inhalt
SEITE 6 – 7 Die Vorgänge
SEITE 10 – 11 Notizen zur Kasseler Neuinszenierung
SEITE 14 Was das Wagner’sche Werk an Wirklichem in sich hat
SEITE 18 – 23 Bayreuth und Erlösungsmotiv
SEITE 26 – 27 Der Weltbrand als Weltschöpfung
SEITE 30 – 31 Brünnhilde: Liebende – Rächende – Wissende – Erlösende
SEITE 33 – 38 Festspiele und Uraufführung
SEITE 40 – 47 Biografien der Künstler*innen
Erwachens-Motiv
VORSPIEL In der Dunkelheit der Nacht weben die drei Nornen, Töchter Erdas, am Seil des Schicksals und reflektieren über Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. Düstere Ahnungen treiben sie um, denn auf die Frage, wie es mit dem verfluchten Ring wei tergehen wird, wissen sie keine Antwort. Das Seil zerreißt. Siegfried drängt es zu neuen Taten. So nimmt er Abschied von Brünnhilde und lässt ihr als Liebespfand den Ring.
1. AUFZUG Am Hof der Gibichungen müssen sich König Gunther und seine Schwester Gutrune von ihrem Halbbruder Hagen – Sohn des Alberich – vorhalten lassen, noch unverheiratet zu sein. Hagen bringt Brünnhilde als Braut für Gunther ins Spiel. Da jedoch nur Siegfried durch das Feuer zu Brünnhilde vorzudringen vermag, rät Hagen, Siegfried an die Gibichungen zu binden, damit er Brünnhilde für Gunther erobere und danach selber Gutrune zur Frau nehme.
Als Siegfried bei den Gibichungen eintrifft, flößen ihm Hagen, Gunther und Gutrune einen Liebestrank ein, der ihn Brünnhilde sofort vergessen und Gutrune anbeten lässt. Er schließt Blutsbrüderschaft mit Gunther und bricht auf, um mit Hilfe des Tarnhelms Brünnhilde für Gunther zu gewinnen. Hagen bleibt zurück, wohl wissend, dass Siegfried mit Brünnhilde auch den machtvollen Ring in die Gibichungenhalle bringen wird.
Brünnhilde wird von ihrer Halbschwester, der Walküre Waltraute, aufgesucht. Diese berichtet von Wotans Resignation und seinem Rückzug nach Walhall, wo er auf sein Ende warte. Nur einen Wunsch habe Wotan noch: Brünnhilde solle den Ring den Rheintöchtern zurückgeben. Doch Brünnhilde weigert sich. Ihr ist Siegfrieds Liebes pfand mehr wert als die Erlösung Walhalls oder das Schicksal der Götter.
Siegfried erscheint in Gestalt Gunthers und bezwingt Brünnhilde, indem er ihr den Ring entreißt. Als er sie jedoch mit Gewalt ins Brautbett führt, legt er sein Schwert zwischen sich und Brünnhilde.
2. AUFZUG Alberich gemahnt seinen Sohn Hagen, auch weiterhin die Hand nach dem machtvollen Ring auszustrecken.
Siegfried kehrt an den Hof zurück und übergibt Brünnhilde an Gunther, der sich nicht nur mit seiner Braut präsentiert, sondern zugleich die Hochzeit seiner Schwester mit Siegfried ankündigt. Brünnhilde ist entsetzt, zumal an Siegfrieds Finger der Ring steckt, den eigentlich Gunther ihr entrissen haben und somit tragen müsste. Brünnhilde be greift, dass sie betrogen wurde: Als sie sich als Siegfrieds rechtmäßige Frau zu erkennen gibt, hält Siegfried dagegen und schwört, in der Nacht der Brautwerbung durch das Schwert getrennt von Brünnhilde gelegen zu haben. Daraufhin bezichtigt Brünnhilde Siegfried des Meineides. Ungeachtet dessen wird die Doppelhochzeit vorangetrieben.
DIE vorgänge
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Hansung Yoo, Albert Pesendorfer, Jaclyn Bermudez
Brünnhilde schwört Rache für Siegfrieds Verrat und gibt Hagen das Geheimnis um Siegfrieds Unverwundbarkeit preis: Dessen Rücken sei ohne Schutz, da Siegfried nie vor einem Feind fliehen würde. Gemeinsam mit dem sich gedemütigt fühlenden Gunther beschließen sie die als Jagdunfall getarnte Ermordung Siegfrieds. Während Brünnhilde und Gunther jedoch nur auf Rache drängen, denkt Hagen einzig und allein an die Inbesitznahme des Ringes.
3. AUFZUG Auf der Jagd verirrt sich Siegfried und begegnet den Rheintöchtern, die ihn auffordern, ihnen den Ring zurückzugeben. Auch warnen sie ihn vor dem Fluch des Ringes, doch Siegfried nimmt diese Warnung nicht ernst.
Als er zur Jagdgesellschaft zurückfindet, berichtet er von seinen Heldentaten: Von Mimes Verrat und Tod, der Ermordung Fafners und der Entdeckung der schlafenden Brünnhildes. In dem Moment, da sich Siegfried dank eines von Hagen dargereichten Erinnerungstranks wieder an seine Liebe zu Brünnhilde erinnert, wird er von Hagen hinterrücks ermordet.
Als Hagen Siegfrieds Leichnam an den Hof zurückbringt, erkennt Gutrune, dass ihr Ehemann keineswegs – wie behauptet – einem wilden Eber zum Opfer gefallen ist. Gunther weist alle Schuld von sich und bezichtigt Hagen des Mordes, dieser jedoch verweist darauf, nur einen Meineid gesühnt zu haben. Da beide Anspruch auf das ver fluchte Erbe des Ringes erheben, kommt es zum Kampf, in dem Hagen Gunther tötet. Als Hagen den Ring daraufhin an sich reißen will, schreitet Brünnhilde ein: Indem sie sich selbst dem Untergang ausliefert und auf Ring und Leben verzichtet, geht die alte, korrupte Welt unter. Die einstige Zerstörung der Natur wird gesühnt. Der Ring gelangt zurück an seinen Ursprung.
Kelly
Cae Hogan, Daniel Frank
Dalia Velandia, Thomas Gazheli
Vero Miller, Doris Neidig
Hansung Yoo, Daniel Frank, Statisterie
Der RING ist ein universelles Drama, das – wie Wagner behauptete – »volle und üppige Hauptwerk meines Lebens« und zugleich das »wahre Bild von der Verfassung der Welt«. Dies legt unweigerlich den Schluss nahe, dass für eine zeitgemäße Interpretation der Mythos selbst in den Hintergrund rücken muss, da er die Drastik, die dem Werk inne wohnt, verkleinert, vielleicht sogar verharmlosen würde. Doch auch der Suche nach einer übergeordneten Idee, die alle vier RING-Teile in eine – auch optisch – einzige kon zeptionelle Korsage zwingt und zwängt, darf an dieser Stelle eine Absage erteilt werden. Vielmehr gilt es Stück für Stück – einer Kriminalgeschichte gleich – die einzelnen Verbrechen, Situationen, Konflikte und Aspekte (wie z. B. Naturzerstörung, bedingungs lose Liebe oder politische Hybris) freizulegen und sie immanent zu betrachten und zu erzählen. Mit dem RHEINGOLD begann das Setzen erster Steinchen, die sich nach und nach zu einem Mosaik formten, das wiederum erst jetzt einen ganzheitlichen Überblick zulässt, da es mit der GÖTTERDÄMMERUNG vollendet ist. So besteht der RING nicht nur aus vier Einzelteilen, sondern kann als ein einziges, monumentales Werk gesehen werden, in dem sich alles aus dem Vorangegangenen entwickelt hat.
Wie Dämonen aus der Vergangenheit dringen bisherige RING-Schauplätze teils ruinen haft in die Welten der GÖTTERDÄMMERUNG ein – analog zum häufigen Wechsel der Szenerie und zum Geflecht der musikalischen Motive, das in diesem letzten RING-Teil zu einzigartiger Dichte und Komplexität zusammengeführt wird: Wotans Walhall – das große Logo »W« – ist bewegungsunfähig geworden, das Licht, das er einst mittels seines Speeres der Welt gab und das auch Walhall zum Strahlen brachte, ist (fast) erloschen; das einstmals goldene Paradies der Rheintöchter gleicht Fafners Neidhöhle; Sieg frieds und Brünnhildes neues Heim ähnelt zunächst frappierend Wotans und Frickas gepflegtem Zuhause, kurz darauf jedoch Mimes Messie-Haushalt – als ob die Jungen die Verhaltensweisen und Fehler der Alten einfach nur kopierten. (Doch so ist es wohl: erlernte oder anerzogene Verhaltensmuster kommen zeitlich gesehen vor individueller Entwicklung und Reflexion.) Selbst der aus Fafners Klauen befreite und nun haltlos umherirrende Hort, das menschliche »Humankapital«, kopiert das, was ihm widerfahren ist: Wurde ihm bislang Gewalt angetan, so mutiert er jetzt selbst zum Gewalttäter.
Die Verneinung des Prinzips der Liebe zugunsten des Prinzips der Macht steht als zentrales Thema im Mittelpunkt aller vier RING-Teile: Wurde im RHEINGOLD durch Alberichs Fluch der Grundstein dafür gelegt, so zeigt sich seine Absage an die Liebe in der fortschreitenden Zerstörung der Natur, des Menschen und der Menschlichkeit: Wotan opfert seine Kinder Siegmund, Sieglinde und Brünnhilde, Mime zieht Siegfried einzig heran, um ihn auszunutzen, Fafner besitzt und mordet allein, weil er es kann. Warum nur ist die Gier nach Macht so viel größer als das Verlangen nach Liebe? Warum sind wir rational begabten Lebewesen nur so wenig lernfähig? Ob Götter oder Menschen: Das Streben nach Macht scheint stärker zu sein als alle Vernunft.
NOTIZEN ZUR KASSELER NEUINSZENIERUNG
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In der GÖTTERDÄMMERUNG angelangt, haben Alberich und Wotan wie auch Mime und Fafner ihr Spiel bereits verloren. Nun geht der generationenübergreifende Kon flikt um Macht und Materialismus in die nächste Runde, nun ist es an Hagen, Albe richs Sohn und Gegenspieler Siegfrieds, die Strippen zu ziehen. Wie zuvor Siegmund und Sieglinde durch Wotan wurde auch er aus nur einem einzigen Grunde in die Welt gesetzt: seinem Erzeuger den Ring zu verschaffen. Dieser von klein auf missbrauchte Spross, den der Vater selbst in seinen (Alb)träumen verfolgt (»Schläfst du, Hagen, mein Sohn?«), hätte gleich zwei gute Gründe, Alberich – entgegen der ursprünglichen Inten tion Wagners, der diese Figur jedoch nicht konsequent bis zum Ende führt – das Leben zu nehmen. Zum einen dankt er dem Vater seine Existenz nicht (»Gab mir die Mutter Mut, / nicht mag ich ihr doch danken, / dass deiner List sie erlag.«); zum anderen ver langt es ihn selbst danach, den Reif zu besitzen (»Den Ring soll ich haben. / Harre in Ruh.«). Tötet Hagen Alberich tatsächlich? Oder ist der Mord nur wünschenswerter Teil einer albtraumhaften Fantasie?
Und Siegfried? Dieser gerade der Pubertät entwachsene Naturbursche hat dem Ränke spiel Hagens nichts entgegenzusetzen. Im SIEGFRIED erfahren wir, dass er in Unkennt nis über die Welt aufgezogen wurde. Und seine Gabe, das Fürchten nie gelernt zu haben, hat ihn zwar Fafner besiegen lassen, am Hofe der Gibichungen aber gereicht ihm dies nicht zum Vorteil. Ein politisch denkender und handelnder Mensch ist Siegfried keineswegs – und an Ring und Macht nicht interessiert. Hagens Intrige (ver)führt den ahnungslosen Helden zu Ehebruch und Meineid, was Hagen wiederum den legitimen, selbst von Brünnhilde in ihrer Wut gutgeheißenen Grund liefert, Siegfried zu töten und den Ring als Beutegut zu verlangen. Es liegt für einen Moment in Siegfrieds Hand, dem ganzen Spiel ein vorzeitiges Ende zu setzen, würde er auf die Rheintöchter hören, die ihn vor dem Fluch warnen und ihm seinen Tod prophezeien: »Wie den Wurm du fälltest, / so fällst auch du. / Und heute noch.«
Auch Brünnhilde hätte das Leid der Welt verkürzen können. Doch sie ignoriert die Not der Götter sowie Waltrautes Rat und das flehentliche Bitten des Hortes, den Rheintöch tern den Ring zurückzugeben, den sie für das Unterpfand der Liebe Siegfrieds zu ihr hält. Noch durchschaut sie den Konflikt nicht in Gänze, noch verwirft sie den Gedanken an die Welterlösung und hält an der Liebe zwischen ihr und Siegfried fest, obgleich diese durch Hagens Intrigenspiel und Siegfrieds Naivität schon längst korrumpiert wurde. Am Ende ist Brünnhilde bereit, vom Ring zu lassen, wohl wissend, dass sich die Prinzipien der Liebe und der natürlichen Ordnung nur dann wiederherstellen lassen, wenn sich zugleich alles Irdische und Materielle – auch die eigene Existenz – notwen digerweise auflöst: eine Absage an die alte Welt, wie man sie bislang kannte. Eine neue Welt entsteht aus der Asche, doch mit der Rückführung des Ringes an seinen Ursprung ist auch die Frage an die nächste Generation verbunden: In welcher Welt wollen wir leben?
CHRISTIAN STEINBOCK 11
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Bürger*innen der Stadt Kassel und Umgebung
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Jeder große Künstler scheint wahrhaftig so verschieden von den anderen und vermittelt uns ein solches Gefühl von Individualität, wie wir es im Alltagsleben vergeblich suchen! In dem Augenblick, da ich diesem Gedanken nachhing, fiel mir ein Takt der Sonate auf, ein Takt, den ich gleichwohl gut kannte, aber zuweilen erhellt die Aufmerksamkeit seit langem bekannte Dinge mit einmal anders und wir bemerken, was wir nie zuvor darin gesehen haben. Als ich diesen Takt spielte, murmelte ich, obwohl Vinteuil darin gerade einem Traum Ausdruck zu geben suchte, der Wagner ganz und gar ferngelegen hätte, unwillkürlich TRISTAN vor mich hin, mit dem Lächeln, das zuweilen ein Freund der Familie hat, wenn ihn irgendetwas im Tonfall, in der Bewegung des Enkels an den Großvater erinnert, den jener selbst nicht gekannt hat. Und wie man dann zur Prüfung der Ähnlichkeit eine Photographie hervorholt, schlug ich auf dem Notenpult über die Sonate die Partitur des TRISTAN auf, aus dem gewisse Teile gerade an diesem Nach mittag im Concert Lamoureux gespielt wurden. Ich verspürte bei meiner Bewunderung für den Bayreuther Meister keines der Bedenken derer, die sich wie Nietzsche eine Pflicht daraus machen, in der Kunst wie im Leben die Versuchung durch Schönheit zu meiden, die sich ebenso von TRISTAN losreißen, wie sie den PARSIFAL verleugnen, und die durch geistige Askese, von einer Kasteiung zur anderen, dem blutigsten aller Kreuzzüge folgend, sich schließlich zur reinen Erkenntnis und vollkommenen Anbetung des POSTILLON DE LONJUMEAU erheben.
Ich wurde mir all dessen bewusst, was das Wagner’ sche Werk an Wirklichem in sich hat, als ich die zugleich eindringlichen und flüchtigen Themen wiedererkannte, die in einem Akt aufklingen, sich nur entfernen, um wiederzukommen, manchmal nur wie von weitem, beschwichtigt, fast entschwebend, in anderen Augenblicken aber bei aller Unbestimmtheit so dringend und nahe ertönen, so innerlich, organisch, ja fast kör perlich in uns existieren, dass man meinen möchte, es handle sich weniger um die Wiederaufnahme eines Motivs als vielmehr um das erneute Einsetzen einer Neuralgie.
So kommt es zu der Fülle einer Musik, die in der Tat von mehr als einer Musik erfüllt ist, und jede davon ist ein Wesen. Ein Wesen oder der Eindruck, den ein kurzzeitiger Aspekt der Natur vermittelt. Selbst was von dem durch sie vermittelten Gefühl am unabhängigsten ist, wahrt seine äußere, festumrissene Realität; das Lied eines Vogels, der Ton eines Jagdhorns, die Weise, die ein Hirt auf seiner Schalmei spielt, heben sich als klare Klangsilhouette vom Horizont ab. Gewiss, Wagner wusste sie zu fassen, sich ihrer zu bemächtigen, sie seinem Orchester einzuverleiben, den höchsten musikali schen Konzeptionen zuzuordnen, aber doch so, dass er dabei ihr ursprüngliches Wesen respektierte wie ein Bildschnitzer die Fibern, die Eigenart des Holzes, das er bearbeitet.
»…
was das Wagner’sche Werk an Wirklichem in sich hat«
MARCEL PROUST 14
Abschließend gesagt: Man kritisiert nicht ein so bedeutendes Werk wie den RING. Dies ist ein Monument, dessen Architektur sich im Unendlichen verliert; vor seiner gewaltigen Ausdehnung scheitert der legitime Wunsch, seine Proportionen überschauen zu können, und unbewusst hat man den Eindruck, dass das ungeheure Gebäude einstürzen würde, wenn man auch nur den kleinen Stein herauslöste – ähnlich der Schlusskatastrophe in der GÖTTERDÄMMERUNG, die eine ganze Menschheit verschlingt, während droben auf dem Olymp die Götter den vergeblichen Anstrengungen der modernen Prometheen mit unwandelbarem Lächeln zusehen.
CLAUDE DEBUSSY
Tarnhelm-Motiv
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Helden-Motiv
Herren des Chores und Extrachores
Jaclyn Bermudez, Dalia Velandia
Albert Pesendorfer
Daniel Frank, Jaclyn Bermudez
EIN DEMOKRATISCHES FEST SOLLTE ES WERDEN …
Das fränkische Städtchen Bayreuth – klein, friedlich, überschaubar – und Richard Wagner sind bis heute untrennbar miteinander verbunden. Hier wurde er seit seiner Flucht aus Dresden 1849 zum ersten Mal wirklich sesshaft. Die Villa, die er sich bauen ließ, gehörte ihm, es war nicht wie sonst ein gemietetes Anwesen. Am 30. April 1874 zog er in das Haus ein und schrieb an seinen Gönner König Ludwig II.: »Mein Haus steht nun: dank dem Gnädigen! Ich sollte ihm einen Namen geben und suchte lange: endlich fand ich ihn, und ich lasse ihn jetzt in folgenden Versen eingraben: Hier, wo mein Wähnen Frieden fand – Wahnfried, sei dieses Haus von mir benannt!« Befragt man das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm, so bedeutet das Wörtchen »Wahn« nicht nur so etwas wie »Trugschluss« oder »Einbildung« im Sinne von Wahngebilden, sondern auch ungefähr so viel wie »Erwartung« oder »Hoffnung«. In letzterem Sinne ist der Name des Hauses zu verstehen: dort, wo Wagner seine Erwartungen und Hoffnungen endlich verwirklicht sehen konnte. Denn von hier aus übte Wagner eine kulturpolitische Macht aus, wie sie Deutschland bis dahin kaum erlebt hatte. Und mit der Wahl Bayreuths als Aufführungsort begann die Geschichte der Wagner-Festspiele.
Dass Wagner gerade das pittoreske Bayreuth dazu auserkoren hatte, Aufführungsort seiner Werke zu sein, hat ganz plausible Gründe, denn der Zustand der damaligen Opernbühnen war Wagner ein Dorn im Auge: Die Hofopern waren allzu sehr abhängig von den geschmäcklerischen Launen des zahlenden Adels. Selbst bei Ludwig II. von Bayern war dies so: Nicht umsonst spielte Wagner dem Monarchen oftmals nur die Komödie einer innigen Freundschaft vor, um seine Ziele zu verwirklichen oder an das nötige Kleingeld zu gelangen. Zudem beschwerten sich viele Komponisten – und Wagner machte hier keine Ausnahme – immer wieder über die künstlerische Gleichgültigkeit bei Aufführungen ihrer Werke. Permanent kämpften sie um eine noten- und werkgetreue Interpretation ihrer Dichtungen und Partituren. Wagner wollte sich nach seinen Dresdner Erfahrungen unter keinen Umständen der Willkür eines Hoftheaterbetriebes unterordnen. Und um höfischen Intrigen oder dem während der Aufführung oftmals laut schwatzenden, adligen Publikum zu entgehen, stellte er seine Forderung: »Ich brauche ein Theater, wie ich es einzig selbst herstellen kann. Es ist nicht möglich, dass auf denselben Theatern, in welchen unser Opernunsinn – selbst den klassischen mit eingerechnet – gegeben wird, und wo alles, Darstellung, Auffassung und geforderte Wirkung, im Grunde genommen schnurstracks dem zuwiderläuft, was ich für mich und meine Arbeiten fordere, diese zur gleichen Zeit einen wirklichen Boden finden könnten.«
Bereits 1863 hatte Wagner im Vorwort zu seiner Nibelungen-Dichtung seiner ästheti schen und bühnenpraktischen Vision von Festspielen Ausdruck verliehen: Die Idee eines demokratischen Festes, das das deutsche Volk als demokratische Gemeinschaft und los gelöst von aller höfischen oder großbürgerlichen Elite besuchen sollte. Ein Städtchen wie
BAYREUTH und ERLÖSUNGSMOTIV
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Bayreuth kam da gerade recht. Es lag weit genug abseits der großen Zentren, war kulturell unvorbelastet, besaß kein konkurrierendes Hoftheater – das Markgräfliche Opernhaus war für Wagners Zwecke von vornherein zu klein – und es lag immer noch in Bayern und damit im Einflussgebiet des zahlenden Königs. »Hier sollte nun ein provisorisches Theater, so einfach wie möglich, vielleicht bloß aus Holz, und nur auf künstlerische Zweckmäßigkeit des Inneren berechnet, aufgerichtet werden; einen Plan hierzu, mit amphitheatralischer Einrichtung [im Gegensatz zu den höfischen Logentheatern, wo man gemäß seines Stan des Platz nahm] und dem großen Vortheile, der Unsichtbarmachung des Orchesters, hatte ich mit einem erfahrenen, geistvollen Architekten in Besprechung gezogen. Hierher sollten nun, etwa in den ersten Frühlingsmonaten, aus den Personalen der deutschen Opernthea ter ausgewählte Sänger berufen werden, um, ununterbrochen durch jede andere künstleri sche Beschäftigung, das von mir verfasste mehrteilige Bühnenwerk sich einüben.«
… UND WURDE DOCH EINE HOFTHEATERPREMIERE
Im Mai 1872 wurde in Bayreuth die Grundsteinlegung des Opernhauses mit Festkonzert, Ansprachen und Bankett gefeiert, bald darauf folgte das Richtfest, doch die Finanzierung der Festspiele war noch lange nicht gesichert. Wagner gedachte, durch den Verkauf von sogenannten Patronatsscheinen zum Preis von 300 Talern je Schein, einen Großteil der Kosten für den Bau des Festspielhauses und für die RING-Aufführungen zusammenzu bringen. Tausend Patronatsscheine sollten an die deutsche Bildungs- und Finanzelite verkauft werden und die Käufer dadurch in den Genuss einer RING-Zyklus-Aufführung kommen, was bedeutete, dass zahlendes Publikum von den Vorstellungen ausgeschlos sen werden sollte. Der Rest der noch aufzubringenden Kosten sollte durch Spenden des einen oder anderen Fürsten und durch Konzerteinnahmen gedeckt werden. Dieser elitäre Gedanke bei der Finanzierung passte aber kaum noch zu dem von Wagner ursprünglich angestrebten demokratischen Fest. Kein Normalverdiener von damals konnte es sich leis ten, einen Patronatsschein zu erwerben. Und selbst diejenigen, die es gekonnt hätten, zeigten nur wenig Interesse. Das gesamte Projekt geriet ins Wanken, das Geld blieb aus, die Baufirmen drohten mit der Einstellung der Arbeiten und die Festspiele rückten in immer weitere Ferne. Als praktisch schon »rien ne va plus« gerufen wurde, kam die ersehnte Rettung von oben in einem reich verzierten Brief König Ludwigs: »Nein! Nein und wieder nein! So soll es nicht enden; es muß da geholfen werden! Es darf unser Plan nicht scheitern!« Und Ludwig gewährte Wagner einen Vorschuss von 100.000 Talern. Dies linderte die größte Not, hinderte Wagner aber dennoch nicht daran, auch beim Kaiser in Berlin um Geldspritzen zu bitten, was aufgrund der Konkurrenz zwischen Bayern und Preußen sowohl in Berlin als auch in München als Versuch gewertet wurde, die Monarchen gegeneinander auszuspielen, was unvermeidlich zu Gereiztheiten führte.
Das angedachte demokratische Fest fand bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876 also nicht statt. Zu schwierig hatte sich die Finanzierung gestaltet, als dass man sich auf das einfache Volk hätte verlassen können. Zu sehr war Wagner mittlerweile auf den natio nalen Zug aufgesprungen, der seit dem 1871 gewonnenen Krieg gegen Frankreich und der
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damit verbundenen Gründung des Deutschen Reiches an Fahrt aufgenommen hatte. Zu sehr hatte in diesem Zusammenhang die Idee von Wagner Besitz ergriffen, ein nationales Theater für Deutschland anstelle eines Theaters für jedermann aufzubauen. Der Literatur wissenschaftler und Wagner-Kenner Hans Mayer formulierte es so: »Ein Amphitheater war entstanden, gewiss; im Übrigen aber entsprachen die Besucher dieser ersten Gesamtauf führung der RING-Tetralogie durchaus dem üblichen Bild einer Hoftheaterpremiere. Geän dert hatte sich Wagner mit seiner Zeit und durch sie. Die Rede zur Grundsteinlegung des Festspielhauses macht es sichtbar. Sie bedeutet einen völligen Bruch mit Wagners eins tigen Plänen zur Realisierung gesellschaftlichen Fortschritts. Das Nationale ist hier dem Nationalistischen eng verwandt; humane Fortschritte hält Wagner, als Schüler Schopenhauers, weder für möglich, noch für wünschenswert.«
DIE GÖTTERDÄMMERUNG ENTSTEHT
Als Wagner 1871 erstmals Bayreuth als Uraufführungsort seines RINGES favorisierte, steckte er bereits inmitten der Kompositionsarbeit zur GÖTTERDÄMMERUNG. 1869, drei Jahre nach seiner Übersiedlung von München in die Villa Tribschen bei Luzern und paral lel zur Fertigstellung des 3. SIEGFRIED-Aufzugs, begann Wagner mit der Kompositionsund der darauffolgenden Orchesterskizze: Bis Juli 1870 schloss er den ersten Aufzug ab, bis November 1871 den zweiten und bis Juli 1872 den dritten. Die vollständige Partitur-Reinschrift erfolgte dann zwischen Mai 1873 und November 1874. Hier könnte man meinen, die GÖTTERDÄMMERUNG sei ihm im Gegensatz etwa zum SIEGFRIED leicht und schnell von der Hand gegangen. Doch die geistige Vorarbeit zu diesem letzten RING-Teil führt in der Zeitleiste weit zurück, schließlich hatte Wagner bereits im Oktober 1848 mit der Geschichte um Siegfrieds Tod inhaltlich das gesamte Unternehmen ins Rollen gebracht: Zwischen dem 12. und 18. November 1848 entstand die Urschrift, im August 1850 begann Wagner mit den ersten Orchesterskizzen, die jedoch nur bis zur Abschiedsszene zwischen Brünnhilde und Siegfried reichen. Dann brach er ab und erweiterte SIEGFRIEDS TOD nach und nach zu einem vierteiligen Zyklus, 1856 wurde dieser ursprüngliche Titel schließlich in GÖTTERDÄMMERUNG geändert.
Der musikalische Stil dieses abschließenden Werks ist zuweilen sehr unterschiedlich bewertet worden: Von einer gewissen »gründerzeitlichen Schwere« ist beispielsweise bei
Daniel Brenna , Arnold Bezuyen
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Motiv der Liebe Siegfrieds und Brünhildes
Martin Geck die Rede, die sich durch den weiten, 1848 begonnenen Weg erklären lässt, der »vom Mythos übers Märchen in die reale Intrigenwelt des Gibichungen-Hofs« führe. Tatsächlich wurde es für Wagner immer komplizierter – je weiter der RING voranschritt und je mehr Leitmotive zum Vorschein traten –, bestimmten Motiven ein eigenes Gewicht im musikalischen Gefüge zu verleihen und sie geschickt zu kombinieren. Auch zeigen sich die ersten beiden Aufzüge in Bezug auf Ensemblegesang und Choreinsätze hin und wieder im Lichte der Vor-TRISTAN-Zeit und wurden sogar als Rückschritte bezeichnet. Doch im Ganzen gelang es Wagner, größere Brüche zu vermeiden, das musikalische Mate rial – wie schon im dritten Aufzug des SIEGFRIED – freier vom Text einzusetzen und unterschiedliche Motive so miteinander zu verknüpfen, dass ein Gefüge von stilistischer Dichte entstehen konnte.
Am 20. Juli 1872 raunte Wagner Cosima zu, dass er nun »sein Weltuntergangscouplet« komponieren müsse. Dies wird der Meister mit einem gewissen Augenzwinkern von sich gegeben haben, denn der Weltuntergang samt Götterdämmerung war ja schon immer der zentrale Gegenstand der Handlung gewesen und seit dem RHEINGOLD angelegt. Mit »Weltuntergangscouplet« ist der Brand Walhalls gemeint, der sich zum Weltenbrand auswächst und mit dem alles – selbst das Schöne im RING wie das Erwachsenwerden Siegfrieds, seine Selbstbefreiung aus den Fängen Mimes und den Klauen Fafners oder die Liebesfähigkeiten zwischen dem Helden und Brünnhilde – scheitern muss. Brünnhilde gibt den Rheintöchtern den Ring zurück, doch ihre Schlussworte erschüttern und sind weit davon entfernt, eine Art Heilsversprechen abzugeben. Ihr letzter Kommentar zeigt einmal mehr, wie stark Religion und Philosophie (auf dem Weg zum PARSIFAL) auf Wag ners Welt- und Menschenbild und damit auch auf sein Werk zuweilen wirkten.
SCHOPENHAUER CONTRA FEUERBACH
Schon früh hatte Wagner einen Entwurf zu dem Drama JESUS VON NAZARETH angefer tigt, diesen jedoch nie ausgeführt und zu einer Oper werden lassen. Und ebenso früh hatte er 1849 in seiner Schrift »Das Kunstwerk der Zukunft« das Postulat vom Kunstwerk als »lebendig dargestellte Religion« aufgestellt. Wagner war von der unbedingten Notwendig keit einer religiösen Orientierung zwar überzeugt, den Ideen des Christentums gegenüber also nicht vollkommen verschlossen, zugleich aber war er ein radikaler Gegner kirchlicher Dogmen. Zeit seines Lebens hegte er größtes Misstrauen gegenüber dieser Institution, der er unterstellte, sie habe durch ihre universalen Herrschaftsabsichten die christli chen Werte und Botschaften verfälscht und ad absurdum geführt. Eine Staatsreligion, so Wagner, bringe ein Volk dem Untergang nahe. Auch den Entwurf zu einem buddhisti schen Drama (DIE SIEGER) hatte Wagner in seinen frühen Jahren verfasst, später jedoch nicht ausgeführt, da ihm keine musikalischen Mittel für eine entsprechende Realisation zur Verfügung standen. Doch die indische Sagenwelt und der Maha ya na-Buddhismus, in dem »Wissen« (prajna ) und »Mitleid« (karuna ) höchste ethische Werte darstellen, ließen ihn nie wieder los: Beide Werte sind entscheidend etwa für die gedanklichen Ausführun gen des PARSIFAL oder für die Konzeption der Figur der Brünnhilde.
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In den ersten Anfängen der RING-Dichtung hing Wagner noch der Philosophie Ludwig Feuerbachs an, die »auf einer entromantisierten, eher an der gesellschaftlichen Wirklich keit orientierten Weltsicht« (Barry Millington) basierte. Und so ist auch der erste Schluss der GÖTTERDÄMMERUNG, 1852 konzipiert, in Anlehnung an Feuerbach entstanden. Brünnhilde singt: »Nicht Gut, nicht Gold, / noch göttliche Pracht; / nicht Haus, nicht Hof, / noch herrischen Prunk; / […] / selig in Lust und Leid / lässt – die Liebe nur sein.«
In diesem sogenannten »Feuerbach-Schluss« verzichtet Brünnhilde also auf alle irdischmateriellen Güter, auf Macht oder Machtsymbole zugunsten einer reinen Liebe, was die Welt vor weiterer Zerstörung bewahren soll.
Doch mit dem Scheitern der Revolution von 1848/49 waren auch die optimistischen Ideen Feuerbachs sowie Kants, Fichtes und Hegels als Hauptvertreter des logikorientier ten bzw. naturphilosophischen »Deutschen Idealismus« mit einem Schlag passé. 1856 traf Wagner auf den Philosophen Arthur Schopenhauer, dessen pessimistische Weltan schauung und dessen Hauptwerk DIE WELT ALS WILLE UND VORSTELLUNG (bereits 1818 als Gegenentwurf zu Feuerbach erschienen, jedoch lange unbeachtet geblieben) stark von orientalischen Einflüssen und auch von den Ideen des Buddhismus geprägt sind. Laut Schopenhauer sei die menschliche Existenz ein Schrecknis, das es unbedingt zu überwinden gilt, zumal jeder Versuch, auf die das Leben bestimmenden Mächte Einfluss zu gewinnen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sei. Daher liege die (Er)lösung einzig und allein in der Entsagung von allem Irdischen mittels der Verneinung des Willens.
Wagner erkannte rasch die inhaltlichen Parallelen zwischen Schopenhauer und dem Buddhismus und änderte Brünnhildes Schlussgesang schon bald entsprechend ab. Nun hieß es: »Führ ich nun nicht mehr / nach Walhall’s Feste, / wiss’t ihr, wohin ich fahre? / Aus Wunschheim zieh ich fort, / Wahnheim flieh ich auf immer; / des ew’gen Werdens off’ne Thore / schließ ich hinter mir zu: / nach dem wunsch- und wahnlos / heiligsten Wahlland, / der Welt-Wanderung Ziel, / von Wiedergeburt erlös’t, / zieh nun die Wissende hin. / Alles Ew’gen sel’ges Ende, / wiss’t ihr, wie ich’s gewann? / Trauernde Liebe tiefstes Leiden / schloss die Augen mir auf: / enden sah ich die Welt.« Zwar tilgte Wagner später auch diese Zeilen und änderte den Schluss unter dem Schopenhauer’schen Einfluss noch mehrmals, doch die Richtung stimmte: Brünnhilde zieht sich als »Wissende« nicht nur materiell, sondern auch spirituell zurück. Die Entsagung wird zur Selbsterlösung als einzig wirklich freier Akt des Willens. Erlöst vom leidvollen Leben wird es ihr möglich sein, in das »Nichts« einzugehen, was die Auslöschung der eigenen Existenz bedeutet und damit der Schopenhauer’schen Auffassung des indischen »nirva na« entspricht.
Wo die Erlösung nicht selbst herbeigeführt werden kann, muss sie von außen kommen beziehungsweise angeregt werden: Im PARSIFAL erfahren Kundry wie auch die Gralsge meinschaft die Erlösung durch den Titelhelden, in der GÖTTERDÄMMERUNG kommt Brünnhilde das Feuer zu Hilfe, das sie selbst entfacht, das sich zum Weltenbrand steigert und das die Welt mit Hoffnung auf eine bessere Zukunft reinigen soll. Dass »Zerstörung«
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auch immer wieder mit »Reinigung« oder »Erlösung« gleichzusetzen ist, findet sich in verschiedenen Mythologien und Religionen wieder; warum nicht auch in einer Art Wagner’scher »Kunstreligion«, die das Werkschaffen des Meisters bis hin zum PARSIFAL immer mehr durchdrang?
DAS ERLÖSUNGSMOTIV
Mit der Reinigung und dem Ende der Welt, wie man sie bisher kannte, ist also ein neuer Anfang verbunden, eine neue Chance: Der Ring gelangt an seinen Ursprung zurück, das von Wotan begangene Vergehen an der Natur wird gesühnt, der paradiesische Naturzu stand, wie er im Vorspiel zum RHEINGOLD zu vernehmen ist – zumindest für eine gewisse Zeit – wiederhergestellt. Das Ende der GÖTTERDÄMMERUNG untermauert musikalisch solch zyklisches Gedankenmuster. Hier kehrt ein Motiv wieder, das zuvor nur ein einziges Mal zu hören war: Sieglinde singt es im 3. Aufzug der WALKÜRE in dem Moment, da sie von Brünnhilde erfährt, dass sie einem Sohn das Leben schenken wird: »Du hehrstes Wunder! / Herrlichste Maid!« Dieses durch die hohen Streicher intonierte Motiv – auch als »Erlösungs-Motiv« (laut Dieter Schickling Sieglindes »Erlösung vom Joch der Macht durch Menschlichkeit«) betitelt und von Wagner-Kennern wie George Bernard Shaw oder Thomas Mann mal mit Kopfschütteln, mal mit Kopfnicken kommentiert – mischt sich im Verlauf des rein instrumentalen Schlusses mit dem Rheintöchter-Motiv und dem WalhallMotiv, um schließlich, allein für sich stehend, den Abschluss eines monumentalen Werkes zu bilden. Diese Lobpreisung Sieglindes auf Siegfried wie auch auf Brünnhilde steht unzweifelhaft für Geburt und Wiedergeburt und damit für die Zuversicht, dass Welt und Menschheit sich zur Liebe als Gegenentwurf zur zerstörerischen Macht bekennen. So spendet Wagner seinem Publikum mit den letzten Takten doch ein Quäntchen Hoffnung. Er hätte es auch für die Liebe zwischen Brünnhilde und Siegfried verwenden können, doch der Meister hatte vielmehr davon gesprochen, dass er es sich »reserviert« habe, »gleichsam als Chorgesang auf den Helden«. Der Chor war zwar schon längst aus der Schlusskonzeption des RINGES gestrichen worden, Idee und Motiv aber hatten seit der ersten Verwendung des Motivs in DIE WALKÜRE mehr als zwanzig Jahre überdauert. Damit waren die letzten Takte der GÖTTERDÄMMERUNG zu Papier gebracht, das Werk der Uraufführung preisgegeben.
CHRISTIAN STEINBOCK
Erlösungs-Motiv 23
Hansung Yoo, Kelly Cae Hogan, Albert Pesendorfer, Chor und Herren des Extrachores
In ihrem Tod erheben Siegfried und Brünnhilde sich über alle Entfremdung, kehren sie zu ihrer mythischen Integrität zurück und setzen so das Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Welt, wie sie im Instrumentalmotiv des Schlusses erklingt. Das Feuer, das Brünnhilde entfacht, »rein‘ge den Ring vom Fluch«, so ihr Imperativ. Durch Ausbrennung (Ekpyrosis) soll aber auch die Welt selber gereinigt werden. Mit dem Ende der aus einer Naturverletzung hervorgegangenen Ordnung Wotans und der Rückgabe des Rings an die Naturelemente wird die Welt in ihren paradiesischen Urzustand zurückgeführt, indem sie endet, beginnt sie neu.
Der Weltbrand, mit dem die Tetralogie schließt, weist nicht nur auf die Ragnarök der germanischen Mythologie, sondern auch auf den in der antiken Welt weit verbreiteten Mythos eines eschatologischen Reinigungsfeuers zurück. Immer liegt dem Mythos vom Weltbrand zugrunde, dass sich die Welt durch die Kraft des Feuers erneuert. Gleich der Sintflut – so Jacob Grimm in der Deutschen Mythologie – solle »auch der Weltbrand nicht für immer zerstören, sondern reinigen [!] und eine neue bessere Weltordnung nach sich ziehen«. In diesem Sinne redet Wagner in seinem Gespräch mit Cosima am 25. November 1873 selber von der »Konzeption der skandinavischen Mythologie: einer neuen Entste hung der Welt nach der Götterdämmerung«. […] So merkwürdig es zunächst klingen mag: auch der Mythos vom Weltende ist ein Gründungsmythos, denn die Endkatastrophe stellt sich zugleich als Neuschöpfung dar. Das hat schon Franz Joseph Mone in Bezug auf die germanische »Götterdämmerung« festgestellt: sie sei die „Morgendämmerung der wiedergeborenen Welt“, und er fährt fort: »Untergang und Schöpfung der Welt haben [...] viel Ähnliches miteinander, sind eigentlich eins, jener unterscheidet sich von dieser nur durch die erhöhte Tätigkeit der in ihm wirksamen Kräfte. Der Weltbrand ist also eine Welt schöpfung, aber in jeder Hinsicht kräftiger als die erste, also geistiger, schöner, besser.«
Das tiefsinnige musikalische Symbol für die Identität von Weltuntergang und Weltschöp fung ist die Umkehrbarkeit jenes ersten Leitmotivs im RING. Die diatonisch aufsteigende Linie, welche sinnfällig das Werden ausdrückt, wird in eine ebenso absteigende Linie umgekehrt, ins sogenannte Götterdämmerungsmotiv, als Erda verkündet: »Alles was ist, endet.« In diesem leitmotivischen Auf und Ab ist der Sinn der ganzen Tetralogie als Mythos vom Anfang und Ende der Welt beschlossen. Dem zyklischen Denken des Mythos ist die Vorstellung von einem absoluten Weltende fremd, für ihn besteht die Geschichte der Welt in periodischer Zerstörung und Erneuerung. Wagner scheint, nach seinen Schrif ten (OPER UND DRAMA) zu schließen, der Überzeugung gewesen zu sein, dass dieser Kreislauf der Geschichte einmal zu seinem Stillstand kommt, doch der RING lässt dieses endgültige Ende noch nicht vorhersehen. Das letzte Motiv der Tetralogie öffnet das Tor zu einer neuen Weltgestalt.
DER WELTBRAND ALS WELTSCHÖPFUNG
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Das emphatische lnstrumentalmotiv, mit dem der Ring schließt, hat Wagner, um über seine Bedeutung keinen Zweifel zu lassen, nur an zwei Stellen der Tetralogie verwendet: Es ist das Motiv, das einst Sieglinde anstimmte, als ihr von Brünnhilde verheißen wurde, sie werde Siegfried gebären. Dieses erst in Brünnhildes Schlussgesang wieder aufgenom mene und in den Schlusstakten der GÖTTERDÄMMERUNG den Geigen anvertraute Motiv redet eine deutlichere Sprache als das Textende. Es – wie üblich – als Erlösungsmotiv zu bezeichnen, geht an seiner Semantik vorbei, es ist vielmehr das Motiv der Geburt und Wiedergeburt. Bezeichnenderweise hat Wagner unter die erste musikalische Version des Schlusses der GÖTTERDÄMMERUNG vom 10. April 1872 die Worte geschrieben: »So geschehen und geschlossen am Tage, da mir vor 7 Jahren mein Lottchen geboren wurde.« Er bezieht also das abschließende Motiv auf die Geburt seiner ersten Tochter Isolde!
In der Geschichte des Mythos ist die Geburt von jeher die »symbolische Rekapitulation der Kosmogonie« gewesen, wie Eliade schreibt. Das Motiv Sieglindes ist in diesem Sinne das Gründungsmotiv, das kosmogonische Motiv par excellence, und so schließt sich in ihm wahrhaft der Kreis der Tetralogie. Wie ein Regenbogen der Hoffnung steigt es am Ende der GÖTTERDÄMMERUNG über den Motiven des in der Feuerfiguration Loges aufgelösten Walhall-Motivs und des Wellengesangs der Rheintöchter- der Musik der Naturelemente -leuchtend auf und verkündigt die Reinigung der Welt, die »restitutio in integrum«. Diese drückt sich sinnfällig in der Rückkehr des musikalischen Geschehens aus chromatischer Trübung zum reinen Klang der ursprünglichen Intervallverhältnisse aus. Mit ihnen kehrt die Vollkommenheit der Anfänge wieder, und mit dem »strahlenden Stern des Rhein’s«, in den sich der von den Rheintöchtern – nach Brünnhildes Weisung – »aufgelöste« Ring zurückverwandelt, steigt der Stern der Hoffnung auf eine neue Welt über der Stätte der apokalyptischen Verwüstung auf. So spannt sich der Bogen des Nibelungenmythos vom Einst des paradiesischen Urzustandes der Welt – versinnbildlicht durch den Es-Dur-Drei klang des Vorspiels und den Wellengesang der Rheintöchter – zu dem vom abschließen den Verheißungsmotiv verkündeten »Einst« einer wiederhergestellten Naturordnung.
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DIETER BORCHMEYER Götterdämmerungs-Motiv
Albert Pesendorfer, Bürger*innen der Stadt Kassel und Umgebung
Kelly Cae Hogan , Ulrike Schneider
Dalia Velandia, Daniel Frank, Herren des Chores und Extrachores
Thomas Gazheli, Statisterie
Wissende – Erlösende
Laß mich Dir noch etwas von Brünhilde sagen. Auch sie verkennst Du doch, wenn Du ihre Weigerung, den Ring Wodan zu überlassen, hart und eigensinnig findest. Erlebtest Du nicht, daß Brünhilde sich von Wodan und allen Göttern geschieden um – der Liebe willen, weil sie – wo Wodan Plänen nachhing – nur – liebte? Seit vollends Siegfried sie erweckt, hat sie kein andres Wissen mehr als das Wissen der Liebe. Nun – das Symbol dieser Liebe ist – da Siegfried von ihr zog – dieser Ring: da ihn Wodan von ihr fordert, tritt ihr nur noch der Grund ihrer Trennung von Wodan entgegen (weil sie aus Liebe handelte), und nur eines weiß sie jetzt noch, daß sie allem Göttertume entsagt hat um der Liebe willen. Sie weiß aber, daß die Liebe das einzig Göttliche ist: so möge denn Walhalls Pracht zugrunde gehen, aber den Ring – (die Liebe) – opfert sie nicht. Ich bitte Dich, wie erbärmlich, geizig und gemein stünde sie nun da, wenn sie den Ring deshalb verweigerte, weil sie (etwa durch Siegfried) um seinen Zauber, um seine Goldmacht wüßte? Das wirst Du doch diesem herrlichen Weibe nicht im Ernste zumuten? – Schauert es Dich aber, daß dieses Weib gerade in diesem verfluchten Ringe das Symbol der Liebe bewahrt, so wirst Du ganz nach meiner Absicht empfinden und hierin die Macht des Nibelungen Fluches auf seiner furchtbarsten, tragischsten Höhe erkennen: dann wirst Du überhaupt die Notwendigkeit des ganzen letzten Dramas SIEGFRIEDS TOD erkennen. Das mußten wir noch erleben, um vollkommen das Unheil des Goldes innezuwerden.
RICHARD
Das Vorspiel der GÖTTERDÄMMERUNG zeigt uns Brünnhilde als eine verwandelte Per sönlichkeit. Als liebende Frau ist ihre Kraft gebrochen, sie »neigt« sich dem Helden in Demut, schenkt ihm alle Attribute ihrer einstigen Göttlichkeit: ihre Runen, ihr Wissen, ihre Waffen, ihr Luftross. […] Nach seinem Abschied ist sie ganz auf ihre Liebeserinne rung fixiert. Dem Verlust ihres weiten Horizonts entspricht die Kleinteiligkeit ihrer Motive, die kaum noch in ihrer ganzen Länge erklingen, sondern fast nur noch als Fragmente aufscheinen. […] Brünnhilde muss erst durch die tiefsten Abgründe der Verzweiflung und der Demütigung hindurchgehen. Erst im zweiten Akt, als sie den Verrat durchschaut, den Siegfried an ihr begangen hat, wachsen ihr neue Kräfte zu. Aber es sind jetzt zer störerische Rachegelüste, und sie finden ihren musikalischen Ausdruck, indem das neu exponierte Motiv der Strafe nun zum Motiv der Rache umgedeutet wird.
Brünnhilde: Liebende – Rächende –
WAGNER AN AUGUST RÖCKEL, 25 /26 JANUAR 1854
ULRIKE
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KIENZLE
So sehen wir am zweiten Abend des RINGS Brünnhilde in der Rolle des von Wahrheit erahnenden religiösen Instinkts, in einen Zauberschlaf versenkt und von den Feuern der Hölle umgeben, damit sie nicht eine Kirche umstürze, die durch ihr Bündnis mit der Regierung verderbt ist. Am vierten Abend sehen wir sie einen hinterhältigen Eid schwören, um ihre persönliche Eifersucht zu befriedigen, und dann mit einem Dummkopf und einem Schurken einen heimtückischen Mord auszuhecken. Im ursprünglichen Entwurf von SIEG FRIEDS TOD wird die Inkongruenz noch weiter getrieben durch den Schluss, wo die tote Brünnhilde, der Wotan die Göttlichkeit wiedergegeben hat und die wieder eine Walküre ist, den erschlagenen Siegfried nach Walhall bringt, damit er dort auf immer glücklich mit den gottesfürchtigen Helden lebe.
GEORGE BERNARD SHAW
Brünhilde-Motiv
Brünnhilde ist die Antigone des Nibelungen-Mythos. Sie leistet, was weder Siegmund noch Siegfried leisten konnten. Siegmund geht an der Paradoxie einer eben doch gött lich vorbestimmten Selbstbestimmung zugrunde. Siegfried scheitert, da er zwar frei von Götterwillen und vom Banne des Rings, also von jedem Macht- und Besitzdenken han delt, aber aufgrund seiner naturzuständlichen Unvertrautheit mit den Mechanismen der Gesellschaftswelt ins Netz tödlicher Intrige gerät. Die »freieste Tat«, welche die Welt von den Zwängen eines im Macht- und Besitzdenken gründenden Staats- und Gesellschafts vertrages befreit, bleibt Brünnhilde vorbehalten.
DIETER BORCHMEYER
Brünnhildes Schlussgesang ist als eine große Conclusio gestaltet, als eine rückläu fig sich vollziehende Erinnerung, in der die wichtigsten musikalischen Themen noch einmal anklingen. »Starke Scheite / schichtet mir dort« ist die letzte Ansprache, das letzte Band, das Brünnhilde mit der irdischen Welt verknüpft. Dann versinkt sie in einen Zustand der Entrücktheit, die zugleich eine visionäre Hellsichtigkeit ist. »Ihre Mienen nehmen eine immer sanftere Verklärung an«, heißt in der Regieanweisung. »Der ganze Vorgang«, schreibt Heinrich Porges, »mahnt an die erhabene Größe der antiken Tragödie; Brünnhilde erscheint nach des Meisters Wort wie ›eine Seherin der alten Deutschen‹. Alle menschlichen Leidenschaften sind jetzt in ihr getilgt, sie ist zum reinen Auge des Erkennens geworden …«
ULRIKE KIENZLE
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Albert Pesendorfer, Jaclyn Bermudez
DER HILFSREGISSEUR RICHARD FRICKE
Angesichts der Tatsache, dass Wagner seinen RING geschrieben und komponiert hatte, wollte er nun bei den ersten Bayreuther Festspielen, bar aller Erfahrungen, auch die Regie übernehmen. Zu diesem Zweck, und damit er ihm mit Rat und Tat zur Seite stehe, hatte Wagner den Dessauer Choreografen Richard Fricke als Hilfsregisseur engagiert, den er auf einer seiner Rundreisen durch die deutsche Theaterlandschaft kennengelernt hatte. Die Proben begannen bereits im Sommer 1875 und Fricke schrieb in sein Tagebuch: »Wagner spricht leise, undeutlich, gestikuliert viel mit den Händen und Armen; die letzten Worte des Satzes geben annähernd zu verstehen, was er will, und man muss höllisch aufpassen; ich denke, dass ich mich bald daran gewöhnen werde.«
Die Regiearbeit förderte Wagners unberechenbares und aufbrausendes Naturell zu Tage, was seine hilfsbereiten Mitstreiter und Kollegen ein ums andere Mal zur Verzweiflung brachte. Fricke, der penibel all das, was er erlebte, notierte, brachte es immer wieder auf den Punkt: »Heute will er es so und morgen wieder anders. Es ist geradezu unmöglich, die Szene in ihren Wechslungen festzustellen. Er unterbricht fortwährend und verlangt höchst komische Sachen, welche die Darsteller, die doch nicht das erste Mal auf der Bühne stehen, geradezu verwirren. Er springt zwischen die Singenden, stellt sich neben sie und macht ihnen Gesten vor.« Als man befürchtete, Wagner würde mit einer unbedachten Geste die Petroleumlampe, die der Beleuchtung seiner Partitur galt, vom Tisch fegen und alles in Flammen aufgehen lassen, wurde selbiger kurzerhand mit dem Bühnenboden verschraubt. Bei alledem war Wagner durchaus in der Lage, sein unberechenbares Tem perament zu reflektieren: »Wenn ich den Zustand, in dem ich jetzt normal bin, empfinde, kann ich nicht anders, als meine Nerven für ruiniert zu halten. Wunderbarerweise aber tun mir diese Nerven, wenn es gilt und mir schöne Anregungen kommen, die wundervollsten Dienste. Ich bin dann von einer Hellsichtigkeit, von einer Wohlempfindung des Erfahrens und Produzierens, wie ich früher es nie gekannt hatte. Soll ich nun sagen, meine Nerven sind ruiniert? Ich kann’s nicht. Ich sehe nur, daß der meiner Natur normale Zustand die Exaltation ist. In der Tat fühle ich mich nur wohl, wenn ich ›außer mir‹ bin. Dann bin ich ganz bei mir.«
PROBENARBEIT
Wagner verlangte seinen Sängerdarstellern viel ab: »Der 1. Akt SIEGFRIED macht unsäg liche Schwierigkeiten, weil Unger, der den Siegfried singt, auf wirklichem Herdfeuer mit wirklich glühendem Eisenstab sich sein Schwert Nothung schmieden muss.« Aber auch um den einen oder anderen kleinen Scherz zur Auflockerung der Proben war Wagner nicht verlegen: »Als der Wotan, Franz Betz, Wagner fragte: ›Wo tritt Fricka auf‹, bellte Wagner: ›Links, der Teufel kommt immer von links.‹« Als Wagner mit dem Mime-Darsteller Karl Schlosser probte, zog er, der selbsternannte Regisseur, schließlich alle Register seines Könnens: »Szenenprobe SIEGFRIED 1. Akt. Ich hatte heute die Freude, Wagners Talent
FESTSPIELE und URAUFFÜHRUNG
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zu bewundern, wie er es versteht, einen Charakter, wie den des Mime, dem Darsteller klarzulegen. Es war meisterhaft, wie er einzelnes darstellte, nuancierte! Schlosser wird ein ausgezeichneter Mime werden, aber nicht, wie Wagner es sein würde.« Wagner brauste auf, wo er nur konnte, besonders dann, wenn er etwas zuvor mühsam Arrangiertes kurzer hand wieder änderte: »Er war furchtbar aufgeregt, sprang herum und trampelte mit den Füßen, dass einem heiß und kalt wurde. Die Walküren, mit schweren, großen Schilden bewaffnet, waren in Schweiß gebadet. Es wurde alles umgeworfen. Ich hatte mich wohl gehütet, daran teilzunehmen«, obgleich es natürlich der stets schweißgebadete Fricke war, der die sprichwörtlichen Kühe vom Eise holen musste.
Hagen-Motiv
Ein ums andere Mal musste der gebeutelte Hilfsregisseur sein improvisatorisches Talent unter Beweis stellen, zum Beispiel, wenn das Geld ausging und anstelle der ursprünglich angedachten 25 Tänzer für die Darstellung der Nibelungen kurzerhand 25 junge Bay reuther Turner verpflichtet wurden, die nun mit Gusto und Verve einstudiert werden muss ten: »Ich werde ihnen zunächst aus der französischen Tanzschule zusammengesetzte, von mir erfundene Freiübungen, welche ich gleich für das vorliegende Werk zurecht machte, zeigen«, schrieb Fricke, »lediglich, um die Glieder zu kräftigen und ihnen die Herrschaft über ihren Körper zu geben. Sie können diese Übungen Tag für Tag in ihrem Zimmer probieren und sie werden bald die gute Wirkung spüren. Es wurde ein Kreis geschlossen und nun ging die Tanzstunde los. Um 8 ½ trennten wir uns, ich war in meinem Eifer doch etwas warm geworden.«
Es wurden kaum Kosten und Mühen gescheut, um eine opulente Ausstattung auf die Bühne zu bringen: Für die Rheintöchter gab es eigens konstruierte höhenverstellbare Schwimmwagen, auf denen die Sängerinnen festgeschnallt wurden und knapp sechs Meter über dem Boden mit imaginären Wellen spielten. Über das Walküren-Kostüm schrieb Fricke, es sei »das Schönste, was ich seit langer Zeit gesehen habe«. Ludwig II. sorgte für Brünnhildes Pferd Grane. Und Dampf und Nebel wurden für die Verwandlungen mittels einer in einem Nebenraum aufgestellten Lokomotive erzeugt und auf die Bühne geleitet, was allerdings auch die eine oder andere Schwierigkeit mit sich brachte: »Die Verwandlungen zwischen den Szenen mit Hilfe von Dämpfen gehen gut, aber die Ver wandlungen und das Verschwinden des Alberich durch Dämpfe und Versenkungen lassen 34
noch zu wünschen übrig. […] Die Musiker beklagen sich, dass die Dämpfe durch die Verbindungswand des Podiums in den hinteren Orchesterraum schlagen und dass deshalb die Harfen die Stimmung nicht halten können. Auch beklagen sie sich über Zugluft, es sei kaum auszuhalten. Wagner lässt nachsehen, geht selbst mit, kommt wieder und ruft ins Orchester: ›Ich habe die Oper komponiert, und nun soll ich auch noch die Fenster zumachen!‹«
Zu guter Letzt war da noch die Sache mit dem von Arnold Böcklin entworfenen Drachen, oder besser gesagt mit dem Wurm, der in England hergestellt wurde und auf den man nun gespannt im Fränkischen wartete. Dieses Biest aus Pappmaché ließ lange auf sich warten, sodass Fricke am 22. Juli in seinem Tagebuch vermerkte: »Das Vorderteil des Drachens ist noch nicht angekommen. Nach dem Hinterteil zu urteilen, das man bei solchen Biestern ›Schwanz‹ nennt, muss es ungeheuerlich sein. Die Riesenschlange ist ein Meisterstück der Phantasie und Maschinerie. Sie sperrt den Rachen auf, verdreht die Augen gräulich und der Leib ist mit hellgrünen Schuppen besetzt.« Am 9. August erreichte wieder ein größeres Paket Bayreuth: »Es war wieder ein Stück vom Vorderteil angekommen, ich konnte nicht recht klug daraus werden, aber so viel sehe ich: Die zierliche Fresse fehlt immer noch.« Zwei Tage vor der Uraufführung des SIEGFRIED heißt es schließlich: »Der Drache ist angekommen. Als ich ihn sah, flüsterte ich [dem Kostümbildner Emil] Döpler zu: ›In die allertiefste Rumpelkammer mit dem Luder! Weglassen! An diesem Wurm gehen wir zugrunde.‹« Doch der Wurm musste auf die Bühne. Und da das Mittelstück immer noch fehlte, nähte man in aller gebotenen Eile den Kopf kurzerhand direkt an den Schwanz, was den Drachen eher komisch als schrecklich wirken ließ. Der Berliner Jour nalist Paul Lindau konnte es sich auch nicht verkneifen, dieses Ungetüm als Mittelding zwischen »Eidechse« und »Stachelschwein« zu beschreiben. Der noch fehlende Teil des Wurmes kam übrigens nie in Bayreuth an. Irgendjemanden musste auf der britischen Post das »th« am Ende des Wortes Bayreuth irritiert haben, denn das Drachenmittelstück landete am Ende im libanesischen Beirut.
WAGNERS SIEG
Am Ende endlich Festspiele! »Jede Aufführung soll nachmittags um 4 Uhr beginnen«, hatte Wagner bereits im Oktober 1874 Ludwig II. wissen lassen, »so dass zwischen jedem
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Gibichungen-Motiv
der Akte eine bedeutende Erholungspause eintritt, welche die Zuhörerschaft zur Ergehung in die das Theater umgebenden Parkanlagen, zur Einnahme von Erfrischungen in freier Luft und reizender Gegend benutzen soll, um, vollkommen erfrischt, sich im Zuschauerraum, auf das Zeichen der Posaunen von der Höhe des Theaters, mit derselben Emp fänglichkeit wie zum ersten Akte wieder zu versammeln.« Diese Ideen sind zur Tradition gereift und gelten auch heute noch. Drei Zyklen sollten 1876 insgesamt gespielt werden, denen eine viertägige Generalprobe vorausging, für die günstig Karten verkauft wurden. Als sich herumsprach, dass Ludwig II. höchstpersönlich dazu erscheinen würde, wurde mit den Karten ein schwunghafter Schwarzhandel betrieben. Nach der letzten General probe verschwand der König, der eigens in einem Sonderzug angereist war, jedoch wieder, um den zur RHEINGOLD-Premiere angekündigten Kaiser in persona nicht treffen zu müssen. Bei seiner Abreise hatte er sich sogar alle Ovationen von Seiten der Bevölkerung verbeten, als diese dann aber tatsächlich nicht stattfanden, hielt er das Ausbleiben doch für unangemessen.
Zwei Kaiser und zwei Könige kamen schließlich zu den Aufführungen: Wilhelm I. von Deutschland und Dom Pedro II. von Brasilien, ferner der König von Württemberg und –allerdings erst zum letzten Zyklus, da er abermals niemandem von Rang begegnen wollte – Ludwig II. Außerdem reisten viele Adlige, Musiker und Kollegen Wagners an: unter ande rem Camille Saint-Saëns, Anton Bruckner, Franz Liszt und Peter Tschaikowsky, ferner Theaterdirektoren, diverse Künstler und Literaten, einige Politiker, selbstverständlich zahlreiche Freunde Wagners und Kritiker, die aber nicht für Zeitungen schrieben, wie etwa Friedrich Nietzsche, für den der Zyklus zu einer Qual wurde und der schrecklichste Kopf schmerzen zu erleiden hatte: »Mir graut vor jedem dieser langen Kunstabende.« Außerdem kritisierte Nietzsche die Kostüme, die ihn durchweg an Indianer-Häuptlinge erinnerten.
Vero Miller,
Marta Herman, Kelly Cae Hogan, Elizabeth Bailey, Bürger*innen der Stadt Kassel und Umgebung
Schon dem Generalprobenandrang war das kleine Bayreuth nicht gewachsen. Es fehlten Unterkünfte, vor allem aber fehlte es an Essen. Der Andrang in den Wirtshäusern war immens. Tschaikowsky berichtete von einem gastronomischen Krieg um Butterbrote und Würstchen: »Koteletts, Bratkartoffeln und Omeletts wurden weitaus eifriger diskutiert als Wagners Musik.« Und weiter: »Ich traf in Bayreuth eine Dame, die Gattin einer hoch gestellten Persönlichkeit, die während ihres ganzen bisherigen Aufenthaltes nicht ein einziges Mal zu Mittag gegessen hatte. Kaffee war ihre einzige Nahrung.«
Auch die Aufführungen gingen nicht ganz reibungslos vonstatten. Oder anders ausge drückt: Es gab auch hier die eine oder andere Panne. Wotan Franz Betz verlor im RHEIN GOLD zweimal den Ring und lief zweimal in die falsche Gasse ab; ein Bühnenarbeiter zog bei einer Verwandlung einen Prospekt zu früh heraus, sodass man die Hinterwand des Theaters sehen konnte mit den dazugehörigen Arbeitern in Hemdsärmeln. Wagner wollte vor Scham versinken und ließ sich eine halbe Stunde lang vom Publikum rufen, ohne zu erscheinen. Erst ein abendlicher Besuch des Kaisers Dom Pedro richtete ihn wieder auf. Insgesamt verlief der erste Abend so, dass die Wagner-Anhänger noch nicht ganz befriedigt und die Wagner-Kritiker noch nicht ganz enttäuscht zu Bett gingen. In der WALKÜRE gab es einen Zwischenfall, denn in der Pause ließ Kaiser Wilhelm I. Wagner zu sich rufen und ließ vermelden, dass, wenn er Musiker wäre, ihn Wagner wohl kaum in das Orchester dort unten im Graben bekommen hätte. Zudem ließ der Hochwohlgeborene wissen, dass er es bedaure, nun nicht länger bleiben zu können. Wagner überspielte die Kulturmuffigkeit des Monarchen mit der Spitze: »Die Gnade ist nicht an Zeit und Raum gebunden.« Dann stolperte der Kaiser auch noch und Wagner war später davon überzeugt, dass nur sein rasches Zugreifen den Tod des Erlauchten verhindert habe.
Der SIEGFRIED wurde bei seiner Uraufführung am 16. August frenetisch gefeiert und zum eigentlichen Sieg Wagners in Bayreuth erklärt. Besonders die Schmiedeszene, über die der Rezensent Paul Lindau berichtete, gefiel ungemein: »Was Wagner hier mit dem Orchester anfängt und erreicht, ist unbeschreiblich. Das Orchester zieht den keuchen den Blasebalg und lässt die Funken auf dem Herd stieben. Es schmilzt und gießt und
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Horn-Motiv (Siegfried-Ruf)
schweißt und hämmert und feilt, es macht alles.« Dann aber kam besagter Drache, der zum Bayreuther Tagesgespräch avancierte. Als er auf die Bühne geschoben wurde, hörte man keinem Gesang und keiner Dichtung mehr zu. Dieser haarige Lindwurm nahm alle Aufmerksamkeit für sich ein. Die GÖTTERDÄMMERUNG schließlich – uraufgeführt am 17. August – wurde von allen Beteiligten nur mit viel Mühe, Schweiß und einer gehöri gen Portion Angst über die Bühne gebracht. Paul Lindau schrieb: »Siegfrieds Tod ist ein musikalisch-dramatisches Bild in großartigstem Stile, großartig in der Konzeption und ebenso großartig in der Durchführung. So stirbt ein Held, so wird um einen Helden geklagt, so wird ein Held bestattet. Hätte Wagner nichts anderes geschaffen, als dieses eine gewaltige Bild, schon dadurch allein würde er die Berechtigung gewinnen, sich den großen Künstlern aller Zeiten beizugesellen.« Dann aber doch noch ein Wehrmutstropfen: Der Einsturz der Gibichungenhalle misslang nach allen Regeln der Kunst.
»UND IM NÄCHSTEN JAHR …«
Auch wenn die beiden noch folgenden RING-Zyklen nicht fehlerfrei liefen und Ludwig II. Wagner aufgrund dessen ständigem Zusammenzucken bei nicht gelungenen Stellen fragte, ob dem Meister nicht wohl sei, hatte Wagner am Schluss gesiegt. Der RING wurde bejubelt und Wagner hatte mit dieser Tetralogie und den ersten Bayreuther Festspielen etwas geschaffen, was kein Künstler vor ihm zu leisten im Stande gewesen war. Zwar stand er seinem Erfolg mehr als skeptisch gegenüber – in Cosimas Tagebuch ist sogar der Vermerk »Trübsal! Erschütterung! Richard ist sehr traurig, er sagt, er möchte sterben« zu lesen –, dennoch schien Wagner von Idee und Zukunft seines Werkes überzeugt, schließ lich raunte er Hilfsregisseur Fricke am Ende ins Ohr: »Und im nächsten Jahr machen wir alles anders.« Doch an einen weiteren RING-Zyklus war zunächst nicht zu denken: Das Defizit war so gewaltig, dass nach Abzug aller Einnahmen ein Schuldenberg von 160.000 Mark übrig blieb. Der nächste RING gelangte erst 1894 auf die Bayreuther Bühne und damit elf Jahre nach Wagners Tod.
Trauer-Motiv 38
CHRISTIAN STEINBOCK
Alle wollen die Welt verändern, nur keiner sich selbst.
LEO TOLSTOI
Kelly Cae Hogan
Elizabeth Bailey (Woglinde) erhielt ihre Ausbildung an der Guildhall School of Music & Drama in London und erarbeitete sich im lyrischen Sopranfach zahlreiche Partien wie Folleville (IL VIAGGIO A REIMS), Oscar (UN BALLO IN MASCHERA), Rosina (LA FINTA SEMPLICE) und Sophie Scholl (Zimmermanns DIE WEISSE ROSE). Sie ist vielfache Preisträgerin und Finalistin internationaler Wettbewerbe. Nach ersten Engagements in Frankreich und in der Schweiz gehört sie seit 2016 zum Ensemble am Staatstheater Kassel und war hier u. a. als Konstanze (DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL), Giunia (LUCIO SILLA), Anne Trulove (THE RAKE’S PROGRESS), Königin der Nacht (DIE ZAUBERFLÖTE), Woglinde (DAS RHEINGOLD), Giulietta (Bellinis I CAPULETI E I MONTECCHI), Waldvo gel (SIEGFRIED) und Ilia (IDOMENEO) zu hören. Neben der Oper pflegt sie ein breites Konzertrepertoire. 2018 wurde sie mit dem Kasseler IrmaJansa-Gesangspreis ausgezeichnet.
Jaclyn Bermudez (Gutrune) studierte Gesang an der Carnegie Mellon Uni versity sowie an der Manhattan School of Music. Nach ersten Erfahrungen im Opernstudio der Deutschen Oper am Rhein war sie von 2011 bis 2013 Ensemblemitglied am Theater Hagen, wo sie mit großem Erfolg und von Presse und Publikum euphorisch gefeiert Mimì (LA BOHEME), Micaëla (CARMEN), Donna Anna (DON GIOVANNI) und die Titelpartie in C. Floyds SUSANNAH sang. 2013 wechselte sie an das Staatstheater Kassel, wo sie Partien wie Tatjana (EUGEN ONEGIN), Rosalinde (DIE FLEDERMAUS), Gretel (HÄNSEL UND GRETEL), Anne Trulove (THE RAKE’S PROGRESS), Liù (TURANDOT), Freia (DAS RHEINGOLD), Gerhilde (DIE WALKÜRE), Baronin Freimann (DER WILDSCHÜTZ) sowie die Titelpartien in Traettas ANTIGONA und in JENUFA interpretierte. Auf dem Konzertpodium war sie immer wieder mit den Düsseldorfer Symphonikern und den Duisburger Philharmonikern zu erleben. 2018 wurde sie mit dem Nachwuchspreis der Fördergesellschaft des Staatstheaters sowie 2019 mit dem VolksBühne-Preis ausgezeichnet.
40 Biografien der Künstler*innen SÄNGER*INNEN
Daniel Frank (Siegfried) gab sein Operndebüt als John Sorel in Menottis DER KONSUL an der Folkoperan in Stockholm. Es folgten weitere Bariton-Partien bevor er sich dem Tenor-Fach widmete und Partien wie Laca (JENUFA), Ta mino (DIE ZAUBERFLÖTE) und Don José (CARMEN) übernahm. Schon bald folgten die ersten Wagner-Rollen. So interpretierte er Tannhäuser u. a. in Düsseldorf, Bogotá und Prag, Lohengrin in Bern, sowie Siegfried (GÖTTER DÄMMERUNG) in Karlsruhe und an der Oper Leipzig. Weitere Engagements führten ihn als Peter Grimes und Tristan nach Bern, Radamès (AIDA) nach Malmö, Bacchus (ARIADNE AUF NAXOS) nach Göteborg, Paul (DIE TOTE STADT) an die Nederlandse Reisopera, Florestan (FIDELIO) nach Bologna sowie als Siegmund (DIE WALKÜRE) und Bacchus abermals an die Deutsche Oper am Rhein. Vom Freundeskreis der Folkoperan sowie der Kulturverwal tung der Stadt Uppsala wurde er mit Preisen ausgezeichnet. 2012 erhielt er das Birgit Nilsson-Stipendium und das Freimaurer-Stipendium des Nordic First St. Johannis Loge Jubelfond, gefolgt von der Royal Operas Friend’s Ri chard Brodin Scholarship 2013 sowie dem OPERA Award 2014 des gleich namigen schwedischen Magazins. Zukünftige Engagements führen ihn u. a. als Siegfried an das Aalto Theater Essen (DER RING AN EINEM ABEND) und in das Amsterdamer Concertgebouw (GÖTTERDÄMMERUNG konzertant) sowie als Albert Gregor (DIE SACHE MAKROPOLOS) nach Malmö und als Parsifal nach Bern.
Thomas Gazheli (Alberich) gehört zu den international gefragten Interpreten des Heldenbaritonfachs. Noch während des Studiums wurde er von Donald Runnicles an das Theater Freiburg verpflichtet. Weitere Festengagements folgten am Theater Basel und am Gärtnerplatztheater. Neben Alberich, den er in Tokio, bei den Festspielen von Santander, an der Oper Leipzig, der Ópera de Oviedo und am Aalto Theater Essen interpretiert hat, zählen zu seinem Repertoire u. a. die Titelpartie in DER FLIEGENDE HOLLÄNDER sowie Telramund (LOHENGRIN), Amfortas und Klingsor (PARSIFAL), Wotan / Wanderer (RING), Jochanaan (SALOME) und Don Pizarro (FIDELIO). Immer wieder ist er an renommierten Opernhäusern weltweit zu erleben, u. a. an der Mailänder Scala sowie in Dresden, Kopenhagen, Montreal, Sevilla, Mar seille, Palermo, Peking und Rom. Zuletzt war er u. a. als Jochanaan in Graz, RHEINGOLD-Alberich in Prag, Holländer in Florenz, Klingsor in Palermo sowie als Amfortas und Prometheus in Walter Braunfels’ DIE VÖGEL bei den Tiroler Festspielen in Erl zu hören.
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Marta Herman (1. Norn | Floßhilde) wurde direkt nach ihrem Gesangsstu dium in Kanada an das Opernstudio der Oper Frankfurt engagiert, wo sie u. a. als Zweite Dame (DIE ZAUBERFLÖTE) und Dritte Waldelfe (RUSAL KA) zu erleben war. Gastengagements führten sie erneut an die Oper Frankfurt, die Dutch National Opera und das Landestheater Salzburg. Seit 2016 ist die junge Mezzosopranistin festes Ensemblemitglied am Staatstheater Kassel, wo sie bislang Partien wie Hänsel (HÄNSEL UND GRETEL), Cherubino (LE NOZZE DI FIGARO), Stephano (ROMEO ET JU LIETTE), Emone (ANTIGONA) sowie zuletzt Grimgerde (DIE WALKÜRE) und Suzuki (MADAMA BUTTERFLY) sang. Neben der Oper widmet sie sich besonders der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts. So gastierte sie z. B. beim ExVoCo Ensemble in Stuttgart, dem tonArt Festival Esslingen und am Internationalen Musikinstitut Darmstadt. Als Grimgerde gab sie kürzlich ihr Debüt an der Oper Leipzig. 2019 wurde sie mit dem Nach wuchspreis der Fördergesellschaft des Staatstheaters ausgezeichnet.
Kelly Cae Hogan (Brünnhilde), gebürtig aus Iowa / USA und Preisträgerin zahlreicher Wettbewerbe und Stipendien, gab ihr Operndebüt 1996 als Hanna Glawari (DIE LUSTIGE WITWE) an der New York City Opera. Sie trat an renommierten Opernhäusern in den USA, Europa und Asien auf, u. a. als Elsa (LOHENGRIN) und Gerhilde (DIE WALKÜRE unter James Levine, Lorin Maazel und Philippe Jordan) an der New Yorker Met, Blanche Du Bois (A STREETCAR NAMED DESIRE) an der Virginia Opera sowie in der Titelpartie von Strauss’ SALOME in Warschau mit anschließender JapanTournee. Weitere Engagements führten sie als Lady Macbeth (MACBETH) sowie als Brünnhilde in allen drei RING-Teilen an die Opera North (Eng land-Tournee) und in die Royal Festival Hall London, als Marschallin (DER ROSENKAVALIER) an das Theater Bremen und in der Titelrolle in NORMA an die Oper Bonn. Am Staatstheater Kassel war sie erstmals 2011 als Katerina (LADY MACBETH VON MZENSK) zu hören und übernahm hier mit Leonore (FIDELIO), Elisabeth (TANNHÄUSER) sowie der Titelrolle in Puccinis TURANDOT weitere wichtige Partien. Zukünftige Verpflichtungen schließen auch Engagements an der New Yorker Met wieder mit ein.
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Vero Miller (2. Norn | Wellgunde) studierte Gesang in Karlsruhe und München. Zudem besuchte sie Meisterkurse, u. a. bei Brigitte Fassbaen der, Cheryl Studer und Júlia Várady. Sie ist vielfache Stipendiatin und Preisträgerin zahlreicher Wettbewerbe. Erste Engagements führten sie u. a. als Dorabella (COSI FAN TUTTE) an das Theater Koblenz und das Landestheater Detmold, als Bradamante (ALCINA) an die Kammeroper Schloss Rheinsberg, als Hänsel (HÄNSEL UND GRETEL) zur Jungen Oper Schloss Weikersheim, als Annio (LA CLEMENZA DI TITO) an das Staatstheater Mainz und als Küchenjunge (RUSALKA) an die Oper Leip zig und die Oper Köln. Zudem konzertierte sie mit so wichtigen Orches tern wie den Münchner Symphonikern, dem Gewandhausorchester Leip zig, dem Gürzenich-Orchester Köln und dem Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz. Seit Beginn der Spielzeit 2019–20 ist sie Ensemblemitglied am Staatstheater Kassel und gab hier ihr Debüt als Hänsel.
Doris Neidig (3. Norn) absolvierte ihre Gesangsausbildung am Konservato rium in Nürnberg sowie an der Musikhochschule Detmold. Nach ersten freischaffenden Jahren ist sie seit 2001 als Chorsängerin am Staatstheater Kassel engagiert, an dem sie auch immer wieder solistisch zu sehen ist, zuletzt u. a. als Smeraldine (DIE LIEBE ZU DEN DREI ORANGEN), Echo (ARIADNE AUF NAXOS), Sandmännchen und Taumännchen (HÄNSEL UND GRETEL), Mutter/Großmutter (INTO THE WOODS) und Helmwige (DIE WALKÜRE). Seit 30 Jahre ist sie Mitglied im Chor der Bayreuther Festspiele, wo sie auch als Blumenmädchen- und Rheintochter-Cover ver pflichtet war. Dabei arbeitete sie mit Dirigenten und Regisseuren wie James Levine, Antonio Pappano, Christian Thielemann, Giuseppe Sinopoli, Wolfgang Wagner, Katharina Wagner, Barrie Kosky, Hans Neuen fels und Christoph Schlingensief.
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Albert Pesendorfer (Hagen) zählt zu den international gefragtesten Bas sisten. Engagements führten ihn an so bedeutende Opernhäuser wie die Deutsche Oper Berlin, das Opernhaus Zürich, die Wiener Staatsoper, die Hamburgische Staatsoper, die Semperoper Dresden sowie nach Antwer pen, Tokio, Madrid, Monte Carlo, Budapest, zu den Bregenzer Festspie len und den Maifestspielen Wiesbaden. Sein Repertoire umfasst an die 70 Partien, darunter Baron Ochs (DER ROSENKAVALIER), Rocco (FIDE LIO), Sarastro (DIE ZAUBERFLÖTE), Großinquisitor (DON CARLO) sowie zentrale Wagner-Rollen wie Gurnemanz (PARSIFAL), König Marke (TRISTAN UND ISOLDE), Landgraf (TANNHÄUSER), Hans Sachs (MEISTERSINGER) und Daland (DER FLIEGENDE HOLLÄNDER). Als Hagen gab er 2016 mit überwältigendem Erfolg sein Debüt bei den Bayreuther Festspielen. In dieser Partie stand er u. a. auch in Berlin, Tokio, Wien und Wiesbaden auf der Bühne. 2011 nominierte ihn die Zeitschrift »Opernwelt« für seine Leistungen als Hunding (DIE WALKÜRE) und Hagen an der Staatsoper Hannover zum Sänger des Jahres. Im Mai 2020 gibt er sein Rollendebüt als Boris Godunow an der Wiener Volksoper. Seit 2015 hat er eine Professur an der UdK Berlin inne. Ulrike Schneider (Waltraute) wurde nach ihrem Studium an das Opern studio der Bayerischen Staatsoper engagiert. Es folgten Engagements u. a. in Luzern, Halle und Hamburg sowie in der Titelrolle der Agrippina bei den Göttinger Händelfestspielen. Konzertverpflichtungen führten sie u. a. in die Tonhalle Zürich, die Berliner Philharmonie und das Gewand haus Leipzig. Dabei arbeitete sie mit renommierten Dirigenten wie Mi chael Hofstetter, Ingo Metzmacher, Marek Janowski, Zubin Mehta und Fabio Luisi. Seit 2013 ist sie Ensemblemitglied am Staatstheater Kas sel und brillierte hier in Partien wie Venus (TANNHÄUSER), Amme (DIE FRAU OHNE SCHATTEN), Adalgisa (NORMA) und zuletzt als Klytäm nestra (ELEKTRA), Küsterin (JENUFA), Brangäne (TRISTAN UND ISOL DE) und Fricka (DAS RHEINGOLD / DIE WALKÜRE). Für ihre herausra genden Leistungen wurde sie 2014 mit dem VolksBühne-Preis sowie 2017 mit dem Irma-Jansa-Gesangspreis ausgezeichnet. Als Klytämnes tra gastierte sie am Aalto Theater Essen, demnächst übernimmt sie die Partie der Küsterin am Theater Bremen.
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Dalia Velandia (Gestalt Waldvogel) wurde in Bogotá / Kolumbien gebo ren und absolvierte ihre tänzerische Ausbildung an der Universidad Dis trital (ASAB) mit dem Abschluss in Performing Arts (2015). Im An schluss tanzte sie in zwei Produktionen der Choreografin Marcela Ruiz (Kolumbien / Deutschland) und des Choreografen Bruno Caverna (Brasi lien). Sie wurde Mitglied der Compañía Danza Común und trat bei ver schiedenen Festivals und in zahlreichen Theatern in Kolumbien, Frank reich und in den Niederlanden auf. 2017 erhielt sie ein Stipendium, das sie nach Deutschland führte, wo sie ihre Studien in zeitgenössischem Bühnentanz bis 2019 bei SOZO Visions in Motion Kassel fortsetzte. Dabei arbeitete sie mit Choreograf*innen wie Jianan Qu (China), Ryan Mason (USA) und Agostina de Alessandro (Belgien / Argentinien). Seit einiger Zeit arbeitet sie auch freischaffend und bringt mit anderen Künstler*innen eigene Tanzprojekte heraus, die bereits bei Festivals in Deutschland, Kolumbien, Frankreich, Italien und in den Niederlanden zu sehen waren.
Hansung Yoo (Gunther) studierte Gesang an der National University in Südkorea sowie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg. Er ist Preisträger internationaler Gesangswettbewerbe: 2012 stand er im Finale des ARD Musikwettbewerbs, 2015 belegte er beim TschaikowskyWettbewerb den 3. Platz. Seit 2013 gehört er fest zum Ensemble am Staatstheater Kassel und stand hier mit großem Erfolg u. a. als Figaro (IL BARBIERE DI SIVIGLIA), Eugen Onegin, Graf Almaviva (LE NOZZE DI FIGARO), Marcello (LA BOHEME), Carlo Gérard (ANDREA CHENIER), Kurwenal (TRISTAN UND ISOLDE), Ping (TURANDOT), Sharpless (MADAMA BUTTERFLY), Alfio (CAVALLERIA RUSTICANA) und Tonio (I PAGLIACCI) auf der Bühne. 2016 wurde er mit dem Nachwuchspreis der Fördergesellschaft des Staatstheaters und dem Irma-Jansa-Gesangs preis ausgezeichnet, 2018 folgte der VolksBühne-Preis. Gastengage ments führten ihn als Sharpless an das Staatstheater Nürnberg sowie als Graf Luna (IL TROVATORE) an das Theater Koblenz. Als Tonio wird er demnächst an der Israeli Opera zu hören sein. Mit der Partie des Ping debütiert der Bariton im Herbst 2020 am Royal Opera House Covent Garden in London sowie bei den Salzburger Osterfestspielen 2021 unter Christian Thielemann.
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Francesco Angelico (Musikalische Leitung) ist seit der Spielzeit 2017–2018 Generalmusikdirektor des Staatstheaters Kassel. Zuvor war der ge bürtige Sizilianer als Chefdirigent des Tiroler Symphonieorchesters Innsbruck am Tiroler Landestheater engagiert. Regelmäßig ist er bei füh renden Orchestern zu Gast, u. a. beim Gewandhausorchester Leipzig, dem MDR Sinfonieorchester Leipzig, dem Orchestre Philharmonique de Monte Carlo, dem BBC National Orchestra of Wales, dem Münchner Rundfunkorchester und dem Orchestra Sinfonica Nazionale della RAI. In der Oper ist er ein vielgefragter Künstler und dirigierte zuletzt Vorstellun gen u. a. von LA BOHEME an der Oper Köln, IL BARBIERE DI SIVIGLIA in Tokio, LA CENERENTOLA und IL BARBIERE DI SIVIGLIA an der Bayerischen Staatsoper, DON PASQUALE an der Staatsoper Stuttgart so wie ANDREA CHENIER an der Deutschen Oper Berlin. 2011 wurde er mit dem Deutschen Dirigentenpreis ausgezeichnet. Im Sommer 2020 über nimmt er die musikalische Leitung von Boitos MEPHISTOPHELE am Théâtre du Capitol Toulouse.
Markus Dietz (Inszenierung) studierte Schauspiel in Hamburg und war zu nächst als Schauspieler tätig, u. a. in Kassel und an der Freien Volksbühne Berlin bei Hans Neuenfels. Seit 1993 arbeitet er immer wieder als freier Regisseur. Von 2000 bis 2004 war er als Hausregisseur am Schauspiel Leipzig engagiert. Seine Inszenierungen waren u. a. in Bremen, Dresden, Düsseldorf und Bochum zu sehen. In den letzten Jahren wandte er sich vermehrt dem Musiktheater zu. So inszenierte er u. a. DIE ENTFÜHRUNG
AUS DEM SERAIL an der Oper Bonn, LUISA MILLER an der Stuttgarter Staatsoper sowie AUFSTIEG UND FALL DER STADT MAHAGONNY und PETER GRIMES am Nationaltheater Mannheim. Am Staatstheater Kassel ist er als Oberspielleiter im Schauspiel tätig und übernahm zudem mit gro ßem Erfolg Regiearbeiten in der Oper: DIE TOTE STADT, TURANDOT, ELEKTRA, JENUFA, DAS RHEINGOLD, DIE WALKÜRE und SIEGFRIED.
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DAS LEITUNGSTEAM
Mayke Hegger (Bühne) stammt aus den Niederlanden und studierte Theater und Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Maastricht. In der Spielzeit 1994–95 stattete sie Strindbergs DER VATER am Theater Ba sel aus (Regie: Markus Dietz). Seitdem folgten freischaffend zahlreiche Bühnen- und Kostümbilder für Schauspiel und Oper an verschiedenen deutschen Theatern, u. a. am Bochumer Schauspielhaus, am Theater Bremen, an den Staatstheatern Dresden und Wiesbaden und an der Oper Bonn. Am Staatstheater Kassel ist sie regelmäßig zu Gast, zuletzt u. a. für DER NACKTE WAHNSINN, MACBETH, DIE RÄUBER, HEISENBERG und MOSKITOS. Eine enge Zusammenarbeit verbindet sie hier mit Mar kus Dietz, für dessen Inszenierungen von DIE TOTE STADT, JENUFA, Alan Ayckbourns SCHÖNE BESCHERUNGEN und DIE WALKÜRE sie die Bühnenbilder entwarf.
Henrike Bromber (Kostüme) absolvierte nach ihrer Ausbildung als Damenschneidermeisterin in Hamburg das Studium zur Gewandmeisterin. Nach einem Festengagement als Kostümdirektorin und -bildnerin arbei tet sie seit 1998 freischaffend und schuf Kostümbilder für Opernhäuser im In- und Ausland, u. a. an der Oper Frankfurt, der Semperoper Dresden und der Nikikai-Oper Tokio. Für die Kostüme zu ALICE IN WONDER LAND, DIE LUSTIGE WITWE und GIULIO CESARE IN EGITTO an der Hamburgischen Staatsoper wurde sie von der Zeitschrift »Opernwelt« je weils zur Kostümbildnerin des Jahres nominiert. Am Staatstheater Kas sel schuf sie das Kostümbild für verschiedene Schauspielproduktionen sowie für die von Markus Dietz inszenierten Opern DIE TOTE STADT, TURANDOT, ELEKTRA, JENUFA, DAS RHEINGOLD, DIE WALKÜRE und SIEGFRIED.
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TEXTNACHWEISE Richard Wagner. Briefe – Ausgewählt, eingeleitet und kommentiert von Hanjo Kesting , München / Zürich 1983. | Die Vorgänge sowie die Texte Notizen zur Kasseler Neuinszenierung, Bayreuth und Er lösungsmotiv und Festspiele und Uraufführung sind Originalbeiträge für dieses Heft. | Marcel Proust. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 5: Die Gefangene, Frankfurt am Main 2004. | Claude Debussy. Monsi eur Croche – sämtliche Schriften und Interviews (Hrsg.: Francoise Lesure), Stuttgart 1974. | Dieter Borchmeyer. Richard Wagner, Frankfurt am Main 2002. | Ulrike Kienzle. Brünnhilde, das Wotanskind, in: Alles ist nach sei ner Art – Figuren in Richard Wagners DER RING DES NIBELUNGEN (Hrsg.: Udo Bermbach), Stuttgart / Wei mar 2001. | George Bernard Shaw. Ein Wagner-Brevier – Kommentar zum RING DES NIBELUNGEN, Frankfurt am Main 1973. | Dieter Borchmeyer. Auszug aus einem Originalbeitrag im Programmheft zu DIE WALKÜRE, Wie ner Staatsoper 1992. | Aphorismus von Leo Tolstoi, unter: www.gutezitate.com (aufgerufen am 22. Januar 2020).
TITELBILD SEITE 1 Daniel Frank IMPRESSUM Marta Herman, Daniel Frank, Vero Miller, Elizabeth Bailey
Floristik Belverde für die Premierenblumen. IMPRESSUM HERAUSGEBER Staatstheater Kassel INTENDANT Thomas Bockelmann | GESCHÄFTSFÜHRENDER DIREKTOR Dr. Frank Depenheuer | Programm Nr. 447 | Spielzeit 2019 /20 | März 2020 | REDAKTION Christian Steinbock | FOTOS ORCHESTER HAUPTPROBE am 29.2.2020 Nils Klinger | GESTALTUNG Georg Reinhardt | DRUCK Thiele & Schwarz, Kassel
BILDNACHWEISE Elisabeth Bailey, Jaclyn Bermudez, Markus Dietz, Marta Herman, Vero Miller, Ulrike Schneider, Hansung Yoo Nils Klinger | Francesco Angelico Giancarlo Pradelli | Daniel Frank Mats Bäcker | Albert Pesendorfer Lutz Edelhoff | Henrike Bromber, Thomas Gazheli, Mayke Hegger, Kelly Cae Hogan, Doris Neidig, Dalia Velandia privat | Götterdämmerungs-Motive, in: Lothar Windsperger (Hrsg.). Das Buch der Motive aus Opern und Musikdramen Richard Wagner’s, Mainz o.J.
Wir danken
2018–2021 der RING des Nibelungen