Ausgabe 1/22
45. Jahrgang
März 2022
INHALT FORSCHUNG/HOCHSCHULE | 2 Social Media im Sport: je digitaler, desto angreifbarer? FORSCHUNG | 3 Ambitionierte sportbezogene Ziele: Der Koalitionsvertrag im Blickpunkt unserer Wissenschaftler*innen STUDIUM/HOCHSCHULE | 4 Spoho-Student und Landestrainer: Jonas Klein betreut den Para-Leichtathletiknachwuchs im Rheinland HOCHSCHULE | 5 Ein Urgestein taucht ab: Dr. Uwe Hoffmann geht in den Ruhestand HOCHSCHULE | 6 Summer School: Ein neues Qualifizierungskonzept für den Wissens- und Technologietransfer
„Die Olympische Bewegung bewegt sich gegenwärtig in stürmischen Gewässern“
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ie 24. Olympischen Winterspiele gehören der Vergangenheit an. In 15 verschiedenen Sportarten haben sich die Athletinnen und Athleten gemessen. Insgesamt 109 Wettbewerbe standen auf dem Programm. Die deutsche Mannschaft belegt am Ende Platz 2 des Medaillenspiegels hinter Norwegen, mit zwölf Mal Gold, zehn Mal Silber und fünf Mal Bronze. Soweit die Zahlen. Doch bei den Spielen in Peking ging es um weit mehr als um den Sport. „Für Pierre de Coubertin, den Begründer der Olympischen Spiele der Neuzeit, waren die Spiele untrennbar verbunden mit Güte, Fairness, Partizipation, Erziehung und internationaler Verständigung. Die Olympische Bewegung ist eine Bewegung des Friedens, in deren Mittelpunkt die Athlet*innen stehen, ganz gleich welcher Nation“, sagt Professor Stephan Wassong, Leiter des Zentrums für Olympische Studien der Sporthochschule. Umso größer war daher die allgemeine Empörung, die Spiele ausgerechnet in China stattfinden zu lassen. „Die Olympische Bewegung bewegt sich gegenwärtig in stürmischen Gewässern. Wenn man sich die Vergabepolitik der letzten zwanzig Jahre anschaut, dann sieht man, dass Sportgroßereignisse im Wesentlichen in wirtschaftlich zwar sehr starke, aber politisch eben auch fragwürdige Staaten vergeben worden sind. Gleichzeitig werden Olympische Spiele immer größer und aufwändiger, während die Bevölkerung und die Medien immer kritischer werden“, sagt Sportpolitik-Professor Jürgen Mittag. „Der Sport erregt mittlerweile beträchtliches öffentliches Interesse, was wiederum zu umfassenden Mobilisierungsprozessen führt. Bisweilen deutlich umfassender als es den internationalen Sportverbänden lieb ist. Sportgroßveranstaltungen im Besonderen sind weltweit globale Ereignisse, die
eine Bühne für höchst unterschiedliche Interessen bilden. Da sie Öffentlichkeit erzeugen und erregen, sind sie automatisch politisch, denn jeder versucht, in dieses Ereignis etwas zu projizieren oder über dieses Ereignis seine Interessen durchzusetzen“, so der Leiter des Instituts für Europäische Sportentwicklung und Freizeitforschung. Mittag geht allerdings davon aus, dass mit der Rückkehr der Olympischen Spiele in westliche Demokratien die starke Politisierung in den kommenden Jahren absehbar zurückgehen werde. Zuschauermagnet & Wirtschaftsfaktor Als Zuschauermagnet und den Globus umspannendes Ereignis wollte sich China im Glanze des Sports sonnen. Ein Kalkül, das auch für die Sponsoren nicht aufgegangen zu sein scheint. Als einzige deutsche Firma unter den Top-Geldgebern ist der Versicherungskonzern Allianz als offizieller Werbepartner – noch bis 2028 – vertreten und zahlt hierfür an das Internationale Olympische Komitee (IOC) rund 400 Millionen Euro. „Es wurde im Vorfeld der Olympischen Spiele noch nie so kontrovers diskutiert und das hat natürlich deutliche Auswirkungen für die Effektivität des Sponsorings. Keine Marke möchte mit mangelnder ökologischer oder sozialer Nachhaltigkeit in Verbindung gebracht werden“, sagt Sportökonom Professor Christoph Breuer. Auch die Hoffnung der Sponsoren, mit dem ersten Startschuss höre die negative Berichterstattung auf und sowohl die Medien auch als die Konsumenten würden von der Magie der Spiele in ihren Bann gezogen, wurde jäh zerstört. Zwar erreichten die Olympischen Winterspiele in Peking Spitzenquoten im TV, doch die kritischen Beiträge rissen nicht ab. „Normalerweise beobachten wir, dass mit der Eröffnungsfeier der Olympischen
Spiele die kritischen Aspekte in den Hintergrund geraten“, sagt Medienwissenschaftler Dr. Christoph Bertling. „Das war bei diesen Spielen anders“, analysiert der Mitarbeiter des Instituts für Kommunikations- und Medienforschung: „Die Kritik in den Medien ist nie abgebrochen. Man hat die sportlichen Erfolge nie ganz in den Vordergrund geschoben, Themen wie Pressefreiheit, Menschenrechte, digitale Datenspionage oder Kinderschutz waren immer virulent.“ Gleichzeitig verdeutlichen die Einschaltquoten – ARD und ZDF erreichten im Schnitt rund 1,67 Millionen Menschen – eine „Paradoxie“, so Bertling: „Man schaut nicht Olympia, um sich politisch zu bilden. Man schaut Olympia, um mitzufiebern, um Teil zu haben an Heldengeschichten oder auch tragischen Geschichten. Der Sport steht dann im Vordergrund und man blendet das Kritische aus. Daher war es auch so wichtig, dass die Medien die kritischen Schnipsel immer wieder integriert haben, zur Primetime.“ Der ökologische Fußabdruck Neben Diskussionen um Menschenrechtsverletzungen, Milliarden-Ausgaben, Sinn und Unsinn von Olympischen Spielen während einer weltweiten Pandemie standen die Spiele in Peking auch im Zeichen von ökologischen Aspekten – oder „enormen Eingriffen, für die wir kein Verständnis haben“, wie es Professor Ralf Roth formuliert. „Insbesondere mit den neuen Sportstätten in Zhangjiakou für die Ski- und Snowboardwettbewerbe, einschließlich Langlauf, Skispringen, Nordische Kombination und Biathlon und dem National Sliding Centre in Yanqing wurden überdimensionierte Anlagen neu geschaffen. Neben den großflächigen Eingriffen in Ökosystem und Schutzgebiete stellt in dieser trockenen Region auch der hohe Wasserbedarf für
die technische Beschneiung und die generell unzureichende Nachnutzung für die Anlagen ein großes Problem dar“, erläutert der Leiter des Instituts für Outdoor Sport und Umweltforschung. „Dies steht im krassen Widerspruch zur Agenda 2020, die das Internationale Olympische Komitee 2014 verabschiedet und als Agenda 2020+5 im Jahr 2021 fortgeschrieben hat. Es wurde vom IOC und dem Austragungsland erneut nicht sichergestellt, dass Infrastrukturen und Sportstätten im Einklang mit sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und ökologischen Nachhaltigkeitsanforderungen stehen“, sagt Roth. Seit Jahren erforscht der Wissenschaftler, wie es um die Nachhaltigkeit im Sport steht und war in die Bewerbung Münchens für die Olympischen und Paralympischen Winterspiele 2022 eingebunden. Eine erneute Olympia-Bewerbung aus dem D-A-CH-Raum kann er sich dennoch vorstellen. Er würde sie sich „sogar wünschen“. „Aber dann ausschließlich fokussiert auf Orte mit vorhandenen Anlagen. Spiele sollten in einem Format angeboten werden, das bestimmt wird durch Ressourceneffizienz und Akzeptanz “, sagt Roth. Sein Wunsch: „Spiele in einer solchen Kleider größe zu machen, die den Wünschen der Sportler*innen, der Bürger*innen und dem Lebensraum entsprechen würden.“ Die große Frage am Ende der Spiele: Was bleibt? Was können wir aus China für zukünftige Spiele mitnehmen? Pierre de Coubertin hat einmal gesagt: „Charaktereigenschaften anderer Völker schätzen und bewerten. Sich gegenseitig messen, übertreffen, das ist das Ziel. Ein Wettstreit mit dem Frieden.“ Wenn es doch so einfach wäre … Lo Mehr zum Thema lesen Sie im Kommentar auf S. 7 und hören Sie im Podcast mit Prof. Roth: w ww.dshs-koeln.de/einerundemit
ZUM SCHLUSS | 8 Der Umzug ist geschafft: Das IG VI ist bezogen
EDITORIAL Die Olympischen und die Paralympischen Spiele sind gerade zu Ende gegangen, und schon steht mit der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar Ende des Jahres das nächste Groß-Event auf dem Fahrplan des organisierten Sports. Selten waren Olympische Spiele und Fußballweltmeisterschaften so umstritten. Im Mittelpunkt der Kritik: Menschenrechtsverletzungen in China und Katar und der Umgang der verantwortlichen Sportorganisationen IOC und FIFA mit dem Thema. Und dabei ist Sport doch eng verbunden mit Begriffen wie Fairplay, Toleranz oder Teamgeist – Begriffe, die auch für Staat und Gesellschaft eine grundsätzliche Bedeutung haben. Gefragte Expert*innen waren in diesen Tagen des sportlichen Erfolgs von Team D auf der einen Seite und der beständig medial diskutierten kritischen Aspekte der Spiele auf der anderen Seite die Wissenschaftler*innen der Deutschen Sporthochschule. Sie nahmen Stellung zur Berichterstattung, erläuterten die politischen und finanziellen Dimensionen der Vergabe des Events an Peking und ordneten ein, wenn es um Pierre de Coubertins Ideal der Spiele und die damit verbundenen Werte ging. Diese und weitere gesellschaftsrelevante Themen werden aus unterschiedlichem Blickwinkel analysiert in den wissenschaftlichen Instituten der Deutschen Sporthochschule; nachzulesen auch im aktuellen KURIER – z.B. im Titelbeitrag oder im Interview zum Koalitionsvertrag auf Seite 3. Wir wünschen eine spannende Lektüre.
Fotos: imago images/Eibner Europa
Nach den Spielen ist vor den Spielen
STUDIUM | 7 Wissenschaft kommunizieren lernen: Das Projekt #FoL2.0