Solidarität 4/2016

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Ausgabe November 4/2016

THEMA Verantwortungsvoller Konsum EINBLICK Rechte fĂźr arbeitende Kinder in Pakistan

Das Magazin von


2 EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser Immer wieder stellt sich uns die Frage, wann der Moment dringlichen Themen Arbeitsausbeutung, Migration, demokra­ ­gekommen ist, um das Engagement in einem Land abzuschlies- tische Partizipation hätten wir ohne Zweifel weiterhin einen sen. Die Verbundenheit mit unseren PartnerInnen und das wertvollen Beitrag leisten können. Um uns geografisch nicht zu ­Wissen um dringende Bedürfnisse, fehlende Chancen und all- verzetteln, hatten wir unser Engagement jedoch befristet. Ganz tägliche soziale Ungleichheit machen den Ausstiegsentscheid anders in Sri Lanka: Hier mussten wir uns immer wieder auf schwierig: Selbst wenn ein Land sich in eine positive Richtung neue Gegebenheiten einstellen, und die Not der Bevölkerung entwickelt, wenn eine Gesellschaft sich im Norden hielt wegen des Bürgerkriegs stabilisiert und Menschen in ihre eigenen während Jahren an. Weshalb wir uns nun Stärken vertrauen lernen, gibt es viele zurückziehen, erfahren Sie auf Seite 17. stichhaltige Gründe, weshalb man ein Ermöglicht das Wirtschaftswachstum eiEngagement noch nicht aufgeben möchte nes Landes den Rückzug? Oder demooder darf. kratisch gewählte Regierungen, eine Bei meinen Reisen nach Sri Lanka und starke Zivilgesellschaft, Arbeitsmarktauf die Philippinen diesen Sommer ging es chancen für Junge, Fortschritte im Kampf um den Abschluss unserer Unterstützung. gegen Gewalt und für GleichberechtiWährend wir über elf Jahre in Sri Lanka gung? Diese Fragen muss sich eine Enttätig waren, war die Nothilfe nach Taifun wicklungsorganisation konstant stellen. Haiyan auf den Philippinen von Anfang Esther Maurer Denn unser Ziel muss sein, uns aus an auf drei Jahre befristet. Und unsere Direktorin Solidar Suisse ­einem Land zurückzuziehen – gleichzeitig Aktivitäten in den beiden Ländern hätten müssen wir die Gewissheit haben, dass unterschiedlicher nicht sein können. positive Veränderungen so weit konsoliAuf den Philippinen ging es nach der Nothilfe ausschliesslich diert sind, dass sie nicht wieder verloren gehen. Das sind wir um den Haus- und Toilettenbau für die Ärmsten. Termine und unseren SpenderInnen, vor allem aber auch den Menschen, Budget wurden perfekt eingehalten, die Ziele sogar übererfüllt. mit denen wir in den Schwerpunktländern zusammenarbeiten, Doch eine Verlängerung wäre sinnvoll gewesen: Zu den vor- schuldig. Esther Maurer

MEDIENSCHAU

31.8.2016 75 Punkte für Rapperswil-Jona Solidar Suisse hat untersucht, wie soli­ darisch sich die 88 grössten Schweizer Gemeinden verhalten. Von acht Städten in der Nordostschweiz schneidet Rapperswil-Jona am besten ab. Dies unter anderem deshalb, weil sie jährlich 200 000 Franken – zwei Promille der Steuereinnahmen – für Entwicklungsprojekte auf verschiedenen Kontinenten ausgibt. Ausserdem achtet die Stadt darauf, dass sie bei Einkäufen aus dem Ausland keine Produkte aus Zwangs- oder Kinderarbeit erwirbt. Rapperswil-Jona hat im Ranking 75 von 100 Punkten erreicht. St. Gallen liegt mit 40 Punkten weit dahinter.

30.8.2016 Dietikon und Schlieren handeln wenig solidarisch Geringes globales Verantwortungsbewusstsein. So lautet das Urteil des dies­ jährigen Gemeinderatings von Solidar Suisse für die Städte Schlieren und Dietikon. (…) Kantonssieger ist die Stadt Zürich, die hinter Genf, Carouge und Lausanne schweizweit den vierten Platz belegt. Mit 23,7 bzw. 11 Punkten haben sich Dietikon und Schlieren je 2 Globen ergattert, die jedoch weniger als Auszeichnung denn als Schmach zu verstehen sind. Bedeuten diese doch gemäss Solidar, dass die Städte sich kaum um Schritte in Richtung sozialer Nachhaltigkeit bemühen.

4.7.2016 Montagsinterview mit Walter Andreas Müller (…) Sie haben Sepp Blatter für das Hilfs­ werk Solidar Suisse parodiert. Das ist ein politisches Bekenntnis. Ja, das war es. Ich bezog hier politisch Position. Aber ich habe mich zuvor sehr seriös mit der Sache auseinandergesetzt. Ich wollte ganz genau wissen, in welchem Kontext dieser Spot erscheint. Ich bin misstrauisch aufgrund einer schlechten Erfahrung. (…) Deshalb wollte ich es bei Solidar Suisse ganz genau wissen. Die Umsetzung fand ich subtil und korrekt. Eine Klage der Fifa hätte ich mir nicht leisten können.


INHALT 3 THEMA Verantwortungsvoller Konsum

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Protokoll des Scheiterns einer ethisch korrekten Einkaufstour

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Der Beitrag von Solidar Suisse: Kampagnen für faire Arbeits­bedingungen

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Solidar-Gemeinderating: Auch die öffentliche Hand soll verantwortungsvoll konsumieren 9 Globale Lieferketten erschweren die Transparenz der Warenströme: Verbindliche Regelungen zum Schutz der ArbeiterInnen tun not 10 STANDPUNKT Felix Meier von Pusch bietet Orientierung im Labeldschungel

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THEMA

Wie beeinflusst unser Konsumverhalten in der Schweiz die Arbeits- und Lebensbedingungen von Menschen in Entwicklungsländern? Was können wir zu einem verantwortungsvollen Konsum beitragen?

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KULTURELL Ein neues Buch zieht Bilanz aus 40 Jahren Engagement gegen schädliche Geschäftspraktiken von Multis 15 AKTUELL Nach mehr als zehn Jahren schliesst Solidar Suisse das Engagement in Sri Lanka ab. Ein Rück- und Ausblick 17 EINBLICK Valerie Khan hilft KinderarbeiterInnen in Pakistan, sich Gehör zu verschaffen 18

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KOLUMNE 11

EINBLICK

NOTIZEN

Arbeitende Kinder sind eine traurige Realität in Pakistan. Valerie Khan setzt sich gegen ihre Ausbeutung und für ihre Rechte ein.

PINGPONG

12 & 16 14

IMPRESSUM Herausgeber: Solidar Suisse, Quellenstrasse 31, Postfach 2228, 8031 Zürich, Tel. 044 444 19 19, E-Mail: kontakt@solidar.ch, www.solidar.ch, Postkonto 80-188-1 Mitglied des europäischen Netzwerks Solidar Redaktion: Katja Schurter (verantwortliche Redaktorin), Marco Eichenberger, Lionel Frei, Eva Geel, Cyrill Rogger

Layout: Binkert Partner, www.binkertpartner.ch / Spinas Civil Voices Übersetzungen: Milena Hrdina und Jean-François Zurbriggen Korrektorat: Jeannine Horni, Catherine Vallat Druck und Versand: Unionsdruckerei/subito AG, Platz 8, 8201 Schaffhausen Erscheint vierteljährlich, Auflage: 37 000

Der Abonnementspreis ist im Mitgliederbeitrag inbegriffen (Einzelmitglieder mindestens Fr. 70.–, Organisationen mindestens Fr. 250.– pro Jahr). Gedruckt auf umwelt­ freundlichem Recycling-Papier. Titelbild: Indische Baumwollarbeiter machen die Ernte transportbereit. Foto: Adam Cohn. Rückseite: Mit dem Kauf einer Solidar-Geschenkkarte unterstützen Sie unsere weltweiten Entwicklungsprojekte.


4 ArbeiterInnen in der vietnamesischen Textilfabrik Ando International, welche die Arbeitsbedingungen verbessert hat, seit sie dem Better Work Programm der ILO beigetreten ist (www.betterwork.org).


THEMA

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VERANTWORTUNGSVOLLER KONSUM Unser Konsumverhalten in der Schweiz hat Auswirkungen auf die Lebensbedingungen in den Ländern des Südens. Diese Tatsache ist inzwischen kaum mehr umstritten. Doch wie können die Bedingungen der ArbeiterInnen in den immer längeren Lieferketten des g ­ lobalisierten Handels verbessert werden? Was tragen NGOs im Allgemeinen und Solidar mit seinen Kampagnen für faire Arbeits­bedingungen im Besonderen dazu bei? Und wie können wir ­unsere alltägliche Einkaufstour ethisch korrekt gestalten? Erfahren Sie auf den nächsten Seiten mehr dazu. Foto: ILO/Aaron Santos


6 WIE GEHT VERANTWORTUNGSVOLLER KONSUM?

Arbeiterin in einer indonesischen Elektronikfabrik.

Wer sich zur ethisch korrekten Einkaufstour aufmacht, scheitert bald an der mangelnden Transparenz der Produktionsbedingungen. Text: Eva Geel, Foto: ILO/Asrian Mirza

Eigentlich schien es ganz einfach. Ich gehe einkaufen und – das mein Vorsatz – kaufe nur sozial nachhaltig Produziertes. Zuerst Zucchetti und Tomaten – aus der Region für die Region. Sollte wohl okay sein. Doch was mache ich mit dem Fisch? Das MSC-Label steht zwar für ökologisch nachhaltigen Fisch, aber sind die Arbeitsbedingungen der FischerInnen dabei auch ein Thema? Ich glaube nicht und rette mich zum einheimischen Felchen. Bereits im dritten Laden bin ich mit meinem sozialen Gewissen definitiv aufgeschmissen: Auf dem Wunschzettel des Kindes steht ein ferngesteuerter Heli­ kopter, mit Artikelnummer und Preis. Er stammt, wie nicht anders zu erwarten, aus Fernost. Wie da die Arbeitsbedingun-

gen sein können, weiss ich als SolidarMitarbeiterin nur zu genau (siehe auch Artikel Seite 8).

Kindern gefertigt wurden? Nicht aus­ zuschliessen. Sind teure Produkte nachhaltiger als billige? Keine Garantie. Kein Wunder, sind wir völlig verunsichert.

Wenig Orientierung für KonsumentInnen «Die meisten machen Wer als Konsumentin einen Kom­promisse im Alltag – Beitrag für eine gerechtere Welt leisten will, macht sich hier ein wenig Nachhaltigkeit, das Leben nicht einfacher. dort das trendige Teil.» Schon seit Längerem gibt es im Öko-Bereich eine Vielzahl an Labels, die Umweltstandards fest- Der permanente globale Wettlauf, immer legen und kontrollieren. Der soziale Be- noch billiger und noch schneller zu proreich hinkt da schwer hinten nach (siehe duzieren, wie es der Markt wünscht, zieht Seite 13). Umfassende und klare Labels? in den Billiglohnländern einen RattenFehlanzeige. Produkte im Regal, die unter schwanz von Elend und Zerstörung nach sklavereiähnlichen Bedingungen oder von sich. Mehr als 1,5 Milliarden Menschen


THEMA 7 weltweit werden unter prekären Bedingungen beschäftigt. Die Skandale, in die Firmen verwickelt sind, sind zahlreich. Ethischer Konsum breitet sich aus Doch es kommt Bewegung in die Sache: Kleine Start-ups produzieren für Nischen – mit grossem Bewusstsein für soziale und ökologische Gerechtigkeit. Nicht­re­ gierungs­organisationen machen skan­da­ löses Konzernhandeln öffentlich. Und die KonsumentInnen hierzulande werden zunehmend kritischer: Dies zumindest ergab eine Umfrage der Otto Group: 2013 kauften 56 Prozent der Befragten laut eigenen Aussagen häufig Produkte, die ethisch korrekt hergestellt wurden. 2009 waren es erst 26 Prozent. Ethischer Konsum ­beginnt sich im Markt zu etablieren. Nachhaltig und billig? Gleichzeitig sind KonsumentInnen hinund hergerissen: Ein T-Shirt soll zwar sozial nachhaltig sein, aber auch billig und modisch. Ein gutes Gewissen muss man sich zudem leisten können – welche ­alleinerziehende Mutter kann das schon. Und totale Konsumverweigerung ist für die wenigsten eine gangbare Alternative. Die meisten von uns machen Kompromisse im Alltag – hier ein wenig Nachhaltigkeit, dort das trendige Teil. Dazu kommt, dass viele der grossen Unternehmen immer wieder von Skandalen aller Art heimgesucht werden – und dies, ­obwohl sie samt und sonders beteuern, wie frisch, sozial, umweltschonend und qualitativ hochstehend ihre Produkte sind. Zwar gibt es seitens der Konzerne eine Flut von freiwilligen Initiativen und Standards. Doch die Unternehmen tun zu wenig, um die Wirkung ihrer Nachhaltigkeitsmassnahmen zu überprüfen. Dies hat die EU-Studie «Impact Project» he­ raus­gefunden. So kommt es trotz allem immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen und Unfällen in den Produktionsstätten in Entwicklungs- und Schwellenländern. Die Kleiderfabrik Rana Plaza in Bangladesh beispielsweise wurde vom

deutschen TÜV zertifiziert. Wenig später stürzte die teils illegal gebaute Fabrik ein und begrub 1138 Menschen unter sich. Kein Wunder, beschleicht die KonsumentInnen angesichts dieses organisierten Chaos das leise Gefühl, es komme nicht gross drauf an, wo und was sie einkaufen. Oder es dient zumindest als gute Ausrede, nicht immer auf die Ethik achten zu müssen.

Cartoon von Ruedi Widmer

Abhilfe gibt es nur, wenn gesetzliche Rahmenbedingungen gesetzt werden. In der Schweiz mit der Konzernverantwortungsinitiative (siehe Seite 12). Und auf diese hoffe ich. Denn ich gestehe, ich habe auf meiner Einkaufstour kapituliert. Das Kind bekam seinen Helikopter.

Eva Geel ist Leiterin Kommunikation bei Solidar Suisse.


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Mit einem gefälschten Clooney-Spot prangerte Solidar Suisse 2011 ausbeuterische Arbeitsbedingungen in der Kaffeeproduktion an.

KAMPAGNEN FÜR FAIRE ARBEIT Solidar Suisse engagiert sich mit Kampagnen bei Produzentinnen und Konsumenten dafür, dass sie sich um faire Arbeitsbedingungen kümmern. Text: Simone Wasmann, Foto: Alexander Meier Es ist nicht einfach, verantwortungsvoll zu konsumieren, wie die auf Seite 6 geschilderten Erfahrungen zeigen. Labels oder regionale Produkte sind eine Möglichkeit. Doch bei verarbeiteten Lebensmitteln und Gütern aus der industriellen Produktion wird es schnell schwierig: Die Lieferketten sind lang und intransparent, die Arbeitsbedingungen häufig ausbeuterisch (siehe Seite 10). Hier setzt Solidar Suisse an und fordert Transparenz über die gesamte Lieferkette, um die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten zu garantieren. Gegen Ausbeutung mit Steuer­ geldern und für fairen Handel Seit 2008 setzt sich Solidar Suisse mit Kampagnen für faire Arbeitsbedingungen ein und nimmt verschiedene AkteurInnen in die Pflicht: Sei es die öffentliche Hand, die beim jährlichen Einkauf von Waren im Wert von 40 Milliarden Franken ihre Ver-

trollen ein (siehe www.solidar.ch/pfannen). BSCI, eine freiwillige Unternehmens­ initiative für soziale Verantwortung, der viele Schweizer Unternehmen ange­ schlossen sind, schrieb erstmals einen Risikoreport zur Küchengeräteindustrie in China. Inwieweit ein solcher Report zu echten Veränderungen führt und wir in Zukunft in der Schweiz saubere Pfannen kaufen können, lässt sich noch nicht abschätzen. Solidar Suisse verfolgt die weiteren Entwicklungen aufmerksam. Faire Spielsachen Auch die Spielwarenhersteller, deren – ebenfalls mehrheitlich in China hergestellten – Produkte bald wieder unter dem Weihnachtsbaum liegen, nahmen wir ins Visier. Spielwarenkonzerne kümmern sich nach wie vor kaum um ihre soziale Verantwortung bzw. tragen im Gegenteil mit ihren Forderungen nach tiefen Preisen und kurzen Lieferfristen aktiv zu den schlechten Arbeitsbedingungen bei, wie eine aktuelle investiga­ tive Recherche von Solidar wiederum gezeigt hat (www.solidar.ch/fair-toys).

antwortung wahrnehmen und dafür sorgen muss, dass nicht für billige Preise Arbeitsrechtsverletzungen in Kauf genommen werden (siehe Seite 9). Sei es der Multi Nestlé, der in der Kampagne «Fair Trade – what Verbesserungen für Arbeitende else» mit einem ClooneySpot aufgefor­dert wurde, kommen meist nur durch für Nespresso Fairtradeäusseren Druck zustande. Kaffee zu verwenden – mit dem Erfolg, dass das Unternehmen zwei Jahre später zehn Verbesserungen für die ArbeiterInnen Prozent des Nespresso-Kaffees auf Fair­ kommen meist nur durch äusseren Druck zustande. Sei es durch Regierungsenttrade umstellte. Oder die Schweizer Pfannenproduzenten: scheide wie eine Anhebung des MinIm Januar warf Solidar ein Schlaglicht destlohns in China, der jedoch weiterhin auf die bisher wenig beachtete Herstel- nicht existenzsichernd ist – oder durch lung von Küchengeräten und löste Be- Kampagnen von NGOs wie Solidar, um wegung in der Branche aus. Mehrere Reputationsschäden und damit verbunProduktionsfirmen, die sich Nachhaltig- dene Gewinneinbussen zu vermeiden. keit auf die Fahne geschrieben haben, nahmen Kontakt zu den chinesischen Simone Wasmann ist Kampagnen­ Zulieferfabriken auf, besprachen die verantwortliche Faire Arbeit in Asien Vorwürfe und führten spezifische Kon­ bei Solidar Suisse.


THEMA 9 Ittigen beweist: Auch kleine Gemeinden können nachhaltig beschaffen.

GEMEINDEN KONSUMIEREN FAIR Auch die öffentliche Hand steht in der Verantwortung, nachhaltig zu konsumieren. Solidar setzt bei den Gemeinden an. Text: Katja Schurter, Foto: FotoTrenz

Das Gemeinderating von Solidar Suisse hat Ende August 2016 zum dritten Mal untersucht, ob Schweizer Gemeinden ihre globale Verantwortung wahrnehmen, indem sie sozial nachhaltig einkaufen und Projekte der Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern unterstützen. Dabei geht es um viel: Gemeinden beziehen jährlich Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 16 Milliarden Franken. Manche dieser Produkte, vom Randstein über Textilien bis zum Kaffee der Gemeindeverwaltung, stammen aus dem Ausland und werden nicht selten unter menschenunwürdigen Bedingungen her­ gestellt. Positive Entwicklung Das diesjährige Rating zeitigt erfreuliche Resultate: Immer mehr der 88 beteiligten Schweizer Gemeinden beweisen Solidarität. Erreichten beim ersten Rating vor fünf Jahren noch drei und beim Rating 2013 acht Gemeinden die Höchstzahl von fünf Globen, verbuchen nun bereits zwölf ein Spitzenresultat: Genf, Carouge, Lausanne

Zürich, Ittigen, Bern, Nyon, Yverdon-lesBains, Moutier, Riehen, Bülach und Vevey. Etwa drei Viertel der erneut untersuchten Gemeinden haben sich verbessert oder mindestens gleich abgeschnitten wie im Jahr 2013. Es gibt aber auch zehn Gemeinden, die nur einen Globus erhalten – zum Teil zum dritten Mal in Folge. Was können Gemeinden tun? Solidar möchte die Gemeinden nicht nur bewerten, sondern sie vor allem auch beim nachhaltigen Einkauf unterstützen. Wichtig ist, dass eine Gemeinde sich öffentlich zu einer sozial nachhaltigen Beschaffung bekennt und damit ein Zeichen an Unternehmen aussendet, dass es sich lohnt, in nachhaltige Produktionsweisen zu investieren. Dass faire Beschaffung auch in kleineren Gemeinden möglich ist, zeigt das Beispiel Ittigen: Die Gemeinde mit 11 500 EinwohnerInnen hat eine Weisung erlassen, um sicherzustellen, dass Produkte gekauft werden, die ökologischen und sozialen Kriterien genügen. Sie wurde im Rating mit der

Höchstzahl von fünf Globen ausgezeichnet, sehr zur Freude von Gemeindepräsident Marco Rupp: «Der schonende Umgang mit natürlichen und sozialverträg­ lichen Ressourcen ist Ittigen seit Jahren ein Anliegen. Die Auszeichnung bestärkt uns in diesem Bestreben.» Für viele Produkte gibt es anerkannte Labels. Wo es keine Zertifikate gibt, kann eine Selbstdeklaration verlangt werden, die bestätigt, dass zumindest die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und möglichst darüber hinausgehende soziale Mindestnormen wie ein existenzsichernder Lohn, Arbeitssicherheit und eine geregelte Arbeits­ beziehung eingehalten werden. Für Letzteres fehlt bis anhin eine klare Gesetzesgrundlage. Deshalb engagiert sich Solidar Suisse auch für die konkrete Verankerung von Nachhaltigkeit in der laufenden Gesetzesrevision. Bei IT-Hardware, wo soziale Nachhaltigkeit speziell schwierig zu garantieren ist, bietet das Beschaffungsnetzwerk Pair aus der Romandie Unterstützung (www.pair.ch). Auch für kleine Gemeinden möglich Gerade für kleinere Gemeinden ist es nicht einfach, sich das nötige Know-how anzueignen. Für sie kann die gemeinsame Organisation der Beschaffung über eine regionale Beschaffungsstelle eine Lösung sein. Dies vereinfacht die Kontrolle der Produktionsbedingungen der eingekauften Waren und führt zu tieferen Preisen. Städte wie Zürich und Bern, die umfassende Richtlinien zu nachhaltiger Beschaffung erarbeitet haben, stellen ihre Erfahrung und ihren Service auch gerne anderen Gemeinden zur Verfügung. Solidar vermittelt Kontakte – und wird im nächsten Rating die Bemühungen der Gemeinden wiederum bewerten.

Katja Schurter ist verantwortliche Redaktorin der Solidarität.


10 FAIRE ARBEIT GLOBALISIEREN

Stationen in der Lieferkette eines T-Shirts: Baumwollernte in Burkina Faso, Näherei in einer vietnamesischen Textilfabrik, Verkauf in einer Schweizer Boutique.

Globale Lieferketten prägen den globalisierten Handel. Sie sind intransparent und führen zur Ausbeutung von Arbeite­rInnen. Um dies zu verändern, braucht es verbindliche Regeln. Text: Lionel Frei, Grafik: Cornel Alt, Fotos: CIFOR/Olivier Girard, ILO/Aaron Santos, zVg Die Globalisierung steckt in den meisten Gegenständen unseres Lebens. Ihr T-Shirt wurde vielleicht in den USA entworfen, die Baumwolle in Burkina Faso angebaut, in Bangladesh zu Stoff verwoben und in Vietnam genäht. Dann wurde es von einem chinesischen Frachtschiff rund um den Globus transportiert, um in einer Boutique in einer Schweizer Stadt über den Ladentisch zu gehen. Die Globalisierung von Handels- und Produktionsprozessen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark beschleunigt: Laut Weltbank macht der Handel heute weltweit durchschnittlich fast 60 Prozent des Bruttoinlandprodukts der einzelnen Länder aus. 1990 waren es erst 40 und kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nur gerade 25 Prozent. Vom Rohstoff bis zum fertigen Produkt sind an einer Liefer­kette Dutzende, manchmal Hunderte Tochtergesellschaften, Lieferfirmen und Sub­ unternehmen beteiligt. Nebenstehende Grafik illustriert eine solche globale Lieferkette am Beispiel von Spielsachen.

Effiziente Produktion – schlechte Arbeitsbedingungen Diese globalen Lieferketten erweisen sich als effizient für die Produktion billiger Güter, doch die Arbeitsbedingungen sind häufig problematisch. Solidar-Recherchen zeigen, dass Arbeitsrechtsverletzungen in chinesischen Fabriken, die Pfannen oder Spielzeug produzieren, an der Tages­ ordnung sind. Dieser Befund wird von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in ihrem diesen Frühling erschienenen Report «Global Supply Chains» be­ stätigt – er stellt exzessive Überstunden, Hungerlöhne, gesundheitsgefährdende Arbeitsplätze etc. fest. Dabei profitieren die ArbeiterInnen kaum von der Nach­ frage nach den Produkten, die sie unter teils erbärmlichen Bedingungen herstellen: Die Arbeitskosten eines in Asien produzierten T-Shirts betragen lediglich etwa 20 Rappen, unabhängig vom Verkaufspreis. Die Folge sind Löhne, die trotz geringer Lebenshaltungskosten nicht ausreichen, um die Existenz zu sichern.

Freiwillige Standards nützen wenig Die Situation ist hinreichend bekannt. Die Frage ist, wie sie verbessert werden kann. Dabei stehen die Unternehmen in der Pflicht. Doch was ist von freiwilligen Initiativen zur Einhaltung von sozialen und Umweltnormen zu halten? Nötig, aber nicht genug? Oder rundweg verlogen, soziales Marketing, Imageschwindel? Alain Supiot, Professor für Sozialpolitik und Globalisierung am Collège de France in Paris, kritisiert den Stellenwert der freiwilligen Unternehmensinitiativen: «Unternehmensverantwortung soll die fehlenden Wettbewerbsregeln (…) auf internatio­ naler Ebene ersetzen. Die Grosskonzerne sind aufgefordert, sich als Ministaaten zu organisieren, die andere Anliegen als die Bereicherung ihrer AktionärInnen verfolgen. Die Bedeutung solcher Initiativen ist nicht zu unterschätzen. Mangels klarer Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten sind sie jedoch nicht verbindlich.» Eine aktuelle Studie bei 1299 Grosskonzernen bestätigt diese Analyse. Mehr als


KOLUMNE

THEMA 11

zwei Drittel der Unternehmen wenden keinerlei soziale Standards an, und nur drei Prozent tun dies über die gesamte Lieferkette. Die Situation in der Schweiz ist kaum besser: Nur elf Prozent der 200 Grossunternehmen nehmen ihre Verantwortung für die Einhaltung der Menschenrechte ernst. Es braucht eine rechtliche Verpflichtung Ergänzend zu freiwilligen Unternehmens­ initiativen wurden verschiedene inter­ nationale Instrumente entwickelt, die ­Konzerne dazu verpflichten wollen, die

Arbeits- und Menschenrechte einzuhalten. So die breit abgestützten UNO-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte von 2011 oder die OECD-Leit­ sätze für multinationale Unternehmen. Auch die ILO hat dieses Jahr beschlossen, eine Konvention für verbindliche ­Regeln zum Schutz der Beschäftigten in globalen Lieferketten zu prüfen. Die bis anhin bestehenden internatio­ nalen Instrumente sind jedoch allesamt nicht verbindlich. Damit sie wirklich angewendet werden, braucht es eine Implementierung auf nationaler Ebene. Doch hier zögert die Schweiz: Ein Aktionsplan zur Umsetzung der UNO-Leitprinzipien steht nach wie vor aus. Deshalb wurde am 10. Oktober 2016 die Konzern­verant­ wortungsinitia­tive eingereicht (siehe Seite 12). Sie verlangt gesetzliche Regeln, damit Schweizer Unter­nehmen bei ihren Aktivitäten im Aus­ land die Menschenrechte und die Umweltstandards einhalten müssen. Ein Meilenstein, um endlich soziale Gerechtigkeit in die wirtschaft­ lichen Rahmenbedingungen der Globa­ lisierung einzubringen.

Lionel Frei ist für die Kommunikation von Solidar Suisse in der Romandie zuständig.

Spielzeug-Lieferkette

Rohmaterial

Spielzeugfabrik

Textilien Holz Metall Plastik Chemikalien Verpackung

Zulieferer

Markenhersteller

Spielzeugfabrik

Komponentenlieferant

Spielzeug-Grossist

OnlineSpielzeugverkauf

Spielzeugverkauf Detailhandel

EndkonsumentIn

An der WM sollen Strassenhändle­ rInnen ihre Waren rund um die Stadien nicht verkaufen dürfen.

Hans-Jürg Fehr Präsident Solidar Suisse

Von frei zu fair Freihandel ist seit Jahrzehnten ein wirtschaftspolitisch ganz hoch gehängtes Credo. Er steuert mit dem TTIP-Abkommen zwischen der EU und den USA auf einen neuen Höhepunkt zu – wenn die Verhandlungen nicht scheitern. Dass sie scheitern könnten, ist bemerkenswert und zeugt vom angekratzten Lack am neoliberalen Glaubenssatz. Das ist gut so, denn die Mängel eines Handels, der nur der Unternehmensfreiheit verpflichtet ist, treten immer deutlicher zutage: Freihandel garantiert nicht Wohlstand für alle, sondern geht mit einer extremen Ausbeutung von Arbeitskräften einher. Freihandel schützt nicht die Umwelt, sondern führt oft zu ihrer Zerstörung. Freihandel bedeutet Machtzuwachs für die multinationalen Konzerne zulasten demokratischer Staaten. Nun ist die richtige Alternative zum Freihandel aber nicht kein Handel, sondern anderer Handel, nämlich Fairhandel. Mit politischen Vorgaben muss der freie Handel von seinen Nachteilen befreit werden. Diese Vorgaben betreffen die Arbeitsbedingungen und Löhne der Beschäftigten in der Produktion und im Transportwesen. Nur so trägt der Handel zur Beseitigung von Armut bei. Sie betreffen den Umweltschutz, damit der Handel die Natur schützt statt zerstört. Und sie betreffen die Unterstellung der Multis unter inter­ natio­ nales Recht (zum Beispiel das Steuerrecht), damit die Demokratie in den Nationalstaaten nicht ausgehebelt wird. Der Handel ist zu wichtig, als dass man ihn dem Kapital überlassen darf.


12 NOTIZEN Neue Projekte in Kambodscha

Zürich: Solidar-Film Im Rahmen des Human Rights Film-Festivals in Zürich zeigt Solidar Suisse den Film «Behemoth». Behemoth ist ein mythologisches Ungeheuer aus dem alten Testament und steht sinnbildlich für die unsichtbare Hand, die in China die Erde und ihre BewohnerInnen ausbeutet. Im Film reist der chinesische Filmemacher Zhao Liang durch die innere Mongolei und legt Zeugnis ab von der tief greifenden Transformation von Landschaften und von Menschen, die mit kohlegeschwärzten Gesichtern ihrer täglichen Arbeit nachgehen. Grüne Steppen mit Schafen, Pferden und Nomaden kontrastieren mit schwarzen Kratern und Fabrikschloten. Der Protest von erkrankten ArbeiterInnen vor einem Regierungsgebäude bleibt ohne Widerhall. Am Ende seiner Reise erreicht Liang Ordos, eine Geisterstadt, die aus den Strapazen der ArbeiterInnen erwachsen ist, aber in der niemand zu wohnen scheint. «Behemoth» läuft am 9. Dezember 2016 um 18 Uhr im Kino Riffraff. Im Anschluss gibt es eine Diskussion mit Zoltan Doka, Leiter des Solidar-Programms für China.

Solidar Suisse erweitert den Einsatz für faire Arbeit in Asien: Zusätzlich zum ­Engagement in China und der Unter­ stützung regionaler Netzwerke lancieren wir gemeinsam mit NGOs und Gewerkschaften neue Projekte in Kambodscha. Dabei stehen zwei Themen im Fokus: In Zusammenarbeit mit dem Cambodian Women Crisis Center werden an der thailändisch-kambodschanischen Grenze Beratungsstellen für ArbeitsmigrantInnen eröffnet. Dort werden MigrantInnen unterstützt, die aus Thailand zurückkehren, wo sie in der Gastronomie, auf Plantagen, in der Fischerei oder als Hausangestellte tätig waren. Oft werden ihnen die Papiere abgenommen und die Löhne nicht bezahlt. Oder sie werden von sogenannten ArbeitsvermittlerInnen mit falschen Versprechungen nach Thailand gelockt.

Moçambique: Hilfe für Dürre-Betroffene Das Klimaphänomen El Niño hat diesen Sommer in weiten Teilen des südlichen Afrikas zu Dürre und Hunger geführt. Stark betroffen ist auch Moçambique. Mehr als 150 000 Personen im SolidarProjektgebiet in den Provinzen Tete und Manica sind von Hunger betroffen. So die 65-jährige Fanita Taimu, die sich um vier Enkelkinder kümmert, deren Eltern gestorben sind: «Unsere ganze Gemeinde

Konzernverantwortungs­ initiative eingereicht

Foto: Martin Bichsel

Am 10. Oktober 2016 wurde die Kon­ zern­­verantwortungsinitiative mit 120  000 Unterschriften der Bundeskanzlei übergeben. Die Initiative fordert, dass Firmen den Schutz von Menschenrechten und der Umwelt verbindlich in sämtliche Geschäftsabläufe einbauen. Kommt ein Konzern seiner Sorgfaltsprüfungspflicht nicht nach, soll er auch für allfällige Schäden haften, die seine Tochterfirmen im Ausland verursacht haben.

Das zweite Thema ist die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von TextilarbeiterInnen – 89 Prozent von ihnen Frauen. Sie werden über ihre Rechte aufgeklärt und dabei unterstützt, sich zu organi­ sieren. Die Schweiz importiert für über 90 Millionen Franken pro Jahr Textilien aus Kambodscha. Solidar Suisse will ­einen Beitrag leisten, damit diese fair hergestellt werden.

ist von einer Hungersnot bedroht. Ich hatte einen Gemüsegarten, aber der Bach ist ausgetrocknet und das Gemüse kann nicht wachsen. Ausserdem sind die Getreidevorräte aufgebraucht. Ich weiss noch nicht, wie unsere Enkel die nächsten Monate überstehen sollen», erzählt sie. Solidar Suisse versorgt die Menschen mit Nahrungsmitteln, um ihr Überleben bis zur nächsten Ernte im Frühling 2017 sicherzustellen. www.solidar.ch/duerre

Über 100 Personen zogen zur Bundesterrasse, um der feierlichen Übergabe bei­­zuwohnen. Eine Koalition von 80 NGOs, unter ihnen Solidar Suisse, haben die Unterschriften dafür gesammelt. Die Abstimmung wird voraussichtlich frühestens Ende 2018 stattfinden. Die InitiantInnen feierten ihren Erfolg am Abend mit einem Fest, an dem unter ­anderem Markus Mugglin sein Buch «Konzerne unter Beobachtung» vorstellte (siehe Seite 15).


STANDPUNKT 13

LABEL IST NICHT GLEICH LABEL Um sicher zu sein, dass unser Konsum Menschen und Umwelt nicht schadet, brauchen wir eine Orientierungshilfe. Zum Beispiel Labels. Allerdings ist ihre Vielzahl eher verwirrend als erhellend. Text: Felix Meier, Geschäftsleiter Pusch

Erhalten die PlantagenarbeiterInnen für meine Bananen einen fairen Lohn? Stammt der Fisch auf meinem Teller aus nachhaltigem Fischfang? Wurde für das Papier in meinem Drucker kein Regenwald gerodet? Immer mehr Menschen wollen ihre Konsumentscheide nicht nur an den Preis, sondern auch an ökologische und soziale Kriterien knüpfen. Hier setzen Labels an. Doch die Auszeichnung mit einem Label allein garantiert noch kein ökologisches und faires Produkt. Das hängt davon ab, welche Krite­ rien ihm zugrunde liegen – und diese ­unterscheiden sich von Label zu Label erheblich. Unser Essen: Bio aber nicht fair? Dies zeigt sich am Beispiel der Lebensmittellabels, von denen es in der Schweiz mittlerweile über 60 gibt, Tendenz steigend. Wer sich für umweltschonende Produktionsformen einsetzen will, entscheidet sich meist für Bioprodukte. Doch Bio ist nicht gleich Bio. Grund­ voraussetzung für alle Biolabels ist die Einhaltung der Bioverordnung des Bundes. Eigenmarken des Detailhandels wie «Natur aktiv», «Spar Natur pur» oder «Globus organic» stützen sich meist auf diese Verordnung. Deutlich höhere ­Anforderungen hingegen erfüllen Labels

wie «Knospe Bio Suisse» oder «Coop die schlechten Arbeits- und Lebens­ Naturaplan», die auf der Richtlinie der bedingungen der Bauernfamilien zu ver­ Bio Suisse basieren. Bei Produkten mit bessern. «Max Havelaar» belohnt zudem den Labels «Migros Bio», «Natur plus» den biologischen Anbau mit einer Zuoder «Biotrend» wiederum gilt das nur für satzprämie. Die Rückverfolgbarkeit über Produkte aus der Schweiz. Nur wenige die gesamte Produktionskette impor­ Labels berück­ sichtigen auch soziale tierter Güter ist äusserst anspruchsvoll – Aspekte, sprich die Arbeitsbedingungen ­ einer der Gründe, weshalb die Palette der ProduzentInnen. Das gilt insbesonNur wenn die KonsumentInnen dere für Labels, die wissen, wofür Labels stehen, sich auf die Richtlibieten sie eine Orientierungshilfe. nie von Bio Suisse abstützen. Labels für regionale Produkte wie bei- an Fair­trade-Produkten noch vergleichs­ spielsweise «Suisse Garantie» lassen weise klein ist. Fisch und Meeresfrüchte hingegen nicht zwingend auf Umwelt- mit Fairtrade-Label beispielsweise sucht schutz oder bessere Arbeitsbedingungen man heute vergeblich. schliessen. Sie erfüllen vielmehr das ­Bedürfnis der KonsumentInnen, mit ih- Labels sind also eine Orientierungshilfe. rem Einkauf lokale Produktions- und Vorausgesetzt, die KonsumentInnen wisVermarktungsstrukturen zu stärken. sen, wofür sie stehen. Dazu braucht es eine transparente Kommunikation, unabFairtrade und transparente hängige Kontrollen und ein vernünftiges, Lieferkette auf dem Vier-Augen-Prinzip beruhendes Wieder anders liegt der Fokus bei Fair­ Zertifizierungssystem. Das senkt das trade-Labels wie «Max Havelaar». Sie ­Risiko von Missbräuchen, stärkt längerhelfen mit stabilen Handelsbeziehungen, fristig die Wirkung der etablierten Labels existenzsichernden Löhnen, einer Fair­ und reduziert die Verwirrung im Label­ trade-Prämie für Gemeinschaftsprojekte dschungel. sowie der Einhaltung grundlegender Anforderungen an den Umweltschutz Mehr dazu: www.labelinfo.ch ­


14 PINGPONG SOLIDAR-SUDOKU

Spielregeln

2 5

7

6

9

5 5

6

2

4 3

1= U, 2 = E, 3 = K, 4 = F, 5 = A, 6 = I, 7 = T, 8 = N, 9 = R Schicken Sie das Lösungswort an Solidar Suisse – mit einer Postkarte oder per E-Mail an: kontakt@solidar.ch, Betreff «Rätsel».

1 6

7 8

4

1 7

8

3 8

2 9

Füllen Sie die leeren Felder mit den Zahlen von 1 bis 9. Dabei darf jede Zahl in jeder Zeile, jeder Spalte und in jedem der neun 3x3Blöcke nur einmal vorkommen. Das Lösungswort ergibt sich aus den grauen Feldern waagrecht fortlaufend, nach folgendem Schlüssel:

9

1. Preis 2. Preis 3. Preis

Fairtrade-Kaffee aus Nicaragua Getrocknete Fairtrade-Mangos aus Burkina Faso Fairtrade-Reis aus Indien

Einsendeschluss ist der 9. Dezember 2016. Die Namen der GewinnerInnen werden in der Solidarität 1/2017 veröffentlicht. Über den Wettbewerb wird keine Korrespondenz geführt. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Von der Teilnahme ausgeschlossen sind Mitarbeitende von Solidar Suisse. Das Lösungswort des Rätsels in Solidarität 3/2016 lautete «Kooperation». Marie-Pierre Maystre aus Genf hat ein Vogelmagnet gewonnen, Elisabeth Röllin aus Bonaduz und Pierre-François Bach aus Nyon je ein Holzkistchen aus Nicaragua. Wir danken den Mitspielenden für die Teilnahme.

Lösungswort

NETZWERK In dieser Rubrik bieten wir unseren Netzwerken eine Plattform. Hier sind es Neuigkeiten aus den SAH-Regionalvereinen, die in der Schweiz Programme für Erwerbslose und MigrantInnen durchführen. Mit ihnen verbinden uns eine gemeinsame Geschichte und Trägerschaft.

Genf: Zum zweiten Mal erfolgreiche Französischkurse im Park Initiiert vom Integrationsbüro des Kantons Genf und durchgeführt vom SAH Genf, waren die Französischkurse im Park

­ ieses Jahr doppelt so gut besucht wie d beim ersten Mal. Durchschnittlich nahmen jeden Tag 230 Menschen teil, gegenüber 120 im Jahr 2015. Von Montag bis Donnerstag besuchten mehrheitlich AnfängerInnen die Französischkurse, die gratis und ohne Anmeldung durchgeführt werden. Diese waren jede Woche der konkreten Behandlung eines Alltags­ themas gewidmet: Budget, das Genfer Gesundheitswesen, Unterkunft, Kultur, Sport, Arbeitswelt, Ernährung etc. Zu ­jedem dieser Themen gab es eine er­ gänzende Informationsveranstaltung mit VertreterInnen von Behörden oder sozialen Organisationen. Dank eines professionellen Kinderhütediensts nahmen auch viele Eltern teil.

Rekordeinnahmen für Lauf gegen Rassismus Beim 15. Lauf gegen Rassismus auf der Zürcher Bäckeranlage gingen am 18. September 269 LäuferInnen an den Start. Der unter anderen vom SAH Zürich ­organisierte Benefizlauf hat dieses Jahr das Rekordergebnis von über 100 000 Franken eingebracht. Der Ertrag kommt vollumfänglich Projekten für die Integration und Rechtsberatung von MigrantInnen in Zürich zugute. www.laufgegenrassismus.ch


KULTURELL 15

dass sie auf Konfrontation umschalten, wenn sie nicht weiterkommen. Die Konzerne sind nun auch bereit, mit konfrontativen Organisationen zu sprechen.

MULTIS UNTER DRUCK Markus Mugglin analysiert in seinem Buch «Konzerne unter Beobachtung» den Kampf von NGOs gegen schädliche Geschäftspraktiken von Grossunternehmen. Interview: Katja Schurter, Foto: Alliance Sud/Daniel Rihs Katja Schurter: Seit Jahrzehnten engagieren sich Nichtregierungsorgani­ sationen (NGOs) gegen unethische Geschäftspraktiken der Konzerne. Was hat sich in dieser Auseinandersetzung in den letzten Jahren verändert? Markus Mugglin: Erstaunlich viel. Früher haben Einzelfälle Aufmerksamkeit erregt, wie die Bananenfrauen oder der NestléProzess. Inzwischen ist daraus eine breite Bewegung geworden. Nicht nur von NGOs, sondern es ist ein ganzer Beratungs- und Zertifizierungsbereich entstanden. Zwar müssen Unternehmen dank den NGOs zunehmend Einblick in ihre Lieferketten und damit die globalen Arbeitsbedingungen geben. Doch die Ausbeutung existiert nach wie vor. Die sozialen Gegensätze sind grösser denn je. Der neuerliche grosse Fabrik­ unfall in Bangladesh im September hat gezeigt, dass die Bedingungen in Billig-

lohnländern weiterhin schlecht sind. Aber die Aufmerksamkeit ist heute viel grösser. Es gibt ein internationales Netz von Kampagnen. Sie sind ein nicht mehr zu negierender Faktor. Ist die Arbeit von NGOs insgesamt erfolgreich? Sie sind professioneller und haben grösseres Fachwissen als in den 1980er und 1990er Jahren. Sie sind international vernetzt. Dass NGOs zum Beispiel mit Nestlé transparente Vereinbarungen treffen, nicht hinter den Kulissen, war bis vor ein paar Jahren undenkbar. Und das ist nur ein Beispiel unter sehr vielen Vereinbarungen. Als neu bezeichnen Sie, dass es neben Konfrontation auch Dialog gibt. Die beiden Strategien gehören jetzt zusammen und werden nicht mehr gegeneinander ausgespielt. NGOs suchen das Gespräch, aber es ist immer klar,

Die Grundlage für die Änderung ist die Verhandlungsbereitschaft. Wie kam diese zustande? Bei Unternehmen und Staaten oft aufgrund der Reputationsrisiken. Die Erfahrungen der Schweiz mit den Auseinander­ setzungen um das Bankgeheimnis, das die Banken mit etwa 6 Milliarden Franken relativ teuer zu stehen kam, hat sicher dazu beigetragen. Die NGOs haben gemerkt, dass sie global koordiniert mehr Druck aufsetzen können. Was trägt die Arbeit von Solidar Suisse dazu bei? Mit dem Gemeinderating konfrontiert Solidar die öffentliche Hand mit ihrer Verantwortung, nachhaltig zu beschaffen. Oder die Frage der globalen Arbeits­ bedingungen wird thematisiert wie zuletzt in der Produktion von Pfannen. Die Schweizer NGOs versuchen, die grossen Unternehmen mit der Konzernverantwortungsinitiative in die Pflicht zu nehmen. Was wäre die Folge, wenn sie angenommen würde? Es wäre eine wesentliche Veränderung. Das zeigt sich an der Reaktion der Wirtschaft, welche die Initiative als Kampf­ ansage kritisiert, und daran, wie schwer sich die Bundesverwaltung mit dem Thema Wirtschaft und Menschenrechte tut.

Lesung Am Dienstag, 13. Dezember 2016 um 12.30 Uhr stellt Markus Mugglin «Konzerne unter Beobachtung» in der Veranstaltungsreihe «Buch am Mittag» Felix in der Gnehm Universitätsbibliothek ist Leiter Internationale Bern vor. Programme bei Solidar Suisse.


16 NOTIZEN Bolivien: Berufsperspektiven für Jugendliche

Libanon: Kälte bedroht die Flüchtlinge

Im Juli 2016 haben Solidar Suisse und Brücke · Le Pont, die beiden Schweizer Hilfswerke, die sich weltweit für faire Arbeit einsetzen, ein gemeinsames Projekt gestartet. Damit sollen Jugendliche im bolivianischen Viacha, einer Stadt mit 80 000 EinwohnerInnen im Departement La Paz, bessere berufliche Perspektiven erhalten. Die Jugendlichen können Praktika in der Wirtschaft oder in öffentlichen Institutionen absolvieren und erhalten Weiterbildung, z. B. im Erstellen von Bewerbungsdossiers. An einem Runden Tisch kommen Stadtverwaltung, Gewerkschaften, Jugend- und Nachbarschaftsorganisationen zusammen, um Strategien zur Arbeitsmarktintegration zu diskutieren. Bis 2018 sollen 200 Jugendliche und junge Erwachsene eine formale ­Arbeit finden oder ein Start-up als Klein­ unternehmerInnen lancieren. Nach zwei Jahren werten Solidar und Brücke · Le Pont die Ergebnisse aus und entscheiden über eine mögliche Verlängerung des Engagements in Viacha.

Bereits beginnt im Libanon wieder die Wintersaison mit eisigen Winden, heftigem Regen und Schnee. Die syrischen Flüchtlinge müssen in ihren häufig ungeheizten und schlecht isolierten Unterkünften gegen die Kälte oder sogar ums Überleben kämpfen. Sana und Amin Abadi und ihre fünf Kinder haben den letzten Winter in Nabatiyeh dank Unterstützung von Solidar Suisse überstanden, fürchten sich jedoch vor den drohenden harschen Bedingungen: «Als wir im Libanon ankamen, war unsere Priorität, dass unsere Kinder die Schule nicht verpassen. Heute geht es darum, dass sie gesund und am Leben bleiben», sagt Sana Abadi, und ihr Mann ergänzt: «Wir verliessen Syrien, weil unser Haus im Krieg zerstört wurde und wir an einen sicheren Ort gehen wollten, um unsere Kinder zu schützen. Doch ­heute haben wir Angst vor dem Winter, nachdem wir frühere Winterstürme erlebt haben. Wir sahen Erwachsene und Kinder sterben, weil sie nicht ein Minimum an Schutz und Wärme hatten.» Solidar unterstützt die syrischen Flüchtlinge, damit sie sich mit Isolationsmaterial, Öfen und Heizmaterial vor der Winter­ kälte schützen können. www.solidar.ch/winterhilfe

Lesereise mit Malaika Wa Azania Ende September hat Malaika Wa Azania an einer von Solidar Suisse und dem Rotpunktverlag organisierten Lesereise ihr Buch «Born Free – Mein Leben im Südafrika nach der Apartheid» vorgestellt. Die 1991 in Soweto geborene Malaika Wa Azania gehört zur jungen ­ Generation, die nach Ende der Apartheid aufgewachsen ist. Wa Azania las aus ­ihrem Buch und erzählte vom Zustand der «Regenbogennation» 22 Jahre nach

El Salvador: Buchvernissage gegen Gewalt Am 31. August 2016 fand in Chalatenango die Buchvernissage von «Hijas de la rebeldia y sus huellas – Töchter des Aufstands und ihre Spuren» statt (zum Buch siehe Artikel in Solidarität 1/2016). Darin erzählen Frauen Geschichten von Frauen, die sich vom Bürgerkrieg in den 1980er Jahren bis heute trotz widriger Umstände für gesellschaftliche Verän­ derungen engagierten und sich gegen Gewalt zur Wehr setzten. Dies bleibt ­ wichtig in einem Land, in dem täglich 19 Menschen ermordet werden – mehr als während der Zeiten des Bürgerkriegs. Vor vollem Haus erklärten die Autorinnen, dass sie ihre Erlebnisse, von denen vor einigen Jahren noch niemand etwas wissen wollte, veröffentlichten, um zu Veränderungen zu inspirieren – für eine Gesellschaft ohne Gewalt gegen Frauen. www.solidar.ch/news

den ersten demokratischen Wahlen und von ihren Erlebnissen als junge schwarze Frau aus einer Township – zum Beispiel, wie es sich anfühlt, einen Raum zu be­ treten, der vormals Weissen vorbehalten war. Solidar Suisse stellte das Engagement für lokale Organisationen in Süd­ afrika vor, die sich für die Rechte von Beschäftigten und gegen Rassismus ­ einsetzen. Die gut besuchte Lesereise führte nach St. Gallen, Frauenfeld, Bern, Winterthur und Zürich. www.solidar.ch/news


AKTUELL 17 Fischer einer Kooperative, die von Solidar unterstützt wird, bringen ihre Netze an Land.

WANN IST ES ZEIT FÜR DEN AUSSTIEG? Ein Besuch in Sri Lanka lässt darauf vertrauen, dass die Arbeit von Solidar Suisse nach unserem Ausstieg weitergeführt wird. Text: Esther Maurer, Foto: Hamish John Appleby Solidar Suisse hat sich nach dem verheerenden Tsunami von 2004 über zehn Jahre lang in Sri Lanka engagiert, anfangs mit Nothilfe, dann immer mehr auch mit Unterstützung zur Existenzsicherung der notleidenden Bevölkerung im Norden während und nach dem Ende des Bürgerkriegs. Und nun ziehen wir uns zurück aus einem Land, das aufgrund seines Bruttoinlandprodukts inzwischen zu den Ländern mit mittlerem Einkommen gehört, in dem jedoch der Unterschied zwischen dem wirtschaftlich stark entwickelten ­Sü­den mit seinem hohen touristischen Potenzial und dem sehr armen Norden kaum grösser sein könnte. Es erstaunt wenig, dass diese enorme soziale Ungleichheit identisch ist mit der ethnischen Aufteilung des Landes in SingalesInnen und TamilInnen. Der Bürgerkrieg hat im Norden jahrelang jede Hoffnung auf Stabilität und Aufschwung zerstört, und die Kriegsfolgen sind bis heute spürbar. Ganze Dörfer wurden zerstört, Menschen zwangsmässig umgesiedelt, Landwirtschaftsland vermint – und Hundertausende mussten als Flüchtlinge ihr Land verlassen.

Von meiner Reise zurückgekehrt, fiel mir im Bus auf, wie gross die tamilische Bevölkerung in Zürich ist und wie selbstverständlich sie inzwischen zu unserem Alltag gehört: Die TamilInnen leben neben uns – und doch kennen die meisten SchweizerInnen sie und ihre Kultur kaum. Herausfordernder Wiederaufbau Wie aber leben jene TamilInnen, die ihr Land nie verlassen haben oder die in­ zwischen aus Indien oder aus Europa zurückgekehrt sind? Wir haben bei unserem Besuch neu aufgebaute Dörfer angetroffen, in denen sich Dorfgemeinschaften wieder zusammengefunden haben, die bereits vor dem Krieg gemeinsam dort gelebt hatten. Mit grossem Engagement bauen sich diese Menschen wieder eine Existenz auf – teilweise zum zweiten Mal in Folge, weil sie bereits nach dem Tsunami von Null auf beginnen mussten. Solidar Suisse hat sie unterstützt, wo sie es brauchten: Zum Beispiel beim Entminen des Ackerlandes, mit dem Bau von Brunnen oder einem Beitrag für den Kauf von Ziegen, von Nähmaschinen

oder für den Aufbau eines Dorfladens. Fischergemeinschaften konnten neue Boote kaufen und eine Trocknungs­ anlage bauen, um Trockenfisch zu pro­ duzieren, und es entstand ein kleiner ­Produktionsbetrieb, der aus Fasern von Palmrinden Besen und Bürsten herstellt. Wie weiter nach dem Ausstieg? Allerdings: Wir sind weit davon entfernt, alle Probleme gelöst zu haben. Gerade im Norden Sri Lankas hätte die Weiterführung des Solidar-Engagements durch­ aus Sinn ergeben. Die Förderung von fairer Arbeit zur Existenzsicherung, unsere Kernkompetenz, hätte weiter viel bewirken können: existenzsichernde Kleinunternehmen, faire Löhne für ArbeiterInnen, Sozial- und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, Kampf gegen Ausbeutung und Kinderarbeit – um nur einige Dringlichkeiten zu nennen. Gerade für die arme Bevölkerung im Norden wäre die Unterstützung der Existenz­ sicherung noch während einiger Jahre wertvoll gewesen. Doch unser Fonds für Sri Lanka war leer, und es gelang nicht, die notwendigen Gelder für ein sinnvolles Programm aufzutreiben. Ich bedaure das sehr – und bin dennoch zuversichtlich: Ich habe auf meiner Reise lokale und ­regionale Volksvertreter kennen­gelernt, deren ehrliches Engagement mir das Vertrauen gab, dass eine Dynamik in Gang gesetzt worden ist, die auch ohne Solidar Suisse weitergeht. In einer sehr armen Region kommt wohl kaum je der Zeitpunkt, in dem der Ausstieg richtig oder sinnvoll scheint – aber es gibt zum Glück den Moment, in dem wir uns zurückziehen dürfen im berechtigten Vertrauen auf die Kraft der Menschen. Esther Maurer ist die Direktorin von Solidar Suisse.


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AN DAS POTENZIAL DER KINDER GLAUBEN Valerie Khan setzt sich für die Rechte von Kindern in Pakistan ein – und hilft ihnen, sich Gehör zu verschaffen. Text und Foto: Katja Schurter


EINBLICK 19

Valerie Khan liebt an ihrer Arbeit, dass sie von den Kindern lernen kann.

«Die zehnjährige Jamila Khaliq sagte zum Justizminister, sie habe gelernt, dass man Versprechen halten müsse. Warum er sein Versprechen nicht halte, Kinder vor Arbeit und Ausbeutung zu schützen?» Valerie Khans Augen funkeln, als sie von der mutigen Kinderarbeiterin erzählt. Seit März 2016 verbietet nun das Strafgesetz Pakistans sexuelle Ausbeutung, Kinderhandel und Körperstrafen.

(GD), die sich in Pakistan gegen Kinderarbeit einsetzt, zum Beispiel mit Bildungszentren für arbeitende Kinder in einem Slum von Lahore. Die Schulen sind auf die Bedürfnisse von arbeitenden Kindern zugeschnitten. Denn diese stammen aus sehr armen Familien, die dringend auf ihr Einkommen angewiesen sind. Die Schulzeiten ermöglichen es den Kindern, einer Arbeit nachzugehen, sie lernen, was ihre Rechte sind und wie sie sich vor Gewalt schützen können, der sie am Arbeitsplatz und in der Familie häufig ausgesetzt sind. Gleichzeitig werden Eltern und Arbeit­ geberInnen für die Wichtigkeit des Schulbesuchs sensibilisiert. Denn viele arbeitende Kinder sind noch nie zur Schule gegangen oder haben diese bald wieder verlassen. Seit 2014 haben 500 Kinder die Zentren besucht und 100 von ihnen gehen inzwischen in die öffentliche Schule. Doch auch dort werden sie häufig geschlagen. «Die LehrerInnen glauben nicht an das Potenzial der Kinder. Statt ihnen die Möglichkeit zur Entwicklung zu geben, herrschen Zwang und Gewalt», meint Valerie Khan. Um dies zu ändern, arbeitet GD mit der Regierung zusammen und regt methodische Änderungen an. «Wir packen sie bei ihren eigenen Erfahrungen: Wie haben sie sich gefühlt in der Schule? Was waren ihre besten und ihre schlimmsten Erfahrungen? So können sie sich vorstellen, worum es geht.» Die arbeitenden Kinder sollen in die Regelschule integriert werden. Auch wenn sie nicht mit Arbeiten aufhören, verbringen sie so mehr Zeit in der Schule.

Kinder bringen sich ein Valerie Khan lebt seit 20 Jahren in Pakistan. «Die Liebe und mein Interesse für Asien hat mich hierher geführt», erzählt die 43-jährige Französin. «Mein pakistanischer Mann und ich haben uns bereits in Frankreich politisch engagiert. Ich wollte Schulbesuch für arbeitende Kinder weg von Frankreich, und er wollte nach Solche Momente sind Höhepunkte in Pakistan zurück. Und auch wenn viele ­Valerie Khans langjährigem Engagement das nicht wissen, hat Pakistan eine sehr für die Rechte von Frauen und Kindern. aktive Zivilgesellschaft.» Sie ist Geschäftsleiterin der Solidar-­ Der ehemaligen Lehrerin ist die BeteiliPartnerorganisation Group Development gung der Kinder ein grosses Anliegen.

«Wenn sie – sogar gegenüber Medien und Ministern – formulieren können, wie sich ihre Situation verändern sollte, zeigt dies die Wirksamkeit unserer Arbeit. Und es ist die effektivste Verbreitung der Botschaft, dass Kinder Rechte haben», meint die Mutter von vier Kindern. Denn aktuell ist in Pakistan weder der Schutz der Kinder vor Gewalt noch ihr Recht auf Entwicklung gewährleistet, obwohl die Kinderrechtskonvention bereits im Jahr 1990 ratifiziert wurde. Unterstützung für die Eltern «Für grundlegende Veränderungen muss sich die ökonomische Situation der Eltern verbessern», ist Valerie Khan überzeugt. Wenn Eltern für den Lebensunterhalt ­ihrer Familie aufkommen können, schicken sie die Kinder eher zur Schule, statt sie arbeiten zu lassen. Deshalb werden sie bei der Entwicklung von Business­ plänen für den Aufbau ihrer Kleingeschäfte unterstützt. Valerie Khan erinnert sich an Saba Arif, eine junge Mutter, die ihre arbeitenden Kinder das informelle Bildungszentrum besuchen liess, selbst eine Weiterbildung absolvierte und in ­ihrem Haus einen Kosmetiksalon eröffnete. «Nun schickt sie ihre Töchter und Söhne in die öffentliche Schule und sensibilisiert andere Väter und Mütter», freut sich Khan. Es kommt vor, dass eine Mutter zum Arbeitgeber geht und ihm sagt, er solle aufhören, ihr Kind zu schlagen. Oder dass ein Arbeitgeber die Arbeitszeit der Kinder reduziert, damit sie zur Schule gehen können. Oder dass eine Kinder­ arbeiterin einen Minister mit seinen nicht eingehaltenen Versprechen konfrontiert.

Ihre Spende wirkt Mit Ihrem Beitrag von 50 Franken erhalten fünf Kinder Schulbücher und Schreibmaterialien für ein Schuljahr. Für 80 Franken kann die Mutter oder der Vater eines arbeitenden Kindes ausgebildet werden, um ein Klein­ geschäft aufzubauen.


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SCHENKEN SIE EINEN FAIREN TEDDYBÄR Schenken Sie diese Karte zu Weihnachten, damit die ArbeiterInnen in Spielzeugfabriken unter menschenwürdigen Bedingungen und zu fairen Löhnen den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien verdienen können. WÄHLEN SIE IHR LIEBLINGSSUJET:

So einfach funktioniert es: • Bestellen Sie die neuen Solidar-Geschenkkarten im Wert von je 50 Franken mit dem beiliegenden Antworttalon oder online unter: www.solidar.ch/geschenk • Sie erhalten umgehend die bestellte Anzahl Karten und einen Einzahlungsschein. • Darauf können Sie Ihren Namen und denjenigen der beschenkten Person in die Karte eintragen.

www.solidar.ch/fair-toys Mit jeder Karte unterstützen Sie die weltweiten Entwicklungsprogramme von Solidar Suisse zugunsten benachteiligter Menschen.

Wir garantieren Ihnen die Lieferung vor Weihnachten für alle Bestellungen, die bis zum 22. Dezember 2016 bei uns eintreffen. Bei Fragen kontaktieren Sie uns bitte unter 044 444 19 19 oder kontakt@solidar.ch


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