio Project angestrebt.

Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse und Kade Ninaj (rechts) konnte dank Beratung SP-Nationalrat und Desinfektionsmitteln die Milchqualität steigern.

Multis ins Visier nehmen Das Verhalten von Schweizer Firmen im Ausland prägt das Image unseres Landes. Diese Lektion erteilten uns in den letzten Jahren vor allem Banken, die im grossen Stil reichen AusländerInnen Beihilfe zur Steuerflucht leisteten und damit den guten Ruf der Schweiz spürbar schädigten. Neben den Banken sind es in der Schweiz domizilierte Rohstoffkonzerne wie Glencore und Xstrata, die mit Menschenrechtsverletzungen und ausbeuterischen Methoden gegenüber Arbeitskräften und Natur negativ auffallen. Oft tun sie das in Komplizenschaft mit der herrschenden Elite eines Landes, die sich hochkorrupt masslos bereichert und den unterschlagenen Reichtum ausser Landes bringt – zum Beispiel auf eine Schweizer Bank, selbstverständlich unversteuert. Der Bundesrat sieht bisher keinen Anlass, den Schweizer Multis im Ausland auf die Finger zu schauen. Er sieht lieber weg und wundert sich dann, dass ihm in immer grösseren Teilen der Welt kalter Wind ins Gesicht bläst. Diese Passivität ist schädlich und nicht länger akzeptabel. Es braucht in der Schweiz ein Observatorium, das die Multis be­ obachtet und bei Fehlverhalten Alarm schlägt. Zusätzlich braucht es ein Verfahren, mit dem fehlbare Multis zur Verantwortung gezogen und bestraft werden können, wie es die Kampagne «Recht ohne Grenzen» fordert. Wir dürfen als Nation nicht länger den Kopf hinhalten für Betriebe, die im Ausland gegen unsere Verfassung verstossen.


16 PINGPONG Solidar-sudoku

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1 7

4 8 1

6

5 9

5 5

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3 3

4

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9

1 3

Preise Drei handgewobene Tücher aus Burkina Faso. Die Preise wurden von unserer burkinischen Partnerorganisation Association pour le Développement du Département d’Ipelcé hergestellt.

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7 4

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Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit dem beiliegenden vorfrankierten Antwort-Talon, einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel». Jede richtige Lösung nimmt an der Verlosung teil.

Einsendeschluss ist der 23. September 2012. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 4/2012 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 2/2012 lautete «Grüne und menschenwürdige Jobs schaffen». Die GewinnerInnen sind ausgelost: Regina Sinz-Krauss aus Bern hat ein Kubb-Spiel, Anne-Marie Ramel aus La Tour-de-Peilz ein Magnetset und Martin Krieg aus Maisprach einen Stifthalter gewonnen. Wir danken den Mitspielenden für ihre Teilnahme und der Werkstatt Carrom des SAH Basel für die gestifteten Preise.

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Lösungswort

Spielregeln Füllen Sie die leeren Felder mit Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3-Blöcke nur einmal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1= O, 2=A, 3=I, 4=B, 5=D, 6 =R, 7=N, 8=U, 9 =L

Solidaritäts-Barometer Solidar Suisse ist in verschiedenen Ländern tätig, in denen die politische Situation schwierig ist und keine Meinungsäusserungsfreiheit herrscht. Wenn wir uns in der Schweiz politisch dazu äussern, riskieren wir unter Umständen, unsere PartnerInnen vor Ort zu gefährden. Solidar soll … … sich in solchen Ländern vor Ort mit Projekten engagieren und auf politische Äusserungen verzichten. … sich aus solchen Ländern zurückziehen. … frei kommunizieren. Wer die Situation verändern will, muss Risiken eingehen. Beantworten Sie den Solidaritäts-Barometer auf dem beiliegenden Antwort-Talon.

auswertung Barometer Sollte sich die Fifa aktiv gegen Ausbeutung und für die Einhaltung der Menschenrechte bei der Fussball-WM einsetzen? 1

91 Ja 1 Nein

91

Ist es sinnvoll, dass sportliche Grossanlässe wie die FussballWM in Entwicklungs- und Schwellenländern durchgeführt werden? 7

10 25 50

25 Ja 50 Nein 7 Jein 10 Keine Antwort

Die zweite Frage wurde kontrovers beantwortet. Auffällig ist jedoch, dass Ja- wie Nein-Stimmen auf ähnlichen Über­ legungen basierten. Die meisten stimmen unter dem Vorbehalt zu, dass sich die Fifa für die Einhaltung der Menschen- und Arbeitsrechte engagiert und dass die lokale Bevölkerung von der WM profitiert. Doch wurde positiv vermerkt, dass mit der Austragung der WM auf Missstände aufmerksam gemacht werden könne und das Selbstver­ trauen dieser Länder gestärkt werde. Ablehnende befürchten, dass die Profite nur der Fifa zugute kommen und die WM nicht zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt, sondern es den Armen nachher noch schlechter geht. Der Aufwand sei zu gross, so dass das Geld für Wichtigeres fehle und das Land mit Bauruinen, einer zerstörten Natur und Verlusten zurückbleibe.


Netzwerk 17 In dieser Rubrik bieten wir Organisationen aus unseren Netzwerken eine Plattform. In dieser Nummer sind es Neuigkeiten aus den SAH-Regionalvereinen, die in der Schweiz Programme für Erwerbslose und MigrantInnen durchführen. Mit ihnen verbinden uns eine gemeinsame Geschichte und Trägerschaft.

Erfolgreiches Coaching für BerufseinsteigerInnen

Jean Christophe Schwaab wird Präsident des SAHNetzwerks Der Waadtländer Nationalrat Jean Christoph Schwaab wurde an der Delegiertenversammlung vom 5. Juni 2012 einstimmig zum neuen Präsidenten des SAH-Netzwerks gewählt. Der 33-Jährige ist Doktor der Rechtswissenschaften und Präsident des Schweizerischen Bankpersonalverbands Region Westschweiz. Seine Tätigkeit als Gewerkschafter, seine Mitgliedschaft im Vorstand des SAH Waadt und seine Zweisprachigkeit haben ihn für dieses Amt prädestiniert. Darüber hinaus ist sein Alter ein grosses Plus, setzen sich die regionalen SAH-Vereine doch mit zahlreichen Programmen gegen die Jugendarbeitslosigkeit ein. In enger Zusammenarbeit mit dem nationalen Sekretär wird Schwaab die Entwicklung von Integrations- und Bildungsmassnahmen auf nationaler Ebene weiterverfolgen. Er stellt das zentrale Bindeglied zum Parlament dar, das er von der Notwendigkeit einer Integration und Chancengleichheit unabhängig von Herkunft oder Bildungsstand überzeugen soll. www.sah-schweiz.ch

Der Einstieg ins Arbeitsleben fällt vielen jungen Erwachsenen schwer, unabhängig davon, welche Ausbildung sie absolviert haben. Seit Sommer 2010 erhalten sie von «CT2 – Coaching TransFair 2» Unterstützung in diesem Prozess. Mit Erfolg: Inzwischen hat das schweizweite Programm gegen tausend Teilnehmende gecoacht, 82 Prozent haben eine nachhaltige Anschlusslösung gefunden. Das unentgeltliche Angebot wird von den zehn regionalen SAH-Vereinen durchgeführt und bis im Sommer 2013 von der Credit Suisse finanziert. Nun sucht CT2 neue öffentliche oder private PartnerInnen, um das Projekt weiterzuführen. Arbeitslosigkeit, Orientierungsprobleme, prekäre Aushilfsjobs: Die Schwierigkeiten des Übergangs von der Aus­bildung zum Beruf zeigt auch die Arbeitslosenstatistik auf, die für junge Erwachsene deutlich erhöhte Werte ausweist. Für den Berufseinstieg brauchen sie realistische Ziele, exzellente Bewerbungsunterlagen und Durchhaltevermögen.

Gartenarbeit zur Kultur- und Integrationsförderung Rosmarin und Rucola statt Gras und Gestrüpp: Im Innenhof der Kunsthochschule Luzern entsteht derzeit ein Garten, dessen Ernte frisch in der eigenen Mensaküche verwertet werden soll. Su-

In der Schweiz fehlt es an einem flächendeckenden Angebot an Information, Begleitung und Training für BerufseinsteigerInnen. CT2 füllt diese Lücke: Es bietet jungen Erwachsenen niederschwellige und fachkundige Angebote zu ihrer individuellen Unterstützung. CT2 arbeitet in zwölf Schweizer Kantonen in allen drei Sprachregionen (Basel-Stadt, Basel-Land, Bern, Fribourg, Genf, Schaffhausen, Tessin, Waadt, Wallis, Luzern, Zug und Zürich). Das Programm steht allen offen, die eine Ausbildung absolviert haben, von der Attestlehre bis zum Master – unabhängig davon, ob sie sich in der Abschlussphase ihrer Ausbildung befinden, auf Stellensuche oder bereits als arbeitslos gemeldet sind. Neben der hohen Vermittlungsquote zeigt auch der Evaluationsbericht der Fachhochschule Nordwestschweiz, dass CT2 erfolgreich arbeitet: Das Angebot sei «sehr gut aufgestellt», «straff und effizient geführt» und der methodische Ansatz «bewährt sich insgesamt sehr gut». www.sah-schweiz.ch

zan Curtis, Dozentin für Produktdesign und Illustration, verlegte den Unterricht für ihre 28 Bachelor-Studierenden an die frische Luft. Einerseits, um die Grünfläche nutzbringend zu gestalten. Andererseits, um einen Ort der Begegnung zu schaffen und das soziale Miteinander zu fördern. Das SAH Zentralschweiz, das selbst Gartenprojekte zur Integrationsförderung durchführt, vermittelt für das Hochschul-Projekt Flüchtlinge und vorläufig aufgenommene Personen, die gemeinsam mit den Studierenden den Garten anlegen. Vom schmackhaften Ergebnis können sich die MensagästInnen per sofort überzeugen. www.sah-zs.ch


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«Ich finde es toll, wenn Frauen ihre Rechte einfordern» Maribel Abrego weiss aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, dass Frauen ihre Anliegen einbringen können. Dafür engagiert sie sich im salvadorianischen Cabañas. Text: Katja Schurter, Foto: Solidar


Maribel Abrego inmitten des Frauenfussballteams, das zum Selbst­ bewusstsein der jungen Frauen beiträgt.

«Die Leute sind extrem arm, haben wenig Bildung, wohnen in unwürdigen Unterkünften, und die Landwirtschaft rentiert nicht», benennt Maria Maribel Abrego Mercado die Probleme in Cabañas, einer der ärmsten Regionen El Salvadors. «Dazu kommen Gewalt gegen Frauen und Jugendkriminalität.» Auch die Gesundheitsversorgung ist mangelhaft. Seit Antritt der linken Regierung im Jahr 2009 ist sie zwar kostenlos, aber Medikamente sind rar. Frauen besonders benachteiligt Um diese Situation zu verändern, hat die 35-Jährige 2002 die Frauenorganisation AMUC mitbegründet. «Frauen haben weniger Zugang zu Bildung und zu bezahlter Arbeit. Sie sind häufig ökonomisch von ihren Männern abhängig, was die Trennung von einem gewalttätigen Ehemann erschwert. Andererseits gibt es

Einblick 19 viele alleinerziehende Mütter, die vom Kindsvater keine Unterstützung erhalten.» Um Arbeitsmöglichkeiten für Frauen zu schaffen, unterstützt AMUC sie mit Krediten und hat eine Kooperative gegründet, die Dachziegel für den Bau von Häusern sowie Lebensmittel produziert. Partizipation stärkt Durch­setzungsvermögen In der Region sind 600 Frauen in 30 AMUC-Komitees organisiert, zusätzlich gibt es vier Komitees für Jugendliche. In diesen Gruppen werden Themen wie Gewalt, Gender, Selbstwert und Menschenrechte angesprochen, denn: «Die Frauen müssen ihre Rechte kennen, um sich Hilfe holen zu können.» Ausserdem setzen sich die Komitees dafür ein, dass die Behörden die Bedürfnisse der BewohnerInnen der Dörfer berücksichtigen. «Wir fordern die Verfolgung von Gewalt gegen Frauen und faire Prozesse. Häufig erhalten die Täter einen Anwalt, die Opfer jedoch nicht», ärgert sich Maribel Abrego. Die Motivation für ihr Engagement gründet einerseits in den Erfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie und andererseits in ihrer Begeisterung, Frauen an der Basis zu stärken: «Ich bin seit 17 Jahren in Organisationen aktiv und finde es toll, wenn Frauen ihre Rechte einfordern.» Zahlreiche Erfolge Ihre Arbeit ist erfolgreich: «Die Frauen haben heute weniger Angst, eine Anzeige wegen Gewalt zu machen. Als wir die tion gegründet hatten, haben Organisa­ viele Frauen fast geweint, wenn sie in einer Versammlung nur schon ihren Namen sagen sollten», beschreibt Maribel Abrego die Veränderungen. «Kürzlich konnten wir mit einer Anzeige verhindern, dass ein Mann seine Frau auf die Strasse stellt. Und es gibt weniger Gewalt als in Gegenden ohne Jugendarbeit.» Jugend­arbeit gegen Gewalt Das zunehmende Problem der Jugendgewalt hängt mit mangelnden Perspektiven zusammen. Zwar schliessen mehr Schüler und auch Schülerinnen mit der

Matur ab als früher, studieren ist jedoch nur in der Stadt möglich, wofür meist das Geld fehlt. Maribel kennt dies aus eigener Erfahrung: Wegen des langen Reisewegs und Stundenplänen, die sich nicht an arbeitenden Studierenden orientieren, hat die alleinerziehende Mutter ihr Jusstudium abgebrochen. Doch auch wer ein Studium abschliesst, hat wenig Aussicht auf Arbeit. So migrieren viele Jugendliche in die USA – wie ihre Eltern, die sie bei den Grosseltern zurückgelassen hatten. «Die Zusammensetzung unserer Jugendgruppen ändert sich dauernd, weil die Jugendlichen bereits mit 15 Jahren das Land verlassen», erzählt Maribel Abrego. Gewalt, Kriminalität, Drogen und Gender sind Themen, die in den Jugendkomitees angegangen werden. Neben Theaterund Tanzkursen gibt es zwei Frauen- und vier Männer-Fussballteams. «Natürlich nehmen viele, die Probleme haben, nicht an unseren Angeboten teil», räumt Maribel ein. «Aber es gibt auch Jugendliche, die ihre Jugendbande verlassen haben und nun zu uns kommen. Wir beziehen sie ein und lassen sie Verantwortung übernehmen.» Auch für die Prävention von Gewalt gegen Frauen ist die Jugendarbeit wichtig: «Du musst bei den Jugendlichen ansetzen. Die Meinung von Erwachsenen zu ändern, ist schwieriger», ist Maribel Abrego überzeugt.

Partizipation in Cabañas Die Frauenorganisation AMUC ist eine von vier Organisationen, mit denen Solidar Suisse in den letzten Jahren in der Region Cabañas ein regionales Netzwerk aufgebaut hat, um die Partizipation und Lebensbedingungen der 15 000 BewohnerInnen zu verbessern. Die AMUC unterstützt die Beteiligung und die ökonomische Unabhängigkeit von Frauen. www.solidar.ch/elsalvador



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