Solidarität 3/2013

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Ausgabe August 3/2013

THEMA Kosovo AKTUELL Sambahack f端r faire WM Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Als die Schweiz im Februar 2008 die Unabhängigkeit des wesen – und bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Kosovo anerkannte, wurde dies insbesondere von den politi- Dabei wurde mit Geduld und Fachwissen ein Fundament geschen BefürworterInnen als ein symbolisch bedeutsamer politi- genseitigen Vertrauens aufgebaut, das konkrete Resultate zuscher Akt gewertet. Die Klärung des Kosovostatus sei eine gunsten der kosovarischen Bevölkerung ermöglichte. Diese Chance wird auch weiterhin genutzt. Voraussetzung für die Stabilität und die wirtschaftliche und politische EntwickIn den vergangenen Monaten hat Solidar lung ganz Südosteuropas, hiess es. viel Energie und Engagement in den Ich erinnere mich gut, dass ich damals Aufbau eines innovativen Pilotprojekts bei einem Empfang in der schweizegesteckt, das die Entwicklung im Kosovo rischen Botschaft in Bukarest auf unsere unter Einbezug der zahlenmässig stardamalige Aussenministerin traf, die ken Diaspora in der Schweiz unterstütenorm für diese Anerkennung gekämpft zen sollte. Wir hofften, als Mandatsträger hatte, weil sie mit diesem Schritt der der Deza dieses Projekt weiter beraten eigenständigen Entwicklung des Kosovo und gemeinsam mit allen Beteiligen eine Chance geben wollte. Doch sie war einen konkreten Gewinn für beide Seiten sich auch bewusst, dass ein «symboliEsther Maurer erzielen zu können. Das Mandat wurde scher Akt» bei weitem nicht genügt, Geschäftsleiterin Solidar Suisse von der Deza nun sistiert und ein viel wenn es um die Entwicklung eines Lanversprechender Dialog bereits in der des geht, in dem nicht nur Armut vorherrscht, sondern auch fast jede Infrastruktur durch den Krieg Anfangsphase gestoppt. Diese Chance wurde vertan – leider! zerstört worden ist. Wenn es der Schweiz also ernst sein sollte Doch Solidar ist ja dafür bekannt, nicht so leicht aufzugeben. mit der «Entwicklungschance für den Kosovo», dann hiesse Wir unterstützen die Bevölkerung im Kosovo weiterhin mit dies, auch den Aufbau mit Geld und Know-how zu unterstützen. unserem integrativen Engagement. Weil wir uns verpflichtet haben, unseren Teil dazu beizutragen, dass der Kosovo eine Chancen geben oder erhalten ist das eine – zentral aber ist die Chance erhält – und auch nutzen kann. Frage, ob diese Chancen auch genutzt werden. Solidar Suisse ist seit 1999 im Kosovo aktiv, insbesondere im Bereich des Ich wünsche Ihnen eine bereichernde Lektüre! Sozialdialogs – z.B. in der Milchwirtschaft oder im GesundheitsEsther Maurer

MEDIENSCHAU

24.6.2013 Wirbel um «gehackte» Fifa-Seite Wild tanzte Präsident Sepp Blatter über die Website des Weltfussballverbands. Via #Sambahack verbreitete sich die Nachricht (…) rasend schnell. (…) Hinter der frechen Aktion steckt das Schweizer Hilfswerk Solidar Suisse. Die «Attacke» ist Teil einer Kampagne, die für eine faire WM in Brasilien wirbt. Dafür überreicht die NGO der Fifa heute eine Petition mit über 25 000 Unterschriften. Sepp Blatter hat sie (…) persönlich entgegengenommen.

3.6.2013 Schweiz-China: Kein Freihandel à tout prix (…) Die China-Plattform (ein Zusammenschluss zahlreicher NGO, darunter Solidar Suisse) erinnert daran, dass in China Millionen von Menschen in Zwangsarbeitslagern ausgebeutet werden und unabhängige Gewerkschaften noch immer nicht zugelassen sind. Ohne Arbeits- und Menschenrechte führt Freihandel dazu, dass ausbeuterisch hergestellte Produkte bevorteilt werden.

5.5.2013 Jetzt kommt der faire Grabstein (…) In der Schweiz stammt ein Grossteil der Rohsteine für Grabmale aus Steinbrüchen in China oder Indien. Hilfswerke behaupten, dass dort Kinder und Erwachsene unter teilweise unmenschlichen Bedingungen schuften. Steine aus solcher Produktion will der SP-Nationalrat HansJürg Fehr nun von Schweizer Friedhöfen verbannt wissen. (…) Als Präsident von Solidar Suisse kämpft er seit langem dafür, dass die Behörden ihre Waren und Dienstleistungen generell fair beschaffen.


3 THEMA Kosovo

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Wo steht der Kosovo fünf Jahre nach der enthusiastisch verkündeten 6 Unabhängigkeit? Die Gesundheitsversorgung im Kosovo ist desolat und unbezahlbar: Ein Solidar-Projekt will dies ändern 8 Aufschwung in der Milchbranche dank besserer Qualität STANDPUNKT Die Wirtschaft im Kosovo muss neue Bereiche erschliessen, um Armut und Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen

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THEMA 13

AKTUELL Sambahack: Mit einer von Hunderttausenden unterstützten OnlineAktion fordert Solidar eine faire Fussball-WM 2014 in Brasilien 15

AKTUELL

Die Arbeitsbedingungen der ZuckerrohrschneiderInnen in Bolivien sind hart und gefährlich

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Ende Juni protestierten die Menschen in Brasilien gegen die WM, und Solidar machte auf seine Forderungen für eine faire WM aufmerksam.

KOLUMNE

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PINGPONG

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NETZWERK News aus den SAH-Vereinen

16 STANDPUNKT

EINBLICK Sotkalingam Lankadevi hat sich nach dem Bürgerkrieg in Sri Lanka wieder eine Existenz aufgebaut 18

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Wie sieht es im Kosovo fünf Jahre nach der Ausrufung der Unabhängigkeit aus? Welchen Beitrag leistet Solidar Suisse zur Entwicklung des jungen Landes?

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Im Kosovo muss das Bildungswesen den Bedürfnissen der Wirtschaft angepasst werden.

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EINBLICK Sotkalingam Lankadevi hat viele Schicksalsschläge erlebt. Doch sie gibt nicht auf und ist nach dem Bürgerkrieg in Sri Lanka in ihr Dorf zurückgekehrt.

IMPRESSUM Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Irene Bisang, Interserv SA Lausanne, Milena Hrdina, Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Carol Le Courtois, Sylviane Deriaz Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Landwirtschaftliche Familienbetriebe im Kosovo haben das Potenzial Arbeitsplätze zu schaffen. Foto: Christoph Baumann. Rückseite: Eine Auswahl der fast 300 Botschaften an Sepp Blatter für eine faire WM, die Solidar erreichten.


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Dank sozialem Dialog arbeiten Molkereien und B채uerInnen heute zusammen, um die Milchwirtschaft zu entwicklen.


THEMA

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KOSOVO Wie sieht es im Kosovo heute, f端nf Jahre nach der Ausrufung der Unabh辰ngigkeit, aus? Wie leben die Menschen in einem Land, das in den 1990er Jahren unter der Repression durch das Milosevic-Regime litt und sich 14 Jahre nach dem Krieg um internationale Anerkennung bem端ht? Wir zeichnen das Bild eines Landes, das durch seine grosse Diaspora eng mit der Schweiz verbunden ist und f端r dessen Entwicklung sich Solidar Suisse seit 14 Jahren engagiert. Foto: Brigit Ruprecht


6 STOLZ, UNABHÄNGIG UND FREI? Fünf Jahre nach der enthusiastisch verkündeten Unabhängigkeit des Kosovo macht sich Ernüchterung breit. Für nachhaltige Reformen braucht es eine verstärkte Einbindung der Zivilbevölkerung. Text und Fotos: Cyrill Rogger

«Von heute an ist Kosovo stolz, unabhängig und frei», erklärte Ministerpräsident Hashim Thaci am 17. Februar 2008, nachdem das Parlament des Kosovo neun Jahre nach dem Kosovo-Krieg die Unabhängigkeit ausgerufen hatte. Zehntausende Menschen zogen in Pristina Fahnen schwenkend durch die Strassen, und auch in der Schweiz versammelten sich Kosovarinnen und Kosovaren zu spontanen Kundgebungen der Freude. Grosse Erwartungen Die Reaktion aus Serbien kam prompt. Belgrad werde eine Unabhängigkeit Kosovos niemals anerkennen. Auch Russland verurteilte die Unabhängigkeits-

erklärung als rechtswidrig. Positive Reaktionen wiederum waren meist mit hohen Erwartungen an den neuen demokratischen und multiethnischen Staat verknüpft. So sprach z.B. Bundesrätin Micheline Calmy-Rey von der Verpflichtung für die BürgerInnen des neuen Staats, die Chance zu packen und aus ihrer Heimat ein Vorbild für Europa und die Welt zu machen. Die grössten Erwartungen hatten aber die Kosovo-AlbanerInnen selber. Seit Jahren hatten sie diesen Moment herbeigesehnt. Sie waren überzeugt, dies sei der Startschuss für eine bessere Zukunft. Eine Zukunft, die möglichst bald innerhalb der Europäischen Union statt-

finden sollte. Als wichtigstes politisches Ziel definierte die Regierung in Pristina denn auch die EU-Vollmitgliedschaft, und die EU ihrerseits entsandte im Rahmen der Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX rund 2000 Polizisten, Richterinnen und Zollbeamte, die dem jungen Staat beim Aufbau seiner Behörden helfen sollten. Auf Euphorie folgt Ernüchterung Gut fünf Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung hat sich die Euphorie gelegt, und vielerorts macht sich Ernüchterung breit. Über ein Drittel der Bevölkerung lebt nach wie vor unter der Armutsgrenze, die Arbeitslosigkeit be-


THEMA 7

Die Probleme sind die gleichen geblieben: 2008 forderten DemonstrantInnen Sozialdialog, Rechtstaatlichkeit und existenzsichernde Minimallöhne.

trägt 45 Prozent. Fast die Hälfte der Uno-Mitgliedstaaten hat die Souveränität der Republik Kosovo immer noch nicht anerkannt, darunter EU-Staaten wie Spanien und Griechenland. Mit der Integration in die Europäische Union hinkt Kosovo weit hinter Nachbarstaaten wie Serbien oder Mazedonien hinterher – kosovarische Staatsangehörige benötigen derzeit im Gegensatz zu allen anderen Westbalkan-Staaten ein Visum, wenn sie in den Schengenraum einreisen wollen. Auch das am 19. April diesen Jahres beschlossene Abkommen zwischen Serbien und Kosovo hat im Kosovo keine Begeisterung ausgelöst. Im Gegenteil: Die albanische Bevölkerung steht den Autonomiezugeständnissen an die serbische Minderheit im Nordkosovo skeptisch gegenüber, auch wenn Serbien damit der Eingliederung des umstrittenen Nordkosovos in den Kosovo zustimmt. Abhängigkeit von externer Hilfe Die wirtschaftliche Stabilität Kosovos ist in hohem Masse von internationalen Geldgebern und Überweisungen von MigrantInnen aus der Diaspora (Rimessen) abhängig. Gemäss Schätzungen der CIA tragen sie mit 10 beziehungsweise 14 Prozent fast ein Viertel zum Bruttoinlandprodukt bei. Die Rimessen, zu denen die rund 180 000 Personen zählende Diaspora der Schweiz namhaft beiträgt,

werden allerdings vorwiegend in den Konsum und kaum in den Aufbau lokaler Unternehmen investiert. Umfragen bei KosovarInnen in der Schweiz haben ergeben, dass das schlechte Investitionsklima viele Mitglieder der Diaspora abschreckt. Als grösste Hürden bezeichnen sie die Bürokratie und zu hohe Steuern. Die vielen Wirtschaftsförderungsprogramme, die von internationalen Gebern unterstützt werden, konnten noch keine Direktinvestitionen im grossen Stil anziehen, was zum Teil auch mit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ab Sommer 2007 und insbesondere mit der Eurokrise ab 2009 zusammenhängt.

mieren, doch entscheidende Fortschritte lassen auf sich warten. Auch im Gesundheitswesen bemüht sich die Regierung um – bitter nötige – Reformen. Zwar ist die medizinische Grundversorgung an und für sich kostenlos. Im konkreten Krankheitsfall gibt es jedoch kaum etwas umsonst. Die PatientInnen müssen Medikamente und medizinisches Verbrauchsmaterial oft zuerst selber beschaffen, damit eine Behandlung durchgeführt werden kann (siehe S. 8). Das desolate Gesundheitswesen steht auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung denn auch ganz oben. Und dennoch werden die BürgerInnen nicht informiert, wenn die Regierung etwas unternimmt, um das Problem anzugehen. Von der auf Fehlende Bildung, GesundheitsverAnfang 2013 geplanten Einführung eisorgung und Partizipation Eine weitere Hürde für die wirtschaft- ner obligatorischen Krankenkasse – die liche Entwicklung im Kosovo stellt der dann vertagt wurde – wusste praktisch Mangel an qualifizierten Arbeitskräften niemand etwas. Während die Weltbank dar. Es mag absurd klingen, dass Unter- und andere internationale Geldgeber die Gesundheitsreform massgeblich beeinÜber ein Drittel der Bevölkerung flussen, bleibt die Zivilgesellschaft lebt nach wie vor unter der aussen vor – wie Armutsgrenze. bei vielen anderen Bestrebungen, den nehmen trotz der hohen Arbeitslosigkeit jungen Staat aufzubauen. Mühe haben, geeignete MitarbeiterInnen Damit die Bevölkerung aus ihrer Heimat zu finden. Das Bildungssystem im Koso- ein Vorbild für Europa und die Welt mavo wurde unter der Repression durch die chen kann, muss sie Bescheid wissen Milosevic-Regierung in den 1990er Jah- über die Pläne der Regierung und der inren stark geschwächt, und noch heute ternationalen Geldgeber. Nur so kann sie wird an vielen Schulen im Schichtbetrieb zu tragfähigen Reformen beitragen. Mit unterrichtet. Zwar gibt es Bestrebungen gezielten Projekten unterstützt Solidar der Regierung, das Bildungswesen und Suisse das Engagement der kosovariinsbesondere die Berufsbildung zu refor- schen Zivilgesellschaft.


8 KRANKSEIN IST UNBEZAHLBAR Die Gesundheitsversorgung im Kosovo ist desolat: mangelnde Hygiene, unerschwingliche Behandlungskosten, keine Krankenversicherung. Das SolidarProjekt Kosana will dies ändern. Text und Foto: Christof Hotz

Pristina, Hauptstadt des Kosovo, wo rund 200 000 Menschen leben. Wir befinden uns in einer Stadt in der Stadt. Links und rechts grosse Klinikgebäude, dazwischen ein paar kleinere Bauten. Das Universitätsspital. Auf Gehsteigen und in Hauseingängen warten Menschen. Andere sind in kleinen Gruppen unterwegs, meist mit Zetteln in der Hand. «Viele warten den ganzen Tag, bis sie endlich untersucht werden», erklärt Syzane Baja, Solidar-Koordinatorin im Kosovo. «Vielleicht geschieht dies aber auch erst am nächsten oder übernächsten Tag – je nachdem, wie gute Beziehungen jemand hat…» Keine Hygienevorschriften Der düstere Eingang zum Gebäude der Abteilung für Geburtshilfe wird von grimmigen Sicherheitsleuten bewacht. Wir steigen ein verwahrlostes Treppenhaus

hoch. Oben angekommen begrüsst uns tisch. Aber was sollen wir tun? Wir haben Mynevere Hoxha. Die Ärztin mit nichts anderes!» Das Baby, das darin 30 Jahren Berufserfahrung leitet die Ab- liegt, weiss nichts davon. Es ist bleich, aber es atmet ruhig. teilung für Geburtshilfe. 11 000 Kinder erblicken hier jedes Jahr das Licht der Welt. Viele warten den ganzen Das sind 30 pro Tag. Stolz Tag, bis sie endlich unterzeigt uns Dr. Hoxha die mosucht werden. dernen Brutkästen, die das Leben von Frühgeborenen und kranken Säuglingen retten können. Die Ärztin erzählt uns, dass sie in ihrer Die teuren Geräte wurden gespendet, Abteilung aus eigener Initiative Hygieneunter anderem von einer Stiftung, für die vorschriften erlassen und Abläufe festgelegt hat. Staatliche Vorschriften oder sich die Ärztin ehrenamtlich engagiert. Die Inkubatoren im nächsten Raum ar- gar Kontrollen gibt es nicht. beiten nicht mehr zuverlässig: Bei einem lässt sich die Temperatur nicht genau Behandlungsmaterial selbst einstellen, bei einem anderen ist ein ab- bezahlen gebrochenes Stück des Beatmungs- Zurück auf der Strasse fallen mir die schlauchs mit Klebeband fixiert. «Wir vielen Apotheken auf. Dort müssen die haben es geflickt», sagt die Ärztin, «doch PatientInnen Medikamente, Spritzen und die Stelle ist jetzt hygienisch problema- das Verbandsmaterial für ihre Behand-


THEMA 9 Cartoon der kosovarischen Zeichnerin Luljeta Goranci zu den Missständen im Gesundheitswesen. «Sek. Publik Da Pagesë» = «Öffentlicher Sektor gratis»

unbefriedigend. Das Gesundheitspersonal ist zum Teil schlecht ausgebildet und knapp bezahlt. ÄrztInnen empfehlen ihren PatientInnen, sie nach der öffentlichen Sprechstunde für eine umfassende private Behandlung aufzusuchen – aber die kostet Geld.

lung kaufen, denn dies wird nicht vom Krankenhaus zur Verfügung gestellt. Je nach Krankheit kostet das schnell einmal 600 bis 800 Euro – ungefähr zwei durchschnittliche Monatslöhne. Viel zu viel für die KosovarInnen, die in Armut leben. Sie machen einen Drittel der Bevölkerung aus. Ohne die Hilfe von Angehörigen hier und im Ausland wären diese Kosten kaum finanzierbar. Neben dem Unispital in Pristina gibt es im Kosovo sieben Regionalspitäler, viele Privatpraxen und -kliniken sowie 426 so genannte medizinische Familienzentren. Diese Zentren sind die erste Anlaufstelle für alltägliche Krankheiten. Eine Grundbehandlung ist kostenlos, es gibt aber lange Wartezeiten. Und auch hier gilt: Medikamente und weiteres Behandlungsmaterial muss selbst bezahlt werden. Die Situation ist seit dem Zerfall Jugoslawiens und erst recht seit dem Krieg sehr

Neues Gesundheitsgesetz Um diese Missstände zu beheben, plant das Gesundheitsministerium ein neues Gesundheitsgesetz, das die privaten Tätigkeiten der ÄrztInnen regeln und ein obligatorisches Krankenkassensystem einführen soll. Doch die Aufgabe ist komplex: Wie kann verhindert werden, dass ÄrztInnen sich auf Privatbehandlungen konzentrieren und die kostenlose Grundversorgung vernachlässigen? Heute sind sie auf PrivatpatientInnen angewiesen, da sie lediglich 500 Euro Monatslohn erhalten. Und wie soll ein Krankenkassensystem aussehen? Wie kann die Leistungsvergütung der Spitäler so organisiert werden, dass sie zu einer Qualitätsverbesserung beiträgt? Die Bedürfnisse der PatientInnen berücksichtigen In dieser Situation hat Solidar Suisse sein Programm Kosana lanciert. Wir fragten die KosovarInnen, wo der Schuh drückt und inwieweit sie bereit sind, für

eine Krankenversicherung zu bezahlen. Denn bis anhin waren die Bedürfnisse der PatientInnen in keiner Weise berücksichtigt worden. Die Befragung ergab, dass die Menschen durchaus willens sind, nach ihren finanziellen Möglichkeiten für eine Krankenversicherung zu bezahlen, und dass sie sich vor allem eine Verbesserung der medizinischen Versorgung erhoffen. Die Ergebnisse sollen nun in die Diskussion um das neue Gesetz einfliessen. Zudem unterstützt Kosana zivilgesellschaftliche Organisationen dabei, ihre Bedürfnisse – zum Beispiel Hygienestandards für die medizinische Versorgung – zu formulieren und so laut anzumelden, dass sie an offizieller Stelle gehört und im neuen Gesetz aufgenommen werden. Was motiviert Mynevere Hoxha, bei Kosana mitzumachen? «Es ist die richtige Initiative zur richtigen Zeit. Wir möchten über Gesundheitsfragen reden, damit unsere Kinder eine bessere Zukunft erwarten können!»

Kosana Das Projekt Kosana hat zum Ziel, die Gesundheitsversorgung im Kosovo zu verbessern. Die von der Regierung angestrebte Gesundheitsreform kommt nur schleppend voran und bezieht die Bedürfnisse von PatientInnen und Gesundheitspersonal nicht ein. Die Bedürfnisse der Bevölkerung wurden in einer viel beachteten Studie evaluiert. Patientenorganisationen und Gesundheitsverbände werden beim Lobbying unterstützt, damit ihre Bedürfnisse in die Reform einfliessen. www.solidar.ch/kosovo_projekte


10 THEMA

Donika Nila kontrolliert die Qualität der Milch von Salih Abazis Kühen: Bessere Qualität führt zu einem höheren Absatz kosovarischer Milchprodukte.

AUFSCHWUNG DANK QUALITÄT BäuerInnen und Molkereien ziehen an einem Strick, um das brachliegende Potenzial der Milchwirtschaft im Kosovo zu entwickeln. Text: Christoph Baumann, Fotos: Brigit Ruprecht und Christof Hotz

Salih Abazi schwingt das mächtige Tor zu seinem Bauernhof auf, um uns einzulassen. Dahinter öffnet sich ein weiter Vorplatz. Entlang der Mauer stehen im Unterstand ein Traktor und weitere Geräte. Das grosse Wohnhaus aus Backstein ist unverputzt wie fast alle Gebäude hier. Unser Ziel ist der Milchlagerraum, wo täglich 600 Liter Milch aus dem geschlossenen Melksystem in einen grossen, gekühlten Kessel fliessen. Wir begleiten die Milchkontrolleurin Donika Nila, die – jeweils unangekündigt – die Milchqualität auf den Bauernhöfen überprüft. Diese zu verbessern, ist eine der wichtigsten Massnahmen, um die Milchwirtschaft im Kosovo zu entwickeln, die

vielen Menschen auf dem Land eine Arbeitsmöglichkeit bieten kann. Der Krieg hat alles zerstört Nach dem Krieg im Jahr 1999 lag die Milchwirtschaft des Kosovo am Boden: Im ganzen Land gab es nur noch eine funktionierende Molkerei, und die meisten BäuerInnen mussten bei Null anfangen. Dank humanitärer Hilfe wurden zwar Tausende Kühe in den Kosovo transportiert, zahlreiche kleine Ställe aufgebaut und die Molkereien beim Wiederaufbau unterstützt. Doch dies reichte nicht, um die Milchwirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Denn massive Importe von subventionierten Milchproduk-

ten belasten die kosovarische Milchindustrie, und einheimische Produkte werden häufig auf dem Schwarzmarkt verkauft. Staatliche Unterstützung fehlte bis anhin weitgehend, ebenso qualifizierte Landwirte und Milchtechnologinnen. Und weil die Qualität der Milch schlecht ist, ist es auch der Ruf der lokalen Produktion – die Bevölkerung greift lieber zu ausländischen Produkten. Erfolgsgeschichte Bei Salih Abazi jedoch stimmt die Qualität. Die Milch seiner Kühe wartet, auf die vorgeschriebenen vier Grad gekühlt, darauf, abgeholt zu werden. Abazis Sohn beobachtet, wie Donika Nila die Milch-


KOLUMNE

PAKISTAN 7

probe nimmt, und unterschreibt das Protokoll, während der Bauer – auf Deutsch – erzählt: «Vor dem Krieg war ich zwei Jahre in der Schweiz und drei in Deutschland. Dort habe ich das Bauern gelernt. Als der Krieg vorbei war, baute ich mit meiner Familie diesen Hof auf.» Abazi freut sich über die unabhängige Qualitätskontrolle. Seine Milch entspricht den Anforderungen der Extraklasse – auch

Subventionen fördern Qualität Anfang 2013 erfolgte ein weiterer Durchbruch: Der Vorschlag der Verbände, Subventionen und Direktzahlungen einzuführen, stiess bei der Regierung auf offene Ohren. Subventioniert werden BäuerInnen, die hochwertige Milch produzieren, was einen Anreiz schafft, die Qualität zu verbessern. So wird die kosovarische Milchwirtschaft konkurrenzfähiger gegenüber den hoch subventionierten Milchindustrien anderer europäischer Subventionen schaffen Länder. Auch Salih Abazi einen Anreiz, die Qualität freut sich darüber: «Das zu verbessern. Landwirtschaftsministerium zahlt mir pro Liter sieben die heutige Probe, wie uns Donika Nila Cent zusätzlich. Mit diesem Geld kann ich später mitteilt. Seine Geschichte belegt den Stall vergrössern, so dass die Kühe den Erfolg des Milchdialogs (siehe Kas- mehr Platz haben.» ten): Von Solidar Suisse ins Leben gerufen, wurden dort konkrete Massnahmen Ausbildung für die Praxis beschlossen, um die Rahmenbedingun- Als Nächstes steht die Einführung von praxisorientierten Lehrgängen für Bäuegen der Milchproduktion zu verbessern. rinnen und Milchtechnologen an. Denn bis anhin fehlen AusbildungsmöglichkeiGemeinsame Vision ermöglicht ten im Kosovo. Dank BildungspartnerAufschwung Der Weg dazu allerdings war steinig: Als schaften mit ausländischen Ausbildungssich Solidar 2009 mit den nationalen Ver- zentren soll eine wachsende Zahl von bänden der MilchbäuerInnen und der Mol- MilchbäuerInnen und Arbeitskräften in kereien an einen Tisch setzte, gingen In- Molkereien befähigt werden, sich ein teressen und Ziele weit auseinander. ausreichendes Einkommen zu erwirtTrotzdem schafften es die Organisationen, schaften. eine gemeinsame Vision zu entwickeln. Daraus resultierte eine Strategie, die von beiden AkteurInnen getragen wird – und Dialog als es gelang, die Regierung ins Boot zu holen. Der wichtigste Punkt war die EinfühErfolgsgeschichte rung einer landesweiten, unabhängigen und transparenten Qualitätskontrolle von Der von Solidar Suisse initiierte DiaRohmilch, wie sie nun Donika Nila durchlog zwischen BäuerInnen, Molkereien und Behörden im Kosovo hat dazu führt. Dafür mussten die Milchbetriebe geführt, dass der Milchbauern- und erstmals registriert und der Verkauf der der Molkereiverband in einem dreijähMilch vertraglich geregelt werden, was im rigen Prozess eine breit abgestützte positiven Nebeneffekt den informellen Branchenstrategie entwickelt haben. und unkontrollierten Milchverkauf verrinWichtige Massnahmen der Strategie gerte. Resultat: Die BäuerInnen haben waren die Etablierung einer unabhäneine Absatzgarantie, ihre Milch hat ein gigen Qualitätskontrolle und die EinQualitätssiegel und die kosovarische führung von Direktzahlungen. Milch einen besseren Ruf. Davon profitieren grosse Betriebe wie der von Salih www.solidar.ch/milchdialog Abazi ebenso wie kleinere Höfe.

Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse und SP-Nationalrat

Ein Exempel statuieren In Bangladesh ist eine Kleiderfabrik eingestürzt und hat über tausend Menschen unter sich begraben. Sie krachte zusammen, weil sie schlecht gebaut worden war. Dem Bauherrn waren tiefe Kosten wichtiger als das Leben der Angestellten. Diese Missachtung der fundamentalen Rechte der arbeitenden Menschen ist typisch für Billiglohn-Länder, in denen westliche Multis ihre Massenproduktion angesiedelt haben. Nicht nur lokale Unternehmen und Behörden gehen mit Menschenleben fahrlässig um, sondern auch die TopmanagerInnen der Multis in den USA und in Europa. Sie hätten es in der Hand, mit sehr wenig Geld (15 Rappen pro T-Shirt!) für anständige Löhne und sichere Arbeitsplätze zu sorgen, aber sie tun es nicht von sich aus. Wir müssen sie dazu zwingen. Die Katastrophe in Bangladesh beweist erneut, dass nicht das Wachstum des Bruttoinlandprodukts Massstab sein darf für Entwicklung, sondern die Arbeitsrechte. Darum muss auch das Freihandelsabkommen der Schweiz mit China weiteren Ansprüchen genügen als bloss dem Abbau von Handelshindernissen. Es muss eine Grundlage liefern für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen in China, für den Kampf gegen Zwangsarbeit und für Gewerkschaftsfreiheit. Es gibt ein Regelwerk von völkerrechtlichem Rang, das die Richtung vorgibt – die acht Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation. Wenn das Freihandelsabkommen unter diesem Niveau bleibt, muss es bekämpft werden.


12 PINGPONG KOSOVO-RÄTSEL 1.

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Eine solche wünschen sich die Menschen im Kosovo dringend, damit Kranksein nicht länger unbezahlbar ist. 2. Sie sollte im Kosovo mehr einbezogen werden. 3. Muss in kosovarischen Spitälern manchmal mit Klebeband geflickt werden. 4. So viel Prozent tragen die Überweisungen von MigrantInnen zum Bruttoinlandprodukt des Kosovo bei. 5. Das braucht die Wirtschaft im Kosovo. 6. Muss im Kosovo besser an die Bedürfnisse des Arbeitsmarkts angepasst werden. 7. Ist im Kosovo in einem desolaten Zustand. 8. Wenn ihre Qualität besser wird, trinken die Menschen im Kosovo wieder lieber einheimische. 9. Sie machen im Kosovo 45 Prozent der Bevölkerung aus. 10. Der Kosovo hat sie am 17. Februar 2008 verkündet. 11. Dieser Teil der kosovarischen Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze. 12. Diese müssen Menschen im Kosovo bei einer ärztlichen Behandlung selbst bezahlen. Das Lösungswort verbessert die Situation von BäuerInnen – in der Schweiz wie im Kosovo.

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel». Jede richtige Lösung nimmt an der Verlosung teil.

Preis 1 Dose Bio-Safranfäden aus dem Kosovo Einsendeschluss ist der 23. September 2013. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 4/2013 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 2/2013 lautete «Perspektiven». Die GewinnerInnen sind ausgelost: Evy Merino-Dürr aus Bonstetten, Martine Bartel aus Biel und René Chammartin aus Rossens haben je ein Glas Chutney gewonnen. Wir danken den Mitspielenden für ihre Teilnahme und dem Projekt SalSAH des SAH Zürich für den gestifteten Preis.


STANDPUNKT 13

NEUE STRATEGIEN BRAUCHT DAS LAND Armut und Arbeitslosigkeit im Kosovo können nur mit einer Diversifizierung der Wirtschaft wirksam bekämpft werden. Text: Bashkim Iseni, Geschäftsleiter von Albinfo.ch*

Der Kosovo ist ein junger Staat. Seit fünf Jahren bemüht er sich mehr oder weniger erfolgreich um Stabilisierung und um den Aufbau politischer, administrativer und juristischer Institutionen. Gleichzeitig ist das Land bestrebt, seine innere und äussere Souveränität wahrzunehmen. Extreme Armut und hohe Arbeitslosigkeit In diesen fünf Jahren wurden die Strasseninfrastruktur ausgebaut, ehemalige sozialistische Unternehmen privatisiert und überall neue Gebäude und Einkaufszentren errichtet. Gleichzeitig scheint den EntscheidungsträgerInnen aber eine klare Strategie zu fehlen, um die herrschende Armut und strukturelle Arbeitslosigkeit effizient zu bekämpfen. Offiziellen Angaben zufolge leben 29,7 Prozent der Bevölkerung in Armut und verfügen über nur gerade 1.72 Euro pro Tag. 10,2 Prozent der Menschen im Kosovo müssen ihren Alltag gar unter extremen Armutsbedingungen – mit weniger als einem Euro pro Tag – bewältigen. Rund 45 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung sind arbeitslos. Es drängt sich also die Frage auf, wie Arbeitsplätze geschaffen werden können. Ausländische InvestorInnen strömen nicht in Scharen in den Kosovo. Dass

kaum ausländisches Kapital ins Land werden, denn in den umliegenden Länfliesst, hängt ebenso mit dem nach wie dern und in westlichen Staaten, in denen vor ungewissen Status des Kosovo zu- zahlreiche Exil-KosovarInnen leben, gibt sammen wie mit der geringen Wettbe- es einen grossen potenziellen Absatzwerbsfähigkeit und Attraktivität eines Landes, das unter KorEs braucht Mittel für ruption, undurchschaubarem Marktzugang, Problemen mit alternative Entwicklungsder Energieversorgung und wege. mangelnden Garantien für ausländische InvestorInnen leidet. markt. Bis anhin kommt das Angebot an Potenzial Landwirtschaft und typischen Nahrungsmitteln, für die es Tourismus eine Nachfrage der kosovarischen DiasDie bisherigen Massnahmen zur Ankur- pora gibt, mehrheitlich aus anderen Balbelung der sozio-ökonomischen Entwick- kanländern. Auch die touristischen Möglung müssen korrigiert werden. Parallel lichkeiten sind keineswegs ausgeschöpft, zur aktuellen Förderung von Grossinvesti- da weder der Staat noch die Gemeinden tionen muss die kosovarische Führung Werbung betreiben für die Naturschönneue Strategien verfolgen und Mittel für heiten, die der Kosovo in Hülle und Fülle alternative Entwicklungswege zur Verfü- zu bieten hat. gung stellen, die mittel- oder sogar kurz- Die schweizerische Erfahrung in diesem fristig zu greifbaren Ergebnissen führen Bereich kann die Umsetzung solcher Vikönnen. Konkret muss ein Arbeitsmarkt sionen für die Diversifizierung der Wirtgeschaffen und das Bildungswesen den schaft unterstützen. Die KosovarInnen der tatsächlichen Bedürfnissen der Wirt- Diaspora sollten in diesen Prozess einbeschaft angepasst werden. Ausserdem zogen werden, weil sie massgeblich zum werden die meisten Nahrungsmittel im- Aufbau einer nachhaltigen Entwicklung portiert, obwohl der ländlich geprägte im jungen Staat beitragen können. Staat über eine grosse Zahl landwirt* News- und Informationsplattform der albanischsprachigen schaftlicher Familienbetriebe verfügt. Schweiz, die über Entwicklungen in Kosovo, Albanien und anderen Balkanländern mit albanischsprachiger Minderheit Hier könnten Arbeitsplätze geschaffen sowie in der Schweiz berichtet.


14 NOTIZEN El Salvador: Frauenleben ohne Gewalt

SOLIFONDS – seit 30 Jahren widerständig Der «Solidaritätsfonds für soziale Befreiungskämpfe in der Dritten Welt», kurz SOLIFONDS, wurde 1983 als gemeinsames Projekt vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund SGB, der SP Schweiz, dem damaligen SAH und 13 entwicklungspolitischen Organisationen gegründet. Karl Aeschbach, SGB-Sekretär und SAH-Präsident, fasste die Bedeutung des SOLIFONDS so zusammen: «Der SOLIFONDS nimmt dabei (in der Entwicklungspolitik) eine Sonderstellung ein, weil er unabhängig von öffentlichen Mitteln, allein gestützt auf die Solidarität seiner Spenderinnen und Spender, auch unbequeme und oppositionelle Basisorganisationen in ihrem Kampf unterstützt. Darum braucht es dieses widerständige Beispiel auch in Zukunft.» Genau darin liegt die Komplementarität zur Arbeit von Solidar Suisse mit seinen längerfristigen Projekten in der Entwicklungszusammenarbeit. Bei einem Streik beispielsweise, einer Landbesetzung oder bei Verhaftungen ist es nötig, rasch und unbürokratisch Unterstützung zu leisten. Dies tut der SOLIFONDS seit 30 Jahren. www.solifonds.ch

El Salvador ist das Land mit der höchsten Rate an Frauenmorden: Auf 100 000 EinwohnerInnen kommen zwölf ermordete Frauen pro Jahr, und die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen ist alarmierend hoch. Deshalb hat Solidar Suisse von November 2012 bis Februar 2013 eine Kampagne für ein Leben ohne Gewalt für Frauen durchgeführt, an der sich 57 Organisationen und 19 Gemeinden beteiligten. Es wurden Werbetafeln an Strassen und in Pärken aufgestellt und mit Einwilligung der BewohnerInnen an 3700 Häuser Sprüche

ILO-Konferenz: Würdige Arbeit und Entwicklung An der diesjährigen Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation IAO im Juni hielten die über 2000 Delegierten von Arbeitgebenden, ArbeitnehmerInnen und Regierungen erstmals die Wichtigkeit von würdiger Arbeit für die Entwicklung fest. Sie betonten in einem Positionspapier, dass sozialer Dialog, soziale Sicherheit, Arbeitsrechte und Beschäftigung – die vier Pfeiler der Agenda für würdige Arbeit – unabdingbar sind für eine nachhaltige Entwicklung und im Zentrum jeder

Neue Kommunikationschefin bei Solidar Mit der Petitionsübergabe an die Fifa feierte Eva Geel, die neue Kommunikationschefin von Solidar Suisse, ihren Einstand. Sie hat ihren Posten Ende Mai angetreten und Solidar gleich in voller

gesprayt wie «Ich mache aus meinem Haus einen Raum frei von Gewalt gegen Frauen». Ausserdem wurden Weiterbildungen, Diskussionsveranstaltungen und Demonstrationen durchgeführt.

Politik für nachhaltiges Wachstum stehen müssen. Denn Entwicklung, Arbeit, Prosperität und soziale Gerechtigkeit können nur zusammen umgesetzt werden. Wird eines dieser Elemente ausser Acht gelassen, ist eine Entwicklung, von der alle profitieren, nicht möglich. Mit einer einstimmig verabschiedeten Resolution sandten die Delegierten ein Signal an die IAO-Mitgliedsstaaten, dass der soziale Dialog einen wichtigen Beitrag zur sozialen Kohäsion leistet und sie etwas gegen die Missachtung der Sozialpartnerschaft im Zug der Finanzkrise tun müssen.

Fahrt erlebt: an der Solidarkonferenz mit allen LänderkoordinatorInnen, an der Jahreskonferenz bei der Deza und bei der Aktion im Rahmen der Kampagne für eine faire WM Ende Juni (siehe S. 15). Eva Geel arbeitete viele Jahre als Journalistin bei verschiedenen Tages- und Wochenzeitungen, bevor sie zur Umweltorganisation Greenpeace wechselte, zunächst als Pressesprecherin, später als Leiterin des Bereichs Klima und Energie. Die letzten zwei Jahre war sie für Kommunikation und Kampagnen im Dienstleistungssektor der Gewerkschaft Unia zuständig. Ihren Eindruck der ersten Wochen fasst sie in zwei Worten zusammen: «Ungemein spannend!»


AKTUELL 15 Solidar-Geschäftsleiterin Esther Maurer diskutiert mit Sepp Blatter bei der Übergabe der Petition für eine faire WM 2014 in Brasilien.

SAMBAHACK FÜR FAIRE WM Ende Juni forderte Solidar mit einer Online-Aktion eine faire WM. Sepp Blatter nahm die Solidar-Petition persönlich entgegen. Text: Katja Schurter, Foto: Sabine Rock

Wer am Sonntagabend den Aktionslink (www.fifa-brazil-2014.com) anklickte, staunte nicht schlecht: Auf der offiziellen Fifa-Webseite erschien nach wenigen Sekunden das Spruchband «Wir wollen eine faire WM» und ein Samba tanzender Sepp Blatter hüpfte über den Bildschirm. Die Online-Aktion von Solidar Suisse verbreitete sich rasend schnell, und innerhalb von 24 Stunden nahmen 240 000 Menschen am «Sambahack» teil. Der Aufruhr ist begründet: In Brasilien hat die Fifa per Sondergesetzgebung weitgehende Steuerbefreiung erreicht. Rund um die Stadien hat sie Sperrzonen für sich und Sponsoren wie Coca Cola erzwungen. Bereits heute verlieren Zehntausende StrassenhändlerInnen ihr Einkommen, weil ihnen die Lizenz entzogen wird. Mindestens 200 000 Men-

schen wurden für WM-Bauten aus ihrem Zuhause vertrieben, und auf den Stadionbaustellen in Brasilien herrschen oft prekäre Bedingungen. Fifa reagiert auf öffentlichen Druck Zu der angekündigten Übergabe der Solidar-Petition für eine faire WM hatte die Fifa lange geschwiegen. Doch plötzlich war Sepp Blatter höchstpersönlich bereit, die 28 000 Unterschriften entgegenzunehmen. Offenbar hatte der öffentliche Druck gewirkt: Während in Brasilien über eine Million Menschen gegen Milliardenausgaben für die WM und gegen Korruption protestierten, hatten sich beeindruckend viele dem Online-Protest von Solidar Suisse gegen die Fifa angeschlossen.

Kein Fussball auf Kosten der Ärmsten Auch sonst mobilisierte der Protest gegen die Fifa die Menschen: Knapp 300 Personen hatten uns Botschaften für Sepp Blatter mitgegeben – z.B. «Übernehmen Sie Verantwortung, wo Sie Ihre Millionen verdienen!» oder «Wie viel Blut darf Ihrer Meinung nach am Fussball kleben, bevor die Fifa ihre Politik der Profitmaximierung auf Kosten der Ärmsten ändert?» (siehe auch letzte Seite). In Brasilien brachte der Ex-Fussballstar und jetzige Parlamentarier Romário den Zorn über die Fifa auf den Punkt: «Die Fifa marschiert bei uns ein, wird einen Gewinn von rund vier Milliarden Reais (zwei Milliarden Franken) einstreichen und besteht noch darauf, dass die Regierung für alle eventuellen Schäden bürgt.» Blatter verspricht Dialog für faire WM Bei der von einem Sambatänzer begleiteten Petitionsübergabe am Fifa-Hauptsitz in Zürich versprach Sepp Blatter Solidar-Geschäftsleiterin Esther Maurer, in einen Dialog für eine faire WM einzusteigen. Die Fifa nehme die Proteste ernst und sei bereit, sich bei der brasilianischen Regierung für bessere Arbeitsbedingungen bei den Stadionbauten einzusetzen. Etliche Punkte wie beispielsweise die weitgehende Steuerbefreiung der Fifa in Brasilien blieben allerdings offen. Sepp Blatter hat Solidar Suisse ein Gespräch im Herbst zugesichert, um den Dialog für eine faire Ausgestaltung der WM zu beginnen. «Wir hoffen sehr, dass ein Dialog zustande kommt und wir mithelfen können, dass die WM ein Gewinn für alle wird und nicht nur für einige wenige», meinte Esther Maurer. Wir bleiben am Ball.


16 NETZWERK In dieser Rubrik bieten wir Organisationen aus unseren Netzwerken eine Plattform. In dieser Nummer sind es Neuigkeiten aus den SAH-Regionalvereinen, die in der Schweiz Programme für Erwerbslose und MigrantInnen durchführen. Mit ihnen verbindet Solidar Suisse eine gemeinsame Geschichte und Trägerschaft.

13. Lauf gegen Rassismus in Zürich Am 29. September 2013 findet in der Zürcher Bäckeranlage zum 13. Mal der Lauf gegen Rassismus statt. Notwendiger denn je angesichts einer von Angst,

Flüchtlingstag in Luzern Der Weltflüchtlingstag wurde in Luzern dieses Jahr am 15. Juni auf dem Kapellplatz mit diversen Ständen und Attraktionen begangen. Das SAH Zentralschweiz war mit Informationen präsent. Es beteiligte sich an der Kampagne der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH, die unter dem Motto «Gemeinsam schaffen wir es» aufzeigte, was Wirtschaft und Gesellschaft gewinnt, wenn Flüchtlinge hier nicht nur Schutz, sondern auch Arbeit finden. Denn wer arbeitet, wird anerkannt und gehört dazu. Die Flüchtlinge können sich aus der Abhängigkeit von staatlicher Hilfe lösen und die Wirtschaft profitiert von ihren Kompetenzen und Erfahrungen. www.sah-zs.ch

Abwehr und Fremdenfeindlichkeit geprägten Migrations- und Asyldebatte, angesichts sich jagender Verschärfungen des Asylgesetzes, angesichts von Ausschluss und Rechtlosigkeit von Menschen ohne geregelten Aufenthaltsstatus in der Schweiz. Der Lauf wird vom SAH Zürich, der Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich (SPAZ) und dem Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich organisiert. Der Erlös des Laufs kommt dieses Jahr der Autonomen Schule, der SPAZ und den Alphabetisierungskursen des SAH Zürich zu. Alle können mitlaufen und sich ihre Runden von möglichst vielen Personen sponsern lassen. Infos und Anmeldung bis 20. September: www.laufgegenrassismus.ch

Neue Geschäftsleiterin des SAH Zentralschweiz Ursula Schärli hat Anfang August die Leitung des SAH Zentralschweiz übernommen. Sie ist seit 2002 Leiterin Finanzen und Dienste und seit 2004 stellvertretende Geschäftsleiterin des SAH Zentralschweiz. Als der neue Geschäftsleiter Ruedi Fahrni diesen Frühling sein Amt während der Probezeit niederlegte, übernahm Ursula Schärli die Leitung ad interim. Dann wurde sie aus über 80 BewerberInnen als Geschäftsleiterin ausgewählt. Ihre profunden Kenntnisse des Sozialbereiches und des SAH sowie ihre beruflichen Qualifikationen bilden die besten Voraussetzungen, um bevorstehende Herausforderungen zu bewältigen.

Neue nationale Sekretärin Nach dem Weggang von Yves Ecoeur hat Kim Schweri im April dieses Jahres ad interim die Leitung des nationalen Sekretariats der SAH-Regionalvereine übernommen. Per 1. Juni wurde sie zur nationalen Sekretärin gewählt. Die Schwerpunkte des nationalen Sekretariats sind die Weiterentwicklung des nationalen Netzwerks der SAH-Regionalvereine, Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation sowie Akquise und Betreuung von Projekten nationaler Dimension. «Ich freue mich sehr über die Wahl und den neuen Aufgabenbereich», meint Kim Schweri. «Als wichtig erachte ich die Intensivierung der Beziehung zu unserer Trägerschaft und zu Solidar Suisse.» Bevor Kim Schweri im August 2011 ihre Arbeit als Assistentin des nationalen Sekretärs aufnahm, war sie vorwiegend im sozialen Bereich tätig – von der Kindertagesstätte bis zu Pro Infirmis. Um aktiv bei Gesetzgebungsprozessen mitwirken zu können, nahm sie ein Jusstudium in Angriff. Ausserdem war sie Grossrätin im Kanton Aargau und ist Geschäftsleitungsmitglied der Grünen Aargau. www.sah-schweiz.ch


AKTUELL 17

«MEINE KINDER SOLLEN ES BESSER HABEN» Der 19-jährige Weimar Franco Cardoso arbeitet als Zuckerrohrschneider im bolivianischen Tiefland. Seine Arbeitsbedingungen sind hart. Interview: Joachim Merz, Fotos: Désirée Good und Joachim Merz

Seit wann leben Sie in Bermejo? Ich habe mein ganzes Leben in Bermejo verbracht. Bereits meine Eltern haben hier Zuckerrohr geschnitten, und auch ich habe als Jugendlicher damit begonnen. Sind Sie zur Schule gegangen? Ich habe die Primarschule bis zur dritten Klasse besucht, kann aber nicht lesen und schreiben. Leben Sie nur während der Ernte hier? Nein, ich lebe das ganze Jahr über in Bermejo, zusammen mit meiner Frau Aurora und unserer Tochter Jennifer. Die Zuckerrohrernte dauert von Mai bis November, als einer von wenigen kann ich ausserhalb der Saison auf der Plantage kleinere Arbeiten erledigen, zum Beispiel die Felder von Unkraut reinigen. Wie sieht ihr Arbeitstag aus? Zur Erntezeit arbeite ich 12 bis 13 Stunden täglich. Der Arbeitstag beginnt zwischen drei und vier Uhr morgens, wir laden das am Vortag geschlagene Zuckerrohr auf Lastwagen. Um sechs gibt es eine halbstündige Frühstückspause. Anschliessend schneiden wir bis etwa

10 Uhr Zuckerrohr und laden es bis zum Mittag auf Lastwagen. Die Mittagspause von 12 bis 15 Uhr verbringe ich zuhause. Dann geht es wieder aufs Feld, wo wir bis um 19 Uhr Zuckerrohr schneiden. Während der Erntesaison arbeiten wir sieben Tage die Woche, ohne Ruhetag. Wie viel verdienen Sie pro Tag? Ich schneide täglich etwa drei Tonnen Zuckerrohr, mit der Unterstützung meiner Frau und meines Bruders. Der Plantagenbesitzer bezahlt 53 Bolivianos (etwa sieben Franken) pro Tonne geschnittenes Zuckerrohr. Alle zwei Wochen erhalte ich einen Teillohn von 400 bis 600 Bolivianos (etwa 50 bis 80 Franken), den Rest gibt es zu Saisonende im November. Wer lebt alles vom Tageslohn von rund 160 Bolivianos? Mein Bruder, meine Familie und ich. So gut ich kann, unterstütze ich auch meine Eltern und zwei weitere Geschwister. Während der Saison reicht der Lohn, und ich kann etwas sparen. Davon müssen wir aber ausserhalb der Saison zehren, dann habe nur ich einen Verdienst von 70 Bolivianos (neun Franken) pro Tag. Haben Sie eine Krankenversicherung? Es gibt eine öffentliche Krankenversicherung, aber die deckt längst nicht alle Ausgaben. Vieles muss selbst bezahlt werden.

Gefällt Ihnen die Arbeit? Das Ernten des Zucherrohrs ist eine sehr harte und körperlich anstrengende Arbeit, denn wir schneiden es mehrheitlich von Hand. Und sie ist gefährlich: Einmal bin ich beim Beladen des Lastwagens mitsamt dem Zuckerrohr von der Leiter gefallen und habe mich an der Hüfte verletzt. Ein Bündel Zuckerrohr wiegt zwischen 65 und 70 Kilo. Ausserdem gibt es in den Feldern giftige Schlangen. Ich möchte nicht, dass meine Kinder später ZuckerrohrarbeiterInnen werden. Sie sollen es besser haben.

Bessere Löhne, Bildung und Gesundheit Solidar Suisse unterstützt die Gewerkschaft der ZuckerrohrarbeiterInnen. Diese engagiert sich für höhere Löhne und besseren Zugang zu Gesundheit und Bildung für die ArbeiterInnen und ihre Familien, die meist saisonal arbeiten und in Massenunterkünften leben. Ihre Radiosendung «La voz del zafrero» klärt die ZuckerarbeiterInnen über ihre Rechte auf. www.solidar.ch/bolivien_ arbeitsrechte


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«ALLES LAG IN TRÜMMERN» Sotkalingam Lankadevi ist nach dem Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka in ihr zerstörtes Dorf zurückgekehrt. Trotz einiger Schicksalsschläge hat sie sich wieder eine Existenz aufgebaut. Text: Katja Schurter, Fotos: Malith Jayakody


Dank Gemüseanbau kann Sotkalingam Lankadevi ihren Lebensunterhalt und das Studium ihrer Tochter finanzieren.

«Es war ein Schock, nach Arasarkerny zurückzukehren. Strassen, Gebäude, Gärten und Felder – alles lag in Trümmern und war überwuchert. Mein kleines Haus war zerstört, und von 60 Kokosnusspalmen lagen 40 auf dem Boden.» Wie viele andere war Sotkalingam Lankadevi vor zwei Jahren, als sie nach dem Ende des Bürgerkriegs in ihr Dorf im Norden Sri Lankas zurückkehrte, mit Zerstörung konfrontiert. Von dort war sie bereits 2006 vertrieben worden. Mehrfache Vertreibung Es war nicht der erste Schicksalsschlag, den Sotkalingam Lankadevi erlebte. 1994 musste ihr Ehemann mit einer Darmkolik notfallmässig ins Spital eingeliefert werden. Trotz des Bürgerkriegs

EINBLICK 19 schafften sie es, nach Jaffna durchzukommen, damit er operiert werden konnte. Doch drei Tage später starb er und liess Sotkalingam Lankadevi alleine mit ihrer vier Jahre alten Tochter zurück. «Die Zukunft wurde schwarz», erinnert sie sich. «Plötzlich lag die ganze Verantwortung für meine Tochter auf mir, die keinerlei Arbeitserfahrung hatte.» Doch sie schlug sich durch: Sie begann, aus den Blättern ihrer 60 Kokosnussbäume Matten zu flechten und zu verkaufen. Als dies nicht für den Lebensunterhalt reichte, pflanzte sie Reis an auf dem Land, das sie von ihren Eltern erhalten hatte. «Ich dachte, nun könne ich meine Tochter ohne finanzielle Sorgen aufwachsen sehen», erzählt Sotkalingam Lankadevi. Doch der Krieg zerstörte diese Hoffnung. Sie musste ihr Lager an geflochtenen Kokosmatten zurücklassen und nach Murasumoddani fliehen. Dort investierte sie ihr ganzes Erspartes in den Reisanbau. Aber der Krieg erreichte auch Murasumoddani: «Wegen der anhaltenden Bombenangriffe mussten wir in einem Bunker Zuflucht suchen. Wir überlebten mit Trockenmahlzeiten, die den vertriebenen Familien verteilt wurden. Es war schrecklich. 2009 gingen wir ins Flüchtlingslager in Menik Farm. Dort traf ich unvorstellbare menschliche Tragödien an.» Wiederaufbau der Existenz Nach zwei Jahren in Menik Farm kehrten Sotkalingam Lankadevi und ihre Tochter in ihr zerstörtes Heimatdorf zurück: «Ich konnte nicht einmal zu meinem Haus gelangen, da ich kein Geld hatte, um die Zugangsstrasse zu räumen.» So war sie froh, sich am «Cash for work»-Projekt von Solidar beteiligen zu können, bei dem DorfbewohnerInnen für die Reparatur von öffentlichen Gebäuden, Strassen und Brunnen fünf Franken pro Tag erhielten. «Ich flocht wieder Kokosmatten, doch mit nur 20 Palmen konnte ich viel weniger produzieren als früher, und auch die Nachfrage war nicht mehr dieselbe. Es reichte nicht zum Überleben.» Sie erhielt von Solidar einen Unterstützungsbeitrag, um sich eine Existenz-

grundlage aufzubauen. «An den Kurs zur Erstellung eines Businessplans ging ich mit der Absicht, meine Kokosmattenproduktion zu intensivieren. Doch die Informationen zu Produkten, für die es eine Nachfrage gibt, brachte mich auf andere Ideen», erzählt sie. Verkaufsschlager Chili Sotkalingam Lankadevi begann Gemüse anzupflanzen. Mit einem ersten Beitrag von 20 000 Rupies (145 Franken) konnte sie Saatgut, Biodünger und eine Wasserleitung kaufen. «Mit dem Verkauf von grünem Chili, Kürbis, Erdnüssen und Bohnen nahm ich 3000 Rupies (22 Franken) pro Woche ein», erzählt sie. «Mit der zweiten Zahlung konnte ich eine Occasion-Wasserpumpe kaufen, um meine Gemüsekultur zu expandieren. Da Chili so gefragt ist, werde ich meine Pflanzen von 600 auf 1000 aufstocken.» Doch manchmal verfolgen sie ihre schrecklichen Erfahrungen, weshalb sie an einem Unterstützungsangebot von Solidar teilnimmt: «Die Gruppendiskussionen für Frauen, die ihre Familie alleine durchbringen, haben mir geholfen, den Verlust meines Ehemannes und die Erlebnisse während des Krieges zu akzeptieren. Hier sehe ich, dass ich nicht die Einzige bin – die anderen haben sogar noch Schlimmeres erlebt als ich. Wir sind stark miteinander verbunden, während der Regensaison halfen mir Frauen der Gruppe bei der Reisernte.» Besonders wichtig ist für Sotkalingam Lankadevi, dass sie ihrer Tochter ein Universitätsstudium finanzieren kann: «Ich bin durch viele Entbehrungen gegangen, damit sie eine bessere Zukunft hat.»

Ihre Spende wirkt Mit Ihrem Beitrag von 50 Franken kann eine Familie mit Saatgut für eine Saison versorgt werden. Ihre Spende von 130 Franken ermöglicht die Anschaffung einer gebrauchten Wasserpumpe, um das Feld zu bewässern.


«PLEASE PLAY FAIR!»

«DIE FIFA SOLL IHREN PROFIT VERSTEUERN, DAMIT NEBEN FUSSBALLSTADIEN AUCH SPITÄLER UND SCHULEN IN BRASILIEN GEBAUT WERDEN KÖNNEN!»

«ALS FIFA-BOSS HABEN SIE MACHT UND EINFLUSS. WARUM SCHAFFT ES IHRE ORGANISATION NICHT, RUND UM DIE WM IN BRASILIEN BESSERE VERHÄLTNISSE ZU SCHAFFEN? ODER WOLLEN SIE DAS GAR NICHT? DA KANN ICH NUR SAGEN: TSCHAU SEPP!»

«WARUM SCHWEIGEN SIE ZU DEN BLUTIGEN AUSEINANDERSETZUNGEN IN BRASILIEN? ÜBERNEHMEN SIE VERANTWORTUNG!»

«WIR DANKEN DER FIFA DAFÜR, DASS SIE DIE OPFER DER VERTREIBUNGEN FÜR DEN STADIONBAU IN BRASILIEN SELBSTVERSTÄNDLICH ENTSCHÄDIGT!»

FAIRE WM Fast 300 Menschen haben uns eine Botschaft an Sepp Blatter geschickt, um die Forderung nach einer fairen WM 2014 in Brasilien zu unterstützen. Herzlichen Dank fürs Mitmachen! Wir bleiben dran.


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