Bildung im Kapitalismus

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Lehrinhalte

Einleitung Gemäß der PISA-Studie von 2006 besuchen 88 Prozent der 15-jährigen in Deutschland eine Schule, „an der Wirtschaft und Industrie Einfluss auf die Lehrinhalte nehmen“. Bis zum Jahr 2012 wurden in Deutschland insgesamt 900 000 kostenlose Lehrmaterialen von der so genannten Privatwirtschaft herausgegeben. Fakt ist: Arbeitgeberverbände, Konzerne und diverse Stiftungen versuchen in den letzten Jahren immer stärker, die Lehrinhalte in allgemeinbildenden Schulen zu beeinflussen. Das geht von Fortbildungsangeboten für LehrerInnen über kostenlose Lehrmaterialien von der EZB bis hin zu offener Werbung an Schulen. Deshalb haben wir uns ein paar Fragen gestellt: Was steckt hinter diesen Versuchen, die Lehrinhalte zu beeinflussen? Wer profitiert eigentlich davon und welche Veränderungen stehen uns noch bevor? Werden die Interessen der Bevölkerung und der Jugend in unseren Lehrinhalten überhaupt berücksichtigt? Außerdem stellen wir die Frage, welche Rolle Bildung im Kapitalismus überhaupt spielt und wie Alternativen zu diesem Bildungssystem aussehen können. Im ersten Abschnitt beschäftigen wir uns mit aktuellen Unterrichtsmaterialien und fragen uns, warum Banken und Konzerne mehr Einfluss auf unsere Lehrinhalte erhalten. Der zweite Abschnitt befasst sich mit der Frage, welchen Zweck Bildung im Kapitalismus hat. Was für ein Bildungssystem wir erkämpfen wollen, darum geht es im dritten Abschnitt.

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V.i.S.d.P.: Paul Rodermund, Hoffnungstr.18 Essen


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Banken und Konzerne an Schulen?! Bahlsen, Coca-Cola oder die EZB finanzieren Unterrichtsmaterialien. Die Allianz bietet ein Planspiel an Schulen an, das unternehmerisches Denken fördern soll. Unter dem Deckmantel der umfassenden Bildung werden Jugendoffiziere eingeladen und das Planspiel der Bundeswehr gespielt. Mittlerweile gibt es Kommunikationsagenturen, die sich auf SchülerInnen spezialisiert haben und Kunden anbieten, spezielle Werbung zu entwickeln. Mit Neutralität hat das wenig zu tun …

PSUM

ad his scripta INSM und Co. endo, eum idis san eurip Lehrerfortbildungen, Lehrmaterialien, Unterrichtsbesuche, kostenlose Ausflüge, Ausstellungen: Die Angebote für Schulen von Banken n.

und Konzernen sind vielseitig. Das Ziel: Die Inhalte des Unterrichts beeinflussen und frühzeitig die Kunden von morgen gewinnen. Coca-Cola bietet Schulsportwettbewerbe für Schulen an und stellt kostenlose Getränke zur Verfügung. Die „Kaeser Kompressoren GmbH“, Hersteller von Druckluftanlagen, geht noch weiter: Sie liefert Inhalte, Lehrmaterialien und Experten für den Schulunterricht an Partnerschulen. Die SchülerInnen lernen dann in Physik, wie Druckluft erzeugt wird, in Biologie geht es darum, wie man diese Druckluft in der Nahrungsmittelindustrie anwenden kann und in Geschichte

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steht die Unternehmensgeschichte von Kaeser auf dem Stundenplan. So wird versucht, die Lehrinhalte direkt im Interesse von Konzernen zu beeinflussen. Ein weiteres Beispiel: Die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM), die von Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird. Sie gibt seit Jahren kostenlose Unterrichtsmaterialien über ein eigenes Webportal heraus. Ihr selbsternanntes Ziel ist es, „die Bereitschaft für wirtschaftsliberale Reformen zu erhöhen, ein unternehmerfreundliches Klima zu erzeugen und Wettbewerb und unternehmerische Freiheit als zentrale Werte positiv zu besetzen“. Das heißt konkret: Politik im Interesse der Banken und Konzerne legitimieren. So ist sie aktiv gegen den Mindestlohn, setzt sich für die Stärkung des „Leistungsgedanken“ ein, will die „Unternehmensmitbestimmung“ stärken und möchte Sozialsysteme abbauen. Gleichzeitig wird in einem Nebensatz die DDR als Diktatur abgeschrieben – der Kapitalismus soll schließlich in den Köpfen verankert werden. Ähnlich sieht es bei Unterrichtsmaterialien von Allianz, Targobank und Co. aus, die immer häufiger im Unterricht genutzt werden.

Bundeswehr an der Schule

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Neben Banken und Konzernen macht auch die Bundeswehr in den letzten Jahren verstärkt Werbung an Schulen. Von 1998 bis 2014 ist der Werbeetat der Bundeswehr von 9 auf 30 Millionen Euro gestiegen. Ein FSJler berichtet in der Zeitung DIE ZEIT: „Ich selbst musste mehrmals miterleben, wie Soldaten in meiner Schule den Krieg als Abenteuer „verkauften“. Einmal wurde auch das Planspiel „POL&IS“ gespielt, das ganz subtil vermitteln soll, dass Krieg nötig ist, um die Sicherheit zu wahren.“ Neben angeblich aufregenden Planspielen bietet die Bundeswehr kostenlose Touren für Schulklassen zu Bundeswehrständen auf


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Volksfesten wie dem Hessentag an. Die Jugendoffiziere sind rhetorisch gut geschult, bieten in ihren Prospekten „Abenteuer“ an und rechtfertigen Kriegseinsätze in der ganzen Welt. Das Interesse ist klar: Krieg für Absatzmärkte im Interesse der Banken und Konzerne legitimieren.

Einfluss von Banken und Konzernen – staatlich organisiert In den vergangenen Jahren haben wir massive Kürzungsmaßnahmen im Bildungsbereich erlebt: Ob marode Klassenzimmer, ausfallender Unterricht oder jahrzehntealte Bücher. In Hessen reicht das Geld an Schulen bspw. für ein neues Schulbuch pro Jahr und SchülerIn. LehrerInnen bekommen im Schulalltag kaum Unterstützung, werden teilweise mangelhaft ausgebildet und fachfremd eingesetzt. Der Weg zu selbstständigen Schulen heißt Unterfinanzierung. Das alles ist ein Einfallstor für Banken und Konzerne, die kostenlose und aktuelle Schulbücher verteilen, den Unterricht durch Besuche abwechslungsreicher machen und Fortbildungen für LehrerInnen anbieten. Der Einfluss von Banken und Konzernen ist also staatlich gewollt und wird durch die Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT unterstützt. Kein Wunder also, das laut der PISA-Studie von 2006 88% der 15-jährigen eine Schule besuchen, an der Wirtschaft und Industrie Einfluss auf die Lehrinhalte nehmen. Gleichzeitig werden musische, künstlerische und sportliche Fächer immer weiter abgebaut. In Baden-Württemberg wird so beispielsweise an Real- und Gesamtschulen Wirtschaft zum eigenständigen Fach – nachdem das lange von verschiedenen Arbeitgeberverbänden gefordert wurde. Das geht auf Kosten vom Geschichts-, Geographie- und Politikunterricht und bietet Konzernen noch bessere Möglichkeiten, in den Unterricht einzugreifen.

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Staatliche Lehrinhalte = super?! Also, was jetzt? Unterrichtsmaterialien von Banken und Konzernen verbieten? Sicherlich ein Anfang, aber keine Lösung. Die Inhalte in den klassischen Schulbuchverlagen sind häufig nicht viel besser. Ziel ist auch hier: Den Kapitalismus als alternativlos darstellen, Politik im Interesse der Banken und Konzerne legitimieren, Kriegseinsätze für Wie sehen Werbung an wirtschaftliche Interessen rechtfertigen. Konkret heißt das auch: Die der Schule & Lehrinhalte jetzt konkret aus?! Hier DDR als alternatives Gesellschaftssystem oder andere Wirtschaftsein paar Beispiele über systeme verteufeln. So berichtet Ann-Sophie (Schülerin aus GöttinWerbung an Schulen, Besuche von Allianz und gen), dass die DDR in der Schule ausschließlich mit Mauer und Stasi Co. sowie Geschichtsveridentifiziert wird. Kein Wunder, wenn man sich anschaut, wer hinter fälschung. den klassischen Schulbuchverlagen steht: So die „Universum Verlags GmbH“, die zu 50% der FDP gehört. Diese angeblich unabhängige Arbeitsgemeinschaft hat also tatsächlich den Zweck, junge Menschen poliDer KlettVerlag bietet Unternehtisch zu beeinflussen. Der Klett-Verlag bietet men Werbefläche: die „gezielte Platzierung“ einer Marke im „Die gezielte Platzierung Ihrer ArbeitSchulbuch an und arbeitet mit etlichen Ungebermarke, Produkte oder Dienstleistunternehmen zusammen, die Initiative Neue gen sichert eine frühzeitige Bindung an Ihr Soziale Marktwirtschaft veröffentlicht in Unternehmen … Als traditionsreiches Verlagseinigen Schulbüchern ihre Texte. haus und führendes deutsches BildungsunterWas wir in der Schule lernen, ist also absonehmen bieten wir Ihnen einen exzellenten lut nicht in unserem Interesse: Wir haben Zugang in Schulen und Hochschulen. Profitieren sie von der Marke Klett!“ kein Interesse an Kriegseinsätzen, größerem – Werbung der Klett MINT GmbH Einfluss von Banken und Konzernen, Abbau des Sozialstaats.

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Geschichtsverfälschung an der Gedenkstätte Hohenschönhausen: „Die Gedenkstätte Hohenschönhausen ist der Versuch, die Einrichtung im Sinne einer Pauschalverurteilung des DDR-Systems zu instrumentalisieren. Eine forschungsgestützte Gedenkstättenarbeit wird abgelehnt. Hauptaufgabe ist es, die DDR und die SED an den Pranger zu stellen. Die Gedenkstätte ist auf dem besten Wege zum »Gruselkabinett«.“ – Jürgen Hofmann von der Rosa-Luxemburg-Stiftung über die ehemalige Untersuchungshaftanstalt der Stasi. Sie wird jährlich von über 150 000 SchülerInnen besucht.

Unternehmensbesuche? Mittlerweile Standard! „An unserer Schule ist es mittlerweile üblich, dass Leute von Versicherungen an die Schule kommen, um uns für Bewerbungsgespräche zu trainieren. Von denen bekommen wir dann auch Material, in denen auch Werbung ist. Zuletzt waren Vertreter von der AOK und der DAK da.“ – Johannes, Schüler aus Darmstadt

Wie Kriegseinsätze gerechtfertigt werden

Wirtschaftlicher Erfolg statt Mitbestimmung? „Bei der so genannten Unternehmensmitbestimmung in Deutschland gibt es erheblichen Reformbedarf. Der wirtschaftliche Erfolg muss vor dem Hintergrund des internationalen Standortwettbewerbs in den Vordergrund rücken. „ – Ausschnitt aus einem Unterrichtsmaterial der Bundesarbeitsgemeinschaft SCHULEWIRTSCHAFT

„In unserem Politik-und-Wirtschaft-Unterricht wurden Afghanistan- und Irakkrieg nicht nur mit der Wahrung der Sicherheit, sondern ganz offen mit wirtschaftlichen Interessen gerechtfertigt. Und: Bei der Berichterstattung von den Kriegen ging es viel mehr um die Situation der deutschen, der US-amerikanischen Soldaten als um die Situation im Land selbst. Was die Bundeswehr und andere Armeen da wirklich machen, das wurde nicht gesagt“ – Mona, Schülerin aus Wiesbaden

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Für neutrale Bildung?

„In der Schule lernt ihr fürs Leben!“ Diesen Satz hat jeder von uns schon mal gehört. Dass der allgemeine Anspruch des Bildungssystems sein sollte, junge Menschen aufs Leben vorzubereiten, ist logisch. Um das möglichst „neutral“ zu gewährleisten, wurde im Herbst 1976 der Beutelsbacher Konsens verfasst. Dieser soll garantieren, dass SchülerInnen zu „mündigen Bürgern“ erzogen werden. Dazu dürfen LehrerInnen SchülerInnen keine Meinung aufzwingen, sondern müssen die Unterrichtsinhalte kontrovers darstellen und zur Diskussion stellen.

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Auf den vorherigen Seiten unserer Broschüre wurde jedoch sehr deutlich, dass wir aktuell alles andere als neutrale Bildung erfahren. Wieso hat sich also seit 1976 das Bildungswesen nicht „hin zum Guten“ gewandelt, wenn es doch diesen Konsens gibt? Nun, diese Frage beantwortet sich eigentlich von selbst: Jeder, der einmal versucht hat, eine Pro-und-Contra-Liste für ein persönliches Problem anzu-


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fertigen, weiß, dass dabei immer das eigene Interesse mitschwingt. Für den Lehrplan gilt das natürlich genauso. Wir leben schließlich in einer Gesellschaft, die von grundsätzlich verschiedenen Interessen geprägt ist: Banken und Konzerne versuchen ihre Profite auf unsere Kosten zu steigern und wollen den Kapitalismus so lange wie möglich erhalten. Wie also weiter? Klar ist, dass die heutige Bildung nicht in unserem Interesse steht. Der Versuch, neutrale Bildung zu gewährleisten scheitert hinten und vorn, denn diese gibt es gar nicht. Unser Fazit: Wir wollen eine Bildung, die UNS befähigt, die Welt zu erkennen, um sie in unserem Interesse zu verändern. Wir wollen keine neutrale Bildung, sondern eine Bildung, die wirklich in unserem Interesse ist.

Bildung für wen? Wir haben also gesehen: In der Schule wird uns tagtäglich ein Weltbild vermittelt, das nicht in unserem Interesse ist. Bildung im Kapitalismus erfüllt nämlich bestimmte Aufgaben. Im ersten Abschnitt haben wir gesehen, dass im Unterricht Kriegseinsätze gerechtfertigt werden und Alternativen wie die DDR verteufelt werden Eine Aufgabe von Bildung im Kapitalismus ist also offenbar, den Kapitalismus als die ultimative Gesellschaftsform darzustellen. Um die Aufgaben von Bildung im Kapitalismus zu erkennen, müssen wir uns aber zunächst mit dem Kapitalismus auseinandersetzen…

Große Masse vs. kleine Elite In der kapitalistischen Gesellschaft gibt es eine große Masse, die keine Unternehmen besitzt und deshalb darauf angewiesen ist, zu arbeiten und ihren Lohn zu verdienen. Auf der anderen Seite gibt es

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eine kleine herrschende Schicht, die die großen Konzerne besitzt und über die Produktionsmittel entscheidet. Um dieses Verhältnis aufrechtzuerhalten, braucht der Kapitalismus auf der einen Seite eine große Masse, die später arbeitet und auf der anderen Seite eine kleine Elite, die die Konzerne in Zukunft leitet. Der großen Masse wird das praktische Handwerkszeug gelehrt, das für den späteren Job gebraucht wird. Außerdem wird ihr die herrschende Ideologie vermittelt, wie wir schon auf den ersten Seiten gesehen haben. Der Kapitalismus soll als die ultimative Gesellschaftsform dargestellt werden. In der Schule lernen wir: Im Kapitalismus ist jeder seines eigenen Glückes Schmied – wenn wir später also einen schlecht bezahlten Job oder einen befristeten Vertrag bekommen, liegt das nicht am Kapitalismus, sondern daran, dass wir nicht fleißig genug waren. Gleichzeitig werden Alternativen wie die DDR verteufelt, Kriegseinsätze werden als notwendig dargestellt. Die widersprüchlichen Erfahrungen, die wir alltäglich machen, werden so in Bahnen gelenkt, die für die Herrschenden ungefährlich sind.

Über Selektion und Elitebildung

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Ein Bildungssystem, welches die jetzigen Verhältnisse aufrechterhalten soll, ist also vor allem durch eines geprägt: Selektion. Die beginnt in Deutschland schon mit der Einschulung und „Aufnahmetests“ für Erstklässler. Wenn die soziale Schicht nicht passt, dann wird man schon mal in die Schule im Nachbarstadtteil geschickt. Das setzt sich bis zum Schulabschluss fort. Nur die angeblich Leistungsstärksten schaffen den Hochschulabschluss, während der größere Teil von uns auf dem Abstellgleis landet und sich später mit schlechten Arbeitsbedingungen abfinden muss. Ein gutes Los haben vor allem diejenigen gezogen, deren Eltern gut verdienen. Denn der Schulerfolg hängt durchaus vom Geldbeutel der Eltern ab: Teure Nachhilfestunden und den Mathe-Crashkurs vor


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dem Abitur kann sich nicht jeder leisten. Das Arbeiterkind, das sich ein Zimmer mit dem jüngeren Bruder teilen muss, steht beim Lernen eher schlecht da. Bei gleichen Leistungen landen Akademikerkinder außerdem häufiger auf dem Gymnasium als Kinder aus nicht-Akademiker-Familien. Und Privatschulen können sich sowieso nur die Reichsten leisten.

Selektion durch Konkurrenz Besonders deutlich wird diese Selektion beim dreigliedrigen Schulsystem. Anstatt gemeinsam mit- und voneinander zu lernen, werden wir in Schubladen gesteckt und dementsprechend behandelt. Schon nach der 4. Klasse werden wir auf drei verschiedene Schulformen verteilt – ein Wechsel nach oben ist häufig schwierig. Damit wird schon im Alter von 10 Jahren über unsere Zukunft entschieden. Mit dem Konkurrenzdruck auf dem Arbeitsmarkt geht das Konkurrenzverhalten in der Schule einher – zwischen den verschiedenen Schulformen und innerhalb einer Klasse durch Noten. Dabei sind Noten gar nicht in der Lage, unsere Leistungen und unsere Entwicklungen richtig darzustellen. Sie sind viel zu sehr von den subjektiven Eindrücken der Lehrkraft abhängig. Die Aussagekraft von Noten ist gering: So sagt eine 3 in Geschichte nichts darüber aus, ob der Schüler im Unterricht etwas gesagt hat, was dem Lehrer nicht passt oder ob er die Hausaufgaben zu häufig vergessen hat.

Für kostenlose, umfassende Bildung! Klar ist also: In der Schule wird eben nicht fürs Leben gelernt. Welchen Abschluss man macht und wie gut die Note am Ende ist, hängt nicht davon ab, ob man die Welt, in der man lebt, begreifen und

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verändern kann, sondern viel mehr vom Geldbeutel der Eltern. Im täglichen Unterricht geht es um Wissensprüfung und nicht um die Vermittlung von Werkzeugen, mit denen wir unsere eigenen Interessen erkennen und verwirklichen können – obwohl das in der Theorie manchmal anders klingt. Gepaukt wird nur für Prüfungen. Statt uns in vielen Bereichen gleichzeitig zu entwickeln, macht der Leistungsdruck in der Schule besonders seit G8 den Sport und das Hobby neben der Schule oft unmöglich. Das liegt daran, dass unser Bildungssystem von einem grundsätzlichen Interessenswiderspruch geprägt ist. Was wir erleben, ist ein selektives Bildungssystem im Interesse der Banken und Konzerne. Wir wollen aber stattdessen für alle Menschen eine umfassende, kostenlose Bildung, die Der es ihnen ermöglicht, Dinge zu Weg zum Abitur in Bayern ist ein Knochenjob. Mit ins Abitur zählen die beiden letzten begreifen und zu verändern Schuljahre vor den Prüfungen. Die schriftlichen Klausuren und sich in alle Richtungen pro Halbjahr werden dabei meist zeitgleich innerhalb von zu entwickeln!

zwei Monaten in allen Fächern geschrieben. Da kann es schon mal passieren, dass man einen Monat lang zwei Klausuren die Woche schreiben muss. Da diese Noten bereits die Hälfte des Abiturschnitts ausmachen, kann man nicht mal eben eine Woche krank sein. Durch die Umstellung vom G9 auf das achtjährige Gymnasium wurde der Stoff nicht nur bis zur Unverständlichkeit gekürzt, sondern auch so zusammengepresst, dass das Aufholen von Unterricht kaum möglich ist. Manchmal mache ich einen Tag blau, damit ich zuhause für meine Pflichtfächer lernen kann. Meine Trainingsstunden im Sportverein kann ich oft wochenlang vergessen. Ich will ja schließlich ein gutes Abitur… - Jo, Schüler aus Augsburg

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Die Welt erkennen

Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!

Wie können wir Bildung verwirklichen, die nicht bestimmt ist von wirtschaftlichen Interessen, also Bildung, die uns wirklich lernen lässt? Wir müssen uns einsetzen für eine Schule, in der echte Allgemeinbildung vermittelt wird. Denn auch, wenn wir uns Allgemeinbildung vor allem zu Hause, in der Familie oder bei Freunden aneignen, ist die Schule der zentrale und integrierende Ort dieses Wissens. Hier werden fast alle Lern- und Tätigkeitsbereiche in den einzelnen Fächern behandelt. Nur wollen wir nicht, dass dabei eine kleine Schicht an Fachidioten heranwächst, während der Großteil von uns aus den vorhin genannten Gründen abgehängt wird. Ziel von Bildung muss sein, dass wir in die Lage versetzt werden, selbstständig zu denken und zu handeln. Wir wollen nicht nur Fakten lernen, sondern die Fähigkeit erlangen, dieses Schulwissen zu durchdenken, zu beurteilen und zu übertragen.

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Das heißt, wir wollen unser Wissen selbst anwenden. Dabei geht es nicht nur um die einzelnen Disziplinen oder Schulfächer. Sondern auch um die Welt und unser Leben im Ganzen. Klar ist, dass wir nicht erwarten können, jemals eine Schule zu besuchen, in der uns das ganze menschliche Wissen gelehrt wird. Worum geht es dann? Wir wollen die sozialen, politischen und ökologischen Probleme, die unser Leben bestimmen, lösen. Das passiert aber nicht über spontane Einfälle, sondern nur über das Anwenden fundierter wissenschaftlicher Herangehensweisen und Erkenntnisse. Also brauchen wir eine Schule, ein Bildungssystem, in dem wir verstehen lernen, wie die Welt funktioniert. Denn verändern kann die Welt nur, wer sie auch erkennt.

Es geht um unsere Bildung 14

Wenn es keine neutrale Bildung geben kann, ist sie also parteiisch. So wie im Hier und Jetzt unser Bildungs- und Schulsystem von den Inte-


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ressen der Banken und Konzerne dominiert wird, so kann und muss unsere Bildung also von uns bestimmt sein. Das Bildungssystem, welches wir anstreben, steht im Interesse aller Menschen, die nicht auf Profit durch die Arbeit anderer aus sind. Arbeitende Menschen und lernende Jugendliche haben ein objektives Bedürfnis nach allgemeiner Bildung.

Für eine polytechnische, allumfassende und ganztägige Gesamtschule! Wie sieht nun unser Gegenentwurf aus? In so einer Broschüre können wir nicht versuchen, eigene Lehrpläne zu entwickeln. Aber wir wollen aufzeigen, woran wir anknüpfen und wo wir hinwollen. Wir müssen wegkommen von der künstlichen und absoluten Trennung der Schulfächer voneinander und die Eigenschaften der Bereiche miteinander verknüpfen. Das bildet die Grundlage einer Allgemeinbildung, die uns in die Lage versetzt, eigenständiges Denken zu entwickeln. Der Schwerpunkt der Bereiche gestaltet sich wie folgt: 1. Der mathematisch-naturwissenschaftlich-polytechnische Inhaltsbereich trägt wesentlich zur Herausbildung eines wissenschaftlichen Weltbildes bei und hat entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung der Verhältnisse des Menschen zu seiner natürlichen Umwelt. Der Bereich fördert logisches Denken, Denken in Systemzusammenhängen usw. 2. Gesellschaftswissenschaftliche, geografische und historische Bildung vermittelt unersetzbare Kenntnisse über Ereignisse und Entwicklungen im Zusammenleben der Völker sowie in den sozialen Beziehungen der Menschen zueinander. Er ist u. a. für die Herausbildung politischer Standpunkte, Normen und Wertvorstellungen entscheidend.

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3. Die Bedeutung der muttersprachlichen und fremdsprachlichen Bildung steigt mit dem Anwachsen der internationalen Kommunikation und Kooperation. Muttersprachliche Bildung sollte ein Anliegen aller Unterrichtsfächer sein, fremdsprachliche Bildung möglichst frühzeitig beginnen. 4. Literaturkundliche, musische und künstlerische Bildung sollte in ihrer Bedeutung nicht unterschätzt werden, denn sie leistet ihren unverzichtbaren Beitrag zur Entwicklung eines reichen geistig-kulturellen Lebens in der Gesellschaft und zur Herausbildung der geistigen Haltung des Menschen. 5. Sportliche Betätigung sowie Erziehung und Befähigung zur Gesunderhaltung haben für den Menschen eine wesentliche physisch und psychisch stabilisierende Funktion. Sie tragen zur Herausbildung einer gesunden Lebensweise und einer sinnvollen Freizeitgestaltung bei.

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Wir wollen in eine Schule gehen, in der alle genannten Schwerpunkte in einen Zusammenhang gestellt werden. Geistiges Denken, praktische Arbeit und gesellschaftliches Handeln muss verknüpft verstanden werden. Dabei darf keiner auf der Strecke bleiben. Nur wenn der gesamte Unterricht verändert wird, können auch alle SchülerInnen ihre vollen Fähigkeiten entfalten. Dazu gehört gezielte individuelle Förderung beim gemeinsamen Lernen. Dazu gehört aber auch, dass der jeweilige soziale Hintergrund nicht einschränken darf. Es soll keine Rolle spielen, ob Geld für die Nachhilfe da ist oder nicht oder für ein warmes Mittagessen. Gemeinsames und umfassendes Lernen geht mit sozialer Gerechtigkeit einher. Konkret meint das: Wir wollen keine Selektion im Alter von 9-10 Jahren, sondern eine Schule für alle. Das bedingt auch eine ganztägige pädagogische Betreuung und Unterstützung von SchülerInnen. Die sieht natürlich nicht so aus, wie in der heutigen Schule. Statt Frontalunterricht bis 17:00 Uhr und Hausaufgaben danach müssen dazu auch sportliche, künstlerische und musische Teile gehören!


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Bildung ist der Schlüssel, um frei zu werden Betreuung und Unterstützung in einer Ganztagesschule? Das heißt Förderungen und Herausbildung von selbstständiger Tätigkeit der SchülerInnen. Denn Persönlichkeit wird nicht entwickelt, sondern entwickelt sich selbst während des gesamten Lebens. Dieser Prozess der Selbstentwicklung verändert die Rolle des Schülers vom gehorsamen Unbekannten zum bewussten Individuum. Welche Rolle wir im kapitalistischen Bildungssystem haben, zeigt sich an den Noten. Wir werden für abzugebende Leistungen benotet und regieren im Zweifel selber darauf, indem wir beim Nachbarn abschreiben. Das bedeutet jedoch, dass wir selber die gute Note als wichtiger erachten, als das wirkliche Lernziel. Denn die Herrschenden zeigen klar, dass es in erster Linie um Selektion und Druck geht. Schließlich wird auf das Phänomen des Abschreibens nicht mit besseren Lernmethoden oder mehr Zeit reagiert, sondern mit immer neuen Strafmaßnahmen, die einem auferlegt werden. Lieber etwas nicht verstehen, aber gut auswendig gelernt wiedergeben, als den Sinn und Zusammenhang durchschaut zu haben. Diese Rolle der SchülerInnen im Hier und Jetzt unterscheidet sich vor dem Hintergrund unseres Allgemeinbildungskonzepts komplett von der anzustrebenden Rolle des Menschen: Es geht um die Emanzipation der Arbeitenden und Lernenden.

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Pisa-Studiensieger Pisa-Studiensieger SkandinavienSkandinavien

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Die Pisa-Studie zeigt Jahr für Jahr, wie unglaublich brillant das deutsche Bildungssystem in verschiedensten Kategorien abschneidet. Von den KultusministerInnen und den BildungspolitikerInnen wird die Bildung in Deutschland schließlich auch immer hoch gehalten. Spaß beiseite! Wie man allerdings deutlich erkennen kann, liegt Finnland bei vielen Ergebnissen ganz oben. Aber auch Schweden, Norwegen etc. kommen nicht zu kurz. An dieser Stelle fragt man sich doch: Leben in Skandinavien extrem viele Superbrains oder sind die deutschen SchülerInnen einfach dumm? Diese Frage lassen wir mal dahin gestellt, denn klar ist – dumm sind in Deutschland lebende SchülerInnen nicht! Betrachten wir also mal das Bildungssystem in Finnland genauer: In Finnland lernen alle SchülerInnen bis zur 10. Klasse gemeinsam in einer Schule. Damit wird, anders als in Deutschland, nicht schon im Alter von 9 bis 10 Jahren über die Chancen im restlichen Leben entschieden. Die Klassen sind kleiner als in Deutschland, pro SchülerIn gibt es mehr LehrerInnen – SchülerInnen können also individueller betreut werden und bekommen statt Noten ausführliche Berichte zu ihrer Entwicklung. In Deutschland sitzen stattdessen häufig über 30 Leute in einem Klassenraum. Dieses Bildungssystem kommt übrigens aus der sozialistischen DDR: In den 60er und 70er Jahren reisten Gruppen aus Finnland in die DDR, um sich das Bildungssystem dort anzuschauen und reformierten das finnische Bildungssystem daraufhin. So führten sie beispielsweise in den 70ern die Gesamtschule ein.


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Privatschulen – eine echte Alternative? Um Elitebildung für wenige abzusichern, gibt es in Deutschland neben den staatlichen Schulen auch Privatschulen. Genau, das sind Schulen, wo in kleinen Klassen eine gute Lernatmosphäre herrscht, man danach tolle Jobs absahnen kann und jede Menge Schotter verdient, womöglich ein schönes Haus mit Familie hat und mehrere Autos in der Garage stehen hat. Klingt doch ganz gut, oder nicht? Wieso gehen also nicht alle auf Privatschulen, wenn das Ganze doch so traumhaft klingt? Wenn dem so wäre, würden das womöglich auch alle Eltern ihren Kindern zur Verfügung stellen und sie auf eine solche Schule schicken. Das Ganze ist natürlich doch nicht so einfach – wie auch in öffentlichen Schulen (sowohl Gymnasien, als auch Real-, Haupt- und Berufsschulen) ist Bildung vom Geldbeutel abhängig. Anders als in den öffentlichen Schulen blechen die Eltern, die ihre Kinder auf Privatschulen schicken, nochmal ein bisschen mehr. Je nach der Finanzierung der Schule (staatlich gefördert oder selbsttragend) entscheidet sich, wieviel Geld pro Monat fällig ist. Das beginnt bei ca. 100 € pro Monat und geht bis zu 1000 € im Monat, bei Internaten noch mehr. Wie soll also eine Familie das finanzieren, die vielleicht nicht mal genug Geld für gemeinsame Fami-

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lienausflüge hat? Privatschulen sind also Eliteschulen für die oberen Schichten im Kapitalismus. Deshalb sind auch private alternative Schulen wie Montessori- oder Waldorfschulen keine Lösung für uns. Denn nur ein kleiner Teil der Menschen kann sich für die Kinder dreistellige Beträge pro Monat für die Schule leisten. Statt alternative Privatschulen zu gründen, die sich sowieso nur die wenigsten leisten können, geht es uns darum, in den staatlichen Schulen mit unseren MitschülerInnen um Verbesserungen zu kämpfen, von denen alle profitieren! Wir sind der Meinung: Eine kostenlose Bildung sollte jeder und jedem von uns zustehen!

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Gemeinsam für umfassende und kostenlose Bildung kämpfen! In den letzten Jahren haben Banken und Konzerne immer mehr direkten Einfluss auf unsere Lerninhalte erhalten. In ihren Unterrichtsmaterialien hetzen sie gegen den Mindestlohn, machen sich über den Deutschen Sozialstaat lustig und rechtfertigen die aktuellen Kriegseinsätze, von denen sie profitieren. Kein Wunder, wenn man sich anschaut, welchen Zweck Bildung im Kapitalismus verfolgt: Neben praktischem Handwerkszeug soll uns die herrschende Ideologie beigebracht werden, damit wir uns ja nicht wehren. Wir, die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), nehmen diese Zustände nicht einfach hin! Wir sind der Meinung, dass Bildung uns dazu befähigen sollte, uns unserer Lage bewusst zu werden, die gesellschaftlichen Verhältnisse kritisch zu hinterfragen und entsprechend unserer Interessen zu handeln. Deshalb kämpfen wir gegen Selektion, gegen den zunehmenden Einfluss von Banken und Konzernen, gegen Kürzungen im Bildungsbereich.

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Uns ist klar, dass das Kapital kein Interesse an einer umfassenden, kostenlosen Bildung für alle hat. Deshalb müssen wir für die Durchsetzung unserer Interessen kämpfen – gemeinsam und organisiert, in der SchülerInnenvertretung und in der SDAJ. Letztlich wissen wir aber, dass wir unsere Forderungen für ein anderes Bildungssystem erst durchsetzen können, wenn wir den Kapitalismus abgeschafft und an seine Stelle eine neue Gesellschaftsform gesetzt haben: Eine, deren Produktion sich wirklich an unseren Interessen und Bedürfnissen orientiert.

Wir fordern: • Weg mit dem gegliederten Schulsystem – für eine Schule für alle! • Mehr Geld für Bildung statt für Kriegseinsätze und Eliteförderung! • Bundeswehr und Konzerne raus aus den Schulen! • Vollständige Lehr- und Lernmittelfreiheit! Kostenlose Bildung für alle!

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Lied vom Klassenfeind

B. Brecht

Als ich klein war, ging ich zur Schule und ich lernte, was mein und was dein. Und als da alles gelernt war, schien es mir nicht alles zu sein. Und ich hatte kein Frühstück zu essen, und andre, die hatten eins: Und so lernte ich doch noch alles vom Wesen des Klassenfeinds. Und ich lernte, wieso und weswegen da ein Riss ist durch die Welt? Und der bleibt zwischen uns, weil der Regen von oben nach unten fällt.

Denn wir sind Klassenfeinde, was man uns auch immer sagt: Wer von uns nicht zu kämpfen wagte, der hat zu verhungern gewagt. Wir sind Klassenfeinde, Trommler! Das deckt dein Getrommel nicht zu! Fabrikant, General und Junker unser Feind, das bist du! Davon wird nichts verschoben, da wird nichts eingerenkt! Der Regen fließt nicht nach oben, und das sei ihm auch geschenkt!

Und sie sagten mir: Wenn ich brav bin, dann werd ich dasselbe wie sie. Doch ich dachte: Wenn ich ihr Schaf bin, dann werd ich ein Metzger nie. Und manchen von uns sah ich, der ging ihnen auf den Strich. Und geschah ihm, was dir und was mir geschah, dann wunderte er sich. Mich aber, mich nahm es nicht wunder, ich kam ihnen frühzeitig drauf: Der Regen fließt eben herunter und fließt eben nicht hinauf. (…)

Da mag dein Anstreicher streichen, den Riss streicht er uns nicht zu! Einer bleibt und einer muss weichen, entweder ich oder du. Und was immer ich auch noch lerne, das bleibt das Einmaleins: Nichts habe ich jemals gemeinsam mit der Sache des Klassenfeinds. Das Wort wird nicht gefunden, das uns beide jemals vereint! Der Regen fließt von oben nach unten, und Klassenfeind bleibt Klassenfeind.

Hier ist nur ein Ausschnitt von Bertolt Brechts „Lied vom Klassenfeind“ abgedruckt - wir empfehlen sehr, es komplett zu lesen! Brecht beschreibt hier sehr schön und anschaulich, wie unsere Interessenen den Herrschenden entgegenstehen und gibt nebenbei einen Einblick in die Geschichte der Weimarer Republik...



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