Solidarität 3 2014

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Ausgabe August 3/2014

thema Globalisierte Arbeit BRASILIEN Stimmen zur WM

Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, Machen wir es uns nicht zu einfach: Globalisierung mag für einige noch immer ein Schimpfwort sein oder der moderne Beelzebub, der die Gesamtschuld trägt für alles, was in unserer Welt falsch läuft. Aber selbst jene, die dieser Ansicht sind, profitieren von unseren internationalen Flughäfen und vielseitigen Facetten des Tourismus, von Konsummöglichkeiten und billigen Importprodukten, vom günstigen und praktisch allzeit bereiten Zugang zu Information und der entsprechenden Kommunikationstechnologie. Das alles ist auch Teil der Globalisierung – und wir in der Schweiz stehen mehrheitlich auf der Gewinnerseite.

chen Mass. Und auch wenn immer mehr Firmen sich zu Nachhaltiger Entwicklung und Corporate Social Responsibility bekennen – nicht nur aus Marketinggründen, sondern auch aus Einsicht und echter Werteorientierung –, so gibt es weltweit immer noch ein Heer von natürlichen und juristischen Personen, die skrupellos und aus reiner Habgier andere Menschen demütigen und unter erbärmlichen Bedingungen ausbeuten. Solidar Suisse setzt sich für die Stärkung der Zivilgesellschaft ein, für demokratische Strukturen, die zu Stabilität führen und die Rechte der Menschen schützen und stützen.

Während die Globalisierung gut AusgeEsther Maurer Mit Ihrer Unterstützung kämpfen wir für bildeten neue Chancen bietet, geht ein Geschäftsleiterin Solidar Suisse faire Arbeit zur Existenzsicherung, damit Grossteil unserer unqualifizierten Arbeitsstellen verloren, weil die Produktidie Globalisierung auch für die Menschen onsstandorte vieler Grossunternehmen in Billiglohnländer ver- in unseren Schwerpunktländern nicht das Ende bedeutet, sonlagert werden. Güter, Arbeitskraft und Kapital sind mobil. dern die Chance für einen Neuanfang. Respekt vor Mensch und Umwelt sind es allzu oft nicht im glei- Esther Maurer

Medienschau

srf 1 21.6.2014 Parlament diskutiert Geldsegen Wädenswil (…) Nebst der Abnahme der Rechnung und des Geschäftsberichts des Stadtrats für 2013 ist die SP-Interpellation betreffend soziale Beschaffung und Gemeinde-Ranking von Solidar Suisse traktandiert. Der Stadtrat hat in der Interpellationsantwort festgehalten, dass er den Regeln der sozialen Beschaffung mehr Nachachtung verschaffen wolle. Soziale Beschaffung bedeutet, bei der Vergabe von Aufträgen wie Materialkauf darauf zu achten, dass Arbeiterrechte wie keine Zwangs- oder Kinder­ arbeit eingehalten werden. Die SP teilt mit, sie freue sich, dass der Stadtrat endlich Richtlinien aufstellen wolle. Es bleibe zu hoffen, dass den Worten Taten folgten.

12.6.2014 Gross, reich und gefährlich (…) Solidar Suisse streut einen Videoclip, in dem rüde Fussball-Fouls festgehalten sind. Am Ende ist in einer computeranimierten Einspielung Joseph Blatter zu sehen, der einem brasilianischen Strassenhändler mit gestrecktem Bein in die Füsse fährt. Es lässt sich immer darüber streiten, wie rigid (Verkaufs-)Regeln sein müssen. Aber gleichzeitig ist selbstredend, dass Werbepartner, die Millionen hinblättern, auf Exklusivrechte pochen. Ein Clip um vertriebene Strassenhändler ist ein kleines Beispiel für den Imageschaden, den sich die Fifa in ihrem durchschlagenden Erfolg eingehandelt hat. Da mag der Stern des Fussballs sonst noch so hell strahlen.

10.6.2014 Brasilien tanzt und taumelt «Für einen Moment ist alles schön und gut. Wenn alles vorbei ist, bleibt jedoch die Misere zurück.» Mit dieser Haltung diskutiert Ratinho in der SRF-Gesprächssendung «Club» mit weiteren Kennern Brasiliens. Zum Beispiel mit Esther Maurer, dezidierte Fifa-Kritikerin und Geschäftsleiterin von Solidar Suisse. Für sie ist die Kritik der Welt nichts Neues. «Im Vorfeld aller Sport-Mega-Events werden Schwachpunkte offen gelegt», sagt die ehemalige Zürcher SP-Stadträtin. «Gehen die Spiele erst los, ist die Kritik wieder vergessen.» Maurer fordert darum für die Vergabe solcher Events einen Nachhaltigkeits-Nachweis.


3 THEMA Arbeitsbedingungen in der globalisierten Wirtschaft

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Die Auslagerung der Produktion führt zu billigen Produkten im Norden und schlechten Arbeits­ bedingungen im Süden

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Wer sich in den Freihandelszonen El Salvadors für bessere Arbeits­ bedingungen einsetzt, riskiert die Kündigung

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China: Viele ArbeiterInnen erleiden Benzolvergiftungen. Eine Entschädigung erhalten sie nicht 10

THEMA

Niedrige Löhne, überlange Arbeitszeiten, fehlender Gesundheitsschutz: Die Menschen in Entwicklungsländern zahlen den Preis für unsere billigen Produkte.

STANDPUNKT Eddie Cottle von der internationalen Baugewerkschaft BHI zur Rolle chinesischer Baufirmen in Afrika 13 aktuell Wie ein fussballbegeisterter Brasilianer die WM erlebte 14 Mobilisierende Solidar-Kampagne gegen Fifa-Fouls

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standpunkt

Chinesische Investitionen in Afrika tragen zum wirtschaft­ lichen Aufschwung und zur Ausbeutung von ArbeiterInnen bei.

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Kolumne 11 pingpong 16 EINBLICK

notizen 12+17

EINBLICK Burkina Faso: Germaine Ouedraogo öffnet BäuerInnen den Zugang zum öffentlichen Leben 18

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Indem Germaine Ouedraogo Erwachsenen in Burkina Faso Französisch beibringt, erweitert sie ihre Handlungsmöglichkeiten.

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aktuell

Wie sich Solidar mit einer Kampagne gegen die Fouls der Fifa an der WM in Brasilien engagierte und ein fussballbegeisterter Brasilianer sein Land nicht wiedererkennt.

IMPRESSUM Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Rosanna Clarelli, Eva Geel, Alexandre Mariéthoz, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Carol Le Courtois, Interserv SA Lausanne, Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Milena Hrdina Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 50.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umweltfreundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Arbeiterin in einer Tabakfabrik in Moçambique. Foto: Jürg Gasser. Rückseite: Die Petition für ein Benzol-Verbot in China unterschreiben! Foto: Ming Pao.


4 Ohne Schutz giftigen Dämpfen ausgesetzt: Alltag für die ArbeiterInnen in kleinen Werkstätten in Pakistan.

Globalisierte Arbeit Rasant haben die Industriestaaten ihre Produktion in Entwicklungsländer ausgelagert. Dort zahlen die Menschen häufig einen hohen Preis dafür: Sie arbeiten in den Fabriken von internationalen Konzernen zu geringen Löhnen bei überlangen Arbeitszeiten und ohne Gesundheitsschutz. Und in den Zulieferbetrieben sind ArbeiterInnen zunehmend informell beschäftigt – ohne Vertrag und soziale Absicherung. Wie die Situation von ArbeiterInnen in El Salvador, China und verschiedenen afrikanischen Ländern konkret aussieht, erfahren Sie auf den nächsten Seiten. Foto: Usman Ghani


THEMA

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6 Faire Arbeit statt globalisierte Ausbeutung Immer mehr Unternehmen lagern ihre Produktion in Billiglohnländer aus. Der Norden profitiert von den billigen Produkten. Die Beschäftigten im Süden bezahlen sie mit schlechten Arbeitsbedingungen. Text: Felix Gnehm, Fotos: Jürg Gasser, Désirée Good, Usman Ghani

1980 wurde ich sieben Jahre alt. Zum Geburtstag wünschte ich mir einen Dress meines geliebten Fussballclubs Young Boys. Er wurde wahrscheinlich noch in Europa produziert. Damals lebte die Hälfte aller IndustriearbeiterInnen weltweit in Europa, Nordamerika und Japan. Mittlerweile ist unser sechsjähriger Sohn im Fussballfieber und wünschte sich vor der WM ein Fussballdress der deutschen Nationalmannschaft. Den Wunsch erfüllten wir ihm gerne. Sein Geschenk wurde natürlich im globalen Süden hergestellt, konkret in Indonesien. Ich fragte die Verkäuferin, ob sie auch Produkte mit Biooder Fairtrade-Label im Sortiment habe, und ob Kinderarbeit ausgeschlossen werden könne. Ich erntete einen erstaunten, fragenden Blick. Schliesslich sieht ein in einem ausbeuterischen «Sweat Shop» hergestelltes T-Shirt genau gleich aus wie eines aus vorbildlicher Fairtrade-

Produktion. Also rasch bezahlen und raus aus dem Laden. Ausgelagerte Produktion – prekäre Arbeitsbedingungen Was ist in diesen drei Jahrzehnten passiert? Die industrielle Produktion aus den wohlhabenden Industrienationen wurde in Entwicklungsländer ausgelagert. Tempo und Ausmass dieser Verlagerung waren enorm. Heute arbeiten in diesen Niedriglohnländern 80 Prozent aller IndustriearbeiterInnen. Stellvertretend für die damit einhergehenden prekären Arbeitsbedingungen steht die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesh. Im Frühjahr 2013 kollabierte das marode Gebäude und begrub Tausende von NäherInnen unter seinen Trümmern. Das von Menschen verschuldete Unglück machte auch hierzu­ lande Schlagzeilen. Immer mehr KonsumentInnen dämmert es, dass

billige Produkte, tiefe Löhne und miserable Arbeitsbedingungen untrennbar zusammenhängen. Wo es für Erwerbstätige am schlimmsten ist Die Problempalette ist breit: fehlende Arbeitsrechte, mangelnde Versammlungsfreiheit, gefährliche, gesundheits­­­schä­di­ gende oder gar tödliche Arbeitsbedingungen, Kinderarbeit, sexuelle Belästigung und vieles mehr. Der Internatio­nale Gewerkschaftsbund (IGB) hat kürzlich in seinem globalen Rechtsindex, der die Situation von Arbeitenden weltweit analysiert, auf die Kehrseite der Glo­ ba­ lisierung hingewiesen. Die Bilanz ist eindrücklich: In 35 Ländern wurden letztes Jahr Beschäftigte verhaftet oder inhaftiert, um gegen ihre Forderungen nach demokratischen Rechten, menschen­ würdigen Löhnen, Arbeitsschutz und


THEMA 7 Ob in Moçambique, Bolivien oder Pakistan: Die Arbeits­bedingungen in der globalisierten Produktion sind prekär.

Arbeitsplatzsicherheit vorzugehen. In neun Staa­ ten war die Ermordung und Verschleppung von Beschäftigten eine übliche Strategie, um die Arbeitnehmerschaft einzuschüchtern. In 53 Ländern wurden Beschäftigte entweder entlassen oder von der Arbeit suspendiert, weil sie über bessere Arbeitsbedingungen verhandeln wollten. Und in 87 Ländern schliessen die Gesetze und Praktiken bestimmte Gruppen von Beschäftigten von der Wahrnehmung des Streikrechtes aus. Gleichzeitig ist die Macht der Unter­ nehmen grösser denn je. Der Umsatz von Firmen wie IBM, Sony oder General Motors ist grösser als die Wirtschafts­

veröffentlichen Doing-Business-Bericht über «Investitionsparadiese» wie Malaysia, die Philippinen oder Kambodscha.

Einsatz für faire Arbeit Solidar Suisse setzt sich für faire und menschenwürdige Arbeit ein, denn sie ist der Königsweg aus Armut und Ausbeutung. Wir stützen uns dabei auf die Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO): «Faire Arbeit ist produktive Arbeit von Frauen und Männern unter Bedingungen, bei denen Freiheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und die menschliche Würde gewahrt sind. Faire Arbeit garantiert ein gerechtes Einkommen, Sicherheit am Arbeitsplatz und die soziale Ab­sicherung der Be­schäftigten und Immer mehr KonsumentInnen ihrer Familie.» dämmert es, dass billige Produkte Um dieses Ziel zu erreichen, arbeitet und miserable ArbeitsbedingunSolidar weltweit mit gen zusammenhängen. engagierten Partnerorganisationen leistung mittelgrosser Länder. Dadurch zusammen: sozialen Bewegungen, Gesind sie in der Lage, die Rahmenbe­ werkschaften, Kooperativen, lokalen dingungen zu ihren Gunsten zu beein- Nichtregierungsorganisationen (NGOs), flussen. Ohne staatliche Bestimmungen aber auch Arbeitgebern und deren Ver­ zum Schutz der ArbeiterInnen kommt es bänden. Dass es anders geht, zeigen übzu krassen Verletzungen von Arbeits- rigens auch verschiedene Schweizer Firrechten, wie der IGB-Rechtsindex ein- men wie Switcher, Remei AG, Hess Natur drücklich zeigt. Und seine Aussagen ste- oder workfashion.com, die höchste hen in scharfem Kontrast zum Lobgesang Standards anstreben. Auch Multi-Stakeder Weltbank in ihrem ebenfalls kürzlich holder-Initiativen sind ein möglicher Weg.

Dabei arbeiten Gewerkschaften, NGOs und lokale Organisationen zusammen, um Verhaltenskodexe und Massnahmen­ pläne zur Verbesserung von Arbeits­ bedingungen festzulegen. Über Minimalstandards hinaus Als Vertreterin der Zivilgesellschaft fordert Solidar Suisse nicht nur die Einhaltung von minimalen Standards, sondern eine Wirtschaft, die Menschenrechte respektiert und der Umwelt Sorge trägt. Hier steht auch die öffentliche Hand in der Verantwortung, ihr Beschaffungs­ wesen fair zu gestalten. Dafür setzen wir uns seit Jahren mit Kampagnen ein. In Multi-Stakeholder-Initiativen sind es stets die NGOs, die die Latte am höchsten setzen. Visionäre CEOs haben jedoch erkannt, dass es diesen nicht darum geht, Unternehmen schlecht zu machen, sondern um geteilte Verantwortung und Zukunftsvisionen. Inspirieren können sich NGOs und Firmen dabei durchaus gegenseitig. Meine persönliche Vision ist, eines Tages in jedem Laden Fussbälle, WM-Leibchen oder Fussballschuhe kaufen zu können, die von zufriedenen ArbeiterInnen produziert wurden: mit existenzsichernden Löhnen, an sicheren Arbeitsplätzen, zu anständigen Arbeitszeiten – und ohne Umweltschäden.


8 thema

«Ihr müsst produzieren, produzieren!» In den Freihandelszonen von El Salvador arbeiten vor allem Frauen unter prekären Arbeitsbedingungen für multinationale Konzerne. GewerkschafterInnen droht die Kündigung. Text und Fotos: Raquel Cañas, Cartoon: Alecus Das multinationale Unternehmen AVX / Kyocera produziert in der Freihandels­ zone von San Bartolo elektronische Komponenten. Der Konzern mit Sitz in den USA fertigt die Teile für bekannte Marken wie Motorola, Nokia oder Robert Bosch, die auch in der Schweiz zu kaufen sind. Die 44-jährige Carolina Sagastume ist für die Kontrolle der elektronischen Leitfähigkeit von Kondensatoren zuständig. «Ich arbeite mehr als acht Stunden pro Tag, unterbrochen lediglich von einer halbstündigen Pause. Bei einer 44-Stundenwoche erhalte ich 250 Dollar im Monat, für Überstunden bezahlen sie einen Dollar.» Carolina Sagastume arbeitet seit 23 Jahren für das Unternehmen, das sich 1977 in El Salvador niedergelassen hat und seither enorm gewachsen ist: «Als ich begonnen habe, bestand die Maquila* aus einem Gebäude, heute sind es sieben», erzählt sie. «Doch die Angestellten spürten nichts von diesem ökonomischen Erfolg.» Auch Leonor Delgado arbeitet bereits 19 Jahre zu einem Lohn von 250 Dollar für AVX / Kyocera, davon gehen täglich 1.50 Dollar für Transport und Mittagessen drauf. «Es spielt keine Rolle, wie lange jemand bereits für die Firma arbeitet», kritisiert sie. «Wer seit einem Monat hier arbeitet, er-

hält gleich viel Lohn wie Angestellte mit 30 Jahren Arbeitserfahrung.» Leonor Delgado gehört zu der Gruppe von Frauen, die 2007 die Gewerkschaft SITRAVX (Syndicato de las trabajadoras de AVX) gründete, um diesen und andere Missstände zu bekämpfen. «Doch sie sagten uns nur ‚Ihr müsst produzieren, ihr müsst produzieren!‘»

Aufsichtspersonal werden sie streng bewacht. Niemand geht ein und aus, ohne sich zu identifizieren und von einer der ansässigen Firmen dazu autorisiert zu sein. So sind die Arbeitsbedingungen nur aus den Erzählungen der Angestellten bekannt, die Einhaltung der Arbeitsrechte überprüft keine Behörde. Die Maquilas stellen mit 81  000 Beschäftigten, meist unqualifizierten Arbeitskräften, einen wichtigen ökonomischen Faktor dar und sind für viele

Gewerkschaft verboten 2011 hob das Arbeitsministerium die Zulassung von SITRAVX auf, was grossen Widerstand auslöste. Ende Jahr widerrief es seine Entscheidung, wogegen wiederum «Die Rohre sind verätzt AVX Rekurs einlegte und 2013 eine gerichtliche An– wie es wohl in unseren ordnung zur Auflösung von Körpern aussieht?» SITRAVX erwirkte – mit der Begründung, die Gewerkschaft habe nicht die erforderliche An- Frauen die einzige Möglichkeit einer forzahl Mitglieder. Dass der zuständige mellen Anstellung. Mit dem Abschluss Richter der Vater des Anwalts von AVX diverser Freihandelsabkommen seit Beist, legt nahe, dass es sich dabei um ein ginn des neuen Millenniums hat sich die Gefälligkeitsurteil handelte. Ein harter Exportproduktion – vor allem von Texti­ Schlag für die 2000 mehrheitlich weibli- lien – vervielfacht. Inzwischen machen chen Angestellten. Gewerkschaftliche Textilien 44 Prozent der salvadorianiOrganisierung ist in den Freihandels­ schen Exporte aus. zonen El Salvadors generell nicht gern Melvin López arbeitet seit neun Jahren gesehen. Mit Kameras und bewaffnetem für AVX und engagiert sich in der Ge-


THEMA 9 Marielos de Léon (links) und Melvin López engagieren sich für bessere Arbeitsbedingungen. Obwohl sie deswegen entlassen wurde, kämpft Marielos de Léon weiter.

werkschaft, um die Arbeitsbedingungen in der Fabrik zu verbessern. Als wichtige Forderung erwähnt der 30-Jährige Lohnerhöhungen, da der Lohn nicht reiche, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen – dafür wären laut einer Studie etwa 580 Dollar notwendig. Ausserdem brauche es eine Kinder­krippe. Den Grund für die schlechten Arbeitsbedingungen sieht er in den permanenten Spar­ bemühungen der AVX: «Da stets die Kosten reduziert werden sollen, muss möglichst wenig Personal möglichst viel produzieren. Ich bin im Härtungsprozess der Kondensatoren tätig, der in Öfen geschieht. Es ist heiss, doch um den Platz möglichst optimal auszunutzen, werden wir auf kleinstem Raum zusammengepfercht. Die Klima­ anlage reicht für die Kühlung nicht aus, vor allem gegen Abend wird es unerträglich heiss, denn auch die Motoren der Maschinen produzieren Hitze.» Schikanen und fehlender Schutz Da das Aufsichtspersonal einen Bonus erhält, wenn es Kosten reduziert und für die Erfüllung des Produktionssolls sorgt, treibt es die ArbeiterInnen bis zum Äussersten an: «Die Gewerkschaft hat wenigstens erreicht, dass sie uns nicht

mehr beschimpfen. Aber wenn wir nicht tun, was sie wollen, können sie dafür sorgen, dass wir unsere Arbeitsstelle verlieren», erzählt Melvin López. So wurde zum Beispiel Marielos de Léon nach 15 Jahren Anstellung wegen der Gründung der Gewerkschaft SITRAVX 2007 gekündigt. «Wir haben uns organisiert, weil der Gesundheitsschutz bei AVX fehlt», erzählt sie. «Wir haben ArbeitskollegInnen an Krebs sterben sehen, denn wir sind diversen Chemika­ lien ausgesetzt, die für das Waschen der elektronischen Komponenten benutzt werden. Doch diese Arbeitskrankheiten wurden nicht als solche anerkannt. In der Firma weisen viele Rohre und Geräte Ver­ätzungsspuren auf – und wir fragen uns, wie es wohl in unseren Körpern aussieht. Wir wollen angemessene Schutzmassnahmen wie Handschuhe oder Mund- und Gehörschutz zur Verfügung gestellt bekommen.» Sie kritisiert, dass das Unternehmen nur in die Infrastruktur, jedoch nicht in die Sicherheit oder die Löhne der ArbeiterInnen investiert. «Dabei geht es der Firma gut. Sie hat einen grossen und rentablen Markt, ist solvent und rund um die Welt aktiv», empört sich Marielos de Léon, die keineswegs bereit ist aufzugeben: «Wir haben die Auf­lösung

der Gewerkschaft SITRAVX 2013 angefochten. Wir bleiben aktiv und fordern weiterhin unser Recht, uns als ArbeiterInnen zu organisieren.» * Als Maquilas werden Fabriken in Mittelamerika bezeichnet, die steuerbegünstigt und bei niedrigen Lohnkosten importierte Einzelteile für den Export verarbeiten.

Freihandelszonen in El Salvador Zurzeit gibt es in El Salvador 16 Freihandelszonen, in denen 200 ausländische Firmen produzieren – von Steuern befreit und mit billigen Arbeitskräften versorgt. Etwa 70 Prozent davon sind Textilfabriken, die restlichen 30 Prozent machen Elektronik-, Plastik-, Papier-, Chemie- und Agroindustrie sowie Callcenter aus. Mit finanzieller Unterstützung von Solidar Suisse hilft FUNDASPAD (Fundación Salvadoreña para la Democracia y el Desarrollo Social) Gewerkschaftsmitgliedern – zum Beispiel von SITRAVX – mit Weiterbildung und juristischer Beratung dabei, die Angestellten zu organisieren, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. www.solidar.ch/ElSalvador_projekte


10 thema

Wenn Arbeit tödlich ist Yi Yiting ist wegen einer Benzolvergiftung an seinem Arbeitsplatz an Leukämie erkrankt. Um eine Entschädigung kämpft er noch immer. Text: Swati Jangle, Foto: Jason Chan Bereits beim Betreten seines Arbeitsplatzes schlug Yi Yiting der Gestank entgegen, der seinen Arbeitsalltag dominieren sollte. Ein unerträglicher Mix aus Verdünnern und Lacken, der zusammen mit dem Rauch und Dreck von Schweissarbeiten jeden Atemzug zur Qual machte. «Doch niemand warnte uns jemals vor den Gesundheitsrisiken, die unsere Arbeit mit sich brachte», erinnert sich Yi Yiting. Er begann 2003 als Maschinenführer für China International Marine Containers (CIMC) in Xiamen zu arbeiten. Zwei Jahre später traten Blutungen im Mund und blaue Flecken auf der Haut auf. Es wurde Leukämie diagnostiziert, Yi Yiting war nicht mehr arbeitsfähig. Er war gerade mal 25 Jahre alt. Benzol in China weiterhin üblich Als Yi Yiting bewusst wurde, dass seine Krankheit arbeitsbedingt sein könnte, stellte er den Antrag für eine Diagnose beim zuständigen Amt. Unterstützt hat ihn dabei die Solidar-Partnerorganisation

Ihre Spende wirkt Mit Ihrem Beitrag von 60 Franken kann die Solidar-Partnerorganisation Labour Action China eine Arbeiterin beraten, die wegen ihrer Arbeitsbedingungen krank geworden ist, damit sie Anspruch auf Behandlung erhält. www.solidar.ch/china

Labour Action China (LAC), die sich seit zehn Jahren gegen Benzolvergiftungen einsetzt (siehe letzte Seite). Denn Yi Yitings Leukämie ist auf das Lösungsmittel Benzol zurückzuführen. Früher wurde Benzol in vielen Bereichen als Verdünnungs- und Reinigungsmittel verwendet, mittlerweile wird es in Europa und den USA durch weniger giftige Stoffe ersetzt. Doch im Reich der Mitte ist es immer noch weit verbreitet. Deswegen setzt sich LAC für ein Benzolverbot in China ein. Yi Yiting arbeitete zwar nicht selber mit Farben und Verdünnungsmitteln, aber sein Arbeitsplatz befand sich direkt neben der Lackierstation. In der Fabrikhalle gab es weder eine räumliche Abtrennung noch ein Belüftungssystem. Eine amtliche Inspektion der Fabrik erlebte Yiting während seiner zweijährigen Anstellung nur einmal. «Der Besuch wurde vorher angekündigt und das Management bereitete den Arbeitsplatz dementsprechend vor: Am Tag der Kontrolle gab es keine giftigen Chemikalien in der Werkhalle und statt den üblichen 140 Containern wurden an jenem Tag nur 30 produziert.» So wurde den Behörden vorgekaukelt, dass die arbeitsrechtlichen Bestimmungen eingehalten würden. Kampf um Entschädigung Nach der Leukämie-Diagnose musste Yi Yiting 22 lange Monate kämpfen, bis ihm offiziell bestätigt wurde, dass seine Krankheit durch die Arbeitsbedingungen

ausgelöst wurde. Dabei deckte er auch auf, dass CIMC das zuständige Gesundheitsamt bestochen hatte, um diese Anerkennung als Berufskrankheit zu verhindern. Denn eine offizielle Bestätigung ist notwendig, damit Yi Yiting Anspruch auf Behandlung hat und eine Entschädigung verlangen kann. Auch beim Kampf um Entschädigung unterstützt ihn LAC finanziell wie inhaltlich. Das ist auch dringend nötig, denn der Kampf kostet viel Kraft und Energie. Energie, die Yi Yiting nicht immer hat: Er musste 28 Chemotherapien über sich ergehen lassen und ist mittlerweile resistent gegen die Medikamente. Dennoch unterstützt er andere, ebenfalls arbeitsbedingt krank gewordene Menschen dabei, sich Anerkennung und Entschädigung zu erstreiten. Sehr zum Verdruss der chinesischen Autoritäten. Im letzten Mai liessen sie ihn nicht nach Genf reisen, als er an einer Anhörung des UNAusschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte über die Ar­beits­ situation in China aussagen wollte. Nicht zum ersten Mal: Yi Yiting wird kontinuierlich unter Druck gesetzt und schikaniert. Kein Gesundheitsschutz Yi Yiting hat inzwischen 200 Fälle von ArbeiterInnen registriert, die an einer Benzolvergiftung leiden. Offizielle Statistiken über benzolverursachte Krank­ heiten sind nicht verfügbar. LAC-Geschäftsführerin Suki Chung erklärt: «Fünf Millionen ArbeiterInnen sind in der Pro-


KOLUMNE

THEMA 11

Yi Yiting ist einer von Hundert­ tausenden, die in China wegen einer Benzolvergiftung erkrankten.

An der WM sollen Strassenhändle­ rInnen ihre Waren rund um die Stadien nicht verkaufen dürfen.

Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse

Windwechsel

In den meisten Fällen ist die Krankheit von ArbeiterInnen ein Schicksalsschlag für die ganze Familie. Yi Yiting konnte plötzlich nicht mehr arbeiten, zudem erhielt er eine riesige Rechnung für seine Behandlungen «Die ArbeiterInnen und seine Familie musste wissen nicht, was und wie sich verschulden. Um ihm beistehen zu können, hörte auch gefährlich Benzol ist.» seine Frau auf zu arbeiten. «Meine Mutter machte sich sind. Sie wissen nicht, was Benzol ist und nach meiner Diagnose sehr grosse Sorwelche Gesundheitsrisiken es mit sich gen und erkrankte an einem Herz­leiden», bringt. Viele betroffene ArbeiterInnen erzählt Yi Yiting. «Doch wir hatten kein kommen vom Land und haben keine Geld, um sie im Krankenhaus behandeln Ausbildung genossen. Wenn sie krank zu lassen. Nach weniger als einem Monat werden, kommen sie gar nicht auf die starb sie.» So zerstörte Yitings LeukäIdee, dass die Ursache in ihrer Arbeit mieerkrankung die Existenzgrundlage liegen könnte. Nur wenige erhalten eine seiner ganzen Familie. Diagnose. Der Rest bleibt unsichtbar – Dennoch hat er seinen Lebensmut nicht und hat weder Anspruch auf Behandlung verloren. Er wurde vom Opfer zum Aktivisten. noch Entschädigung.» vinz Guangdong, Chinas Industriemittelpunkt, täglich Chemikalien ausgesetzt. Das Problem besteht darin, dass die meisten sich der Gefahren nicht bewusst

Wenn Wirtschaftseliten frei nach den Gesetzen des Marktes schalten und walten können, senken sie die Produktionskosten soweit es geht. Sie bezahlen miserable Löhne und verzichten zu Lasten der Natur auf Umweltschutzmassnahmen. Wenn korrupte Regierungseliten undemokratisch über Völker regieren, schaufeln sie so viel Geld wie möglich auf Konten ausser Landes und bezahlen keine Steuern. In vielen Ländern des Südens paaren sich diese zwei Missstände. Das Resultat sind Massenarmut und Umweltzerstörung. Es liegt auf der Hand, dass Entwicklungszusammenarbeit nicht wirklich erfolgreich sein kann, wenn sie solche mächtigen wirtschaftlichen und politischen Kräfte gegen sich hat. Die Uno hat das eingesehen. Entwicklungsziele wie die Beseitigung der Massenarmut, sauberes Trinkwasser für alle oder Abschaffung von Kinder- und Zwangs­ arbeit können nur erreicht werden, wenn man diese Kräfte in die Pflicht nimmt. Mit der Erarbeitung der Post2015-Agenda läuft in der Uno gegenwärtig der ehrgeizige Versuch, die Entwicklungsziele mit Sozial- und Öko­ zielen zu vereinen. Wenn Betriebe anständige Löhne bezahlen, wenn Staaten ihr Steuerpotenzial ausschöpfen und die Steuererträge in Bildung, Gesundheitswesen und Infrastruktur investieren, wenn Staaten und Unternehmen die natürlichen Ressourcen schonen, wird aus dem Gegenwind für Entwicklungszusammenarbeit Rücken­ wind. Post 2015 strebt diesen Windwechsel an. Ob er gelingt, ist offen, denn viele Mächtige fürchten ihn.


12 Notizen Starkes Signal gegen Zwangsarbeit Am 11. Juni 2014 wurden an der Jahreskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation IAO in Genf zwei wegweisende Dokumente verabschiedet. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte hat die IAO eine Empfehlung zum Thema informelle Ökonomie verabschiedet. Das Dokument zeigt, welche Massnahmen die Mitgliedsstaaten ergreifen können, um die Arbeitssituation der betroffenen Menschen zu verbessern. Zoltan Doka, stellvertretender Geschäftsleiter von Solidar: «Wir sind sehr erfreut über diesen richtungsweisenden Entscheid der IAO.

Global gesehen ist die Mehrheit der Beschäftigen in der informellen Ökonomie tätig, zum Beispiel als Hausangestellte oder StrassenhändlerInnen. Sie haben meist keine Sozialversicherungen und leiden unter prekären Arbeitsbedingungen. Die Empfehlung der IAO ist ein erster wichtiger Schritt in die richtige Richtung.» Ausserdem hat die IAO das Übereinkommen zur Zwangsarbeit aus dem Jahr 1930 erneuert, um es an die heutigen Herausforderungen bei der Bekämpfung der Zwangsarbeit anzupassen. «Das ist ein starkes Signal», so Doka, «und es ermöglicht, diese menschenverachtende Ausbeutung wirksam zu eliminieren.»

Subventionen dank Milchdialog in Kosovo Am 4. April 2014 gab das kosovarische Landwirtschaftsministerium bekannt, dass ein neues Direktzahlungssystem für Milchbäuerinnen und -bauern eingeführt wird. Es wird jährlich 1,5 Millionen Euro Subventionen in deren Taschen spülen und ist ein grosser Anreiz, die Qualität der Milch zu verbessern. Das neue System ist ein Erfolg des Milchdialogs, den Solidar 2009 initiiert hat. Die Bemühungen, die Verbände der Molkereien und der MilchbäuerInnen sowie die Regierung an einen Tisch zu bringen, führten nach steinigem Beginn zur Entwicklung

Afrika in Riehen Am 24. Mai 2014 präsentierte Solidar seine Arbeit in Burkina Faso am Riehener Afrikamarkt. Von der Gemeinde organisiert, wurde der Platz rund um das Gemeindehaus mit über 30 Ständen in einen lebhaften und bunten afrikanischen Markt verwandelt. Solidar Suisse zeigte an seinem Stand farbige Stoffe, hölzerne Brieföffner, Tischtücher und getrocknete Mangos (siehe auch Rätselpreise S. 16). Viele BesucherInnen nahmen sich Zeit und begutachteten die Auslage. Einige kauften, andere suchten das Gespräch und wollten mehr über unsere Projekte wissen.

einer gemeinsamen Branchenstrategie. Zunächst wurde eine Qualitätskontrolle etabliert und nun wurde auch das Ziel erreicht, Direktzahlungen einzuführen. www.solidar.ch/milchdialog

Seit mehreren Jahren unterstützt Riehen die mehrsprachige Bildung in Burkina Faso mit einem namhaften Betrag. Deshalb freuten wir uns, unsere Projekte der Öffentlichkeit vorstellen zu können, die uns mit ihren Steuergeldern unterstützt.

Bolivien: Faire Arbeit ist Mangelware Offiziellen Angaben zufolge ist die Arbeitslosigkeit in Bolivien in den letzten Jahren auf unter fünf Prozent gesunken. Doch trotz des wirtschaftlichen Booms werden die Arbeitsbedingungen zunehmend prekär, die Lohnschere vergrössert sich und die neu entstehenden Arbeitsplätze verlangen kaum berufliche Qualifikationen. Vor allem kleinere und mittlere Unternehmen versuchen zunehmend, durch Auslagerung die Lohnkosten zu senken. Rund 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Bolivien ist informell und unter prekären Bedingungen beschäftigt, bei fast 60 Prozent sind diese sogar sehr prekär: Feste Verträge und soziale Absicherung fehlen, der Lohn ist niedrig. Allein in den Ballungszentren La Paz/El Alto, Cochabamba und Santa Cruz ist die Informalität in den letzten 15 Jahren um 30 Prozent gestiegen. Frauen und junge Erwachsene sind besonders von Arbeits­ losigkeit und Prekarisierung betroffen. Solidar Suisse setzt sich in Bolivien für gute Arbeitsbedingungen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze ein, die ein existenz­ sicherndes, stabiles Einkommen und So­zialleistungen garantieren. www.solidar.ch/arbeitsrechte


standpunkt 13

Chinesische Firmen bauen Afrika auf Chinas Rolle in Afrika reicht von der Unterstützung des antikolonialen Kampfes bis zur Ausbeutung der ArbeiterInnen. Text: Eddie Cottle, Kampagnenverantwortlicher der Internationalen Baugewerkschaft BHI Über der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba thront das neue, von chinesischer Hand gebaute Hauptquartier der Afrikanischen Union – ein Sinnbild für die sich rasch wandelnde Rolle Chinas in Afrika. Die chinesisch-afrikanischen Beziehungen gründen tief, war China doch die grösste Unterstützerin des antikolonialen Kampfes und das erste Land, das den Aufbau der neu gegründeten afrikanischen Staaten unterstützte. Weniger Abhängigkeit von Europa Heute braucht Chinas schnell wachsende Ökonomie sichere Energieressourcen. Deshalb ist Afrika für die chinesischen Auslandsinvestitionen nach wie vor bedeutsam. Präsident Hu Jintao hat im Juli 2012 einen 20-Milliarden-Dollar-Kredit für Investitionen und Infrastrukturen in afrikanischen Ländern zugesichert. Sehr zum Ärger des Westens knüpft China keinerlei Bedingungen an seine Kredite. Dies gibt Anlass zur Befürchtung, dass afrikanische Länder aus IWF- und Weltbankkrediten und anderen Formen der Abhängigkeit von Europa und den USA aussteigen könnten. Grösster Handelspartner Afrikas Inzwischen sind über 2000 staatseigene chinesische Unternehmen in Afrika aktiv. Der Handel zwischen China und

afrikanischen Ländern belief sich 2011 auf 166 Milliarden Dollar und machte China zum grössten Handelspartner des Kontinents. Ein Riesensprung gegenüber den weniger als zwei Milliarden im Jahr 1999. Der Handel und massive Investitionen haben direkt zum beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung in Afrika beigetragen. Private und staatseigene chinesische Firmen dringen in den Bau- und Infrastruktursektor ein, auf Kosten von europäischen und südafrikanischen Unternehmen. Offerten chinesischer Firmen liegen häufig 75 Prozent unter denen westlicher Firmen, wie der Generaldirektor des weltweit grössten Bauunternehmens Vinci verlauten liess. Chinesische IngenieurInnen erhalten 130 Dollar im Monat, ein Sechstel dessen, was europäische Bauunternehmen angolanischen IngenieurInnen bezahlen. 2009 war der Marktanteil chinesischer Firmen im afrikanischen Bausektor mit 36,6 Prozent grösser als der von Frankreich, Italien und den USA zusammen. Mangelnde Arbeitsstandards Dem positiven Aspekt des wirtschaft­ lichen Engagements Chinas auf dem afrikanischen Kontinent steht die Kritik gegenüber, dass China sich als neokoloniale Macht gebärde.

Kritisiert werden mangelhafte Arbeitsstandards: fehlende schriftliche Verträge und Sozialversicherungen sowie Löhne unter dem gesetzlichen Minimum. Allen Widrigkeiten zum Trotz ist es afrika­ nischen Baugewerkschaften jedoch gelungen, Tarifverträge auszuhandeln und ArbeiterInnen auf den Baustellen chinesischer Multis zu organisieren. So hat die ghanaische Baugewerkschaft Anfang 2013 acht Kollektivverträge mit verschiedenen chinesischen Firmen abgeschlossen, in Uganda rekrutierte die Baugewerkschaft 2012 in chinesischen Unternehmen 200 Frauen und 1600 Männer. Die Situation ist je nach Land unterschiedlich: In Tansania verletzten chinesische Unternehmen die Organisa­ tionsfreiheit und das Arbeitsrecht, während in Namibia und Sambia die Gewerkschaften neue Mitglieder organisieren und Kollektivverträge abschliessen konnten. Diese Kampagnentätigkeit wird auch von Solidar Suisse unterstützt. Die afrikanischen Baugewerkschaften haben also mit einigem Erfolg ArbeiterInnen organisiert und Verhandlungen mit chinesischen Bauunternehmen geführt. Doch bis alle transnationalen chinesischen Unternehmen die grundlegenden Arbeits- und Gewerkschaftsrechte respektieren, bleibt noch viel zu tun. www.bwint.org


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Fussballbegeisterte passieren Bettler Rivaldo Barboza (45), der seit zehn Jahren in Recife auf der Strasse lebt. Das Foto ist in einem Medienprojekt mit brasilianischen Jugendlichen entstanden: www.solidar.ch/ fotoimpressionen

Als ob die WM nicht hier stattfände Wie erlebt ein fussballbegeisterter Brasilianer, der junge Leute aus armen Verhältnissen in sozialer Kommunikation ausbildet, die WM in seinem Land? Text: Jessé Barbosa, Comradio, Foto: Carmerindo João Auch ich bin von der Euphorie angesteckt worden, die die Fussball-WM bei zahllosen Menschen auslöste. Doch hier im Halbtrockengebiet von Piauí im Nordosten Brasiliens kommen uns die Standards, die die Fifa für ihre Stadien forderte, wie eine Fantasie vor. Rundherum sehe ich mangelhaft ausgerüstete Gesundheitsposten, ein Bildungssystem, das auf allen Stufen versagt, kaum Kulturangebote und ganze Siedlungen ohne Elektrizität und Trinkwasser. Diese Realität hat nichts mit dem Brasilien zu tun, das während der WM am Fernsehen gezeigt wurde. Es ist, als hätte die WM nicht hier stattgefunden. Menschengemachte Armut Die Fussball-WM ist voller Schönheit, Emotion und Begegnung der Kulturen. Die BrasilianerInnen lieben den Fussball. Und das Gute am Fussball ist, dass er Menschen vereint und Freude verbreitet. Aber als wir die WM in unserem Land hatten, wurde es noch offensichtlicher, dass wir hier in einem anderen Brasilien

leben, nahe und doch so fern des reichen Brasiliens. Die Armut, die wir hier erleben, ist menschengemacht. Sie ist das Ergebnis der Entscheidungen von PolitikerInnen, die von Habsucht getrieben sind. Die Armut, in die sie die brasilianische Bevölkerung zwingen – ohne Grunddienstleistungen und mit einem exorbitanten Preis für Wasser –, diese Armut müsste es nicht geben. Das war augenfällig, als wir das Brasilien der WM sahen. Denn wir hätten die nötigen Mittel, um die Misere zu beseitigen. Wir leben in einer heissen Gegend mit wenig Regen

und tiefer Getreideproduktion. Dafür gibt es Lösungen: konsequente Speicherung von Wasser, angepasste Getreidesorten, Zucht von Tieren, die das Klima ertragen. Man kann hier leben: Die Menschen sind «reich», sie haben eine fest verankerte und lebendige Kultur. Sie hatten Spass an der Fussball-WM, aber sie fragen sich: Wenn Brasilien fähig war, die Forderungen der Fifa zu erfüllen, warum haben wir dann keine funktionierenden Spitäler und Schulen mit fähigen LehrerInnen, keine Sicherheit, keinen Zugang zu Wasser, Boden und Strom? All dies wäre möglich, aber der politische Wille fehlt.

Comradio Jessé Barbosa leitet das Projekt «Junge RadiojournalistInnen im Halbtrockengebiet» des Instituts Comradio Brasil im Bundesstaat Piauí, das vom Schweizer Hilfswerk Brücke · Le pont unterstützt wird. Die Ausbildung soll die Teilnehmenden befähigen, Themen aus ihrem Umfeld aufzugreifen und zu debattieren und so zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung ihrer Region beizutragen. Solidar arbeitet punktuell mit Brücke · Le pont zusammen. www.bruecke-lepont.ch


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Buhs gegen Fouls Viele haben sich an der Solidar-Kampagne gegen die Fouls der Fifa bei der WM in Brasilien beteiligt. Wir bleiben am Ball. Text: Eva Geel, Fotos: Sabine Rock und Kampaweb Foul folgt auf Foul, eines schlimmer als das andere. Und am Schluss grätscht Fifa-Präsident Sepp Blatter einem Strassenhändler so bös in die Beine, dass dessen Ware wild in die Luft fliegt. Mit diesem Spot protestierte Solidar Suisse gegen das Foulspiel der Fifa in Brasilien. Denn die Vorbereitung der WM war geprägt von Vertreibungen, Menschenrechtsverletzungen und Verkaufsverboten für die StrassenhändlerInnen: Rund um die Stadien hatte die Fifa einen Verkaufsbann ausgesprochen, damit WMSponsoren wie Coca Cola, Budweiser und Adidas ungestört ihre Waren verkaufen konnten. Die StrassenhändlerInnen hingegen wurden von ihren Ständen vertrieben. Breiter Protest Solidar forderte die Fifa deshalb kurz vor der WM nochmals auf, das Verkaufsver-

Der Solidar-Spot visualisierte die Fouls der Fifa (oben), und 2000 Buhrufe, die zum Teil auf dem Paradeplatz aufgenom­ men wurden (links), zeigten, was die Menschen davon halten.

Rund 2000 Personen machten ihrem Ärger dergestalt Luft. Wir übergaben die Buhs der Fifa in Zürich. Nachhaltigkeitsklausel für zukünftige Weltmeisterschaften Auch sonst bleibt Solidar am Ball: Wir fordern von der Fifa, endlich eine Nachhaltigkeitsklausel in die Verträge mit den Austragungsstaaten einzubauen, um sie zur Wahrung der Menschenrechte, zur Einhaltung minimaler Arbeitsstandards, zum fairen Umgang mit informellen HändlerInnen zu verpflichten. Ausserdem soll die Fifa keine Sondergesetze mehr

bot aufzuheben. Die Protestaktion mobilisierte: Rund 16 000 Menschen unterstützten die Forderung mit einem Protestmail an Sepp Blatter, das Foulvideo wurde innert weniger Tage 100 000 Mal angeklickt, auf Facebook und Twitter erreichte die Kampagne rund eine Million Menschen. Doch geschehen ist leider nur wenig. Zwar lockerte «Die Fifa muss umdenken, die Fifa ihre Restriktionen etwas, so dass etwa 3000 sonst droht in Qatar ein noch StrassenhändlerInnen ihre grösseres Desaster.» Waren doch verkaufen konnten. Doch das genügte bei weitem nicht – von den Verkaufs- durchdrücken. Joachim Merz, Fifa-Experverboten waren mindestens 100  000 te bei Solidar: «Die Fifa muss endlich umKleinhändlerInnen betroffen. Grund ge- denken – Qatar, wo die WM 2022 stattnug für eine weitere Protestaktion: Soli- finden soll, droht sonst ein noch dar bot auf der Website erbosten Fuss- grösseres Desaster punkto Menschenballfans und Fifa-Kritikerinnen die rechte zu werden.» Möglichkeit, einen Buhruf aufzunehmen. www.faire-wm.ch


16 PINGPONG Solidar-Rätsel 1.

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1. Solche Verträge konnten afrikanische Baugewerkschaften mit einigen chinesischen Baufirmen aushandeln. 2. Eine verbriefte Freiheit der ArbeiterInnen, die von Unternehmen und Ländern häufig beschnitten wird. 3. China knüpft keine an seine Kredite für afrikanische Länder. 4. Produktion, die in den letzten 30 Jahren in Entwicklungsländer verlagert wurde. 5. Davon sind Firmen in den Freihandelszonen El Salvadors befreit. 6. Diesen Befreiungskampf unterstützte China in Afrika. 7. Gewerkschaft, die trotz Kriminalisierungsversuchen in der Freihandelszone von San Bartolo aktiv ist. 8. In China werden ArbeiterInnen diesem in Europa längst verbotenen Lösungsmittel ausgesetzt – mit zum Teil tödlichen Folgen. 9. Anzahl Länder, in denen ArbeiterInnen verschleppt und ermordet werden, wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen. 10. Mit ihrem Lohn müssen die Arbeitenden mindestens diese sichern können. 11. Sie ist bei den Angestellten in den Maquilas El Salvadors wegen der Arbeitsbedingungen gefährdet.

Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel». Jede richtige Lösung nimmt an der Verlosung teil. 1. Preis Ein Brieföffner 2. Preis Sechs Glasuntersetzer 3. Preis Eine Tasche Die Preise stammen aus dem Frauenbildungszentrum Père Celestino, das Solidar Suisse in Burkina Faso unterstützt. Einsendeschluss ist der 19. September 2014. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 4/2014 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 2/2014 lautete «Für eine faire WM». Frédéric Radeff aus Genf hat einen Schal, Marlies Grob aus Männedorf eine Küchenschürze mit Topfhandschuh und Raymonde Gaume aus Le Noirmont ein Portemonnaie gewonnen. Wir danken dem Frauenbildungszentrum Père Celestino in Burkina Faso für die gestifteten Preise und den Mitspielenden für die Teilnahme.


Notizen 17 Solidar-GV mit Resolution gegen Ecopop-Initiative

Philippinen: Erfolgreiche Nothilfe Nachdem Taifun Haiyan im November 2013 die Philippinen schwer getroffen hatte, wurde Solidar auf der Insel Panay aktiv (siehe Solidarität 1/14). Die erste Projektphase wurde vor Anbruch der Regenzeit Mitte Juni abgeschlossen. 2435 Familien in 18 Dörfern haben sich wieder ein Dach über dem Kopf verschafft, nachdem sie Dach-Reparatursets aus Wellblech, Nägeln, Dichtungsmasse, Seilen und Werkzeugen erhalten hatten. Auch an sechs Schulen und drei Dorfambulanzen wurden Reparatursets verteilt, welche die DorfbewohnerInnen umgehend verbauten. Seit Ende Januar sind acht professionelle Motorsägen in Betrieb, mit denen täglich aus Fallholz Baumaterial hergestellt wird. Bisher haben 353 Familien davon profitiert. Ab März hat Solidar auch 216 Haushalte von alleinstehenden Eltern sowie älteren und behinderten Menschen mit bereits zugeschnittenem Bauholz versorgt und ihnen ausgebildete Zimmerleute zur Verfügung gestellt, die ihnen solide Notunterkünfte bauten. Als Bauholz wurden ausschliesslich vom Hurrikan gefällte Kokospalmen verwendet. In einer nächsten Phase werden Notunterkünfte in permanente Häuser umgewandelt und Toiletten wiederaufgebaut. Ausserdem bildet Solidar HandwerkerInnen in sturmresistenten Bauweisen aus und unterstützt den Bau neuer Häuser in sicheren Gebieten. www.solidar.ch/philippinen

Statutenänderung, Vorstands-Neuwahlen und eine Resolution gegen die Ecopop-Initiative standen am 3. Juni 2014 im Zentrum der Generalversammlung von Solidar Suisse. Die einstimmig gutgeheissenen neuen Statuten sehen einen leicht höheren Mitgliederbeitrag vor und fassen die Aufgaben der diversen Gre­ mien und Funktionen klarer. Dieter Bolliger von der Gewerkschaft syndicom wurde neu in den Vorstand gewählt. Er ersetzt Michael von Felten, der nach langjährigem Engagement zurücktritt. In einer Resolution wandte sich die Versammlung klar gegen die Ecopop-Initiative (siehe www.solidar.ch/news). Anschliessend fand ein öffentliches Podiumsgespräch mit Peter Niggli, dem Leiter von Alliance Sud, und Deza-Direktor Martin Dahinden statt – zwei profilierten Ken-

25 Jahre Fedevaco Die Fedevaco feiert am 13. September 2014 in Morges ihr 25-jähriges Jubiläum. Den Auftakt bilden um 13 Uhr der Zirkus Coquino mit einem interaktiven Spektakel und die Breakdance-Gruppe Nuncha Crew. Theater, Secondhandmode, Comicausstellung und Kurzfilme verwöhnen die Sinne ebenso wie Speisen aus aller Welt. Am Abend entführt der Sänger K (Bild) in sein poetisches Universum, gefolgt von den Rhyth­men der senegalesischen Band Nana Cissohko & The Baye Fall Family. Abgeschlossen wird der Abend von Soul-DJ Koffi. Alle sind in die Halle CFF eingeladen. Die Fedevaco ist ein Zusammenschluss von 40 Organisationen, die in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sind, unter anderem Solidar Suisse. www.fedevaco.ch

nern der schweizerischen Entwicklungspolitik. Dahinden möchte das Engagement der Deza in Konfliktgebieten ausweiten und postulierte, die Entwicklungspolitik müsse sich vermehrt mit globalen Risiken wie Ressourcenknappheit befassen. Niggli kritisierte die internationalen Finanzflüsse, die den Entwicklungs- und Schwellenländern massiv Geld entziehen. Peter Niggli zur Rolle der Schweiz: «Mit der einen Hand geben wir ein bisschen was und mit der anderen nehmen wir ein grosses Bisschen mehr weg.»

ANC gewinnt Wahlen in Südafrika Der African National Congress (ANC) hat die Wahlen in Südafrika von Anfang Mai klar gewonnen – die fünften demokratischen Wahlen in Folge seit dem Ende der Apartheid. Der ANC siegte trotz hoher Arbeitslosigkeit, Korrup­ tionsskandalen, BürgerInnenprotesten gegen den schlechten Service Public, trotz des Massakers von Marikana vor zwei Jahren und trotz interner Auseinandersetzungen in der Regierungs­ koa­ li­ tion, deretwegen mehrere Gewerkschaften die Partei nicht mehr unterstützten. Die Wahlen 2014 waren die ersten nach dem Tod von Nelson Mandela und die ersten für die nach der Apartheid Geborenen – von denen sich aber nur ein Drittel ins Wahlregister einschrieb. 20 Jahre nach Beendigung der Apartheid bleiben viele Probleme im Land am Kap ungelöst. Es bleibt abzuwarten, ob der ANC in der neuen Legislaturperiode gewillt ist, diese entschiedener anzugehen als in der Ver­gangenheit. Skepsis ist angebracht.


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Am sozialen Leben teilhaben Germaine Oueadraogo bringt in Burkina Faso Erwachsenen, die neu lesen und schreiben gelernt haben, Französisch bei. Damit erweitert sie deren Handlungs­möglichkeiten. Text und Foto: Sandrine Rosenberger


Germaine Ouedraogo freut sich, wenn sich die SchülerInnen dank ihres Kurses besser bewegen können.

Über sich und ihre Arbeit zu erzählen, ist Germaine Ouedraogo fremd. Trotzdem hat sich die 43-jährige Kursleiterin bereit erklärt, in einer Pause mit mir zu sprechen. Wir sitzen hinten in der Strohhütte, in der sie Französisch für Erwachsene unterrichtet. Es ist heiss. Das Schulzimmer befindet sich in Lemnogo, einem kleinen Dorf im burkinischen Plateau Central, die Lernenden sind hauptsächlich BäuerInnen, die erst im Erwachsenenalter in ihrer Muttersprache lesen und schreiben gelernt haben. Unter den 20 Anwesenden befindet sich nur ein Mann. Fast alle Frauen haben mindestens ein Kind dabei, das in der Pause versorgt wird, falls es nicht auf dem Rücken der Mutter weiterschläft.

Einblick 19 Es gibt keine Probleme helfen kann, ihre Lebensbedingungen zu Auf meine Frage, was die Hauptproble- verbessern. «Mich motiviert, dass sie am me der Menschen hier sind, schaut mich Schluss wirklich Französisch sprechen.» Germaine Ouedraogo verwundert an und Als ehemalige Leiterin von Alphabetisiemeint: «Es gibt keine Probleme.» In Bur- rungskursen kann sie die Fortschritte ihkina Faso gilt es als unhöflich und wür- rer SchülerInnen einschätzen. Umso delos, Probleme hervorzuheben. So er- mehr, als sie selbst eine ehemalige Abzählt sie mir erst nach einigem Insistieren solventin der Kurse ist, die sie nun anbievom schwierigen Zugang zu öffentlichen Dienstleis«Viele Informationen tungen wie Gesundheitsversorgung und Bildung. öffentlicher Stellen gibt es Dies ist einer der Gründe, nur auf Französisch.» warum die Anwesenden den ALFAA-Kurs (siehe Kasten) bei Germaine Ouedraogo besu- tet. Germaine Ouedraogo nimmt dafür chen. Denn ohne Französischkenntnisse einiges auf sich. So wohnt sie während können sie sich nicht im Gesundheitszen- des dreimonatigen Kurses in Lemnogo, trum behandeln lassen oder ihre Kinder ohne ihre Familie sehen zu können, weil bei den Schulaufgaben unterstützen. Als ihr Wohnort zu weit entfernt ist. ich wissen möchte, was der Kurs zur Lö- Die Frauen kehren in den Kursraum zusung dieser Probleme beiträgt, kommt rück, gleich beginnt die nächste Lektion. Leben in meine Gesprächspartnerin: «Die «Leider haben wir keine Kinderkrippe. Leute können sich besser bewegen, weil Die Frauen müssen ihre Kinder mitbrinsie verstehen, was in ihrer Umgebung ge- gen. So können die Frauen sich nicht voll schieht. Dies ermöglicht es ihnen, am öf- aufs Lernen konzentrieren», meint Gerfentlichen Leben teilzuhaben», meint sie. maine Ouedraogo. «Und wenn die Kinder «Viele Informationen öffentlicher Stellen krank sind, kommen die Frauen gar nicht. wie Gemeinden oder Schulen gibt es ein- Dann können sie dem Kurs nicht mehr zig auf Französisch. So können die Men- folgen.» Doch nun ist die Pause um und schen zum Beispiel in Gesundheitszent- Germaine Ouedraogo kehrt zu ihrer Beren nur dann ihre Symptome – oder die rufung zurück: Menschen etwas zu verihrer Kinder – erklären, erhaltene Infor- mitteln, das sie im Leben weiterbringt. mationen verstehen und Empfehlungen folgen, wenn ihre Französischkenntnisse ausreichen. Dann können sie auch ihre Die ALFAA-Methode Produkte auf Märkten verkaufen, an denen die Leute nicht dieselbe lokale SpraDie ALFAA-Kurse (Apprentissage de la langue française par les jeunes et che sprechen.» Ausserdem vertiefen die les adultes à partir des acquis de KursteilnehmerInnen ihre Rechenkenntl’alphabetisation dans les langues nanisse und erhalten Informationen über tionales) richten sich an Frauen und Hygiene, das Bodenrecht oder den KliMänner ab 15 Jahren, die keine offizimawandel. «So können die BäuerInnen elle Schule besucht haben, jedoch in Aufwand und Ertrag ihrer Produktion beihrer Muttersprache lesen und schreirechnen, und sie werden beim Verkauf ben können – und die Französisch lerihrer Produkte auf dem Markt nicht übers nen möchten. 1991 von Solidar einOhr gehauen», ergänzt sie. geführt, gibt es in zehn Regionen Burkina Fasos 91 ALFAA-Zentren mit Erfolgreiches Engagement über 2500 SchülerInnen. Germaine Ouedraogo arbeitet seit siewww.solidar.ch/burkinafaso ben Jahren als ALFAA-Kursleiterin. Ihr gefällt die Arbeit, weil sie den Menschen


Benzol verbieten! Benzol – obwohl hochgiftig, krebserregend und in Europa längst verboten – findet in China breite Verwendung. Die ArbeiterInnen erhalten keinen oder einen unbrauchbaren Schutz vor den tödlichen Benzoldämpfen. Unterschreiben Sie die Petition unserer chinesischen Partnerorganisation LAC für ein Benzol-Verbot: www.solidar.ch/news


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