Solidarität 2/2013

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Ausgabe Mai 2/2013

THEMA Jugendarbeitslosigkeit Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Arbeitslosigkeit kann man in Prozenten ausdrücken, die Quoten in ärmeren Ländern die Mehrheit der Bevölkerung häufig unter der Länder miteinander vergleichen und Sozialsysteme auf ihre 20 Jahre alt ist. Arbeitslosenversicherung hin überprüfen. Man kann darüber Aber alle Zahlenspiele und demographischen Interpretationen betroffen sein oder sich bestätigt sehen – und natürlich Dank- täuschen bis zu einem gewissen Grad über die Tatsache hinweg, dass es sich um das Schicksal von barkeit verspüren, dass die Schweiz eine jungen Frauen und Männern handelt, deder niedrigsten Arbeitslosenquoten weltnen der Einstieg ins Berufsleben und soweit aufweist. mit in eine existenzsichernde Zukunft Dass Arbeitslosigkeit in ärmeren Länvon Anfang an verbaut wird. dern noch existenzbedrohender ist als in Wenn Solidar Suisse «Faire Arbeit für ein den reicheren Industrieländern, ist eine Leben in Würde» fordert, dann sind ganz Binsenwahrheit und lässt sich nur schon sicher all diese jungen Menschen gedamit erklären, dass Sozialversicherungsmeint, deren Arbeitslosigkeit gleichzusysteme eben dort weniger Lücken aufsetzen ist mit Perspektivlosigkeit. Und so weisen, wo sie durch Lohnprozente und haben viele unserer Projekte zum Ziel, staatliche Beiträge einigermassen gut Perspektiven zu ermöglichen. Für uns abgesichert sind. Auch dass die andauEsther Maurer sind arbeitslose Jugendliche mehr als ernde globale Wirtschaftskrise gerade Geschäftsleiterin Solidar Suisse nur eine Quote: Wir engagieren uns mit die Ärmsten am härtesten trifft, ist uns ihnen und für sie für soziale Gerechtigallen bekannt. Und wir wissen, dass die Quote der Jugendarbeitslosigkeit in den meisten Ländern noch keit und für Existenzsicherung – dank Ihrer Unterstützung und Esther Maurer viel höher ist als die allgemeine Arbeitslosenquote, weil gerade Grosszügigkeit!

MEDIENSCHAU

25.2.2013 Ferrari droht Solidar mit Klage (…) Der You-Tube-Spot, mit dem die Organisation Solidar Suisse für die Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln» wirbt, provoziert nicht nur die Händler. Auch der italienische Autobauer Ferrari fühlt sich angegriffen. «Ferrari hat uns eine mehrseitige Abmahnung geschrieben. Darin drohte der Konzern mit rechtlichen Schritten, falls wir den Spot nicht sofort löschen», sagt die Solidar-Kampagnenverantwortliche Andrea Arezina. Das kommt für Solidar Suisse aber nicht in Frage. Der Spot verbleibt im Netz, der Ferrari aber ist verpixelt. «Wir wollen nicht riskieren, dass Spendengelder für Schadenersatz gezahlt werden müssen», so Arezina.

18.2.2013 Solidar provoziert mit Spot Ein Banker fährt im Ferrari in einem armen Dorf in Südafrika vor und nimmt den Ärmsten die letzten Nahrungsmittel weg: Mit diesem Spot wirbt Solidar für die von der Juso lancierte Volksinitiative «Keine Spekulation mit Nahrungsmitteln». «Wir wollen den Leuten mit dieser Kampagne die Augen öffnen: Die Gier der Banker ist so gross, dass sie sich noch an den Ärmsten dieser Welt bereichern», so Andrea Arezina von Solidar. (…) Nicht gut an kommt die Kampagne bei FDP-Nationalrätin Doris Fiala: «Die Werber glauben wohl, dass eine Botschaft ohne übertriebene Provokation nicht mehr ankommt.» Zudem werde mit den Bankern ein ganzer Berufsstand getroffen.

7.2.2013 Brasilien setzt der Fifa Grenzen Mit Brasilien richtet 2014 erneut ein Schwellenland eine Fussball-WM aus. Wie Südafrika ist das südamerikanische Riesenland durch wirtschaftliche Stärke, aber auch durch grosse soziale Ungleichheit geprägt. (…) Solidar Suisse könnte beinahe die WM-2010-Kampagne wieder aus der Schublade ziehen: Auch jetzt wird kritisiert, dass Arme vertrieben werden, dass die neuen Stadionbauten auf ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen beruhen und sich Fifa und die grossen Sponsoren weigern, ihre Gewinne im Gastland zu versteuern. (…) Immerhin scheint Brasilien der Fifa gegenüber selbstbewusster aufzutreten als frühere Austragungsländer.


3 THEMA Jugendarbeitslosigkeit

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Jugendarbeitslosigkeit: Situation, Auswirkungen, Gegenstrategien – Zitate aus aller Welt

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Ehemalige Bandenjugendliche in El Salvador erhalten in einer Bäckerei eine zweite Chance

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Lehrstellen verhelfen Jugendlichen in Pakistan nach den Überschwemmungen zu neuen Perspektiven 10 Bosnien und Herzegowina: Mit Berufsmessen und besserer Berufsbildung gegen Jugendarbeitslosigkeit

THEMA 12

Jugendarbeitslosigkeit grassiert weltweit, und es droht eine verlorene Generation: Was fordern Gewerkschaften, was unternehmen Politik und Wirtschaft, was tut Solidar?

STANDPUNKT Vania Alleva: Eine ganze Generation Jugendlicher droht den Einstieg in die Arbeitswelt zu verpassen 13

STANDPUNKT Jugendarbeitslosigkeit führt zu einer Verdrängung aus dem Arbeitsmarkt – mit einschneidenden Auswirkungen auf die Betroffenen und die Gesellschaft.

AKTUELL An einem Runden Tisch werden im bolivianischen El Alto Strategien zur Schaffung von Arbeitsplätzen 15 entwickelt KOLUMNE

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PINGPONG

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NETZWERK News aus den SAH-Vereinen

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AKTUELL

EINBLICK Lucia Herrera Martínez engagiert sich in Nicaragua mit innovativen Strategien gegen Gewalt an Frauen 18

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Spekulation mit Nahrungsmitteln ist tödlich: Unterschreiben Sie die Initiative für ein Verbot.

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EINBLICK Lucia Herrera Martínez involviert Männer in den Kampf gegen Gewalt an Frauen, indem sie sie für Krebsvorsorge-Untersuchungen sensibilisiert.

IMPRESSUM Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Christian Engeli, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Irene Bisang, Ursula Gaillard, Milena Hrdina, Interserv SA Lausanne, Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Carol Le Courtois Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Jugendliche in El Salvador wollen Perspektiven entwickeln. Foto: Frederic Meyer. Rückseite: Initiative gegen die Nahrungsmittel-Spekulation unterschreiben! Foto: Spinas Civil Voices.


4 Bolivianische Jugendliche möchten sich mit ihren Visionen und ihrer Arbeitskraft in die Gesellschaft einbringen.

JUGEND ARBEITSLOSIGKEIT Jugendarbeitslosigkeit ist weltweit ein grosses Problem, und es droht eine verlorene Generation. Wie präsentiert sich die konkrete Situation in verschiedenen Ländern? Was löst Jugendarbeitslosigkeit in der jeweiligen Gesellschaft aus? Welche Gegenstrategien gibt es in Pakistan, El Salvador, Südafrika, Bosnien und Herzegowina, Italien, Serbien und der Schweiz? Foto: Désirée Good


THEMA

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6 THEMA

GESUCHT: ALTERNATIVEN ZUR MIGRATION 10,7 Prozent der 16- bis 29-Jährigen waren 2011 in El Salvador laut statistischem Amt arbeitslos. Die Arbeitslosigkeit gilt als grösstes Problem der Jugendlichen im Land. Doch was sagt die offizielle Arbeitslosenrate in einem Land wie El Salvador aus? Formelle Arbeitsplätze fehlen, und die Leute versuchen, sich im informellen Sektor über Wasser zu halten. Im Departement Cabañas hatten laut Volkszählung von 2007 nur 32 Prozent der 16- bis 24-Jährigen eine Arbeit, während 68 Prozent erwerbslos waren. Die Folge: Die Jugendlichen wandern in die USA aus. Deshalb unterstützt Solidar Suisse in der Region Initiativen, in denen sich Jugendliche gemeinsam eine Existenz aufbauen. Auch für viele junge Frauen, die als Ausweg «heiraten und sich der Hausarbeit widmen, während ihr Lebenspartner das Land verlässt», können sie eine Alternative sein, stellt Elizabeth Córdoba von der Jugendgruppe Las Lomas fest. Ein Siebdruckatelier bietet neun jungen Frauen und Männern von 13 bis 25 Jahren, die bereits berufliche Kenntnisse haben, die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln und ökonomisch unabhängig zu werden. «Wir haben schon einige Produkte verkauft», meint Ever Beltrán, «und wir hoffen, dass wir mit unserem Knowhow bald auch Plakate für Wahlkampagnen drucken können.»

Raquel Cañas Solidar-Koordinationsbüro in El Salvador

HÖCHSTZAHL AN «UNTÄTIGEN» JUGENDLICHEN 37,1 Prozent der Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren waren in Italien laut nationalem Institut für Statistik (Istat) im November 2012 arbeitslos, und 10,6 Prozent der Jugendlichen befanden sich auf Arbeitssuche. Die Quote der Jugendlichen zwischen 15 und 29 Jahren, die weder arbeiten noch studieren oder sonst eine Ausbildung machen (so genannte Neet: Not in Education, Employment or Training), liegt bei 22,1 Prozent. Damit hat Italien Spanien den Rang abgelaufen, das zuvor die höchste Neet-Rate der EU aufwies (jetzt 20,4 Prozent), während in Frankreich und Britannien 14,6 und in Deutschland 10,7 Prozent der Jugendlichen dazu zählen. Die Kosten für diese Jugendlichen sind in Italien mit 26,6 Milliarden Euro die höchsten in der EU. Der Anteil der Jugendlichen, bei denen das Neet-Phänomen ein Dauerzustand ist, stieg zwischen 2005 und 2010 von 58,7 auf 65,2 Prozent. Diese Entwicklung zeigt, dass es für Jugendliche zu-

nehmend schwierig wird, einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu finden. Während 2005 noch 26,8 Prozent der Jugendlichen ohne Ausbildung oder Arbeit eine Anstellung fanden, waren es 2010 nur noch 19,2 Prozent. Die geringeren Beschäftigungsmöglichkeiten führten einerseits dazu, dass mehr Jugendliche wieder ein Studium aufnahmen (12,9 Prozent), und andererseits zu einer Verlagerung weg von der aktiven Arbeitssuche hin zur Untätigkeit (plus 1,7 Prozent). Dies ist höchst beunruhigend, denn wenn Jugendliche in Resignation versinken und sich von der Welt abkapseln, weil sie ihnen keine Möglichkeiten bietet, drohen dramatische Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Sergio Bassoli Allg. italienischer Gewerkschaftsbund CGIL


THEMA 7

ARBEIT ALS IDENTIFIKATION

Ob Strassenverkäufer in Nicaragua, Bäuerin in Sri Lanka oder Siebdrucker in El Salvador: Jugendliche suchen nach Alternativen zu fehlenden formalen Arbeitsplätzen. Fotos (v.l.n.r.): Veronica Pfranger, Malith Jayakody, Solidar

LAND UND MACHT MÜSSEN GERECHTER VERTEILT WERDEN Mehr als die Hälfte, nämlich 56 Prozent der Menschen in Pakistan, sind jünger als 24. Von der generell herrschenden Arbeitslosigkeit sind vor allem sie betroffen. Offiziell sind acht Prozent der 15- bis 24-Jährigen arbeitslos, doch weit mehr versuchen sich im informellen Sektor das Überleben zu sichern. Ihre Arbeitsmöglichkeiten sind begrenzt, besonders auf dem Land, wo 60 Prozent der Menschen leben. Viele gehen deshalb in die Stadt und finden sich unter unwürdigen Lebensbedingungen in Slums wieder. Die Jugendlichen sind frustriert, weil sie weder eine Beschäftigung noch eine Perspektive haben. Junge Männer laufen Gefahr, einen Ausweg in kriminellen Aktivitäten zu suchen; jungen Frauen wird häufig von ihrer Familie verboten, ausser Haus zu arbeiten – aufgrund der gesellschaftlichen Normen und weil sie sexueller Belästigung ausgesetzt sind. Die Jugendarbeitslosigkeit hat gravierende Folgen für die Gesellschaft als Ganzes. Gründe dafür sind einerseits das Fehlen

einer Grossindustrie, die Arbeitsplätze schaffen würde. Andererseits trifft Jugendliche insbesondere, dass es keine Koordination zwischen technischen Ausbildungsinstitutionen und Industrie gibt. Solange Wirtschaft und Politik in den Händen einiger weniger Grossfamilien sind, wird sich dies nicht ändern. Um einen Wandel zu bewirken, müssten die arbeitslosen Jugendlichen Allianzen mit Industrie-ArbeiterInnen und BäuerInnen bilden, die ebenfalls unter dem ausbeuterischen System leiden. Es braucht Landreformen, um das Land an die BäuerInnen zu verteilen. Dies würde neue Einkommensmöglichkeiten schaffen und die Landflucht vermindern.

Muhammad Arfan National Students Federation Pakistan

In der Schweiz lag die Erwerbslosenquote bei den 15- bis 24-Jährigen in den ersten drei Quartalen des Jahres 2012 laut Bundesamt für Statistik bei durchschnittlich acht Prozent. Gegenüber der EU mit einer Quote von 22 Prozent steht die Schweiz verhältnismässig gut da. Zwischen 2001 und 2011 stieg die Erwerbslosenquote von Jugendlichen aber auch hier kontinuierlich an. Im Sorgenbarometer der Credit Suisse von 2012 steht Arbeitslosigkeit und speziell Jugendarbeitslosigkeit in der Problemwahrnehmung der Schweizer Bevölkerung an erster Stelle. Die Ausübung eines Berufs hat einen grossen Stellenwert; eine Arbeit zu haben, bedeutet für viele SchweizerInnen Identifikation. Wenn Jugendliche keine Arbeit finden, führt dies in eine Zukunft ohne Perspektive – ökonomisch und bildungspolitisch betrachtet eine Katastrophe. In der Schweiz gibt es für Jugendliche beim Übertritt von der obligatorischen Schulzeit in eine Ausbildung diverse Angebote. So unterstützen die zehn regionalen SAH-Vereine die Berufswahl mit Motivationssemestern, Vorlehren oder Qualifizierungsprogrammen, auch spezifisch für MigrantInnen. Wenn es nach der Ausbildung darum geht, eine Festanstellung zu finden, bestehen jedoch Lücken. Im Programm Coaching Transfer 2 (CT2) coachen die SAH-Vereine Jugendliche in der ganzen Schweiz, die nach Abschluss ihrer Ausbildung keine Stelle finden. So tragen sie zur Verbesserung der Situation bei.

Daniel Lüscher SAH Bern


8 THEMA

JUNGE FRAUEN HABEN KAUM CHANCEN In Serbien sind 22 Prozent der Bevölkerung erwerbslos. Besonders hoch ist die Zahl in der Autonomen Provinz Vojvodina, wo 46 Prozent der Jugendlichen von 15 bis 24 Jahren keine Arbeit haben. Unter ihnen sind wiederum die Frauen mit 51 Prozent stärker betroffen als die Männer mit 44 Prozent. Obwohl sie besser ausgebildet sind, haben Frauen schlechte Chancen auf dem Arbeitsmarkt – ihr Potenzial wird ignoriert. Sowohl Serbien als auch die Vojvodina haben Strategien gegen die Arbeitslosigkeit von Jugendlichen und speziell von jungen Frauen entwickelt. Weiterbildungen und Praktika sollen den Übergang von der Ausbildung zur Arbeitswelt erleichtern. Es wird gefördert, dass junge Frauen sich selbständig machen und untypische Berufe ergreifen – und dass sie vermehrt angestellt werden. Doch bei der Umsetzung hapert es. Die NGO The Cube hat mit Unterstützung von Solidar Suisse die Zusammenarbeit mit der Regierung, den Gewerkschaften und Arbeitgebenden gesucht, um ein Programm zu entwickeln, das Frauen von 18 bis 30 Jahren bei der Arbeitssuche begleitet. In den letzten drei Jahren erhielten hundert junge Frauen aus ländlichen Gebieten der Vojvodina Bewerbungs- und Selbständigkeitstrainings. Ein Jahr nach Abschluss des Programms hat ein Viertel der Beteiligten eine Stelle gefunden. Nun will The Cube die ArbeitgeberInnen dabei unterstützen, Angestellte mit mangelnder Arbeitserfahrung in ihr Unternehmen zu integrieren.

Renata Blau The Cube, Novi Sad

In Zenica informiert die bosnische Jugendorganisation Zora mit einer Standaktion Jugendliche über Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten. Foto: Christoph Baumann

KRISE VERNICHTET ARBEITSPLÄTZE In Südafrika waren 2012 laut offiziellen Statistiken fast 25 Prozent der ökonomisch aktiven Bevölkerung arbeitslos. Dazu kommen weitere 15 Prozent, die es aufgegeben haben, eine Arbeit zu suchen. Von diesen 40 Prozent Erwerbslosen sind 73 Prozent unter 35 Jahren. Mit durchschnittlich 30 Jahren wird die erste Arbeitsstelle gefunden, bis dahin fehlt ein Einkommen. Wer es schafft, eine Arbeit zu finden, hat meist einen unqualifizierten, schlecht bezahlten und temporären Job. Die Jugendarbeitslosigkeit führt zu frühen Schwangerschaften, Drogenkonsum, Kriminalität und einer generellen Entfremdung von der Gesellschaft. Die hohe Erwerbslosigkeit hat diverse Gründe: Einerseits schafft die hoch monopolisierte und kapitalintensive Ökonomie kaum Arbeitsplätze. Im Gegenteil: In der Finanz- und Wirtschaftskrise wurden zwischen 2008 und 2010 die Produktion weiter rationalisiert und eine Million Arbeitsplätze vernichtet. Andererseits führt die (globale) Tendenz zu finanzieller Spekulation dazu, dass kaum in die Realwirtschaft investiert wird. Der Staat bekämpft die Jugendarbeitslosigkeit mit Programmen für befristete Arbeitsplätze oder mit Praktika, bei denen Jugendliche Berufserfahrung sammeln, um bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu haben. Beides hat bisher kaum

Wirkung gezeigt. Der neuste Vorschlag ist, Arbeitgebenden, die 19- bis 29-Jährige anstellen, eine 50-prozentige Steuerreduktion zu gewähren, bis zu einem Maximum von 1000 Rand (100 Franken) pro ArbeitnehmerIn und Monat. Die Gewerkschaften sind dagegen, da dies einen Anreiz schafft, ältere Angestellte durch junge zu ersetzen. Der südafrikanische Gewerkschaftsbund Cosatu forderte in der Vergangenheit ein Entlassungsmoratorium und die Übernahme von Betrieben, die von der Schliessung bedroht sind, durch die ArbeiterInnen. Weiter das Verbot von Überzeit und eine Arbeitslosenunterstützung, die die Existenz von Erwerbslosen sichert – auch von Jugendlichen, die noch nie gearbeitet haben. Diese Forderungen sind jedoch von der Agenda der traditionellen Gewerkschaften verschwunden, und die neuen sozialen Bewegungen sind noch zu schwach, um gegen die Jugendarbeitslosigkeit zu kämpfen.

Ighsaan Schroeder Casual Workers Advice Office, Südafrika


THEMA 9

stube oder gehen von Haus zu Haus, um das Brot zu verkaufen. So erwirtschaften sie sich ein kleines Einkommen. «Wir fühlen uns gebraucht und engagieren uns für unsere Bäckerei», meint Jairo.

EX-MARAS BACKEN BROT Ehemalige Bandenjugendliche finden in einer Bäckerei im salvadorianischen Ilopango den Weg zurück in die Gesellschaft. Text und Foto: Ivonne Arquito Auf den ersten Blick ist der 17-jährige José Daniel Moreno* ein ganz normaler Jugendlicher. Er wirkt ruhig und etwas schüchtern, in der Abendschule holt er die 8. Klasse nach. Undenkbar, dass er einer Bande angehört hat. «Keine Mutter wünscht sich einen Kriminellen als Sohn», meint er. José Daniel lebt in Ilopango, einem der Agglomerationsgebiete um die Haupt-

rückgegangen. In den letzten Monaten des Jahres 2012 haben sich jedoch die Mordfälle in Ilopango laut Polizeiangaben wieder erhöht.

Eine Bäckerei als Perspektive Doch José Daniel ist kein Gangmitglied mehr. Zusammen mit 25 weiteren Männern im Alter von 15 bis 24 Jahren arbeitet er in einer Bäckerei. Das Projekt wurde von Solidar Suisse und der Gemeindeverwaltung von Ilopango Ende 2011 ins «Wir verbringen unsere Zeit Leben gerufen. José Daniel in der Bäckerei statt auf der Moreno und Jairo Perez* Strasse rumzuhängen.» machen dort eine Lehre. «Ein gutes Projekt», finden sie, stadt San Salvador mit der höchsten Ge- «weil wir den grössten Teil unserer Zeit in waltrate. Seit die Banden im März 2012 der Bäckerei verbringen, statt auf der unter sich einen Waffenstillstand be- Strasse rumzuhängen.» Die Jugendlischlossen hatten, war die Zahl der Morde chen führen das Geschäft gemeinsam auf nationaler Ebene auf ein Drittel zu- und stehen in Schichten in der Back-

Unterstützung von der Gemeinde Angélica Hernández, Sozialarbeiterin der Gemeinde Ilopango, ist ebenfalls vom Projekt überzeugt. «Die Jugendlichen sind begeistert, und sie fassen wieder Vertrauen in die Gesellschaft. Das trägt wiederum dazu bei, dass diese ihr Bild von den Jugendlichen verändert.» Die Bäckerei ist auf Vorschlag der Jugendlichen entstanden, und dass die Gemeinde das Projekt unterstützt, ist ein Vertrauensbeweis. Die Gemeinde hat geholfen, Gelder aufzutreiben und die Bäckerei einzurichten, sie hat bei der Geschäftsführung Beratung geleistet und das Projekt auf lokaler Ebene bekannt gemacht. Das Stigma überwinden In El Salvador, einem Land mit mehrheitlich jugendlicher Bevölkerung und gleichzeitig wenig Arbeitsmöglichkeiten (siehe Seite 6), haben ehemalige Bandenmitglieder kaum Erfolg bei der Arbeitssuche, da sie von der Gesellschaft stigmatisiert werden. Auch wenn sie sich wieder in die Gemeinschaft eingliedern möchten, haben sie es schwer, ihr Image loszuwerden. Und doch bestätigen die Jugendlichen, dass die Gemeinschaft sie unterstützt, seit sie in der Bäckerei arbeiten. Dass sie sich verändert haben, wird wahrgenommen. Vom «Rebell, der nur auf der Strasse rumhängt» ist José Daniel Moreno zum Bäckereibetreiber geworden. Auch die Familien der Jugendlichen setzen sich für das Projekt ein, denn «es beruhigt sie zu wissen, dass wir beschäftigt sind und etwas für die Gemeinschaft tun», meint José Daniel. * Name geändert


10 THEMA

«WENN ICH ALLES WEISS, MACHE ICH MEINEN EIGENEN LADEN AUF» In den von der Flut von 2010 betroffenen Gebieten im Norden Pakistans eröffnen Lehrstellen Jugendlichen eine Perspektive. Text und Fotos: Debora Neumann, Solidar Suisse

«Als Bauarbeiter taugte ich nicht viel», meint Abase Abbasi. «Friseur zu sein, hat mich schon immer interessiert, und den Beruf kannst du auch ausüben, wenn du nur rechnen, aber nicht schreiben und lesen kannst.» Der 22-Jährige, der nie eine Schule besucht hat, schäumt konzentriert den Bart seines Kunden ein. Durch die offene Tür dringen die Geräusche des Markts von Pir Sabaq. Abbasi macht eine Lehre im Herrencoiffeur-Salon von Mohamed Lal-Zadha.

Existenzgrundlage für Flutopfer Solidar Suisse unterstützt im Norden von Pakistan die Opfer der Jahrhundertflut von 2010 dabei, sich wieder eine Existenz aufzubauen. Um über die Nothilfe hinaus Perspektiven zu schaffen, fördern wir Ausbildungs- und Arbeitsmöglichkeiten für Jugendliche – sei es durch Lehrstellen (siehe Text) oder einkommensschaffende Massnahmen wie den Aufbau einer Hühneroder Bienenzucht.

Während der Überschwemmung im Jahr Lehrlingslohn erhält, kann er die Schul2010 reichte das Wasser bis unters den für sein Haus abbezahlen. «Und ich Dach. Als sich der Fluss zurückgezogen bin in fünf Minuten bei der Arbeit und hatte, stand nur noch das Gebäude, der Coiffeursalon «Friseur kannst du auch war völlig zerstört. Solidar unterstützte Mohamed Lalsein, wenn du nur rechnen Zadha mit einem finanzielkannst.» len Beitrag, damit er die Infrastruktur seines Ladens wiederherstellen konnte, und beriet ihn habe am Freitag frei», meint er. Auch Mobeim Erstellen eines Businessplans. hamed Lal-Zadha ist zufrieden: «Vor der Dabei tauchte die Frage auf, ob er einen Flut hatte ich 40 bis 50 Kunden täglich. Mit Abase kann ich bis zu 60 Kunden beLehrling beschäftigen wolle. dienen.» Und wie sieht Abase Abbasi seine Zukunft? «Ich hoffe, dass ich noch etVom Tagelöhner zum Friseur Vor seiner Lehre als Coiffeur half Abase was bleiben darf – und wenn ich dann Abbasi als Tagelöhner auf dem Bau aus. alles weiss, mache ich vielleicht meinen Doch vom unregelmässigen Verdienst eigenen Laden auf.» ausserhalb von Pir Sabaq blieb ihm nach Abzug der Transportkosten nicht genug, Doppelter Umsatz dank Lehrling um seine Ehefrau, zwei Schwestern und An der Ausfallstrasse von Charsadda die Eltern über Wasser zu halten. Moha- nach Agra befindet sich neben weiteren med Lal-Zadha nahm ihn als Lehrling Handwerksläden die Schreinerei von auf, obwohl er nicht der Nai-Kaste der Alam Gull. Sein Laden wurde vor gut Friseure angehört: «Er war so arm, er zwei Jahren von der Flut weggespült. Er konnte sich nicht mal die Hausmiete für hat ihn mit finanzieller Unterstützung von seine Familie leisten», erzählt Lal-Zadha. Solidar wieder aufgebaut, eine Säge geMit den 300 Rupien (knapp drei Fran- kauft und Holz beschafft. Das restliche ken) pro Tag, die Abase Abbasi nun als Material steuerte er selber bei. Auch sein


KOLUMNE

THEMA 11

Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse und SP-Nationalrat

Danke, Herr Alder

Abase Abbasi und Waseem Mohammad blicken dank einer Lehre zuversichtlich in die Zukunft.

Businessplan sah einen Lehrling vor. Waseem Mohammad steht in der prallen Sonne und hobelt an einer Tischplatte. Im Laden hat es nur für Material und Werkzeug Platz, gearbeitet wird draussen. Waseem Mohammad hatte bereits vor der Überschwemmung eine Lehre als Schreiner begonnen, «doch dann kam die Flut, und alles war weg. Um die Lehre weiterzuführen, musste ich nach Charsadda fahren, und mein Lohn reichte gerade für den Transport und die Unter-

Ihre Spende wirkt Mit Ihrem Beitrag von 50 Franken kann in Pakistan eine Jugendliche oder ein Jugendlicher einen Monat lang ausgebildet werden. www.solidar.ch/pakistan_existenz

kunft», erzählt er. «Ich bin sehr froh, dass ich nun im Dorf arbeiten kann und mein Verdienst meiner Familie zugute kommt.» Mit den 300 Rupien Tageslohn kann er seine Mutter und sechs Geschwister ernähren, «und ich kann die Medikamente für meine Mutter bezahlen». Alam Gull bereut seine Entscheidung nicht. Vor der Flut brachte sein Laden etwa 7000 Rupien (70 Franken) ein, mit dem Lehrling kann er bis zu 12 000 Rupien im Monat erwirtschaften. «Da Waseem Mohammad schon drei Monate als Schreinerlehrling gearbeitet hatte, ist er eine grosse Unterstützung.» Gull ist sehr zufrieden mit seiner Arbeit, was Waseem Mohammad auf Perspektiven über seine Lehre hinaus hoffen lässt: «Nach Abschluss der Ausbildung möchte ich weiterhin als Partner mit Herrn Gull zusammenarbeiten.»

Der Sportartikelhersteller Alder+ Eisenhut aus Ebnat-Kappel wurde 2009 vom Kassensturz an den Pranger gestellt, weil er Fussbälle aus Pakistan importiert hatte, die aus Kinderarbeit stammten. Solidar Suisse war nicht ganz unschuldig, dass es zu jener Kassensturz-Sendung kam, denn im Rahmen unserer Kampagne «Keine Ausbeutung mit unseren Steuergeldern» forderten wir die öffentliche Hand auf, nur noch Waren aus fairer Produktion zu beschaffen. Der Geschäftsleiter der kritisierten Firma lud mich zur Betriebsbesichtigung und zur Unterredung ein. Er fühlte sich von uns und vom Schweizer Fernsehen ungerecht behandelt. Er zeigte mir Dokumente, die beweisen sollten, dass er einen Produzenten gefunden hatte, der keine Kinder beschäftigt. Ich zweifelte an der Echtheit des Zertifikats und bat Herrn Alder, sich eingehender mit dem Thema auseinanderzusetzen und sich bei Fachleuten zu informieren, die international anerkannte Zertifikate ausstellen und bewerten. Lange hörte ich dann nichts mehr von ihm, sein Versprechen aber, auf fairen Einkauf umzustellen, hatte ich nicht vergessen. Am 1. Februar dieses Jahres erreichte mich folgendes Mail: «Ich habe meine Aussage von damals wahr gemacht, und wir haben den Produzenten gewechselt. Ab März bieten wir FairtradeMax-Havelaar-Produkte an. Der Prozess war mühsam, wir haben es aber geschafft. Freundliche Grüsse: Robin T. Alder.» Schön, dass unsere Kampagne Früchte trägt, und herzlichen Dank, Herr Alder.


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BERUFSWAHL MIT PERSPEKTIVE Jovana Petrovic lässt sich an der Berufsmesse die Arbeit als Coiffeuse zeigen.

Die Türen der Mehrzweckhalle in Banja Luka werden geöffnet, die hereinströmenden Jugendlichen schauen sich neugierig um. Der Duft von frisch Gebackenem lenkt den Blick auf den Stand der Grossbäckerei Bakal. Daneben informieren SchülerInnen der landwirtschaftlichen Schule über die Lehrgänge in der Lebensmittelproduktion und erzählen, welche Berufschancen diese eröffnen.

Berufsberatung und Berufsmessen unterstützen Jugendliche in Banja Luka bei der Berufswahl. Text: Cyrill Rogger, Foto: Youth Communication Centre

rufsmesse in Banja Luka vor drei Jahren ins Leben gerufen hat. «Die SchülerInnen erhalten einen Eindruck, was es heisst, Mechanikerin oder Koch zu werden, da wir die konkreten Tätigkeiten und Produkte zeigen.»

Unadäquate Berufsbildung Die Chancen von Jugendlichen in Bosnien und Herzegowina, in der Berufswelt Fuss zu fassen, stehen schlecht. Die JuKonkreter Einblick in den Beruf gendarbeitslosigkeit beträgt 57 Prozent, Die 13-jährige Jovana Petrovic ist mit ih- das Berufsbildungssystem entspricht ren MitschülerInnen der 8. Klasse an die nicht den Anforderungen des ArbeitsBerufsmesse gekommen. Sie interes- marktes. «Als wir vor drei Jahren unser siert sich für die Arbeit als Bäckerin und Berufsberatungsprojekt starteten, wollhat sich darüber bei den AbsolventInnen ten wir die Berufswahl der Jungen dader Landwirtschaftsschule informiert: hingehend beeinflussen, dass sie Ausbil«Bäckerin ist wohl doch nichts für mich. dungen wählen, in denen es an Arbeitskräften mangelt. Das ist uns gelungen», erzählt MarijaDie Berufsbildung muss zu novi . «Um die Berufsbildung besser auf die Bedürfnisse der den Bedürfnissen der Arbeitgebenden abzustimmen, Arbeitgebenden passen. müssten sich diese jedoch stärker einbringen. Von einer duaIch stehe nicht gerne so früh auf», meint len Berufsbildung wie in der Schweiz sie lachend. Die Berufsmesse stellt 50 sind wir leider weit entfernt.» Berufe vor. Neben Berufsschulen sind auch Unternehmen, Verbände und die Berufswahl im Lehrplan Stadtverwaltung von Banja Luka vertre- Trotzdem hat YCC Beachtliches erreicht. ten. «Es war nicht leicht, alle Beteiligten War die Berufswahl an den Schulen vor für die Idee zu gewinnen. Doch das Inte- drei Jahren noch kaum ein Thema, steresse wird von Jahr zu Jahr grösser», hen den SchülerInnen heute attraktive meint Ante Juri Marijanovi vom Youth Informationsbroschüren und Online-AnCommunication Centre YCC, das die Be- gebote zur Verfügung. Die LehrerInnen

haben die Berufsberatung in ihren Unterricht integriert. Und noch einen Erfolg können die MitarbeiterInnen des YCC verbuchen: Ihr unermüdliches Engagement hat auf Unzulänglichkeiten im Bildungswesen aufmerksam gemacht. Die Forderungen nach entsprechenden Reformen werden lauter. Jovana Petrovic steht am Ausgang der Berufsmesse, eine Broschüre der technischen Berufsschule in der Hand, die Haare kunstvoll geflochten. «Sie haben mir eine tolle Frisur gemacht», strahlt sie. «Auch was sie über die Arbeit als Coiffeuse erzählten, hat mir gefallen. Aber ich habe ja noch Zeit mich zu entscheiden. Ich komme nächstes Jahr bestimmt wieder an die Messe.»

Berufseinstieg erleichtern Das Youth Communication Centre YCC in Banja Luka ist eine von sechs Partnerorganisationen von Solidar in Bosnien und Herzegowina, Serbien und Kosovo. Diese bieten konkrete Dienstleistungen, um Jugendlichen den Berufseinstieg zu erleichtern, lobbyieren für deren Institutionalisierung und regen Reformen in der Berufsbildung an. Solidar fördert zudem den Austausch von Erfahrungen und Know-how in den drei Ländern. www.solidar.ch/berufseinstieg


STANDPUNKT 13

JUGENDARBEITSLOSIGKEIT IST EINE ZEITBOMBE Jugendarbeitslosigkeit grassiert international. Politik und Wirtschaft sind gefordert, damit nicht eine ganze Generation den Einstieg in die Arbeitswelt verpasst. Text: Vania Alleva, Co-Präsidentin der Gewerkschaft Unia

Seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 spitzt sich das Problem der Jugendarbeitslosigkeit weltweit unentwegt zu. Im europäischen Raum brachte die Krise in den südeuropäischen Ländern extreme Verschärfungen. Ganze Generationen stehen vor dem Nichts, und die Zukunftsaussichten sind düster. Handeln wir nicht schnell und erfolgreich, werden enorme soziale Spannungen aufbrechen.

über 17 Prozent dramatisch zu. Gleichzeitig erhöhte sich die Langzeitarbeitslosigkeit: Waren 2007 noch 28,5 Prozent der jugendlichen Arbeitslosen sechs Monate oder länger arbeitslos, waren es 2012 bereits 35 Prozent. In einigen Ländern ist die Lage besonders desaströs: Jeder zweite Jugendliche in Spanien und Griechenland ist arbeitslos.

Einstieg verpasst Die Krise führt dazu, dass viele JugendliMehr Jugendliche – che im besten Falle eine prekäre, befrisweniger Arbeitsplätze 2012 waren weltweit knapp 74 Millionen tete Arbeit bekommen, bei der sie wenig Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren verdienen und die sie bald wieder verliearbeitslos. Das entspricht der Einwoh- ren. Immer mehr Jugendliche bleiben in vielen Ländern sogar jahrelang «Jugendliche sind jahrelang ohne jeden Erwerb und haben danach mangels Arbeitserfahohne Erwerb und haben rung gar keine Chance mehr. keine Chance mehr.» Sie lösen sich vom Arbeitsmarkt ab. Eine verlorene Generation! nerzahl der Türkei. Die aktuellen Zahlen Arbeitslosigkeit und Inaktivität: Diese der Internationalen Arbeitsorganisation Kombination ist besonders explosiv. IAO sind alarmierend, und es ist keine Was tun? Politik und Wirtschaft müssen Entwarnung in Sicht. Die Arbeitslosigkeit sich dringend darauf konzentrieren, Jugeht einher mit einer Verdrängung aus gendarbeitslosigkeit und insbesondere dem Arbeitsmarkt: Es gibt immer mehr Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Jugendliche, und deren Erwerbsquote Die IAO schlägt eine Vielzahl spezifischer Interventionen vor. So soll eine bessere nimmt ab. Auch in den Industriestaaten nahm die Verbindung zwischen Bildung, AusbilJugendarbeitslosigkeit von rund 13 auf dung und Arbeitswelt die Chancen jun-

ger Arbeitnehmender erhöhen. Dabei soll vor allem die technische Berufsausbildung durch Berufslehren gefördert werden. Letztlich strebt die IAO die Einführung von Arbeitsplatzgarantien für Jugendliche an. Das Schweizer System stärken Und in der Schweiz? Gerade angesichts der weltweiten Fehlentwicklungen und der sich jagenden Krisen muss das an sich erfolgreiche Schweizer System der Berufsbildung nicht nur bewahrt, sondern gestärkt werden. Die Forderungen der Gewerkschaften zu Lehre und Arbeitsmarktintegration sind breit gefächert. Ziel ist es, dass mindestens 90 Prozent eines Jahrgangs eine Berufslehre oder eine höhere Schule abschliessen. Gleichzeitig muss die Qualität der Berufsbildung in den Branchen garantiert werden. Und es braucht nach wie vor Fortschritte bei der geschlechtsspezifischen Berufswahl und der Gleichstellung von Frau und Mann. Nicht zuletzt sollen die Jugendlichen in ihren Lehrund Arbeitsverhältnissen besser geschützt sein, im Arbeitsgesetz wie auch über Gesamtarbeitsverträge. Damit sie gleichberechtigter Teil der Arbeitswelt sind.


14 NOTIZEN Unterstützung für ArbeitsmigrantInnen in Sri Lanka

Der Solidar-Jahresbericht 2012 ist da! Solidar Suisse blickt auf ein erfolgreiches Jahr zurück und weist ein positives Ergebnis aus. Auch unsere SpenderInnen und Mitglieder haben dazu grosszügig beigetragen: So sind die Spenden um rund sieben Prozent angewachsen. Nochmals ein grosses Dankeschön für Ihre Solidarität. Bestellen Sie den ausführlichen Jahresbericht: kontakt@solidar.ch

Bis zu 250 000 Menschen pro Jahr verlassen schätzungsweise Sri Lanka auf der Suche nach Arbeit – zumeist in Richtung Golfstaaten. So können sie ihre Familien mit Überweisungen unterstützen. Die Migration birgt jedoch grosse Risiken: Viele der AuswanderInnen werden von Rekrutierungsagenturen oder Arbeitgebenden betrogen und zu langen Arbeitstagen gezwungen. Frauen, die einen Grossteil der EmigrantInnen ausmachen, arbeiten häufig als Haushaltsangestellte und sind dem Risiko sexueller Ausbeutung ausgesetzt. Dank seines langjährigen Engagements im Norden Sri Lankas und der Expertise zu einkommensfördernden Massnahmen ist Solidar Suisse von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit Deza mit einem dreijährigen Mandat betraut worden. Dieses hat zum Ziel, potenzielle ArbeitsmigrantInnen im Norden Sri Lankas über die Risiken der Migration auf-

Bulgarien: Unternehmen übernehmen Verantwortung Bulgarien macht häufig negative Schlagzeilen. Ein Teil der Spannungen bricht an den sozialen Brennpunkten zum Thema Arbeit auf. Das bulgarische Arbeitsministerium geht im Rahmen des schweizerischen Erweiterungsbeitrags mit Unterstützung von Solidar der Frage nach, wie Firmen ihre soziale Verantwortung besser wahrnehmen können. In Zusammenarbeit mit Unternehmen, Gewerkschaften, NGOs und dem Arbeitsministerium soll eine bulgarische Politik für Corporate Social Responsibility entwickelt werden. Weiter sind Verfahren zur besseren Bewältigung von Arbeitskonflikten geplant. Der Aufbau eines Informationssystems soll den potenziellen Konfliktparteien Zugang zu allen relevanten Informationen ermöglichen. Ausserdem werden mit den Sozialpartnern Konzepte für eine paritätische Einrichtung in der Berufs- und Fachbildung erarbeitet.

Goldsuche in Burkina Faso Ein Boom der Goldminenindustrie hat in den letzten Jahren Burkina Faso erfasst. Gold macht inzwischen 64 Prozent der Exporte aus. Doch das kostbare Metall wird nicht nur industriell ausgebeutet, auch die burkinische Bevölkerung sucht in improvisierten Minen nach Gold. Zum Beispiel in Zincko in der Provinz Sanmatenga, einer Projektregion von Solidar Suisse. Dort hat sich

zuklären, zusammen mit lokalen GemeindevertreterInnen Anlaufstellen zu schaffen und in Not geratene Familien zu unterstützen. www.solidar.ch/srilanka_migration

inzwischen ein veritables Goldgräberdorf gebildet, mit Bar, Küche und Friseur. Der Boden ist übersät mit bis zu 30 Meter tiefen Löchern, in die Goldsucher – fast ausschliesslich junge Männer – klettern. Maschinen zerschneiden die Steine, die sie hochbringen, um ihnen das kostbare Metall abzutrotzen. Bei all diesen Tätigkeiten tragen die Goldgräber keinerlei Schutzkleidung. Unfälle sind an der Tagesordnung. Wo ein Stäubchen Gold gefunden wurde, wird der ganze Boden umgegraben. Die durchlöcherten Erhebungen drohen dann bei Regen die Menschen unter Erdrutschen zu begraben. Inzwischen zeigen sich gravierende Folgen: Es kommen weniger Kinder zur Schule, weil sie nicht beaufsichtigt sind, da ihre Eltern mit Goldwaschen bzw. in den Garküchen beschäftigt sind. Oder die Kinder suchen selbst nach Gold.


AKTUELL 15 Dank der Steuerbefreiung für kleine Unternehmen, die am Runden Tisch verhandelt wurde, hat sich Adela Aruquipa stelbständig gemacht.

EINE WIRTSCHAFT FÜR DIE MENSCHEN An einem Runden Tisch im bolivianischen El Alto entwickeln Gewerkschaften, Arbeitgebende und Behörden Strategien, um Arbeitsplätze zu schaffen. Text und Fotos: Martín Pérez, Solidar Suisse

El Alto – die Vorstadt von La Paz auf 4000 Metern Höhe – gilt als «Wiege der sozialen Kämpfe» in Bolivien. Es ist die jüngste Stadt des Landes, mit 5,1 Prozent verzeichnet sie das höchste jährliche Bevölkerungswachstum. Hier wohnt eine Million Menschen – mehrheitlich indigene Aymaras –, die Arbeitslosenrate beträgt sieben Prozent. Eine Zahl, die jedoch wenig aussagt, da zwischen 75 und 80 Prozent der Bevölkerung informell beschäftigt sind. Würdige Arbeitsplätze für ein gutes Leben In El Alto hat Solidar einen Runden Tisch mit Behörden, sozialen Organisationen, Gewerkschaften und UnternehmerInnen angestossen. Zusammen mit der Stiftung INASET, die auf KMU-Förderung und arbeitsrechtliche Fragen spezialisiert ist, fördern wir den Austausch, um würdige Arbeitsplätze zu schaffen. Denn seit 2010 verpflichtet ein Gesetz die Gemeinden dazu, die lokale ökonomische Entwicklung zu fördern und die Zivilge-

Strassenhändler hätte ich gerne eine ansellschaft bei der Planung zu beteiligen. Die Analyse des Runden Tischs von El dere Arbeitsmöglichkeit mit besserem Alto geht über das vorherrschende öko- Lohn, Krankenversicherung und Ferien. nomische Denken hinaus. Die Teilneh- All dies fehlt mir.» Die Hoffnung von Juan menden stimmen überein, dass würdige Apaza ist bereits Realität für Adela AruArbeitsbedingungen notwendig sind, um quipa, die ein kleines Unternehmen geein «gutes Leben» zu ermöglichen – ein gründet hat, das Wollpullover herstellt. Konzept, das indigene Werte von Gegen- «Der Runde Tisch hat erreicht, dass kleiseitigkeit und Harmonie mit der Natur ne Unternehmen von Steuern befreit einbezieht. Sie sehen das Schaffen von sind. Deswegen konnte ich zwei junge Arbeitsplätzen als prioritär für die nachhaltige Entwicklung der «Ich habe zwei junge Gemeinde. Dieses Ziel steht im Leute geschult und fest Kontrast zur nationalen Politik, angestellt.» die wegen der hohen Preise die Ausbeutung und den Export von Rohstoffen fördert. Arbeitsplätze Leute schulen und anstellen. Ich bezahle entstehen so nicht, denn eine weiterver- ihnen einen festen Lohn und eine Krankenversicherung.» arbeitende Industrie fehlt. Wie Juan Apaza und Adela Aruquipa profitieren viele Arbeiterinnen und KleinunSteuerbefreiung für KMU Die ArbeiterInnen in El Alto setzen auf ternehmer von den Initiativen des Rundiesen Dialog. So der 29-jährige Juan den Tisches. Das Projekt inspiriert auch Apaza, der auf der Strasse elektronische andere bolivianische Städte, neue ModelGeräte verkauft: «Ich habe von den Vor- le für Produktion, Partizipation und Einschlägen des Runden Tischs gehört. Als kommen auszuprobieren.


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Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel». Jede richtige Lösung nimmt an der Verlosung teil.

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Spielregeln Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3Blöcke nur ein Mal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den schraffierten Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1=E, 2=V, 3=K, 4=S, 5=R, 6=T, 7=P, 8=N, 9=I

Preise Drei Gläser Chutney. Die Preise wurden vom Projekt SalSAH des SAH Zürich gestiftet.

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Einsendeschluss ist der 10. Juni 2013. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 3/2013 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 1/2013 lautete «Katastrophe». Die GewinnerInnen sind ausgelost: Esther Guidon aus Aesch, Raymonde Gaume aus Le Noirmont und Jacqueline Hottelier aus Plan-les-Ouates haben je einen Gebana-Gutschein gewonnen. Wir danken den Mitspielenden für ihre Teilnahme und der Gebana für die gestifteten Preise.

BEIM TRAUERN HOFFNUNG SCHENKEN

Spendenaufrufe in Todesanzeigen eröffnen benachteiligten Menschen Perspektiven. Schreiben Sie zum Beispiel: «An Stelle von Blumen denke man an Solidar Suisse, 8031 Zürich; Spendenkonto 80-188-1; IBAN CH67 0900 0000 8000 0188 1». Herzlichen Dank! Weitere Infos erhalten Sie bei unserem Mitarbeiter Christof Hotz unter 044 444 19 45 oder christof.hotz@solidar.ch


NETZWERK 17 In dieser Rubrik bieten wir Organisationen aus unseren Netzwerken eine Plattform. In dieser Nummer sind es Neuigkeiten aus den SAH-Regionalvereinen, die in der Schweiz Programme für Erwerbslose und MigrantInnen durchführen. Mit ihnen verbindet Solidar Suisse eine gemeinsame Geschichte und Trägerschaft.

10. Interkulturelles Frauenfest des SAH Zentralschweiz Migration Co-Opera des SAH Zentralschweiz hat am 8. März unter dem Motto «Begegnung und Tanz» das zehnte interkulturelle Frauenfest in Luzern organisiert. Seit 2004 haben sich 40 Frauen im Organisationskomitee engagiert, 29 Frau-

engruppen aus allen Kontinenten haben zu einem lebendigen Programm beigetragen, Spezialitäten aus 37 Ländern wurden genossen, sieben Frauen aus fünf Ländern haben moderiert und über 600 Frauen als Freiwillige zum Gelingen beigetragen. Dieses Jahr nahmen rund 250 Frauen am stimmungsvollen Fest teil. www.sah-zs.ch

SAH Zürich: Ausbau des Angebots Das Restaurant SAHltimbocca in Zürich erweitert seine Öffnungszeiten und wird ab 1. Juli von Montag bis Freitag von 8 bis 22 Uhr offen stehen. Dies ist möglich, weil das Amt für Wirtschaft und Arbeit am 22. Februar die Projektausschreibung des SAH Zürich guthiess. Die neu für Frauen und Männer konzipierte MenSAH der Rudolf SteinerSchule in Wetzikon wird zusammen mit SAHltimbocca als «SAH Gastronomie» geführt. Zurzeit wird geprüft, ob das bisherige SalSAH-Angebot für Frauen als Bildungsmassnahme weiterbestehen wird. Auch das Angebot des Stellenpools wird stark ausgebaut: auf 40 Prozent mehr Einzelarbeitsplätze in allen Branchen. Ausserdem startet im August ein Motivationssemester für Jugendliche in der Gastronomie. ww.sah-zh.ch

Das SAH Waadt macht von sich reden Das SAH Waadt realisiert in seinen Programmen verschiedene Kurzfilmund Videoprojekte. Zum 20-jährigen

Yves Ecoeur verabschiedet sich nach 17 Jahren Als ich 1996 im SAH begann, war meine Aufgabe, die Zukunft einer kleinen Abteilung von sieben Leuten in Sion zu entwickeln. Während drei Jahren haben sich die Projekte multipliziert. 1999 musste redimensioniert werden, weil – glücklicherweise – die Zahl der Arbeitslosen gesunken war. Anschliessend verstärkte sich das Wachstum der Beschäftigungsprogramme jedoch wieder, und 2010 beschäftigte das SAH Wallis 40 MitarbeiterInnen. Auf nationaler Ebene befasste ich mich mit Reorganisationsprojekten. Das letzte war die Schaffung von zehn autonomen SAH-Regionalvereinen und die Trennung von Solidar Suisse. Zweimal nahm ich an den Verhandlungen zum

Jubiläum ins Leben gerufen, haben sich in den «Interviews des SAH Waadt» inzwischen verschiedene Persönlichkeiten der Romandie über die Jugendarbeitslosigkeit geäussert und geschildert, was sie selbst dagegen unternehmen. Auch dieses Jahr produziert das Programm INIZIO für junge Arbeitslose jeden Monat ein Interview – zum Beispiel im April mit Jean Christophe Schwaab –, und veröffentlicht es im Internet. Das Motivationssemester SeMo Riviera produziert ebenfalls Filme, so «Pres-

Gesamtarbeitsvertrag teil, was mir die Wichtigkeit einer guten Zusammenarbeit zwischen den SozialpartnerInnen vor Augen führte. Nach vier Jahren als Leiter des nationalen Sekretariats verlasse ich nun das SAH. Ab April erwartet mich eine neue Herausforderung im Team der KEK-CDC Consultants in Zürich. In dieser neuen Funktion werden meine Kontakte zu den SAH-Vereinen fortbestehen. Es ist also mehr ein «Auf Wiedersehen» als ein «Adieu», und ich danke allen für die schönen Jahre, die wir zusammen verbracht haben. Yves Ecoeur

sentiments – Vorahnungen» zum Thema Alkolholprävention, das den ersten Preis des «Raid Blue»-Wettbewerbs des Westschweizer Blauen Kreuzes erhalten hat. Niemand bleibt gleichgültig bei der Geschichte von Lisa und den Konsequenzen einer Wahl, die sie zu Beginn einer Party trifft. Der Film wurde bereits 2500 Mal angeschaut. Alle Videos sind zu finden unter: www.oseo-vd.ch/medias/videos


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MIT ANDEREN AUGEN Lucia Herrera Martínez engagiert sich in Nicaragua gegen die alltägliche Gewalt gegen Frauen und setzt dabei auf aussergewöhnliche Strategien. Text und Foto: Alexandre Mariéthoz


EINBLICK 19

Lucia Herrera Martínez setzt sich in ihrer Genossenschaft für die Einbindung von Jugendlichen in Kaderpositionen und gegen Gewalt an Frauen ein.

«Ich freue mich, der Genossenschaft etwas zurückgeben zu können, der ich so viel verdanke», sagt Lucia Herrera Martínez, die Vize-Präsidentin des Genossenschaftsverbands UCA in La Dalia im Nordwesten Nicaraguas. Die 24-jährige Mutter eines fünfjährigen Sohnes engagiert sich seit ihrem 16. Lebensjahr gegen die grassierende Gewalt gegen Frauen: «Es ist ein harter Kampf – hier ist der Machismo besonders stark verbreitet.» «Er hetzte die Hunde auf mich» Lucia Herrera Martínez hat schon früh erkannt, wie wichtig es ist, dabei auch die Männer anzusprechen. Eine ihrer Strategien, den Respekt der Männer für ihre Partnerinnen zu erhöhen, bestand darin, diese für die Brust- und Gebärmutter-

krebs-Vorsorge zu sensibilisieren. «So Sie beeindruckte ihre Umgebung mit ihfühlen sie sich involviert und achten rem Engagement und ihrer Intelligenz. darauf, dass ihre Frauen die Kontrollen Als 18-Jährige war sie bereits Kassierin durchführen. Und sie beginnen, ihre der Genossenschaft, obwohl das BeiFrauen mit anderen Augen zu betrachten. trittsalter 21 Jahre beträgt. 2012 wurde Dann akzeptieren sie auch eher, dass das sie zur Vize-Präsidentin der UCA geThema der sexuellen Gewalt öffentlich wählt. «Es war sehr bewegend. Ich fühlte debattiert wird. All dies trägt dazu bei, mich als junge Frau ernst genommen.» Gewalt gegen Frauen zu vermindern.» Dafür brauchte es jedoch einen langen, Die Rückkehr der Jungen hartnäckigen Kampf. Vor rund fünf Jah- In ihrer neuen Funktion will Lucia Herren besuchte Lucia Herrera Martínez rera Martínez, die dank eines Stipendieine krebskranke Frau. «Ihr Zustand war ums der UCA an der Universität studiekritisch. Ich sagte ihrem Mann, sie müsse ren konnte, dazu beitragen, dass die zur Operation nach Managua gebracht Jungen nach ihrer Ausbildung in die Gewerden – worauf er die Hunde auf mich hetzte! Seine «Es ist ein harter Kampf Frau starb schliesslich an – hier ist der Machismo Krebs. Ein paar Monate späbesonders stark verbreitet.» ter bat er mich öffentlich um Entschuldigung. Dieser Akt der Reue hatte eine enorme Wirkung auf nossenschaft zurückkehren. Die ersten die gesamte Dorfgemeinschaft.» Resultate sind ermutigend: Fünf der acht aktuellen Geschäftsleitungsmitglieder Spektakuläre Resultate der UCA gehören der jüngeren GeneratiDie Krebsvorsorge wird in der UCA seit on an. «Ausserdem wurden in der letzten dem Jahr 2000 thematisiert. «Seither Zeit viele Junge von der örtlichen Gekonnten wir dank dem Einsatz zahlrei- meinde angestellt», betont sie sichtlich cher Aktivistinnen riesige Fortschritte stolz. «Andere arbeiten im nationalen verzeichnen. Der Abstrich ist heute ak- Landwirtschaftsministerium und bieten zeptiert. Früher verboten einige Männer den Genossenschaften fachliche Unterihren Frauen, sich untersuchen zu lassen. stützung.» Diese Erfolge freuen die VizeWenn eine Gebärmutter entfernt werden Präsidentin: «Eine vermehrte Einbindung musste, dachten sie, ihre Frau würde‚ der Jungen – eine der Prioritäten von ‹ausgeweidet›. Um diese Vorurteile zu Solidar – stärkt die Genossenschaft.» entkräften, ging eine Koordinatorin als Beispiel voran und unterzog sich selbst Frauenförderung der Operation.» Unterdessen haben die Mitglieder der Genossenschaft begriffen, wie wichtig die Früherkennung von Krebs Im Genossenschaftsverband UCA von ist. Die Resultate sind spektakulär. «Vor La Dalia im Nordwesten von Nicaragua zehn Jahren liessen sich nur gerade 20 sind zwölf Genossenschaften organisiert. Die UCA ist eine wichtige Frauen der Genossenschaft untersuPartnerin von Solidar im Engagement chen. Letztes Jahr waren es 580. » für bessere Lebensbedingungen von Ernst genommen werden Kleinbauernfamilien. Schwerpunkte Das Schicksal von Lucia Herrera Martísind dabei die Förderung einer effiziennez ist eng mit der Genossenschaft verten und umweltschonenden Produktibunden. «Ab zwölf habe ich meine Eltern on einerseits und die Beteiligung von an die Sitzungen begleitet, denn sie Frauen und Jugendlichen andererseits. konnten weder lesen noch schreiben.» www.solidar.ch/Nicaragua_Projekte Schon bald wurde sie Protokollführerin.


SPEKULATION MIT NAHRUNGSMITTELN IST TÖDLICH Eine Milliarde Menschen sind heute unterernährt, weil sie sich die Nahrungsmittel nicht leisten können. Denn der Weltmarktpreis für Weizen, Reis und Mais ist zweieinhalb Mal so hoch wie vor zehn Jahren. Ein Grund für diesen Preisanstieg ist die Spekulation mit Nahrungsmitteln. Stoppen wir das Spiel mit dem Hunger. Unterschreiben Sie die Initiative für ein Verbot der Nahrungsmittelspekulation. www.solidar.ch/spekulation


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