Jugend und Familie - Jahresbericht 2019

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JUGEND UND FAMILIE Jahresbericht 2019

© Sabine Hoffmann

graz.at/ allesfamilie


Stadt Graz/Fischer

Kurt Hohensinner Stadtrat für Jugend und Familie

Vorwort

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Was sich im Jahr 2019 entwickelt hat Unter dem Leitsatz „Alles Familie“ hat sich das Amt eine neue Vision und Mission gegeben. Diese adaptierte Ausrichtung, die auch das neu gestaltete Haus in der Kaiserfeldgasse verkörpert, bringt noch mehr Bürgerorientierung und intensiviert die Unterstützung für Familien in Graz. Eine neue Broschüre informiert Eltern, Kinder und Jugendliche über sämtliche Leistungen des Amtes und fasst diese kompakt und übersichtlich zusammen. Das Team engagiert sich jeden Tag aufs Neue für ein positives Zusammenleben in unserer Stadt. Diese Arbeit war schon 2019 vielfältig, das lässt sich in diesem Bericht klar nachlesen. Leichter ist sie 2020 aber sicher nicht geworden. Darum möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie den vielen Partnerorganisationen für ihren Einsatz danken.

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Warum das Amt für Jugend und Familie so wichtig ist In der Öffentlichkeit wird ein Jugendamt nicht selten nur durch jene Maßnahmen wahrgenommen, die als letzter Ausweg im Rahmen des Kinderschutzes zu sehen sind. Tatsächlich ist das aber nur ein kleiner Teil der Tätigkeiten des Grazer Amtes für Jugend und Familie. Dieses ist sehr stark im Bereich der Prävention tätig und versteht sich als stetiger Begleiter und Partner der Grazer Familien. Das Angebot reicht von Elternberatung über den Familienpass „Klein hat’s fein“ bis hin zu Freizeitangeboten. Es geht darum, in allen Phasen des Erwachsenwerdens ein wichtiger und verlässlicher Partner zu sein.


© achtzigzehn

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6–7  Gemeinsam Mut schöpfen

slinger Volksschullehrer Manuel Ha gen spricht über das Projekt ge rn. Gewalt an Kinde

LIEBE LESERIN, LIEBER LESER!

Mehr im Web Exklusiven Content und weitere Geschichten rund um das Amt für Jugend und Familie gibt es auf medium.com

IMPRESSUM Herausgeberin: Stadt Graz – Amt für Jugend und Familie Redaktion: Vasiliki Argyropoulos, Natascha Breitegger, Isabella Deckan, Christian Esterl, Anthea ­Grassegger, Marie-Sofie Kogler, Sarah Kouba, Wolfgang Kühnelt, Maximilian Pless, Michael Rothschädl, Anja Schalk, Sarah Tatschl Fotografie: Sabine Hoffmann Grafik und Design: achtzigzehn – Konzept & Gestaltung GmbH Druck: Medienfabrik Graz

Neues und Bewährtes, das sind die Bausteine unseres Jahresberichts 2019. Neues und Bewährtes, das sind auch wesentliche Bausteine der Arbeit im Amt für Jugend und Familie. Drei neue Projekte des vergangenen Jahres reichen mit ihrer Wirkung weit in die Zukunft hinein: die MutmacherInnen, Vorbereitungen zur „kinderfreundlichen Gemeinde Graz“ und die Neustrukturierung des Bereichs Kindesunterhalt. Die im Bericht beschriebenen Projekte unserer Kooperationspartner zeugen von Bewährtem: Lesen Sie über Erfolgs­ modelle zum gewaltfreien Aufwachsen von Kindern, zur Unterstützung für Familien im Amtsdschungel und zum Empowerment von Müttern mit Migrationshintergrund. Neu war auch die Zusammenarbeit mit Studierenden: Unter der Leitung von Wolfgang Kühnelt übernahmen Bachelorstudierende des 4. Semesters des Studiengangs Journalismus und PR an der FH JOANNEUM die Recherche, führten Interviews und gestalteten jene Texte, die die Grundlage für diesen Bericht bilden. So konnten junge Menschen die Arbeit unseres Amts genauer kennenlernen und zugleich ihre Fähigkeiten in der Praxis erproben. Ein „Experiment“, das wir als sehr gelungen wahrnehmen. Vasiliki Argyropoulos Information & Kommunikation

16–17  400 Mal gut beraten

Große Neustrukturierung lt des Bereichs Kindes­unterha en und Vaterschaft: Wie seh die Änderungen aus?

* Zahlen, Daten und Fakten 2019 finden Sie im Tätigkeitsbericht auf graz.at/jugendamt


Hilfe von Anfang an Damit sich auch die Jüngsten in Graz wohlfühlen, gibt es im Amt für Jugend und Familie Beratungsangebote, ein Elterncafé, Väterrunden und sogar Bäumchen für Babys. Denn eines ist klar: Wer früh hilft, hilft doppelt.

2019 wurden Christina und Hannes Gruber* zum ersten Mal Eltern. Das kleine Mädchen ist ihr ganzer Stolz, doch einiges ändert sich für die beiden. Sie sind nicht mehr nur zu zweit, sondern eine Familie. Sie müssen auf den Säugling achtgeben, ihr Leben um das Kind herum neu strukturieren. Das ist für sie eine große Herausforderung, denn sie sind die ersten in ihrem Freundeskreis, die Eltern geworden sind. Fragen aber gibt es viele: Wie stille ich mein Kind richtig? Haben die anderen Eltern die gleichen Sorgen wie ich? Wie überstehen wir gemeinsam lange Tage und noch viel längere Nächte?

Elterncafés als Austauschplatz

Einen Platz für ihre Anliegen finden die beiden bei der Elternberatung mit dem Elterncafé. Dort können sie in entspanntem Rahmen mit anderen Eltern von Kleinkindern und Babys ihre Erfahrungen austauschen. Ihre Tochter können die beiden natürlich mitnehmen. „Während der Zeit der Elternberatung, zusätzlich eine

Stunde davor und eine halbe Stunde danach, findet das Elterncafé statt. Es dürfen alle Eltern und Bezugspersonen von Säuglingen kommen“, erzählt Michaela Rachdi-Sakac vom Institut für Familienförderung. Vor allem sei wichtig, dass das Angebot kostenlos und niederschwellig nutzbar ist, die Elterncafés kann man auch im „Klein hat’s fein“-Pass der Stadt Graz eintragen. „Im Vordergrund steht das Ankommen in der neuen Lebensphase und der Austausch. ExpertInnen sind präsent und beraten bei Bedarf. Ärztin, SozialarbeiterIn und die MitarbeiterInnen der Elterncafés arbeiten Hand in Hand, um eine optimale Betreuung zu gewährleisten“, so Rachdi-Sakac. Für Eltern mit Kleinkindern, die dem Säuglingsalter bereits entwachsen sind, gibt es weitere Angebote wie Spielegruppen und Eltern-Kind-Treffs.

weil er wenige Väter in seinem Freundeskreis hat, fühlt er sich, als würde ihn niemand so richtig verstehen. Und mit seiner Frau über alles zu sprechen, ist auch ungewohnt. Seit November 2019 geht er deshalb regelmäßig zu den Väterrunden. Einmal im Monat kann er sich hier mit anderen austauschen, die in derselben Situation sind. Wichtige Themen sind die Neudefinition der Beziehung, Veränderungen der Partnerschaft und mögliche Konflikte im Zusammenleben. „Die Gespräche werden teilweise sehr persönlich, der Bedarf ist vor allem beim ersten Kind am größten“, erzählt Psychologe ­Gerald Friedrich von der Stadt Graz. Besonders viel Zeit hatte das Angebot allerdings noch nicht, um sich zu etablieren. Man hoffe deshalb, dass sich die Teilnehmerzahlen weiter steigern, um noch mehr Input zu bekommen.

Gesprächsrunden – ­besonders für Väter

Bäumchen für Neugeborene

Insbesondere Hannes fällt es nicht leicht, über die veränderten Lebensbedingungen zu sprechen. Vor allem, * Namen von der Redaktion geändert

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FRÜHE HILFEN

Gleich bei der Geburt ihrer Tochter haben Christina und Hannes eine Willkommensmappe der Stadt


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Graz für ihr Neugeborenes erhalten. Darin finden sich Informationen zur Elternberatung, zu Förderungen, zur Vorsorge und Gesundheit ihres Kindes. Und dort findet sich auch die Karte „Graz wächst“, mit der Hannes und Christina für ihre Tochter ein Bäumchen abholen werden. Sie können aus verschiedenen Sorten wählen: Nordmanntanne und Zirbe (diese gedeihen auch in Pflanzengefäßen) sowie Lärche, Weißtanne, Vogelkirsche und Eiche. Haben die Eltern Platz dafür, das Bäumchen in ihrem Garten zu pflanzen, können sie es mit nach Hause nehmen. Ines Pamperl vom Amt für Jugend und Familie versichert: „Ist das nicht der Fall – auch kein Problem. Alle nicht abgeholten Bäume werden in den städtischen Wäldern gepflanzt und verbessern so die Lebensqualität unserer Stadt.“ FRÜHE HILFEN

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ffmann © Sabine Ho

Jedes Jahr befasst sich das Jugendamt mit rund 600 ­Fällen, in denen Kinder von häuslicher Gewalt betroffen sind. Wie sehen Sie als Lehrer an der Volksschule Puntigam die derzeitige Situation? Manuel Haslinger: Das Problem scheint klar, aber es ist Emojisnicht und echte Emotioeinfach, damit umzugenen imhen. Jugendzentrum Gewalt an Kindern kommt leider vor. Dass wir in unserer Schule damit konfrontiert werden, ist aber glücklicherweise nur in seltenen Fällen so. Wie kann so ein Fall aussehen und wie ­bekommen Sie das als Lehrer mit? Haslinger: Etwa im Sachunterricht: Wenn Themen wie Sexualität oder Gewalt angesprochen werden, kommen manchmal Fragen von Kindern, wo man merkt, dass etwas nicht stimmt. Da fragt man als Vertrauensperson nach. Dann heißt es dem Direktor Bescheid geben. Dieser leitet not-


Gemeinsam Mut schöpfen Mit der Initiative „Ich hab’ Mut“ will das Amt für Jugend und Familie Kinder unterstützen, über Gewalt im eigenen Zuhause zu sprechen. Volksschullehrer Manuel Haslinger erklärt, worauf es in der Kampagne ankommt und warum sie hilfreich ist.

Warum ist Ihrer Ansicht nach eine Initiative wie „Ich hab’ Mut“ so wichtig? Haslinger: Ich glaube, dass die Mutmacher bei richtiger Herangehensweise die Kinder dazu bringen können, über ihre Probleme zu sprechen. Es ist ein großartiges Projekt, das auch im Kollegium sehr gut angekommen ist. Mit etwas mehr Unterstützung für die Lehrkräfte könnte man vielleicht noch mehr tun, denn es ist nicht absehbar, was dieses hochsensible Thema bei Kindern auslöst. Somit wäre eine sozialpädagogische Begleitung des Projekts absolut wünschenswert. Wie haben Sie und Ihre KollegInnen den Kindern die Mutmacher nähergebracht? Haslinger: Wir haben an unserer Schule ein Projektbüchlein, in dem erklärt wird, was es heißt, sich wohlzufühlen. Kindern soll auch gezeigt werden, wie man sich aus Situationen

ICH HABʼ MUT!

des Unwohlseins retten kann. Das ist genau das Thema der Mutmacher: Ich kann mich an jemanden wenden, sodass es mir danach besser geht. Warum wurden für das Projekt Kinder im Alter von acht und neun Jahren gewählt? Haslinger: Die Kinder der dritten Klasse sind für das Thema gut geeignet. Sie haben schon ein gewisses Vertrauen zur Lehrperson. In der vierten Schulstufe hat man dadurch auch noch die Möglichkeit, das Thema zu vertiefen. Welche Rolle spielen die Eltern bei der Initiative und wie können Sie sie einbeziehen? Haslinger: Die Schwierigkeit liegt darin, den Eltern zu zeigen, dass ihnen geholfen wird. Oft leugnen Eltern, ihrem Kind etwas zu tun – aus Angst davor, bestraft zu werden oder das Kind zu verlieren. Im Elternbrief wird erklärt, was der Mutmacher ist und dass jedes Kind ein Recht auf ein gewaltfreies Leben hat. Wann immer ein Kind Mut braucht, dann ist der Mutmacher da. Am Ende heißt es: „Gemeinsam schöpfen wir Mut“. Hier gibt es dann auch ein Wir-Gefühl, das ist sicher der richtige Ansatz.

Eine Initiative gegen Gewalt an Kindern. Damit Kinder sich trauen, darüber zu sprechen.

graz.at/mutmacher

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wendige Schritte ein. In der Folge beschäftigt sich ein Sozialarbeiter, eine Sozialarbeiterin mit dem Fall. Wir als Lehrpersonen versuchen, den Kindern bei diesem schwierigen Thema beizustehen und darüber aufzuklären.

Die Mutmacher-Kampagne Im Mittelpunkt der ­Kampagne stehen die sogenannten Mutmacher. Rund 2500 Grazer SchülerInnen bekamen diese kleinen Stoffwesen, die sie unterstützen sollen, über Probleme wie Gewalt zu sprechen. Zudem enthalten sie Informationen und eine Telefonnummer zum Jugendamt, die für die Kinder jederzeit erreichbar ist. graz.at/mutmacher

MUTMACHER

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Gewaltfrei aufwachsen

Eine Familiengeschichte Nico* ist erst acht Jahre alt, muss aber immer wieder dabei zusehen, wie seine Eltern sich vor ihm und seinem großen Bruder Jonas lautstark zanken. Worüber sie in Streit geraten, versteht er nicht so ganz, und sobald er vom Spielplatz mit seiner Mama wieder heimkommt, geht es von vorne los. Einmal wird es so heftig, dass Nachbarn die Polizei rufen und sein Vater polizeilich weggewiesen wird.

„In einem gemeinsamen Termin bearbeiten die betroffenen Elternteile das Erlebte, um gegenseitiges Verständnis zu sichern und die Dynamik der Gewalt in Zukunft möglichst früh unterbrechen zu können“, erklärt Günter Laschober, Leiter von PREVENT. Als Projekt im Jugendamt Graz-Südwest – in enger Zusammenarbeit mit dem Bereitschaftsdienst und den SozialarbeiterInnen im Sozialraum 3 – seit 2018 installiert, wird PREVENT nach einer Evaluierung im Sommer 2020 möglicherweise auf weitere Sozialräume ausgedehnt. Damit Kinder wie Nico unbeschwert aufwachsen können, müssen TäterInnen und Opfer ihre Aktionen und Reaktionen reflektieren. „Oft heißt es, es sei eh nicht so schlimm gewesen oder der jeweils * Namen von der Redaktion geändert

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GEWALTFREI AUFWACHSEN

andere habe angefangen. Diese Sätze hören wir besonders dann, wenn wir die Paare das erste Mal treffen und auf den Konflikt ansprechen“, beschreibt Günter Laschober den Beginn der ­Zusammenarbeit mit den Eltern.

Auswege finden

In Nicos Fall haben beide Eltern der Zusammenarbeit mit PREVENT zugestimmt. Jetzt können die MitarbeiterInnen gemeinsam mit der Familie eine Lösung finden. Der Handlungsplan wird in vier Terminen erstellt. Zuerst werden die Ziele und Inhalte des Programms besprochen und der konkrete Vorfall erörtert. Dann findet eine Nachbesprechung im Sinne einer gegenseitigen Transparenz statt, deren Ziel ein gegenseitiges Verstehen und


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ein Begreifen der Dynamik der Gewalt ist. Und am Ende kann nach ein bis zwei Monaten ein Folgetermin vereinbart werden, bei dem der Handlungsplan auf die Alltagstauglichkeit überprüft wird. Das Ziel ist es, gemeinsam einen Handlungsplan zu erstellen, um das Kindeswohl zu schützen und Paargewalt zukünftig zu vermeiden. So können Kinder wie Nico eine gewaltfreie Kindheit erleben.

Orte zum Wohlfühlen

Nicht nur die eigenen vier Wände sind ein wichtiger Ort für ein gelingendes Heranwachsen. Öffentliche Räume wie Sportplätze oder Parks sind im Leben von jungen Menschen essenziell. Vor allem für Nicos älteren Bruder Jonas bedeutet die Ausweich-

möglichkeit auf den „Sandplatz“, ein Sportplatz in der Schönau, eine willkommene Ablenkung von zu Hause. Mit Freunden trifft er sich dort gerne zum Fußballspielen. Für das gemütliche Abhängen danach fehlten geeignete Sitzmöglichkeiten. Da kommt das Jugendstreetwork ins Spiel. StreetworkerInnen sind in ganz Graz unterwegs und unterstützen Jugendliche bei ihren persönlichen Problemen und wenn es darum geht, den öffentlichen Raum für Jugendliche zu sichern und attraktiver zu gestalten. Gemeinsam mit Streetworkerin Verena und Streetworker Bruno wurden Pläne gezeichnet, Bänke gebaut und schließlich Eröffnung gefeiert. Die neuen Sitzbänke im Pavillon bieten nun eine passende Rückzugsmöglichkeit.

Streetwork im Park

Jugendliche wie Jonas erhalten selten konkrete Hilfe von zu Hause. Umso mehr sind sie auf Unterstützung von außerhalb und auf Ausweichmöglichkeiten im öffentlichen Raum angewiesen. Ihre Probleme sind unterschiedlich: Schulschwierigkeiten, Schulden, Konsum von illegalen Substanzen und vieles mehr. Im öffentlichen Raum finden sie wenig Platz und ecken auch immer wieder einmal an. Durch das gemeinsame Projekt „Sitzbänke“ hat Jonas viel Zeit mit den Streetworkerinnen und Streetworkern verbracht und Vertrauen zu ihnen gefasst. Damit hat er AnsprechpartnerInnen gefunden. Gemeinsam mit ihnen sucht er nun eine Lehrstelle. GEWALTFREI AUFWACHSEN

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Zukunft findet Stadt 2020 ist ein ereignisreiches Jahr im Fachbereich ­Offene Kinder- und Jugendarbeit. Erstmals wird Graz mit dem UNICEF-Gütesiegel „kinderfreundliche ­Gemeinde“ ausgezeichnet. Fachbereichsleiter Markus Schabler über die Vorarbeiten dazu, ­Partizipation, ­Empowerment und den V ­ ergleich mit der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá.

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KINDERFREUNDLICHE STADT

Herr Schabler, salopp ­gefragt: Was bringt es den Kindern, wenn Graz eine „kinderfreundliche ­Gemeinde“ ist? Markus Schabler: Es bietet den Kindern die Möglichkeit, ­aktive engagierte Mitglieder unserer Gesellschaft zu sein. Der Ex-Bürgermeister von Bogotá, Enrique Peñalosa, hat gesagt: „Ob eine Stadt zivilisiert ist, hängt nicht von der Zahl ihrer Autobahnen ab, sondern davon, ob ein Kind auf dem Dreirad sicher überall hinkommt.“ Das Schlagwort der Kinderfreundlichkeit reicht also weiter und schließt viele Lebensgruppen mit ein. Wir betreiben für die Kinder auch Lob-

byarbeit. Kinder geben uns Inputs bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes, etwa bei Spielplätzen. Es ist wichtig, die Meinungen und Wünsche dieser Generation einzubringen und sie zur Teilnahme zu bewegen. Was macht Graz zu einer kinderfreundlichen Stadt? Schabler: Wir konnten zum Beispiel im Amt für Jugend und Familie mit unseren Kooperationspartnern die Freizeitangebote im Sommer von 900 auf knapp 2.000 Plätze aufstocken. Kinderund Familienfreundlichkeit verbinden wir auch mit dem „Klein


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hat’s fein“-­Familienpass*, der Eltern mit ihrem ­Nachwuchs unterstützt. Ein großer Punkt, den wir mit Politik und ExpertInnen entwickelt haben, ist eine „Leben im Freien“-Strategie. Öffentliche Plätze, Grünanlagen und Wälder werden als Entdeckungsraum wahrgenommen. Kinder gelangen sicher von ihrem Wohnort in die Schule, und das gibt Eltern die Sicherheit, dass ihre Kids den Weg gut meistern. Wo gibt es beim Thema Kinderfreundlichkeit in Graz noch Nachholbedarf? Schabler: Wir setzen uns dafür ein, dass Kinder und Jugendliche noch stärker in die Entscheidungsprozesse miteinbezogen werden. Da gibt es mit den Dominikanergründen auch ein Best-Practice-Beispiel dazu aus den vergangenen zwei Jahren. Dort entstand ein neuer Wohnbau und in einem gemeinsamen ­ P artizipationsprojekt mit ­Jugendlichen konnte der vom Sport­

amt errichtete Bezirkssportplatz entsprechend gestaltet werden. Wie gestalten sich solche Partizipationsprojekte? Schabler: Wir laden Kinder zur Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ein. Partizipation heißt, dass es in Graz ein Kinderparlament gibt, dort werden zum Thema Umwelt gemeinsam Bäume gepflanzt oder Aktionen gegen das Rauchen auf Spielplätzen umgesetzt – im Sinne der Bewusstseinsbildung der Erwachsenen. Im Kinderparlament werden solche Themen in Workshops bearbeitet und dann umgesetzt. Wir sehen unsere Angebote immer aus einem demokratischen und einem entwicklungspä­ dagogischen ­Blickwinkel. Werfen wir einen Blick in die ­Zukunft: Welche Herausforderungen sind in Richtung UNICEF-Gütesiegel noch zu ­bewältigen?

Schabler: Die Grundlage für die ­Verleihung des Gütesiegels bildet der 78-seitige Prozessbericht. Wenn die Prüfung durch ExpertInnen des Bundesministeriums erfolgt ist und wir die Kriterien erfüllen – wovon wir ausgehen –, dann darf die Stadt Graz das UNICEF-Gütesiegel tragen. Das Re-Audit steht 2023 an. Was wünschen Sie sich von der ­Kinder- und Jugendarbeit in Graz bis dahin? Schabler: Wir müssen an unseren Themen dranbleiben: Partizipation und Empowerment, also die Teilnahme der Kinder am Stadtleben. Wir wollen für die Anliegen von Kindern und Jugendlichen ein offenes Ohr haben. Jugendzentren, Spielplätze, konsumfreie Räume, all das soll ausgebaut werden. Genauso sollen die Angebote der Freizeithits noch breiter gefächert sein. Und natürlich werden wir weiter eine Lobby für die Kinder sein.

* Mehr dazu auf Seite 4 KINDERFREUNDLICHE STADT

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r e d n i r e d n i K Internet, Smartphone und Online-Games sind oft brisante Themen zwischen Eltern und Kindern. Das Amt für Jugend und Familie organisiert im Rahmen der Vortragsreihe ­„Familie digital“ ein Informationsangebot für Eltern. In Zusammenarbeit mit Markus Meschik von „enter“ werden digitale Medien aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. Schon die Kleinsten kommen heute mit Smartphones und Tablets in Berührung – immer öfter kann man beobachten, wie Eltern ihre Kinder mit dem „digitalen Schnuller“ be-

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FAMILIE DIGITAL

ruhigen wollen. Für Jugendliche ist der Umgang mit digitalen Medien zur Selbstverständlichkeit geworden und wäre wohl auch kaum mehr wegzudenken. Der Jugendmonitor 2020 kam zum Ergebnis, dass mehr als 90 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen elf und 17 Jahren WhatsApp und YouTube nutzen, mehr als 60 Prozent haben einen Instagram- oder Snapchat-Account. Knapp die Hälfte benutzt Facebook. Die meisten Eltern wissen allerdings gar nicht, wo sich ihr Nachwuchs tatsächlich im digitalen Raum bewegt, was die Kinder dort machen und mit welchen Menschen sie sich virtuell treffen. „Kindern einen sinnvollen und sicheren Umgang mit neuen digitalen Medien zu vermitteln, ist eine der größten Herausforderungen unserer Zeit. Eltern dürfen nicht Zuschauer im Leben ihrer Kinder sein, sondern müssen ihre

Verantwortung und Rolle aktiv wahrnehmen. Prävention ist besser als reparieren“, empfiehlt Gerald Friedrich, Leiter des Psychologischen Dienstes.

Neue Medien, neue Spielregeln

2019 besuchten rund 120 Interessierte – Privatpersonen, LehrerInnen, sozialpädagogische Fachkräfte – die Vorträge von „Familie digital“, um sich über verschiedenste Aspekte digitaler Medien zu informieren und Fragen zu stellen. Vor allem Eltern sollen sich den Themen vorbehaltlos nähern können. Das Ziel ist es, einen maßvollen Umgang mit digitalen Medien zu entwickeln und beizubehalten. Digitalität wird in den Familienalltag integriert und dort diskutiert. So kann dann ein familieninternes Regelwerk aufgebaut werden, in dem Erziehungsberechtigte auch ihren


Pflichten nachkommen, wie etwa bei der Beachtung und Einhaltung von Altersbeschränkungen bei Spielen, um die Voraussetzungen für ein sicheres virtuelles Umfeld für die Kinder und Jugendlichen zu schaffen. Dazu braucht es ein vertrauensvolles Miteinander.

Digitaler Dialog

Um einen solchen Dialog zu ermöglichen, bietet das Amt für Jugend und Familie eine breite Auffächerung an Themen mit verschiedenen Zugängen zur digitalen Thematik. Psychotherapeut Lukas Wagner be-

leuchtet die Bedeutung der sozialen Medien. Sexualpädagogin Katja Grach geht auf die Darstellung des Körpers im Internet ein, ein weiterer Vortrag wirft einen kritischen Blick auf Geschlechterrollen in Medien. Darüber hinaus wird erörtert, wie man mögliche Mediensucht beim Nachwuchs erkennen und rechtzeitig Maßnahmen ergreifen kann. Ein anderer großer Themenbereich sind Spiele. Markus Meschik von der Fachstelle enter half bei der Vorbereitung dieser Vorträge und ist als Mitglied von BuPP (Bundesstelle für die

Positivprädikatisierung von digitalen Spielen) mit der österreichischen Spiele-EntwicklerInnenszene stark vernetzt. Gemeinsam wird erforscht, wie sich kostenlose Games finanzieren, wie man mit Gewaltinhalten umgeht und wie man Spiele zum Lernen und Kreativsein nutzen kann. In Hinkunft wird es auch vor Weihnachten einen Guide für empfehlenswerte Spiele geben, die man bedenkenlos schenken kann. Natürlich kann man sich vor Ort dann auch ein Bild machen und die Games ausprobieren.

iStock © mixetto

digitalen Welt

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Ein Lotse, der viele Sprachen spricht Im Sozialraum 4, das sind die Bezirke Lend, Eggenberg und Gösting, gibt es eine ganz besondere Form der Orientierungshilfe. Das Projekt „Lotse“ bietet Familien Unterstützung und Beratung bei Anträgen, Formularen oder beim Besuch von Ämtern der Stadt Graz.

Frau S. lebt seit einigen Jahren gemeinsam mit ihrem Sohn in einer kleinen Mietwohnung in Eggenberg. Halbtags arbeitet sie in einem Pflegeheim. Die gebürtige Syrerin kann sich zwar im Alltag gut verständigen, bei schriftlichen Anträgen und Behördenwegen ist sie jedoch auf Unterstützung angewiesen. Es gibt schließlich viele Fragen im Alltag und nicht immer liegt die Lösung gleich auf der Hand. Habe ich Anspruch auf eine Gemeindewohnung? Wie bekomme ich einen Betreuungsplatz für mein Kind? Was muss ich beim Antrag für Wohnbeihilfe beachten? Behördliche Anträge können komplex sein und stellen für

viele eine Herausforderung dar. Verständlicherweise ist diese noch größer für Personen, deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Im Sozialraum 4 haben 2013 aus diesem Grund MitarbeiterInnen der Kinder- und Jugendhilfe im Jugendamt Graz-Nordwest das Projekt „Lotse“ geplant und umgesetzt. Die ProjektmitarbeiterInnen von „affido“, Partner in der Arbeitsgemeinschaft im Jugendamt Graz-Nordwest, beraten Familien bei Anträgen zu Themen wie Wohnen, Finanzen, Arbeit, Kinderbetreuung oder Aufenthalt. Im Vorjahr führte das Projektteam insgesamt 362 kostenlose Beratungsgespräche. Eines davon mit Frau S. Die Altenpflegerin benötigte Hilfe bei der Arbeitnehmerveranlagung. Als alleinerziehende Mutter hatte sie dabei auch Anspruch auf den neuen Familienbonus.

Sprache als größte Hürde

„Die Familien erfahren vom Jugend­ amt Graz-Nordwest vom Projekt und nehmen in Folge Unterstützung vom affido-Team in Anspruch“, sagt Eva Wolfart, Koordinatorin des Sozialraums 4 (zu sehen im Bild links). Nach telefonischer Kontaktaufnahme kam Frau S. mit ihrem Sohn zu einer

der wöchentlichen Sprechstunden, die jeden Montag von 9 bis 10.30 Uhr in der Wiener Straße 68 und Dienstag von 8 bis 11 Uhr in der Wiener Straße 58a stattfinden. „Wir bereiten die entsprechenden Formulare vor, füllen die Unterlagen gemeinsam aus und kopieren die Dokumente für den Antrag“, so Projektmitarbeiterin Barbara Exl. „Und falls nötig, begleiten wir die KlientInnen auch bei Behördenwegen.“ Mittlerweile fällt bei einigen Anträgen der Amtsbesuch weg, Energie- oder Heizkostenzuschuss sind etwa nur noch online zu beantragen. Immer mehr Familien melden sich daher bei Fragen zu Online-Formularen. „Sie brauchen Unterstützung und es fehlt ihnen das Equipment“, sagt Exl. Die größte Herausforderung sei meistens aber die Sprache. „Viele unserer KlientInnen haben Probleme, das Behördendeutsch zu verstehen“, so Exl. Bei Bedarf organisiere sie für Familien mit Migrationshintergrund auch DolmetscherInnen für den Termin. Das Team half Frau S., ihre Arbeitnehmerveranlagung elektronisch zu übermitteln. Mit der erhaltenen Lohnsteuergutschrift konnte sie dringend nötige Anschaffungen für sich und ihren Sohn tätigen. LOTSE

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400 Mal gut beraten Die Neustrukturierung des Bereichs Kindesunterhalt und ­Vaterschaft erspart KlientInnen Wartezeiten. Und mit leeren Händen muss niemand mehr nach Hause.

2019 hat das Jugendamt beschlossen, den Amtstag durch telefonische und persönliche Terminvereinbarungen zu ersetzen. Der erste Eindruck beim Betreten des Fachbereichs für Kindesunterhalt und Vaterschaft, er ist ein durchwegs positiver: Statt eines vollen Warteraumes – wie früher an Amtstagen – ist es Katharina Landgraf, die Elternteile, die Fragen zum Thema Unterhalt haben, begrüßt.

ihr bekommen KlientInnen, die in alter Gewohnheit am Dienstag ins Amt kommen, entweder einen Termin oder alle benötigten Auskünfte. „Dieses umfassende Service inklusive Erstberatung wird gut angenommen – speziell von Menschen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist. Daher stehen wir natürlich weiterhin auch für den persönlichen Kontakt zur Verfügung“, versichert Landgraf.

Zielgerichtete Beratung „Kindesunterhalt ist ein sehr vielschichtiger und komplexer Bereich.“ Katharina Landgraf

Referatsleiterin „Kindesunterhalt und Vaterschaft“

Landgraf besetzt die neu eingeführte Referatsleitung in der Abteilung Recht im Amt für Jugend und Familie. Änderungen brauchen Zeit. Von 16

GUT BERATEN

Das verringert nicht nur die Wartezeiten, viele Elternteile ersparen sich dadurch überhaupt den Weg ins Amt. „Sehr viele Angelegenheiten lassen sich per Telefonat oder E-Mail lösen, was es gerade für berufstätige Eltern deutlich einfacher macht“, sieht Landgraf vor allem die zeitliche Flexibilität auf beiden Seiten als große Verbesserung. Dass Eltern nach längeren Wartezeiten mit den Kindern mitgeteilt werden muss, dass das Ju-

gendamt für ihren Fall gar nicht zuständig ist, bleibt ihnen seit diesem Jahr damit ebenfalls erspart. Was sind denn eigentlich die Voraussetzungen? Das Kind muss noch minderjährig sein und seinen Hauptwohnsitz in Graz haben. Beim – zumeist telefonischen – Erstkontakt klären die Referentinnen nun bereits ab, ob die Zuständigkeit des Jugendamts gegeben ist, und teilen den KlientInnen mit, welche Unterlagen zum Beratungsgespräch mitzubringen sind. „Kommen die Eltern dann zum Termin ins Amt, sind idealerweise bereits alle Informationen in unserer Datenbank aufgenommen“, erklärt Landgraf. Die Referentinnen können so Berechnungen bereits im Vorfeld durchführen, für die KlientInnen verkürzen sich die Termine damit zusätzlich. Das ist auch wichtig, denn die Leistungen des Bereichs für Kindesunterhalt und Vaterschaft sind sehr gefragt.


2019 gab es rund 3300 Fälle, das sind knapp 400 Beratungen pro Mitarbeiterin. Diese könnten dabei unterschiedlicher nicht sein. Manchmal ist die Beratung in wenigen Minuten abgeschlossen: Beide Elternteile kommen ins Amt, unterzeichnen eine vorgefertigte Unterhaltsvereinbarung und die Zahlungen erfolgen direkt zwischen den Elternteilen. In anderen Fällen aber ist nicht sicher, wer der Vater des Kindes ist, mithilfe des Jugendamts müssen mögliche Väter ausgeforscht und kontaktiert werden, damit ein Vaterschaftstest stattfinden kann. Hier können die Beratungstätigkeiten des Jugendamts durchaus einige Monate in Anspruch nehmen. „Kein Fall ist wie der andere“, sagt Katharina Landgraf daher und zieht eine erste Zwischenbilanz: „Für die Referentinnen ist nun ein strukturierteres Arbeiten möglich und auch viele Elternteile empfinden es als angenehmer, bereits vorab die Unterlagen schicken zu können. Mit leeren Händen geht nun keiner mehr nach Hause.“

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„Kein Fall ist wie der andere“


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Elterngruppen mit Frauenpower Die Idee: Gemeinsam ­sollen Familien mit ­Fluchterfahrungen sich mit ­SozialarbeiterInnen und DolmetscherInnen über ­kulturelle Werte ­austauschen können sowie Informationen rund um Kinder und Familie erhalten. Aus diesem Angebot für Menschen, die Farsi/Dari bzw. Arabisch sprechen, wurde allerdings mehr. Aus einem Projekt, das 2015 für ein Jahr geplant war, entstand viel mehr: eine Community von Frauen, die sich zu bestimmten Themen austauschen wollen. Aber auch Väter sind beteiligt. Jede Woche abwechselnd behandelt die Elterngruppe ein spezifisches Thema oder man trifft sich zu einem gemeinsamen Austausch mit 18

ELTERNGRUPPEN

offenen Fragen. „99,9 Prozent der Beteiligten sind Frauen. Anfangs waren auch Männer dabei, aber oft wollten die Frauen das gar nicht. Für interessierte Männer gibt es auch andere informative Projekte“, erzählt Aylin Kozak, Organisatorin der Elterngruppen.

Neue Chancen durch mehr Information

Mittlerweile arbeiten drei regionale Jugendämter zusammen am Projekt. So kann sichergestellt werden, dass die Nachfrage bezirksübergreifend gedeckt wird und alle anfallenden Kosten gemeinsam getragen werden. Das Angebot ist sehr niederschwellig. Für die Teilnahme ist keine Anmeldung nötig. Trotzdem hat sich ein Stammpublikum herauskristallisiert. Die Frauen interessieren sich sehr

für Themen wie Pubertät oder Schwangerschaft, auch für häusliche Gewalt. „Man merkt auch deutlich, dass viele kaum oder gar nicht aufgeklärt wurden. Das Wissen um Sexualität und Rollenbilder ist oft nicht sehr ausgeprägt“, sagt Aylin Kozak. Inzwischen hat die Gruppe ein ­familiäres Flair bekommen. ­Die Eltern ­ betreuen alle mitgebrachten Kinder und sie feiern auch ab und zu ­Geburtstage. Ziel der Elterngruppe ist es nicht nur, die Teilnehmerinnen zu informieren, sondern auch Orientierungshilfe zu bieten. Die Frauen sollen zum Beispiel Vereine kennenlernen und generell in ihrem Tun an Freiheit gewinnen. So hat die eine oder andere Mutter auch schon eine Ausbildung begonnen, die ­vorher nicht denkbar gewesen wäre.


Begegnungsraum: Kinder + Eltern = <3

Ein heller Raum mit einem großen Holztisch, zwei Sofas und vielen Spielmöglichkeiten. Kinder fühlen sich hier wohl und gewinnen durch begleitete Besuchskontakte wieder Vertrauen, vorwiegend zu ihrer Herkunftsfamilie. Die Beziehung zueinander ist oftmals sehr gestört: Manche Elternteile sind psychisch krank oder können sich aus anderen Gründen nicht ausreichend kümmern. Die Minderjährigen leben häufig auf einem Dauerpflegeplatz und können sich meist nicht konfliktfrei mit den leiblichen Eltern unterhalten oder mit ihnen unbeschwert spielen. Eine scheinbar ausweglose Situation,

in der das Jugendamt aber mit begleiteten Besuchskontakten entscheidend helfen kann. Es bietet wöchentlich für zwei Stunden einen neutralen Boden ohne Konsumzwang, in dem sich Familien treffen und durch eine Fachkraft begleitet werden. Das Ziel ist es, für einen harmonischen Kontakt zwischen Kindern und Eltern zu sorgen, damit die Kinder sobald wie möglich zu ihren Eltern zurückkehren können.

Wieder zueinanderfinden

Die anfangs oft noch schüchternen Kinder beginnen sich nach kurzer Zeit ihren leiblichen Eltern zu öffnen.

„Wenn der Übergang von intensiver Begleitung des Besuchskontakts schrittweise zu immer mehr Eigenständigkeit übergeht, ist es besonders erfreulich. Denn oft ist die Ausgangslage ziemlich schwierig“, so Michaela Rachdi-Sakac, Koordinatorin im Jugendamt Graz-Nordost. Mehrmals die Woche kann der Begegnungsraum für Besuchskontakte vorab reserviert werden. Donnerstags kann er zwischen 14 und 16 Uhr frei genutzt werden. „Die Dankbarkeit der Eltern, die bei uns die Möglichkeit bekommen, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen, ist etwas Wunderschönes“, resümiert Michaela ­Rachdi-Sakac.

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ann, Institut für

Familienförde

rung

Kinder, die bei Pflegeeltern leben, überforderte leibliche Eltern und dazwischen das Jugendamt, das vermittelt. ­Begegnungsräume sind etwas ganz Besonderes. Hier bauen sich nicht nur brüchige ­Beziehungen zwischen Kindern und ihren ­leiblichen Eltern wieder auf, sondern auch zwischen ­getrennt lebenden Elternteilen.

BEGEGNUNGSRAUM

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„Heimspiel“: ein Projekt, das verbindet Jakob, Elena und Florian spielen auf der Wiese in ihrer Siedlung, die Eltern haben sich auf einer nahen Bank mit Bekannten verabredet. Während immer mehr Kinder dazustoßen, ­rollen zwei sportbegeisterte TrainerInnen des SOSKinderdorfs auf ihren E-Bikes mit Anhänger herbei.

Stadt Graz © Stefan Janisch

Kaum abgestiegen, werden sie stürmisch von den Kleinen begrüßt, die sofort helfen, das „Fußballstadion“ aufzubauen. Auf einer 60 m² großen Fläche können die TeilnehmerInnen drei Stunden lang zusammen spielen.

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HEIMSPIEL

Mit Kindern, für Kinder

In vielen Grazer Siedlungen ist das Ballspielen im Hof untersagt, daher haben sich das SOS-Kinderdorf und das Amt für Jugend und Familie das Ziel gesetzt, Flächen für Kinder vor allem im Alter von 4 bis 10 Jahren zurückzuerobern. Auf wenig Raum gelingt es, mit der Heimspielarena Trainings und Turniere für Mädchen und Buben abzuhalten. Vor der Projektentwicklung wurden Rückmeldungen von Wohnbauträgern eingeholt, die durchwegs positiv ausfielen. Den Projektgrün­ derInnen ist es wichtig, dass sich eine Ansprechperson vonseiten der Eltern und eine direkt aus der Siedlung beteiligt. Im Amt sind für das Projekt Inge Seiner-Glantschnig, Cornel Gmeiner und Philipp Muner aus dem Fachbereich Offene Kinder- und Jugendarbeit operativ verantwortlich.

And the winner is …

Kindergarten- und Volksschulkinder stehen als Hauptzielgruppe im Mittelpunkt, da sie auf Spielflächen im Wohnbereich angewiesen sind. Neben dem Spaß für die Kinder ist es den BetreuerInnen besonders wichtig, dass das Zusammenleben in der Siedlung gestärkt wird. Die entspannte Atmosphäre führt nicht selten dazu, dass der Tag mit einer gemeinsamen Feier ausklingt. Von Juni bis September 2019 konnten rund 1.000 Personen bei 43 T ­ erminen in unterschiedlichen Stadtteilen ­erreicht werden. In drei Siedlungen wurden fixe Heimspielarenen eingerichtet. Den krönenden Abschluss der Saison konnte man bei der Verleihung des Social Football Awards des ÖFB feiern. Das Preisgeld wurde gleich wieder in das Projekt investiert.


K. K. (2), Kati Göttfried, © Clara Wildberger

Adina Camhy

Coline Robin

Kunst in Bewegung Das Projekt „Wolke – ein Netzwerkprojekt der vielen Sichtweisen“ wurde 2019 von Adina Camhy und Coline Robin ­realisiert. Ziel war es, durch Gespräche das Netzwerk rund um das Amt für Jugend und F ­ amilie sichtbar zu machen. Adina Camhy erzählt im Interview von ihrer persönlichen Erfahrung. Wie entstand das Projekt „Wolke“? Adina Camhy: Das Projekt, das Netzwerk rund um das Amt für Jugend und Familie in den neu umgebauten Räumen der Kaiserfeldgasse 25 sichtbar zu machen, wurde vom Amt in Kooperation mit < rotor > Zentrum für zeitgenössische Kunst und der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik initiiert. Wir wurden eingeladen und freuten uns über diese Herausforde-

rung. Bald kam uns die Idee, etwas in der Mitte des Stiegenhauses zu platzieren. Es sollte etwas Dynamisches werden, das sich wie ein Netzwerk aus Beziehungen ständig verändert. Das Projekt basiert auf vielen ­Gesprächen. Wie waren diese sehr persönlichen Begegnungen? Camhy: Für mich war es eine sehr schöne und berührende Erfahrung, dass mir etwas anvertraut wurde, und gleichzeitig habe ich eine Verantwortung gespürt, das in einer guten Form weiterzutragen. Welchen Moment aus den Gesprächen werden Sie nie vergessen? Camhy: Da gab es eine Begegnung gleich am Anfang, als wir zu einem Jugendzentrum kamen und ein Junge bereits auf die Öffnung wartete. Wir haben ihn gefragt, was er hier mache,

und er erklärte: „Ich bin hier der Dolmetscher. Ich spreche Deutsch, Kurdisch, Arabisch und Englisch. Jetzt will ich besser Deutsch lernen.“ Wir haben eigentlich erwartet, dass er im Jugendzentrum Unterstützung sucht, weshalb uns dieser Moment zum Umdenken brachte. Wir sehen Unterstützung als etwas Wechselseitiges. Warum wurde das Kunstwerk ein Mobile? Camhy: Wir haben Zeichnungen der Menschen gesammelt. Coline und ich haben daraus Illustrationen erstellt, die als Linienzeichnungen sichtbar sind. Das Mobile erschien uns als Form passend. Es bleibt nie stehen, denn durch jeden Luftzug setzt es sich, genau wie das Netzwerk um das Amt für Jugend und Familie, dynamisch in Bewegung. Neben dem Mobile haben wir die Erfahrungen aus den Gesprächen in Heften niedergeschrieben. NETZWERK „WOLKE“

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Hier wird nicht nur gespielt Ein Spielplatz ist ein Ort der sozialen Begegnung. Hier verbringen Familien, Nachbarn, Bekannte, Freundinnen und Freunde ihre Zeit. Kinder können eines ihrer Grundbedürfnisse erfüllen: das gemeinsame Spielen. In Graz gibt es mittlerweile 70 öffentliche Plätze, die von der Stadt Graz betreut werden, aber auch viele private, zum Beispiel bei Siedlungen oder Schulen.

Zusammen leben

Zusammen planen

Und ein Ausblick sei uns erlaubt: 2020 wird Graz wieder offiziell kinder- und jugendfreundlich – nachzulesen auf den Seiten 10 und 11. Damit sind wir wieder bei unserem Leitthema. Es soll nämlich auch mit einfließen, wie sich Kinder ihren perfekten Spielplatz vorstellen und wie sie diesen mitgestalten können. Ein Hinweis dazu: An sich fällt der Spielplatz, dessen Bau und Instandhaltung, stadtintern

nicht in den Verantwortungsbereich des Amts für Jugend und Familie. Weil wir aber daran arbeiten, eine kinderfreundliche Stadt zu sein, beschäftigen wir uns auch gerne und oft mit diesen Räumen für junge Menschen und ihre Angehörigen.

Zusammen schreiben

Eine weitere Besonderheit gibt es noch in diesem Geschäftsbericht: Er ist in Kooperation mit dem Bachelor-Studiengang Journalismus und Public Relations der FH JOANNEUM in Graz entstanden. Vom Konzept bis hin zum Verfassen der Texte haben die Studierenden der Jahrgänge JPR17 und JPR18 diesen Bericht mitgestaltet – und das in einer Zeit, in der persönliche Treffen kaum oder gar nicht möglich waren. So ist auch dieser Bericht eine Kooperation verschiedener Generationen geworden und zeigt dadurch die Vielfalt, die die Arbeit des Amts für Jugend und Familie täglich bereichert.

© Sabine Hoffmann (3)

Für diesen Geschäftsbericht haben wir uns bewusst für Fotos dieser Räume entschieden, weil sie für das Zusammenleben in der Stadt eine oft unterschätzte Bedeutung haben.

Wenn eine drohende Pandemie das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen bringt, dann müssen auch die Spielplätze leer bleiben. Obwohl dieser Bericht das Jahr 2019 behandelt, wollten wir dieses prägende Erlebnis einer annähernd menschenleeren Stadt an diesem Beispiel festmachen. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses war zumindest dieses Phänomen wieder verschwunden. Spielplätze dienen wieder als der Knotenpunkt, der sie für viele Menschen sind.

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WARUM SPIElPLÄTZE?


Ingrid Krammer Abteilungsvorständin

Auf ein Wort Begegnung und Veränderung Das Jahr 2019 stand für das Amt für Jugend und Familie ganz im Zeichen der Neugestaltung. Unser Haus präsentiert sich seither hell und offen, es wurde zu einem zentralen Ort der Begegnung. Die Einrichtung passt damit perfekt zur Ausrichtung. Wir sehen uns als BegleiterInnen für den Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Dementsprechend richten wir unser Angebot aus, mit frühen Hilfen und Väterrunden, mit Elterngruppen, Beratung in Kindesunterhaltsfragen und mit „Mutmachern“ für SchülerInnen. Das Ziel ist klar: Wir wollen Graz jeden Tag ein bisschen mehr zu einer kinder- und jugendfreundlichen Stadt machen. Fotos von menschenleeren Spielplätzen dokumentieren: Dieser Bericht entstand zur Corona-Zeit. Schön, dass diese Freiflächen wieder voller Leben sind. Gemeinsam erreichen wir mehr Mein Dank gilt allen, die uns maßgeblich bei der erfolgreichen Umsetzung unserer Aufgaben unterstützen – all unseren engagierten MitarbeiterInnen, den vielen ehrenamtlichen HelferInnen und zahlreichen KooperationspartnerInnen. Wir sind zuversichtlich, mit vereinter Energie den eingeschlagenen Weg im Jahr 2020 weitergehen zu können.


Das ist amtlich

Graz wächst

Das Amt in Zahlen und Fakten

Angebote für Kinder und Jugendliche

1.245

45.549

KONTAKTE

KINDER UND JUGENDLICHE in Graz

hatte die Familienberatung und Mediation mit Einzelpersonen, Familien oder Paaren.

190

603 waren in voller Erziehung – das bedeutet, sie haben nicht bei ihren Eltern gelebt. 378 davon waren Pflegekinder.

2.972

MITARBEITERiNNEN 161 Frauen und 29 Männer

KINDER geboren

* Stichtag 31.12.2019

51 % davon durch den ärztlichen Dienst untersucht.

4.472 HILFEN für Familien

25 % als Unterstützung zur Erziehung im Familien­­ verband

75 % in Gruppen­ angeboten

37.561.978 EURO Gesamtbudget

70

SPIELPLÄTZE in 17 Bezirken

stehen kleinen Grazerinnen und Grazern öffentlich zur Verfügung.

13

JUGENDZENTREN besuchten 5.805 Jugendliche zwischen12 und 18 Jahren, davon

€ 20.689.351 Kinder- und Jugendhilfe

€ 9,430.345 Personal

€ 3.890.732 Sonstiges

€ 2.096.550 € 1.455.000 offene KinderKinder- und museum Jugendarbeit

73 % Burschen

27 % Mädchen


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