Solidarität 2/2015

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Ausgabe Mai 2/2015

THEMA Das Erbe des Kolonialismus BOLIVIEN Theater f端r Demokratie

Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, 1962 hat sich Algerien nach einem blutigen Unabhängigkeits- anderen Staaten und Besatzungsmächten durchaus einiges krieg vom Joch Frankreichs befreit. 1966 reisten mein Bruder gemeinsam hat mit kolonialer Ausbeutung und der damit verund seine Frau nach Algier, um im Auftrag des SAH ein Berufs- bundenen Vernachlässigung der innerstaatlichen Entwicklung. bildungszentrum aufzubauen. Die ersten Absolventen fanden Die meisten Schwerpunktländer von noch vor Schulabschluss eine AnstelSolidar Suisse haben eine Kolonialverlung, denn nach all den Jahren fremder gangenheit. Aufgrund der Handelspolitik Knechtschaft gab es kaum eigene Fachder Kolonialmächte haben sie ihre Laufleute im Land. Als ich in den 1980er bahn als eigenständige Staaten mit masJahren mehrmals nach Algerien reiste, siven Startnachteilen begonnen. Meist war dieses Defizit noch immer spürbar. waren sie nur Rohstofflieferanten, und Der berüchtigte «Brain Drain» hält jeweils jegliche Handelsbeziehungen mit andenoch Jahrzehnte nach der Unabhängigren Staaten waren ihnen verboten. Einikeit an, denn nur wenige sehen eine ge Länder mussten ihre Autonomie Chance im eigenen Land und sind bereit, zudem in zerstörerischen Unabhängigauf eine mit Wohlstand verbundene keitskriegen erkämpfen, deren Wunden Karriere im Ausland zu verzichten, um Esther Maurer noch längst nicht alle verheilt sind. Aber daheim mühsame Aufbauarbeit zu leisten. Direktorin Solidar Suisse ob in Burkina Faso oder Moçambique, ob in Lateinamerika oder Sri Lanka – nur Natürlich kann man geltend machen, dass andere Faktoren Algerien stärker zurückgeworfen haben demokratische Grundprinzipien garantieren eine Entwicklung, als die koloniale Ausbeutung durch Frankreich. Ich frage mich die nicht nur einigen wenigen, sondern dem Wohl einer breiten aber grundsätzlich, ob derartige Auswüchse nicht gerade in der Bevölkerung zugutekommen soll. post-kolonialen Gesellschaft den idealen Nährboden finden. In unserer neuen Strategie beruht die Bekämpfung der Armut Sie werden vielleicht sagen, dass zurzeit ja gerade im Kosovo auf drei Pfeilern: Faire Arbeit zur Existenzsicherung, humanitäre eine Migrationswelle im Gang ist wegen eines Gesellschafts- Hilfe sowie Demokratie und Partizipation. Letzteres ist die Antsystems, in dem die Menschen keine Zukunft sehen, und dass wort von Solidar auf die alten, noch schwelenden Wunden des der Kosovo nicht kolonialisiert worden ist. Dem entgegne ich, Kolonialismus und auf die neuen blutenden Wunden der Kehrdass die jahrhundertelange Abhängigkeit des Kosovo von seite der Globalisierung. Esther Maurer

MEDIENSCHAU

21.3.2015 Fifa darf ein Verein bleiben Im Sommer 2011 hatten die Juso und das Hilfswerk Solidar Suisse dem Parlament eine von mehr als 10 000 Personen unterzeichnete Petition übergeben, in der sie forderten, der Fifa seien Steuererleichterungen und -befreiungen zu entziehen. (…) Wie jeder andere Verein zahle der Weltfussballverband Steuern, und zwar vier Prozent auf den Reingewinn und 0,75 Promille auf das Eigenkapital

(…). Trotzdem gehe es um einen «offensichtlichen Missbrauch unseres liberalen Vereinsrechts», sagte der Aargauer SPNationalrat und frühere Juso-Präsident Cédric Wermuth während der Nationalratsdebatte. «Es ist niemandem verständlich, warum die Fifa den gleichen rechtlichen Status besitzt wie ein Jodlerclub aus dem Berner Oberland.» (…) Der Nationalrat (…) wies die Petition mit 116:67 Stimmen bei 13 Enthaltungen ab.

11.3.2015 SVP attackiert Völkerrecht Die SVP will die Bundesverfassung über das Völkerrecht stellen. «Trotz abgeschwächter Formulierung steht die Partei mit diesem Anliegen allein da. (…) Auch die Kampagne ‹Schutzfaktor M – Menschenrechte schützen uns›, die von rund 50 Organisationen mitgetragen wird, kritisierte die Initiative scharf: Diese gefährde den europaweiten Mindeststandard für Menschenrechte.»


THEMA Das Erbe des Kolonialismus

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Solidar-LandeskoordinatorInnen zu den Spuren des Kolonialismus in ihren Ländern

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Land Grabbing: eine aktuelle Form von Neokolonialismus 9 Die Firma Pacific Rim verklagt den Staat El Salvador auf Entschädigung für potenziell entgangene Profite

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Um die althergebrachten Strukturen des Kolonialismus zu überwinden, braucht es Regeln für faire Arbeit 12 AKTUELL Faire Arbeit und demokratische Teilhabe – so definiert die neue Strategie von Solidar den Schlüssel zur Armutsbekämpfung 16

THEMA

Der Kolonialismus hat die Grundlage für Kapitalismus und Globalisierung gelegt und prägt vielerorts heute noch die Welt.

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EINBLICK Mit Theater fördert Nayra Muñoz in Bolivien die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Anliegen und gibt Jugendlichen eine Stimme 18 KOLUMNE

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NOTIZEN

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PINGPONG

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18 EINBLICK Nayra Muñoz regt das Publikum zu Diskussionen an und gibt bolivianischen Jugendlichen die Möglichkeit, ihre Ideen und Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen.

IMPRESSUM Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Lionel Frei, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Ursula Gaillard, Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Milena Hrdina Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 70.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Fausta Carmi arbeitet unter menschenunwürdigen Bedingungen auf einer Zuckerrohrplantage in Bolivien. Foto: Désirée Good. Rückseite: Unterschreiben Sie die Initiative für verantwortungsvolle Konzerne. Foto: Oliver Gemperle.


4 Im Steinbruch Pissy in der N채he der burkinischen Hauptstadt Ouagadougou versuchen Frauen, M채nner und Kinder, sich ihr Leben zu verdienen.


ThEMA

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daS erbe deS KolonialiSMUS Der Kolonialismus hat die Grundlage für Kapitalismus und Globalisierung gelegt und setzt sich auch nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien in neokolonialistischen Strukturen fort. Sei es in Freihandelsabkommen, die alte Abhängigkeiten weiterführen, in Finanzströmen, die unter dem Strich nach Norden fliessen, oder im Land Grabbing, das mit der Bewirtschaftung von Land im Süden für die Versorgung im Norden frappierend an koloniale Praktiken erinnert. Erfahren Sie auf den nächsten Seiten mehr zum Erbe des Kolonialismus und wie Solidar in seinen Schwerpunktländern damit umgeht. Foto: Jürg Gasser


6 Thema Welches Erbe hat der Kolonialismus in den Schwerpunktländern von Solidar Suisse hinterlassen? Wir haben bei unseren LandeskoordinatorInnen nachgefragt. Fotos: Désirée Good, Jürg Gasser, Hamish John Appleby, Rico Jacometti Mit der Einführung der mehrsprachigen Bildung in Burkina Faso (Mitte rechts) und der Unterstützung der indisch-tamilischen TeepflückerInnen in Sri Lanka (unten rechts) trägt die Arbeit von Solidar zur Überwindung von negativen Hinterlassenschaften des Kolonialismus bei.


THEMA 7

KOLONISIERTE UNIVERSELLE MENSCHENMENTALITÄT RECHTE Die Kolonisierung von Obervolta, dem heutigen Burkina Faso, hatte drei Ziele: die Nutzung der einheimischen Bevölkerung als Arbeitskräftereservoir, der Anbau von Exportprodukten wie Baumwolle oder Erdnüsse und die so genannte «zivilisatorische Mission». In den langen Jahren der Kolonialherrschaft begannen die Kolonisierten die Unterstellung, sie könnten nicht denken, selbst zu glauben. Damit wurde für sie eine Zukunft ausserhalb des Entwicklungsmodells der Kolonialmacht unvorstellbar. Diese Mentalität ist auch heute noch so stark, dass die unabhängig gewordenen afrikanischen Länder die Unterstützung der ehemaligen Kolonisatoren brauchen, um ihre Entwicklungsstrategien zu bestimmen. So dienen die afrikanischen Ökonomien weiterhin den Interessen der ehemaligen Kolonialmächte – abgesichert durch Freihandelsabkommen, Strukturanpassungsmassnahmen und Militärpräsenz. Die Hinterlassenschaft des Kolonialismus in Burkina Faso reicht vom Kleiderstil – die formelle Kleidung besteht aus Anzug und Krawatte, bei 43 Grad im Schatten – über die Abwertung der bäuerlichen Lebensweise bis zum Analphabetismus. Die Kolonialherren nutzten die Tatsache, dass die meisten Menschen weder lesen noch schreiben konnten, um die Bevölkerung nicht an Entscheidungen teilhaben zu lassen. Der Neokolonialismus setzt diese Tradition fort: Bis heute ist die Unterrichtssprache meist Französisch, eine Sprache, die viele Kinder nicht verstehen. Solidar Suisse versucht dem zu begegnen, indem die Organisation unter anderem die mehrsprachige Bildung in Burkina Faso eingeführt hat.

Dieudonné Zaongo Burkina Faso

In den Strassen von La Paz tanzen Frauen und Männer in ihren farbigen Trachten an der «Fiesta de El Señor del Gran Poder», einem vom Christentum inspirierten Fest. Der Heilige wird von den Gläubigen getragen, indigene Priester begleiten ihn mit Gaben an die Pachamama (Mutter Erde). Tausend Kilometer davon entfernt, in Camiri im Osten von Bolivien, deponieren die Gauranies bei den Gemeindebehörden – einer Institution der repräsentativen Demokratie – die Forderungen, die sie an ihrer Dorfversammlung – einer Praxis vorkolonialer Demokratie – beschlossen haben. In Icla betreten indigene JustizsekretärInnen eine Versammlung, die von einem Netzwerk gegen Gewalt einberufen wurde. Sie eint der Wille, die Gewalt gegen Frauen zu beseitigen, die auf dem Land wie in den Städten grassiert. Ihre beste Waffe ist die bolivianische Verfassung, die das ursprüngliche indigene Ideal des guten Lebens und die modernen Menschenrechte vereint. Die Kolonisierung hat in allen Bereichen der bolivianischen Gesellschaft Spuren hinterlassen. Eine positive ist die Erklärung der Menschenrechte, die unabhängig von ihrem Ursprung universell gelten. Auf der Grundlage des Respekts der verschiedenen Kulturen trägt Solidar dazu bei, gemeinsame Werte aufzubauen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt ermöglichen. Die Menschenrechte und speziell die Rechte von Frauen, Jugendlichen und ArbeiterInnen sind Basis unserer Arbeit und Quelle der Inspiration auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit.

Martín Pérez Bolivien

SOZIALE UNGLEICHHEIT In El Salvador eigneten sich die Kolonisatoren die Arbeitskraft und den Reichtum der prä-hispanischen Bevölkerung durch Landraub und Sklaverei an. Vorkoloniale Kulturen und Ideen wurden von der Kirche als Ketzerei bestraft; damit spielte sie eine entscheidende Rolle bei der Festigung der Kolonialherrschaft. Die offizielle Unabhängigkeit von 1821 hat nicht mit diesen Strukturen gebrochen. Grossgrundbesitzer, ehemalige Kolonialbeamte und der katholische Klerus übernahmen die Macht und vermehrten ihren Reichtum mit dem Export von Rohstoffen. Die koloniale Ausbeutung wurde ohne Kolonialmacht weitergeführt – mit grossen sozialen Ungleichheiten und fehlender industrieller Entwicklung. Grundbesitz und Macht sind bis heute weitgehend auf 14 Familien verteilt. Seit 2009 ist zum ersten Mal in der Geschichte des Landes eine Regierung im Amt, die nicht rechtsgerichtet ist. Hoffnungsvolle Entwicklungen beginnen, koloniale Strukturen aufzubrechen: Kleine ProduzentInnen werden gefördert, es gibt einen Dialog zwischen der Bevölkerung und Regierungsinstanzen wie nie zuvor. Zum Vorteil der Arbeit von Solidar Suisse, die seit 1992 die demokratische Mitsprache der armen Bevölkerungsmehrheit und deren wirtschaftlichen Entwicklungschancen fördert. Und dennoch setzt sich das Erbe des Kolonialismus fort: Mit den subventionierten Billigimporten im Rahmen der Freihandelsabkommen können kleine ProduzentInnen nicht konkurrieren, und die Kaffeeröstereien sitzen noch immer in Europa und den USA.

Yolanda Martinez El Salvador


8 THEMA

KOLONIALE TRANSPORTWEGE Die portugiesische Kolonialmacht baute die Verkehrswege in Moçambique entlang der wirtschaftlichen Interessen. Die lokale Entwicklung war dabei zweitrangig. Dies ist bis heute spürbar: Wirtschaftlich attraktive Orte sind gut miteinander vernetzt, während weite Teile des Landes nicht erschlossen sind. Diese Hinterlassenschaft des Kolonialismus setzt sich auch heute fort: Der wirtschaftlich wichtige Beira-Korridor erhält erhebliche Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft. Die lokale Bevölkerung geht dabei vergessen. So transportiert die Bahnlinie grosse Mengen an Holz, Treibstoffen, Getreide und Düngemitteln, ohne dass die drei Millionen Menschen, die im Beira-Korridor leben, davon profitieren würden. Auch bei ausländischen Investitionsprojekten wird die lokale Bevölkerung ignoriert. Die Verpachtung grosser Landflächen an multinationale Unternehmen führt zu Umweltzerstörung und zur Konzentration grosser Territorien in wenigen Händen, während die einheimische Bevölkerung ihrer wichtigsten Lebensgrundlagen beraubt wird (siehe Artikel auf Seite 9). Um das koloniale Erbe zu überwinden, müssen die Betroffenen endlich mitbestimmen können. Solidar Suisse unterstützt sie dabei, indem ihre demokratische Beteiligung gestärkt wird.

Jorge Lampião Moçambique

AUSBEUTUNG UND STEILE HIERARCHIEN Ein Erbe der Kolonialzeit ist die Anwesenheit indischer TamilInnen in Sri Lanka. Ab 1840 wanderten sie aus Südindien ins damalige Ceylon ein, weil die britischen Kolonialherren den Bedarf an Arbeitern für die Plantagenwirtschaft – zunächst Kaffee, später auch Tee – nicht mehr mit der einheimischen Bevölkerung decken konnten. Die Arbeiter holten mit dem Aufschwung des Teeanbaus ihre Familien nach. Auch wenn sich die Situation der indischen TamilInnen im Lauf der letzten Jahre verbessert hat, gehören sie immer noch zu den ärmsten und am meisten benachteiligten Gruppen im Land. Eine weitere Hinterlassenschaft des Kolonialismus, deren Beständigkeit jedoch auch kulturelle Gründe hat, ist die grosse Distanz zwischen den sozialen Schichten. Mit der Folge, dass flache Hierarchien eher schwierig einzuführen sind. Solidar ist in der Projektarbeit in Sri Lanka mit beiden Aspekten konfrontiert. So setzen wir uns für die Verbesserung der Situation der Tamilen und Tamilinnen ein, indem wir die Einführung einer Zertifizierung auf verschiedenen Teeplantagen fördern (siehe auch Solidarität 4/14). Diese stellt soziale Kriterien wie das Verbot von Kinderarbeit, eine Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche und das Einhalten der örtlichen Mindestlöhne auf. Um der Hierarchie entgegenzuwirken, beteiligen wir in den Solidar-Projektteams alle Angestellten an den Entscheidungen und unterstützen demokratische Prozesse in der Bevölkerung. www.solidar.ch/teeplantagen

Daniel Bronkal Sri Lanka

KORRUPTION UND FATALISMUS Die Kolonialgeschichte hat im heutigen Nicaragua vielfältige Spuren hinterlassen: So entspringt eine korrupte Amtsausübung im Austausch gegen Gefälligkeiten dem Verwaltungssystem der spanischen Krone, in dem politische Führungspositionen «versteigert» wurden. Die Auspressung des Landes durch die Kolonialmacht verhinderte die Entwicklung einer rentablen Produktion und führte zu einer Mentalität, die sich bis heute gehalten hat: Reiche kaufen fruchtbares Land und Häuser zu Spekulationszwecken, ohne produktive Strukturen aufzubauen. Frauenhandel ist ebenso kolonialistisches Erbe wie eine Form moderner Sklaverei. Und die fatalistische Haltung, ein elendes Leben in der Hoffnung auf ein glückliches Jenseits zu ertragen, hat ihren Ursprung im «Gottes Wille geschehe» der katholischen Religion. Heute findet das koloniale Erbe seine Fortsetzung in Freihandelsabkommen, deren Bedingungen die reichen Länder festsetzen. Diese schützen ihre Landwirtschaft vor Importen, während ihre hoch subventionierten Produkte freien Zugang erhalten zu den Märkten in den armen Ländern, wo die BäuerInnen keine Unterstützungsleistungen erhalten. Für die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen und ihre Mitbestimmung setzt sich Solidar Suisse ein.

Carmen Ayón Nicaragua


THEMA 9 Der einheimischen Bevölkerung in Moçambique droht die Vertreibung von ihrem Land, wenn multinationale Unternehmen in Agrarprojekte investieren.

amerika, meist in ärmeren Ländern mit schwachen Institutionen und korrupten Regierungen. Leidtragende sind die KleinbäuerInnen vor Ort. Oft werden ihre Landrechte missachtet, sie werden vertrieben oder umgesiedelt und verlieren ihre Existenzgrundlage. Konsultiert werden sie in den seltensten Fällen. Die für Land Grabbing typischen Monokulturen führen zu Umweltschäden und Verlust der Biodiversität.

NEOKOLONIALER LANDRAUB Der Kolonialismus ging in vielen Ländern nahtlos in Neokolonialismus über – eine Form ist das sogenannte Land Grabbing. Text: Joachim Merz, Foto: Yunas Vally

Kwame Nkrumah, der erste Präsident von Ghana, bezeichnete Neokolonialismus als ein wirtschaftliches und politisches System in formell unabhängigen Staaten, das von aussen gesteuert wird. Unter diesen Bedingungen führen Auslandsinvestitionen nicht zu Entwicklung, sondern zu Ausbeutung. Sie vergrössern die Kluft zwischen armen und reichen Ländern. Was Nkrumah vor rund 50 Jahren formulierte, gilt in vielerlei Hinsicht bis heute. Weiterhin fliesst ungleich viel mehr Geld aus Ländern des Südens in Richtung Norden als umgekehrt – sei es beim Abbau von Rohstoffen oder bei der Ausbeutung billiger Arbeitskräfte durch multinationale Unternehmen. All dies ist ein Ausdruck neokolonialer Herrschaftsverhältnisse. In den letzten Jahren ist ein neues Phänomen hinzugekommen: das Land Grabbing.

Zum Beispiel Moçambique Diese Probleme zeigen sich im Projekt ProSavana im Norden von Moçambique. Dort sollen mehrere Millionen Hektar Land im fruchtbaren und dicht besiedelten Nacala-Korridor für ausländische Investoren geöffnet werden. Mit der Planung wurde 2009 begonnen, dazu äussern konnten sich lokale Basisorganisationen aber erst 2013. Das Projekt spaltet die Dorfgemeinschaften: Die einen sehen darin die Möglichkeit, Kredite und Produktionsmittel zu erhalten, andere befürchten, dass der Anbau von Soja-Monokulturen nur den brasilianischen Investoren nützt, während die lokale Nahrungsmittelproduktion vernachlässigt wird. Ausserdem schwebt das Damoklesschwert der Vertreibung über den Kleinbauernfamilien. Immerhin war der Protest der Zivilgesellschaft so gross, dass nun ein neuer Masterplan für ProSavana ausgearbeitet werden soll.

Als Land Grabbing wird der Kauf oder die Pacht grosser Landflächen durch ausländische Regierungen oder multinationale Unternehmen bezeichnet. Dort werden Nahrungsmittel oder Energiepflanzen angebaut. Sie werden in die Investorenländer exportiert und sichern deren Versorgung. Das Land, in dem die Pflanzen angebaut werden, sieht jedoch nichts von diesen Land Grabbing vergrössert Produkten. Nach der Explosidie Kluft zwischen Arm on der Nahrungsmittelpreise und Reich. 2007 und 2008 hat Land Grabbing dramatisch zugenommen. Zwischen 2001 und 2011 «Nur wenn die Bedürfnisse der Bevölkewurden weltweit über 200 Mio. Hektar rung berücksichtigt werden, kann ein soLand aufgekauft – mehr als die gesamte zial gerechter und nachhaltiger Entwicklandwirtschaftliche Nutzfläche Europas. lungsprozess angestossen werden», meint Die InvestorInnen kommen aus Industrie- Solidar-Koordinator Jorge Lampião. ländern sowie zunehmend aus Schwellenländern und den Golfstaaten. Gekauft Joachim Merz ist verantwortlich für die wird vor allem in Afrika, Asien und Latein- Solidar-Projekte in Moçambique.


10 THEMA

KEINE GOLDENEN ZEITEN FÜR CABAÑAS Kolonialismus mit anderen Mitteln: Freihandelsabkommen und Schiedsgerichte sollen die Ausbeutung von Rohstoffen ohne Rücksicht auf Bevölkerung und Umwelt durchsetzen. Zum Beispiel in El Salvador. Text und Foto: Anja Ibkendanz, Cartoon: Alecus Kaum jemand kennt das «Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten» mit Sitz bei der Weltbank in Washington. Das erstaunt wenig, denn bei den Verhandlungen haben weder die Öffentlichkeit noch die Medien Zutritt und gegen die Urteile kann kein Rekurs eingelegt werden. Doch arme Bauern und engagierte Umweltschützerinnen der Provinz Cabañas in El Salvador kennen das Schiedsgericht leider nur zu gut. Kompensation für entgangene Gewinne Vor diesem Gericht hat die kanadische Gesellschaft Pacific Rim 2008 geklagt, um El Salvador zur Zahlung von Gewinnen, die ihr künftig entgehen werden, zu

verpflichten. Denn die salvadorianische Pacific Rim, die mittlerweile der australiRegierung hat der Bergbaufirma die Ge- schen OceanaGold gehört, zog den Staat nehmigung entzogen, in Cabañas Gold El Salvador vor Gericht. Grund: Mit dem zu schürfen, weil immense UmweltschäEs geht um hypothetische den befürchtet wurden: Zyanid und Blei Gewinne, die das Unternehmen drohten die Wasservielleicht gar nie gemacht hätte. läufe in Cabañas und damit den grössten Fluss des Landes zu verseuchen. In der Entzug der Bewilligung seien ihr zukünfgeplanten Mine sollten kleine Goldvor- tige Gewinne entgangen. Es geht also kommen mit Zyanid-Lauge aus dem Ge- nicht um die Erstattung bereits getätigter stein gelöst werden. Ein Verfahren, das in Investitionen, sondern um hypothetische El Salvador bereits zu Zyanid- und Gewinne, die das Unternehmen vielleicht Bleikonzentrationen im Wasser geführt gar nie gemacht hätte. Streitwert: über hat, die den erlaubten Grenzwert bis zu 300 Millionen US-Dollar. Rechtsgrundlatausend Mal übersteigen. ge: das Freihandels-Abkommen CAFTA


KOLUMNE

THEMA 11

Mit Radiosendungen informieren die Solidar-Partnerorganisationen die Bevölkerung über die Auswirkungen der geplanten Goldmine.

Doch der Preis war hoch: 2009 wurden in Cabañas innerhalb eines halben Jahres drei lokale UmweltaktivistInnen, im Juni 2011 ein Student ermordet. Viele AktivistInnen erhielten Morddrohungen. Diese Verbrechen wurden nie aufgeklärt. und ein nationales Gesetz, das Investoren entsprechende Rechte zusicherte. Widerstand und Repression Regionale Basis-Organisationen, Lokalradios und Umweltschutzgruppen hatten sich mit Demonstrationen und Petitionen gegen den umweltschädigenden Goldabbau gewehrt. So auch Solidar-Partnerorganisationen wie der Verband der KleinbäuerInnen, die für den Erhalt ihrer Lebensgrundlagen kämpfen: für sauberes Wasser, für ihre kleinen Höfe, die enteignet werden sollen, für den Anbau gesunder Nahrungsmittel. Mit ihrem Widerstand haben sie massgeblich zum Moratorium der Regierung beigetragen.

Cabañas Cabañas ist eine arme Region im Norden von El Salvador, die stark von Zerstörungen durch den Krieg 1980 –1992 betroffen war. Solidar Suisse unterstützte den Wiederaufbau und fördert heute drei Basisorganisationen für Gemeindeentwicklung und eine Frauenorganisation. Ziel ist die aktive Mitsprache der lokalen Bevölkerung bei der Entwicklung ihrer Dörfer und Gemeinden und die Verbesserung der Lebensbedingungen der mehrheitlich sehr armen, kleinbäuerlichen Bevölkerung. Die Solidar-Partnerorganisationen engagieren sich auch mit Aktionen und in ihrem Lokalradio für Umweltschutz und den freien Zugang zu ihrem Land. www.solidar.ch/cabanas

Recht auf souveräne Entscheide Mittlerweile haben sich landesweit Umweltschutz- und Kirchengruppen, Community-Radios, Gemeinden und weitere zivilgesellschaftliche Organisationen zu einem Runden Tisch gegen den Bergbau zusammengeschlossen. Dieser hat im September 2014 mit Aktionen auf das Recht El Salvadors auf souveräne Entscheide hingewiesen. Am 15. September fand das bisher letzte «Hearing» im Fall «Pacific Rim Cayman LLC./OceanaGold vs. Republic of El Salvador» vor dem Schiedsgericht der Weltbank statt. Der Gerichtsentscheid wird im Laufe des Jahres 2015 erwartet. Das bereits mehrere Jahrzehnte existierende Schiedsgericht hat seine aktuelle Bedeutung erst durch die Freihandelsabkommen gewonnen, die den Unternehmen das Recht einräumen, zum Schutz ihrer Investitionen gegen Staaten zu klagen. Das Verfahren hat El Salvador bisher über sechs Millionen US-Dollar gekostet. Die schwindelerregende Höhe der Kosten kann ärmere Staaten im Zweifelsfall davon abhalten, sich den Interessen multinationaler Konzerne zu widersetzen. Umso wichtiger ist die Unterstützung, die Solidar den zivilgesellschaftlichen Organisationen bietet: bei ihrem Engagement für den Schutz der Umwelt, für eine ressourcenschonende, kleinbäuerliche Produktion und demokratische Mitsprache. Anja Ibkendanz ist verantwortlich für die Solidar-Projekte in El Salvador; Alecus ist der Künstlername des mexikanisch-salvadorianischen Cartoonisten Ricardo Clement.

Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse

Je suis Mitglied Entwicklungszusammenarbeit wird durch Steuern und Spenden finanziert. Sie ist damit abhängig von der Bereitschaft der Bevölkerung, auf die eine oder andere Weise finanzielle Mittel bereit zu stellen. Diese Bereitschaft ist ihrerseits abhängig von der Meinung, die sich die BürgerInnen über die Qualität der Entwicklungszusammenarbeit gebildet haben. Darum ist es uns wichtig, über deren Ziele und Methoden zu informieren und eine emotionale Bindung an unsere Programme und Projekte herzustellen. Die Mitglieder von Solidar Suisse haben diese emotionale Bindung und sind überdurchschnittlich gut informiert – unter anderem dank dieser Zeitschrift. Sie sind in der Lage, in ihrem persönlichen Umfeld Entwicklungszusammenarbeit zum Thema zu machen oder sie als sinnvoll zu verteidigen. Das ist öfters nötig als den Hilfswerken lieb ist, denn die nationalistische Rechte möchte die Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit kürzen oder am liebsten ganz streichen. Da braucht es kräftigen Gegendruck von möglichst vielen solidarischen Individuen und Organisationen. Unsere Mitglieder sind wertvolle Vervielfältiger und Verstärkerinnen von Bemühungen, die Bevölkerung zu sensibilisieren und Entwicklungszusammenarbeit im Bewusstsein der Leute als etwas Positives zu verankern. Darum danke ich unseren bisherigen Mitgliedern für ihr solidarisches Engagement, und darum lade ich die anderen Leserinnen und Leser dieser Zeilen herzlich ein, Mitglied von Solidar Suisse zu werden.


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MOTOR DES KAPITALISMUS

Der Kolonialismus hat den Boden für den Kapitalismus bereitet und wirkt bis heute fort. Um dies zu ändern, braucht es globale Regelungen für faire Arbeit. Text: Eva Geel, Foto: Public Domain Die Mittel waren altmodisch, doch das System war modern: Als sich die europäischen Kolonialherren vor 500 Jahren der Welt bemächtigten, schufen sie ein Wirtschaftssystem, das in seiner Grundform bis heute Gültigkeit hat. Dies belegt der Historiker Sven Beckert in seinem neuen Buch «King Cotton» anhand des vermeintlich banalen Beispiels Baumwolle. Baumwolle war – mehr noch als Silber und Gold – Währung und Motor des Kolonialismus. Feine Baumwollstoffe wurden bereits in vorkolonialer Zeit in

bester Qualität von indischen WeberInnen gefertigt. Die in kratzige Wollstoffe gekleideten EuropäerInnen begehrten die federleichte, farbenfrohe Ware heiss. Doch erst als um 1500 der Seeweg nach Indien entdeckt wurde, entwickelte sich der Handel im grossen Stil. Blut, Schweiss und Tränen Damit etablierte sich ab 1600 ein verheerender Kreislauf: Koloniale Kaufleute und Handelsgesellschaften wie die britische East India Company kauften indi-

sche Baumwolle, mit deren Erlös sie in Afrika afrikanische SklavInnen erwarben, die sie dann nach Amerika verschleppten. Dort mussten Männer, Frauen und Kinder auf den Plantagen der Kolonialherren schuften. Die Agrarprodukte, die sie unter Blut, Schweiss und Tränen fertigten, wurden wiederum in Europa an die KonsumentInnen verkauft. So hatten die Europäer eine neue Methode für die Organisation wirtschaftlicher Abläufe entwickelt und die Grund-


THEMA 13 Die Arbeitsbedingungen in der Baumwollindustrie bleiben bis heute prekär: Kinder bei der Baumwollernte in Usbekistan 2012 (links).

fremden Territorien aus. Stattdessen unterstützten sie die Handelsunternehmen bei ihren Beutezügen. Bewaffnete Händler eroberten Land und Leute, rüsteten private Milizen aus, um Völker zu bekämpfen, und gingen im wahrsten Sinn des Wortes auf die Jagd nach Arbeitskräften, die als SklavInnen den wirtschaftlichen Erfolg der Kolonialherren absicherten.

lage für den Kapitalismus gelegt. Die Bausteine waren Expansion, Landraub und Sklaverei. Und Baumwolle spielte dabei eine zentrale Rolle. Sie war, so Beckert, «das vorherrschende Tauschmittel, um an der afrikanischen Küste Sklaven zu erwerben». Diese Phase des Kolonialismus bis 1800 war geprägt von massiver privater Gewalt. Nicht von ungefähr nennt sie Sven Beckert «Kriegskapitalismus»: Die Staaten übten kaum Hoheitsgewalt über die

beim Abbau von Rohstoffen in Afrika – die Liste könnte beliebig verlängert werden. Und die Waren gelangen wie früher zu europäischen KonsumentInnen, ob nun als Billig-T-Shirt, Handy, Schmuck oder Schokolade. Sicher: Etliche Unternehmen achten auf Standards. Und mittlerweile profitiert auch nicht mehr nur der Westen von Logik und Methode des globalen Wirtschaftens. Doch die Schattenseite ist kaum heller als zu Zeiten des Kolonialismus: Über 20 Millionen Menschen, so die Internationale Arbeitsorganisation ILO, fristen als Sklavinnen und Zwangsarbeiter ein elendes Dasein. Faire Arbeit als Lösung Umso wichtiger ist, dass diese Dynamik endlich durch globale Vorschriften gebrochen wird. Und hier zeichnet sich ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung ab. Nicht nur mit der neuen Schweizer Initiative für Konzernverantwortung (siehe Beilage), sondern auch mit den neuen Entwicklungszielen der UNO, die im Herbst 2015 verabschiedet werden sollen. Die UNO will dabei zum ersten Mal «Faire Arbeit für alle» ganz oben auf die Agenda setzen. Dies ist ein Erfolg, auch wenn das Ziel nur eines unter vielen ist und die Umsetzung in den Sternen steht. Denn

Zweierlei Recht Der Kriegskapitalismus stützte sich auf eine schizophrene Zweiteilung der Welt: In der inneren Welt befolgten die Kolonialisten die Gesetze, Institutionen und Regeln des Heimatlandes. Die äussere Welt hingegen war geprägt von imperialer Herrschaft, unDie Sklaverei sicherte den gestrafter Enteignung riesiErfolg der Kolonialherren. ger Gebiete und der Dezimierung und Versklavung ganzer Völker. zum ersten Mal würden die UNO-Mitgliedsstaaten anerkennen, dass hier funDie Analyse Beckerts kommt einem damentaler Handlungsbedarf besteht. eigentümlich vertraut vor. Auch wenn die Solidar Suisse hat sich im UNO-KonsulWelt nicht mehr dieselbe ist wie zu Zeiten tationsprozess für faire Arbeitsbedingundes Kolonialismus, auch wenn die Skla- gen eingesetzt. Wir werden Diskussionen verei offiziell abgeschafft wurde und es und Umsetzung weiterhin aufmerksam verbindliche wirtschaftliche Regelwerke verfolgen. Denn den Menschen eröffnet gibt: Viele westliche Unternehmen teilen sich mit dem UNO-Ziel für faire Arbeit die Welt immer noch in eine innere und eine neue, hoffnungsvolle Perspektive. eine äussere, in der jeweils andere Re- Auf dass der Kolonialismus endlich Gegeln gelten. Davon zeugen katastrophale schichte werde. Arbeitsbedingungen in asiatischen Kleiderfabriken, Kinderarbeit in Südamerika, Eva Geel ist Leiterin Kommunikation Ausbeutung und Umweltverschmutzung bei Solidar Suisse.


14 NOTIZEN Neue Kooperation in Asien Asien ist und bleibt die Werkbank der Welt und damit auch das Zentrum der Ausbeutung von ArbeiterInnen. Grund für uns, unserer Engagement in dieser Region zu verstärken. Letztes Jahr hat Solidar Suisse eine Zusammenarbeit mit dem Asia Monitoring Research Centre (AMRC) gestartet. Dabei wurden verschiedene Weiterbildungen unterstützt, zum Beispiel Workshops für ArbeiterInnen zu den Gefahren in der Elektronikund Textilbranche in China oder ein Erfahrungsaustausch von asiatischen Arbeitsorganisationen über sozialen Schutz und Arbeitsrechte. AMRC wurde 1976 gegründet und ist im asiatischen Raum insbesondere bekannt

Pakistan: Gesetz gegen Gewalt gegen Kinder Am 6. März 2015 hat Premierminister Nawaz Sharif eine Änderung im Strafgesetzbuch gutgeheissen, die sexuelle Ausbeutung von Kindern, Kinderhandel und Körperstrafen verbietet. Dies ist ein wichtiger Erfolg in einem Land, wo Kinderarbeit weit verbreitet ist und die arbeitenden Kinder häufig von Gewalt und sexuellen Übergriffen betrof-

Videoporträt von Solidar Suisse Ein neues Video bietet in drei Minuten einen Einblick in die Arbeit von Solidar Suisse: das Engagement für das Recht auf würdige Arbeitsbedingungen weltweit, humanitäre Hilfe bei Katastrophen und Sensibilisierungskampagnen in der Schweiz. Schauen Sie es sich an unter: www.solidar.ch/mediathek

für fundierte Forschung rund ums Thema Arbeit, als Ausbildungszentrum sowie dafür, Entwicklungstrends im Auge zu behalten: eine unabhängige Stimme zum Schutz von Arbeitsrechten, die Missstände publik macht. www.solidar.ch/amrc

fen sind. Wegen der grossen Armut gehen über die Hälfte der Kinder nicht zur Schule. Die Solidar-Partnerorganisation Group Development Pakistan hat mit Lobbyarbeit zur Gesetzesänderung beigetragen. Als nächsten Schritt muss diese nun das Parlament passieren. Wird das Gesetz angenommen, bietet es eine Handhabe gegen Gewalt gegen Kinder und kann darüber hinaus präventiv wirken. Dies hat auch positive Auswirkungen auf das Solidar-Projekt gegen Kinderarbeit in Lahore: Es könnte einerseits Eltern motivieren, ihre Kinder wieder in die Schule zu schicken; andererseits ermöglicht es, Täter zu bestrafen, die Kinder sexuell und körperlich misshandeln. www.solidar.ch/kinderarbeit

3 603 Unterschriften für faire Beschaffung Am 19. Dezember hat Solidar Suisse die Vernehmlassungsantwort zur Revision der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen IVöB eingereicht. Darin setzen wir uns dafür ein, dass die sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Beschaffung im Gesetz verankert wird – denn diese Chance wurde im Entwurf leider nicht wahrgenommen. Es ist wichtig, dass die öffentliche Hand mit ihrem jährlichen Einkauf von Waren und Dienstleistungen im Wert von 40 Milliarden dafür sorgt, dass bei der Produktion Arbeits- und Menschenrechte nicht verletzt werden. Davon waren auch die 3 603 Menschen überzeugt, die die Antwort mitunterzeichneten. www.solidar.ch/news

Fussball-WM in Qatar Die Fussball-Weltmeisterschaften in Qatar 2022 stehen im Fokus der Medien. Dies mit gutem Grund: Über tausend ArbeitsmigrantInnen sind in den letzten drei Jahren auf den WM-Baustellen gestorben. Sie arbeiten zu viel (bei 50 Grad im Schatten) für zu wenig Lohn (der oft nur teilweise ausbezahlt wird) und können nicht einmal kündigen, geschweige denn ausreisen, weil die Unternehmen ihnen den Pass abnehmen. Solidar Suisse unterstützt seit kurzem eine Rechtsberatung, die vor Ort die ArbeitsmigrantInnen berät. Durch dieses Engagement leisten wir einen Beitrag zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Bauarbeiter und sind aus erster Hand über die Geschehnisse informiert, um uns mit Kampagnen für faire Weltmeisterschaften einsetzen zu können. www.solidar.ch/fairewm


PINGPONG 15 SOLIDAR-SUDOKU 8

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Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel».

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Spielregeln Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3Blöcke nur einmal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den schraffierten Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel: 1=S, 2=L, 3=U, 4=M, 5=K, 6=N, 7=O, 8=A, 9=I

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1. Preis Wäschekorb 2. Preis Handtasche Die Preise stammen von einer Gruppe von Palmyra-ProduzentInnen im Norden Sri Lankas. Die Menschen waren nach dem Krieg in ihre Dörfer zurückgekehrt und haben sich mit der Unterstützung von Solidar zu Produktionsgruppen zusammengeschlossen, um ihre Existenz zu sichern. Einsendeschluss ist der 15. Juni 2015. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 3/2015 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 1/2015 lautete «Social Media». Michelle Ody aus Lausanne hat einen LanzArte-Rucksack, Laurent Junier aus Le-Mont-sur-Lausanne ein LanzArte-T-Shirt und Susanne Sturm aus Langnau einen Doctora-Edilicia-Schlüsselanhänger gewonnen. Wir danken Solidar Bolivien für die gestifteten Preise und den Mitspielenden für die Teilnahme.

Lösungswort

DANKE! Viele Menschen konnten im letzten Jahr Hoffnung schöpfen und ihre Lebenssituation dauerhaft verbessern. Ein wichtiger Beitrag dazu waren Nachlässe von Menschen, die neben ihren Verwandten und engen FreundInnen auch Solidar Suisse etwas vererbten. Ihnen möchten wir hier ganz herzlich danken. Wenn auch Sie erwägen, uns in Ihrem Testament zu berücksichtigen, helfen wir gerne mit einer Auskunft oder unseren Merkblättern. Wenden Sie sich bitte an christof.hotz@solidar.ch, 044 444 19 45.


16 AKTUELL

DIE ZUKUNFT MÖGLICH MACHEN Mit der neuen Strategie setzt Solidar Suisse auf faire Arbeit und demokratische Teilhabe als wirkungsvollen Hebel zur Armutsbekämpfung. Text: Esther Maurer, Fotos: Jürg Gasser, Paola Lambertin, Désirée Good «Das gute Herz genügt nicht!» – mit diesem Zitat von Regina Kägi-Fuchsmann, der Gründerin des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks SAH, schlägt die Solidar-Strategie 2015–2019 die Brücke zu unseren Wurzeln: Gegründet unter dem Eindruck der notleidenden Bevölkerung im spanischen Bürgerkrieg, stand anfangs die humanitäre Hilfe im Zentrum. Weil humanitäre Interventionen aber kaum Armut und soziale Ungleichheit bekämpfen, bildete das langfristige Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit stets eine sinnvolle Ergänzung. 2005 wurde die ehemalige Auslandabteilung des SAH selbständig, seit 2011 führen wir unser Engagement unter dem neuen Namen Solidar Suisse weiter. Die Neuorganisation zeitigte damals auch eine Professionalisierung und eine neue strategische Ausrichtung: Armut sollte durch existenzsichernde Arbeitsbedingungen bekämpft werden. Den Orientierungs-

rahmen dafür bildete die «Decent-WorkAgenda» der Internationalen Arbeitsorganisation ILO: Arbeitsplätze schaffen, Arbeitsrechte garantieren, Sozialschutz gewährleisten und Sozialdialog fördern – übertragen in den jeweiligen lokalen Kontext. Bewährtes sichern – Neues wagen Aufgrund einer detaillierten Umfeldanalyse und basierend auf einem Prozess, in den die Mitarbeitenden in der Schweiz und im Ausland einbezogen wurden, legten wir 2014 die Leitlinien für die kommenden fünf Jahre fest. Dabei zeigte sich, dass angesichts der Ausbeutung von ArbeiterInnen, insbesondere im informellen Sektor, die Fokussierung auf existenzsichernde Arbeit weiterhin richtig und wichtig ist. In diesem Bereich konkretisiert unsere Strategie fünf neue Hauptziele.

Die Hauptziele: • Von Ausbeutung betroffene Arbeitskräfte sind besser geschützt – durch Massnahmen am Arbeitsplatz, die Einhaltung der Arbeitsgesetze und soziale Grundsicherung. • Mittellose und schutzbedürftige Menschen erhalten existenzsichernde Einkommensmöglichkeiten. • Insbesondere Menschen ohne existenzsichernde Arbeit und Junge steigern ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Anzahl prekär Beschäftigter sinkt. • Extreme Formen der Ausbeutung wie Zwangsarbeit, Kinderarbeit und moderne Sklaverei werden bekämpft. • Repräsentative und demokratische Organisationen der Zivilgesellschaft (Kooperativen, Sozialpartnerschaften, Gewerkschaften, Branchen- und Interessenverbände etc.) tragen zu sozial gerechten und nachhaltigen Strukturveränderungen bei.


AKTUELL 17 Global denken – lokal handeln: Gemeinden sollen keine Waren einkaufen, die unter ausbeuterischen Bedingungen produziert wurden.

Solidar engagiert sich zum Beispiel gegen Kinderarbeit und für Berufsbildung für Jugendliche in Burkina Faso oder für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der ZuckerrohrschneiderInnen und der Hausangestellten in Bolivien (von links nach rechts).

Damit will Solidar Suisse zur kompetentesten Anlaufstelle in allen Fragen der Bekämpfung von menschenverachtenden Arbeitsbedingungen werden. Faire Arbeit für alle «Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen», forderte der französische Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry. Für uns stellte sich beim Formulieren der Vision die Frage, was möglich ist und wo wir tatsächlich etwas bewirken können. Im Wissen um unsere Grenzen haben wir die folgende Vision einer Gesellschaft, für die es sich lohnt zu kämpfen: Vision: Das Recht auf faire Arbeit, soziale Gerechtigkeit und Existenzsicherung wird weltweit respektiert, und die Armut ist überwunden: Alle Menschen sind in der Lage, ihr Leben selbstbestimmt und in Würde zu führen.

Unsere Mission zeigt auf, wie wir diese Vision verwirklichen wollen. Dabei wird deutlich, dass wir nur dann Wirkung erzielen, wenn wir gleichzeitig demokratische Strukturen und Partizipation an gesellschaftspolitischen Prozessen fördern. Mission: Solidar Suisse kämpft in Entwicklungs-, Schwellen- und Transitionsländern für soziale Gerechtigkeit und gegen Ausbeutung. Menschenwürdige Arbeitsbedingungen, die gerechte Verteilung von Ressourcen und Diensten sowie politische Mitbestimmung und föderale Strukturen zur Gestaltung des eigenen Lebensraums sind fundamentale Menschenrechte und stehen im Zentrum des Engagements von Solidar Suisse. Was die neue Strategie konkret für Solidar bedeutet, skizziert Felix Gnehm, Leiter Internationale Programme: «Wir müssen unsere Programme dem strate-

gischen Rahmen anpassen. In Sri Lanka und in Pakistan setzen wir bereits eine neue Generation von Projekten um, die den Schutz von ausgebeuteten Menschen in prekären Arbeitsverhältnissen im Fokus haben: Kinder, Teepflückerinnen oder Kriegsgeschädigte.» An der diesjährigen Solidar-Konferenz werden wir gemeinsam mit unseren LandeskoordinatorInnen ausarbeiten, wo der grösste Handlungsbedarf besteht. Gemeinsam wollen wir erreichen, dass Menschen sich erfolgreich gegen Ausbeutung wehren und anständige Arbeitsbedingungen und Existenzlöhne erreichen. Wir freuen uns, dabei weiterhin auf Ihre Unterstützung zu zählen. Engagieren Sie sich mit uns! www.solidar.ch/strategie Esther Maurer ist die Direktorin von Solidar Suisse.


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THEATER ALS WAFFE

Nayra Muñoz setzt sich in Bolivien mit Theater für gesellschaftliche Anliegen ein und gibt benachteiligten Jugendlichen eine Stimme. Text und Foto: Stéphane Cusin


EINBLICK 19 möglichen, ihre Anliegen auszudrücken. «Wir spielen da, wo sonst keine Kunst produziert wird: auf der Strasse und in Schulen. Ich liebe diese Art von Theater.»

Nayra Muñoz setzt ihre Leidenschaft fürs Theater ein, um Veränderungen zu bewirken.

«El Animal erzählt Geschichten, die aus dem Leben gegriffen sind. Wir stellen Probleme dar und drücken Solidarität mit den Opfern von Gewalt und Misshandlung aus. So regen wir das Publikum zu Diskussionen an», meint Nayra Muñoz auf die Frage, weshalb sie sich bei der Theatergruppe El Animal (das Tier) engagiert. Die 23-Jährige will mit Theaterspielen zu Diskussionen animieren und es Kindern und Jugendlichen er-

Ihre Spende wirkt Mit Ihrer Spende von 70 Franken kann ein ganztägiger Theaterworkshop für 15 Jugendliche durchgeführt werden.

Studium abschliessen, um etwas ‹Seriöses› zu machen», meint sie lächelnd.

Wenn die Theatergruppe in Schulen auftritt, melden sich häufig Jugendliche, die Leidenschaft und Herausforderung Interesse am Theaterspielen haben. Sie Nayra Muñoz hat das Theater bereits mit werden eingeladen, in einer der neun elf für sich entdeckt. Ihr Vater regte sie Nachwuchsgruppen mitzumachen. Nayra zum Theaterspielen an, um ihre Schüch- Muñoz betreut die Kleinsten: «Ich führe ternheit zu bekämpfen. Mit 18 trat sie der sie ins Theaterspielen ein. Es ist toll, ihnen Theatergruppe El Animal bei, als eine meine Leidenschaft zu vermitteln», ervon neun jungen Frauen. Zurzeit spielen zählt sie begeistert. sie das Stück «unsichtbar», das sie selbst Die Jugendlichen kommen oft aus Famigeschrieben haben. Es handelt von jun- lien, die von Gewalt und Alkoholismus gen Frauen, die von Mafiaorganisationen geprägt sind und in denen sich niemand für sie und ihre Wünsche interessiert. Fehlende Erwerbs«Wir spielen, wo sonst keine möglichkeiten tragen weiter zu einem Gefühl der PerspekKunst produziert wird: auf tivlosigkeit bei. Dem möchte der Strasse und in Schulen.» Nayra Muñoz mit ihrem Engagement etwas entgegenentführt und zur Sexarbeit oder Organ- setzen: «Ich akzeptiere nicht, dass mir anspende gezwungen werden. «Viele dere sagen, wie ich leben soll, egal was ZuschauerInnen erfahren erst durch un- kulturelle Gepflogenheiten vorschreiben. sere Aufführung von dieser Realität und Mein Engagement für Freiheit und Mensind betroffen von der schonungslosen schenrechte gebe ich den Jugendlichen Darstellung», erzählt Nayra Muñoz, die im weiter. Ich fordere sie auf, andere zu resStück drei verschiedene Rollen spielt: pektieren und diesen Respekt auch für eine Mutter, deren Tochter entführt wur- sich zu verlangen.» de, eine junge Frau, die zur Sexarbeit gezwungen wird, und eine Zuhälterin. Keine Stéphane Cusin ist Fundraiser bei einfache Sache: «Das sind Realitäten, die Solidar Suisse und hat kürzlich die wir uns kaum vorstellen, geschweige Projekte in Bolivien besucht. denn spielen können. Besonders unerträglich sind für mich drei Szenen: Einmal spucken mir zwei Männer – die von FrauLanzArte en gespielt werden – ins Gesicht, einer davon betatscht meine Brüste. Und dann Die Theatergruppe El Animal ist Teil suche ich meine verschwundene Tochter, des Solidar-Projekts LanzArte, das die ganz in der Nähe ist, aber am SchreiJugendlichen die Möglichkeit bietet, en gehindert wird.» Um die Belastung zu mit Theater, Tanz oder Film aus ihrem verarbeiten, die das Spielen solcher Szealltäglichen Leben zu erzählen und ihre nen bedeutet, ist für Nayra Muñoz die Ideen zum Ausdruck zu bringen. Denn gegenseitige Unterstützung im Team von in Bolivien ist es nicht selbstverständEl Animal sehr wichtig. lich, dass Jugendliche öffentlich ihre Trotz aller Herausforderungen würde sie Meinung kundtun. Damit wird die Ausam liebsten Schauspielerin werden. Doch einandersetzung der Jugendlichen mit sie weiss, wie schwierig es ist, vom Theaaktuellen gesellschaftlichen Themen ter zu leben. Ihre Eltern ermutigen sie gefördert. www.solidar.ch/lanzarte zwar, ihre Leidenschaft weiterzuverfolgen, «aber sie finden, ich soll zuerst mein Jus-


KONZERNE MÜSSEN DIE MENSCHENRECHTE EINHALTEN! Immer wieder verletzen Schweizer Konzerne im Ausland Menschrechte und Umweltstandards. Um dies künftig zu verhindern, lanciert Solidar Suisse zusammen mit anderen Organisationen die Konzernverantwortungsinitiative. Sie verpflichtet Unternehmen dazu, ihre Praktiken in Bezug auf Menschenrechte, Arbeitsbedingungen und Umweltschutz zu überprüfen und Risiken zu vermeiden. Unterschreiben Sie die Volksinitiative für verantwortungsvolle Konzerne. Siehe Beilage oder www.solidar.ch/konzernverantwortung


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