F/I/T - Forschung, Innovation, Technologie 2/2010

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| 02 | November | 2010 | Forschung | Innovation | Technologie |

Das Wissenschaftsmagazin der Deutschen Sporthochschule Kรถln

Sport und Politik


VorWORT

Liebe Leserin, lieber Leser, Sie halten heute die neue Ausgabe unseres Wissenschaftsmagazins in den Händen. Vom Kalten Krieg bis in die Gegenwart, von Afrika bis Israel, von Autonomie und Abhängigkeit dreht sich dieses Mal alles rund um den Sport und die Politik. Sport und Politik sind in vielerlei Hinsicht miteinander verknüpft. Die Intentionen, die dabei verfolgt werden, sind sehr unterschiedlich. Der Sport wird weltweit als Medium eingesetzt, um Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe oder kultureller Zugehörigkeit zusammenzuführen. Seine Fähigkeit Vorurteile abzubauen und Vertrauen und Verständnis über sprachliche, politische und kulturelle Grenzen hinaus zu fördern machen ihn zu einem wichtigen Bestandteil der Friedens- und Entwicklungspolitik. Dr. Michael Groll und Dr. Karen Petry stellen in ihrem Beitrag „Sport und Entwicklung“ die Grundlagen der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit dar und analysieren die gegenwärtige Situation in Deutschland. Um den ‘Sport als Brücke der Verständigung’ geht es auch im Beitrag von Prof. Manfred Lämmer und Robin Streppelhoff. Sie erläutern, wie der Fußball einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich das Deutschlandbild in Israel entscheidend wandelte. Die Kulturstiftung des Deutschen Fußballbundes hat Prof. Lämmer beauftragt, diese Erfolgsgeschichte zu dokumentieren und zu würdigen. Erste Ergebnisse der Presse- und Archivrecherchen können Sie hier lesen. Die Zeit des Kalten Krieges bietet zahlreiche Beispiele für Überschneidungen zwischen internationalem Sport und den Interessen internationaler Politik. Eine Vielzahl steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem politischen Ost-West-Konflikt. Zu einer politisch besonderen und gleichzeitig zu einer sportpolitisch brisanten Situation avancierte der Streit um WestBerlin. Die Sportbeziehungen zwischen Ost und West sollten bis zur Wende durch das (sport-)politische Tauziehen um West-Berliner Athleten immer wieder beeinträchtigt werden. Eine besondere Rolle spielte die West-Berlin-Frage im Kontext der Sportbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Exemplarisch für die Vielzahl der damit verbundenen politischen Bemühungen und diplomatischen Protokollfragen hat Dr. Evelyn Mertin die Versuche der Sowjetunion untersucht, die Bindung der abgegrenzten Stadt an die BRD durch gezielte bilaterale Sportkontakte zu West-Berlin zu untergraben. Für ihre Dissertation zum Thema „Der Sport als Feld der sowjetischen Außenpolitik unter Berücksichtigung der beiden deutschen Staaten“ ist sie kürzlich mit dem Toyota-Preis ausgezeichnet worden. 2

F|I|T 02 | 2010

Sport und Politik sind nicht nur eng miteinander verknüpft, sie stehen auch in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Der Staat hat ein Interesse am Sport, da dieser zur Befriedigung der Bevölkerung und damit auch zum Gemeinwohl beiträgt. Ein besonderes Interesse hat er an der Förderung des Hochleistungssports, da er dadurch innenpolitische und außenpolitische Interessen miteinander verknüpfen kann. Der Sport wiederum ist auf die Finanzspritzen des Staats angewiesen. Das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure ist in der sportpolitischen Forschung ein bedeutendes Thema. Korporatismus in der Sportpolitik? Dieser Frage gehen Dr. Michael Groll und Florian Hepp nach. Auch die Europäische Union nutzt in ihren Bemühungen um ein geeintes und friedvolles Europa die integrative Kraft des Sports. Gleichzeitig steht sie vor dem Problem, dass sie kaum eigenen Einfluss auf dessen Gestaltung hat, da der Sport traditionell im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten verankert ist. Einheitliche EU-weite Regelungen für den Sport zu entwickeln birgt entsprechende Konflikte. Ein Kernpunkt: Die nationalen Sportverbände fürchten um ihre Autonomie. Der Beitrag von Christoph Fischer und mir selbst beschäftigt sich mit der langjährigen Annäherung der EU an ihre Mitgliedstaaten in Bezug auf den Sport und ihrer wiederholten Versuche, den Sport auch in rechtlichen Verträgen auf europäischer Ebene zu etablieren. Der abschließende Beitrag erläutert das „Handwerkszeug der Sportpolitik“. Prof. Walfried König geht von der Erwartung aus, dass viele Sportstudierende nach erfolgreichem Abschluss einen Arbeitsplatz suchen, an dem sie an der Entwicklung des Sports gestaltend mitwirken, sich also sportpolitisch engagieren können. Er stellt die Frage nach der dafür erforderlichen Grundausstattung, ihrem Handwerkszeug. Nun wünsche ich Ihnen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre und möchte Sie zugleich auf unsere nächste Ausgabe aufmerksam machen, mit der wir Sie in das Weltall führen.

Ihr

Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln 3


VorWORT

Liebe Leserin, lieber Leser, Sie halten heute die neue Ausgabe unseres Wissenschaftsmagazins in den Händen. Vom Kalten Krieg bis in die Gegenwart, von Afrika bis Israel, von Autonomie und Abhängigkeit dreht sich dieses Mal alles rund um den Sport und die Politik. Sport und Politik sind in vielerlei Hinsicht miteinander verknüpft. Die Intentionen, die dabei verfolgt werden, sind sehr unterschiedlich. Der Sport wird weltweit als Medium eingesetzt, um Menschen unterschiedlicher Herkunft, Hautfarbe oder kultureller Zugehörigkeit zusammenzuführen. Seine Fähigkeit Vorurteile abzubauen und Vertrauen und Verständnis über sprachliche, politische und kulturelle Grenzen hinaus zu fördern machen ihn zu einem wichtigen Bestandteil der Friedens- und Entwicklungspolitik. Dr. Michael Groll und Dr. Karen Petry stellen in ihrem Beitrag „Sport und Entwicklung“ die Grundlagen der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit dar und analysieren die gegenwärtige Situation in Deutschland. Um den ‘Sport als Brücke der Verständigung’ geht es auch im Beitrag von Prof. Manfred Lämmer und Robin Streppelhoff. Sie erläutern, wie der Fußball einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich das Deutschlandbild in Israel entscheidend wandelte. Die Kulturstiftung des Deutschen Fußballbundes hat Prof. Lämmer beauftragt, diese Erfolgsgeschichte zu dokumentieren und zu würdigen. Erste Ergebnisse der Presse- und Archivrecherchen können Sie hier lesen. Die Zeit des Kalten Krieges bietet zahlreiche Beispiele für Überschneidungen zwischen internationalem Sport und den Interessen internationaler Politik. Eine Vielzahl steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem politischen Ost-West-Konflikt. Zu einer politisch besonderen und gleichzeitig zu einer sportpolitisch brisanten Situation avancierte der Streit um WestBerlin. Die Sportbeziehungen zwischen Ost und West sollten bis zur Wende durch das (sport-)politische Tauziehen um West-Berliner Athleten immer wieder beeinträchtigt werden. Eine besondere Rolle spielte die West-Berlin-Frage im Kontext der Sportbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Exemplarisch für die Vielzahl der damit verbundenen politischen Bemühungen und diplomatischen Protokollfragen hat Dr. Evelyn Mertin die Versuche der Sowjetunion untersucht, die Bindung der abgegrenzten Stadt an die BRD durch gezielte bilaterale Sportkontakte zu West-Berlin zu untergraben. Für ihre Dissertation zum Thema „Der Sport als Feld der sowjetischen Außenpolitik unter Berücksichtigung der beiden deutschen Staaten“ ist sie kürzlich mit dem Toyota-Preis ausgezeichnet worden. 2

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Sport und Politik sind nicht nur eng miteinander verknüpft, sie stehen auch in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis. Der Staat hat ein Interesse am Sport, da dieser zur Befriedigung der Bevölkerung und damit auch zum Gemeinwohl beiträgt. Ein besonderes Interesse hat er an der Förderung des Hochleistungssports, da er dadurch innenpolitische und außenpolitische Interessen miteinander verknüpfen kann. Der Sport wiederum ist auf die Finanzspritzen des Staats angewiesen. Das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure ist in der sportpolitischen Forschung ein bedeutendes Thema. Korporatismus in der Sportpolitik? Dieser Frage gehen Dr. Michael Groll und Florian Hepp nach. Auch die Europäische Union nutzt in ihren Bemühungen um ein geeintes und friedvolles Europa die integrative Kraft des Sports. Gleichzeitig steht sie vor dem Problem, dass sie kaum eigenen Einfluss auf dessen Gestaltung hat, da der Sport traditionell im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten verankert ist. Einheitliche EU-weite Regelungen für den Sport zu entwickeln birgt entsprechende Konflikte. Ein Kernpunkt: Die nationalen Sportverbände fürchten um ihre Autonomie. Der Beitrag von Christoph Fischer und mir selbst beschäftigt sich mit der langjährigen Annäherung der EU an ihre Mitgliedstaaten in Bezug auf den Sport und ihrer wiederholten Versuche, den Sport auch in rechtlichen Verträgen auf europäischer Ebene zu etablieren. Der abschließende Beitrag erläutert das „Handwerkszeug der Sportpolitik“. Prof. Walfried König geht von der Erwartung aus, dass viele Sportstudierende nach erfolgreichem Abschluss einen Arbeitsplatz suchen, an dem sie an der Entwicklung des Sports gestaltend mitwirken, sich also sportpolitisch engagieren können. Er stellt die Frage nach der dafür erforderlichen Grundausstattung, ihrem Handwerkszeug. Nun wünsche ich Ihnen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre und möchte Sie zugleich auf unsere nächste Ausgabe aufmerksam machen, mit der wir Sie in das Weltall führen.

Ihr

Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln 3


INHALT F|I|T Themen | Ausgabe 2 | November 2010

01

Sport und Entwicklung | S.6 | Deutsche Entwicklungspolitik und ihr Verhältnis zum Sport

02

Fußball als Brücke der Verständigung | S.14 | Wie der Fußball einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich das Deutschlandbild in Israel wandelte …

03

Der Zankapfel West-Berlin | S.26 | Sport und Politik im Kalten Krieg

04

Interessenvermittlung und Sport | S.34 | Korporatismus in der Sportpolitik? oder: Staatlich bezahlte Autonomie des Sports?

05

Partner oder Gegenspieler? | S.40 | Die Europäische Union und der Sport

06

Das Handwerkszeug der Sportpolitik | S.46 | oder: Was sportpolitische Akteure können sollten

IMPRESSUM F|I|T | Forschung, Innovation, Technologie 2/2010, 15. Jahrgang Herausgeber Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln Redaktion Deutsche Sporthochschule Köln Presse und Kommunikation

01

02

03

04

05

06

Redaktionsleitung Sabine Maas CvD Lena Overbeck Am Sportpark Müngersdorf 6 | 50933 Köln Telefon: +49 (0)221 4982-3440 Fax: +49 (0)221 4982-8400 pressestelle@dshs-koeln.de DESIGN & ANZEIGENREDAKTION loewentreu visual concepts Projektleitung Nadine Wilms Art Direction Nadine Wilms, Katharina Wittwer Girlitzweg 30, Tor 2 | 50829 Köln Telefon: +49 (0)221 471 58 728 Fax: +49 (0)221 471 58 729 anzeigen@loewentreu.com

Im gespräch | S.22 | mit Football 4 Peace

ISSN-NR 1434-7776

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INHALT F|I|T Themen | Ausgabe 2 | November 2010

01

Sport und Entwicklung | S.6 | Deutsche Entwicklungspolitik und ihr Verhältnis zum Sport

02

Fußball als Brücke der Verständigung | S.14 | Wie der Fußball einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich das Deutschlandbild in Israel wandelte …

03

Der Zankapfel West-Berlin | S.26 | Sport und Politik im Kalten Krieg

04

Interessenvermittlung und Sport | S.34 | Korporatismus in der Sportpolitik? oder: Staatlich bezahlte Autonomie des Sports?

05

Partner oder Gegenspieler? | S.40 | Die Europäische Union und der Sport

06

Das Handwerkszeug der Sportpolitik | S.46 | oder: Was sportpolitische Akteure können sollten

IMPRESSUM F|I|T | Forschung, Innovation, Technologie 2/2010, 15. Jahrgang Herausgeber Univ.-Prof. mult. Dr. Walter Tokarski Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln Redaktion Deutsche Sporthochschule Köln Presse und Kommunikation

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Redaktionsleitung Sabine Maas CvD Lena Overbeck Am Sportpark Müngersdorf 6 | 50933 Köln Telefon: +49 (0)221 4982-3440 Fax: +49 (0)221 4982-8400 pressestelle@dshs-koeln.de DESIGN & ANZEIGENREDAKTION loewentreu visual concepts Projektleitung Nadine Wilms Art Direction Nadine Wilms, Katharina Wittwer Girlitzweg 30, Tor 2 | 50829 Köln Telefon: +49 (0)221 471 58 728 Fax: +49 (0)221 471 58 729 anzeigen@loewentreu.com

Im gespräch | S.22 | mit Football 4 Peace

ISSN-NR 1434-7776

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Sporthochschul-Absolvent und DOSB-Experte Sebastian Rockenfeller setzt in Zusammenarbeit mit dem Verein „Jambo Bukoba e.V.“ den Sport als Instrument der HIV/Aids-Bekämpfung in Tansania ein. Den Sportlehrerinnen und -lehrern wird das Konzept „Kicking Aids Out“ vermittelt.

Text Michael Groll & Karen Petry Fotos loewentreu, Sebastian Rockenfeller

Sport und Entwicklung Deutsche Entwicklungspolitik und ihr Verhältnis zum Sport Wirtschaftliche, soziale, ökologische und politische Verhältnisse in den Entwicklungsländern zu verbessern, das ist das Ziel der Entwicklungspolitik. Der Sport leistet hierzu einen entscheidenden Beitrag. Er wird als Mittel zur Krisenprävention und Völkerverständigung genutzt, um Vorurteile abzubauen und Vertrauen und Verständnis über sprachliche, politische und kulturelle Grenzen hinaus zu fördern. Thematisch stehen vor allem zwei Sportarten im Vordergrund: Fußball und Leichtathletik. Die erste Fußball-WM 2010 in Südafrika nahm das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zum Anlass, das Projekt „Jugendentwicklung durch Fußball“ mit 7,5 Millionen Euro und das Projekt „Gewaltprävention durch Kinder- und Jugendfußball“ mit 4,5 Millionen zu fördern. Der vorliegende Beitrag stellt die Grundlagen der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit dar und analysiert die gegenwärtige Situation in Deutschland.

6

Förderung des Sports – Förderung durch Sport Die Aufgabe der Entwicklungspolitik in den Entwicklungsländern ist die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse. Damit ist die Entwicklungspolitik neben der Außen- und Sicherheitspolitik ein Hauptbestandteil eines Gesamtkonzeptes zur Friedenspolitik. Die Maßnahmen der Entwicklungspolitik sollen die strukturellen Ursachen für Konflikte aller Art bekämpfen und zur humanen Konfliktlösung beitragen. Doch welche Bedeutung hat der Sport in diesem Zusammenhang und wie gestaltet sich das Miteinander von Sport und Entwicklung in der entwicklungspolitischen Realität Deutschlands? Zur Beantwortung dieser Frage muss neben definitorischen Aspekten auch das Zusammenspiel der verschiedenen mit Entwicklungspolitik befassten Institutionen behandelt werden (vgl. hierzu und im folgenden Groll & Hillbring 2010 sowie Hillbring 2010). Die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit ist ein nicht klar definiertes politisches Handlungsfeld, das durch unterschiedliche Konzepte sowie eine Begriffsvielfalt geprägt ist: „Zusammenarbeit im Sport mit der Dritten Welt“, „Sportentwicklungshilfe“, „Sportförderung für Länder der Dritten Welt“, „Entwicklungszusammenarbeit im Sport“, „Förderung des Sports in der Dritten Welt“, „Sportliche Entwicklungszusammenarbeit“ sowie „Förderung von Sport in Ländern der Dritten Welt“ (Andresen, Rieder & Trosien 1989, Müller 2004, Digel & Fornoff 1989). Die Ansätze sportbezogener Entwicklungszusammenarbeit unterscheiden sich dabei grundlegend: Die „Entwicklung des Sports“ sieht die Sportförderung als Bestandteil und Ziel der Entwicklungszusammenarbeit (Schott & Merkel 2008) während bei der „Entwicklung durch Sport“ der Sport als Instrument eingesetzt wird, um andere soziale, politische oder ökonomische Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen (vgl. Levermore 2009). Diese beiden Stoßrichtungen („Sport plus Development“ und „Development F|I|T 02 | 2010

plus Sport“) gehen in der Praxis oftmals ineinander über (vgl. Coalter 2008, DEZA 2005). Sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit ist Entwicklung des Sports, bei der die Verbesserung der Lebenssituation quasi ein Nebeneffekt sein kann. Andererseits steht die allgemeine Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund, in der Sport und Bewegung ein Entwicklungsinstrument sein kann. Grundzüge deutscher Entwicklungspolitik Den internationalen Abkommen entsprechend definiert der Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009 zwischen der CDU, CSU und der FDP das Ziel der aktuellen deutschen Entwicklungspolitik als nachhaltige Bekämpfung von Armut und Strukturdefiziten im Sinne der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen (vgl. CDU, CSU & FDP 2009). Zu den internationalen Verpflichtungen zählt die schrittweise Erhöhung der deutschen öffentlichen Entwicklungsleistungen auf 0,7% des Bruttosozialprodukts, jedoch nicht ohne darauf zu verweisen, dass sich „diesem Ziel verantwortlich im Rahmen des Bundeshaushalts“ (CDU, CSU & FDP 2009) angenähert werden soll. Ein Zeitpunkt für die Erfüllung dieser Pflicht wird nicht genannt. Organisatorisch soll die Wirksamkeit der Entwicklungspolitik durch eine grundlegende Reform in der Technischen Zusammenarbeit verbessert werden. Die Zusammenführung der vorhandenen Organisationen soll Doppelstrukturen abbauen und Synergien nutzen. Geplant ist eine Zusammenlegung von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), des Deutschen Entwicklungsdienstes (ded) und Inwent (Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH) zu einer Durchführungsorganisation (Dembowski 2010). Die schwarz-gelbe Regierungskoalition möchte zukünftig den Anteil der bilateralen Mittel leicht erhöhen und die multilateralen Mittel leicht senken. Diese Politik soll den Wirkungsgrad und die Gestaltungsmöglichkeiten der deutschen Entwick7


Sporthochschul-Absolvent und DOSB-Experte Sebastian Rockenfeller setzt in Zusammenarbeit mit dem Verein „Jambo Bukoba e.V.“ den Sport als Instrument der HIV/Aids-Bekämpfung in Tansania ein. Den Sportlehrerinnen und -lehrern wird das Konzept „Kicking Aids Out“ vermittelt.

Text Michael Groll & Karen Petry Fotos loewentreu, Sebastian Rockenfeller

Sport und Entwicklung Deutsche Entwicklungspolitik und ihr Verhältnis zum Sport Wirtschaftliche, soziale, ökologische und politische Verhältnisse in den Entwicklungsländern zu verbessern, das ist das Ziel der Entwicklungspolitik. Der Sport leistet hierzu einen entscheidenden Beitrag. Er wird als Mittel zur Krisenprävention und Völkerverständigung genutzt, um Vorurteile abzubauen und Vertrauen und Verständnis über sprachliche, politische und kulturelle Grenzen hinaus zu fördern. Thematisch stehen vor allem zwei Sportarten im Vordergrund: Fußball und Leichtathletik. Die erste Fußball-WM 2010 in Südafrika nahm das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zum Anlass, das Projekt „Jugendentwicklung durch Fußball“ mit 7,5 Millionen Euro und das Projekt „Gewaltprävention durch Kinder- und Jugendfußball“ mit 4,5 Millionen zu fördern. Der vorliegende Beitrag stellt die Grundlagen der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit dar und analysiert die gegenwärtige Situation in Deutschland.

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Förderung des Sports – Förderung durch Sport Die Aufgabe der Entwicklungspolitik in den Entwicklungsländern ist die Verbesserung der wirtschaftlichen, sozialen, ökologischen und politischen Verhältnisse. Damit ist die Entwicklungspolitik neben der Außen- und Sicherheitspolitik ein Hauptbestandteil eines Gesamtkonzeptes zur Friedenspolitik. Die Maßnahmen der Entwicklungspolitik sollen die strukturellen Ursachen für Konflikte aller Art bekämpfen und zur humanen Konfliktlösung beitragen. Doch welche Bedeutung hat der Sport in diesem Zusammenhang und wie gestaltet sich das Miteinander von Sport und Entwicklung in der entwicklungspolitischen Realität Deutschlands? Zur Beantwortung dieser Frage muss neben definitorischen Aspekten auch das Zusammenspiel der verschiedenen mit Entwicklungspolitik befassten Institutionen behandelt werden (vgl. hierzu und im folgenden Groll & Hillbring 2010 sowie Hillbring 2010). Die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit ist ein nicht klar definiertes politisches Handlungsfeld, das durch unterschiedliche Konzepte sowie eine Begriffsvielfalt geprägt ist: „Zusammenarbeit im Sport mit der Dritten Welt“, „Sportentwicklungshilfe“, „Sportförderung für Länder der Dritten Welt“, „Entwicklungszusammenarbeit im Sport“, „Förderung des Sports in der Dritten Welt“, „Sportliche Entwicklungszusammenarbeit“ sowie „Förderung von Sport in Ländern der Dritten Welt“ (Andresen, Rieder & Trosien 1989, Müller 2004, Digel & Fornoff 1989). Die Ansätze sportbezogener Entwicklungszusammenarbeit unterscheiden sich dabei grundlegend: Die „Entwicklung des Sports“ sieht die Sportförderung als Bestandteil und Ziel der Entwicklungszusammenarbeit (Schott & Merkel 2008) während bei der „Entwicklung durch Sport“ der Sport als Instrument eingesetzt wird, um andere soziale, politische oder ökonomische Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit zu erreichen (vgl. Levermore 2009). Diese beiden Stoßrichtungen („Sport plus Development“ und „Development F|I|T 02 | 2010

plus Sport“) gehen in der Praxis oftmals ineinander über (vgl. Coalter 2008, DEZA 2005). Sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit ist Entwicklung des Sports, bei der die Verbesserung der Lebenssituation quasi ein Nebeneffekt sein kann. Andererseits steht die allgemeine Entwicklungszusammenarbeit im Vordergrund, in der Sport und Bewegung ein Entwicklungsinstrument sein kann. Grundzüge deutscher Entwicklungspolitik Den internationalen Abkommen entsprechend definiert der Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009 zwischen der CDU, CSU und der FDP das Ziel der aktuellen deutschen Entwicklungspolitik als nachhaltige Bekämpfung von Armut und Strukturdefiziten im Sinne der Millenniums-Erklärung der Vereinten Nationen (vgl. CDU, CSU & FDP 2009). Zu den internationalen Verpflichtungen zählt die schrittweise Erhöhung der deutschen öffentlichen Entwicklungsleistungen auf 0,7% des Bruttosozialprodukts, jedoch nicht ohne darauf zu verweisen, dass sich „diesem Ziel verantwortlich im Rahmen des Bundeshaushalts“ (CDU, CSU & FDP 2009) angenähert werden soll. Ein Zeitpunkt für die Erfüllung dieser Pflicht wird nicht genannt. Organisatorisch soll die Wirksamkeit der Entwicklungspolitik durch eine grundlegende Reform in der Technischen Zusammenarbeit verbessert werden. Die Zusammenführung der vorhandenen Organisationen soll Doppelstrukturen abbauen und Synergien nutzen. Geplant ist eine Zusammenlegung von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ), des Deutschen Entwicklungsdienstes (ded) und Inwent (Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH) zu einer Durchführungsorganisation (Dembowski 2010). Die schwarz-gelbe Regierungskoalition möchte zukünftig den Anteil der bilateralen Mittel leicht erhöhen und die multilateralen Mittel leicht senken. Diese Politik soll den Wirkungsgrad und die Gestaltungsmöglichkeiten der deutschen Entwick7


„Jambo Bukoba“ – Sport und Entwicklung in Tansania Jambo Bukoba e.V. engagiert sich für Kinder und Jugendliche in der Region Kagera in den Bereichen Gesundheit (HIV/Aids), Chancengleichheit für Mädchen und Bildung. Der Sport spielt hierbei eine herausragende Rolle. Die Projekte werden von der Deutschen Sporthochschule wissenschaftlich begleitet. Neben der Ausarbeitung und Durchführung der Lehrerausbildung gehört hierzu insbesondere auch die Evaluation der Maßnahmen, um sicher zu stellen, dass das Ziel der Nachhaltigkeit erreicht wird. www.jambobukoba.com

„Namibia Sports Project 2008“: Interkulturelles Lernen und praktische Entwicklungszusammenarbeit über das Medium Sport. Projektleiter: Sebastian Rockenfeller, Projektpartner: Deutsche Sport­hochschule Köln. Links: Sportangebot am Nachmittag. Rechts: Schulbesuch an einer der drei Projektschulen.

lungspolitik erhöhen (CDU, CSU & FDP 2009). Zusätzlich ist die Entwicklungspolitik ein außenpolitisch wichtiger Faktor der Friedenspolitik. Das formulierte Ziel der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist Bestandteil dieser Friedenspolitik (Wieczorek-Zeul 2000). Sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland Die wichtigsten Regierungsressorts sind das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die von Deutschland geförderte Sportentwicklung ist seit 1961 ein fester Bestandteil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik des Auswärtigen Amtes. Zum Zwecke dieser „internationalen Sportförderung“ wurden seither über 1.300 Langzeit- und Kurzzeitprojekte in mehr als 100 Ländern gefördert (Sportausschuss des Deutschen Bundestages 2010). Die Zusammenarbeit erfolgt mit Ländern der Dritten Welt, Ländern in Mittel- und Osteuropa, der Gemeinschaft unabhängiger Staaten, China und der Mongolei (Deutscher Bundestag 2006). Die Sportentwicklung als sogenannte internationale Sportförderung ist in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eingebunden, welche „ein wesentliches Instrument zur Förderung eines positiven Deutschlandbildes im Ausland“ und „ein zentrales Element glaubwürdiger und nachhaltiger Außenpolitik“ (Auswärtiges Amt 2010) ist. Besonders drei von acht Kernzie-

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len der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik werden von der internationalen Sportförderung erfüllt: · Konfliktprävention durch interkulturellen Dialog, · Sympathiewerbung und Vermittlung eines modernen Deutschlandbildes, · Unterstützung der allgemeinen Ziele der deutschen Außenpolitik.

„Jambo Bukoba“: Tansanische Schulkinder bei einem Spiel zur Stärkung von „Life skills” (soziale Fähigkeiten). Die Teilnehmer der Workshops müssen das Erlernte in einer Lehrprobe mit Kindern unter Beweis stellen.

(Laufzeit 2007-2012). Die erste Fußballweltmeisterschaft der Herren 2010 in Südafrika bzw. auf dem afrikanischen Kontinent wurde zum Anlass genommen, das Projekt „Jugendentwicklung durch Fußball“ mit 7,5 Millionen Euro und das Projekt „Gewaltprävention durch Kinder- und Jugendfußball“ mit 4,5 Millionen Euro zu fördern (BMZ 2010a).

Dies bedeutet, dass der Sport als Mittel zur Krisenprävention und Völkerverständigung genutzt wird, um Vorurteile abzubauen und Vertrauen und Verständnis über sprachliche, politische und kulturelle Grenzen hinaus zu fördern (Sportausschuss des Deutschen Bundestages 2010). Um diese positiven Wirkungen erzielen zu können, wird der Auf- und Ausbau des Breitenund Behindertensports gefördert. Damit wird ein Beitrag zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen unter dem Aspekt der „Hilfe zur Selbsthilfe“ geleistet (Auswärtiges Amt 2010). Zudem spricht die Bundesregierung von einem hohen Maß an Sympathiewerbung für Deutschland durch diese Art der bilateralen Zusammenarbeit (Deutscher Bundestag 2006).

Ausgehend von den politischen Akteuren der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit gibt es neben dem Auswärtigen Amt und dem BMZ weitere Partner- und Durchführungsorganisationen, welche im Auftrag der Bundesregierung handeln und von dieser finanziell unterstützt werden. Durchführungsorganisationen sind etwa die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der Deutsche Entwicklungsdienst, Inwent, das Centrum für internationale Migration und Entwicklung oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Partnerorganisationen des Sports sind dabei der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV), der Deutsche Fußball Bund (DFB), die Sportuniversitäten Leipzig und Mainz und die Sportschulen des DFB in Hennef und Sieg.

Die Aktivitäten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Bereich der Sportförderung sind seit 2005 auf die Schwerpunkte in den Bereichen Armutsbekämpfung, Bildung, gesundheitliche Basisversorgung, Gewaltprävention, Bekämpfung von HIV und Umweltschutz fokussiert. Allerdings beteiligt sich das BMZ finanziell gegenwärtig nur an einem Fußballprojekt in Südafrika

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit als Kooperationsprojekte Die Organisationsstruktur der deutschen Akteure ist in zwei Bereiche aufgeteilt, die jeweils von den beteiligten Bundesministerien (Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) bestimmt sind. Beide Bundesministerien haben ihre eigenen Konzepte

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und arbeiten in der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit nicht zusammen. Abbildung 1 verdeutlicht die Kooperationsstruktur der Sportentwicklungsprojekte unter Federführung des Auswärtigen Amtes. Projekte können auf zwei Wegen initiiert werden: (1) Die Spitzenverbände sowie deren ausländische Partnerorganisationen, Nationale Olympische Komitees und Sportdachverbände sind gegenüber dem DOSB antragsberechtigt. Der Projektbedarf wird entweder von den Verbänden selbst erkannt oder aus den Entwicklungsländern an die Verbände herangetragen. (2) Der zweite Weg führt über die zuständigen deutschen Auslandsvertretungen (Botschaften). Diese leiten die Projektanträge an das Auswärtige Amt weiter. Im Interministeriellen Ausschuss beraten das Auswärtige Amt, das Bundesverwaltungsamt, das Bundesinnenmisterium als Gasthörer sowie der DOSB, der DFB und der DLV über die Projektanträge. Das Auswärtige Amt bewertet die Anträge inhaltlich, während das Bundesverwaltungsamt der Zuwendungsgeber ist. Der DOSB koordiniert die Lang- und Kurzzeitprojekte und führt diese in Zusammenarbeit und mit fachlicher Assistenz der Spitzenverbände in den Entwicklungsländern durch. Die Kooperationsstruktur bei Projekten der Entwicklung durch Sport unter Federführung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit ist in Abbildung

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„Jambo Bukoba“ – Sport und Entwicklung in Tansania Jambo Bukoba e.V. engagiert sich für Kinder und Jugendliche in der Region Kagera in den Bereichen Gesundheit (HIV/Aids), Chancengleichheit für Mädchen und Bildung. Der Sport spielt hierbei eine herausragende Rolle. Die Projekte werden von der Deutschen Sporthochschule wissenschaftlich begleitet. Neben der Ausarbeitung und Durchführung der Lehrerausbildung gehört hierzu insbesondere auch die Evaluation der Maßnahmen, um sicher zu stellen, dass das Ziel der Nachhaltigkeit erreicht wird. www.jambobukoba.com

„Namibia Sports Project 2008“: Interkulturelles Lernen und praktische Entwicklungszusammenarbeit über das Medium Sport. Projektleiter: Sebastian Rockenfeller, Projektpartner: Deutsche Sport­hochschule Köln. Links: Sportangebot am Nachmittag. Rechts: Schulbesuch an einer der drei Projektschulen.

lungspolitik erhöhen (CDU, CSU & FDP 2009). Zusätzlich ist die Entwicklungspolitik ein außenpolitisch wichtiger Faktor der Friedenspolitik. Das formulierte Ziel der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ist Bestandteil dieser Friedenspolitik (Wieczorek-Zeul 2000). Sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit in Deutschland Die wichtigsten Regierungsressorts sind das Auswärtige Amt (AA) und das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Die von Deutschland geförderte Sportentwicklung ist seit 1961 ein fester Bestandteil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik des Auswärtigen Amtes. Zum Zwecke dieser „internationalen Sportförderung“ wurden seither über 1.300 Langzeit- und Kurzzeitprojekte in mehr als 100 Ländern gefördert (Sportausschuss des Deutschen Bundestages 2010). Die Zusammenarbeit erfolgt mit Ländern der Dritten Welt, Ländern in Mittel- und Osteuropa, der Gemeinschaft unabhängiger Staaten, China und der Mongolei (Deutscher Bundestag 2006). Die Sportentwicklung als sogenannte internationale Sportförderung ist in die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik eingebunden, welche „ein wesentliches Instrument zur Förderung eines positiven Deutschlandbildes im Ausland“ und „ein zentrales Element glaubwürdiger und nachhaltiger Außenpolitik“ (Auswärtiges Amt 2010) ist. Besonders drei von acht Kernzie-

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len der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik werden von der internationalen Sportförderung erfüllt: · Konfliktprävention durch interkulturellen Dialog, · Sympathiewerbung und Vermittlung eines modernen Deutschlandbildes, · Unterstützung der allgemeinen Ziele der deutschen Außenpolitik.

„Jambo Bukoba“: Tansanische Schulkinder bei einem Spiel zur Stärkung von „Life skills” (soziale Fähigkeiten). Die Teilnehmer der Workshops müssen das Erlernte in einer Lehrprobe mit Kindern unter Beweis stellen.

(Laufzeit 2007-2012). Die erste Fußballweltmeisterschaft der Herren 2010 in Südafrika bzw. auf dem afrikanischen Kontinent wurde zum Anlass genommen, das Projekt „Jugendentwicklung durch Fußball“ mit 7,5 Millionen Euro und das Projekt „Gewaltprävention durch Kinder- und Jugendfußball“ mit 4,5 Millionen Euro zu fördern (BMZ 2010a).

Dies bedeutet, dass der Sport als Mittel zur Krisenprävention und Völkerverständigung genutzt wird, um Vorurteile abzubauen und Vertrauen und Verständnis über sprachliche, politische und kulturelle Grenzen hinaus zu fördern (Sportausschuss des Deutschen Bundestages 2010). Um diese positiven Wirkungen erzielen zu können, wird der Auf- und Ausbau des Breitenund Behindertensports gefördert. Damit wird ein Beitrag zur Förderung von zivilgesellschaftlichen Strukturen unter dem Aspekt der „Hilfe zur Selbsthilfe“ geleistet (Auswärtiges Amt 2010). Zudem spricht die Bundesregierung von einem hohen Maß an Sympathiewerbung für Deutschland durch diese Art der bilateralen Zusammenarbeit (Deutscher Bundestag 2006).

Ausgehend von den politischen Akteuren der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit gibt es neben dem Auswärtigen Amt und dem BMZ weitere Partner- und Durchführungsorganisationen, welche im Auftrag der Bundesregierung handeln und von dieser finanziell unterstützt werden. Durchführungsorganisationen sind etwa die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der Deutsche Entwicklungsdienst, Inwent, das Centrum für internationale Migration und Entwicklung oder die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Partnerorganisationen des Sports sind dabei der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV), der Deutsche Fußball Bund (DFB), die Sportuniversitäten Leipzig und Mainz und die Sportschulen des DFB in Hennef und Sieg.

Die Aktivitäten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Bereich der Sportförderung sind seit 2005 auf die Schwerpunkte in den Bereichen Armutsbekämpfung, Bildung, gesundheitliche Basisversorgung, Gewaltprävention, Bekämpfung von HIV und Umweltschutz fokussiert. Allerdings beteiligt sich das BMZ finanziell gegenwärtig nur an einem Fußballprojekt in Südafrika

Deutsche Entwicklungszusammenarbeit als Kooperationsprojekte Die Organisationsstruktur der deutschen Akteure ist in zwei Bereiche aufgeteilt, die jeweils von den beteiligten Bundesministerien (Auswärtiges Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) bestimmt sind. Beide Bundesministerien haben ihre eigenen Konzepte

F|I|T 02 | 2010

und arbeiten in der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit nicht zusammen. Abbildung 1 verdeutlicht die Kooperationsstruktur der Sportentwicklungsprojekte unter Federführung des Auswärtigen Amtes. Projekte können auf zwei Wegen initiiert werden: (1) Die Spitzenverbände sowie deren ausländische Partnerorganisationen, Nationale Olympische Komitees und Sportdachverbände sind gegenüber dem DOSB antragsberechtigt. Der Projektbedarf wird entweder von den Verbänden selbst erkannt oder aus den Entwicklungsländern an die Verbände herangetragen. (2) Der zweite Weg führt über die zuständigen deutschen Auslandsvertretungen (Botschaften). Diese leiten die Projektanträge an das Auswärtige Amt weiter. Im Interministeriellen Ausschuss beraten das Auswärtige Amt, das Bundesverwaltungsamt, das Bundesinnenmisterium als Gasthörer sowie der DOSB, der DFB und der DLV über die Projektanträge. Das Auswärtige Amt bewertet die Anträge inhaltlich, während das Bundesverwaltungsamt der Zuwendungsgeber ist. Der DOSB koordiniert die Lang- und Kurzzeitprojekte und führt diese in Zusammenarbeit und mit fachlicher Assistenz der Spitzenverbände in den Entwicklungsländern durch. Die Kooperationsstruktur bei Projekten der Entwicklung durch Sport unter Federführung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit ist in Abbildung

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3

Auswärtiges Amt

B2

2 Interministerieller Ausschuss

3

5

Deutscher Olympischer Sportbund

A2 Botschaften

B1

Bundesministerium für wirtschaftl. Zusammen­ arbeit und Entwicklung

Europäische Union

3

1 Kreditanstalt für ­Wiederaufbau Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit

4

4

Spitzenverbände Internationale Weiter­ bildung und Entwicklung

A1

5

Deutscher ­Entwicklungsdienst

5

2A

2

3. Welt 3. Welt

Weg A

Weg B

Abb. 1 Organisationsstruktur der Sportentwicklung des Auswärtigen Amtes.

10

2B

Nicht-Regierungs­ organisationen

Abb. 2 Organisationsstruktur des Bereichs Sport für Entwicklung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

2 dargestellt. Anlässlich der Fußball-WM 2010 in Südafrika engagiert sich das BMZ beispielsweise durch fußballbezogene Projekte (BMZ 2010b). Dazu beauftragt das BMZ die Durchführungsorganisationen GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), Inwent und ded (Deutscher Entwicklungsdienst) mit der Realisierung. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ist für die Umsetzung des Projekts „Jugendentwicklung durch Fußball“ zuständig. Sie arbeitet in den Entwicklungsländern mit örtlichen Nichtregierungsorganisationen (NROs) zusammen und unterstützt diese bei der Umsetzung. Inwent wurde vom BMZ mit dem Projekt „Partnerschaft mit Kick“ beauftragt. Bei diesem Projekt kooperiert Inwent mit der GTZ und dem ded. Der Deutsche Entwicklungsdienst unterstützt im Rahmen des BMZ-Programms weltweit den Bereich „Sport für Entwicklung“, während die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit dem Projekt „Gewaltprävention durch Kinder- und Jugendfußball“ eng mit den Kommunen in den Entwicklungsländern sowie deren Fußballverbänden und örtlichen Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitet. Die Europäische Kommission unterstützt die GTZ bei der Umsetzung ihrer Projekte im Rahmen einer Co-Finanzierung.

zusammenarbeit und Friedens- und Konfliktforschung Evaluierungskriterien und Veröffentlichungen von Standards und Instrumenten zu Monitoring and Evaluation seit längerer Zeit verfügbar sind. Unter anderem veröffentlichte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ 2006) Evaluierungskriterien für die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit stellte 2007 ein Konzept Peace and Conflict Assessment bereit, das einen methodischen Rahmen zur konflikt- und friedensbezogenen Ausrichtung von Maßnahmen in der Entwicklungszusammenarbeit darstellt. Auch auf internationaler Ebene werden Qualitätsstandards für die Entwicklungsevaluierung von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2010) bereitgestellt. Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit veröffentlichte 2005 das Konzept Sport für Entwicklung und Frieden, das fundierte Informationen zu verschiedenen sportbezogenen Themen wie Gesundheit, Förderung der Persönlichkeitsentwicklung oder soziale Integration liefert, jedoch keine detaillierten Kriterien und Instrumente zur Evaluation beinhaltet.

Evaluation sportbezogener Entwicklungsprojekte Es fällt auf, dass es relativ wenige Veröffentlichungen zur Evaluation sportbezogener Entwicklungsprojekte im Hinblick auf die Effektivität, Relevanz oder die Nachhaltigkeit der Projekte gibt. Und dies, obwohl im Bereich der Entwicklungs-

Unter anderem betont Coalter (2007) die Notwendigkeit, die Einflüsse von Sport in Entwicklungsprojekten zu evaluieren. Hierbei sind das wissenschaftliche Verständnis und die Offenheit der Ergebnisse von Monitoring und Evaluation ausschlaggebend. Die Evaluation der sportbezogenen Entwicklungspro-

jekte sollte nicht dazu dienen, vorwiegend positive Ergebnisse zu erfassen, um die Mittelgeber und Partner der Projekte zufrieden zu stellen und die weitere Finanzierung zu sichern (NSD 2009). Es gilt kritisch zu hinterfragen und unabhängig zu evaluieren, ob Projekte erfolgreich in ihrer Umsetzung und Wirkung sind. Auch Schott & Merkel (2009) weisen darauf hin, dass sportliche Maßnahmen in Entwicklungsländern dokumentiert und evaluiert werden sollten. Die Ziele der Evaluation im Allgemeinen beziehen sich auf die Gewinnung von Erkenntnissen, die Ausübung von Kontrolle, die Schaffung von Transparenz für eine weitere Entwicklung und die Legitimation der durchgeführten Maßnahmen. Die einzelnen Ziele lassen sich voneinander abgrenzen, sind jedoch miteinander verbunden. Je nach Zielstellung können unterschiedliche Herangehensweisen eingesetzt werden (Stockmann 2007). Wird ein Evaluationsvorhaben realisiert, wird in Monitoring und/oder Evaluation unterschieden, welche Steuerungsinstrumente bei Projekten, Programmen oder Prozessen darstellen. Das Monitoring beinhaltet anfangs die Bestandsaufnahme eines Projekts oder Programms und soll im weiteren Verlauf kontinuierlich Daten über den Verlauf in Bezug zu der Zielerreichung liefern (Stockmann 2007, INSDC 2008). Wissenschaftliche Evaluation ist notwendig In der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit ist die Dominanz der politischen Akteure Auswärtiges Amt und

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Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auffallend. Diese beiden Bundesministerien bestimmen die Aktivitäten in dem Feld, die Sportverbände und Durchführungsorganisationen werden für die Erfüllung der Aufträge herangezogen. Eigenaktivitäten der Partner- und Durchführungsorganisationen sind in Ansätzen zu erkennen, aber meist auf persönliches Engagement Einzelner zurückzuführen. Unternehmen aus der Wirtschaft ergreifen keine konzeptionelle Initiative, sondern treten höchstens als Sponsoren auf. Der Schwerpunkt der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit liegt deutlich auf afrikanischen Entwicklungsländern. 62% der in Auftrag gegebenen Kurz- und Langzeitprojekte des Auswärtigen Amtes im Jahr 2009 fanden in Afrika statt. Das Engagement des BMZ findet bislang ausschließlich in neun afrikanischen Entwicklungsländern statt. Thematisch stehen zwei Sportarten im Vordergrund: Fußball und Leichtathletik. Acht von 13 Langzeit- und 17 von 48 Kurzzeitprojekten des Auswärtigen Amtes sind Fußballprojekte. Das BMZ arbeitet ausschließlich mit dem Fußball. Leichtathletik als zweite Schwerpunktsportart ist in vier Langzeit- und in elf Kurzzeitprojekten thematisches Zentrum. Durch Bereitstellung des größten Teils der finanziellen Mittel ergibt sich für das Auswärtige Amt und für das BMZ ein besonderes Mitspracherecht bei der Projektumsetzung. Das Auswärtige Amt inves­ tierte im Jahr 2008 4,85 Millionen Euro, das BMZ gemittelte 2,57 Millionen Euro in die sportbezogene Entwicklungszusam-

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3

Auswärtiges Amt

B2

2 Interministerieller Ausschuss

3

5

Deutscher Olympischer Sportbund

A2 Botschaften

B1

Bundesministerium für wirtschaftl. Zusammen­ arbeit und Entwicklung

Europäische Union

3

1 Kreditanstalt für ­Wiederaufbau Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit

4

4

Spitzenverbände Internationale Weiter­ bildung und Entwicklung

A1

5

Deutscher ­Entwicklungsdienst

5

2A

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3. Welt 3. Welt

Weg A

Weg B

Abb. 1 Organisationsstruktur der Sportentwicklung des Auswärtigen Amtes.

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Nicht-Regierungs­ organisationen

Abb. 2 Organisationsstruktur des Bereichs Sport für Entwicklung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).

2 dargestellt. Anlässlich der Fußball-WM 2010 in Südafrika engagiert sich das BMZ beispielsweise durch fußballbezogene Projekte (BMZ 2010b). Dazu beauftragt das BMZ die Durchführungsorganisationen GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit), Inwent und ded (Deutscher Entwicklungsdienst) mit der Realisierung. Die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit ist für die Umsetzung des Projekts „Jugendentwicklung durch Fußball“ zuständig. Sie arbeitet in den Entwicklungsländern mit örtlichen Nichtregierungsorganisationen (NROs) zusammen und unterstützt diese bei der Umsetzung. Inwent wurde vom BMZ mit dem Projekt „Partnerschaft mit Kick“ beauftragt. Bei diesem Projekt kooperiert Inwent mit der GTZ und dem ded. Der Deutsche Entwicklungsdienst unterstützt im Rahmen des BMZ-Programms weltweit den Bereich „Sport für Entwicklung“, während die Kreditanstalt für Wiederaufbau mit dem Projekt „Gewaltprävention durch Kinder- und Jugendfußball“ eng mit den Kommunen in den Entwicklungsländern sowie deren Fußballverbänden und örtlichen Nichtregierungsorganisationen zusammenarbeitet. Die Europäische Kommission unterstützt die GTZ bei der Umsetzung ihrer Projekte im Rahmen einer Co-Finanzierung.

zusammenarbeit und Friedens- und Konfliktforschung Evaluierungskriterien und Veröffentlichungen von Standards und Instrumenten zu Monitoring and Evaluation seit längerer Zeit verfügbar sind. Unter anderem veröffentlichte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ 2006) Evaluierungskriterien für die deutsche bilaterale Entwicklungszusammenarbeit. Und die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit stellte 2007 ein Konzept Peace and Conflict Assessment bereit, das einen methodischen Rahmen zur konflikt- und friedensbezogenen Ausrichtung von Maßnahmen in der Entwicklungszusammenarbeit darstellt. Auch auf internationaler Ebene werden Qualitätsstandards für die Entwicklungsevaluierung von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (2010) bereitgestellt. Die Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit veröffentlichte 2005 das Konzept Sport für Entwicklung und Frieden, das fundierte Informationen zu verschiedenen sportbezogenen Themen wie Gesundheit, Förderung der Persönlichkeitsentwicklung oder soziale Integration liefert, jedoch keine detaillierten Kriterien und Instrumente zur Evaluation beinhaltet.

Evaluation sportbezogener Entwicklungsprojekte Es fällt auf, dass es relativ wenige Veröffentlichungen zur Evaluation sportbezogener Entwicklungsprojekte im Hinblick auf die Effektivität, Relevanz oder die Nachhaltigkeit der Projekte gibt. Und dies, obwohl im Bereich der Entwicklungs-

Unter anderem betont Coalter (2007) die Notwendigkeit, die Einflüsse von Sport in Entwicklungsprojekten zu evaluieren. Hierbei sind das wissenschaftliche Verständnis und die Offenheit der Ergebnisse von Monitoring und Evaluation ausschlaggebend. Die Evaluation der sportbezogenen Entwicklungspro-

jekte sollte nicht dazu dienen, vorwiegend positive Ergebnisse zu erfassen, um die Mittelgeber und Partner der Projekte zufrieden zu stellen und die weitere Finanzierung zu sichern (NSD 2009). Es gilt kritisch zu hinterfragen und unabhängig zu evaluieren, ob Projekte erfolgreich in ihrer Umsetzung und Wirkung sind. Auch Schott & Merkel (2009) weisen darauf hin, dass sportliche Maßnahmen in Entwicklungsländern dokumentiert und evaluiert werden sollten. Die Ziele der Evaluation im Allgemeinen beziehen sich auf die Gewinnung von Erkenntnissen, die Ausübung von Kontrolle, die Schaffung von Transparenz für eine weitere Entwicklung und die Legitimation der durchgeführten Maßnahmen. Die einzelnen Ziele lassen sich voneinander abgrenzen, sind jedoch miteinander verbunden. Je nach Zielstellung können unterschiedliche Herangehensweisen eingesetzt werden (Stockmann 2007). Wird ein Evaluationsvorhaben realisiert, wird in Monitoring und/oder Evaluation unterschieden, welche Steuerungsinstrumente bei Projekten, Programmen oder Prozessen darstellen. Das Monitoring beinhaltet anfangs die Bestandsaufnahme eines Projekts oder Programms und soll im weiteren Verlauf kontinuierlich Daten über den Verlauf in Bezug zu der Zielerreichung liefern (Stockmann 2007, INSDC 2008). Wissenschaftliche Evaluation ist notwendig In der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit ist die Dominanz der politischen Akteure Auswärtiges Amt und

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Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung auffallend. Diese beiden Bundesministerien bestimmen die Aktivitäten in dem Feld, die Sportverbände und Durchführungsorganisationen werden für die Erfüllung der Aufträge herangezogen. Eigenaktivitäten der Partner- und Durchführungsorganisationen sind in Ansätzen zu erkennen, aber meist auf persönliches Engagement Einzelner zurückzuführen. Unternehmen aus der Wirtschaft ergreifen keine konzeptionelle Initiative, sondern treten höchstens als Sponsoren auf. Der Schwerpunkt der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit liegt deutlich auf afrikanischen Entwicklungsländern. 62% der in Auftrag gegebenen Kurz- und Langzeitprojekte des Auswärtigen Amtes im Jahr 2009 fanden in Afrika statt. Das Engagement des BMZ findet bislang ausschließlich in neun afrikanischen Entwicklungsländern statt. Thematisch stehen zwei Sportarten im Vordergrund: Fußball und Leichtathletik. Acht von 13 Langzeit- und 17 von 48 Kurzzeitprojekten des Auswärtigen Amtes sind Fußballprojekte. Das BMZ arbeitet ausschließlich mit dem Fußball. Leichtathletik als zweite Schwerpunktsportart ist in vier Langzeit- und in elf Kurzzeitprojekten thematisches Zentrum. Durch Bereitstellung des größten Teils der finanziellen Mittel ergibt sich für das Auswärtige Amt und für das BMZ ein besonderes Mitspracherecht bei der Projektumsetzung. Das Auswärtige Amt inves­ tierte im Jahr 2008 4,85 Millionen Euro, das BMZ gemittelte 2,57 Millionen Euro in die sportbezogene Entwicklungszusam-

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Namibia Sports Project 2008 Ziele Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern zur Verbesserung des Sportunterrichts im innerschulischen Rahmen. Unterrichtsassistenz und selbständige Unterrichtsgestaltung. Schaffen von sportlichen Nachmittags­ angeboten und Stärkung der außer­ schulischen Sportstrukturen. Lern- und Lehrmaterialspenden zur Stärkung des Schulsports. www.namibiaproject-sportsand development.blogspot.com/

Sportlich aktiv ohne Schmerzen Korrektur muskulärer Dysbalancen durch sensomotorische Einlagenversorgung Wenn Sportler über Gelenkprobleme, Rücken- oder Kopf­ schmer­zen klagen, sind häufig muskuläre Dysbalancen in den Füßen und unteren Extremitäten die Ursache. In seiner fundamentalen Funktion als Stabilisator des gesamten Bewegungsapparates ermöglicht der Fuß den aufrechten Gang und die Ausführung funktionell erlernter Bewegungsmuster. In seiner Bewegungsausführung obliegt er dem sensomotorischen Regelwerk. Propriozeptoren messen und melden die Muskelspannung im Muskelbauch über das afferente System an das ZNS. Über die efferenten Nervenfasern gelangen Befehle zur Steigerung oder Reduzierung von Muskelaktivität und somit zur Bewegungsausführung zurück an das Erfolgsorgan. Durch die ständige Wiederholung dieser rückkopplungsgesteuerten Befehle und Muskelreaktionen ergibt sich ein konditioniertes Bewegungsmuster.

In diesem Fall bedarf es einer Korrektur der Fußfehlstellung. „Im Gegensatz zu herkömmlichen Einlagen stellen sensomotorische Einlagen kein statisches Hilfsmittel dar, sondern optimieren die Funktion des Fußes über das sensomotorische System“, erläutert Dr. Matthias Marquardt, Sportmediziner und Autor der Laufbibel. Das individuell angefertigte Einlagen-Relief manipuliert den Muskeltonus. Diese neuen Reize und Daten werden vom ZNS ausgewertet und mit entsprechenden Befehlen beantwortet. Eine daraus resultierende physiologische Neuausrichtung führt langfristig zum neu erlernten, „richtigen“ Bewegungsmuster. Sensomotorische Einlagen verfolgen somit einen rehabilitativen Therapie­ ansatz mit dem Ziel der einlagenfreien, achsengerechten Bewegungsausführung.

Sowohl die veränderte muskuläre Aktivierung als auch die Sind Muskelreaktionen durch fehlgestellte Knochen, Gelenke Schmerzreduktion durch sensomotorische Einlagenversoroder Sehnen in den Füßen blockiert, müssen nicht geleiste- gung wurden wissenschaftlich nachgewiesen. Individuelle te Bewegungen von anderen Muskel- und Gelenkengruppen Beratung, Versorgung und Nachsorge zählen zu den obersten kompensiert werden. Langfristig bedeutet dies meist eine Maximen von footpower. In der unternehmenseigenen AkaÜber- bzw. Fehlbelastung dieser kompensatorisch bean- demie werden Unternehmen für die professionelle Versorgung spruchten Muskel- und Gelenkgruppen. Belastungsspitzen mit sensomotorischen Einlagen intensiv geschult. Meist ist im Sport begünstigen fehlstellungsbedingte Schmerzen er- bereits nach kurzer Tragedauer der Einlagen schmerzfreie Bewegung wieder möglich. heblich. Anzeige_F.I.T.210x148,5mm-K1:Layout 1 17.05.2010 9:50 Uhr Seite 1

Drei Mal die Woche gestaltete das Projektteam ein spannendes und abwechslungsreiches Sportprogramm, das mit einem gemeinschaftlichen Abschlusskreis endete.

Anzeige

menarbeit. Dies entspricht 0,17% bzw. 0,05% der Haushalte dieser Ressorts. Immerhin konnte in den Jahren 2006 bis 2009 eine Erhöhung der gesamten Mittel von 2,775 Millionen Euro auf 7,9 Millionen Euro erreicht werden, die vorrangig auf die Ausrichtung der ersten Fußball-WM in einem afrikanischen Land zurückzuführen ist. Dennoch gibt es Ansätze für die zukünftige Etablierung der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit: Deutschland hat sich u.a. gegenüber den Vereinten Nationen, der EU und der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2015 den Anteil für Entwicklungspolitik auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, wodurch auch die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit profitieren könnte. Außerdem könnte eine intensivere wissenschaftliche Begleitung die Wirksamkeit der Projekte hinsichtlich der Empfängerländer (etwa eine nachgewiesene Entwicklung durch Sport) sowie der Geberländer (etwa Imageprofilierung) belegen. Bestätigt sich durch die wissenschaftliche Evaluation der positive Nutzen des Sports für Entwicklung, so könnte dadurch die Legitimation sportbezogener Entwicklungszusammenarbeit bekräftigt und deren Bedeutung innerhalb der allgemeinen Entwicklungszusammenarbeit gesteigert werden. ◊

Dr. Michael Groll, geboren 1963 in Hamburg, studierte von 1986 bis 1990 Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er promovierte 2004 zur Transnationalen Sportpolitik. Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeit­ forschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Sport­ politik und die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit. E-Mail: groll@dshs-koeln.de

Dr. Karen Petry, geboren 1962 in Köln, ist stellvertretende Institutsleiterin im Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Schwerpunktmäßig befasst sie sich mit den Themen Europäische Sportpolitik und Internationale Sportentwicklung. Sie ist General Secretary vom European Network of Sport Science, Education and Employment (ENSSEE) und koordiniert das LLP/ERASMUS-Programm an der DSHS Köln. E-Mail: petry@dshs-koeln.de

Schmerzen beim

Laufen?

„Sensomotorische Einlagen“ von footpower ® korrigieren – wissenschaftlich nachgewiesen – aktiv Fuß-Fehlstellungen und verhindern dadurch Schmerzen beim Laufen. Durch das auf Ihren Fuß individuell angepasste Oberflächendesign der Einlage wird die Koordination der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur trainiert und sorgt für einen hervorragenden Tragekomfort. Laufen Sie schmerzfrei!

footpower ® wird Ihnen präsentiert von: footpower Dortmund GmbH Rheinlanddamm 8 – 10 44139 Dortmund Tel. (02 31) 420 500 www.dortmund.footpower.de footpower Mainz Hintere Bleiche 19 55116 Mainz Tel. (0 61 31) 22 70 30 www.mainz.footpower.de footpower Gießen Schiffenberger Weg 115 35394 Gießen Tel. (06 41) 741 55 www.giessen.footpower.de

Literatur bei den Autoren.

Komplette Händlerliste unter www.footpower.de Wir beraten Sie gerne! 12

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Namibia Sports Project 2008 Ziele Qualifizierung von Lehrerinnen und Lehrern zur Verbesserung des Sportunterrichts im innerschulischen Rahmen. Unterrichtsassistenz und selbständige Unterrichtsgestaltung. Schaffen von sportlichen Nachmittags­ angeboten und Stärkung der außer­ schulischen Sportstrukturen. Lern- und Lehrmaterialspenden zur Stärkung des Schulsports. www.namibiaproject-sportsand development.blogspot.com/

Sportlich aktiv ohne Schmerzen Korrektur muskulärer Dysbalancen durch sensomotorische Einlagenversorgung Wenn Sportler über Gelenkprobleme, Rücken- oder Kopf­ schmer­zen klagen, sind häufig muskuläre Dysbalancen in den Füßen und unteren Extremitäten die Ursache. In seiner fundamentalen Funktion als Stabilisator des gesamten Bewegungsapparates ermöglicht der Fuß den aufrechten Gang und die Ausführung funktionell erlernter Bewegungsmuster. In seiner Bewegungsausführung obliegt er dem sensomotorischen Regelwerk. Propriozeptoren messen und melden die Muskelspannung im Muskelbauch über das afferente System an das ZNS. Über die efferenten Nervenfasern gelangen Befehle zur Steigerung oder Reduzierung von Muskelaktivität und somit zur Bewegungsausführung zurück an das Erfolgsorgan. Durch die ständige Wiederholung dieser rückkopplungsgesteuerten Befehle und Muskelreaktionen ergibt sich ein konditioniertes Bewegungsmuster.

In diesem Fall bedarf es einer Korrektur der Fußfehlstellung. „Im Gegensatz zu herkömmlichen Einlagen stellen sensomotorische Einlagen kein statisches Hilfsmittel dar, sondern optimieren die Funktion des Fußes über das sensomotorische System“, erläutert Dr. Matthias Marquardt, Sportmediziner und Autor der Laufbibel. Das individuell angefertigte Einlagen-Relief manipuliert den Muskeltonus. Diese neuen Reize und Daten werden vom ZNS ausgewertet und mit entsprechenden Befehlen beantwortet. Eine daraus resultierende physiologische Neuausrichtung führt langfristig zum neu erlernten, „richtigen“ Bewegungsmuster. Sensomotorische Einlagen verfolgen somit einen rehabilitativen Therapie­ ansatz mit dem Ziel der einlagenfreien, achsengerechten Bewegungsausführung.

Sowohl die veränderte muskuläre Aktivierung als auch die Sind Muskelreaktionen durch fehlgestellte Knochen, Gelenke Schmerzreduktion durch sensomotorische Einlagenversoroder Sehnen in den Füßen blockiert, müssen nicht geleiste- gung wurden wissenschaftlich nachgewiesen. Individuelle te Bewegungen von anderen Muskel- und Gelenkengruppen Beratung, Versorgung und Nachsorge zählen zu den obersten kompensiert werden. Langfristig bedeutet dies meist eine Maximen von footpower. In der unternehmenseigenen AkaÜber- bzw. Fehlbelastung dieser kompensatorisch bean- demie werden Unternehmen für die professionelle Versorgung spruchten Muskel- und Gelenkgruppen. Belastungsspitzen mit sensomotorischen Einlagen intensiv geschult. Meist ist im Sport begünstigen fehlstellungsbedingte Schmerzen er- bereits nach kurzer Tragedauer der Einlagen schmerzfreie Bewegung wieder möglich. heblich. Anzeige_F.I.T.210x148,5mm-K1:Layout 1 17.05.2010 9:50 Uhr Seite 1

Drei Mal die Woche gestaltete das Projektteam ein spannendes und abwechslungsreiches Sportprogramm, das mit einem gemeinschaftlichen Abschlusskreis endete.

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menarbeit. Dies entspricht 0,17% bzw. 0,05% der Haushalte dieser Ressorts. Immerhin konnte in den Jahren 2006 bis 2009 eine Erhöhung der gesamten Mittel von 2,775 Millionen Euro auf 7,9 Millionen Euro erreicht werden, die vorrangig auf die Ausrichtung der ersten Fußball-WM in einem afrikanischen Land zurückzuführen ist. Dennoch gibt es Ansätze für die zukünftige Etablierung der sportbezogenen Entwicklungszusammenarbeit: Deutschland hat sich u.a. gegenüber den Vereinten Nationen, der EU und der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2015 den Anteil für Entwicklungspolitik auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, wodurch auch die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit profitieren könnte. Außerdem könnte eine intensivere wissenschaftliche Begleitung die Wirksamkeit der Projekte hinsichtlich der Empfängerländer (etwa eine nachgewiesene Entwicklung durch Sport) sowie der Geberländer (etwa Imageprofilierung) belegen. Bestätigt sich durch die wissenschaftliche Evaluation der positive Nutzen des Sports für Entwicklung, so könnte dadurch die Legitimation sportbezogener Entwicklungszusammenarbeit bekräftigt und deren Bedeutung innerhalb der allgemeinen Entwicklungszusammenarbeit gesteigert werden. ◊

Dr. Michael Groll, geboren 1963 in Hamburg, studierte von 1986 bis 1990 Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er promovierte 2004 zur Transnationalen Sportpolitik. Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeit­ forschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Sport­ politik und die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit. E-Mail: groll@dshs-koeln.de

Dr. Karen Petry, geboren 1962 in Köln, ist stellvertretende Institutsleiterin im Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Schwerpunktmäßig befasst sie sich mit den Themen Europäische Sportpolitik und Internationale Sportentwicklung. Sie ist General Secretary vom European Network of Sport Science, Education and Employment (ENSSEE) und koordiniert das LLP/ERASMUS-Programm an der DSHS Köln. E-Mail: petry@dshs-koeln.de

Schmerzen beim

Laufen?

„Sensomotorische Einlagen“ von footpower ® korrigieren – wissenschaftlich nachgewiesen – aktiv Fuß-Fehlstellungen und verhindern dadurch Schmerzen beim Laufen. Durch das auf Ihren Fuß individuell angepasste Oberflächendesign der Einlage wird die Koordination der Fuß- und Unterschenkelmuskulatur trainiert und sorgt für einen hervorragenden Tragekomfort. Laufen Sie schmerzfrei!

footpower ® wird Ihnen präsentiert von: footpower Dortmund GmbH Rheinlanddamm 8 – 10 44139 Dortmund Tel. (02 31) 420 500 www.dortmund.footpower.de footpower Mainz Hintere Bleiche 19 55116 Mainz Tel. (0 61 31) 22 70 30 www.mainz.footpower.de footpower Gießen Schiffenberger Weg 115 35394 Gießen Tel. (06 41) 741 55 www.giessen.footpower.de

Literatur bei den Autoren.

Komplette Händlerliste unter www.footpower.de Wir beraten Sie gerne! 12

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Der erste israelische Trainer einer deutschen Fußballmannschaft: Emanuel Schaffer (ganz rechts) mit seinem Verbandsligateam von Rhenania Würselen im Jahr 1958. Ganz links Betreuer Hans Suleja.

Fußball als Brücke der Verständigung

Text Manfred Lämmer & Robin Streppelhoff Fotos loewentreu, Borussia Mönchengladbach, Uwe Klimaschefski, Rhenania Würselen, Picture Alliance, Hans Welsch (Stadtarchiv Frechen)

Wie der Fußball einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich das Deutschlandbild in Israel wandelte …

Das „gespaltene“ Verhältnis zwischen Sport und Politik Das Begriffspaar „Sport und Politik“ löst heute bei vielen negative Assoziationen aus. Vor allem auf internationaler Ebene empfindet der Sport den Einfluss der Politik oft als Bedrohung. Und in der Tat geben Erfahrungen dazu hinreichend Anlass. Die Instrumentalisierung des Sports durch die Po­ litik reicht von legitimer Selbstdarstellung von Staaten und Regierungen bis hin zu ideologischer Inanspruchnahme und offener Propaganda durch totalitäre Systeme. Dieses Phänomen ist nicht neu: Schon im antiken Griechenland schlugen die rivalisierenden Stadtstaaten aus Erfolgen bei den Panhellenischen Spielen politisches Kapital. Das deutsche Turnen, der slawische Sokol und der jü­ dische Makkabi dienten zum Beispiel in gleicher Weise nationaler Identitätsstiftung wie der Sport in zahlreichen Staaten der Dritten Welt, die im Zuge der Entkolonialisierung entstanden. Auch die Arbeiterbewegung setzte den Sport gezielt als Mit­ tel des Klassenkampfes und revolutionärer Bestre­ bungen ein, ein Prinzip, dem die Sowjetunion und ihre sozialistischen Vasallen folgten. Dabei waren alle genannten Bewegungen gleichzeitig auf strik­ te Abgrenzung gegenüber den „jeweils anderen“ bedacht: die Griechen gegenüber den „Barbaren“, die Turner gegenüber den Franzosen (später den Anhängern des englischen Sports) und die sozialis­ tischen Proletarier gegenüber den „Bürgerlichen“.

Das olympische Ideal des völkerverbindenden Sports ist leider allzu selten Realität. Insbe­ sondere zwischen zerstrittenen Völkern führen vor allem Begegnungen auf dem Fußball­ platz oft zu nationalistischen Ausbrüchen. Vor dem Hintergrund des Holocaust wäre dies auch für Aufeinandertreffen von Deutschen und Israelis zu erwarten. Das Gegenteil war und ist der Fall: Während deutsche Schriftsteller Anfang der 1970er Jahre in Tel Aviv noch mit Tomaten beworfen wurden, feierten die Israelis Borussia Mönchengladbach mit Sprech­ chören. 2010 – vor dem Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika – drückten bei einer Umfrage in Israel ein Drittel der Befragten dem deutschen Team die Daumen zum Titel-Gewinn. Die Kulturstiftung des Deutschen Fußballbundes hat Prof. Manfred Lämmer beauftragt, diese Erfolgsgeschichte zu dokumentieren und zu würdigen. Erste Ergebnisse der Presse- und Archivrecherchen werden hier vorgestellt.

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Ein völlig anderes Selbstverständnis kennzeichnet die Olympische Bewegung. Sie will erklärterma­ ßen durch sportliche Begegnungen zum Abbau von Vorurteilen, zu gegenseitigem Respekt und zur friedlichen Lösung von Konflikten unter den Völkern beitragen. Der sportliche Wettkampf soll diejenigen in einer universellen Wertegemein­ schaft zusammenführen, die sich hinsichtlich ihrer ethnischen Herkunft, Nationalität, Religion, Kul­

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tur und politischen Überzeugung unterscheiden. Dieser hohe, immer wieder beschworene Anspruch konnte jedoch bisher kaum eingelöst werden. Die Kette der Ausschlüsse und Boykotte sowie Ausein­ andersetzungen um Vertretungs- und Protokollfra­ gen spricht Bände. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Olympische Idee jemals irgendwo konkret Frieden gestiftet oder Kriege verhindert hätte. Im Gegenteil: Dreimal mussten Olympische Spiele bereits wegen der Weltkriege ausfallen. 1972 in München wurde das olympische Fest sogar selbst Zielscheibe des Terrors.. Angesichts dieser dürf­ tigen Bilanz mag mancher an die zynische Aussage des irischen Dramatikers Bernhard Shaw erinnern, dass man nur ein Fußballspiel veranstalten müs­ se, wenn man zwei Länder in einen Krieg schicken wolle. Eine traurige Vision, wenn man an den Krieg zwischen Honduras und El Salvador im Jahre 1969 denkt, der durch ein Länderspiel ausgelöst wurde, oder an die gewaltsamen Ausschreitungen und po­ litischen Folgen in Zusammenhang mit den Qualifi­ kationsspielen zur diesjährigen Fußball-Weltmeis­ terschaft zwischen Algerien und Ägypten. Doch es gibt auch Beispiele dafür, daß der Sport von der Politik gezielt eingesetzt wurde, um durch „Ping-Pong-Diplomatie“ einen Versöhnungs- und Ausgleichsprozeß zu unterstützen. Diese Bezeich­ nung geht auf die spektakuläre Einladung eines amerikanischen Tischtennis-Teams in die Volksre­ publik China im Jahre 1971 zurück, mit der beide Mächte eine Neuorientierung ihrer Beziehungen signalisierten. Behutsame Schritte der Annäherung Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte der Sport bei der Wiederherstellung internationaler Beziehungen durchaus eine wichtige Rolle, aber seine Wege wa­ ren durch den Frontverlauf des „Kalten Krieges“ im wesentlichen vorgezeichnet. Der freiwillige Sport­ verkehr fand vornehmlich innerhalb des jeweiligen

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Der erste israelische Trainer einer deutschen Fußballmannschaft: Emanuel Schaffer (ganz rechts) mit seinem Verbandsligateam von Rhenania Würselen im Jahr 1958. Ganz links Betreuer Hans Suleja.

Fußball als Brücke der Verständigung

Text Manfred Lämmer & Robin Streppelhoff Fotos loewentreu, Borussia Mönchengladbach, Uwe Klimaschefski, Rhenania Würselen, Picture Alliance, Hans Welsch (Stadtarchiv Frechen)

Wie der Fußball einen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich das Deutschlandbild in Israel wandelte …

Das „gespaltene“ Verhältnis zwischen Sport und Politik Das Begriffspaar „Sport und Politik“ löst heute bei vielen negative Assoziationen aus. Vor allem auf internationaler Ebene empfindet der Sport den Einfluss der Politik oft als Bedrohung. Und in der Tat geben Erfahrungen dazu hinreichend Anlass. Die Instrumentalisierung des Sports durch die Po­ litik reicht von legitimer Selbstdarstellung von Staaten und Regierungen bis hin zu ideologischer Inanspruchnahme und offener Propaganda durch totalitäre Systeme. Dieses Phänomen ist nicht neu: Schon im antiken Griechenland schlugen die rivalisierenden Stadtstaaten aus Erfolgen bei den Panhellenischen Spielen politisches Kapital. Das deutsche Turnen, der slawische Sokol und der jü­ dische Makkabi dienten zum Beispiel in gleicher Weise nationaler Identitätsstiftung wie der Sport in zahlreichen Staaten der Dritten Welt, die im Zuge der Entkolonialisierung entstanden. Auch die Arbeiterbewegung setzte den Sport gezielt als Mit­ tel des Klassenkampfes und revolutionärer Bestre­ bungen ein, ein Prinzip, dem die Sowjetunion und ihre sozialistischen Vasallen folgten. Dabei waren alle genannten Bewegungen gleichzeitig auf strik­ te Abgrenzung gegenüber den „jeweils anderen“ bedacht: die Griechen gegenüber den „Barbaren“, die Turner gegenüber den Franzosen (später den Anhängern des englischen Sports) und die sozialis­ tischen Proletarier gegenüber den „Bürgerlichen“.

Das olympische Ideal des völkerverbindenden Sports ist leider allzu selten Realität. Insbe­ sondere zwischen zerstrittenen Völkern führen vor allem Begegnungen auf dem Fußball­ platz oft zu nationalistischen Ausbrüchen. Vor dem Hintergrund des Holocaust wäre dies auch für Aufeinandertreffen von Deutschen und Israelis zu erwarten. Das Gegenteil war und ist der Fall: Während deutsche Schriftsteller Anfang der 1970er Jahre in Tel Aviv noch mit Tomaten beworfen wurden, feierten die Israelis Borussia Mönchengladbach mit Sprech­ chören. 2010 – vor dem Halbfinale der Fußball-Weltmeisterschaft in Südafrika – drückten bei einer Umfrage in Israel ein Drittel der Befragten dem deutschen Team die Daumen zum Titel-Gewinn. Die Kulturstiftung des Deutschen Fußballbundes hat Prof. Manfred Lämmer beauftragt, diese Erfolgsgeschichte zu dokumentieren und zu würdigen. Erste Ergebnisse der Presse- und Archivrecherchen werden hier vorgestellt.

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Ein völlig anderes Selbstverständnis kennzeichnet die Olympische Bewegung. Sie will erklärterma­ ßen durch sportliche Begegnungen zum Abbau von Vorurteilen, zu gegenseitigem Respekt und zur friedlichen Lösung von Konflikten unter den Völkern beitragen. Der sportliche Wettkampf soll diejenigen in einer universellen Wertegemein­ schaft zusammenführen, die sich hinsichtlich ihrer ethnischen Herkunft, Nationalität, Religion, Kul­

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tur und politischen Überzeugung unterscheiden. Dieser hohe, immer wieder beschworene Anspruch konnte jedoch bisher kaum eingelöst werden. Die Kette der Ausschlüsse und Boykotte sowie Ausein­ andersetzungen um Vertretungs- und Protokollfra­ gen spricht Bände. Es gibt keinen Beweis dafür, dass die Olympische Idee jemals irgendwo konkret Frieden gestiftet oder Kriege verhindert hätte. Im Gegenteil: Dreimal mussten Olympische Spiele bereits wegen der Weltkriege ausfallen. 1972 in München wurde das olympische Fest sogar selbst Zielscheibe des Terrors.. Angesichts dieser dürf­ tigen Bilanz mag mancher an die zynische Aussage des irischen Dramatikers Bernhard Shaw erinnern, dass man nur ein Fußballspiel veranstalten müs­ se, wenn man zwei Länder in einen Krieg schicken wolle. Eine traurige Vision, wenn man an den Krieg zwischen Honduras und El Salvador im Jahre 1969 denkt, der durch ein Länderspiel ausgelöst wurde, oder an die gewaltsamen Ausschreitungen und po­ litischen Folgen in Zusammenhang mit den Qualifi­ kationsspielen zur diesjährigen Fußball-Weltmeis­ terschaft zwischen Algerien und Ägypten. Doch es gibt auch Beispiele dafür, daß der Sport von der Politik gezielt eingesetzt wurde, um durch „Ping-Pong-Diplomatie“ einen Versöhnungs- und Ausgleichsprozeß zu unterstützen. Diese Bezeich­ nung geht auf die spektakuläre Einladung eines amerikanischen Tischtennis-Teams in die Volksre­ publik China im Jahre 1971 zurück, mit der beide Mächte eine Neuorientierung ihrer Beziehungen signalisierten. Behutsame Schritte der Annäherung Nach dem Zweiten Weltkrieg spielte der Sport bei der Wiederherstellung internationaler Beziehungen durchaus eine wichtige Rolle, aber seine Wege wa­ ren durch den Frontverlauf des „Kalten Krieges“ im wesentlichen vorgezeichnet. Der freiwillige Sport­ verkehr fand vornehmlich innerhalb des jeweiligen

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„Also ich versteh die Welt nicht mehr! Wir mühen uns jahrelang in kleinen Schritten um Wiederherstellung des Vertrauens zu uns Deutschen, wohingegen sie nur 45 Minuten benötigen, um einen Freudentaumel auszulösen.“ Gesandter der deutschen Botschaft zum ers­ ten Auftritt von Borussia Mönchnegladbach in Israel 1970.

Ankündigung der ersten Begegnung der israelischen Nationalmannschaft mit Borussia Mönchengladbach am 12. August 1969. Beim Rückspiel in Israel wurde die Weisweiler-Elf mit Sprechchören gefeiert.

Als erster deutscher Trainer einer israelischen Mannschaft war Uwe Klimaschefski 1971/72 bei Hapoel Haifa unter Vertrag. Auf dem Bild steht er an der Klagemauer in Jerusalem.

politischen Lagers statt. In einem besonderen Fall schien die Sachlage jedoch völlig aussichtslos: Nie­ mand konnte sich nach dem barbarischen Vernich­ tungsfeldzug des NS-Regimes gegen das jüdische Volk vorstellen, daß deutsche und jüdische Sport­ ler sich je wieder gemeinsam im friedlichen Wett­ kampf begegnen würden. Und doch: Schon kurz nach Kriegsende nahmen jüdische Emigranten aus Palästina und Südafrika Kontakt zu Carl Diem auf und drückten in Briefen ihre Freude darüber aus, daß er den Krieg überlebt hatte. Während der Olympischen Spiele 1948 in London traf sich der Rektor der neugegründeten Sporthochschule Köln, der das britische Organisationskomitee bei der Pla­ nung und Durchführung des Fackellaufes beraten hatte und von IOC-Präsident Sigfrid Edström als Ehrengast eingeladen worden war, fast täglich mit ehemaligen jüdischen Schülern und Mitarbeitern. Weder deutsche noch israelische Sportler waren zu diesen Spielen zugelassen, weil die Alliierten die Wiederbegründung eines Nationalen Olympischen Komitees in Deutschland nicht gestatteten und das IOC das NOK von Israel nicht als Rechtsnachfolger des 1934 anerkannten Palestine Olympic Commit­ tee betrachtete. Die Ironie der Geschichte wollte, daß das Land der Täter mit der gleichen formalen Begründung von den Spielen ausgeschlossen wur­ de wie das, in dem die heimatlosen Opfer Zuflucht gefunden hatten.

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Die wenigen Kontakte zwischen Deutschen und Is­ raelis in den ersten zehn Jahren nach dem Krieg beschränkten sich auf die Abwicklung dringender humanitärer Angelegenheiten. Aber wenn die Ho­ locaust-Überlebenden in Israel trotz ihrer Notlage teilweise sogar die Annahme von Leistungen aus dem Luxemburger Wiedergutmachungsabkommen ablehnten, um wie viel weniger konnten sie sich vorstellen, mit Deutschen gar kulturelle oder sport­ liche Beziehungen zu unterhalten. Daher verwun­ dert es nicht, dass das israelische Außenministe­ rium vor den Olympischen Spielen in Helsinki der Mannschaft strikte Anweisung erteilte, nicht zum Wettkampf anzutreten, wenn es sich bei den Geg­ nern allein um Deutsche handelte. Angesichts die­ ser Situation konnte eine Initiative zur Überwin­ dung der Sprachlosigkeit nur von deutscher Seite ausgehen. Auf Grund eines Beschlusses des Präsidi­ ums des Deutschen Sportbundes reiste sein junger Präsident Willi Daume 1957 nach Israel und über­ gab eine Spende für die Errichtung eines Hauses im neuen Makkabi-Sportzentrum in Ramat Gan. Die „Jüdische Allgemeine“ hob jedenfalls auf der Titelseite hervor, dass Daume als erster Deutscher überhaupt eine offizielle Einladung nach Israel er­ halten habe. Mit gebotener Behutsamkeit nahm er erste Kontakte zu führenden Persönlichkeiten des israelischen Sports auf, insbesondere zu Yosef In­ bar, dem späteren Präsidenten des Israelischen Na­ tionalen Olympischen Komitees.

Lernen vom Weltmeister Nach dem Triumph der Sepp Herberger-Elf bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 weckte die Trai­ nerausbildung in Deutschland internationale Auf­ merksamkeit. Aus diesem Grund absolvierte der is­ raelische Nationalspieler Emanuel („Edi“) Schaffer, der seine Kindheit in Recklinghausen verbracht hatte, gemeinsam mit seinem Landsmann Eliyahu Fuchs den Fußballlehrer-Lehrgang des DFB unter Hennes Weisweiler an der Kölner Sporthochschule. Um den Kurs zu finanzieren, trainierte er gleich­ zeitig den Verbandsligisten Rhenania Würselen. Bis 1965 erwarben noch fünf weitere Israelis in Köln das begehrte Diplom. Der israelische Fuß­ ballverband schätzte die Ausbildung so hoch ein, daß er Schaffer 1968 zum Nationaltrainer berief. Im Gegenzug bescherte dieser seinem Verband die bis zum heutigen Tage einzige WM-Qualifikation. In der Endrunde von Mexiko zog sich sein Team mit zwei Unentschieden und einer unglücklichen Niederlage achtbar aus der Affäre. Zum ersten Mal war bereits 1962 ein deutscher Fußball-Star in Israel aufgetreten: Helmut Rahn, der Schütze des legendären Siegtores von Bern. Zur Einweihung seines neuen Stadions hatte der Verein Hapoel Tel Aviv den holländischen Ehren­ divisionär SC Enschede (heute Twente Enschede) eingeladen. Dort spielte Rahn zu dieser Zeit als einer der ersten deutschen „Legionäre“. Der Ein­ satz des Kriegsteilnehmers verursachte zwar weni­ ge Monate nach der Hinrichtung Adolf Eichmanns

F|I|T 02 | 2010

Der erste deutsche Fußballverein in Israel: Der FC Bayern Hof (auf dem Plakat irrtümlich als S. C. bezeichnet) spielte am 12. Juli 1969 gegen eine Auswahl aus Hapoel Akko und Hapoel Nahariya.

zunächst Diskussionen, doch schließlich wurde der „Boss“ sogar auf den Ankündigungsplakaten unter der verschleiernden Bezeichnung „Hollän­ discher Torschützenkönig“ alleiniger Werbeträger. Natürlich wußte das Publikum, wer er wirklich war – schließlich war das WM-Finale 1954 auch im israelischen Rundfunk übertragen worden – und es bedachte nach anfänglich vereinzelten Pfiffen seine Leistung, besonders sein Tor, beim 1:1 gegen das Hapoel-Team mit fairem Beifall. Das „Sommermärchen“ von 1969 Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwi­ schen Deutschland und Israel im Mai 1965 eröffnete zunächst keine neuen Möglichkeiten für den Sport, wenn man von der Teilnahme einer Mannschaft des USC Heidelberg an einem internationalen Basket­ ball-Turnier in Tel Aviv absieht, die bis zuletzt um­ stritten war und trotz gegenteiliger Empfehlung der Deutschen Botschaft zustande kam. Doch der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 brachte die Wende. Die Unterstützung des bedrohten jüdischen Staates durch die deutsche Öffentlichkeit veranlaßte die israelische Regierung, die bis dahin geltenden Re­ striktionen zu lockern bzw. aufzuheben. Noch im gleichen Jahr besuchte eine israelische Delegation des Hapoel-Verbandes Deutschland. Im Rahmen dieser Reise kam es sogar zu einem Fußballspiel gegen die Sportgemeinschaft des Deutschen Bun­ destages in Bonn. Ihr Kapitän, der Abgeordnete Adolf Müller-Emmert, regte im Anschluss daran an,

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„Also ich versteh die Welt nicht mehr! Wir mühen uns jahrelang in kleinen Schritten um Wiederherstellung des Vertrauens zu uns Deutschen, wohingegen sie nur 45 Minuten benötigen, um einen Freudentaumel auszulösen.“ Gesandter der deutschen Botschaft zum ers­ ten Auftritt von Borussia Mönchnegladbach in Israel 1970.

Ankündigung der ersten Begegnung der israelischen Nationalmannschaft mit Borussia Mönchengladbach am 12. August 1969. Beim Rückspiel in Israel wurde die Weisweiler-Elf mit Sprechchören gefeiert.

Als erster deutscher Trainer einer israelischen Mannschaft war Uwe Klimaschefski 1971/72 bei Hapoel Haifa unter Vertrag. Auf dem Bild steht er an der Klagemauer in Jerusalem.

politischen Lagers statt. In einem besonderen Fall schien die Sachlage jedoch völlig aussichtslos: Nie­ mand konnte sich nach dem barbarischen Vernich­ tungsfeldzug des NS-Regimes gegen das jüdische Volk vorstellen, daß deutsche und jüdische Sport­ ler sich je wieder gemeinsam im friedlichen Wett­ kampf begegnen würden. Und doch: Schon kurz nach Kriegsende nahmen jüdische Emigranten aus Palästina und Südafrika Kontakt zu Carl Diem auf und drückten in Briefen ihre Freude darüber aus, daß er den Krieg überlebt hatte. Während der Olympischen Spiele 1948 in London traf sich der Rektor der neugegründeten Sporthochschule Köln, der das britische Organisationskomitee bei der Pla­ nung und Durchführung des Fackellaufes beraten hatte und von IOC-Präsident Sigfrid Edström als Ehrengast eingeladen worden war, fast täglich mit ehemaligen jüdischen Schülern und Mitarbeitern. Weder deutsche noch israelische Sportler waren zu diesen Spielen zugelassen, weil die Alliierten die Wiederbegründung eines Nationalen Olympischen Komitees in Deutschland nicht gestatteten und das IOC das NOK von Israel nicht als Rechtsnachfolger des 1934 anerkannten Palestine Olympic Commit­ tee betrachtete. Die Ironie der Geschichte wollte, daß das Land der Täter mit der gleichen formalen Begründung von den Spielen ausgeschlossen wur­ de wie das, in dem die heimatlosen Opfer Zuflucht gefunden hatten.

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Die wenigen Kontakte zwischen Deutschen und Is­ raelis in den ersten zehn Jahren nach dem Krieg beschränkten sich auf die Abwicklung dringender humanitärer Angelegenheiten. Aber wenn die Ho­ locaust-Überlebenden in Israel trotz ihrer Notlage teilweise sogar die Annahme von Leistungen aus dem Luxemburger Wiedergutmachungsabkommen ablehnten, um wie viel weniger konnten sie sich vorstellen, mit Deutschen gar kulturelle oder sport­ liche Beziehungen zu unterhalten. Daher verwun­ dert es nicht, dass das israelische Außenministe­ rium vor den Olympischen Spielen in Helsinki der Mannschaft strikte Anweisung erteilte, nicht zum Wettkampf anzutreten, wenn es sich bei den Geg­ nern allein um Deutsche handelte. Angesichts die­ ser Situation konnte eine Initiative zur Überwin­ dung der Sprachlosigkeit nur von deutscher Seite ausgehen. Auf Grund eines Beschlusses des Präsidi­ ums des Deutschen Sportbundes reiste sein junger Präsident Willi Daume 1957 nach Israel und über­ gab eine Spende für die Errichtung eines Hauses im neuen Makkabi-Sportzentrum in Ramat Gan. Die „Jüdische Allgemeine“ hob jedenfalls auf der Titelseite hervor, dass Daume als erster Deutscher überhaupt eine offizielle Einladung nach Israel er­ halten habe. Mit gebotener Behutsamkeit nahm er erste Kontakte zu führenden Persönlichkeiten des israelischen Sports auf, insbesondere zu Yosef In­ bar, dem späteren Präsidenten des Israelischen Na­ tionalen Olympischen Komitees.

Lernen vom Weltmeister Nach dem Triumph der Sepp Herberger-Elf bei der Fußball-Weltmeisterschaft 1954 weckte die Trai­ nerausbildung in Deutschland internationale Auf­ merksamkeit. Aus diesem Grund absolvierte der is­ raelische Nationalspieler Emanuel („Edi“) Schaffer, der seine Kindheit in Recklinghausen verbracht hatte, gemeinsam mit seinem Landsmann Eliyahu Fuchs den Fußballlehrer-Lehrgang des DFB unter Hennes Weisweiler an der Kölner Sporthochschule. Um den Kurs zu finanzieren, trainierte er gleich­ zeitig den Verbandsligisten Rhenania Würselen. Bis 1965 erwarben noch fünf weitere Israelis in Köln das begehrte Diplom. Der israelische Fuß­ ballverband schätzte die Ausbildung so hoch ein, daß er Schaffer 1968 zum Nationaltrainer berief. Im Gegenzug bescherte dieser seinem Verband die bis zum heutigen Tage einzige WM-Qualifikation. In der Endrunde von Mexiko zog sich sein Team mit zwei Unentschieden und einer unglücklichen Niederlage achtbar aus der Affäre. Zum ersten Mal war bereits 1962 ein deutscher Fußball-Star in Israel aufgetreten: Helmut Rahn, der Schütze des legendären Siegtores von Bern. Zur Einweihung seines neuen Stadions hatte der Verein Hapoel Tel Aviv den holländischen Ehren­ divisionär SC Enschede (heute Twente Enschede) eingeladen. Dort spielte Rahn zu dieser Zeit als einer der ersten deutschen „Legionäre“. Der Ein­ satz des Kriegsteilnehmers verursachte zwar weni­ ge Monate nach der Hinrichtung Adolf Eichmanns

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Der erste deutsche Fußballverein in Israel: Der FC Bayern Hof (auf dem Plakat irrtümlich als S. C. bezeichnet) spielte am 12. Juli 1969 gegen eine Auswahl aus Hapoel Akko und Hapoel Nahariya.

zunächst Diskussionen, doch schließlich wurde der „Boss“ sogar auf den Ankündigungsplakaten unter der verschleiernden Bezeichnung „Hollän­ discher Torschützenkönig“ alleiniger Werbeträger. Natürlich wußte das Publikum, wer er wirklich war – schließlich war das WM-Finale 1954 auch im israelischen Rundfunk übertragen worden – und es bedachte nach anfänglich vereinzelten Pfiffen seine Leistung, besonders sein Tor, beim 1:1 gegen das Hapoel-Team mit fairem Beifall. Das „Sommermärchen“ von 1969 Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwi­ schen Deutschland und Israel im Mai 1965 eröffnete zunächst keine neuen Möglichkeiten für den Sport, wenn man von der Teilnahme einer Mannschaft des USC Heidelberg an einem internationalen Basket­ ball-Turnier in Tel Aviv absieht, die bis zuletzt um­ stritten war und trotz gegenteiliger Empfehlung der Deutschen Botschaft zustande kam. Doch der Sechs-Tage-Krieg im Juni 1967 brachte die Wende. Die Unterstützung des bedrohten jüdischen Staates durch die deutsche Öffentlichkeit veranlaßte die israelische Regierung, die bis dahin geltenden Re­ striktionen zu lockern bzw. aufzuheben. Noch im gleichen Jahr besuchte eine israelische Delegation des Hapoel-Verbandes Deutschland. Im Rahmen dieser Reise kam es sogar zu einem Fußballspiel gegen die Sportgemeinschaft des Deutschen Bun­ destages in Bonn. Ihr Kapitän, der Abgeordnete Adolf Müller-Emmert, regte im Anschluss daran an,

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In der Saison 2008/2009 gab Lothar Matthäus ein Gastspiel auf der Trainerbank von Maccabi Netanya. Wie Klimaschefski wurde er mit seinem Verein am Ende Sechster.

Erstes Länderspiel zwischen Deutschland und Israel am 2. September 1969 im Stadion von Frechen. Israels Botschafter Asher Ben Natan begrüßt die deutsche Olympiaauswahl.

2005 in Leipzig: DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder ehrt den erfolgreichen israelischen Nationaltrainer und Weisweiler-Schüler Emanuel Schaffer für seinen Beitrag zur deutsch-israelischen Fußballfreundschaft mit dem „Golden Award“.

den Sportverkehr zwischen Israel und Deutschland freizugeben. Nachdem der DFB mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums Hennes Weisweiler nach Israel entsandt hatte, um dort eine Weiterbil­ dung mit Spitzentrainern durchzuführen, schlug die deutsche Jugendnationalmannschaft zur Jah­ reswende 1968/69 ihr Trainingslager in der Nähe von Netanya auf. Bezeichnenderweise wurden zu dem ersten Trainingsspiel gegen eine israelische Auswahl keine Zuschauer zugelassen. Das Jahr 1969 erlebte dann ein „Sommermärchen“. Mit dem FC Bayern Hof spielte zum ersten Mal ein deutscher Club offiziell auf israelischem Boden. Nach einem Sieg gegen eine Kombination aus der von deutschen Emigranten gegründeten Stadt Nahariya und aus dem arabischen Akko, das von FIFA-Schiedsrichter Abraham Klein geleitet wur­ de, verloren die Franken zwar gegen den Landes­ meister Hapoel Petach Tikvah, doch das Eis war gebrochen. Leider sind die Aufnahmen des kurz zuvor gegründeten israelischen Fernsehens ebenso verloren gegangen wie ein ARD-Feature des unver­ gesslichen Sportreporters und Kabarettisten der Münchener Lach- und Schießgesellschaft Sammy Drechsel, der die Hofer begleitete. Doch 40 Jahre später produzierte Götz Gemeinhardt mit Unter­ stützung durch den Präsidenten des Vereins und unter fachlicher Beratung durch das Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln einen Dokumentarfilm über diese Reise, der

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beim 7. Internationalen Fußballfilmfestival in Ber­ lin 2010 große Anerkennung fand. Schon wenige Tage nach der Heimkehr kam es in Hof zum Rückspiel gegen die Mannschaft von Petach Tikvah, die schon vorher ein Trainingsla­ ger in Oberammergau bezogen und gegen den FC Garmisch-Partenkirchen gespielt hatte. Im glei­ chen Sommer hielten sich nicht nur mehrere Ver­ eine aus Israel, darunter auch Hapoel Haifa, zu Freundschaftsspielen in Deutschland auf, auch die israelische Nationalmannschaft bereitete sich in der Sportschule Hennef auf die entscheidende Phase der WM-Qualifikation für 1970 vor. Sie be­ stritt mehrere Spiele gegen Borussia Mönchenglad­ bach und andere Vereine. Höhepunkt aber war die Begegnung am 2. September 1969 im Frechener Stadion gegen die von Udo Lattek betreute deut­ sche Olympiamannschaft, deren Bedeutung durch die Anwesenheit politischer Prominenz aus beiden Ländern unterstrichen wurde. Dieses Match ist von Sportjournalisten und Fußballhistorikern damals wie später kaum beachtet worden, weil es sich auf deutscher Seite „nur“ um „Amateure“ handel­ te. Die A-Länderspiele 1987, 1997 und 2002 sind dagegen – auch aufgrund einer veränderten Medi­ enlandschaft – im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen.

Der Besuch der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem ist dem DFB bei jedem Besuch in Israel ein besonderes Anliegen. 1997 legten Kapitän Jürgen Klinsmann und Berti Vogts den Kranz nieder.

Das Wunder von Bloomfield Der engen Freundschaft zwischen Hennes Weis­ weiler und Emanuel Schaffer war es zu verdanken, dass während des Deutschland-Aufenthalts der israelischen Nationalmannschaft eine Reise von Borussia Mönchengladbach nach Israel vereinbart wurde. Das für den 25. Februar 1970 angesetzte Treffen geriet jedoch in Gefahr, weil sich kurz zu­ vor auf dem Münchener Flughafen ein Anschlag auf eine Maschine der israelischen EL AL ereignete. Die Frauen der Spieler waren in Sorge, die Versi­ cherung der Fohlenelf hatte ebenfalls Bedenken. Daraufhin stellte die Bundesregierung eine Boeing 707 der Luftwaffe bereit, die die Mannschaft in einer zunächst geheim gehaltenen Mission nach Israel brachte. Als die Männer um Günter Netzer das bereits für Mexiko qualifizierte israelische Team mit 6:0 besiegten, kannte die Begeisterung der Zuschauer keine Grenzen. Schon in der Halb­ zeit soll ein Vertreter der deutschen Botschaft Borussen-Geschäftsführer Helmut Grashoff gegen­ über geäußert haben: „Also ich versteh die Welt nicht mehr! Wir mühen uns jahrelang in kleinen Schritten um Wiederherstellung des Vertrauens zu uns Deutschen, wohingegen sie nur 45 Minuten benötigen, um einen Freudentaumel auszulösen“. Bis Mitternacht feierten hunderte junger Fans vor dem Hotel die deutschen Gäste. Entgegen der allgemeinen Berichterstattung in Deutschland, war Lothar Matthäus nicht der ers­ te Deutsche, der ein israelisches Team trainierte, als er 2008 von Maccabi Netanya engagiert wur­ F|I|T 02 | 2010

de. 1971 hatte nämlich Hennes Weisweiler Uwe Klimaschefski an Hapoel Haifa vermittelt. Weis­ weiler selbst verpflichtete kurz darauf Shmuel Rosenthal, der damit als erster Israeli in die Bun­ desligageschichte einging. In der Folgezeit fuhren die Mönchengladbacher immer wieder nach Israel, bezogen – meistens zur Weihnachtszeit – Trai­ ningslager und absolvierten insgesamt 24 Freund­ schaftsspiele gegen israelische Mannschaften. Der 1. FC Köln trat ab 1971 21 Mal gegen israelische Teams an und holte Mitte der 1980er Jahre mit David Pisanti einen weiteren Israeli an den Rhein. Zahlreiche andere Mannschaften folgten dem Bei­ spiel und überbrückten die Winterpause am isra­ elischen Mittelmeer. Angesichts der Popularität des Fußballs in Israel können die Ereignisse der Jahre 1969 und 1970 in ihrer politischen Wirkung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Seit dem damaligen „Mauerfall“ haben Hunderte von Begegnungen zwischen deutschen und israelischen Fußballmannschaften stattgefunden – in Israel wie in Deutschland. Nur ein Bruchteil dieser Partien waren Pflichtspiele im Intertoto-Cup oder im Rah­ men von UEFA-Wettbewerben. Alle anderen kamen durch das gegenseitige Interesse auf freundschaft­ licher Basis zustande. Zahlreiche der mehr als 75 Städtepartnerschaften sind auf dem grünen Rasen entstanden. Aber nicht nur persönliche Freund­ schaften wurden geknüpft, es kam auch zu ei­ ner engen sportpolitischen Zusammenarbeit der beiden nationalen Fußballverbände. So erwiesen sich die deutschen Vertreter in internationalen 19


In der Saison 2008/2009 gab Lothar Matthäus ein Gastspiel auf der Trainerbank von Maccabi Netanya. Wie Klimaschefski wurde er mit seinem Verein am Ende Sechster.

Erstes Länderspiel zwischen Deutschland und Israel am 2. September 1969 im Stadion von Frechen. Israels Botschafter Asher Ben Natan begrüßt die deutsche Olympiaauswahl.

2005 in Leipzig: DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder ehrt den erfolgreichen israelischen Nationaltrainer und Weisweiler-Schüler Emanuel Schaffer für seinen Beitrag zur deutsch-israelischen Fußballfreundschaft mit dem „Golden Award“.

den Sportverkehr zwischen Israel und Deutschland freizugeben. Nachdem der DFB mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums Hennes Weisweiler nach Israel entsandt hatte, um dort eine Weiterbil­ dung mit Spitzentrainern durchzuführen, schlug die deutsche Jugendnationalmannschaft zur Jah­ reswende 1968/69 ihr Trainingslager in der Nähe von Netanya auf. Bezeichnenderweise wurden zu dem ersten Trainingsspiel gegen eine israelische Auswahl keine Zuschauer zugelassen. Das Jahr 1969 erlebte dann ein „Sommermärchen“. Mit dem FC Bayern Hof spielte zum ersten Mal ein deutscher Club offiziell auf israelischem Boden. Nach einem Sieg gegen eine Kombination aus der von deutschen Emigranten gegründeten Stadt Nahariya und aus dem arabischen Akko, das von FIFA-Schiedsrichter Abraham Klein geleitet wur­ de, verloren die Franken zwar gegen den Landes­ meister Hapoel Petach Tikvah, doch das Eis war gebrochen. Leider sind die Aufnahmen des kurz zuvor gegründeten israelischen Fernsehens ebenso verloren gegangen wie ein ARD-Feature des unver­ gesslichen Sportreporters und Kabarettisten der Münchener Lach- und Schießgesellschaft Sammy Drechsel, der die Hofer begleitete. Doch 40 Jahre später produzierte Götz Gemeinhardt mit Unter­ stützung durch den Präsidenten des Vereins und unter fachlicher Beratung durch das Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln einen Dokumentarfilm über diese Reise, der

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beim 7. Internationalen Fußballfilmfestival in Ber­ lin 2010 große Anerkennung fand. Schon wenige Tage nach der Heimkehr kam es in Hof zum Rückspiel gegen die Mannschaft von Petach Tikvah, die schon vorher ein Trainingsla­ ger in Oberammergau bezogen und gegen den FC Garmisch-Partenkirchen gespielt hatte. Im glei­ chen Sommer hielten sich nicht nur mehrere Ver­ eine aus Israel, darunter auch Hapoel Haifa, zu Freundschaftsspielen in Deutschland auf, auch die israelische Nationalmannschaft bereitete sich in der Sportschule Hennef auf die entscheidende Phase der WM-Qualifikation für 1970 vor. Sie be­ stritt mehrere Spiele gegen Borussia Mönchenglad­ bach und andere Vereine. Höhepunkt aber war die Begegnung am 2. September 1969 im Frechener Stadion gegen die von Udo Lattek betreute deut­ sche Olympiamannschaft, deren Bedeutung durch die Anwesenheit politischer Prominenz aus beiden Ländern unterstrichen wurde. Dieses Match ist von Sportjournalisten und Fußballhistorikern damals wie später kaum beachtet worden, weil es sich auf deutscher Seite „nur“ um „Amateure“ handel­ te. Die A-Länderspiele 1987, 1997 und 2002 sind dagegen – auch aufgrund einer veränderten Medi­ enlandschaft – im Bewusstsein der Öffentlichkeit angekommen.

Der Besuch der Holocaustgedenkstätte Yad Vashem ist dem DFB bei jedem Besuch in Israel ein besonderes Anliegen. 1997 legten Kapitän Jürgen Klinsmann und Berti Vogts den Kranz nieder.

Das Wunder von Bloomfield Der engen Freundschaft zwischen Hennes Weis­ weiler und Emanuel Schaffer war es zu verdanken, dass während des Deutschland-Aufenthalts der israelischen Nationalmannschaft eine Reise von Borussia Mönchengladbach nach Israel vereinbart wurde. Das für den 25. Februar 1970 angesetzte Treffen geriet jedoch in Gefahr, weil sich kurz zu­ vor auf dem Münchener Flughafen ein Anschlag auf eine Maschine der israelischen EL AL ereignete. Die Frauen der Spieler waren in Sorge, die Versi­ cherung der Fohlenelf hatte ebenfalls Bedenken. Daraufhin stellte die Bundesregierung eine Boeing 707 der Luftwaffe bereit, die die Mannschaft in einer zunächst geheim gehaltenen Mission nach Israel brachte. Als die Männer um Günter Netzer das bereits für Mexiko qualifizierte israelische Team mit 6:0 besiegten, kannte die Begeisterung der Zuschauer keine Grenzen. Schon in der Halb­ zeit soll ein Vertreter der deutschen Botschaft Borussen-Geschäftsführer Helmut Grashoff gegen­ über geäußert haben: „Also ich versteh die Welt nicht mehr! Wir mühen uns jahrelang in kleinen Schritten um Wiederherstellung des Vertrauens zu uns Deutschen, wohingegen sie nur 45 Minuten benötigen, um einen Freudentaumel auszulösen“. Bis Mitternacht feierten hunderte junger Fans vor dem Hotel die deutschen Gäste. Entgegen der allgemeinen Berichterstattung in Deutschland, war Lothar Matthäus nicht der ers­ te Deutsche, der ein israelisches Team trainierte, als er 2008 von Maccabi Netanya engagiert wur­ F|I|T 02 | 2010

de. 1971 hatte nämlich Hennes Weisweiler Uwe Klimaschefski an Hapoel Haifa vermittelt. Weis­ weiler selbst verpflichtete kurz darauf Shmuel Rosenthal, der damit als erster Israeli in die Bun­ desligageschichte einging. In der Folgezeit fuhren die Mönchengladbacher immer wieder nach Israel, bezogen – meistens zur Weihnachtszeit – Trai­ ningslager und absolvierten insgesamt 24 Freund­ schaftsspiele gegen israelische Mannschaften. Der 1. FC Köln trat ab 1971 21 Mal gegen israelische Teams an und holte Mitte der 1980er Jahre mit David Pisanti einen weiteren Israeli an den Rhein. Zahlreiche andere Mannschaften folgten dem Bei­ spiel und überbrückten die Winterpause am isra­ elischen Mittelmeer. Angesichts der Popularität des Fußballs in Israel können die Ereignisse der Jahre 1969 und 1970 in ihrer politischen Wirkung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Seit dem damaligen „Mauerfall“ haben Hunderte von Begegnungen zwischen deutschen und israelischen Fußballmannschaften stattgefunden – in Israel wie in Deutschland. Nur ein Bruchteil dieser Partien waren Pflichtspiele im Intertoto-Cup oder im Rah­ men von UEFA-Wettbewerben. Alle anderen kamen durch das gegenseitige Interesse auf freundschaft­ licher Basis zustande. Zahlreiche der mehr als 75 Städtepartnerschaften sind auf dem grünen Rasen entstanden. Aber nicht nur persönliche Freund­ schaften wurden geknüpft, es kam auch zu ei­ ner engen sportpolitischen Zusammenarbeit der beiden nationalen Fußballverbände. So erwiesen sich die deutschen Vertreter in internationalen 19


Gremien als verlässliche Partner im Kampf gegen die zunehmende sportliche Isolierung Israels durch die arabischen Staaten. Nach dem Ausschluß aus den asiatischen Regionalverbänden und von den Asienspielen gelang es vor allem mit deutscher Hilfe, die Integration des israelischen Sports im allgemeinen, und des Fußballs im besonderen, in die europäischen Strukturen durchzusetzen und den Sportlern aus Israel wieder die Teilnahme am internationalen Sportverkehr zu sichern.

Literatur bei den Autoren.

LASIK – Keine Brille mehr beim Sport! Harmonischer Abgang: Nach dem 0:0 im EMQualifikationsspiel der U 21 am 9. September 2008 verlassen Dennis Grote (rechts) und Oshri Roash den Platz gemeinsam.

Auf dem Kiteboard durch die Fluten? Nichts für Brillenträ-

4. Der Patient kann schon kurz nach dem Eingriff nach

ger! Kopfüber ins kalte Wasser? Bitte ohne Brille! Fußball

Hause gehen – mit unverbundenen Augen.

spielen mit Brille? Auch nicht zu empfehlen. Jedenfalls nicht für Leistungssportler und Profis. Nicht mal für enga-

LASIK – die maßgeschneiderte Laserbehandlung, die

gierte Amateure oder Hobbysportler.

genau auf den individuellen Sehfehler zugeschnitten ist. Ideal für alle – ob Profi- oder Freizeitsportler.

Was machen eigentlich Sportler, wenn sie unter einer Fehl-

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beheben und sich von der Brille zu verabschieden?

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Univ.-Prof. em. Dr. Manfred Lämmer, geb. 1943 in Gladbeck. 1962-1965 Studium an der Deutschen Sporthochschule und an der Universität Köln. 1967 Promotion in Geschichte und Klassischer Philologie. 1974 Habilitation. 1975-2009 Leiter des Instituts für Sportgeschichte der DSHS. Seit seiner Emeritierung Gastprofessor an der Universität Haifa. Forschungsschwerpunkte: Athletik und Gymnastik in der griechischen Antike, Geschichte und Ideologie der modernen Olympischen Bewegung, Sport im Judentum. Prof. Lämmer ist Mitbegründer und Herausgeber von Stadion (Internationale Zeitschrift für Geschichte des Sports) und Leiter des wissenschaftlichen Referats des Deutschen Sport & Olympia Museums in Köln. E-Mail: laemmer@dshs-koeln.de

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Gremien als verlässliche Partner im Kampf gegen die zunehmende sportliche Isolierung Israels durch die arabischen Staaten. Nach dem Ausschluß aus den asiatischen Regionalverbänden und von den Asienspielen gelang es vor allem mit deutscher Hilfe, die Integration des israelischen Sports im allgemeinen, und des Fußballs im besonderen, in die europäischen Strukturen durchzusetzen und den Sportlern aus Israel wieder die Teilnahme am internationalen Sportverkehr zu sichern.

Literatur bei den Autoren.

LASIK – Keine Brille mehr beim Sport! Harmonischer Abgang: Nach dem 0:0 im EMQualifikationsspiel der U 21 am 9. September 2008 verlassen Dennis Grote (rechts) und Oshri Roash den Platz gemeinsam.

Auf dem Kiteboard durch die Fluten? Nichts für Brillenträ-

4. Der Patient kann schon kurz nach dem Eingriff nach

ger! Kopfüber ins kalte Wasser? Bitte ohne Brille! Fußball

Hause gehen – mit unverbundenen Augen.

spielen mit Brille? Auch nicht zu empfehlen. Jedenfalls nicht für Leistungssportler und Profis. Nicht mal für enga-

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genau auf den individuellen Sehfehler zugeschnitten ist. Ideal für alle – ob Profi- oder Freizeitsportler.

Was machen eigentlich Sportler, wenn sie unter einer Fehl-

Und was kann man noch tun, um Fehlsichtigkeiten zu

sichtigkeit leiden?

beheben und sich von der Brille zu verabschieden?

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Univ.-Prof. em. Dr. Manfred Lämmer, geb. 1943 in Gladbeck. 1962-1965 Studium an der Deutschen Sporthochschule und an der Universität Köln. 1967 Promotion in Geschichte und Klassischer Philologie. 1974 Habilitation. 1975-2009 Leiter des Instituts für Sportgeschichte der DSHS. Seit seiner Emeritierung Gastprofessor an der Universität Haifa. Forschungsschwerpunkte: Athletik und Gymnastik in der griechischen Antike, Geschichte und Ideologie der modernen Olympischen Bewegung, Sport im Judentum. Prof. Lämmer ist Mitbegründer und Herausgeber von Stadion (Internationale Zeitschrift für Geschichte des Sports) und Leiter des wissenschaftlichen Referats des Deutschen Sport & Olympia Museums in Köln. E-Mail: laemmer@dshs-koeln.de

Behandlungsmethode, die weltweit am häufigsten einge-

Implantieren einer permanenten intraokularen Linse. Das

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und unterstützt die natürliche Linse. Der Eingriff wird un-

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optischen Merkmale des Auges. Auch die tief im Auge lie-

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F|I|T 02 | 2010

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Im Gespräch: Football for Peace Text Lena Overbeck Fotos Jens Wenzel, DSHS-Auslandsamt Links: Alice Barkhausen bei ihrer Arbeit als Coach in Dabouriya. Rechts: Gerard King (l.) und Adrian Haasner (dritter v.l.) im Kreis von Football for Peace-Helfern.

F4P hat gerade sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Hättet Ihr zu Beginn an einen solchen Erfolg geglaubt? AH Nein, ehrlich gesagt haben wir das nicht. Das Projekt musste von Jahr zu Jahr neu finanziert und neu mit Leben gefüllt werden. Es gab nie einen Drei- oder Fünfjahresplan – wir haben immer von einem Jahr auf das Nächste geplant. GK Umso schöner ist es, dass das Projekt jetzt schon so lange läuft. Jedoch ist die Laufzeit sekundär, wichtig ist der Inhalt. Was unterscheidet F4P von anderen Hilfsprojekten? Was ist das Besondere? GK Für mich ist das Besondere, dass es um Israel geht. Eigentlich ist es unglaublich, wenn man sich die Größe des Landes vor Augen führt, welchen Einfluss Israel auf die Weltpolitik hat. Wir beschäftigen uns mit diesem Land, wir gehen in das Land rein und wir wenden uns an die Menschen, die für die Konflikte am wenigsten verantwortlich sind, nämlich die Kinder. Wir möchten ihnen zeigen, dass es möglich ist, gemeinsam und friedlich zu existieren und warum Gleichheit und Anerkennung wichtig ist. AH Wir sind nicht profitorientiert und arbeiten mit starken Organisationen zusammen. F4P ist ein Gemeinschaftsprojekt der Sporthochschule, der University of Brighton, der Israeli Sports Authority und dem British Council. Seit 2010 fördern auch der DFB, die Stadt Köln und die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit die Weiterentwicklung von F4P, insbesondere in Jerusalem und Betlehem. Wie kaum ein anderes Projekt bieten wir Studierenden die Möglichkeit, aktiv an dem Projekt mitzuarbeiten und eigene, unmittelbare Nahost-Erfahrungen zu sammeln.

Football for Peace (F4P) heißt das Projekt der Deutschen Sporthochschule Köln, das sich seit zehn Jahren erfolgreich für eine friedvolle Koexistenz von arabischen und jüdischen Kindern einsetzt. Kernpunkt von Football for Peace ist die Projektarbeit vor Ort in Israel. In einem speziell ausgearbeiteten Trainingsprogramm, das die Begegnung, Kommunikation und Kooperation zwischen den Kindern in den Mittelpunkt stellt, werden gruppendynamische Prozesse initiiert. Mehr als 2.000 Israelis nehmen mittlerweile jährlich an dem Projekt teil. Doch auch in Deutschland profitieren Kinder von Football for Peace. Zur Vorbereitung auf die Zeit in Israel finden regelmäßig Trainingscamps statt, an denen sich mehrere hundert Schülerinnen und Schüler beteiligen. Für das FIT-Magazin sprach die Redaktion mit den in Deutschland Projekt-Verantwortlichen Adrian Haasner und Dr. Gerard King sowie mit der Studentin Alice Barkhausen (24), die in diesem Jahr zum ersten Mal als Trainerin mit vor Ort war.

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Warum ein Sportprogramm und warum mit Kindern? AH Durch den integrativen Charakter des Sports bauen wir Berührungsängste ab und vermitteln

F|I|T 02 | 2010

jenseits sprachlicher und sozialer Barrieren. Die Menschen vor Ort sind belastet mit Vorurteilen. Bei den Kindern sind die Barrieren genauso vorhanden, aber in stark kindlicher Form. Durch den Sport überzeugen wir sie davon, diese Ängste und Fehlinformationen in Frage zu stellen. GK Während der Interventionen stellen die Kinder fest, dass sie sich gar nicht so unähnlich sind, wie ihnen im Alltag vermittelt wird. Sie merken: die anderen treiben genauso Sport wie ich, die schwitzen genauso wie ich, die helfen mir, die haben genauso viel Spaß wie ich und das gleiche Ziel, das gemeinsam erreicht wird. Diese Gedanken manifestieren sich in den Kindern. Wenn die Kinder am Ende des zweiwöchigen Camps nach Hause gehen und die Meinungen der Eltern oder die von Schulfreunden in Frage stellen, dann ist schon viel erreicht. Wie werdet Ihr in Israel empfangen? Wie geht man mit Euch um? AH Grundsätzlich fühlen wir uns von den Israelis willkommen! Natürlich gibt es immer Kritiker und Menschen, die skeptisch sind. Aber die meisten, in erster Linie die Liberalen, empfangen uns mit offenen Armen und wünschen sich, dass wir wieder kommen. Sonst würde das Projekt auch nicht schon so lange bestehen. Es gibt Zeitpunkte in der Geschichte von F4P, da hätte das Projekt aufhören können, wenn man uns nicht mehr gewollt hätte. 2006 ist der Libanonkrieg genau einen Tag vor Projektbeginn ausgebrochen und alle Studieren­ den sind nicht geflogen, obwohl sie schon am Flughafen waren. Aber die Israelis wollten unbedingt, dass wir kommen. Wir sind nach Ende des Krieges im Dezember des selben Jahres zurückgekommen und haben das Projekt in verkürzter Form realisiert. In den Folgejahren kamen viele neue Standorte dazu. Dies ist auf das starke Bedürfnis nach solchen Maßnahmen zurückzuführen und verdeutlicht zugleich das völkerverbindene Potential des Sports. GK Wir sind dieses Jahr zum ersten Mal in Betlehem und Jerusalem gewesen – das ist ein Mei-

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Im Gespräch: Football for Peace Text Lena Overbeck Fotos Jens Wenzel, DSHS-Auslandsamt Links: Alice Barkhausen bei ihrer Arbeit als Coach in Dabouriya. Rechts: Gerard King (l.) und Adrian Haasner (dritter v.l.) im Kreis von Football for Peace-Helfern.

F4P hat gerade sein zehnjähriges Bestehen gefeiert. Hättet Ihr zu Beginn an einen solchen Erfolg geglaubt? AH Nein, ehrlich gesagt haben wir das nicht. Das Projekt musste von Jahr zu Jahr neu finanziert und neu mit Leben gefüllt werden. Es gab nie einen Drei- oder Fünfjahresplan – wir haben immer von einem Jahr auf das Nächste geplant. GK Umso schöner ist es, dass das Projekt jetzt schon so lange läuft. Jedoch ist die Laufzeit sekundär, wichtig ist der Inhalt. Was unterscheidet F4P von anderen Hilfsprojekten? Was ist das Besondere? GK Für mich ist das Besondere, dass es um Israel geht. Eigentlich ist es unglaublich, wenn man sich die Größe des Landes vor Augen führt, welchen Einfluss Israel auf die Weltpolitik hat. Wir beschäftigen uns mit diesem Land, wir gehen in das Land rein und wir wenden uns an die Menschen, die für die Konflikte am wenigsten verantwortlich sind, nämlich die Kinder. Wir möchten ihnen zeigen, dass es möglich ist, gemeinsam und friedlich zu existieren und warum Gleichheit und Anerkennung wichtig ist. AH Wir sind nicht profitorientiert und arbeiten mit starken Organisationen zusammen. F4P ist ein Gemeinschaftsprojekt der Sporthochschule, der University of Brighton, der Israeli Sports Authority und dem British Council. Seit 2010 fördern auch der DFB, die Stadt Köln und die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit die Weiterentwicklung von F4P, insbesondere in Jerusalem und Betlehem. Wie kaum ein anderes Projekt bieten wir Studierenden die Möglichkeit, aktiv an dem Projekt mitzuarbeiten und eigene, unmittelbare Nahost-Erfahrungen zu sammeln.

Football for Peace (F4P) heißt das Projekt der Deutschen Sporthochschule Köln, das sich seit zehn Jahren erfolgreich für eine friedvolle Koexistenz von arabischen und jüdischen Kindern einsetzt. Kernpunkt von Football for Peace ist die Projektarbeit vor Ort in Israel. In einem speziell ausgearbeiteten Trainingsprogramm, das die Begegnung, Kommunikation und Kooperation zwischen den Kindern in den Mittelpunkt stellt, werden gruppendynamische Prozesse initiiert. Mehr als 2.000 Israelis nehmen mittlerweile jährlich an dem Projekt teil. Doch auch in Deutschland profitieren Kinder von Football for Peace. Zur Vorbereitung auf die Zeit in Israel finden regelmäßig Trainingscamps statt, an denen sich mehrere hundert Schülerinnen und Schüler beteiligen. Für das FIT-Magazin sprach die Redaktion mit den in Deutschland Projekt-Verantwortlichen Adrian Haasner und Dr. Gerard King sowie mit der Studentin Alice Barkhausen (24), die in diesem Jahr zum ersten Mal als Trainerin mit vor Ort war.

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Warum ein Sportprogramm und warum mit Kindern? AH Durch den integrativen Charakter des Sports bauen wir Berührungsängste ab und vermitteln

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jenseits sprachlicher und sozialer Barrieren. Die Menschen vor Ort sind belastet mit Vorurteilen. Bei den Kindern sind die Barrieren genauso vorhanden, aber in stark kindlicher Form. Durch den Sport überzeugen wir sie davon, diese Ängste und Fehlinformationen in Frage zu stellen. GK Während der Interventionen stellen die Kinder fest, dass sie sich gar nicht so unähnlich sind, wie ihnen im Alltag vermittelt wird. Sie merken: die anderen treiben genauso Sport wie ich, die schwitzen genauso wie ich, die helfen mir, die haben genauso viel Spaß wie ich und das gleiche Ziel, das gemeinsam erreicht wird. Diese Gedanken manifestieren sich in den Kindern. Wenn die Kinder am Ende des zweiwöchigen Camps nach Hause gehen und die Meinungen der Eltern oder die von Schulfreunden in Frage stellen, dann ist schon viel erreicht. Wie werdet Ihr in Israel empfangen? Wie geht man mit Euch um? AH Grundsätzlich fühlen wir uns von den Israelis willkommen! Natürlich gibt es immer Kritiker und Menschen, die skeptisch sind. Aber die meisten, in erster Linie die Liberalen, empfangen uns mit offenen Armen und wünschen sich, dass wir wieder kommen. Sonst würde das Projekt auch nicht schon so lange bestehen. Es gibt Zeitpunkte in der Geschichte von F4P, da hätte das Projekt aufhören können, wenn man uns nicht mehr gewollt hätte. 2006 ist der Libanonkrieg genau einen Tag vor Projektbeginn ausgebrochen und alle Studieren­ den sind nicht geflogen, obwohl sie schon am Flughafen waren. Aber die Israelis wollten unbedingt, dass wir kommen. Wir sind nach Ende des Krieges im Dezember des selben Jahres zurückgekommen und haben das Projekt in verkürzter Form realisiert. In den Folgejahren kamen viele neue Standorte dazu. Dies ist auf das starke Bedürfnis nach solchen Maßnahmen zurückzuführen und verdeutlicht zugleich das völkerverbindene Potential des Sports. GK Wir sind dieses Jahr zum ersten Mal in Betlehem und Jerusalem gewesen – das ist ein Mei-

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lenstein! Unsere Standorte werden auch in den nächsten Jahren vorwiegend im Norden des Landes sein, aber wir wollen verstärkt auch andere Teile Israels erschließen. Bitte sagt mir mit drei Schlagwörtern, was Football 4 Peace für Euch ist! AH Interkulturelle Erfahrung, Sportgeist, Lebensfreude GK Sinnhaftigkeit, Inhalt, Koexistenz Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft? AH Meine Hoffnung ist, dass noch mehr unserer Studierenden an dem Projekt teilnehmen können. Dass wir sie in Zukunft noch besser vorbereiten können und uns noch mehr mit den relevanten Themen im Vorfeld des Projekts beschäftigen können. Und dass wir in dem Partnernetzwerk, in dem wir über Jahre so gut zusammen gearbeitet haben, weiterhin die gute Stimmung mit der guten Arbeit verbinden können. Und bezogen auf Israel? AH Dass unsere Arbeit Früchte trägt. Wir hoffen, dass die Kinder Freundschaften schließen und durch ihre positiven Erfahrungen mit der „anderen“ Kultur das Verbindende irgendwann stärker sein

jüdischen und arabischen Kindern bedeuten mehr, als wir ermessen können. GK Ich wünsche mir, dass das Projekt noch mehr Studierenden zugänglich gemacht wird und eine Einbindung in das Studium mit der Vergabe von Credit Points. Mein ultimativer Wunsch ist, dass wir in den Köpfen der Kinder, die die zukünftigen Entscheidungsträger sind, Mauern abbauen. Vielleicht multipliziert sich das, so dass sie irgendwann die komplette Mauer in dem Land abbauen können.

/////////////////////////////////////////////

Alice, Du warst das erste Mal in Israel. Welche Eindrücke bringst Du mit?

Gemeinschaftliches Miteinander, Spaß und Annäherung stehen im Mittelpunkt von Football for Peace - auf dem Platz und abseits des Spielfeldes.

AB Das Land hat mich positiv überrascht. Ich finde Israel sehr schön und sehr beeindruckend. Die Früchte, die es dort gibt, die Landschaft, die religiösen Kultstätten und die Menschen … Besonders gerührt hat mich die ehrliche Freude der Kinder, die mir vom ersten Augenblick an entgegengebracht wurde. Aber auch die Konfliksituation hat meinen Eindruck geprägt – mit dieser ist man doch ständig konfrontiert.

um sechs Uhr, weil es später zu heiß war. Nach dem Frühstück haben wir das Trainingsprogramm besprochen und sind dann in die Stadt gefahren. Die einheimischen Projektpartner haben uns rumgeführt und so konnten wir Eindrücke gewinnen, die uns als Touristen bestimmt verwährt geblieben wären. Um 15 Uhr hat der Bus mich und die Teammember abgeholt und gemeinsam mit den Kindern zum Pitch gefahren, wo wir trainiert haben. Da ging es dann bis abends munter zu. In Israel wird es schlagartig dunkel, daher mussten wir bis 20 Uhr alles weggeräumt haben. Danach wäre man am liebsten total k.o. ins Bett gefallen, aber auch abends gab es Programm, wobei die Teilnahme natürlich freiwillig war.

Hattest Du im Vorfeld Angst oder Bedenken gegenüber der Reise? AB Ich habe mich im Vorfeld natürlich sehr stark informiert. Das ist meiner Meinung nach auch sinnvoll, wenn man ein solches Projekt unterstützt. Man sollte den Grund für diese Unterstützung kennen. Ich habe mich von den Informationen aber nur bedingt beeinflussen lassen, da ich möglichst neutral anreisen wollte. Ich wollte mir eigene Eindrücke machen.

Wie bist Du mit den Kindern zurecht gekommen? AB Super. Ich hatte eine Mädchengruppe im Alter zwischen 8 und 16 Jahren. Die Aufteilung von Mädchen und Jungen ist von den arabischen Israelis so gewollt. Verständigt haben wir uns auf englisch und wir hatten einen Localcoach an unserer Seite. Aber das meiste erklärt sich im Sport sowieso von selbst. Die Mädels waren total stolz, von einer Deutschen Studentin trainiert zu werden und sind vom ersten Moment an herzlich und offen auf mich zugekommen. Zwei Mädchen wurden über die Zeit sogar richtig anhänglich und haben mir am Ende gesagt, dass sie mich vermissen werden. Das war schon sehr rührend.

Und wie sind die ausgefallen?

wird als das Trennende. Ich bin gegen künstliche Eingriffe, die Freundschaften erzwingen wollen. Aber wir können Rahmenbedingungen schaffen, in denen der Sport wunderbar für Begegnungen, Kommunikation und Kooperation genutzt werden kann. Menschen begegnen sich, die sich sonst nie begegnen würden und entwickeln im und durch Sport gleiche Interessen. Ich würde nie behaupten, dass wir Frieden im großen Rahmen schaffen. Aber die vielen positiven Begegnungen zwischen

24

AB Sehr positiv. Ich kann jedem Studenten empfehlen, an dem Projekt teilzunehmen. Sicherlich kostet es Zeit und Engagement, aber man wird in ein tolles Team aufgenommen und es ist eine große Chance. Ich möchte nach meinem Studium gerne in der Sport- und Entwicklungshilfe arbeiten. Dementsprechend hat mich das Projekt im Vorfeld auch angesprochen. Ich konnte erste Erfahrungen sammeln, die meinen Berufswunsch noch verstärkt haben.

Was war Dein schönstes Erlebnis in Israel? Wie sah ein typischer Tag von Dir vor Ort aus? AB Das Abschlussevent mit allen Gruppen war sehr eindrucksvoll. Auch der Besuch einer arabischen Hochzeit, zu der wir spontan eingeladen wurden, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Der

AB Man muss vor allem die Hitze berücksichtigen, die den Tagesablauf bestimmt. Manchmal bin ich früh morgens joggen gegangen, dann aber schon

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schönste ganz persönliche Augenblick war der Moment, als ich das erste Mal zu den Kindern in den Bus gestiegen bin. Sie kannten mich nicht und haben mich mit Euphorie begrüßt. Das wusste ich, dass ich hier richtig bin. Welche Schlüsse ziehst Du aus Deiner Reise? AB Zum einen, dass der Konflikt wirklich sehr tief sitzt. Da prallen im alltäglichen Leben zwei Welten aufeinander. Wir mussten Sicherheitsposten passieren und an vielen Stellen unser Anliegen erläutern, wenn wir privat zu Besuch in eine israelische oder arabische Kommune wollten. Ohne die Projektpartner vor Ort wäre das gar nicht möglich gewesen. Zum anderen, dass Football for Peace in den Projekt-Standorten großen Zuspruch erhält. Das lässt hoffen, dass zumindest ein kleiner Teil der Bevölkerung gewillt ist, an der Situation etwas zu ändern. Was ist für Dich, mit drei Schlagworten beschrieben, Football for Peace? AB Lebensfreude, Miteinander, Sinnhaftigkeit

Ansprechpartner F4P Adrian Haasner E-Mail: a.haasner@dshs-koeln.de Telefon: 0221 4982-2210 www.football4peace.eu Info Bis zum 10. Dezember 2010 können interessierte Studierende ihre Bewerbung für F4P 2011 einreichen. Weitere Infos www.dshs-koeln.de/international (Menüpunkt Projekte)

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lenstein! Unsere Standorte werden auch in den nächsten Jahren vorwiegend im Norden des Landes sein, aber wir wollen verstärkt auch andere Teile Israels erschließen. Bitte sagt mir mit drei Schlagwörtern, was Football 4 Peace für Euch ist! AH Interkulturelle Erfahrung, Sportgeist, Lebensfreude GK Sinnhaftigkeit, Inhalt, Koexistenz Was wünscht Ihr Euch für die Zukunft? AH Meine Hoffnung ist, dass noch mehr unserer Studierenden an dem Projekt teilnehmen können. Dass wir sie in Zukunft noch besser vorbereiten können und uns noch mehr mit den relevanten Themen im Vorfeld des Projekts beschäftigen können. Und dass wir in dem Partnernetzwerk, in dem wir über Jahre so gut zusammen gearbeitet haben, weiterhin die gute Stimmung mit der guten Arbeit verbinden können. Und bezogen auf Israel? AH Dass unsere Arbeit Früchte trägt. Wir hoffen, dass die Kinder Freundschaften schließen und durch ihre positiven Erfahrungen mit der „anderen“ Kultur das Verbindende irgendwann stärker sein

jüdischen und arabischen Kindern bedeuten mehr, als wir ermessen können. GK Ich wünsche mir, dass das Projekt noch mehr Studierenden zugänglich gemacht wird und eine Einbindung in das Studium mit der Vergabe von Credit Points. Mein ultimativer Wunsch ist, dass wir in den Köpfen der Kinder, die die zukünftigen Entscheidungsträger sind, Mauern abbauen. Vielleicht multipliziert sich das, so dass sie irgendwann die komplette Mauer in dem Land abbauen können.

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Alice, Du warst das erste Mal in Israel. Welche Eindrücke bringst Du mit?

Gemeinschaftliches Miteinander, Spaß und Annäherung stehen im Mittelpunkt von Football for Peace - auf dem Platz und abseits des Spielfeldes.

AB Das Land hat mich positiv überrascht. Ich finde Israel sehr schön und sehr beeindruckend. Die Früchte, die es dort gibt, die Landschaft, die religiösen Kultstätten und die Menschen … Besonders gerührt hat mich die ehrliche Freude der Kinder, die mir vom ersten Augenblick an entgegengebracht wurde. Aber auch die Konfliksituation hat meinen Eindruck geprägt – mit dieser ist man doch ständig konfrontiert.

um sechs Uhr, weil es später zu heiß war. Nach dem Frühstück haben wir das Trainingsprogramm besprochen und sind dann in die Stadt gefahren. Die einheimischen Projektpartner haben uns rumgeführt und so konnten wir Eindrücke gewinnen, die uns als Touristen bestimmt verwährt geblieben wären. Um 15 Uhr hat der Bus mich und die Teammember abgeholt und gemeinsam mit den Kindern zum Pitch gefahren, wo wir trainiert haben. Da ging es dann bis abends munter zu. In Israel wird es schlagartig dunkel, daher mussten wir bis 20 Uhr alles weggeräumt haben. Danach wäre man am liebsten total k.o. ins Bett gefallen, aber auch abends gab es Programm, wobei die Teilnahme natürlich freiwillig war.

Hattest Du im Vorfeld Angst oder Bedenken gegenüber der Reise? AB Ich habe mich im Vorfeld natürlich sehr stark informiert. Das ist meiner Meinung nach auch sinnvoll, wenn man ein solches Projekt unterstützt. Man sollte den Grund für diese Unterstützung kennen. Ich habe mich von den Informationen aber nur bedingt beeinflussen lassen, da ich möglichst neutral anreisen wollte. Ich wollte mir eigene Eindrücke machen.

Wie bist Du mit den Kindern zurecht gekommen? AB Super. Ich hatte eine Mädchengruppe im Alter zwischen 8 und 16 Jahren. Die Aufteilung von Mädchen und Jungen ist von den arabischen Israelis so gewollt. Verständigt haben wir uns auf englisch und wir hatten einen Localcoach an unserer Seite. Aber das meiste erklärt sich im Sport sowieso von selbst. Die Mädels waren total stolz, von einer Deutschen Studentin trainiert zu werden und sind vom ersten Moment an herzlich und offen auf mich zugekommen. Zwei Mädchen wurden über die Zeit sogar richtig anhänglich und haben mir am Ende gesagt, dass sie mich vermissen werden. Das war schon sehr rührend.

Und wie sind die ausgefallen?

wird als das Trennende. Ich bin gegen künstliche Eingriffe, die Freundschaften erzwingen wollen. Aber wir können Rahmenbedingungen schaffen, in denen der Sport wunderbar für Begegnungen, Kommunikation und Kooperation genutzt werden kann. Menschen begegnen sich, die sich sonst nie begegnen würden und entwickeln im und durch Sport gleiche Interessen. Ich würde nie behaupten, dass wir Frieden im großen Rahmen schaffen. Aber die vielen positiven Begegnungen zwischen

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AB Sehr positiv. Ich kann jedem Studenten empfehlen, an dem Projekt teilzunehmen. Sicherlich kostet es Zeit und Engagement, aber man wird in ein tolles Team aufgenommen und es ist eine große Chance. Ich möchte nach meinem Studium gerne in der Sport- und Entwicklungshilfe arbeiten. Dementsprechend hat mich das Projekt im Vorfeld auch angesprochen. Ich konnte erste Erfahrungen sammeln, die meinen Berufswunsch noch verstärkt haben.

Was war Dein schönstes Erlebnis in Israel? Wie sah ein typischer Tag von Dir vor Ort aus? AB Das Abschlussevent mit allen Gruppen war sehr eindrucksvoll. Auch der Besuch einer arabischen Hochzeit, zu der wir spontan eingeladen wurden, wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Der

AB Man muss vor allem die Hitze berücksichtigen, die den Tagesablauf bestimmt. Manchmal bin ich früh morgens joggen gegangen, dann aber schon

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schönste ganz persönliche Augenblick war der Moment, als ich das erste Mal zu den Kindern in den Bus gestiegen bin. Sie kannten mich nicht und haben mich mit Euphorie begrüßt. Das wusste ich, dass ich hier richtig bin. Welche Schlüsse ziehst Du aus Deiner Reise? AB Zum einen, dass der Konflikt wirklich sehr tief sitzt. Da prallen im alltäglichen Leben zwei Welten aufeinander. Wir mussten Sicherheitsposten passieren und an vielen Stellen unser Anliegen erläutern, wenn wir privat zu Besuch in eine israelische oder arabische Kommune wollten. Ohne die Projektpartner vor Ort wäre das gar nicht möglich gewesen. Zum anderen, dass Football for Peace in den Projekt-Standorten großen Zuspruch erhält. Das lässt hoffen, dass zumindest ein kleiner Teil der Bevölkerung gewillt ist, an der Situation etwas zu ändern. Was ist für Dich, mit drei Schlagworten beschrieben, Football for Peace? AB Lebensfreude, Miteinander, Sinnhaftigkeit

Ansprechpartner F4P Adrian Haasner E-Mail: a.haasner@dshs-koeln.de Telefon: 0221 4982-2210 www.football4peace.eu Info Bis zum 10. Dezember 2010 können interessierte Studierende ihre Bewerbung für F4P 2011 einreichen. Weitere Infos www.dshs-koeln.de/international (Menüpunkt Projekte)

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Text Evelyn Mertin Fotos Horstmüller GmbH, Punctum/Kober, shutterstock, loewentreu, Deutsches Sport & Olympia Museum

Der Status West-Berliner Athleten Die Unterschiede zwischen den beiden gesellschaftlich und politisch entgegengesetzten Blöcken Ost und West machten sich unweigerlich auch im Bereich der sportlichen Begegnungen und bei der Durchführung internationaler Wettkämpfe bemerkbar. Der Kampf um Medaillen und Rekorde wurde sowohl westlich als auch östlich des ‘Eisernen Vorhangs’ als prestigeträchtiges Anliegen erkannt. Doch waren sportliche Erfolge und Spitzen­leistungen nur ein Ziel, um im unmittelbaren Systemvergleich zu punkten. Zusätzlich boten sich internationale Meisterschaften und Olympische Spiele aber auch Freundschaftsspiele zwischen Nationalmannschaften oder Länderkämpfe aufgrund der Besonderheiten des internatio­nalen Sportprotokolls als Präsentationsfläche für die politische Grenzziehung sowie zur Durchsetzung staatlicher Anerkennungsstrategien zwischen den beiden Blöcken an. Der Gebrauch von Länderkennungen, Staatsfahnen und Hymnen, die feste Bestandteile des internationalen Sportzeremoniells sind, hatte zur Folge, dass offene oder umstrittene Fragen der politischen Anerkennung zugleich auch Dissens im internationalen Sportverkehr mit sich zogen. Ein besonders deutlicher Fall, bei dem das Wirken auf sportlichem Terrain die politische Souveränität eines Staates herausstellen und ‘bewerben’ sollte, war das Streben der DDR-Sportfunktionäre nach einer eigenen, von der BRD getrennt behandelten Mannschaft (Balbier 2007, Blasius 2001) mit einem eigenen Protokoll. Zu einer politisch besonderen und gleichzeitig zu einer sportpolitisch brisanten Situation entwickelte sich die Frage um WestBerlin. Die Großstadt Berlin war nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten in vier Sektoren geteilt worden und unterstand fortan dem so genannten „Viermächte-Status“. Sowohl die DDR als auch die UdSSR hatten ein Interesse an der Einverleibung West-Berlins in die Ostzone. Der Stadtteil war wie ein „Stachel im Fleisch der DDR“ und ein „Schaufenster des Konsums und der westlichen Werte“ (Hertle/Jarausch 2006). Entsprechende Versuche

Der Zankapfel West-Berlin Sport und Politik im Kalten Krieg Die Zeit des ‘Kalten Krieges’ bietet zahlreiche Beispiele für Überschneidungen zwischen internationalem Sport und den Interessen internationaler Politik. Eine Vielzahl dieser Vorkommnisse steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem politischen Ost-West-Konflikt. Zu einer politisch besonderen und gleichzeitig zu einer sportpolitisch brisanten Situation avancierte der Streit um West-Berlin. Das (sport-)politische Tauziehen um West-Berliner Athleten sollte bis zur Wende die Sportbeziehungen zwischen Ost und West immer wieder beeinträchtigen. Eine besondere Rolle spielte die West-Berlin-Frage im Kontext der Sportbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Exemplarisch für die Vielzahl der damit verbundenen politischen Bemühungen und diplo­­ma­ti­schen Protokollfragen werden im Folgenden die Versuche der Sowjetunion untersucht, die Bindung der abgegrenzten Stadt an die BRD durch gezielte bilaterale Sportkontakte zu West-Berlin zu untergraben.

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wurden beispielsweise mit der Berlin-Blockade 1948/1949 und dem Berlin-Ultimatum von 1958 unternommen. Durch die Abriegelungspolitik der DDR wurde die geografische Isolation West-Berlins inmitten des Gebietes der DDR durch den Bau der Mauer 1961 noch weiter verstärkt. Die politischen Bemühungen der Ostblockstaaten zielten darauf, die zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik bestehenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Anbindungen und Verknüpfungspunkte zu lösen. Der Sport in West-Berlin Der Deutsche Sportbund (DSB) machte die Einbindung der Athleten aus West-Berlin in Mannschaften und Delegationen seiner Mitgliedsverbände zur conditio sine qua non in den Verhandlungen um zweiseitige Sportabkommen mit dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR (Pabst 1980, Korber 1982, Braun 2006) und mit dem staatlichen Sportkomitee der UdSSR (Mertin 2009). Der Berliner Sportverband, der 1949 gegründet wurde, war konstituierendes Mitglied des Deutschen Sportbundes im Jahr 1950. Der Vorsitzende des Landessportbundes Berlin (LSB Berlin), Horst Korber, bezeichnete die Einbindung in den bundesdeutschen Zuständigkeitsbereich als „unproblematisch“, da diese „originäre und uneingeschränkte Zugehörigkeit […] ihre Rechtsgrundlage im Privatrecht“ fand und somit „unabhängig von dem staatsrechtlichen Verhältnis Berlins zum Bund“ zu sehen war (Korber 1982). Doch dieser westlichen Auffassung der West-Berlin-Frage stellten die Vertreter des sozialistischen Blocks ihre Interpretation entgegen. Das besondere Konfliktpotential ist darauf zurück zu führen, dass die unterschiedlichen Staatsformen verschiedenartige Sportstrukturen aufwiesen, die mit einer divergierenden Auffassung von Zuständigkeitsbereichen einherging. Im Falle der Sow­ jetunion war der Sport staatlich organisiert und gehörte somit per se in den staatlichen Zuständigkeitsbereich. Eine Unterscheidung zwischen politischen und sportlichen Aspekten der West-Berlin27


Text Evelyn Mertin Fotos Horstmüller GmbH, Punctum/Kober, shutterstock, loewentreu, Deutsches Sport & Olympia Museum

Der Status West-Berliner Athleten Die Unterschiede zwischen den beiden gesellschaftlich und politisch entgegengesetzten Blöcken Ost und West machten sich unweigerlich auch im Bereich der sportlichen Begegnungen und bei der Durchführung internationaler Wettkämpfe bemerkbar. Der Kampf um Medaillen und Rekorde wurde sowohl westlich als auch östlich des ‘Eisernen Vorhangs’ als prestigeträchtiges Anliegen erkannt. Doch waren sportliche Erfolge und Spitzen­leistungen nur ein Ziel, um im unmittelbaren Systemvergleich zu punkten. Zusätzlich boten sich internationale Meisterschaften und Olympische Spiele aber auch Freundschaftsspiele zwischen Nationalmannschaften oder Länderkämpfe aufgrund der Besonderheiten des internatio­nalen Sportprotokolls als Präsentationsfläche für die politische Grenzziehung sowie zur Durchsetzung staatlicher Anerkennungsstrategien zwischen den beiden Blöcken an. Der Gebrauch von Länderkennungen, Staatsfahnen und Hymnen, die feste Bestandteile des internationalen Sportzeremoniells sind, hatte zur Folge, dass offene oder umstrittene Fragen der politischen Anerkennung zugleich auch Dissens im internationalen Sportverkehr mit sich zogen. Ein besonders deutlicher Fall, bei dem das Wirken auf sportlichem Terrain die politische Souveränität eines Staates herausstellen und ‘bewerben’ sollte, war das Streben der DDR-Sportfunktionäre nach einer eigenen, von der BRD getrennt behandelten Mannschaft (Balbier 2007, Blasius 2001) mit einem eigenen Protokoll. Zu einer politisch besonderen und gleichzeitig zu einer sportpolitisch brisanten Situation entwickelte sich die Frage um WestBerlin. Die Großstadt Berlin war nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten in vier Sektoren geteilt worden und unterstand fortan dem so genannten „Viermächte-Status“. Sowohl die DDR als auch die UdSSR hatten ein Interesse an der Einverleibung West-Berlins in die Ostzone. Der Stadtteil war wie ein „Stachel im Fleisch der DDR“ und ein „Schaufenster des Konsums und der westlichen Werte“ (Hertle/Jarausch 2006). Entsprechende Versuche

Der Zankapfel West-Berlin Sport und Politik im Kalten Krieg Die Zeit des ‘Kalten Krieges’ bietet zahlreiche Beispiele für Überschneidungen zwischen internationalem Sport und den Interessen internationaler Politik. Eine Vielzahl dieser Vorkommnisse steht im unmittelbaren Zusammenhang mit dem politischen Ost-West-Konflikt. Zu einer politisch besonderen und gleichzeitig zu einer sportpolitisch brisanten Situation avancierte der Streit um West-Berlin. Das (sport-)politische Tauziehen um West-Berliner Athleten sollte bis zur Wende die Sportbeziehungen zwischen Ost und West immer wieder beeinträchtigen. Eine besondere Rolle spielte die West-Berlin-Frage im Kontext der Sportbeziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion. Exemplarisch für die Vielzahl der damit verbundenen politischen Bemühungen und diplo­­ma­ti­schen Protokollfragen werden im Folgenden die Versuche der Sowjetunion untersucht, die Bindung der abgegrenzten Stadt an die BRD durch gezielte bilaterale Sportkontakte zu West-Berlin zu untergraben.

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wurden beispielsweise mit der Berlin-Blockade 1948/1949 und dem Berlin-Ultimatum von 1958 unternommen. Durch die Abriegelungspolitik der DDR wurde die geografische Isolation West-Berlins inmitten des Gebietes der DDR durch den Bau der Mauer 1961 noch weiter verstärkt. Die politischen Bemühungen der Ostblockstaaten zielten darauf, die zwischen West-Berlin und der Bundesrepublik bestehenden wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Anbindungen und Verknüpfungspunkte zu lösen. Der Sport in West-Berlin Der Deutsche Sportbund (DSB) machte die Einbindung der Athleten aus West-Berlin in Mannschaften und Delegationen seiner Mitgliedsverbände zur conditio sine qua non in den Verhandlungen um zweiseitige Sportabkommen mit dem Deutschen Turn- und Sportbund (DTSB) der DDR (Pabst 1980, Korber 1982, Braun 2006) und mit dem staatlichen Sportkomitee der UdSSR (Mertin 2009). Der Berliner Sportverband, der 1949 gegründet wurde, war konstituierendes Mitglied des Deutschen Sportbundes im Jahr 1950. Der Vorsitzende des Landessportbundes Berlin (LSB Berlin), Horst Korber, bezeichnete die Einbindung in den bundesdeutschen Zuständigkeitsbereich als „unproblematisch“, da diese „originäre und uneingeschränkte Zugehörigkeit […] ihre Rechtsgrundlage im Privatrecht“ fand und somit „unabhängig von dem staatsrechtlichen Verhältnis Berlins zum Bund“ zu sehen war (Korber 1982). Doch dieser westlichen Auffassung der West-Berlin-Frage stellten die Vertreter des sozialistischen Blocks ihre Interpretation entgegen. Das besondere Konfliktpotential ist darauf zurück zu führen, dass die unterschiedlichen Staatsformen verschiedenartige Sportstrukturen aufwiesen, die mit einer divergierenden Auffassung von Zuständigkeitsbereichen einherging. Im Falle der Sow­ jetunion war der Sport staatlich organisiert und gehörte somit per se in den staatlichen Zuständigkeitsbereich. Eine Unterscheidung zwischen politischen und sportlichen Aspekten der West-Berlin27


„Die Eingliederung des West-Berliner Sports in den nationalen, besser bundesdeutschen Zuständigkeitsbereich war und ist unproblematisch.“ Horst Korber, Präsident des Landessportbundes Berlin, in seinem Vortrag am 10. März 1980 vor der Vollversammlung der Sportjugend Berlin auf der Spandau Zitadelle.

Frage konnte es für die Sowjetunion nicht geben. Forderungen und Erwartungen, die an politische Verhandlungen gestellt wurden, fanden ihren direkten Übertrag auf Gespräche zu Vereinbarungen im multi- und bilateralen Sportaustausch. Diese Anwendung war nach sowjetischer Lesart auch umgekehrt möglich: Bedingungen und Verhandlungsergebnisse aus den Sportbeziehungen konnten nach sowjetischer Auffassung entsprechend auf zwischenstaatlicher Ebene angewandt werden. Die besondere Sorge um Protokoll- und Statusfragen im Umgang mit Sportlern aus West-Berlin begründete sich in den entgegengesetzten politischen Interessen, die Ost und West in der West-Berlin-Frage verfolgten, und vor allem in der unterschiedlichen Auffassung staatlicher Zuständigkeit (Ost) oder Un­abhängigkeit (West) im Bereich des Sports. Die ‘Madrider Beschlüsse’ des IOC Während die West-Berlin-Frage bereits die deutschdeutschen Sportbeziehungen in den 1950ern beeinflusste, verlagerte sich die Problematik ‘erst’ vor den Olympischen Spielen in Rom in den olympischen und somit in den internationalen Bereich. 1960 weigerte sich das NOK der DDR, Ausscheidungs­wettbewerbe für die gesamtdeutsche Olympiamannschaft in West-Berlin zu bestreiten (Braun 2006). Für die Dauer der gemeinsamen Olympiamannschaften (bis 1964) klärte Avery Brundage als IOC-Präsident diesen provokativen Vorstoß der ostdeutschen Funktionäre, indem er sowohl Ost-Berlin als auch West-Berlin als Austragungsorte dieser Ausscheidungswettkämpfe bestätigte. Als der provisorische Status des NOK der DDR während der 63. IOC-Session in Madrid 1965 aufgehoben und der DDR eine von den Westdeutschen getrennte Mannschaft für die Olympischen Spiele 1968 in Mexiko City zugestanden wurde, umfasste das Protokoll der IOC-Session eine eindeutige Formulierung über die Zugehörigkeit West-Berliner Athleten zur westdeutschen Mannschaft. Dieser Entschluss des IOC von 1965 wurde von westdeutscher Seite als Handlungsorientierung für den gesamten internatio­ nalen Wirkungsbereich des Sports anerkannt. Auch außerhalb des olympischen Sports wurden die so genannten ‘Madrider Beschlüsse’ des IOC als Legitimation angeführt, dass die Einbeziehung WestBerliner Athleten in bundesdeutsche Mannschaften

Sprintschuh der westdeutschen Sprinterin Heidemarie Rosendahl (r.) und ihrer Konkurrentin DDR-Sprinterin Renate Stecher (l.). Heidemarie Rosendahl (l.) gewinnt mit 14 Hundertstelsekunden Vorsprung Gold für den Westen mit neuer Weltrekordzeit (Olympische Spiele 1972 in München, 4x100-Meter-Staffel der Frauen).

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kein willkürlicher Akt, sondern begründet und berechtigt war. Während die sozialistischen Länder zwar die Aufwertung des NOK der DDR im IOC als Erfolg ihrer gemeinsamen Strategie betrachteten, entsprach die damit verbundene Berlin-Klausel nicht ihrer politischen Zielsetzung. Die Ostblockstaaten und vor allem die Sowjetunion maßen diesem IOC-Entschluss keine Allgemeingültigkeit bei und verfolgten weiterhin das Ziel, den WestBerliner Sport gesondert zu behandeln. So akzeptierte beispielsweise das sowjetische Sportkomitee die Einbeziehung West-Berliner Athleten in Nationalmannschaften der BRD bei Olympischen Spielen und internationalen Meisterschaften sowie bei Sportveranstaltungen im Westen. Diese Akzeptanz erstreckte sich hingegen nicht auf bilaterale Sportbegegnungen zwischen sowjetischen und bundesdeutschen Mannschaften, die auf sowjetischem Territorium stattfanden. Hier erfuhren die ‘Insulaner’ mittels gezielter Visaverweigerung oder durch Protokollveränderungen, z.B. ein zusätzliches Hissen der Berliner-Stadtfahne im Stadion, eine Sonderbehandlung, die die ‘Madrider Beschlüsse’ des IOC brüskierte. Bilaterale Sportkontakte als Isolierungsstrategie Parallel hierzu verfolgte das sowjetische Sportkomitee ab Mitte der 1960er Jahre eine zusätzliche Isolierungsstrategie, indem es gesonderte bilaterale Sportkontakte zu West-Berlin aufbaute. So kam es im Januar 1967 zur ersten Städte-Begegnung West-Berlin-Moskau im Boxen und darauf folgend Minsk-West-Berlin im Mai des gleichen Jahres. Beweggründe für diese Kontaktaufnahme liegen in der Absicht durch parallel stattfindende Sportbeziehungen zur BRD und zu West-Berlin die Sonderstellung der Inselstadt zu verdeutlichen. Die weitere Entwicklung dieser bilateralen Kontakte zum LSB Berlin zeigt darüber hinaus, dass durch eine subtile und sukzessiv erfolgende Veränderung dieser Beziehungen die sportliche und vor allem politische Isolation West-Berlins durch die Sowjetunion beabsichtigt wurde. Die 1967 aufgenommenen bilateralen Begegnung­ en wurden als ‘Städtekämpfe’ zwischen Berlin und einer entsprechenden Stadt in der Sowjetunion bezeichnet und ohne Flaggen- oder Hymnenzere29


„Die Eingliederung des West-Berliner Sports in den nationalen, besser bundesdeutschen Zuständigkeitsbereich war und ist unproblematisch.“ Horst Korber, Präsident des Landessportbundes Berlin, in seinem Vortrag am 10. März 1980 vor der Vollversammlung der Sportjugend Berlin auf der Spandau Zitadelle.

Frage konnte es für die Sowjetunion nicht geben. Forderungen und Erwartungen, die an politische Verhandlungen gestellt wurden, fanden ihren direkten Übertrag auf Gespräche zu Vereinbarungen im multi- und bilateralen Sportaustausch. Diese Anwendung war nach sowjetischer Lesart auch umgekehrt möglich: Bedingungen und Verhandlungsergebnisse aus den Sportbeziehungen konnten nach sowjetischer Auffassung entsprechend auf zwischenstaatlicher Ebene angewandt werden. Die besondere Sorge um Protokoll- und Statusfragen im Umgang mit Sportlern aus West-Berlin begründete sich in den entgegengesetzten politischen Interessen, die Ost und West in der West-Berlin-Frage verfolgten, und vor allem in der unterschiedlichen Auffassung staatlicher Zuständigkeit (Ost) oder Un­abhängigkeit (West) im Bereich des Sports. Die ‘Madrider Beschlüsse’ des IOC Während die West-Berlin-Frage bereits die deutschdeutschen Sportbeziehungen in den 1950ern beeinflusste, verlagerte sich die Problematik ‘erst’ vor den Olympischen Spielen in Rom in den olympischen und somit in den internationalen Bereich. 1960 weigerte sich das NOK der DDR, Ausscheidungs­wettbewerbe für die gesamtdeutsche Olympiamannschaft in West-Berlin zu bestreiten (Braun 2006). Für die Dauer der gemeinsamen Olympiamannschaften (bis 1964) klärte Avery Brundage als IOC-Präsident diesen provokativen Vorstoß der ostdeutschen Funktionäre, indem er sowohl Ost-Berlin als auch West-Berlin als Austragungsorte dieser Ausscheidungswettkämpfe bestätigte. Als der provisorische Status des NOK der DDR während der 63. IOC-Session in Madrid 1965 aufgehoben und der DDR eine von den Westdeutschen getrennte Mannschaft für die Olympischen Spiele 1968 in Mexiko City zugestanden wurde, umfasste das Protokoll der IOC-Session eine eindeutige Formulierung über die Zugehörigkeit West-Berliner Athleten zur westdeutschen Mannschaft. Dieser Entschluss des IOC von 1965 wurde von westdeutscher Seite als Handlungsorientierung für den gesamten internatio­ nalen Wirkungsbereich des Sports anerkannt. Auch außerhalb des olympischen Sports wurden die so genannten ‘Madrider Beschlüsse’ des IOC als Legitimation angeführt, dass die Einbeziehung WestBerliner Athleten in bundesdeutsche Mannschaften

Sprintschuh der westdeutschen Sprinterin Heidemarie Rosendahl (r.) und ihrer Konkurrentin DDR-Sprinterin Renate Stecher (l.). Heidemarie Rosendahl (l.) gewinnt mit 14 Hundertstelsekunden Vorsprung Gold für den Westen mit neuer Weltrekordzeit (Olympische Spiele 1972 in München, 4x100-Meter-Staffel der Frauen).

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kein willkürlicher Akt, sondern begründet und berechtigt war. Während die sozialistischen Länder zwar die Aufwertung des NOK der DDR im IOC als Erfolg ihrer gemeinsamen Strategie betrachteten, entsprach die damit verbundene Berlin-Klausel nicht ihrer politischen Zielsetzung. Die Ostblockstaaten und vor allem die Sowjetunion maßen diesem IOC-Entschluss keine Allgemeingültigkeit bei und verfolgten weiterhin das Ziel, den WestBerliner Sport gesondert zu behandeln. So akzeptierte beispielsweise das sowjetische Sportkomitee die Einbeziehung West-Berliner Athleten in Nationalmannschaften der BRD bei Olympischen Spielen und internationalen Meisterschaften sowie bei Sportveranstaltungen im Westen. Diese Akzeptanz erstreckte sich hingegen nicht auf bilaterale Sportbegegnungen zwischen sowjetischen und bundesdeutschen Mannschaften, die auf sowjetischem Territorium stattfanden. Hier erfuhren die ‘Insulaner’ mittels gezielter Visaverweigerung oder durch Protokollveränderungen, z.B. ein zusätzliches Hissen der Berliner-Stadtfahne im Stadion, eine Sonderbehandlung, die die ‘Madrider Beschlüsse’ des IOC brüskierte. Bilaterale Sportkontakte als Isolierungsstrategie Parallel hierzu verfolgte das sowjetische Sportkomitee ab Mitte der 1960er Jahre eine zusätzliche Isolierungsstrategie, indem es gesonderte bilaterale Sportkontakte zu West-Berlin aufbaute. So kam es im Januar 1967 zur ersten Städte-Begegnung West-Berlin-Moskau im Boxen und darauf folgend Minsk-West-Berlin im Mai des gleichen Jahres. Beweggründe für diese Kontaktaufnahme liegen in der Absicht durch parallel stattfindende Sportbeziehungen zur BRD und zu West-Berlin die Sonderstellung der Inselstadt zu verdeutlichen. Die weitere Entwicklung dieser bilateralen Kontakte zum LSB Berlin zeigt darüber hinaus, dass durch eine subtile und sukzessiv erfolgende Veränderung dieser Beziehungen die sportliche und vor allem politische Isolation West-Berlins durch die Sowjetunion beabsichtigt wurde. Die 1967 aufgenommenen bilateralen Begegnung­ en wurden als ‘Städtekämpfe’ zwischen Berlin und einer entsprechenden Stadt in der Sowjetunion bezeichnet und ohne Flaggen- oder Hymnenzere29


1979 wurde die Berlin-Frage im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau noch einmal durch den führenden sowjetischen Sportfunktionär Pavlov angeheizt. Dieser stellte in Aussicht, dass West-Berliner Sportler zwar im Rahmen der BRD-Mannschaft in Moskau starten könnten, dass sie allerdings als West-Berliner gekennzeichnet werden müssten. Diese Äußerungen wurden schließlich durch öffentliche Stellungnahmen des Präsidenten des Moskauer Organisationskomitees, Ignatj Novikov, zurück genommen.

moniell veranstaltet. Die Verabredungen trafen der Landessportbund Berlin mit dem sowjetischen Sportkomitee. Dies ist vor dem Hintergrund hervorzuheben, dass bis zu den Verhandlungen (ab 1971) und dem Protokoll (1977) zwischen DSB und dem sowjetischen Sportkomitee die Vereinbarungen auf bundesdeutscher Seite vor allem durch die Sportfachverbände des DSB verabredet wurden. Der LSB Berlin stimmte jedoch seine Schritte sowohl mit dem DSB als auch mit dem Auswärtigen Amt in Bonn ab, worin die sportpolitische und allgemein politische Sensibilität der Situation verdeutlicht wird. Obwohl sich der LSB Berlin in keiner staatsrechtlichen Verbindung zur BRD sah und seine Mitgliedschaft im DSB auf privatrechtlicher Ebene verstand, waren sich alle Beteiligten über das politische Ausmaß der Sportkontakte mit der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten durchaus bewusst. Nach einer Unterbrechung der sowjetisch-west-Berliner Sportkontakte, die aus der Absage von Begegnungen durch den LSB Berlin nach dem ‘Prager Frühling’ (1968) resultierte, wurden für 1969 jeweils vier Städtekämpfe in Moskau und West-Berlin verabredet. Allerdings leitet die sowjetische Seite noch vor der ersten Begegnung eine neue Phase ihrer Berlin-Strategie ein: Der sow­ jetische Botschaftssekretär in Ost-Berlin, Ussow, informierte den LSB Berlin über das sowjetische Vorhaben, die geplante Sportveranstaltung nicht als Städtebegegnung sondern als Auswahl einer Republik der UdSSR zu deklarieren. Dieser Schritt stieß zunächst auf Widerstand des LSB Berlin sowie des Berliner Senats; nach einem Kompromiss („Berlin gegen Boxmannschaft einiger sowjetischer Städte“) akzeptierte der Senat unter Zustimmung des Auswärtigen Amtes ab 1970 Begegnungen mit Vereins- oder Stadtmannschaften sowie Auswahlmannschaften einer sowjetischen Republik. Begegnungen mit der Nationalmannschaft der UdSSR hingegen wurden rigoros abgelehnt. Das sowjetische Sportkomitee hatte so die entwickelten Sportbeziehungen auf Städtebasis politisch forcieren und außenpolitisch ausbauen wollen. Auf diese Weise 30

Nach dem Viermächte-Abkommen von 1971 Unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen zwischen dem DSB und dem sowjetischen Sportkomitee und nur wenige Monate vor den Verhandlungen um den Viermächte-Status Berlins verweigerte die Sow­jetunion zwei West-Berliner Schützen Ende April 1971 die Einreise nach Moskau, woraufhin die Begegnung von westdeutscher Seite abgesagt wurde. Die Entschlossenheit dieser Reaktion der bundesdeutschen Delegation trug zu einer Veränderung der sowjetischen Strategie bei. Zwar machte die sowjetische Seite keine direkten Zugeständnisse, aber sie provozierte zunächst auch keine neuen Dispute, da der nächste ‘Zwischenfall’ erst im Juli 1972 dokumentiert wird (Braun 2006). Weitere Beweggründe für einen sowjetischen Kurswechsel in der West-Berlin-Frage können in der Intensivierung der Kontakte des Organisationskomitees der Olympischen Spiele in München 1972 zum sowjetischen Sportkomitee, in der Aufnahme der offiziellen Verhandlungen zum Sportprotokoll sowie in den anstehenden politischen Verhandlungen um West-Berlin gesehen werden. Ein Ende der West-Berlin-Problematik war damit im Bereich des internationalen Sports allerdings noch nicht gegeben, vielmehr lässt sich rückblickend eine Verschiebung des Aktionsraums osteuropäischer Isolierungsversuche für West-Berlin feststellen. Die ‘neue’ West-Berlin-Taktik umfasste die gesonderte Kennzeichnung West-Berliner Athleten sowie Boykotte und Proteste gegen internationale Sportveranstaltungen, die in der Inselstadt stattfanden.

versuchte die Sowjetunion die kulturelle Anbindung West-Berlins an die Bundesrepublik Deutschland und die sportliche Zugehörigkeit des LSB Berlin zum Deutschen Sportbund zu unterlaufen, um dann diese Isolation im nächsten Schritt auf den gesamten internationalen Sportverkehr ausweiten zu können. Die verstärkte Politisierung des Sports in West-Berlin durch die Sowjets erfolgte zu der Zeit des Abschlusses des Moskauer Vertrags (1970) und der anstehenden Verhandlungen um den Viermächte-Status Berlins (1971) und versuchte, den sow­ jetischen Standpunkt in der Frage des Status WestBerlins auch im Bereich des Sports zu festigen. Parallel zu dieser Politisierung der Sportkontakte geriet die Einbindung West-Berliner Athleten in bundesdeutsche Auswahlmannschaften zunehmend zum Gegenstand diplomatischen Kräftemessens in Protokollfragen. West-Berlinern, die an Wettkämpfen in osteuropäischen Ländern teilnehmen sollten, wurde die Anreise beispielsweise durch Verzögerungstaktiken bei der Visaausstellung erschwert (Young 2007). Als 1971 die offiziellen Verhandlungen zwischen dem DSB und dem sowjetischen Sportkomitee hinsichtlich eines gemeinsamen Sportabkommens aufgenommen wurden, erhoben die Verhandlungsführer des DSB die Einbeziehung West-Berlins zu einem integralen Bestandteil jeglicher Vereinbarungen. Um dieser Forderung der westdeutschen Seite Nachdruck zu verleihen, war es notwendig, dass der LSB Berlin nicht mehr direkter Verhandlungspartner des Sportkomitees in Moskau war. Stattdessen sollten Absprachen von dann an durch die jeweiligen nationalen Fachverbände oder durch den DSB erfolgen. Ferner legte der DSB den Sportverbänden einen einheitlichen und geschlossenen Umgang bei Visa-Verweigerungen für West-Berliner Athleten nahe. In solchen Fällen sollten Länderkämpfe gegebenenfalls auch kurzfristig abgesagt werden. Eine einheitliche Verhaltensweise sollte verhindern, dass die sowjetische Seite aus Einzelfällen Präzedenzfälle hätte schaffen können.

Mit besonderer Aufmerksamkeit wurde im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik ein Leichtathletikländerkampf UdSSR-BRD in Kiew im September 1971 beobachtet (Young/Schiller 2010), der die ers­te Begegnung sowjetischer und bundesdeutscher Sportler unter Einbeziehung von vier West-Berliner Athleten nach der Unterzeichnung des ViermächteAbkommens am 3. September 1971 darstellte (Young 2007, Mertin 2009). Besonderes Augenmerk wurde auf die Einhaltung des Protokolls gelegt. Zudem F|I|T 02 | 2010

sollten jegliche Formen der Abspaltungsversuche, durch z.B. eine getrennte Punktewertung oder eine gesonderte Kennzeichnung der West-Berliner Athleten, unterbunden werden. Das Auswärtige Amt in Bonn bewertete den Länderkampf als Testfall des sowjetischen Umgangs mit West-Berlin nach der gemeinsamen Unterzeichnung des politischen Abkommens durch die vier Alliierten. Die Notfallplanung einschließlich der Empfehlung des Auswärtigen Amtes, die im Falle von massiven Häufungen von Protokollverstößen eine kurzfristige Abreise der Mannschaft vorsah, fand schließlich keine Anwendung, und die westdeutschen Beobachter waren mit dem Verlauf des Länderkampfes in Kiew zufrieden. Allerdings sollte diese scheinbare Ruhe nicht als Abkehr der Sowjetunion von ihrer BerlinPolitik gewertet werden. Die bloße Verlagerung des strategischen Umgangs mit West-Berlin wird in der Tatsache verdeutlicht, dass zwei Tage vor dem Länderkampf in der ukrainischen Metropole der sowjetische Botschaftssekretär Ussow dem Präsidenten des LSB Berlin, Gerhard Schlegel, vorschlug, die bilateralen Beziehungen zwischen dem LSB Berlin und dem sowjetischen Sportkomitee fortzuführen. Dabei bat Ussow darum, dass die Vereinbarungen direkt und ohne Einbezug der Sportfachverbände oder des DSB erfolgen sollten. Die Unterzeichnung des Viermächte-Abkommens interpretierte die sow­ jetischen Seite als Anlass, den bilateralen Sportverkehr zwischen West-Berlin und der UdSSR unverändert und ungeachtet der parallel stattfindenden sowjetisch-westdeutschen Gespräche wieder aufzunehmen. Doch Schlegel verwies zunächst auf die bekannte Vereinbarung des LSB Berlin mit dem DSB und betonte zudem, dass das Viermächte-Abkommen erst recht die Vertretung des Berliner Sports im internationalen Bereich durch den DSB bestätige. Von Boykotten bis zur ‘Stadtväter-Einladung’ In den folgenden Jahren sollte die West-BerlinThema­t ik aufgrund dieser unterschiedlichen Auslegung des Viermächte-Abkommens in zwei Arten im Bereich des Sport wiederkehrend auftauchen: 31


1979 wurde die Berlin-Frage im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau noch einmal durch den führenden sowjetischen Sportfunktionär Pavlov angeheizt. Dieser stellte in Aussicht, dass West-Berliner Sportler zwar im Rahmen der BRD-Mannschaft in Moskau starten könnten, dass sie allerdings als West-Berliner gekennzeichnet werden müssten. Diese Äußerungen wurden schließlich durch öffentliche Stellungnahmen des Präsidenten des Moskauer Organisationskomitees, Ignatj Novikov, zurück genommen.

moniell veranstaltet. Die Verabredungen trafen der Landessportbund Berlin mit dem sowjetischen Sportkomitee. Dies ist vor dem Hintergrund hervorzuheben, dass bis zu den Verhandlungen (ab 1971) und dem Protokoll (1977) zwischen DSB und dem sowjetischen Sportkomitee die Vereinbarungen auf bundesdeutscher Seite vor allem durch die Sportfachverbände des DSB verabredet wurden. Der LSB Berlin stimmte jedoch seine Schritte sowohl mit dem DSB als auch mit dem Auswärtigen Amt in Bonn ab, worin die sportpolitische und allgemein politische Sensibilität der Situation verdeutlicht wird. Obwohl sich der LSB Berlin in keiner staatsrechtlichen Verbindung zur BRD sah und seine Mitgliedschaft im DSB auf privatrechtlicher Ebene verstand, waren sich alle Beteiligten über das politische Ausmaß der Sportkontakte mit der Sowjetunion und anderen Ostblockstaaten durchaus bewusst. Nach einer Unterbrechung der sowjetisch-west-Berliner Sportkontakte, die aus der Absage von Begegnungen durch den LSB Berlin nach dem ‘Prager Frühling’ (1968) resultierte, wurden für 1969 jeweils vier Städtekämpfe in Moskau und West-Berlin verabredet. Allerdings leitet die sowjetische Seite noch vor der ersten Begegnung eine neue Phase ihrer Berlin-Strategie ein: Der sow­ jetische Botschaftssekretär in Ost-Berlin, Ussow, informierte den LSB Berlin über das sowjetische Vorhaben, die geplante Sportveranstaltung nicht als Städtebegegnung sondern als Auswahl einer Republik der UdSSR zu deklarieren. Dieser Schritt stieß zunächst auf Widerstand des LSB Berlin sowie des Berliner Senats; nach einem Kompromiss („Berlin gegen Boxmannschaft einiger sowjetischer Städte“) akzeptierte der Senat unter Zustimmung des Auswärtigen Amtes ab 1970 Begegnungen mit Vereins- oder Stadtmannschaften sowie Auswahlmannschaften einer sowjetischen Republik. Begegnungen mit der Nationalmannschaft der UdSSR hingegen wurden rigoros abgelehnt. Das sowjetische Sportkomitee hatte so die entwickelten Sportbeziehungen auf Städtebasis politisch forcieren und außenpolitisch ausbauen wollen. Auf diese Weise 30

Nach dem Viermächte-Abkommen von 1971 Unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen zwischen dem DSB und dem sowjetischen Sportkomitee und nur wenige Monate vor den Verhandlungen um den Viermächte-Status Berlins verweigerte die Sow­jetunion zwei West-Berliner Schützen Ende April 1971 die Einreise nach Moskau, woraufhin die Begegnung von westdeutscher Seite abgesagt wurde. Die Entschlossenheit dieser Reaktion der bundesdeutschen Delegation trug zu einer Veränderung der sowjetischen Strategie bei. Zwar machte die sowjetische Seite keine direkten Zugeständnisse, aber sie provozierte zunächst auch keine neuen Dispute, da der nächste ‘Zwischenfall’ erst im Juli 1972 dokumentiert wird (Braun 2006). Weitere Beweggründe für einen sowjetischen Kurswechsel in der West-Berlin-Frage können in der Intensivierung der Kontakte des Organisationskomitees der Olympischen Spiele in München 1972 zum sowjetischen Sportkomitee, in der Aufnahme der offiziellen Verhandlungen zum Sportprotokoll sowie in den anstehenden politischen Verhandlungen um West-Berlin gesehen werden. Ein Ende der West-Berlin-Problematik war damit im Bereich des internationalen Sports allerdings noch nicht gegeben, vielmehr lässt sich rückblickend eine Verschiebung des Aktionsraums osteuropäischer Isolierungsversuche für West-Berlin feststellen. Die ‘neue’ West-Berlin-Taktik umfasste die gesonderte Kennzeichnung West-Berliner Athleten sowie Boykotte und Proteste gegen internationale Sportveranstaltungen, die in der Inselstadt stattfanden.

versuchte die Sowjetunion die kulturelle Anbindung West-Berlins an die Bundesrepublik Deutschland und die sportliche Zugehörigkeit des LSB Berlin zum Deutschen Sportbund zu unterlaufen, um dann diese Isolation im nächsten Schritt auf den gesamten internationalen Sportverkehr ausweiten zu können. Die verstärkte Politisierung des Sports in West-Berlin durch die Sowjets erfolgte zu der Zeit des Abschlusses des Moskauer Vertrags (1970) und der anstehenden Verhandlungen um den Viermächte-Status Berlins (1971) und versuchte, den sow­ jetischen Standpunkt in der Frage des Status WestBerlins auch im Bereich des Sports zu festigen. Parallel zu dieser Politisierung der Sportkontakte geriet die Einbindung West-Berliner Athleten in bundesdeutsche Auswahlmannschaften zunehmend zum Gegenstand diplomatischen Kräftemessens in Protokollfragen. West-Berlinern, die an Wettkämpfen in osteuropäischen Ländern teilnehmen sollten, wurde die Anreise beispielsweise durch Verzögerungstaktiken bei der Visaausstellung erschwert (Young 2007). Als 1971 die offiziellen Verhandlungen zwischen dem DSB und dem sowjetischen Sportkomitee hinsichtlich eines gemeinsamen Sportabkommens aufgenommen wurden, erhoben die Verhandlungsführer des DSB die Einbeziehung West-Berlins zu einem integralen Bestandteil jeglicher Vereinbarungen. Um dieser Forderung der westdeutschen Seite Nachdruck zu verleihen, war es notwendig, dass der LSB Berlin nicht mehr direkter Verhandlungspartner des Sportkomitees in Moskau war. Stattdessen sollten Absprachen von dann an durch die jeweiligen nationalen Fachverbände oder durch den DSB erfolgen. Ferner legte der DSB den Sportverbänden einen einheitlichen und geschlossenen Umgang bei Visa-Verweigerungen für West-Berliner Athleten nahe. In solchen Fällen sollten Länderkämpfe gegebenenfalls auch kurzfristig abgesagt werden. Eine einheitliche Verhaltensweise sollte verhindern, dass die sowjetische Seite aus Einzelfällen Präzedenzfälle hätte schaffen können.

Mit besonderer Aufmerksamkeit wurde im Auswärtigen Amt der Bundesrepublik ein Leichtathletikländerkampf UdSSR-BRD in Kiew im September 1971 beobachtet (Young/Schiller 2010), der die ers­te Begegnung sowjetischer und bundesdeutscher Sportler unter Einbeziehung von vier West-Berliner Athleten nach der Unterzeichnung des ViermächteAbkommens am 3. September 1971 darstellte (Young 2007, Mertin 2009). Besonderes Augenmerk wurde auf die Einhaltung des Protokolls gelegt. Zudem F|I|T 02 | 2010

sollten jegliche Formen der Abspaltungsversuche, durch z.B. eine getrennte Punktewertung oder eine gesonderte Kennzeichnung der West-Berliner Athleten, unterbunden werden. Das Auswärtige Amt in Bonn bewertete den Länderkampf als Testfall des sowjetischen Umgangs mit West-Berlin nach der gemeinsamen Unterzeichnung des politischen Abkommens durch die vier Alliierten. Die Notfallplanung einschließlich der Empfehlung des Auswärtigen Amtes, die im Falle von massiven Häufungen von Protokollverstößen eine kurzfristige Abreise der Mannschaft vorsah, fand schließlich keine Anwendung, und die westdeutschen Beobachter waren mit dem Verlauf des Länderkampfes in Kiew zufrieden. Allerdings sollte diese scheinbare Ruhe nicht als Abkehr der Sowjetunion von ihrer BerlinPolitik gewertet werden. Die bloße Verlagerung des strategischen Umgangs mit West-Berlin wird in der Tatsache verdeutlicht, dass zwei Tage vor dem Länderkampf in der ukrainischen Metropole der sowjetische Botschaftssekretär Ussow dem Präsidenten des LSB Berlin, Gerhard Schlegel, vorschlug, die bilateralen Beziehungen zwischen dem LSB Berlin und dem sowjetischen Sportkomitee fortzuführen. Dabei bat Ussow darum, dass die Vereinbarungen direkt und ohne Einbezug der Sportfachverbände oder des DSB erfolgen sollten. Die Unterzeichnung des Viermächte-Abkommens interpretierte die sow­ jetischen Seite als Anlass, den bilateralen Sportverkehr zwischen West-Berlin und der UdSSR unverändert und ungeachtet der parallel stattfindenden sowjetisch-westdeutschen Gespräche wieder aufzunehmen. Doch Schlegel verwies zunächst auf die bekannte Vereinbarung des LSB Berlin mit dem DSB und betonte zudem, dass das Viermächte-Abkommen erst recht die Vertretung des Berliner Sports im internationalen Bereich durch den DSB bestätige. Von Boykotten bis zur ‘Stadtväter-Einladung’ In den folgenden Jahren sollte die West-BerlinThema­t ik aufgrund dieser unterschiedlichen Auslegung des Viermächte-Abkommens in zwei Arten im Bereich des Sport wiederkehrend auftauchen: 31


Die differierenden Auslegungen des ViermächteAbkommens wurden als Schlupfloch genutzt, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Betroffen waren zunächst internationale Meisterschaften, die in West-Berlin stattfanden. Außerdem sahen sich westdeutsche und West-Berliner Mannschaften mit der Problematik des veränderten Protokolls konfrontiert. Der Umgang mit WestBerlin als Austragungsort internationaler Meisterschaften, d.h. Proteste, Anträge auf Verlegung oder Boykott, war seitens des sozialistischen Blocks nicht fortwährend konsequent: So erwog die DDR keinen Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 als sie im Spiel gegen Chile in West-Berlin antreten musste. Hier wurde der Imageverlust im Falle eines Boykotts höher eingestuft als das Eingeständnis, in West-Berlin spielen zu müssen (Korber 1982). Allerdings verzeichnete der sowjetische Protest beispielsweise 1974 Erfolg, als West-Berlin nicht wie vorgesehen einer von drei Spielorten der FrauenHandball-Weltmeisterschaft blieb. Im Herbst 1975 stellten die Leiter der Sportorganisationen der sozialistischen Länder während ihres jährlichen Zusammentreffens eine Zunahme internationaler Sportveranstaltungen in West-Berlin fest und vermuteten hierbei den Versuch, „Westberlin politisch aufzuwerten und dabei gleichzeitig [...] das Vierseitige Abkommen zu unterhöhlen“. In dieser Runde stellte der Vorsitzende des sowjetischen Sportkomitees, Sergej Pavlov, die ‘neue Kampagne’ im Umgang mit Sportveranstaltungen in West-Berlin seinen osteuropäischen Kollegen vor: Sie forderten eine zusätzliche Einladung durch den West-Berliner Senat. Dabei stützte sich die sowjetische Argumentation auf einen Passus im Viermächte-Abkommen, der den staatlichen und halbstaatlichen Bereich betraf. Hier lag einmal mehr die Diskrepanz in der Zuordnung des Sports vor: Für die Sowjetunion schien die Argumentation schlüssig, da der Sport im Zuständigkeitsbereich des Staates lag; hingegen war die Forderung für den westdeutschen Sport unhaltbar, da sie eine Einmischung in die Unabhängigkeit des Sports darstellte. Die Ostblockstaaten wählten die Eisschnelllauf-Weltmeisterschaften im März 1976, um erstmals eine Einladung des West32

Der Status West-Berliner Athleten gehörte zu den Dauerproblemen in Sportbeziehungen zwischen Ost und West.

BRD-Mannschaft in Moskau starten könnten, dass sie allerdings als West-Berliner gekennzeichnet werden müssten. Diese Äußerungen sorgten in bundes­deutschen Sportkreisen sowie in der Presse für Empörung und wurden schließlich durch öffentliche Stellungnahmen des Präsidenten des Moskauer Organisationskomitees, Ignatj Novikov, zurück genommen. Dennoch gibt es in den russischen Archiven Hinweise darauf, dass sich sowohl das Organisationskomitee als auch das Zentralkomitee der KPdSU mit der Frage beschäftigten, ob es West-Berliner Athleten mit tatsächlichen Medaillenchancen gab. Ferner wurde darüber beraten, dass eine Anwendung eines eigenen Protokolls für West-Berlin problematisch sein würde, da die Inselstadt beispielsweise über keine eigene Hymne verfügte. Letztendlich verhinderte der Boykott der bundesdeutschen Mannschaft jegliche Form von Separierung der West-Berliner Athleten während der Olympischen Spiele in Moskau.

Berliner Senats einzufordern: Ohne ein solches Schreiben, sei die Meister­schaft illegal. Eine derartige Einladung wurde auf westdeutscher Seite strikt abgelehnt, da die politischen Konsequenzen immens sein konnten. Nach ständigen Wendungen und einer Reihe von Zu- und Absagen nahmen die osteuropäischen Mannschaften nicht an der Weltmeisterschaft teil. Obwohl das sowjetische Sportkomitee im März 1977 nach intensiven Verhandlungen (seit 1971) ein Sportabkommen mit dem DSB unterzeichnete, in dem West-Berlin analog zu der Formulierung des deutsch-deutschen Sportprotokolls von 1974 einbezogen war, fand die Problematik um West-Berlin noch immer kein Ende. Um internationale Meisterschaften in West-Berlin aufgrund der Ost-Boykotte nicht zu Rumpf-Veranstaltungen verkommen zu lassen und somit langfristig den Austragungsort zu gefährden, fand der Präsident des LSB Berlin zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister, Dietrich Stobbe, einen Weg, bei dem beide Parteien ihr Gesicht wahrten: In der so genannten ‘Stadtväter-Einladung’ übermittelte der Regierende Bürgermeister erstmals 1977 dem internationalen Schwimmverband FINA eine Einladung in die Stadt West-Berlin, wo im August 1978 die Schwimm-Weltmeisterschaften stattfinden sollten. Dieser Brief war an den internationalen Verband und somit an keinen einzelnen Staat gerichtet. Er erfolgte nicht vom Senat, sondern als Brief des Regierenden Bürgermeisters. Somit unterschied sich der Charakter deutlich von einer offiziellen Einladung durch den Senat, die die Sowjets ab 1975 forderten. Diese ‘Stadtväter-Einladung’, die zuvor von der Bundesregierung in Bonn bestätigt worden war, stellte schließlich einen annehmbaren Kompromiss für die Sowjetunion dar.

West-Berliner Sport: ein Politikum Der Status West-Berliner Athleten gehörte zu den Dauerproblemen in Sportbeziehungen zwischen Ost und West. Beide Seiten versuchten im Umgang mit dieser Thematik, ihrem politischen Standpunkt gerecht zu werden. Eine allgemeine und dauerhafte Lösung war bereits durch die unterschiedlichen Grundauffassungen der Zuständigkeit des Sports kaum möglich und wurden ab September 1971 zusätzlich durch die differierenden Auslegungen des Viermächte-Abkommens erschwert. Während sich die Argumentationslinie des DSB und des Auswärtigen Amtes vornehmlich auf den IOC-Beschluss von 1965 stützte, suchte die Sowjetunion nach ‘neuen’ Wegen. Die Aufnahme separater Sportkontakte mit West-Berlin stellte für das sowjetische Sportkomitee einen Versuch dar, in den bilateralen Sportbeziehungen die Inselstadt von der BRD zu isolieren. Dieser Schwerpunkt wurde mit dem Viermächte-Abkommen aufgegeben und an dessen Stelle rückten das Zeremoniell sowie der Streit um internationale Veranstaltungen in West-Berlin in den Mittel-

Die Berlin-Frage wurde 1979 im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau noch einmal durch ein sid-Interview mit dem führenden sowjetischen Sportfunktionär Pavlov angeheizt. Dieser stellte in Aussicht, dass West-Berliner Sportler zwar im Rahmen der F|I|T 02 | 2010

punkt. Nachdem der LSB Berlin in Absprache mit dem DSB seine direkten Verhandlungen mit dem sowjetischen Sportkomitee eingestellt hatte und der sow­jetische Protest hiergegen erfolglos blieb, suchte das Sportkomitee auch hier nach ‘neuen’ Wegen. So verhandelten sowjetische Funktionäre mit dem Chef der Deutschland-Halle in West-Berlin und vereinbarten mit ihm kommerzielle Sportveranstaltungen mit sowjetischen Sportlern, deren Absprache ohne DSB erfolgte. Der West-Berliner Sport war aus westlicher Sicht unbestrittener Bestandteil des DSB, und Sportkontakte ins Ausland sollten dies widerspiegeln. Entgegengesetzt dazu versuchten die sowjetischen Sportfunktionäre ebendiese Sport­ kontakte so zu gestalten, als sei der West-Berliner Sport gesondert zu behandeln. Die Statusfrage war Gegenstand der politischen Propaganda geworden und wurde von allen involvierten Seiten in der jeweils passenden Form ausgelegt. Die regelmäßige Einbindung der sowjetischen Botschaften in OstBerlin und Bonn sowie des Generalkonsulats in West-Berlin zeigen ebenso wie die genaue Beobachtung dieser Vorgänge durch das Auswärtige Amt der BRD, dass der West-Berliner Sport auf beiden Seiten des ‘Eisernen Vorhangs’ ein Politikum war. ◊

Literatur bei der Autorin.

Dr. Evelyn Mertin, geboren 1977 in Düsseldorf, studierte von 1996 bis 2002 Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Medien und Kommunikation“ an der Deutschen Sporthochschule Köln. Im Anschluss an das Studium absolvierte sie ein Volontariat im Bereich PR und Öffentlichkeitsarbeit in Berlin. Von 2003 bis 2010 arbeitete Evelyn Mertin am Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln. 2010 wurde ihr für ihre Dissertation zum Thema „Der Sport als Feld der sowjetischen Außenpolitik unter Berücksichtigung der beiden deutschen Staaten“ der Toyota-Preis verliehen. E-Mail: e.mertin@dshs-koeln.de

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Die differierenden Auslegungen des ViermächteAbkommens wurden als Schlupfloch genutzt, die eigenen Interessen durchzusetzen.

Betroffen waren zunächst internationale Meisterschaften, die in West-Berlin stattfanden. Außerdem sahen sich westdeutsche und West-Berliner Mannschaften mit der Problematik des veränderten Protokolls konfrontiert. Der Umgang mit WestBerlin als Austragungsort internationaler Meisterschaften, d.h. Proteste, Anträge auf Verlegung oder Boykott, war seitens des sozialistischen Blocks nicht fortwährend konsequent: So erwog die DDR keinen Boykott der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 als sie im Spiel gegen Chile in West-Berlin antreten musste. Hier wurde der Imageverlust im Falle eines Boykotts höher eingestuft als das Eingeständnis, in West-Berlin spielen zu müssen (Korber 1982). Allerdings verzeichnete der sowjetische Protest beispielsweise 1974 Erfolg, als West-Berlin nicht wie vorgesehen einer von drei Spielorten der FrauenHandball-Weltmeisterschaft blieb. Im Herbst 1975 stellten die Leiter der Sportorganisationen der sozialistischen Länder während ihres jährlichen Zusammentreffens eine Zunahme internationaler Sportveranstaltungen in West-Berlin fest und vermuteten hierbei den Versuch, „Westberlin politisch aufzuwerten und dabei gleichzeitig [...] das Vierseitige Abkommen zu unterhöhlen“. In dieser Runde stellte der Vorsitzende des sowjetischen Sportkomitees, Sergej Pavlov, die ‘neue Kampagne’ im Umgang mit Sportveranstaltungen in West-Berlin seinen osteuropäischen Kollegen vor: Sie forderten eine zusätzliche Einladung durch den West-Berliner Senat. Dabei stützte sich die sowjetische Argumentation auf einen Passus im Viermächte-Abkommen, der den staatlichen und halbstaatlichen Bereich betraf. Hier lag einmal mehr die Diskrepanz in der Zuordnung des Sports vor: Für die Sowjetunion schien die Argumentation schlüssig, da der Sport im Zuständigkeitsbereich des Staates lag; hingegen war die Forderung für den westdeutschen Sport unhaltbar, da sie eine Einmischung in die Unabhängigkeit des Sports darstellte. Die Ostblockstaaten wählten die Eisschnelllauf-Weltmeisterschaften im März 1976, um erstmals eine Einladung des West32

Der Status West-Berliner Athleten gehörte zu den Dauerproblemen in Sportbeziehungen zwischen Ost und West.

BRD-Mannschaft in Moskau starten könnten, dass sie allerdings als West-Berliner gekennzeichnet werden müssten. Diese Äußerungen sorgten in bundes­deutschen Sportkreisen sowie in der Presse für Empörung und wurden schließlich durch öffentliche Stellungnahmen des Präsidenten des Moskauer Organisationskomitees, Ignatj Novikov, zurück genommen. Dennoch gibt es in den russischen Archiven Hinweise darauf, dass sich sowohl das Organisationskomitee als auch das Zentralkomitee der KPdSU mit der Frage beschäftigten, ob es West-Berliner Athleten mit tatsächlichen Medaillenchancen gab. Ferner wurde darüber beraten, dass eine Anwendung eines eigenen Protokolls für West-Berlin problematisch sein würde, da die Inselstadt beispielsweise über keine eigene Hymne verfügte. Letztendlich verhinderte der Boykott der bundesdeutschen Mannschaft jegliche Form von Separierung der West-Berliner Athleten während der Olympischen Spiele in Moskau.

Berliner Senats einzufordern: Ohne ein solches Schreiben, sei die Meister­schaft illegal. Eine derartige Einladung wurde auf westdeutscher Seite strikt abgelehnt, da die politischen Konsequenzen immens sein konnten. Nach ständigen Wendungen und einer Reihe von Zu- und Absagen nahmen die osteuropäischen Mannschaften nicht an der Weltmeisterschaft teil. Obwohl das sowjetische Sportkomitee im März 1977 nach intensiven Verhandlungen (seit 1971) ein Sportabkommen mit dem DSB unterzeichnete, in dem West-Berlin analog zu der Formulierung des deutsch-deutschen Sportprotokolls von 1974 einbezogen war, fand die Problematik um West-Berlin noch immer kein Ende. Um internationale Meisterschaften in West-Berlin aufgrund der Ost-Boykotte nicht zu Rumpf-Veranstaltungen verkommen zu lassen und somit langfristig den Austragungsort zu gefährden, fand der Präsident des LSB Berlin zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister, Dietrich Stobbe, einen Weg, bei dem beide Parteien ihr Gesicht wahrten: In der so genannten ‘Stadtväter-Einladung’ übermittelte der Regierende Bürgermeister erstmals 1977 dem internationalen Schwimmverband FINA eine Einladung in die Stadt West-Berlin, wo im August 1978 die Schwimm-Weltmeisterschaften stattfinden sollten. Dieser Brief war an den internationalen Verband und somit an keinen einzelnen Staat gerichtet. Er erfolgte nicht vom Senat, sondern als Brief des Regierenden Bürgermeisters. Somit unterschied sich der Charakter deutlich von einer offiziellen Einladung durch den Senat, die die Sowjets ab 1975 forderten. Diese ‘Stadtväter-Einladung’, die zuvor von der Bundesregierung in Bonn bestätigt worden war, stellte schließlich einen annehmbaren Kompromiss für die Sowjetunion dar.

West-Berliner Sport: ein Politikum Der Status West-Berliner Athleten gehörte zu den Dauerproblemen in Sportbeziehungen zwischen Ost und West. Beide Seiten versuchten im Umgang mit dieser Thematik, ihrem politischen Standpunkt gerecht zu werden. Eine allgemeine und dauerhafte Lösung war bereits durch die unterschiedlichen Grundauffassungen der Zuständigkeit des Sports kaum möglich und wurden ab September 1971 zusätzlich durch die differierenden Auslegungen des Viermächte-Abkommens erschwert. Während sich die Argumentationslinie des DSB und des Auswärtigen Amtes vornehmlich auf den IOC-Beschluss von 1965 stützte, suchte die Sowjetunion nach ‘neuen’ Wegen. Die Aufnahme separater Sportkontakte mit West-Berlin stellte für das sowjetische Sportkomitee einen Versuch dar, in den bilateralen Sportbeziehungen die Inselstadt von der BRD zu isolieren. Dieser Schwerpunkt wurde mit dem Viermächte-Abkommen aufgegeben und an dessen Stelle rückten das Zeremoniell sowie der Streit um internationale Veranstaltungen in West-Berlin in den Mittel-

Die Berlin-Frage wurde 1979 im Zusammenhang mit den Vorbereitungen der Olympischen Spiele von 1980 in Moskau noch einmal durch ein sid-Interview mit dem führenden sowjetischen Sportfunktionär Pavlov angeheizt. Dieser stellte in Aussicht, dass West-Berliner Sportler zwar im Rahmen der F|I|T 02 | 2010

punkt. Nachdem der LSB Berlin in Absprache mit dem DSB seine direkten Verhandlungen mit dem sowjetischen Sportkomitee eingestellt hatte und der sow­jetische Protest hiergegen erfolglos blieb, suchte das Sportkomitee auch hier nach ‘neuen’ Wegen. So verhandelten sowjetische Funktionäre mit dem Chef der Deutschland-Halle in West-Berlin und vereinbarten mit ihm kommerzielle Sportveranstaltungen mit sowjetischen Sportlern, deren Absprache ohne DSB erfolgte. Der West-Berliner Sport war aus westlicher Sicht unbestrittener Bestandteil des DSB, und Sportkontakte ins Ausland sollten dies widerspiegeln. Entgegengesetzt dazu versuchten die sowjetischen Sportfunktionäre ebendiese Sport­ kontakte so zu gestalten, als sei der West-Berliner Sport gesondert zu behandeln. Die Statusfrage war Gegenstand der politischen Propaganda geworden und wurde von allen involvierten Seiten in der jeweils passenden Form ausgelegt. Die regelmäßige Einbindung der sowjetischen Botschaften in OstBerlin und Bonn sowie des Generalkonsulats in West-Berlin zeigen ebenso wie die genaue Beobachtung dieser Vorgänge durch das Auswärtige Amt der BRD, dass der West-Berliner Sport auf beiden Seiten des ‘Eisernen Vorhangs’ ein Politikum war. ◊

Literatur bei der Autorin.

Dr. Evelyn Mertin, geboren 1977 in Düsseldorf, studierte von 1996 bis 2002 Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Medien und Kommunikation“ an der Deutschen Sporthochschule Köln. Im Anschluss an das Studium absolvierte sie ein Volontariat im Bereich PR und Öffentlichkeitsarbeit in Berlin. Von 2003 bis 2010 arbeitete Evelyn Mertin am Institut für Sportgeschichte der Deutschen Sporthochschule Köln. 2010 wurde ihr für ihre Dissertation zum Thema „Der Sport als Feld der sowjetischen Außenpolitik unter Berücksichtigung der beiden deutschen Staaten“ der Toyota-Preis verliehen. E-Mail: e.mertin@dshs-koeln.de

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Interessenvermittlung und Sport Korporatismus in der Sportpolitik? oder: Staatlich bezahlte Autonomie des Sports?

Text Florian Hepp & Michael Groll Fotos shutterstock, loewentreu

Schlüsselbegriffe: Korporatismus und Pluralismus Ein Schwerpunkt im noch jungen Feld sportpolitischer Forschung ist das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure, insbesondere der Charakter der Beteiligung gesellschaftlicher Akteure am sportpolitischen Prozess. Während hierbei jedoch Governance- und Netzwerkansätze zurzeit hoch im Kurs stehen, ist dem Korporatismus bislang nicht viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dabei sind Korporatismus und Pluralismus Schlüsselbegriffe im Themenfeld der Interessenvermittlung durch Verbände (Kevenhörster 2008) und somit auch und gerade im Sportsystem von wichtiger Bedeutung. Während der Pluralismus die partizipativen und konkurrierenden Aspekte der Vermittlung betont und in erster Linie die Forderungen der Akteure an das politische System unterstreicht, stehen beim Korporatismus die politischen Steuerungsprozesse und die Ordnungsaspekte des Staates im Mittelpunkt.

Korporatismus bezeichnet ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Staat und Interessengruppen, das im Idealfall durch Aushandlungsmechanismen geprägt ist. In der sportpolitischen Forschung ist das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure ein bedeutendes Thema. Der Staat hat ein Interesse am Sport, da dieser allein durch seinen autotelischen Wert zur Befriedigung der Bevölkerung und damit auch zum Gemeinwohl beiträgt. Weiter hat er ein besonderes Interesse an der Förderung des Hochleistungssports, da er dadurch innenpolitische und außenpolitische Interessen miteinander verknüpfen kann. Der Sport wiederum ist auf die Finanzspritzen des Staats hingewiesen. Korporatismus in der Sportpolitik? Der vorliegende Beitrag erörtert diese Frage.

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Korporatismus bezeichnet eine Form der politischen Konzertierung, die Mitte der 70er Jahre entstanden ist und als Lösung für die durch das Pluralismusparadigma nicht mehr hinreichend erklärbaren Gesellschaftsphänomene in Wirtschaft und Politik gelten sollte. Im Pluralismus geht es um „staatliches Handeln als Resultat des politischen Wettbewerbs und Drucks von Interessengruppen auf die Regierung“ (Schubert & Klein 2007). Auch im Korporatismus-Konzept geht es um das Verhältnis von Staat und Interessengruppen, respektive um die Funktion der beiden im politischen Entscheidungsfindungsprozess. Konzertierung meint in diesem Sinne den „Versuch zu einer gemeinsamen und allgemein akzeptierten Abstimmung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu kommen“ (Braun 1989). Während der Einfluss der Interessengruppen im Pluralismus hauptsächlich durch die „pressure politics“ (Lobbyismus) geprägt ist, also von einer einseitigen Einflussnahme der Interessengruppen auf den Staat, sind diese im Korporatismus „inkorporiert“ in den politischen Entscheidungsfindungsprozess. Im Idealtypus des Korporatismus sind die Interessengruppen aktiv an der Formulierung und Ausführung von Politik betei­ligt. Der Staat nimmt nicht nur Rücksicht auf die Interessen der Ver-

F|I|T 02 | 2010

bände, sondern handelt mit ihnen zusammen ein von beiden Seiten erwünschtes Ergebnis aus. Czada (1994) beschreibt die hinter dem Korporatismus steckende Idee in Abgrenzung an pluralistische Politikentwicklung, als die „Verwirklichung übergeordneter Ziele“, realisiert durch die „Förderung kooperativer Orientierungen und gemeinschaftlichen Handelns“. In einem pluralistischen Modell hat der Staat keinen direkten Einfluss auf die – darin autonomen – Verbände, im korporatistischen Modell hingegen nimmt er sowohl direkt als auch indirekt Einfluss. Direkt, „in Form von Verbandsgründungen, Zwangs- und Quasizwangsmitgliedschaften und anderen Organisationshilfen“ (Voelzkow 2003). Indirekt durch die „logic of influence“, die dafür sorgt, dass Verbände sich in ihren Entscheidungen nicht nur nach den Interessen ihrer Mitglieder richten können, sondern sich auch an die Interessen des Staates anpassen müssen. Zum ersten Mal ist der Korporatismus in Deutschland bei der Konzertierten Aktion (1967-1976) in Erscheinung getreten. Hier waren neben dem Staat Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter beteiligt. Zur damaligen Zeit steckte die deutsche Wirtschaft in der ersten Rezession seit dem “Wirtschaftswunder“, also wurden die Ankurbelung der Wirtschaft und die Investitionsförderung zu den zentralen Prämissen der Wirtschafts- und Einkommenspolitik erklärt (vgl. Abromeit 1993). Nach anfänglich guten Erfolgen hat sich dieses makrokorporatistische Arrangement jedoch relativ schnell wieder zerschlagen. Mesokorporatismus und der DOSB Anfang der neunziger Jahre kam eine neue Variante des Korporatismus in Mode – der Mesokorporatismus. Seitdem spielt nicht mehr das politische oder wirtschaftliche Ausmaß der Verbändebeteiligung die entscheidende Rolle, sondern fast jede institutionelle Einbindung von Verbänden in die Formulierung und Implementierung von Politik wird nun als (meso-) korporatistisch bezeichnet. Die Idee dabei ist die „Selbstregulierung partikularer Gruppeninteressen ohne unmittelbare Staatsintervention“ (Voelzkow 2003). Die Verbände sollen durch die übernommenen Aufgaben in ihrem Sektor als „gemeinwohlorientierte Steuerungsinstanzen fungieren“ (vgl. ebd.).

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Interessenvermittlung und Sport Korporatismus in der Sportpolitik? oder: Staatlich bezahlte Autonomie des Sports?

Text Florian Hepp & Michael Groll Fotos shutterstock, loewentreu

Schlüsselbegriffe: Korporatismus und Pluralismus Ein Schwerpunkt im noch jungen Feld sportpolitischer Forschung ist das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure, insbesondere der Charakter der Beteiligung gesellschaftlicher Akteure am sportpolitischen Prozess. Während hierbei jedoch Governance- und Netzwerkansätze zurzeit hoch im Kurs stehen, ist dem Korporatismus bislang nicht viel Aufmerksamkeit zuteil geworden. Dabei sind Korporatismus und Pluralismus Schlüsselbegriffe im Themenfeld der Interessenvermittlung durch Verbände (Kevenhörster 2008) und somit auch und gerade im Sportsystem von wichtiger Bedeutung. Während der Pluralismus die partizipativen und konkurrierenden Aspekte der Vermittlung betont und in erster Linie die Forderungen der Akteure an das politische System unterstreicht, stehen beim Korporatismus die politischen Steuerungsprozesse und die Ordnungsaspekte des Staates im Mittelpunkt.

Korporatismus bezeichnet ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis von Staat und Interessengruppen, das im Idealfall durch Aushandlungsmechanismen geprägt ist. In der sportpolitischen Forschung ist das Zusammenspiel der in der Sportpolitik beteiligten Akteure ein bedeutendes Thema. Der Staat hat ein Interesse am Sport, da dieser allein durch seinen autotelischen Wert zur Befriedigung der Bevölkerung und damit auch zum Gemeinwohl beiträgt. Weiter hat er ein besonderes Interesse an der Förderung des Hochleistungssports, da er dadurch innenpolitische und außenpolitische Interessen miteinander verknüpfen kann. Der Sport wiederum ist auf die Finanzspritzen des Staats hingewiesen. Korporatismus in der Sportpolitik? Der vorliegende Beitrag erörtert diese Frage.

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Korporatismus bezeichnet eine Form der politischen Konzertierung, die Mitte der 70er Jahre entstanden ist und als Lösung für die durch das Pluralismusparadigma nicht mehr hinreichend erklärbaren Gesellschaftsphänomene in Wirtschaft und Politik gelten sollte. Im Pluralismus geht es um „staatliches Handeln als Resultat des politischen Wettbewerbs und Drucks von Interessengruppen auf die Regierung“ (Schubert & Klein 2007). Auch im Korporatismus-Konzept geht es um das Verhältnis von Staat und Interessengruppen, respektive um die Funktion der beiden im politischen Entscheidungsfindungsprozess. Konzertierung meint in diesem Sinne den „Versuch zu einer gemeinsamen und allgemein akzeptierten Abstimmung in der Wirtschafts- und Sozialpolitik zu kommen“ (Braun 1989). Während der Einfluss der Interessengruppen im Pluralismus hauptsächlich durch die „pressure politics“ (Lobbyismus) geprägt ist, also von einer einseitigen Einflussnahme der Interessengruppen auf den Staat, sind diese im Korporatismus „inkorporiert“ in den politischen Entscheidungsfindungsprozess. Im Idealtypus des Korporatismus sind die Interessengruppen aktiv an der Formulierung und Ausführung von Politik betei­ligt. Der Staat nimmt nicht nur Rücksicht auf die Interessen der Ver-

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bände, sondern handelt mit ihnen zusammen ein von beiden Seiten erwünschtes Ergebnis aus. Czada (1994) beschreibt die hinter dem Korporatismus steckende Idee in Abgrenzung an pluralistische Politikentwicklung, als die „Verwirklichung übergeordneter Ziele“, realisiert durch die „Förderung kooperativer Orientierungen und gemeinschaftlichen Handelns“. In einem pluralistischen Modell hat der Staat keinen direkten Einfluss auf die – darin autonomen – Verbände, im korporatistischen Modell hingegen nimmt er sowohl direkt als auch indirekt Einfluss. Direkt, „in Form von Verbandsgründungen, Zwangs- und Quasizwangsmitgliedschaften und anderen Organisationshilfen“ (Voelzkow 2003). Indirekt durch die „logic of influence“, die dafür sorgt, dass Verbände sich in ihren Entscheidungen nicht nur nach den Interessen ihrer Mitglieder richten können, sondern sich auch an die Interessen des Staates anpassen müssen. Zum ersten Mal ist der Korporatismus in Deutschland bei der Konzertierten Aktion (1967-1976) in Erscheinung getreten. Hier waren neben dem Staat Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter beteiligt. Zur damaligen Zeit steckte die deutsche Wirtschaft in der ersten Rezession seit dem “Wirtschaftswunder“, also wurden die Ankurbelung der Wirtschaft und die Investitionsförderung zu den zentralen Prämissen der Wirtschafts- und Einkommenspolitik erklärt (vgl. Abromeit 1993). Nach anfänglich guten Erfolgen hat sich dieses makrokorporatistische Arrangement jedoch relativ schnell wieder zerschlagen. Mesokorporatismus und der DOSB Anfang der neunziger Jahre kam eine neue Variante des Korporatismus in Mode – der Mesokorporatismus. Seitdem spielt nicht mehr das politische oder wirtschaftliche Ausmaß der Verbändebeteiligung die entscheidende Rolle, sondern fast jede institutionelle Einbindung von Verbänden in die Formulierung und Implementierung von Politik wird nun als (meso-) korporatistisch bezeichnet. Die Idee dabei ist die „Selbstregulierung partikularer Gruppeninteressen ohne unmittelbare Staatsintervention“ (Voelzkow 2003). Die Verbände sollen durch die übernommenen Aufgaben in ihrem Sektor als „gemeinwohlorientierte Steuerungsinstanzen fungieren“ (vgl. ebd.).

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Entscheidende Aspekte (meso)korporatistischer Politik sind die Selbstregulierung bestimmter Politiksektoren durch die Verbände und die gemeinwohlorientierte Funktion, die sie einnehmen.

Im Mesokorporatismus ist neben dem Staat üblicherweise nur eine weitere Partei beteiligt. Und zwar ein Verband aus dem jeweiligen Sektor. Die Interessen sind somit weitaus homogener und Kompromisse einfacher zu erzielen, da Arrangements dieser Art für beide Seiten viele Vorteile mit sich bringen: Für den Staat in Form von „Entlastung von schwierigen Problemen der Normsetzung, Konsensbeschaffung, Enttäuschungsverarbeitung und des Verwaltungsentzuges“ (vgl. Streek 1994). Die Verbände erhalten im Gegenzug weitgehende Autonomie und somit relativ große Freiheit in ihren Entscheidungen, einen gewissen gesellschaftlichen Status und organisatorische Stabilität. Noch dazu können sie einer möglichen „inkompetenten staatlichen Intervention“ (ebd.) vorbeugen. Da private Vereinigungen „oft über detaillierteres Wissen über zu regelnde Probleme oder [...] bessere Experten“ verfügen (ebd.), ist es nur sinnvoll, wenn der Staat sich weitgehend aus ihren Angelegenheiten raushält. Grundlegende Bedingungen für das Zustandekommen korporatistischer Arrangements ist das Vorhandensein starker Verbände. Im besten Fall haben diese ein Repräsentationsmonopol in ihrem Bereich (vgl. Abromeit 1993), welches zu osmotischen Beziehungen zwischen Staat und Verbänden führen kann, in denen Großverbände den Staat ebenso für ihre Interessen funktionalisieren, wie er sie für seine Steuerungsversuche ins­ trumentalisiert“ (ebd.). Die beiden entscheidenden Aspekte im Mesokorporatismus sind resümierend die Steuerung von Politikfeldern durch Selbstregulierung der Verbände und die öffentliche gemeinwohlorientierte Steuerungsfunktion, die sie durch die Entlastung des Staates in diesen Bereichen einnehmen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ist als größter deutscher (gemeinnütziger) Verband geradezu prädestiniert, um für ein solches mesokorporatistisches Arrangement infrage zu kommen. Er hat an sich den Anspruch alleiniger Sprecher und Verwalter des Sports zu sein, ein Anspruch, der vom Staat anerkannt wird. Im DOSB gilt das sogenannte „Ein-Platz-Prinzip“. Das heißt, es steht für jedes Fachgebiet (jede Sportart) nur ein Platz zur Verfügung. Weiter kann nur ein LSB pro Bundesland im DOSB Mitglied sein und gleiches gilt auch für die Fachverbände in den Landessportspünden. Damit ist die

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Monopolstellung intern durch die Regelungen des DOSB und dessen untergeordnete Verbände gesichert, extern durch die Tatsache, dass der Staat nur den organisierten Sport fördert (vgl. Langer 2006). Vom Prinzip her ist verbandliche Sportpolitik in Deutschland unabhängig vom Staat und nur sich selbst gegenüber verantwortlich (vgl. Heinemann & Puig 2001). Aus bundesstaatlicher Sicht fällt der Sport in den Bereich des Bundesministeriums des Inneren (BMI), das „bei seiner Sportförderung von den drei Grundsätzen der Autonomie des Sports, der Subsidiarität der Sportförderung und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ ausgeht (BMI 2008). Im „11. Sportbericht der Bundesregierung“ heißt es: „Jede sportpolitische Maßnahme muss in Anerkennung der Unabhängigkeit und des Selbstverwaltungsrechts des Sports erfolgen, der sich selbst organisiert und seine Angelegenheiten in eigener Verantwortung regelt“ (2006). Ob diese Prinzipien, die der Staat sich selbst auferlegt hat, auch in der Realität bestehen, wird von wissenschaftlicher Seite in letzter Zeit immer häufiger infrage gestellt. Schon ein kurzer Blick in die sportpolitische Geschichte Deutschlands genügt, um zu verstehen, warum dies so ist. Als Ausgangspunkt für das Interesse der deutschen Politik am Spitzensport und somit auch für die finanzielle Förderung des Sports in Deutschland kann die Vergabe der Olympischen Spiele 1972 an die Stadt München genommen werden. Das im Vergleich zu der Mannschaft der DDR schlechte Abschneiden der bundesdeutschen Mannschaft bei den Spielen 1968 in Mexiko (vgl. Winkler, Karhausen & Meier 1985) rückte den Spitzensport in den Fokus der Politiker. Als der Staat das politische Potenzial des Sports erkannte und daraufhin beschloss ihn zu fördern, blieb zunächst nur noch die Frage, wie dies organisatorisch zu bewerkstelligen sei. Das BMI dachte damals über eine Bundeszentrale für Sport nach, die eine zentrale Förderung des Sports mit dem Hauptaugenmerk auf den Hochleistungssport ermöglicht hätte. „Dass es nicht zu der vom BMI gewünschten Bundeszentrale gekommen ist, lag an der dezidiert und hartnäckig durchgehaltenen Ablehnung des DSB sowie insbesondere an seiner Bereitschaft seine Organisationsstruktur [...] zu reformieren“ (Meier 1995).

Ebenen der Förderung des Sports durch den Staat Die Binnendifferenzierung des DSB ermöglichte es ihm, konkret auf die Forderungen des Bundes einzugehen. Damit machte sich der DSB zu der zentralen Organisation im deutschen Sportsystem, begab sich aber als Folge daraus in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Staat, da er ohne dessen finanzielle Subventionen, die beim DOSB und einigen anderen Verbänden teilweise über 50% der Gesamtmittel ausmachen, nicht überleben kann. Dadurch besteht natürlich die Möglichkeit, dass der größte deutsche Verband leicht in einen Konflikt zwischen den Interessen des Bundes und den Interessen seiner Mitglieder gelangt (vgl. Heinemann 1996). Prinzipiell besteht durch das Grundgesetz kein Rechtsanspruch auf Sportförderung. Zwar gibt es außer in den Landesverfassungen von Hamburg und Sachsen in allen Bundesländern Sportfördergesetze, diese sind aber ausdrücklich unter Haushaltsvorbehalte gestellt (vgl. Langer 2006). Dennoch hat sich Sportförderung in den letzten Jahren als relativ konstant erwiesen. Sowohl den Umfang der Förderungen (der konstant zugenommen hat) als auch die Verteilung der Kompetenzen betreffend. Auf kommunaler Ebene fördern die Gemeinden die Vereine und den Sportstättenbau, die Länder unterstützen die Landessportbünde und Landesfachverbände und über diese auch indirekt wieder die Vereine. Der Bund schließlich fördert mit seiner Zuständigkeit für den Spitzensport den DOSB und die Bundesfachverbände (vgl. Winkler et al. 1985). Weiterhin ist augenscheinlich, dass die Sportorganisationen auf Bundesebene (der DOSB und die Bundesfachverbände) sowie die LSB auf der Ebene der Länder in großem Umfang von direkten staatlichen Zuschüssen abhängig sind, während die Vereine eher von Erhaltungssubventionen, dem Gemeinnützigkeitsstatus und dem Ehrenamt leben. Der Umfang der gesamten Förderung des Sports durch Bund, Länder und Kommunen ist schwierig abzuschätzen und die Zahlen gehen diesbezüglich in unterschiedlichen Quellen relativ weit auseinander. Christoph Breuer, von der Deutschen Sporthochschule Köln, beziffert die direkte Förderung durch den Staat auf etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr. Davon macht die Förderung durch die Kommunen den weitaus größten Teil aus, mit ca. 80%. Etwa 17% werden durch die Länder geleistet

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(die Kosten für Lehrer sind hier noch nicht enthalten) und die restlichen 3% kommen vom Bund. Das heißt, der Bund leistet jährlich einen Beitrag, der momentan ungefähr bei 200 Millionen Euro liegt (vgl. Kailitz 2008). Auch wenn der Umfang der Bundesförderungen vergleichsweise gering wirkt, so sind sie dennoch sehr öffentlichkeitswirksam und ungemein wichtig für die bundesweiten Verbände, die zum Großteil eben nicht ohne diese Förderungen existieren könnten. Zumindest nicht, ohne grundlegende strukturelle oder wirtschaftliche Veränderungen vorzunehmen. Anzumerken ist noch, dass hier nur die direkten Förderungen durch den Staat statistisch erfasst sind. Die durch den Gemeinnützigkeitsstatus der Vereine bedingten Steuerausfälle sind ebenso wenig enthalten, wie weitere Kosten, die durch den Sport entstehen, z.B. durch Polizeieinsätze bei Sportgroßveranstaltungen. Insgesamt kann von einem tatsächlich deutlich höheren Umfang staatlicher Sportförderung ausgegangen werden. Neben der Höhe der finanziellen Förderung des Sports ist besonders interessant, wer auf den unterschiedlichen Ebenen an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt ist und wie diese Entscheidungen getroffen werden. Akteure in der Entscheidungsfindung Auf der Ebene der Legislative – speziell im Bundestag und in den meisten Landtagen – gibt es den Sportausschuss. Der Ausschuss wurde 1969 als „Sonderausschuss für Sport und Olympische Spiele“ anlässlich der Spiele 1972 in München ins Leben gerufen. Lösche vergleicht die Rolle des organisierten Sports im Sportausschuss mit dem Bauernverband im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz oder dem Ärzteverband im Ausschuss für Gesundheit (vgl. 2002). Um seinen Aufgaben auch gerecht werden zu können, werden zu vielen bedeutenden Themen Sachkundige aus den einflussreichen Sportverbänden – insbesondere Vertreter des DOSB – in den Ausschuss eingeladen, die so ihren Einfluss geltend machen und auf die Gesetzgebung einwirken können. Auf der Exekutiv-Ebene, also im Bundeskabinett, müssen nach der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung betroffene Verbände bereits im Referentenstadium eines Gesetzes gehört werden. Hier könnte man also von einer Inkor-

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Entscheidende Aspekte (meso)korporatistischer Politik sind die Selbstregulierung bestimmter Politiksektoren durch die Verbände und die gemeinwohlorientierte Funktion, die sie einnehmen.

Im Mesokorporatismus ist neben dem Staat üblicherweise nur eine weitere Partei beteiligt. Und zwar ein Verband aus dem jeweiligen Sektor. Die Interessen sind somit weitaus homogener und Kompromisse einfacher zu erzielen, da Arrangements dieser Art für beide Seiten viele Vorteile mit sich bringen: Für den Staat in Form von „Entlastung von schwierigen Problemen der Normsetzung, Konsensbeschaffung, Enttäuschungsverarbeitung und des Verwaltungsentzuges“ (vgl. Streek 1994). Die Verbände erhalten im Gegenzug weitgehende Autonomie und somit relativ große Freiheit in ihren Entscheidungen, einen gewissen gesellschaftlichen Status und organisatorische Stabilität. Noch dazu können sie einer möglichen „inkompetenten staatlichen Intervention“ (ebd.) vorbeugen. Da private Vereinigungen „oft über detaillierteres Wissen über zu regelnde Probleme oder [...] bessere Experten“ verfügen (ebd.), ist es nur sinnvoll, wenn der Staat sich weitgehend aus ihren Angelegenheiten raushält. Grundlegende Bedingungen für das Zustandekommen korporatistischer Arrangements ist das Vorhandensein starker Verbände. Im besten Fall haben diese ein Repräsentationsmonopol in ihrem Bereich (vgl. Abromeit 1993), welches zu osmotischen Beziehungen zwischen Staat und Verbänden führen kann, in denen Großverbände den Staat ebenso für ihre Interessen funktionalisieren, wie er sie für seine Steuerungsversuche ins­ trumentalisiert“ (ebd.). Die beiden entscheidenden Aspekte im Mesokorporatismus sind resümierend die Steuerung von Politikfeldern durch Selbstregulierung der Verbände und die öffentliche gemeinwohlorientierte Steuerungsfunktion, die sie durch die Entlastung des Staates in diesen Bereichen einnehmen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) ist als größter deutscher (gemeinnütziger) Verband geradezu prädestiniert, um für ein solches mesokorporatistisches Arrangement infrage zu kommen. Er hat an sich den Anspruch alleiniger Sprecher und Verwalter des Sports zu sein, ein Anspruch, der vom Staat anerkannt wird. Im DOSB gilt das sogenannte „Ein-Platz-Prinzip“. Das heißt, es steht für jedes Fachgebiet (jede Sportart) nur ein Platz zur Verfügung. Weiter kann nur ein LSB pro Bundesland im DOSB Mitglied sein und gleiches gilt auch für die Fachverbände in den Landessportspünden. Damit ist die

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Monopolstellung intern durch die Regelungen des DOSB und dessen untergeordnete Verbände gesichert, extern durch die Tatsache, dass der Staat nur den organisierten Sport fördert (vgl. Langer 2006). Vom Prinzip her ist verbandliche Sportpolitik in Deutschland unabhängig vom Staat und nur sich selbst gegenüber verantwortlich (vgl. Heinemann & Puig 2001). Aus bundesstaatlicher Sicht fällt der Sport in den Bereich des Bundesministeriums des Inneren (BMI), das „bei seiner Sportförderung von den drei Grundsätzen der Autonomie des Sports, der Subsidiarität der Sportförderung und der partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ ausgeht (BMI 2008). Im „11. Sportbericht der Bundesregierung“ heißt es: „Jede sportpolitische Maßnahme muss in Anerkennung der Unabhängigkeit und des Selbstverwaltungsrechts des Sports erfolgen, der sich selbst organisiert und seine Angelegenheiten in eigener Verantwortung regelt“ (2006). Ob diese Prinzipien, die der Staat sich selbst auferlegt hat, auch in der Realität bestehen, wird von wissenschaftlicher Seite in letzter Zeit immer häufiger infrage gestellt. Schon ein kurzer Blick in die sportpolitische Geschichte Deutschlands genügt, um zu verstehen, warum dies so ist. Als Ausgangspunkt für das Interesse der deutschen Politik am Spitzensport und somit auch für die finanzielle Förderung des Sports in Deutschland kann die Vergabe der Olympischen Spiele 1972 an die Stadt München genommen werden. Das im Vergleich zu der Mannschaft der DDR schlechte Abschneiden der bundesdeutschen Mannschaft bei den Spielen 1968 in Mexiko (vgl. Winkler, Karhausen & Meier 1985) rückte den Spitzensport in den Fokus der Politiker. Als der Staat das politische Potenzial des Sports erkannte und daraufhin beschloss ihn zu fördern, blieb zunächst nur noch die Frage, wie dies organisatorisch zu bewerkstelligen sei. Das BMI dachte damals über eine Bundeszentrale für Sport nach, die eine zentrale Förderung des Sports mit dem Hauptaugenmerk auf den Hochleistungssport ermöglicht hätte. „Dass es nicht zu der vom BMI gewünschten Bundeszentrale gekommen ist, lag an der dezidiert und hartnäckig durchgehaltenen Ablehnung des DSB sowie insbesondere an seiner Bereitschaft seine Organisationsstruktur [...] zu reformieren“ (Meier 1995).

Ebenen der Förderung des Sports durch den Staat Die Binnendifferenzierung des DSB ermöglichte es ihm, konkret auf die Forderungen des Bundes einzugehen. Damit machte sich der DSB zu der zentralen Organisation im deutschen Sportsystem, begab sich aber als Folge daraus in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Staat, da er ohne dessen finanzielle Subventionen, die beim DOSB und einigen anderen Verbänden teilweise über 50% der Gesamtmittel ausmachen, nicht überleben kann. Dadurch besteht natürlich die Möglichkeit, dass der größte deutsche Verband leicht in einen Konflikt zwischen den Interessen des Bundes und den Interessen seiner Mitglieder gelangt (vgl. Heinemann 1996). Prinzipiell besteht durch das Grundgesetz kein Rechtsanspruch auf Sportförderung. Zwar gibt es außer in den Landesverfassungen von Hamburg und Sachsen in allen Bundesländern Sportfördergesetze, diese sind aber ausdrücklich unter Haushaltsvorbehalte gestellt (vgl. Langer 2006). Dennoch hat sich Sportförderung in den letzten Jahren als relativ konstant erwiesen. Sowohl den Umfang der Förderungen (der konstant zugenommen hat) als auch die Verteilung der Kompetenzen betreffend. Auf kommunaler Ebene fördern die Gemeinden die Vereine und den Sportstättenbau, die Länder unterstützen die Landessportbünde und Landesfachverbände und über diese auch indirekt wieder die Vereine. Der Bund schließlich fördert mit seiner Zuständigkeit für den Spitzensport den DOSB und die Bundesfachverbände (vgl. Winkler et al. 1985). Weiterhin ist augenscheinlich, dass die Sportorganisationen auf Bundesebene (der DOSB und die Bundesfachverbände) sowie die LSB auf der Ebene der Länder in großem Umfang von direkten staatlichen Zuschüssen abhängig sind, während die Vereine eher von Erhaltungssubventionen, dem Gemeinnützigkeitsstatus und dem Ehrenamt leben. Der Umfang der gesamten Förderung des Sports durch Bund, Länder und Kommunen ist schwierig abzuschätzen und die Zahlen gehen diesbezüglich in unterschiedlichen Quellen relativ weit auseinander. Christoph Breuer, von der Deutschen Sporthochschule Köln, beziffert die direkte Förderung durch den Staat auf etwa 6 Milliarden Euro pro Jahr. Davon macht die Förderung durch die Kommunen den weitaus größten Teil aus, mit ca. 80%. Etwa 17% werden durch die Länder geleistet

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(die Kosten für Lehrer sind hier noch nicht enthalten) und die restlichen 3% kommen vom Bund. Das heißt, der Bund leistet jährlich einen Beitrag, der momentan ungefähr bei 200 Millionen Euro liegt (vgl. Kailitz 2008). Auch wenn der Umfang der Bundesförderungen vergleichsweise gering wirkt, so sind sie dennoch sehr öffentlichkeitswirksam und ungemein wichtig für die bundesweiten Verbände, die zum Großteil eben nicht ohne diese Förderungen existieren könnten. Zumindest nicht, ohne grundlegende strukturelle oder wirtschaftliche Veränderungen vorzunehmen. Anzumerken ist noch, dass hier nur die direkten Förderungen durch den Staat statistisch erfasst sind. Die durch den Gemeinnützigkeitsstatus der Vereine bedingten Steuerausfälle sind ebenso wenig enthalten, wie weitere Kosten, die durch den Sport entstehen, z.B. durch Polizeieinsätze bei Sportgroßveranstaltungen. Insgesamt kann von einem tatsächlich deutlich höheren Umfang staatlicher Sportförderung ausgegangen werden. Neben der Höhe der finanziellen Förderung des Sports ist besonders interessant, wer auf den unterschiedlichen Ebenen an der politischen Entscheidungsfindung beteiligt ist und wie diese Entscheidungen getroffen werden. Akteure in der Entscheidungsfindung Auf der Ebene der Legislative – speziell im Bundestag und in den meisten Landtagen – gibt es den Sportausschuss. Der Ausschuss wurde 1969 als „Sonderausschuss für Sport und Olympische Spiele“ anlässlich der Spiele 1972 in München ins Leben gerufen. Lösche vergleicht die Rolle des organisierten Sports im Sportausschuss mit dem Bauernverband im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz oder dem Ärzteverband im Ausschuss für Gesundheit (vgl. 2002). Um seinen Aufgaben auch gerecht werden zu können, werden zu vielen bedeutenden Themen Sachkundige aus den einflussreichen Sportverbänden – insbesondere Vertreter des DOSB – in den Ausschuss eingeladen, die so ihren Einfluss geltend machen und auf die Gesetzgebung einwirken können. Auf der Exekutiv-Ebene, also im Bundeskabinett, müssen nach der gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesregierung betroffene Verbände bereits im Referentenstadium eines Gesetzes gehört werden. Hier könnte man also von einer Inkor-

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porierung der Interessenvermittlung sprechen. Separat davon können Lobbyisten auch noch in den einzelnen Fachressorts für ihre Zwecke Werbung machen (vgl. ebd.). Für die Lobbyarbeit auf exekutiver und legislativer Ebene hat der DOSB schon seit einigen Jahren ein eigens dafür eingerichtetes Büro in Berlin, das sich im Jahr 2007 neu aufgestellt hat und im Zuge dessen mit den Hauptstadt-Büros des Deutschen FußballBundes (DFB), der Deutschen Fußball Liga (DFL), der Deutschen Sport-Marketing GmbH (DSM) und dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) zusammengelegt wurde. Durch die verstärkte Kooperation mit weiteren großen deutschen Sportverbänden kann in Berlin noch gebündelte Lobby-Arbeit geleistet werden. Auf der Ebene der Länder ist die „Ständige Konferenz der Sportminister der Länder“ zu nennen, der neben den zuständigen Ministern und anderen staatlichen Teilnehmern auch die kommunalen Bundessportfachverbände und der DOSB als ständige Gäste beiwohnen (vgl. 11. Sportbericht der Bundesregierung 2006). Somit ist der organisierte Sport auch auf Länderebene nicht nur in die Ausführung, sondern auch in die Entwicklung von Politik (quasi-)integriert. Auf kommunaler Ebene spielen die Vereine die Hauptrolle. Durch ihre enormen Mitgliederzahlen bilden diese das breite Fundament der Organisationspyramide des deutschen Sports. Obwohl die wichtigen politischen Entscheidungen sicherlich auf den höheren politischen Ebenen getroffen werden, wird der kommunalen Ebene von wissenschaftlicher Seite aus enormes Einflusspotenzial attestiert. Neben der großen Mitgliederzahl ist der Hauptgrund hierfür die personelle Verflechtung von Sport und Politik, die auf der Ebene der Kommunen höchst ausgeprägt ist. Doch auch auf Bundes- und Landesebene ist die Politik infiltriert von Vereinsfunktionären, eine Ämterkumulation ist an der Tagesordnung. Aktuelle Beispiele hierfür sind die derzeitige Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages Dagmar Freitag (SPD), die zugleich auch VizePräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes ist, oder ihr Vorgänger Dr. Peter Danckert (SPD), der Präsident des Landesverbandes Pferdesport Berlin-Brandenburg ist und Minister für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport war. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU), der zuerst Präsident des VfB Stuttgart und von 2001 bis 2006 auch Präsident des Deutschen Fußball-Bundes war. Umgekehrt gibt es auch Beispiele von Politikern, die später Karriere in Sportverbänden gemacht haben. Prominente Beispiele hierfür sind der langjährige DSB-Präsident Willi Weyer, der zuvor als erfolgreicher FDP-Politiker (er war unter anderem Finanz- und Innenminister) tätig war und der jetzige DOSBGeneralsekretär Michael Vesper, der zu den Gründungsmitglie-

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dern der Partei Die Grünen gehört und Minister für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport war. In der Gesetzgebung kann – wie das auch das Motto der Bundesregierung vorgibt – eher von einer „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ gesprochen werden, die sich als Interessenvermittlung über die Jahre fest im Entstehungsprozess von Politik etabliert hat. Sportverbände sind hier „Dauergäste“ oder werden als kompetente Berater hinzugezogen und können so ihren Einfluss geltend machen. Es ist also kein traditioneller Lobbyismus, aber auch kein Korporatismus, sondern mehr eine Mischform. Formell liegt die alleinige Entscheidungsgewalt bei der Bundesregierung, diese nimmt die kompetenten Ratschläge der Sportverbände jedoch gerne und regelmäßig in Anspruch. Es handelt sich um einen klassischen Tausch, Einfluss und finanzielle Unterstützung gegen politische Legitimation. Lobbyistische und korporatistische Strukturen Interessenvermittlung kann nie vollständig in ein bestimmtes Schema gepresst werden. Es handelt sich im Grunde immer um gradualistische Systeme und aufgrund der Informalität und der Komplexität ist es meist sinnvoller, von Tendenzen oder Strukturen zu sprechen. In diesem Sinne könnte man behaupten, dass Sportpolitik auf Bundesebene eher korporatistisch geprägt ist, je tiefer man jedoch auf der Hierarchieleiter des organisierten Sports hinabsteigt, desto mehr spielen lobbyistische Verfahrensweisen – in Form von Kommunikationsnetzwerken und Ämterkumulation – eine Rolle. Wie zuvor schon erwähnt, sind entscheidende Aspekte (meso)korporatistischer Politik die Selbstregulierung bestimmter Politiksektoren durch die Verbände und die gemeinwohlorientierte Funktion, die sie einnehmen. Als Beispiel für eine solche gemeinwohlorientierte Funktion kann die Fördermittelverteilung für den Leistungssport des DOSB herangezogen werden. Diese erfolgt über den Bundesausschuss für Leistungssport (BAL) und kommt den Bundesfachverbänden zu. Die Mittelverteilung wird in Planungsgesprächen zwischen dem Bundesministerium des Inneren (BMI), dem BAL und den Fachverbänden abgesprochen. Somit entlastet der BAL das BMI von sportfachlichen Maßnahmen und kanalisiert den direkten Einfluss des BMI auf die Bundesfachverbände (Winkler et al. 1985). Meier bezeichnet den BAL als „neokorporatistisches Kleinod innerhalb der Makrostruktur des DSB“ (1995). In diesem Zusammenhang wird jedoch auch klar, dass die Prinzipien der Subsidiarität staatlicher Sportförderung und der Autonomie des Sports in vielen Fällen unzutreffend sind. Die Mittelverteilung auf Bundesebene wird durch das BMI kontrolliert. Das heißt, der DOSB kann nicht eigenmächtig über die Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel entscheiden, da die Verteilung schon im Voraus in Planungsgesprächen mit dem BAL festgelegt wird. Gleiches gilt für die Mittel, die den

Landessportbünden vom Staat zukommen. Auch die können in vielen Fällen nur zweckgebunden verwendet werden. Von Autonomie kann hier also keine Rede sein. Zudem ist die pauschale und dauerhafte Förderung der Sportverbände schlecht mit dem Subsidiaritätsprinzip zu vereinbaren (vgl. Langer 2006). Doch auch wenn diese Prinzipien in einigen Fällen unzutreffend sind, hat sich in der Sportpolitik in den letzten Jahrzehnten ein für beide Seiten annehmbarer Konsens entwickelt. Der Sport trägt in unserer Gesellschaft schon allein durch seinen autotelischen Wert zur Zufriedenheit der Bevölkerung und damit auch zum Gemeinwohl bei. Insofern hat der Staat ein Interesse daran, den Sport zu fördern. Weiter hat er ein besonderes Interesse daran den Hochleistungssport zu fördern, weil er dadurch innenpolitische und außenpolitische Interessen miteinander verknüpfen kann, was in Anbetracht der geringen Ausgaben für den Hochleistungssport eine gute Kosten-Nutzen-Rechnung ist. Da er dabei auf die Hilfe von Sportorganisationen angewiesen ist, besteht keine Veranlassung diese aus der korporatistischen Einbindung zu entlassen (vgl. Meier 1995). Auf der anderen Seite stehen die großen deutschen Sportverbände, allen voran der DOSB, die sich ihren gesellschaftlichen Status sichern wollen, wobei sie auf die Finanzspritzen vom Staat angewiesen sind. Zwar büßen sie so einen Teil ihrer Autonomie ein, die dadurch induzierten negativen Effekte halten sich jedoch zumindest bislang in Grenzen. Schimank (2002) etwa sieht in der Korporatisierung durchaus auch eine organisatorische Dynamik, die das binnenorientierte Ethos der Vereine gefährden könnte. „Korporatisierung enthält das Risiko eines Overload der Vereine mit politisch berechtigten Anliegen, die aber so verquer in den sportlichen Sinnhorizont von körperlicher Leistung, Wettkampf und Siegeswillen ragen, dass dieser Sinn nicht mehr hinreichend zum Tragen kommt, um die eigentlichen Sportler bei der Stange zu halten.“ Der allenthalben und immer wieder bekundete Unmut von Anhängern und Aktiven über den zu kommerziellen und zu politischen Sport ist ein Hinweis in diese Richtung. Wenngleich also auf Seiten des Sports Wachsamkeit gegenüber systembedingten Dynamiken gewährleistet sein sollte, ist an eine Abkehr vom korporatistischen System allerdings nicht zu denken. Steiner (2003) bezeichnet den Staat denn auch als den fairsten Partner des organisierten Sports in Deutschland, der ohne dessen umfangreiche Leistungen noch stärker auf die Zuwendungen privater Dritter angewiesen wäre. Steiner prägte hierfür den Begriff der „staatlich bezahlten Autonomie“ (ebd.). Insofern ist zu erwarten, dass der deutsche Sport auch in Zukunft sowohl durch mesokorporatistische, als auch durch lobbyistische Interessendurchsetzung gekennzeichnet sein wird. Auch wenn der DOSB und der Bund dafür andere Formulierungen verwenden, hat sich diese Art der Politik in den letzten Jahrzehnten bewährt. ◊

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Wenngleich auf Seiten des Sports Wachsamkeit gegenüber systembedingten Dynamiken gewährleis­ tet sein sollte, ist an eine Abkehr vom korporatis­ tischen System nicht zu denken.

Literatur bei den Autoren.

Dr. Michael Groll, geboren 1963 in Hamburg, studierte von 1986 bis 1990 Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er promovierte 2004 zur Transnationalen Sportpolitik. Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Sportpolitik und die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit. E-Mail: groll@dshs-koeln.de

Florian Hepp, geboren 1981 in Heilbronn, studierte von 2004 bis 2009 Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Freizeit und Kreativität“ an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit September 2006 studiert er zusätzlich Sozialwissenschaft an der Universität zu Köln. Im Wintersemester 2008 schrieb er seine Diplomarbeit im Bereich Interessenvermittlung in der Sportpolitik. E-Mail: hepp.florian@googlemail.com

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porierung der Interessenvermittlung sprechen. Separat davon können Lobbyisten auch noch in den einzelnen Fachressorts für ihre Zwecke Werbung machen (vgl. ebd.). Für die Lobbyarbeit auf exekutiver und legislativer Ebene hat der DOSB schon seit einigen Jahren ein eigens dafür eingerichtetes Büro in Berlin, das sich im Jahr 2007 neu aufgestellt hat und im Zuge dessen mit den Hauptstadt-Büros des Deutschen FußballBundes (DFB), der Deutschen Fußball Liga (DFL), der Deutschen Sport-Marketing GmbH (DSM) und dem Deutschen Behindertensportverband (DBS) zusammengelegt wurde. Durch die verstärkte Kooperation mit weiteren großen deutschen Sportverbänden kann in Berlin noch gebündelte Lobby-Arbeit geleistet werden. Auf der Ebene der Länder ist die „Ständige Konferenz der Sportminister der Länder“ zu nennen, der neben den zuständigen Ministern und anderen staatlichen Teilnehmern auch die kommunalen Bundessportfachverbände und der DOSB als ständige Gäste beiwohnen (vgl. 11. Sportbericht der Bundesregierung 2006). Somit ist der organisierte Sport auch auf Länderebene nicht nur in die Ausführung, sondern auch in die Entwicklung von Politik (quasi-)integriert. Auf kommunaler Ebene spielen die Vereine die Hauptrolle. Durch ihre enormen Mitgliederzahlen bilden diese das breite Fundament der Organisationspyramide des deutschen Sports. Obwohl die wichtigen politischen Entscheidungen sicherlich auf den höheren politischen Ebenen getroffen werden, wird der kommunalen Ebene von wissenschaftlicher Seite aus enormes Einflusspotenzial attestiert. Neben der großen Mitgliederzahl ist der Hauptgrund hierfür die personelle Verflechtung von Sport und Politik, die auf der Ebene der Kommunen höchst ausgeprägt ist. Doch auch auf Bundes- und Landesebene ist die Politik infiltriert von Vereinsfunktionären, eine Ämterkumulation ist an der Tagesordnung. Aktuelle Beispiele hierfür sind die derzeitige Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages Dagmar Freitag (SPD), die zugleich auch VizePräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes ist, oder ihr Vorgänger Dr. Peter Danckert (SPD), der Präsident des Landesverbandes Pferdesport Berlin-Brandenburg ist und Minister für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport war. Ein weiteres bekanntes Beispiel ist Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU), der zuerst Präsident des VfB Stuttgart und von 2001 bis 2006 auch Präsident des Deutschen Fußball-Bundes war. Umgekehrt gibt es auch Beispiele von Politikern, die später Karriere in Sportverbänden gemacht haben. Prominente Beispiele hierfür sind der langjährige DSB-Präsident Willi Weyer, der zuvor als erfolgreicher FDP-Politiker (er war unter anderem Finanz- und Innenminister) tätig war und der jetzige DOSBGeneralsekretär Michael Vesper, der zu den Gründungsmitglie-

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dern der Partei Die Grünen gehört und Minister für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport war. In der Gesetzgebung kann – wie das auch das Motto der Bundesregierung vorgibt – eher von einer „partnerschaftlichen Zusammenarbeit“ gesprochen werden, die sich als Interessenvermittlung über die Jahre fest im Entstehungsprozess von Politik etabliert hat. Sportverbände sind hier „Dauergäste“ oder werden als kompetente Berater hinzugezogen und können so ihren Einfluss geltend machen. Es ist also kein traditioneller Lobbyismus, aber auch kein Korporatismus, sondern mehr eine Mischform. Formell liegt die alleinige Entscheidungsgewalt bei der Bundesregierung, diese nimmt die kompetenten Ratschläge der Sportverbände jedoch gerne und regelmäßig in Anspruch. Es handelt sich um einen klassischen Tausch, Einfluss und finanzielle Unterstützung gegen politische Legitimation. Lobbyistische und korporatistische Strukturen Interessenvermittlung kann nie vollständig in ein bestimmtes Schema gepresst werden. Es handelt sich im Grunde immer um gradualistische Systeme und aufgrund der Informalität und der Komplexität ist es meist sinnvoller, von Tendenzen oder Strukturen zu sprechen. In diesem Sinne könnte man behaupten, dass Sportpolitik auf Bundesebene eher korporatistisch geprägt ist, je tiefer man jedoch auf der Hierarchieleiter des organisierten Sports hinabsteigt, desto mehr spielen lobbyistische Verfahrensweisen – in Form von Kommunikationsnetzwerken und Ämterkumulation – eine Rolle. Wie zuvor schon erwähnt, sind entscheidende Aspekte (meso)korporatistischer Politik die Selbstregulierung bestimmter Politiksektoren durch die Verbände und die gemeinwohlorientierte Funktion, die sie einnehmen. Als Beispiel für eine solche gemeinwohlorientierte Funktion kann die Fördermittelverteilung für den Leistungssport des DOSB herangezogen werden. Diese erfolgt über den Bundesausschuss für Leistungssport (BAL) und kommt den Bundesfachverbänden zu. Die Mittelverteilung wird in Planungsgesprächen zwischen dem Bundesministerium des Inneren (BMI), dem BAL und den Fachverbänden abgesprochen. Somit entlastet der BAL das BMI von sportfachlichen Maßnahmen und kanalisiert den direkten Einfluss des BMI auf die Bundesfachverbände (Winkler et al. 1985). Meier bezeichnet den BAL als „neokorporatistisches Kleinod innerhalb der Makrostruktur des DSB“ (1995). In diesem Zusammenhang wird jedoch auch klar, dass die Prinzipien der Subsidiarität staatlicher Sportförderung und der Autonomie des Sports in vielen Fällen unzutreffend sind. Die Mittelverteilung auf Bundesebene wird durch das BMI kontrolliert. Das heißt, der DOSB kann nicht eigenmächtig über die Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel entscheiden, da die Verteilung schon im Voraus in Planungsgesprächen mit dem BAL festgelegt wird. Gleiches gilt für die Mittel, die den

Landessportbünden vom Staat zukommen. Auch die können in vielen Fällen nur zweckgebunden verwendet werden. Von Autonomie kann hier also keine Rede sein. Zudem ist die pauschale und dauerhafte Förderung der Sportverbände schlecht mit dem Subsidiaritätsprinzip zu vereinbaren (vgl. Langer 2006). Doch auch wenn diese Prinzipien in einigen Fällen unzutreffend sind, hat sich in der Sportpolitik in den letzten Jahrzehnten ein für beide Seiten annehmbarer Konsens entwickelt. Der Sport trägt in unserer Gesellschaft schon allein durch seinen autotelischen Wert zur Zufriedenheit der Bevölkerung und damit auch zum Gemeinwohl bei. Insofern hat der Staat ein Interesse daran, den Sport zu fördern. Weiter hat er ein besonderes Interesse daran den Hochleistungssport zu fördern, weil er dadurch innenpolitische und außenpolitische Interessen miteinander verknüpfen kann, was in Anbetracht der geringen Ausgaben für den Hochleistungssport eine gute Kosten-Nutzen-Rechnung ist. Da er dabei auf die Hilfe von Sportorganisationen angewiesen ist, besteht keine Veranlassung diese aus der korporatistischen Einbindung zu entlassen (vgl. Meier 1995). Auf der anderen Seite stehen die großen deutschen Sportverbände, allen voran der DOSB, die sich ihren gesellschaftlichen Status sichern wollen, wobei sie auf die Finanzspritzen vom Staat angewiesen sind. Zwar büßen sie so einen Teil ihrer Autonomie ein, die dadurch induzierten negativen Effekte halten sich jedoch zumindest bislang in Grenzen. Schimank (2002) etwa sieht in der Korporatisierung durchaus auch eine organisatorische Dynamik, die das binnenorientierte Ethos der Vereine gefährden könnte. „Korporatisierung enthält das Risiko eines Overload der Vereine mit politisch berechtigten Anliegen, die aber so verquer in den sportlichen Sinnhorizont von körperlicher Leistung, Wettkampf und Siegeswillen ragen, dass dieser Sinn nicht mehr hinreichend zum Tragen kommt, um die eigentlichen Sportler bei der Stange zu halten.“ Der allenthalben und immer wieder bekundete Unmut von Anhängern und Aktiven über den zu kommerziellen und zu politischen Sport ist ein Hinweis in diese Richtung. Wenngleich also auf Seiten des Sports Wachsamkeit gegenüber systembedingten Dynamiken gewährleistet sein sollte, ist an eine Abkehr vom korporatistischen System allerdings nicht zu denken. Steiner (2003) bezeichnet den Staat denn auch als den fairsten Partner des organisierten Sports in Deutschland, der ohne dessen umfangreiche Leistungen noch stärker auf die Zuwendungen privater Dritter angewiesen wäre. Steiner prägte hierfür den Begriff der „staatlich bezahlten Autonomie“ (ebd.). Insofern ist zu erwarten, dass der deutsche Sport auch in Zukunft sowohl durch mesokorporatistische, als auch durch lobbyistische Interessendurchsetzung gekennzeichnet sein wird. Auch wenn der DOSB und der Bund dafür andere Formulierungen verwenden, hat sich diese Art der Politik in den letzten Jahrzehnten bewährt. ◊

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Wenngleich auf Seiten des Sports Wachsamkeit gegenüber systembedingten Dynamiken gewährleis­ tet sein sollte, ist an eine Abkehr vom korporatis­ tischen System nicht zu denken.

Literatur bei den Autoren.

Dr. Michael Groll, geboren 1963 in Hamburg, studierte von 1986 bis 1990 Sportwissenschaft an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er promovierte 2004 zur Transnationalen Sportpolitik. Seit 2005 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Dozent des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Sportpolitik und die sportbezogene Entwicklungszusammenarbeit. E-Mail: groll@dshs-koeln.de

Florian Hepp, geboren 1981 in Heilbronn, studierte von 2004 bis 2009 Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Freizeit und Kreativität“ an der Deutschen Sporthochschule Köln. Seit September 2006 studiert er zusätzlich Sozialwissenschaft an der Universität zu Köln. Im Wintersemester 2008 schrieb er seine Diplomarbeit im Bereich Interessenvermittlung in der Sportpolitik. E-Mail: hepp.florian@googlemail.com

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Text Walter Tokarski & Christoph Fischer Fotos DSHS-Auslandsamt, loewentreu, Christoph Fischer, P.Kirchhoff/Pixelio

Partner oder Gegenspieler?

Die positiven Eigenschaften des Sports Die integrative Kraft des Sports und seine Beiträge zur Völkerverständigung sind offenkundig. Dass Sport zur internationalen Integration durchaus beiträgt, wird kaum bestritten. Den Sport als Teil der europäischen Integration im Sinne der Formung der Europäischen Union zu sehen, fällt hingegen schwer. Sicher hat der Sport im Laufe der letzten 50 Jahre den europäischen Nationen immer wieder die Gelegenheit gegeben, sich zu begegnen und sich im friedlichen Wettstreit zu messen. Aber ein originärer Part oder eine zielführende Rolle bei der Entstehung und Weiterentwicklung der Europäischen Union kann dem Sport nicht unmittelbar zugeschrieben werden – jedenfalls ist er nicht so leicht erkennbar.

Die Europäische Union und der Sport

Vor etwa 25 Jahren hat die Europäische Union festgestellt, dass der Sport ihre Bemühungen um ein geeintes und friedvolles Europa unterstützen kann. Mit der Erstellung und Veröffentlichung des AdonninoBerichts im Jahr 1985, in dem es sinngemäß heißt, dass der Sport ein „wichtiger Bereich der Kommunikation zwischen den Völkern“ (Europäische Kommission 1985) ist, wurde einer der beiden wesentlichen Berührungspunkte, die die Europäische Union mit dem Sport hat, deutlich gemacht: Die Förderung des Sports und der Schutz seiner Integrität – dies natürlich nicht ganz uneigennützig, wie man an der weiteren Entwicklung erkennen kann. Neben diesem gezielt angestrebten Kontakt mit dem Sport, um dessen Popularität und die „positiven“ Kräfte durch eine „direkte Sportpolitik“ (Tokarski et al. 2000) für Europa zu nutzen, ergab sich aber schon Mitte der 1970er Jahre der erste Berührungspunkt des Sports mit der Europäischen Union. Knappe zehn Jahre bevor sich die Europäische Kommission erstmals inhaltlich mit dem Sport auseinandersetzte, musste sich der Europäische Gerichtshof mit einem sportrelevanten Fall beschäftigen: Die Klage der beiden Niederländer Walrave und Koch gegen den Weltverband der Radfahrer UCI war der Auftakt einer, wenn man so will, eher unfreiwilligen, „indirekten Sportpolitik“ (Tokarski et al. 2000) der Europäischen Union, dessen bisher populärster Fall mit der Verkündung des Bosman-Urteils endete. Mit dem ersten Fall im Jahr 1974 deutete sich an, und spätestens 1995 mit der Rechtssache Bosman wurde klar, dass auch der Sport sich dem Rechtsrahmen der Europäischen Union unterzuordnen hatte. Obwohl auch

In ihren Bemühungen um ein geeintes und friedvolles Europa nutzt die Europäische Union die integrative Kraft des Sports. Seit dem Jahr 1985 hat sich die EU dies offiziell auf die Fahnen geschrieben und möchte den Sport für ihre ureigenen Zwecke nutzen. Der AdonninoBericht wird mit den Worten eröffnet: „Der Sport ist von alters her ein wichtiger Bereich der Kommunikation zwischen den Völkern.“ Doch dieser hehre Wunsch bringt die EU auch in ein Dilemma: Einerseits möchte sie sich mit den „positiven“ Seiten des Sports schmücken, mit seinen integrativen Möglichkeiten und seiner gesundheitsfördernden Wirkung, doch andererseits hat sie – als Europäische Union – kaum eigenen Einfluss auf dessen Gestaltung. Denn der Sport ist traditionell im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten verankert. Einheitliche EU-weite Regelungen für den Sport zu entwickeln birgt, wie auch bei anderen EU-politischen Themen, entsprechende Konflikte. Ein Kernpunkt: Die nationalen Sportverbände fürchten um ihre Autonomie. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der langjährigen Annäherung der EU an ihre Mitgliedstaaten in Bezug auf den Sport und ihre wiederholten Versuche, den Sport auch in rechtlicher Hinsicht auf europäischer Ebene zu etablieren.

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diese Seite der Medaille, also die „indirekte Sportpolitik“ eine sehr interessante und spannende Betrachtung verspricht, wendet sich dieser Beitrag primär den Versuchen der Europäischen Union zu, mit einer direkten Sportpolitik das Zusammenwachsen der Union zu unterstützen. Mit direkter Sportpolitik ist dabei die Art und Weise gemeint, wie die Europäische Union mit steuerungspolitischen Maßnahmen und Programmen direkt auf den Sport einwirken will. Indirekte Sportpolitik umschreibt dagegen das Einwirken des europäischen Rechtsrahmens, insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, auf den Sport als Berufsfeld und Wirtschaftssubjekt. An dieser Stelle gilt es aber noch das Dilemma aufzuzeigen, in dem sich die Europäische Union gegenwärtig befindet: Auf der einen Seite steht der vermeintlich „positive“ Sport mit seiner integrativen und gesundheitsfördernden Wirkung, die beliebte Freizeitbeschäftigung der Massen, die die Europäische Union so gerne für ihre Zwecke nutzen möchte; sie hat nur keinerlei direkte Kompetenzen und Befugnisse auf dieser gestalterischen Seite des Sports. Neben der Tatsache, dass der Sport bis vor kurzem im gesamten europäischen Vertragswerk nur in Protokollnotizen vorkommt, ist er wegen seiner kulturellen Eigenschaft nie aus den Kompetenzen der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft übergegangen. Die meisten Mitgliedstaaten haben zudem in ihrem Hoheitsgebiet, dem Sport im Rahmen von Vereinigungs- und Koalitionsfreiheiten eine großzügige Autonomie zugesichert. Auf der anderen Seite steht heute ein Sport, der sich in Folge von Kommerzialisierung und Professionalisierung immer mehr zu einem Wirtschaftsobjekt (nicht Subjekt!) entwickelt hat. Hier begegnet der Europäischen Union ein Sport, der sich auf die Rechtsfragen des Binnenmarktes reduziert, bei denen es um Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht, um freien Wettbewerb und Diskriminierung von EU-Bürgern. Dies sind sicherlich alles wichtige Fragen, die einer gerechten Lösung zugeführt werden sollten. Zur Völkerverständigung kann dieser Arbeitsbereich der Europäischen Union nicht genutzt werden. Der lange Weg zu- und miteinander Um die heutige Situation und den Standpunkt der Europäischen Union zum Sport begreifen zu können ist es wichtig, die historischen Eckpunkte, Stellungnahmen und Maßnahmen in einer Rückschau zu be41


Text Walter Tokarski & Christoph Fischer Fotos DSHS-Auslandsamt, loewentreu, Christoph Fischer, P.Kirchhoff/Pixelio

Partner oder Gegenspieler?

Die positiven Eigenschaften des Sports Die integrative Kraft des Sports und seine Beiträge zur Völkerverständigung sind offenkundig. Dass Sport zur internationalen Integration durchaus beiträgt, wird kaum bestritten. Den Sport als Teil der europäischen Integration im Sinne der Formung der Europäischen Union zu sehen, fällt hingegen schwer. Sicher hat der Sport im Laufe der letzten 50 Jahre den europäischen Nationen immer wieder die Gelegenheit gegeben, sich zu begegnen und sich im friedlichen Wettstreit zu messen. Aber ein originärer Part oder eine zielführende Rolle bei der Entstehung und Weiterentwicklung der Europäischen Union kann dem Sport nicht unmittelbar zugeschrieben werden – jedenfalls ist er nicht so leicht erkennbar.

Die Europäische Union und der Sport

Vor etwa 25 Jahren hat die Europäische Union festgestellt, dass der Sport ihre Bemühungen um ein geeintes und friedvolles Europa unterstützen kann. Mit der Erstellung und Veröffentlichung des AdonninoBerichts im Jahr 1985, in dem es sinngemäß heißt, dass der Sport ein „wichtiger Bereich der Kommunikation zwischen den Völkern“ (Europäische Kommission 1985) ist, wurde einer der beiden wesentlichen Berührungspunkte, die die Europäische Union mit dem Sport hat, deutlich gemacht: Die Förderung des Sports und der Schutz seiner Integrität – dies natürlich nicht ganz uneigennützig, wie man an der weiteren Entwicklung erkennen kann. Neben diesem gezielt angestrebten Kontakt mit dem Sport, um dessen Popularität und die „positiven“ Kräfte durch eine „direkte Sportpolitik“ (Tokarski et al. 2000) für Europa zu nutzen, ergab sich aber schon Mitte der 1970er Jahre der erste Berührungspunkt des Sports mit der Europäischen Union. Knappe zehn Jahre bevor sich die Europäische Kommission erstmals inhaltlich mit dem Sport auseinandersetzte, musste sich der Europäische Gerichtshof mit einem sportrelevanten Fall beschäftigen: Die Klage der beiden Niederländer Walrave und Koch gegen den Weltverband der Radfahrer UCI war der Auftakt einer, wenn man so will, eher unfreiwilligen, „indirekten Sportpolitik“ (Tokarski et al. 2000) der Europäischen Union, dessen bisher populärster Fall mit der Verkündung des Bosman-Urteils endete. Mit dem ersten Fall im Jahr 1974 deutete sich an, und spätestens 1995 mit der Rechtssache Bosman wurde klar, dass auch der Sport sich dem Rechtsrahmen der Europäischen Union unterzuordnen hatte. Obwohl auch

In ihren Bemühungen um ein geeintes und friedvolles Europa nutzt die Europäische Union die integrative Kraft des Sports. Seit dem Jahr 1985 hat sich die EU dies offiziell auf die Fahnen geschrieben und möchte den Sport für ihre ureigenen Zwecke nutzen. Der AdonninoBericht wird mit den Worten eröffnet: „Der Sport ist von alters her ein wichtiger Bereich der Kommunikation zwischen den Völkern.“ Doch dieser hehre Wunsch bringt die EU auch in ein Dilemma: Einerseits möchte sie sich mit den „positiven“ Seiten des Sports schmücken, mit seinen integrativen Möglichkeiten und seiner gesundheitsfördernden Wirkung, doch andererseits hat sie – als Europäische Union – kaum eigenen Einfluss auf dessen Gestaltung. Denn der Sport ist traditionell im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten verankert. Einheitliche EU-weite Regelungen für den Sport zu entwickeln birgt, wie auch bei anderen EU-politischen Themen, entsprechende Konflikte. Ein Kernpunkt: Die nationalen Sportverbände fürchten um ihre Autonomie. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der langjährigen Annäherung der EU an ihre Mitgliedstaaten in Bezug auf den Sport und ihre wiederholten Versuche, den Sport auch in rechtlicher Hinsicht auf europäischer Ebene zu etablieren.

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diese Seite der Medaille, also die „indirekte Sportpolitik“ eine sehr interessante und spannende Betrachtung verspricht, wendet sich dieser Beitrag primär den Versuchen der Europäischen Union zu, mit einer direkten Sportpolitik das Zusammenwachsen der Union zu unterstützen. Mit direkter Sportpolitik ist dabei die Art und Weise gemeint, wie die Europäische Union mit steuerungspolitischen Maßnahmen und Programmen direkt auf den Sport einwirken will. Indirekte Sportpolitik umschreibt dagegen das Einwirken des europäischen Rechtsrahmens, insbesondere in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, auf den Sport als Berufsfeld und Wirtschaftssubjekt. An dieser Stelle gilt es aber noch das Dilemma aufzuzeigen, in dem sich die Europäische Union gegenwärtig befindet: Auf der einen Seite steht der vermeintlich „positive“ Sport mit seiner integrativen und gesundheitsfördernden Wirkung, die beliebte Freizeitbeschäftigung der Massen, die die Europäische Union so gerne für ihre Zwecke nutzen möchte; sie hat nur keinerlei direkte Kompetenzen und Befugnisse auf dieser gestalterischen Seite des Sports. Neben der Tatsache, dass der Sport bis vor kurzem im gesamten europäischen Vertragswerk nur in Protokollnotizen vorkommt, ist er wegen seiner kulturellen Eigenschaft nie aus den Kompetenzen der Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft übergegangen. Die meisten Mitgliedstaaten haben zudem in ihrem Hoheitsgebiet, dem Sport im Rahmen von Vereinigungs- und Koalitionsfreiheiten eine großzügige Autonomie zugesichert. Auf der anderen Seite steht heute ein Sport, der sich in Folge von Kommerzialisierung und Professionalisierung immer mehr zu einem Wirtschaftsobjekt (nicht Subjekt!) entwickelt hat. Hier begegnet der Europäischen Union ein Sport, der sich auf die Rechtsfragen des Binnenmarktes reduziert, bei denen es um Arbeitnehmer und Arbeitgeber geht, um freien Wettbewerb und Diskriminierung von EU-Bürgern. Dies sind sicherlich alles wichtige Fragen, die einer gerechten Lösung zugeführt werden sollten. Zur Völkerverständigung kann dieser Arbeitsbereich der Europäischen Union nicht genutzt werden. Der lange Weg zu- und miteinander Um die heutige Situation und den Standpunkt der Europäischen Union zum Sport begreifen zu können ist es wichtig, die historischen Eckpunkte, Stellungnahmen und Maßnahmen in einer Rückschau zu be41


1997 wird dem Vertrag von Amsterdam eine rechtlich nicht verbindliche Erklärung zum Sport beigefügt. Sie erkennt die soziale Rolle des Sports an und empfiehlt der Europäischen Kommission, bei wichtigen den Sport betreffenden Fragen die Sportverbände anzuhören. Diese Protokollnotiz ist die erste Erwähnung des Sports im Rahmen des europäischen Vertragswerk überhaupt.

trachten. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die Maßnahmen zur Förderung der Integration gelegt. Vor der Aufzählung und Beschreibung der Eckpunkte, ist es von besonderem Interesse die Einteilung der „direkten“ Sportpolitik in zeitliche Phasen zu erwähnen, wie sie in der jüngsten Forschung dargelegt werden (in Anlehnung an Tokarski et al. 2009): Die Phase der Vernachlässigung (1966 bis 1984) Die Phase der Koexistenz (1984 bis 1995) Die Phase der Kooperation (1995 bis 2003) Die Phase der Vor-Konstitutionalisierung (2003-2009) Die Phase der Konstitutionalisierung (seit 2009)

Die Phase der Vernachlässigung In der ersten Phase charakterisierte sich das Verhältnis von Sport und Europäischer Union durch wechselseitiges Desinteresse. Zu dieser Zeit war es vor allen Dingen der Europarat, der sich im Bereich des Sports engagierte. Beispielhaft sei hier nur die European Sports For All Charter aus dem Jahr 1975 zu nennen. Die integrative Kraft des Sports wurde zu dieser Zeit von Seiten der Europäischen Union noch nicht erkannt. Die Phase der Koexistenz Mit dem Erscheinen des Adonnino-Berichts im Nachgang des Gipfels von Fontainebleau im Juni 1984 treten der Sport und die Europäische Union dann in die Phase der Koexistenz. Der Abschlussbericht des Ausschusses für das „Europa der Bürger“, benannt nach dem Ausschussvorsitzenden Pietro Adoninno, widmet einen ganzen Abschnitt dem Sport. Er wird mit den Worten: „Der Sport ist von alters her ein wichtiger Bereich der Kommunikation zwischen den Völkern“ eröffnet. Im Rahmen dieses Abschnittes schlägt der Ausschuss vor, die Sportverbände als organisatorische Grundstruktur des Sports anzusprechen, um eine europäische Dimension in ihrem Handeln zu implementieren. Unter anderem wird vorgeschlagen, EG-Sportwettkämpfe durchzuführen und Gemeinschaftsmannschaften aufzustellen. Die integrativen Maßnahmen wurden beispielsweise in Form von Segelregatten und Radrundfahrten größtenteils 42

in Eigenregie der EU umgesetzt, stießen aber auf erheblichen Widerstand der Sportverbände. Diese fühlten eine Bedrohung ihrer Autonomie und kritisierten zudem, dass ausschließlich populäre Sportbereiche gefördert werden sollten, wohingegen die Breitensportbewegung vernachlässigt werde. Die Bemühungen und Maßnahmen der Europäischen Kommission zu dieser Zeit lassen erkennen, dass der Sport und die EU noch in Parallelwelten „koexistierten“ und noch ein hoher Abstimmungsbedarf vorlag (vgl. Tokarski et al. 2009). Von einer koordinierten Sportpolitik und einer kontrollierten Nutzung für die Europäische Integration konnte entsprechend nicht die Rede sein. Ende 1988 trat mit dem Europäischen Parlament ein weiterer Akteur der Europäischen Union den Bemühungen um eine EU-Sportpolitik bei. In dem nach der zuständigen Abgeordneten Jessica Larive benannten Bericht fordert das Europäische Parlament, eine kohärente und koordinierte Sportpolitik für die Europäische Union umzusetzen. Erstmals werden hier Arbeitsbereiche umrissen, mit denen man sich zukünftig auseinandersetzen will: · Eine internationale Strategie zum Umgang mit den sozialen Aspekten des Sports; · Beurteilung des Einflusses durch den Europäischen Binnenmarkt auf den Sport; · Förderung der Gemeinschaftsdimension im Sport; · Entwicklung eines Aktionsprogrammes für Sport. Der Gedanke der Integration durch Sport, hier in der Formulierung der Gemeinschaftsdimension des Sports, wird auch im Larive-Bericht aufgenommen. Dieser konnte jedoch nicht umgesetzt werden, da von den Mitgliedsstaaten und Sportverbänden weiterhin Bedenken vorgebracht wurden, dass die Europäische Union ihre Kompetenzen im Bereich des Sports über Gebühr ausdehnen würde. Die Phase der Kooperation Mit einem Weckruf von der indirekten Seite der Sportpolitik im Jahr 1995 wurde der Sport wieder verstärkt

auf den europäischen Plan gerufen. Das eingangs erwähnte Bosman-Urteil erschütterte weite Bereiche des professionellen Mannschaftssports in Europa. Insbesondere der professionelle Fußball mit seiner hochdotierten Transfer-Wirtschaft wurde von dem ohne Verzögerung umzusetzenden Urteil getroffen. Auch wenn dieses Urteil der indirekten Sportpolitik der Europäischen Union zuzusprechen ist, stellt es den Wendepunkt zwischen Koexistenz und Kooperation im Verhältnis von EU und Sport dar. Zwei Jahre nach dem Bosman-Urteil veröffentlicht das Europäische Parlament den Pack-Bericht, benannt nach der deutschen Abgeordneten Doris Pack, indem sich die Wende zur kooperativen Sportpolitik zwischen der Europäischen Union und dem selbstorganisierten Sport manifestiert. Der Pack-Bericht nimmt den Staffelstab des Larive-Berichts auf, um einen kooperativen und respektvollen Umgang von Sport und EU zu erreichen. Dabei wird – vor allen Dingen im Rückblick auf den Fall Bosman – darauf Wert gelegt, dass der Sport in seinen vielseitigen Erscheinungsformen und seiner Besonderheit von der EU zu berücksichtigen ist. Eine rein ökonomische Betrachtungsweise, wie sie der Europäische Gerichtshof zu dieser Zeit vornimmt, wird zurückgewiesen. Um dem Sport eine erhöhte Rechtssicherheit zu bieten und eine finanzielle Förderung rechtlich abzusichern, fordert der Bericht die Aufnahme des Sports in das Vertragswerk der EU. Zudem wird die Erarbeitung eines Grünbuches mit entsprechendem Aktionsplan vorgeschlagen. Die Forderungen nach der Nutzung der integrativen Wirkung und die Betonung einer europäischen Dimension werden im Pack-Bericht nicht mehr aufgenommen. Auch wenn der Pack-Bericht nicht die Aufnahme des Sports in das Vertragswerk bewirkt, so wird er doch in Form einer „Gemeinsamen Erklärung zum Sport“ als Protokollnotiz dem Vertrag von Amsterdam angefügt. Dieser Vermerk ist zwar nicht rechtlich bindend, stellt aber die erste Erwähnung des Sports im Rahmen des europäischen Vertragswerks überhaupt dar. Mit der kurzen Formulierung, dass man die Rolle F|I|T 02 | 2010

des Sports „bei der Begegnung der Menschen“ unterstreicht, wird auf die völkerverständigende Wirkung Bezug genommen. Mit dem Entwurf des Europäischen Sportmodells veröffentlicht die Europäische Kommission im Jahr 1998 ein Dokument, das den gemeinsamen Charakter der Sportorganisationen in Europa vorstellt. Der Aufbau der Vereins- und Verbandshierarchie des Sports in einer pyramidalen Struktur, sowie die Möglichkeit von Auf- und Abstieg von der untersten bis in die höchsten Ligen werden als besondere Merkmale des europäischen Sports herausgestellt. Neben der Abgrenzung zum stark kommerzialisierten amerikanischen Modell mit professionellen Ligen, kann dieser Entwurf auch als Darstellung einer gemeinsamen europäischen Dimension im Sport gesehen werden. Ob damit bewusst eine integrative Intention einherging ist allerdings zu bezweifeln, da die Absichten der Kommission damals stärker darin lagen, die Besonderheit des Sports und die wechselseitige Beziehung zwischen Hochleistungs- und Breitensport darzulegen. Im Dezember 1999 befasst sich dann der Europäische Rat in Helsinki wieder mit dem Sport und verabschiedet den sogenannten Helsinki-Report, in dem die Idee des Europäischen Sportmodells aufgenommen wird. Der Bericht fordert den Erhalt der bestehenden Sportstrukturen und die Wahrung der sozialen Funktion des Sports. Die Phase der Vor-Konstitutionalisierung Mit den Bemühungen den Sport in den Vertrag über eine Verfassung für Europa zu integrieren, setzten sich auch die Institutionen der Europäischen Union wieder vermehrt mit dem Sport auseinander. Im Rahmen der britischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2005 wurde die externe Studie „Independent European Sport Review“ in Auftrag gegeben, die unter der Leitung des ehemaligen portugiesischen Sportministers José Luís Arnaut umgesetzt wurde. Sie beschäftigte sich vorwiegend mit den Problemen des professionalisierten Fußballs und muss in gegebenen Zusammenhang nicht weiter betrachtet werden. 43


1997 wird dem Vertrag von Amsterdam eine rechtlich nicht verbindliche Erklärung zum Sport beigefügt. Sie erkennt die soziale Rolle des Sports an und empfiehlt der Europäischen Kommission, bei wichtigen den Sport betreffenden Fragen die Sportverbände anzuhören. Diese Protokollnotiz ist die erste Erwähnung des Sports im Rahmen des europäischen Vertragswerk überhaupt.

trachten. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die Maßnahmen zur Förderung der Integration gelegt. Vor der Aufzählung und Beschreibung der Eckpunkte, ist es von besonderem Interesse die Einteilung der „direkten“ Sportpolitik in zeitliche Phasen zu erwähnen, wie sie in der jüngsten Forschung dargelegt werden (in Anlehnung an Tokarski et al. 2009): Die Phase der Vernachlässigung (1966 bis 1984) Die Phase der Koexistenz (1984 bis 1995) Die Phase der Kooperation (1995 bis 2003) Die Phase der Vor-Konstitutionalisierung (2003-2009) Die Phase der Konstitutionalisierung (seit 2009)

Die Phase der Vernachlässigung In der ersten Phase charakterisierte sich das Verhältnis von Sport und Europäischer Union durch wechselseitiges Desinteresse. Zu dieser Zeit war es vor allen Dingen der Europarat, der sich im Bereich des Sports engagierte. Beispielhaft sei hier nur die European Sports For All Charter aus dem Jahr 1975 zu nennen. Die integrative Kraft des Sports wurde zu dieser Zeit von Seiten der Europäischen Union noch nicht erkannt. Die Phase der Koexistenz Mit dem Erscheinen des Adonnino-Berichts im Nachgang des Gipfels von Fontainebleau im Juni 1984 treten der Sport und die Europäische Union dann in die Phase der Koexistenz. Der Abschlussbericht des Ausschusses für das „Europa der Bürger“, benannt nach dem Ausschussvorsitzenden Pietro Adoninno, widmet einen ganzen Abschnitt dem Sport. Er wird mit den Worten: „Der Sport ist von alters her ein wichtiger Bereich der Kommunikation zwischen den Völkern“ eröffnet. Im Rahmen dieses Abschnittes schlägt der Ausschuss vor, die Sportverbände als organisatorische Grundstruktur des Sports anzusprechen, um eine europäische Dimension in ihrem Handeln zu implementieren. Unter anderem wird vorgeschlagen, EG-Sportwettkämpfe durchzuführen und Gemeinschaftsmannschaften aufzustellen. Die integrativen Maßnahmen wurden beispielsweise in Form von Segelregatten und Radrundfahrten größtenteils 42

in Eigenregie der EU umgesetzt, stießen aber auf erheblichen Widerstand der Sportverbände. Diese fühlten eine Bedrohung ihrer Autonomie und kritisierten zudem, dass ausschließlich populäre Sportbereiche gefördert werden sollten, wohingegen die Breitensportbewegung vernachlässigt werde. Die Bemühungen und Maßnahmen der Europäischen Kommission zu dieser Zeit lassen erkennen, dass der Sport und die EU noch in Parallelwelten „koexistierten“ und noch ein hoher Abstimmungsbedarf vorlag (vgl. Tokarski et al. 2009). Von einer koordinierten Sportpolitik und einer kontrollierten Nutzung für die Europäische Integration konnte entsprechend nicht die Rede sein. Ende 1988 trat mit dem Europäischen Parlament ein weiterer Akteur der Europäischen Union den Bemühungen um eine EU-Sportpolitik bei. In dem nach der zuständigen Abgeordneten Jessica Larive benannten Bericht fordert das Europäische Parlament, eine kohärente und koordinierte Sportpolitik für die Europäische Union umzusetzen. Erstmals werden hier Arbeitsbereiche umrissen, mit denen man sich zukünftig auseinandersetzen will: · Eine internationale Strategie zum Umgang mit den sozialen Aspekten des Sports; · Beurteilung des Einflusses durch den Europäischen Binnenmarkt auf den Sport; · Förderung der Gemeinschaftsdimension im Sport; · Entwicklung eines Aktionsprogrammes für Sport. Der Gedanke der Integration durch Sport, hier in der Formulierung der Gemeinschaftsdimension des Sports, wird auch im Larive-Bericht aufgenommen. Dieser konnte jedoch nicht umgesetzt werden, da von den Mitgliedsstaaten und Sportverbänden weiterhin Bedenken vorgebracht wurden, dass die Europäische Union ihre Kompetenzen im Bereich des Sports über Gebühr ausdehnen würde. Die Phase der Kooperation Mit einem Weckruf von der indirekten Seite der Sportpolitik im Jahr 1995 wurde der Sport wieder verstärkt

auf den europäischen Plan gerufen. Das eingangs erwähnte Bosman-Urteil erschütterte weite Bereiche des professionellen Mannschaftssports in Europa. Insbesondere der professionelle Fußball mit seiner hochdotierten Transfer-Wirtschaft wurde von dem ohne Verzögerung umzusetzenden Urteil getroffen. Auch wenn dieses Urteil der indirekten Sportpolitik der Europäischen Union zuzusprechen ist, stellt es den Wendepunkt zwischen Koexistenz und Kooperation im Verhältnis von EU und Sport dar. Zwei Jahre nach dem Bosman-Urteil veröffentlicht das Europäische Parlament den Pack-Bericht, benannt nach der deutschen Abgeordneten Doris Pack, indem sich die Wende zur kooperativen Sportpolitik zwischen der Europäischen Union und dem selbstorganisierten Sport manifestiert. Der Pack-Bericht nimmt den Staffelstab des Larive-Berichts auf, um einen kooperativen und respektvollen Umgang von Sport und EU zu erreichen. Dabei wird – vor allen Dingen im Rückblick auf den Fall Bosman – darauf Wert gelegt, dass der Sport in seinen vielseitigen Erscheinungsformen und seiner Besonderheit von der EU zu berücksichtigen ist. Eine rein ökonomische Betrachtungsweise, wie sie der Europäische Gerichtshof zu dieser Zeit vornimmt, wird zurückgewiesen. Um dem Sport eine erhöhte Rechtssicherheit zu bieten und eine finanzielle Förderung rechtlich abzusichern, fordert der Bericht die Aufnahme des Sports in das Vertragswerk der EU. Zudem wird die Erarbeitung eines Grünbuches mit entsprechendem Aktionsplan vorgeschlagen. Die Forderungen nach der Nutzung der integrativen Wirkung und die Betonung einer europäischen Dimension werden im Pack-Bericht nicht mehr aufgenommen. Auch wenn der Pack-Bericht nicht die Aufnahme des Sports in das Vertragswerk bewirkt, so wird er doch in Form einer „Gemeinsamen Erklärung zum Sport“ als Protokollnotiz dem Vertrag von Amsterdam angefügt. Dieser Vermerk ist zwar nicht rechtlich bindend, stellt aber die erste Erwähnung des Sports im Rahmen des europäischen Vertragswerks überhaupt dar. Mit der kurzen Formulierung, dass man die Rolle F|I|T 02 | 2010

des Sports „bei der Begegnung der Menschen“ unterstreicht, wird auf die völkerverständigende Wirkung Bezug genommen. Mit dem Entwurf des Europäischen Sportmodells veröffentlicht die Europäische Kommission im Jahr 1998 ein Dokument, das den gemeinsamen Charakter der Sportorganisationen in Europa vorstellt. Der Aufbau der Vereins- und Verbandshierarchie des Sports in einer pyramidalen Struktur, sowie die Möglichkeit von Auf- und Abstieg von der untersten bis in die höchsten Ligen werden als besondere Merkmale des europäischen Sports herausgestellt. Neben der Abgrenzung zum stark kommerzialisierten amerikanischen Modell mit professionellen Ligen, kann dieser Entwurf auch als Darstellung einer gemeinsamen europäischen Dimension im Sport gesehen werden. Ob damit bewusst eine integrative Intention einherging ist allerdings zu bezweifeln, da die Absichten der Kommission damals stärker darin lagen, die Besonderheit des Sports und die wechselseitige Beziehung zwischen Hochleistungs- und Breitensport darzulegen. Im Dezember 1999 befasst sich dann der Europäische Rat in Helsinki wieder mit dem Sport und verabschiedet den sogenannten Helsinki-Report, in dem die Idee des Europäischen Sportmodells aufgenommen wird. Der Bericht fordert den Erhalt der bestehenden Sportstrukturen und die Wahrung der sozialen Funktion des Sports. Die Phase der Vor-Konstitutionalisierung Mit den Bemühungen den Sport in den Vertrag über eine Verfassung für Europa zu integrieren, setzten sich auch die Institutionen der Europäischen Union wieder vermehrt mit dem Sport auseinander. Im Rahmen der britischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2005 wurde die externe Studie „Independent European Sport Review“ in Auftrag gegeben, die unter der Leitung des ehemaligen portugiesischen Sportministers José Luís Arnaut umgesetzt wurde. Sie beschäftigte sich vorwiegend mit den Problemen des professionalisierten Fußballs und muss in gegebenen Zusammenhang nicht weiter betrachtet werden. 43


Ebenfalls mit diesem Thema setzte sich der „Bericht über die Zukunft des professionellen Fußballs“ ausein­ ander, der im Februar 2007 vom Europäischen Parlament veröffentlicht wurde. Der nach dem belgischen Abgeordneten Ivo Belet benannte Report reduziert sich im Wesentlichen ebenfalls auf die Betrachtung des europäischen Profi-Fußballs in seiner ökonomischen Perspektive. Mit der Erarbeitung des Vertrages über eine Verfassung für Europa ab 2003 schien der Sport erstmals den Sprung in den Rechtsrahmen der Europäischen Union zu schaffen. Neben den Formulierungen zur Berücksichtigung der Besonderheit des Sports, die schon in der Protokollnotiz des Vertrages von Amsterdam zu finden waren, wurden die europäischen Aspekte und die europäische Dimension des Sports aufgenommen: „Entwicklung der europäisc „Entwicklung der europäischen Dimension Sports durch der Fördehen Dimension des Sportsdes durch Förderung Fairrung der Fairness undness der und Offenheit von Sportwettkämpfen und der der Offenheit von Sportwettkämpfen und Zusammenarbeit zwischen den für den Sport verantwortlichen Orgader Zusammenarbeit zwischen den für den Sport vernisationen (…).“ Art.antwortlichen III-282 (1) Organisationen g) (…).“ Art. III-282 (1) g) Durch die negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte jedoch das In-KraftTreten der Verfassung. Daraufhin wurde, während der deutschen Ratspräsidentschaft 2007, der Vertrag von Lissabon erarbeitet, in dem die Ausführungen zum Sport ohne inhaltliche Änderungen übernommen wurden. Auch die Europäische Kommission verstärkte ihren Austausch mit dem organisierten Sport im Zusammenhang mit den Bemühungen den Sport in das Europäische Vertragswerk zu integrieren. Im Hinblick auf die zu erwartende Legitimierung durch die Einbettung im Vertrag von Lissabon begann die Europäische Kommission einen möglichen Handlungsrahmen abzustecken. Diese Vorarbeiten mündeten 2007 in der Veröffentlichung des Weißbuchs zum Sport, in dem die Europäische Kommission konkrete Aktivitäten und Maßnahmen benennt, die in Kooperation mit dem organisierten Sport und den Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollen. Nach eigener Aussage der Europäischen Kommission ist „diese Initiative (…) die erste umfassende Auseinandersetzung der Kommission mit dem Thema Sport. Sie soll eine strategische Ausrichtung der Rolle des Sports in Europa ermöglichen, eine Diskussion über bestimmte Probleme anregen, die Sichtbarkeit des Sports in der EU-Politik erhöhen und die Öffentlichkeit für die Bedürfnisse und Besonderheiten des Sportsektors sensibilisieren.“ (Europäische Kommission 2007). Dabei flossen alle bisherigen Erfahrungen und zusätzlichen Konsultationen in die Erarbeitung des Weißbuchs ein. Es beschäftigt sich mit 44

(1) der gesellschaftlichen Rolle des Sports, (2) der wirtschaftlichen Dimension des Sports und (3) der Organisation des Sports. Die europäische Dimension des Sports und die Wirkung auf die europäische Integration werden nicht behandelt, dass hierdurch jedoch beides durch die im Weißbuch genannten Maßnahmen beeinflusst wird, ist anzunehmen. Die Phase der Konstitutionalisierung Mit der Annahme des Lissabonner Vertrags im Jahre 2009 hat die Beziehung der EU mit dem Sport die Phase der Konstitutionalisierung erreicht. Mit der Aufnahme des Sports in das europäische Vertragswerk traten einige strukturelle Veränderungen in Kraft – z.B. gibt es jetzt eine offizielle Zuständigkeit für Sport im Rat der Europäischen Union (EUMinisterrat), in dem auch eine Arbeitsgruppe Sport eingerichtet wurde. Der Artikel 165 des Lissabonner Vertrags gibt der EU einige weiche Kompetenzen, die ihren Handlungsrahmen in Bezug auf den Sport erweitern, beispielsweise im Bereich der Koordinierung, finanziellen Unterstützung und anderer begleitender Aktivitäten. Die EU wird die Förderung und Weiterentwicklung der Europäischen Dimension im Sport vorantreiben, ohne dabei eine Harmonisierung anzustreben. Neben der Einrichtung einer Budgetlinie für ein EUSportprogramm wird die Verankerung des Sports im Vertragswerk zu einer verbesserten Berücksichtigung des Sports und seiner Besonderheiten in anderen Politikfeldern der EU führen. Insbesondere die Umsetzung des Aktionsplans Pierre de Coubertin aus dem Weißbuch Sport wird durch die erhöhten Mittel forciert werden. Ab 2014 besteht dann die Möglichkeit, dass der Sport eigenständig in den kommenden Finanzrahmen (2014 - 2020) integriert wird. All diese neuen Möglichkeiten sollten allerdings nicht die Tatsache verdecken, dass die Entscheidungskompetenzen für und im Sport weiterhin bei den Nationalstaaten respektive bei den autonomen Sportorganisationen liegen. Eine kürzlich publizierte Studie des Centrums für Europäische Politik bestätigt dies und stellt heraus, dass die Bedeutung der „Europäischen Dimension des Sports“ – wenn auch im Vertrag verankert – nicht überschätzt werden sollte (vgl. Jeck/Langner 2010). Die EU kann die integrative Kraft des Sports nicht steuern Die Europäische Union würde gerne eine stärkere Rolle im Sport spielen und ihn für ihre Zwecke nutzen. Das hat sie in den letzten 25 Jahren entsprechend gezeigt. Der Begriff der Europäischen Dimension und

die Idee, die Europäische Integration durch den Sport zu forcieren, ziehen sich in wechselnder Intensität durch die veröffentlichten Dokumente zum Sport. Die Versuche der Umsetzung scheitern größtenteils daran, dass sich der Sport selbst gestalten will und keinen inhaltlichen Eingriff zulässt. Nationale Erklärungen zur Autonomie des Sports in den jeweiligen Mitgliedsländern unterstützen dies. Die Mitgliedstaaten der EU haben bis heute ein nur sehr beschränktes Interesse an einer zu starken Einmischung der Europäischen Union im Bereich des Sports. Was der Sport letztendlich auf der anderen Seite von der Europäischen Union will, lässt sich im Wesentlichen in zwei Hauptzielen zusammenfassen: Rechtssicherheit Vor allen Dingen die hochprofessionalisierten und weit kommerzialisierten Sportarten wie Fußball benötigen und wollen keine kreative Unterstützung von der Europäischen Union. Das Einzige was – öffentlich natürlich nicht in dieser Singularität – wirklich gefordert wird, ist die Rechtssicherheit bei der Gestaltung und Umsetzung des professionellen Fußballs, um kein weiteres Bosman-Szenario zu erleben. Prinzipiell träumt der professionelle Fußball von den Zeiten vor Bosman, wo der Hund in Brüssel noch friedlich schlief und man schalten und walten konnte wie man wollte. Manche selbstherrlichen Aussagen von UEFA und FIFA zeigen dies deutlich. Finanzielle Unterstützung Die nicht-medialen bzw. medial weniger erfolgreichen Sportarten streben eine finanzielle Unterstützung durch die EU an, die auf der Basis der gegenwärtigen Gesetzeslage weit entfernt ist. Um die wirklich europaübergreifenden Themen und Probleme, die der Sport und die Mitgliedstaaten nicht allein bearbeiten konnte (oder wollte), wie z.B. Sport für Alle bzw. Sport als Grundrecht, Doping oder Gewalt bei Sportveranstaltungen, hat sich schon ab den 1960er Jahren der Europarat gekümmert: Er hat in diesem Sinne die Vorbereiterrolle übernommen. Die Europäische Union hat es mit der Erarbeitung des Weißbuchs zum Sport und dem Aktionsplan Pierre de Coubertin 2008 im Ansatz geschafft, diesen Staffelstab vom allmählich sich zurückziehenden Europarat zu übernehmen. Der Sport hat seit dem Zweiten Weltkrieg sicherlich einen großen Beitrag zur Verständigung zwischen den europäischen Völkern, aber auch weltweit geleistet. Der Europäischen Union ist es aber bis heute nicht gelungen, den Sport aktiv für die Vertiefung der europäischen Integration einzusetzen, ohne den Widerstand des selbstverwalteten Sports hervorzurufen. Mit der Zeit hat sich jedoch ein kooperatives Verhältnis entwickelt, das dem Sport weitgehend F|I|T 02 | 2010

die inhaltliche Gestaltung überlässt und in dem die Europäische Union erkannt hat, dass der Sport ihr nützlich sein kann, ohne dass sie stark regulierend eingreifen muss, sofern er sich den Regeln des freien Wettbewerbs und der Nicht-Diskriminierung unterwirft. Die integrative Kraft des Sports ist offensichtlich nicht von staatlicher oder überstaatlicher Stelle steuerbar. Die Europäische Union hat akzeptiert, sich in kooperativer Zurückhaltung auf den Schutz und die Förderung des Sports zu beschränken sowie die, bisher noch nicht endgültig definierte, Besonderheit des Sports so weit wie möglich in ihrer Rechtsnormierung und Rechtsauslegung zu beachten. Um den Sport als Brücke der Verständigung und als Teil der europäischen Integration zu nutzen, sollte die Europäische Union auf die inhärenten Kräfte des Sports vertrauen. Zu starke Steuerung könnte das Gegenteil bewirken. ◊ Literatur bei den Autoren.

Prof. mult. Dr. Walter Tokarski, geboren 1946 in Leverkusen, studierte Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität zu Köln. Hier promovierte er 1978 zum Dr. rer. pol. mit einer Arbeit zum Thema „Aspekte des Arbeitserlebens als Faktoren des Freizeit­ erlebens“. 1988 erfolgte die Habilitation an der Universität Kassel. Nach Arbeitsstationen an der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Kassel wurde er 1990 als Universitätsprofessor an die Deutsche Sporthochschule Köln gerufen. 1999 wurde er zum Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln gewählt und seitdem zwei Mal im Amt bestätigt. Seit 2006 ist er Präsident des European Network of Sport Science, Education and Employment (ENSSEE). E-Mail: tokarski@dshs-koeln.de

Christoph Fischer, geboren 1972 in Limburg/Lahn, studierte von 1996 bis 2002 Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Ökonomie und Management“ und das Zusatzzertifikat „Europäische Sportstudien“ an der Deutschen Sporthochschule Köln und der Université Montpellier I. Von 2004 bis 2005 arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung im Bereich der europäischen Studierendenmobilität. Danach war er für zwei Jahre als Bologna-Berater der Hochschulrektorenkonferenz und anschließend als Referent für Qualitätssicherung an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Seit 2008 ist er persönlicher Referent des Rektors. E-Mail: c.fischer@dshs-koeln.de

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Ebenfalls mit diesem Thema setzte sich der „Bericht über die Zukunft des professionellen Fußballs“ ausein­ ander, der im Februar 2007 vom Europäischen Parlament veröffentlicht wurde. Der nach dem belgischen Abgeordneten Ivo Belet benannte Report reduziert sich im Wesentlichen ebenfalls auf die Betrachtung des europäischen Profi-Fußballs in seiner ökonomischen Perspektive. Mit der Erarbeitung des Vertrages über eine Verfassung für Europa ab 2003 schien der Sport erstmals den Sprung in den Rechtsrahmen der Europäischen Union zu schaffen. Neben den Formulierungen zur Berücksichtigung der Besonderheit des Sports, die schon in der Protokollnotiz des Vertrages von Amsterdam zu finden waren, wurden die europäischen Aspekte und die europäische Dimension des Sports aufgenommen: „Entwicklung der europäisc „Entwicklung der europäischen Dimension Sports durch der Fördehen Dimension des Sportsdes durch Förderung Fairrung der Fairness undness der und Offenheit von Sportwettkämpfen und der der Offenheit von Sportwettkämpfen und Zusammenarbeit zwischen den für den Sport verantwortlichen Orgader Zusammenarbeit zwischen den für den Sport vernisationen (…).“ Art.antwortlichen III-282 (1) Organisationen g) (…).“ Art. III-282 (1) g) Durch die negativen Referenden in Frankreich und den Niederlanden scheiterte jedoch das In-KraftTreten der Verfassung. Daraufhin wurde, während der deutschen Ratspräsidentschaft 2007, der Vertrag von Lissabon erarbeitet, in dem die Ausführungen zum Sport ohne inhaltliche Änderungen übernommen wurden. Auch die Europäische Kommission verstärkte ihren Austausch mit dem organisierten Sport im Zusammenhang mit den Bemühungen den Sport in das Europäische Vertragswerk zu integrieren. Im Hinblick auf die zu erwartende Legitimierung durch die Einbettung im Vertrag von Lissabon begann die Europäische Kommission einen möglichen Handlungsrahmen abzustecken. Diese Vorarbeiten mündeten 2007 in der Veröffentlichung des Weißbuchs zum Sport, in dem die Europäische Kommission konkrete Aktivitäten und Maßnahmen benennt, die in Kooperation mit dem organisierten Sport und den Mitgliedstaaten umgesetzt werden sollen. Nach eigener Aussage der Europäischen Kommission ist „diese Initiative (…) die erste umfassende Auseinandersetzung der Kommission mit dem Thema Sport. Sie soll eine strategische Ausrichtung der Rolle des Sports in Europa ermöglichen, eine Diskussion über bestimmte Probleme anregen, die Sichtbarkeit des Sports in der EU-Politik erhöhen und die Öffentlichkeit für die Bedürfnisse und Besonderheiten des Sportsektors sensibilisieren.“ (Europäische Kommission 2007). Dabei flossen alle bisherigen Erfahrungen und zusätzlichen Konsultationen in die Erarbeitung des Weißbuchs ein. Es beschäftigt sich mit 44

(1) der gesellschaftlichen Rolle des Sports, (2) der wirtschaftlichen Dimension des Sports und (3) der Organisation des Sports. Die europäische Dimension des Sports und die Wirkung auf die europäische Integration werden nicht behandelt, dass hierdurch jedoch beides durch die im Weißbuch genannten Maßnahmen beeinflusst wird, ist anzunehmen. Die Phase der Konstitutionalisierung Mit der Annahme des Lissabonner Vertrags im Jahre 2009 hat die Beziehung der EU mit dem Sport die Phase der Konstitutionalisierung erreicht. Mit der Aufnahme des Sports in das europäische Vertragswerk traten einige strukturelle Veränderungen in Kraft – z.B. gibt es jetzt eine offizielle Zuständigkeit für Sport im Rat der Europäischen Union (EUMinisterrat), in dem auch eine Arbeitsgruppe Sport eingerichtet wurde. Der Artikel 165 des Lissabonner Vertrags gibt der EU einige weiche Kompetenzen, die ihren Handlungsrahmen in Bezug auf den Sport erweitern, beispielsweise im Bereich der Koordinierung, finanziellen Unterstützung und anderer begleitender Aktivitäten. Die EU wird die Förderung und Weiterentwicklung der Europäischen Dimension im Sport vorantreiben, ohne dabei eine Harmonisierung anzustreben. Neben der Einrichtung einer Budgetlinie für ein EUSportprogramm wird die Verankerung des Sports im Vertragswerk zu einer verbesserten Berücksichtigung des Sports und seiner Besonderheiten in anderen Politikfeldern der EU führen. Insbesondere die Umsetzung des Aktionsplans Pierre de Coubertin aus dem Weißbuch Sport wird durch die erhöhten Mittel forciert werden. Ab 2014 besteht dann die Möglichkeit, dass der Sport eigenständig in den kommenden Finanzrahmen (2014 - 2020) integriert wird. All diese neuen Möglichkeiten sollten allerdings nicht die Tatsache verdecken, dass die Entscheidungskompetenzen für und im Sport weiterhin bei den Nationalstaaten respektive bei den autonomen Sportorganisationen liegen. Eine kürzlich publizierte Studie des Centrums für Europäische Politik bestätigt dies und stellt heraus, dass die Bedeutung der „Europäischen Dimension des Sports“ – wenn auch im Vertrag verankert – nicht überschätzt werden sollte (vgl. Jeck/Langner 2010). Die EU kann die integrative Kraft des Sports nicht steuern Die Europäische Union würde gerne eine stärkere Rolle im Sport spielen und ihn für ihre Zwecke nutzen. Das hat sie in den letzten 25 Jahren entsprechend gezeigt. Der Begriff der Europäischen Dimension und

die Idee, die Europäische Integration durch den Sport zu forcieren, ziehen sich in wechselnder Intensität durch die veröffentlichten Dokumente zum Sport. Die Versuche der Umsetzung scheitern größtenteils daran, dass sich der Sport selbst gestalten will und keinen inhaltlichen Eingriff zulässt. Nationale Erklärungen zur Autonomie des Sports in den jeweiligen Mitgliedsländern unterstützen dies. Die Mitgliedstaaten der EU haben bis heute ein nur sehr beschränktes Interesse an einer zu starken Einmischung der Europäischen Union im Bereich des Sports. Was der Sport letztendlich auf der anderen Seite von der Europäischen Union will, lässt sich im Wesentlichen in zwei Hauptzielen zusammenfassen: Rechtssicherheit Vor allen Dingen die hochprofessionalisierten und weit kommerzialisierten Sportarten wie Fußball benötigen und wollen keine kreative Unterstützung von der Europäischen Union. Das Einzige was – öffentlich natürlich nicht in dieser Singularität – wirklich gefordert wird, ist die Rechtssicherheit bei der Gestaltung und Umsetzung des professionellen Fußballs, um kein weiteres Bosman-Szenario zu erleben. Prinzipiell träumt der professionelle Fußball von den Zeiten vor Bosman, wo der Hund in Brüssel noch friedlich schlief und man schalten und walten konnte wie man wollte. Manche selbstherrlichen Aussagen von UEFA und FIFA zeigen dies deutlich. Finanzielle Unterstützung Die nicht-medialen bzw. medial weniger erfolgreichen Sportarten streben eine finanzielle Unterstützung durch die EU an, die auf der Basis der gegenwärtigen Gesetzeslage weit entfernt ist. Um die wirklich europaübergreifenden Themen und Probleme, die der Sport und die Mitgliedstaaten nicht allein bearbeiten konnte (oder wollte), wie z.B. Sport für Alle bzw. Sport als Grundrecht, Doping oder Gewalt bei Sportveranstaltungen, hat sich schon ab den 1960er Jahren der Europarat gekümmert: Er hat in diesem Sinne die Vorbereiterrolle übernommen. Die Europäische Union hat es mit der Erarbeitung des Weißbuchs zum Sport und dem Aktionsplan Pierre de Coubertin 2008 im Ansatz geschafft, diesen Staffelstab vom allmählich sich zurückziehenden Europarat zu übernehmen. Der Sport hat seit dem Zweiten Weltkrieg sicherlich einen großen Beitrag zur Verständigung zwischen den europäischen Völkern, aber auch weltweit geleistet. Der Europäischen Union ist es aber bis heute nicht gelungen, den Sport aktiv für die Vertiefung der europäischen Integration einzusetzen, ohne den Widerstand des selbstverwalteten Sports hervorzurufen. Mit der Zeit hat sich jedoch ein kooperatives Verhältnis entwickelt, das dem Sport weitgehend F|I|T 02 | 2010

die inhaltliche Gestaltung überlässt und in dem die Europäische Union erkannt hat, dass der Sport ihr nützlich sein kann, ohne dass sie stark regulierend eingreifen muss, sofern er sich den Regeln des freien Wettbewerbs und der Nicht-Diskriminierung unterwirft. Die integrative Kraft des Sports ist offensichtlich nicht von staatlicher oder überstaatlicher Stelle steuerbar. Die Europäische Union hat akzeptiert, sich in kooperativer Zurückhaltung auf den Schutz und die Förderung des Sports zu beschränken sowie die, bisher noch nicht endgültig definierte, Besonderheit des Sports so weit wie möglich in ihrer Rechtsnormierung und Rechtsauslegung zu beachten. Um den Sport als Brücke der Verständigung und als Teil der europäischen Integration zu nutzen, sollte die Europäische Union auf die inhärenten Kräfte des Sports vertrauen. Zu starke Steuerung könnte das Gegenteil bewirken. ◊ Literatur bei den Autoren.

Prof. mult. Dr. Walter Tokarski, geboren 1946 in Leverkusen, studierte Volkswirtschaftslehre, Soziologie und Sozialpsychologie an der Universität zu Köln. Hier promovierte er 1978 zum Dr. rer. pol. mit einer Arbeit zum Thema „Aspekte des Arbeitserlebens als Faktoren des Freizeit­ erlebens“. 1988 erfolgte die Habilitation an der Universität Kassel. Nach Arbeitsstationen an der Ruhr-Universität Bochum und der Universität Kassel wurde er 1990 als Universitätsprofessor an die Deutsche Sporthochschule Köln gerufen. 1999 wurde er zum Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln gewählt und seitdem zwei Mal im Amt bestätigt. Seit 2006 ist er Präsident des European Network of Sport Science, Education and Employment (ENSSEE). E-Mail: tokarski@dshs-koeln.de

Christoph Fischer, geboren 1972 in Limburg/Lahn, studierte von 1996 bis 2002 Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt „Ökonomie und Management“ und das Zusatzzertifikat „Europäische Sportstudien“ an der Deutschen Sporthochschule Köln und der Université Montpellier I. Von 2004 bis 2005 arbeitete er als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung im Bereich der europäischen Studierendenmobilität. Danach war er für zwei Jahre als Bologna-Berater der Hochschulrektorenkonferenz und anschließend als Referent für Qualitätssicherung an der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Seit 2008 ist er persönlicher Referent des Rektors. E-Mail: c.fischer@dshs-koeln.de

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Sportpolitik: Arbeitsfeld von Staat und Bürgerorganisationen In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Sport zu einem prägenden Faktor des individuellen Lebensstils und zu einer dynamischen Kraft unserer Gesellschaft geworden. Diese Entwicklung ist eine Antwort auf grundlegende Veränderungen der Le­ bensbedingungen; sie resultiert vielfach aus nahezu spontanen Entscheidungen der Bürger, die sich zur aktiven Annahme eines Sportangebots entschlie­ ßen, häufig aber auch aus großflächig betriebenen Initiativen planender und politisch orientierter Ak­ teure. Der „Politik“-Begriff weckt wohl immer noch zu­ nächst Vorstellungen von staatlichem Handeln, doch dieses Verständnis ist, auf den Sport bezo­ gen, unzureichend. Politik als gestaltende Kraft des Lebens (in) einer Gesellschaft orientiert sich am Gemeinwohl und – in einer Demokratie – am Bürgerrecht auf Mitwirkung und weitgehende Selbstgestaltung. Diese Verbindung von staatlicher Aktivität mit eigenständigem Handeln der Bürger wird in keinem anderen Bereich in einer solchen Dimension und Intensität realisiert wie gerade in der Sportpolitik. Mehr als 90.000 Institutionen unterschiedlichster Art – vom kleinen örtlichen Verein bis zu den nati­ onalen Dachorganisationen, die ihrerseits weltweit agierenden Netzen angehören, vom städtischen Sportamt bis zur Sportminister-Konferenz, von der Volkshochschule bis zur Trainer-Akademie – verfol­ gen in der Bundesrepublik Deutschland sportpoli­ tische Ziele. Es geht ihnen darum, Bedingungen zu schaffen, zu erhalten oder zu verbessern, die es allen in diesem Lande lebenden Menschen ermöglichen, Bewegung, Spiel und Sport in ihre Lebensführung zu integrieren. Dies gilt für alle Altersgruppen und soziale Schichten, unabhängig von Geschlecht, Her­ kunft, kultureller Bindung, spezifischer Begabung, gesundheitlichem Status, sonstigen Interessen etc. Die extreme Heterogenität menschlicher Lebenssi­ tuationen erklärt die ebenso extreme Bandbreite sportlicher Aktivitäten – vom Babyschwimmen bis zu gymnastischen Übungen im Alter, vom Jugend­ training bis zur olympischen Spitzenleistung – und die außerordentliche Vielfalt der Rahmenbedin­ gungen, innerhalb derer sie sich entfalten können. Hierzu gehören Räume und Materialien, planendes und durchführendes, insbesondere aber spezifisch qualifiziertes Personal, nicht zuletzt auch Finanz­ mittel. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, bedarf es langfristig orientierter Strategien, zu deren Kon­

Das Handwerkszeug der Sportpolitik oder: Was sportpolitische Akteure können sollten

Text Walfried König Fotos DSHS-Pressestelle

Fachspezifische Kenntnisse sind für jeden Arbeitnehmer unverzichtbar, um zu Erfolg zu gelangen. Dies gilt auch für sportpolitische Akteure, deren Handeln geprägt sein sollte durch die Orientierung am Gemeinwohl der Gesellschaft. Um die gesetzten Ziele zu er­ reichen, sind Strategien erforderlich, zu deren Konzipierung und Realisierung präzise Kenntnisse der Strukturen sowie der fördernden oder behindernden Faktoren notwendig sind. Dieses Handwerkszeug der Sportpolitik wird im Folgenden erörtert.

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F|I|T 02 | 2010

zipierung und Realisierung präzise Kenntnisse der Strukturen sowie der fördernden oder behindernden Faktoren vonnöten sind. Das Handwerkszeug Der Verfasser dieses Artikels geht von der Erwar­ tung aus, dass die meisten der Sportstudierenden nach erfolgreichem Abschluss einen Arbeitsplatz suchen, an dem sie an der Entwicklung des Sports gestaltend mitwirken, sich also sportpolitisch enga­ gieren können. Es stellt sich damit die Frage nach der erforderlichen Grundausstattung, ihrem Hand­ werkszeug. Letztlich ist es dieselbe Frage, die auch die Sportorganisationen bei den Entscheidungen über ihre Programme zur Aus- und Fortbildung ihres haupt- und ehrenamtlich tätigen Personals immer wieder beantworten müssen, wobei sie allerdings zusätzlich auf jeweils aktuelle Problemstellungen reagieren müssen. Unterschiede, die aus der Ver­ pflichtung der Hochschule zur Wissenschaftlichkeit einerseits und aus dem notwendigerweise engeren Anwendungsbezug bei den Verbänden resultieren, können hier nicht differenziert erörtert werden. Natürlich besteht eine generelle Voraussetzung in grundsätzlicher Aufgeschlossenheit für gesell­ schaftliche Entwicklungen und das Geschehen im gesamtpolitischen Leben, dies umso mehr, als der Sport im Zuge seiner Ausdehnung mit einer seit Jahrzehnten kontinuierlich gewachsenen Zahl an­ derer Politikbereiche verflochten worden ist: mal suchen die Vereine und Verbände diese Verbindung selbst, z.B. mit Einrichtungen des Bildungswesens oder der Sozialpolitik, mal ergibt sie sich aus der Nutzung des Sports als ein Instrument zur Errei­ chung anderer Ziele, z.B. in der Gesundheitspolitik. Doch neben solcher Sensibilität, die mit wenigstens grundsätzlichen Informationen über das jeweilige Kooperationsfeld angereichert sein sollte, sind für den sportpolitischen Akteur fachspezifische Kennt­ nisse unverzichtbar, die die folgenden Bereiche ab­ decken müssen: · · ·

Institutionen und Zuständigkeiten Arbeits- und Entwicklungsfelder Abläufe von Entscheidungsund Durchsetzungsprozessen

Institutionen und Zuständigkeiten Mag der Blick von außen auf die Welt des Sports, bedingt durch die Vielzahl und die Unterschied­ lichkeit der Institutionen, auch zunächst den Ein­ druck eines undurchschaubaren Chaos‘ vermitteln, herrscht dort in Wirklichkeit doch eine sinnvolle 47


Sportpolitik: Arbeitsfeld von Staat und Bürgerorganisationen In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist der Sport zu einem prägenden Faktor des individuellen Lebensstils und zu einer dynamischen Kraft unserer Gesellschaft geworden. Diese Entwicklung ist eine Antwort auf grundlegende Veränderungen der Le­ bensbedingungen; sie resultiert vielfach aus nahezu spontanen Entscheidungen der Bürger, die sich zur aktiven Annahme eines Sportangebots entschlie­ ßen, häufig aber auch aus großflächig betriebenen Initiativen planender und politisch orientierter Ak­ teure. Der „Politik“-Begriff weckt wohl immer noch zu­ nächst Vorstellungen von staatlichem Handeln, doch dieses Verständnis ist, auf den Sport bezo­ gen, unzureichend. Politik als gestaltende Kraft des Lebens (in) einer Gesellschaft orientiert sich am Gemeinwohl und – in einer Demokratie – am Bürgerrecht auf Mitwirkung und weitgehende Selbstgestaltung. Diese Verbindung von staatlicher Aktivität mit eigenständigem Handeln der Bürger wird in keinem anderen Bereich in einer solchen Dimension und Intensität realisiert wie gerade in der Sportpolitik. Mehr als 90.000 Institutionen unterschiedlichster Art – vom kleinen örtlichen Verein bis zu den nati­ onalen Dachorganisationen, die ihrerseits weltweit agierenden Netzen angehören, vom städtischen Sportamt bis zur Sportminister-Konferenz, von der Volkshochschule bis zur Trainer-Akademie – verfol­ gen in der Bundesrepublik Deutschland sportpoli­ tische Ziele. Es geht ihnen darum, Bedingungen zu schaffen, zu erhalten oder zu verbessern, die es allen in diesem Lande lebenden Menschen ermöglichen, Bewegung, Spiel und Sport in ihre Lebensführung zu integrieren. Dies gilt für alle Altersgruppen und soziale Schichten, unabhängig von Geschlecht, Her­ kunft, kultureller Bindung, spezifischer Begabung, gesundheitlichem Status, sonstigen Interessen etc. Die extreme Heterogenität menschlicher Lebenssi­ tuationen erklärt die ebenso extreme Bandbreite sportlicher Aktivitäten – vom Babyschwimmen bis zu gymnastischen Übungen im Alter, vom Jugend­ training bis zur olympischen Spitzenleistung – und die außerordentliche Vielfalt der Rahmenbedin­ gungen, innerhalb derer sie sich entfalten können. Hierzu gehören Räume und Materialien, planendes und durchführendes, insbesondere aber spezifisch qualifiziertes Personal, nicht zuletzt auch Finanz­ mittel. Um die gesetzten Ziele zu erreichen, bedarf es langfristig orientierter Strategien, zu deren Kon­

Das Handwerkszeug der Sportpolitik oder: Was sportpolitische Akteure können sollten

Text Walfried König Fotos DSHS-Pressestelle

Fachspezifische Kenntnisse sind für jeden Arbeitnehmer unverzichtbar, um zu Erfolg zu gelangen. Dies gilt auch für sportpolitische Akteure, deren Handeln geprägt sein sollte durch die Orientierung am Gemeinwohl der Gesellschaft. Um die gesetzten Ziele zu er­ reichen, sind Strategien erforderlich, zu deren Konzipierung und Realisierung präzise Kenntnisse der Strukturen sowie der fördernden oder behindernden Faktoren notwendig sind. Dieses Handwerkszeug der Sportpolitik wird im Folgenden erörtert.

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zipierung und Realisierung präzise Kenntnisse der Strukturen sowie der fördernden oder behindernden Faktoren vonnöten sind. Das Handwerkszeug Der Verfasser dieses Artikels geht von der Erwar­ tung aus, dass die meisten der Sportstudierenden nach erfolgreichem Abschluss einen Arbeitsplatz suchen, an dem sie an der Entwicklung des Sports gestaltend mitwirken, sich also sportpolitisch enga­ gieren können. Es stellt sich damit die Frage nach der erforderlichen Grundausstattung, ihrem Hand­ werkszeug. Letztlich ist es dieselbe Frage, die auch die Sportorganisationen bei den Entscheidungen über ihre Programme zur Aus- und Fortbildung ihres haupt- und ehrenamtlich tätigen Personals immer wieder beantworten müssen, wobei sie allerdings zusätzlich auf jeweils aktuelle Problemstellungen reagieren müssen. Unterschiede, die aus der Ver­ pflichtung der Hochschule zur Wissenschaftlichkeit einerseits und aus dem notwendigerweise engeren Anwendungsbezug bei den Verbänden resultieren, können hier nicht differenziert erörtert werden. Natürlich besteht eine generelle Voraussetzung in grundsätzlicher Aufgeschlossenheit für gesell­ schaftliche Entwicklungen und das Geschehen im gesamtpolitischen Leben, dies umso mehr, als der Sport im Zuge seiner Ausdehnung mit einer seit Jahrzehnten kontinuierlich gewachsenen Zahl an­ derer Politikbereiche verflochten worden ist: mal suchen die Vereine und Verbände diese Verbindung selbst, z.B. mit Einrichtungen des Bildungswesens oder der Sozialpolitik, mal ergibt sie sich aus der Nutzung des Sports als ein Instrument zur Errei­ chung anderer Ziele, z.B. in der Gesundheitspolitik. Doch neben solcher Sensibilität, die mit wenigstens grundsätzlichen Informationen über das jeweilige Kooperationsfeld angereichert sein sollte, sind für den sportpolitischen Akteur fachspezifische Kennt­ nisse unverzichtbar, die die folgenden Bereiche ab­ decken müssen: · · ·

Institutionen und Zuständigkeiten Arbeits- und Entwicklungsfelder Abläufe von Entscheidungsund Durchsetzungsprozessen

Institutionen und Zuständigkeiten Mag der Blick von außen auf die Welt des Sports, bedingt durch die Vielzahl und die Unterschied­ lichkeit der Institutionen, auch zunächst den Ein­ druck eines undurchschaubaren Chaos‘ vermitteln, herrscht dort in Wirklichkeit doch eine sinnvolle 47


„Unser wichtigster Partner in der Sportpolitik ist der organisierte Sport, insbesondere der Landessportbund mit seinen fünf Millionen Mitgliedern und 20.000 Vereinen. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass alle Menschen in unserem Land guten Zugang zum Sport haben.“ Ute Schäfer, NRW-Sportministerin

Ordnung, die im übrigen den Forderungen des Grundgesetzes und den Gegebenheiten des födera­ listischen Staatsaufbaus sowie dem Ziel einer um­ fassenden Freiheit der Bürger zur Selbstgestaltung ihrer Angelegenheiten im Rahmen der gesetzlichen Schranken entspricht. Der ers­te Blick muss der ver­ tikalen Trennung der Aufgaben gelten. Die Sport­ vereine, Stadt- und Kreissportbünde sowie die Ver­ bände auf Landes- und Bundesebene organisieren das sportliche Angebot in größtmöglicher Eigen­ verantwortlichkeit und vertreten die Anliegen ihrer Mitglieder und sonstiger Sportinteressenten gegen­ über den Institutionen der Öffentlichen Hand auf den verschiedenen, in der jeweiligen Sache zustän­ digen Ebenen, von denen sie je nach Bedarfslage und unter strenger Beachtung des Subsidiaritäts­ prinzips unterstützt werden. Diese zumeist finan­ ziellen Hilfeleistungen orientieren sich, anders als z.B. in der Sozialpolitik, seltener an Gesetzen als an Richtlinien und Förderprogrammen, auf die seitens der Organisationen leichter Einfluss genommen werden kann. Der Staat (Bund, Länder und Kom­ munen) erkennt die Eigenständigkeit der Vereine und ihrer Dachverbände sowie die spezifischen Merkmale des Sports bis in deren eigene Gerichts­ barkeit hinein an. Allerdings zieht die gewachsene Bedeutung des Sports in bildungs-, gesundheitsund sozialpolitischer sowie ökonomischer Hinsicht, zusätzlich auch wegen seiner Gefährdung durch Ge­ walt, Doping und Kommerzialisierung, immer häu­ figer staatliche Interventionen nach sich, wobei der Grat zwischen benötigter Hilfe und ungewünschter Maßnahme oft sehr schmal ist. Der Staat legt sich dabei im Hinblick auf gesetzgeberische Möglich­ keiten strenge Zurückhaltung auf. Umso wichtiger ist es für den sportpolitisch Agierenden, über eine möglichst genaue Kenntnis der bestehenden Rege­ lungen verfügen zu können, die er im Idealfall mit eigenen, möglichst breiten im Vereinsleben gewon­ nenen Erfahrungen verknüpfen kann. Er muss die Bedeutung von Satzungen und Ord­ nungen für die Vereine, Bünde und Verbände ken­ nen sowie deren Verhältnis untereinander, z.B. 48

im Hinblick auf Rechte und Pflichten, auf die Aus- und Fortbildung von Personal oder auf die wechselseitigen Finanzbeziehungen. Ebenso kla­ re Vorstellungen braucht der Sportpolitiker von den Zuständigkeiten auf den verschiedenen Ebe­ nen der Öffentlichen Hand (mit der vom Grundge­ setz vorgegebenen zentralen Rolle der Länder und Kommunen in der Sportförderung und der eher bescheidenen bzw. nur für die Finanzierung des Spitzensports gewichtigen Funktion des Bundes), dazu vom Zusammenspiel zwischen den jeweiligen parlamentarischen Gremien und den Regierungen bzw. Verwaltungen sowie von den Instrumenten der Koordinierung der Sportpolitik, die in einem derart föderalistischen System der Teilung von Macht na­ türlich auf jeder Ebene erforderlich sind. Die Kenntnis der zahlreichen Stiftungen (z.B. Deutsche Sporthilfe, Stiftung Nachwuchsleistungs­ sport Nordrhein-Westfalen, Sepp-Herberger-Stif­ tung, Nationale Anti-Doping Agentur …) sowie der wichtigen Institute (z.B. Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Institut für angewandte Trai­ ningswissenschaft, Forschungs­stelle für die Ent­ wicklung von Sportgerä­ten) und der Akademien (z.B. Trainer-Akademie, Führungs-Akademie etc.) müssen den Informationsstand ergänzen. Analoge Feststellungen gelten für den internationalen Be­ reich. Auch hier gehört präzises Wissen über die handelnden Institutionen (vom nationalen Verband mit seinen sich von Deutschland häufig unter­ scheidenden Strukturen und seiner Rolle im dor­ tigen Staatssystem bis zum IOC, von der nationalen Regierung bis zur Europäischen Union oder zur UNESCO), über ihren Auftrag und ihre Aktivitäten (konzeptionelle Arbeit, Fördermaßnahmen, Or­ ganisation von Wettbewerben etc.) zu den unver­ zichtbaren Voraussetzungen für ein erfolgreiches sportpolitisch­es Engagement. Arbeits- und Entwicklungsfelder Der sportpolitisch Tätige muss sein Arbeitsfeld definieren (können). Dies gilt für den Vereinsge­ schäftsführer ebenso wie für den Direktor beim

Spitzenverband oder beim DOSB, für den Mitar­ beiter im städtischen Sportamt wie für den SportReferenten in einem Ministerium, für den Leiter der Weiterbildungseinrichtung oder der Sportschu­ le eines Verbands wie für den Entwicklungshelfer mit sportbezogenem Auftrag in Afrika. Jeder von ihnen muss in der Lage sein, aus einer gründlichen Bestandsaufnahme im jeweiligen Sach- bzw. Pro­ blembereich die richtigen und realisierbaren Konse­ quenzen für das weitere Handeln zur Entwicklung des Sports abzuleiten und evtl. als längerfristiges Programm zu konzipieren. Er sollte die oft hervor­ ragenden und bewährten Beispiele kennen, die in nahezu allen Bereichen existieren, ob es sich um Modelle der Talentsichtung und -förderung handelt, um die Entwicklung von Angeboten für chronisch Kranke oder Behinderte, um Sonderaspekte im Breitensport oder im Leistungssport, um Beispiele von funktionierenden Kooperationen mit Schulen, Volkshochschulen oder Krankenkassen, um Bauoder Ausstattungsmaßnahmen … Sie alle laden zur Orientierung, Bewertung und Prüfung auf Übertrag­ barkeit in den eigenen Zuständigkeitsbereich ein. Zur bloßen Kenntnis sollten Kreativität und die Fähigkeit zu strategischem Denken hinzukommen, am besten auch in Verbindung mit ökonomischen Erwägungen, für die mindestens geringe betriebs­ wirtschaftliche Kenntnisse vorhanden sein sollten. Abläufe von Entscheidungsund Durchsetzungsprozessen Der sportpolitisch Tätige muss fähig sein, für sich, ggf. auch für seine Institution und die Mitarbeiter, klare Ziele zu setzen und die notwendigen Arbeits­ schritte zu definieren bzw. zu beurteilen. Dabei sind fördernde oder behindernde Faktoren zu berücksich­ tigen, die evtl. von Partnern zu erwarten sind, was eine gute Kenntnis dieser Institutionen und ihrer Existenzbedingungen voraussetzt. Entscheidungs­ wege müssen bekannt sein. Wer beispielsweise bei einer geplanten Aktivität, welcher Dimension auch immer, von der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln abhängt, muss wissen, wie der Haushalt vorbereitet wird und wann und wo lobbyistische Bemühungen am ehesten Erfolg versprechen. Bei der Realisierung eines Projekts wächst die Erfolgswahrscheinlichkeit mit der Regelmäßigkeit und der Qualität von Con­ trolling-Maßnahmen, die allerdings auch technisch beherrscht werden müssen, wenn schädliche, durch

unangemessenes und unökonomisches Handeln eintretende Effekte vermieden werden sollen. Verfügbarkeit des Handwerkzeugs als Voraussetzung erfolgreicher Arbeit Mancher Leser dieser Ausführungen mag die an den Sportpolitiker gerichteten Anforderungen für zu weitgehend halten. Die Antwort auf solche Beden­ ken kann nur im Hinweis auf die dann zwangsläu­ fig geringere Qualität des Engagements bestehen. Der Verfasser möchte auf der Basis jahrzehntelan­ ger Erfahrung darauf hinweisen, dass zahllose Fäl­ le des Scheiterns in der kleinen wie in der großen Sportpolitik sich mit unzureichenden Kenntnissen der handelnden Personen bzw. Institutionen erklä­ ren lassen: vom an die falsche Adresse gerichteten Antrag auf Förderung oder von der durch Unkennt­ nis bedingten falschen Behandlung von Koopera­ tionspartnern bis zur erfolglosen Bewerbung um internationale Großveranstaltungen, vom Problem des mittelgroßen Vereins mit dem Finanzamt bis zu unbegründbaren Erwartungen an EU-Fördermittel, von Fehlinvestitionen bei Sportstätten bis zu Ent­ wicklungshilfe-Maßnahmen, die keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Diese Liste könnte erheblich verlängert werden. Anders gesagt: so erfolgreich die deutsche Sportpolitik in der Gesamtsumme auch ist, lassen sich doch deutliche Verbesserungen erzielen, wenn die Effizienz des Einsatzes an Hoff­ nung und Ideen, an Mut und Kraft, an Material und Geld durch die jederzeitige Verfügbarkeit des Handwerkszeugs gesteigert wird, das der sportpolitische Akteur für den Erfolg braucht. ◊ Literatur beim Autor.

Mehr als 90.000 Institutionen unterschiedlichster Art verfolgen in der Bundesrepublik Deutschland sportpolitische Ziele.

Prof. Dr. h.c. Walfried König, geboren 1938 in Bad Oeynhausen, studierte von 1958 bis 1964 Sportwissenschaft, Romanistik, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten in Freiburg, Grenoble, Münster und Hamburg. 1975 wurde er in das damals für den Sport in Nordrhein-Westfalen zuständige Kultusministerium berufen. In seinen Funktionen in der Landesregierung war er bis zum Eintritt in den Ruhestand (2001) an allen wichtigen Entwicklungen des Sports beteiligt. Er vertrat das Land in der Kultusminister- und auch in der Sportminister-Konferenz, ebenso die Gesamtheit der (Bundes-)Länder 27 Jahre lang in der internationalen Sportpolitik. Seit 1988 unterrichtet er an der DSHS über „strukturelle und ökonomische Aspekte der Sportpolitik“, seit 2002 zusätzlich an der Universität Lille über „Europäische Sportpolitik“. E-Mail: Walfried.Koenig@tele2.de

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„Unser wichtigster Partner in der Sportpolitik ist der organisierte Sport, insbesondere der Landessportbund mit seinen fünf Millionen Mitgliedern und 20.000 Vereinen. Gemeinsam wollen wir dafür sorgen, dass alle Menschen in unserem Land guten Zugang zum Sport haben.“ Ute Schäfer, NRW-Sportministerin

Ordnung, die im übrigen den Forderungen des Grundgesetzes und den Gegebenheiten des födera­ listischen Staatsaufbaus sowie dem Ziel einer um­ fassenden Freiheit der Bürger zur Selbstgestaltung ihrer Angelegenheiten im Rahmen der gesetzlichen Schranken entspricht. Der ers­te Blick muss der ver­ tikalen Trennung der Aufgaben gelten. Die Sport­ vereine, Stadt- und Kreissportbünde sowie die Ver­ bände auf Landes- und Bundesebene organisieren das sportliche Angebot in größtmöglicher Eigen­ verantwortlichkeit und vertreten die Anliegen ihrer Mitglieder und sonstiger Sportinteressenten gegen­ über den Institutionen der Öffentlichen Hand auf den verschiedenen, in der jeweiligen Sache zustän­ digen Ebenen, von denen sie je nach Bedarfslage und unter strenger Beachtung des Subsidiaritäts­ prinzips unterstützt werden. Diese zumeist finan­ ziellen Hilfeleistungen orientieren sich, anders als z.B. in der Sozialpolitik, seltener an Gesetzen als an Richtlinien und Förderprogrammen, auf die seitens der Organisationen leichter Einfluss genommen werden kann. Der Staat (Bund, Länder und Kom­ munen) erkennt die Eigenständigkeit der Vereine und ihrer Dachverbände sowie die spezifischen Merkmale des Sports bis in deren eigene Gerichts­ barkeit hinein an. Allerdings zieht die gewachsene Bedeutung des Sports in bildungs-, gesundheitsund sozialpolitischer sowie ökonomischer Hinsicht, zusätzlich auch wegen seiner Gefährdung durch Ge­ walt, Doping und Kommerzialisierung, immer häu­ figer staatliche Interventionen nach sich, wobei der Grat zwischen benötigter Hilfe und ungewünschter Maßnahme oft sehr schmal ist. Der Staat legt sich dabei im Hinblick auf gesetzgeberische Möglich­ keiten strenge Zurückhaltung auf. Umso wichtiger ist es für den sportpolitisch Agierenden, über eine möglichst genaue Kenntnis der bestehenden Rege­ lungen verfügen zu können, die er im Idealfall mit eigenen, möglichst breiten im Vereinsleben gewon­ nenen Erfahrungen verknüpfen kann. Er muss die Bedeutung von Satzungen und Ord­ nungen für die Vereine, Bünde und Verbände ken­ nen sowie deren Verhältnis untereinander, z.B. 48

im Hinblick auf Rechte und Pflichten, auf die Aus- und Fortbildung von Personal oder auf die wechselseitigen Finanzbeziehungen. Ebenso kla­ re Vorstellungen braucht der Sportpolitiker von den Zuständigkeiten auf den verschiedenen Ebe­ nen der Öffentlichen Hand (mit der vom Grundge­ setz vorgegebenen zentralen Rolle der Länder und Kommunen in der Sportförderung und der eher bescheidenen bzw. nur für die Finanzierung des Spitzensports gewichtigen Funktion des Bundes), dazu vom Zusammenspiel zwischen den jeweiligen parlamentarischen Gremien und den Regierungen bzw. Verwaltungen sowie von den Instrumenten der Koordinierung der Sportpolitik, die in einem derart föderalistischen System der Teilung von Macht na­ türlich auf jeder Ebene erforderlich sind. Die Kenntnis der zahlreichen Stiftungen (z.B. Deutsche Sporthilfe, Stiftung Nachwuchsleistungs­ sport Nordrhein-Westfalen, Sepp-Herberger-Stif­ tung, Nationale Anti-Doping Agentur …) sowie der wichtigen Institute (z.B. Bundesinstitut für Sportwissenschaft, Institut für angewandte Trai­ ningswissenschaft, Forschungs­stelle für die Ent­ wicklung von Sportgerä­ten) und der Akademien (z.B. Trainer-Akademie, Führungs-Akademie etc.) müssen den Informationsstand ergänzen. Analoge Feststellungen gelten für den internationalen Be­ reich. Auch hier gehört präzises Wissen über die handelnden Institutionen (vom nationalen Verband mit seinen sich von Deutschland häufig unter­ scheidenden Strukturen und seiner Rolle im dor­ tigen Staatssystem bis zum IOC, von der nationalen Regierung bis zur Europäischen Union oder zur UNESCO), über ihren Auftrag und ihre Aktivitäten (konzeptionelle Arbeit, Fördermaßnahmen, Or­ ganisation von Wettbewerben etc.) zu den unver­ zichtbaren Voraussetzungen für ein erfolgreiches sportpolitisch­es Engagement. Arbeits- und Entwicklungsfelder Der sportpolitisch Tätige muss sein Arbeitsfeld definieren (können). Dies gilt für den Vereinsge­ schäftsführer ebenso wie für den Direktor beim

Spitzenverband oder beim DOSB, für den Mitar­ beiter im städtischen Sportamt wie für den SportReferenten in einem Ministerium, für den Leiter der Weiterbildungseinrichtung oder der Sportschu­ le eines Verbands wie für den Entwicklungshelfer mit sportbezogenem Auftrag in Afrika. Jeder von ihnen muss in der Lage sein, aus einer gründlichen Bestandsaufnahme im jeweiligen Sach- bzw. Pro­ blembereich die richtigen und realisierbaren Konse­ quenzen für das weitere Handeln zur Entwicklung des Sports abzuleiten und evtl. als längerfristiges Programm zu konzipieren. Er sollte die oft hervor­ ragenden und bewährten Beispiele kennen, die in nahezu allen Bereichen existieren, ob es sich um Modelle der Talentsichtung und -förderung handelt, um die Entwicklung von Angeboten für chronisch Kranke oder Behinderte, um Sonderaspekte im Breitensport oder im Leistungssport, um Beispiele von funktionierenden Kooperationen mit Schulen, Volkshochschulen oder Krankenkassen, um Bauoder Ausstattungsmaßnahmen … Sie alle laden zur Orientierung, Bewertung und Prüfung auf Übertrag­ barkeit in den eigenen Zuständigkeitsbereich ein. Zur bloßen Kenntnis sollten Kreativität und die Fähigkeit zu strategischem Denken hinzukommen, am besten auch in Verbindung mit ökonomischen Erwägungen, für die mindestens geringe betriebs­ wirtschaftliche Kenntnisse vorhanden sein sollten. Abläufe von Entscheidungsund Durchsetzungsprozessen Der sportpolitisch Tätige muss fähig sein, für sich, ggf. auch für seine Institution und die Mitarbeiter, klare Ziele zu setzen und die notwendigen Arbeits­ schritte zu definieren bzw. zu beurteilen. Dabei sind fördernde oder behindernde Faktoren zu berücksich­ tigen, die evtl. von Partnern zu erwarten sind, was eine gute Kenntnis dieser Institutionen und ihrer Existenzbedingungen voraussetzt. Entscheidungs­ wege müssen bekannt sein. Wer beispielsweise bei einer geplanten Aktivität, welcher Dimension auch immer, von der Verfügbarkeit von Haushaltsmitteln abhängt, muss wissen, wie der Haushalt vorbereitet wird und wann und wo lobbyistische Bemühungen am ehesten Erfolg versprechen. Bei der Realisierung eines Projekts wächst die Erfolgswahrscheinlichkeit mit der Regelmäßigkeit und der Qualität von Con­ trolling-Maßnahmen, die allerdings auch technisch beherrscht werden müssen, wenn schädliche, durch

unangemessenes und unökonomisches Handeln eintretende Effekte vermieden werden sollen. Verfügbarkeit des Handwerkzeugs als Voraussetzung erfolgreicher Arbeit Mancher Leser dieser Ausführungen mag die an den Sportpolitiker gerichteten Anforderungen für zu weitgehend halten. Die Antwort auf solche Beden­ ken kann nur im Hinweis auf die dann zwangsläu­ fig geringere Qualität des Engagements bestehen. Der Verfasser möchte auf der Basis jahrzehntelan­ ger Erfahrung darauf hinweisen, dass zahllose Fäl­ le des Scheiterns in der kleinen wie in der großen Sportpolitik sich mit unzureichenden Kenntnissen der handelnden Personen bzw. Institutionen erklä­ ren lassen: vom an die falsche Adresse gerichteten Antrag auf Förderung oder von der durch Unkennt­ nis bedingten falschen Behandlung von Koopera­ tionspartnern bis zur erfolglosen Bewerbung um internationale Großveranstaltungen, vom Problem des mittelgroßen Vereins mit dem Finanzamt bis zu unbegründbaren Erwartungen an EU-Fördermittel, von Fehlinvestitionen bei Sportstätten bis zu Ent­ wicklungshilfe-Maßnahmen, die keine nachhaltigen Spuren hinterlassen. Diese Liste könnte erheblich verlängert werden. Anders gesagt: so erfolgreich die deutsche Sportpolitik in der Gesamtsumme auch ist, lassen sich doch deutliche Verbesserungen erzielen, wenn die Effizienz des Einsatzes an Hoff­ nung und Ideen, an Mut und Kraft, an Material und Geld durch die jederzeitige Verfügbarkeit des Handwerkszeugs gesteigert wird, das der sportpolitische Akteur für den Erfolg braucht. ◊ Literatur beim Autor.

Mehr als 90.000 Institutionen unterschiedlichster Art verfolgen in der Bundesrepublik Deutschland sportpolitische Ziele.

Prof. Dr. h.c. Walfried König, geboren 1938 in Bad Oeynhausen, studierte von 1958 bis 1964 Sportwissenschaft, Romanistik, Philosophie und Pädagogik an den Universitäten in Freiburg, Grenoble, Münster und Hamburg. 1975 wurde er in das damals für den Sport in Nordrhein-Westfalen zuständige Kultusministerium berufen. In seinen Funktionen in der Landesregierung war er bis zum Eintritt in den Ruhestand (2001) an allen wichtigen Entwicklungen des Sports beteiligt. Er vertrat das Land in der Kultusminister- und auch in der Sportminister-Konferenz, ebenso die Gesamtheit der (Bundes-)Länder 27 Jahre lang in der internationalen Sportpolitik. Seit 1988 unterrichtet er an der DSHS über „strukturelle und ökonomische Aspekte der Sportpolitik“, seit 2002 zusätzlich an der Universität Lille über „Europäische Sportpolitik“. E-Mail: Walfried.Koenig@tele2.de

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Vancouver 2010 –

Rückblick und Perspektive Die Olympischen Winterspiele von Vancouver sind bereits Geschichte. Wieder haben die Wettkämpfe in aller Welt ein Millionenpublikum begeistert. Nach einem Jahr gilt es Bilanz zu ziehen. Wie bewerten führende Persönlichkeiten des Sports, Beobachter und Athleten das Fest auf Schnee und Eis? Welche Erkenntnisse, Folgerungen und Chancen ergeben sich für die Verantwortlichen hierzulande, die Olympischen Winterspiele 2018 nach München zu holen? Weitere Infos unter: www.sportmuseum.de Stiftung Deutsches Sport & Olympia Museum, Im Zollhafen 1, 50678 Köln | Rheinauhafen

Vorschau F|I|T

November 2010 – Januar 2011

Mai-Ausgabe 1/2011

26. Oktober – 27. November 2010 Aktionstage gegen Rassismus und Homophobie im Sport

©NASA

Veranstaltungen

Gestern, Heute, Morgen: 25 Jahre Weltraumforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln

17. – 19. November 2010 7. Deutscher Sportökonomie-Kongress 27. November 2010 Bachelor-Absolvententag 10. – 11. Dezember 2010 T 26. Januar 2011 Hochsprung mit Musik

Alle Veranstaltungen finden Sie auf unserer Homepage im Veranstaltungskalender: www.dshs-koeln.de/presse

Wir bedanken uns beim Deutschen Sport & Olympia Museum, bei der Stiftung Haus der Geschichte Bonn und bei der Horstmüller Pressebilderdienst GmbH für die Bereiststellung diverser Bilder.

Titelbilder: © Deutsches Sport & Olympia Museum, Picture Alliance, Horstmüller GmbH, Achim Melde, loewentreu und DSHS-Pressestelle 50


Vancouver 2010 –

Rückblick und Perspektive Die Olympischen Winterspiele von Vancouver sind bereits Geschichte. Wieder haben die Wettkämpfe in aller Welt ein Millionenpublikum begeistert. Nach einem Jahr gilt es Bilanz zu ziehen. Wie bewerten führende Persönlichkeiten des Sports, Beobachter und Athleten das Fest auf Schnee und Eis? Welche Erkenntnisse, Folgerungen und Chancen ergeben sich für die Verantwortlichen hierzulande, die Olympischen Winterspiele 2018 nach München zu holen? Weitere Infos unter: www.sportmuseum.de Stiftung Deutsches Sport & Olympia Museum, Im Zollhafen 1, 50678 Köln | Rheinauhafen

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Mai-Ausgabe 1/2011

26. Oktober – 27. November 2010 Aktionstage gegen Rassismus und Homophobie im Sport

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17. – 19. November 2010 7. Deutscher Sportökonomie-Kongress 27. November 2010 Bachelor-Absolvententag 10. – 11. Dezember 2010 T 26. Januar 2011 Hochsprung mit Musik

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