Rundum Hölderlin

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Hölderlin im Kreisverkehr ein Kunstwerk von Peter Lenk in Lauffen am Neckar

Das Kunstwerk „Hölderlin im Kreisverkehr“ des Bildhauers Peter Lenk wurde am 1. Juni 2003 in Lauffen am Neckar, der Geburtsstadt des Dichters und Philosophen Friedrich Hölderlin, enthüllt.


Der Titel „Hölderlin im Kreisverkehr“ hat einen doppelten Bezug: Zum einen greift er die örtliche Situation auf in der Mitte eines Kreisverkehrs, einem der wichtigsten Verkehrs­ knotenpunkte der Stadt. Fast alle Menschen, die nach Lauf­ fen kommen oder von dort wegfahren, passieren den Kreis­ verkehr. Zum anderen ist Friedrich Hölderlin nicht allein Objekt des Kunstwerks, sondern wird in Beziehung zu anderen Figu­ ren dargestellt, die stellvertretend sind für die Einflüsse auf den Dichter und sein Werk. Diese besondere Lage schafft eine Dreidimensionalität, wie sie den meisten Denkmälern, die in der Regel von vorn betrach­ tet werden, verwehrt ist. Wer um den Kreis ganz herum geht, sieht jeweils andere Figurenkonstellationen, die den Gestalten unterschiedliches Gewicht im Ensemble geben. Die vielfältigen Vernetzungen in Hölderlins Leben und in seinem Werk werden dadurch plastisch wiedergegeben. Die Grundkonstruktion des Kunstwerks ist ein geschwungenes „H“ für „Hölderlin“. Den Mittelpunkt bildet eine waagrecht liegende Schreibfeder, auf der an beiden Enden eine Figur sitzt: ein Kind im Alter von etwa zwei Jahren in Kleidung und Frisur des ausgehenden 18. Jahrhunderts und Friedrich Hölder­ lin als etwa 30jähriger Mann. Um diese herum erschließen sich mit Hilfe der anderen Figuren Aspekte zu Werk und Leben des Dichters.

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Die Schreibfeder ist festgeschweißt; sie würde aber bei Wind­ stille genau so liegen, wie sie sich darstellt – sie befindet sich im Gleichgewicht. Dazu der Bildhauer Peter Lenk: „Es geht um die Balance: bei der Dichtkunst, bei der Liebe und bei der Macht.“


Das Kind Ein etwa zweijähriger Junge sitzt auf der Federspitze. Offen und arglos wirkt das Kind. Sein Körper ist den anderen Figuren zugewandt. Er lacht und streckt seine Arme vertrauensvoll der Figur Friedrich Schillers entgegen, der auffordernd einen Lorbeerkranz in die Höhe hält. Johann Christian Friedrich Hölderlin wird am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren. Sein Vater ist Klosterhofmeister des früheren Nonnenklosters, mittlerweile in herzoglichem Be­ sitz, die Mutter Pastorentochter. Zwei Jahre nach der Geburt des kleinen Friedrich stirbt sein Vater und als seine Mutter sich wieder verheiratet, zieht die Familie 1774 nach Nürtingen. Da Hölderlin Lauffen so früh verlassen hat, finden sich nur wenige Erwähnungen seines Geburtsortes in seinem Werk. Diese sind aber sehr positiv und verbinden sich meist mit dem Erlebnis der Sonne, des Lichts und der Wärme. Aber damit uns nicht, gleich Allzuklugen, entfliehe Diese neigende Zeit, komm‘ ich entgegen sogleich, Bis an die Grenze des Lands, wo mir den lieben Geburtsort Und die Insel des Stroms blaues Gewässer umfließt. Seligen lieb ist der Ort, an beiden Ufern, der Fels auch, Der mit Garten und Haus grün aus den Wellen sich hebt. Dort begegnen wir uns, o gütiges Licht! wo zuerst mich Deiner gestaltenden Strahlen mich einer betraf. Dort begann und beginnt das liebe Leben. Aus: Stuttgart

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Friedrich Hölderlin (1770 – 1843) Bei einem Denkmal für Hölderlin würde man erwarten, dass der Dichter selbst im Mittelpunkt steht. Hier haben sich mit der Doppelfigur Schiller/Goethe andere in die Mitte geschoben, während der erwachsene Hölderlin den Figuren den Rücken zuwendet. Er wirkt abwesend, in sich gekehrt. Von der Mutter zum Pfarrberuf bestimmt, absolviert Hölderlin die Lateinschule in Nürtingen und die Klosterschulen Denken­ dorf und Maulbronn, von 1788 bis 1793 studiert er am Theo­ logischen Seminar in Tübingen. Während der Studienzeit be­ freundet er sich mit Schelling und Hegel. Aufgrund einer stetig wachsenden Abneigung gegen den Pfarrberuf wird Hölderlin 1793 auf Empfehlung Schillers Haus­ lehrer bei Charlotte von Kalb in Waltershausen. 1794 besucht er Vorlesungen Fichtes in Jena. Er erhält 1796 eine Stelle als Hauslehrer bei dem Frankfurter Bankier Gontard. Die schwär­ merische Liebe zu dessen Gattin Susette, die von dieser innig erwidert wird, endet mit einer erzwungenen Trennung. Weitere Stationen führen Hölderlin 1800 nach Stuttgart und Nürtingen. 1801 hat er kurz eine Hauslehrerstelle in der Schweiz inne, 1802 bei einem deutschen Konsul in Bordeaux.

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1802 stirbt Susette Gontard und Hölderlin trifft damit der große Verlust seines Lebens. Seine persönliche Entwicklung nimmt den umgekehrten Weg zu seiner poetischen: Als Dichter betritt er immer wieder neue Räume, entwickelt er eine bis heute faszinierende Meisterschaft, aber als Mensch gerät er zuneh­ mend in bedrängende Zustände. Größers wolltest auch du, aber die Liebe zwingt All uns nieder, das Leid beuget gewaltiger, Doch es kehret umsonst nicht Unser Bogen, woher er kommt. Aus: Lebenslauf


Sein Gemütszustand verschlechtert sich so, dass er unter Obhut gestellt werden muss. Er hält sich eine Zeit lang in Nürtingen im mütterlichen Haus auf, später bei seinem Freund Isaac von Sinclair in Bad Homburg. Schließlich wird er gegen seinen Widerstand in die Authenriethsche Klinik in Tübingen einge­ liefert, in der man mit den Methoden der damaligen Zeit ver­ sucht, seine Psyche zu behandeln. Die Diagnose lautet schließlich „unheilbar“. Er ist 37 Jahre alt, als er vom Schreiner Ernst Zimmer zur Pflege in sein Haus aufgenommen wird und er wird bis zu seinem Tod am 7. Juni 1843 weitere 36 Jahre dort im Tübinger Turm wohnen. Nur wenige der später so genannten „Turmtexte“ sind erhalten. Hälfte des Lebens Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, Und trunken von Küssen Tunkt ihr das Haupt Ins heilignüchterne Wasser. Weh mir, wo nehm ich, wenn Es Winter ist, die Blumen, und wo Den Sonnenschein, Und Schatten der Erde? Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. Hölderlin sitzt in sich gekehrt auf dem Kiel der Schreibfeder. Er wendet den anderen Figuren des Kunstwerks den Rücken zu. Er hat eine andere Richtung gewählt, einen eigenen Weg, der quer liegt zu den Erwartungen seiner Familie, zum damaligen Zeitgeist, aber auch zu seinen eigenen Hoffnungen.

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Hölderlin ist kompromisslos auf der Achse seiner Zeit gewan­ dert, von den Idealen der Französischen Revolution zu Schillers ästhetischem Idealismus, über die Philosophen seiner Zeit, er hat an Goethe vorbei gesteuert, er wanderte durch die griechi­ sche Antike und die liebevolle Bestätigung durch Susette Gon­ tard hindurch. Sein Weg führte weiter, er führte weg von dieser Zeitachse, seine Schreibfeder liegt quer dazu, seine Poesie ist anders orientiert. Er findet sein „Eigenes“. Sein poetischer Aus­ druck entwickelt sich unaufhörlich weiter und in seinem Werk werden bis heute immer wieder neue Facetten entdeckt. Ein Dichter, der spannend ist und bleibt, wenn man sich auf ihn einlässt. ... So komm! dass wir das Offene schauen, Dass ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist. Aus: Brot und Wein

Schiller und Goethe

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Ein Doppelwesen besetzt den Raum im Mittelpunkt des Kunst­ werks: auf der einen Seite der kraftvolle, massige Körper Goethes, der, wie ein römischer Kaiser im Bewusstsein seiner Macht, über dem erwachsenen Hölderlin den Daumen senkt; auf der anderen Seite der klassizistisch geformte Schiller, der aus dem Rumpf Goethes entwächst und in Richtung des Kindes gewandt mit großer Gebärde einen Lorbeerkranz nach oben hält. Hölderlin weiß, dass er Dichter und nicht Pfarrer werden will, verschweigt das aber seiner Mutter noch. Er beschreitet den Weg, der zur damaligen Zeit der vielversprechendste ist, um ein anerkannter Dichter zu werden: er sucht den Kontakt zu den Dichterfürsten in Weimar. Zunächst zu Schiller, der ihm auf­ grund seiner geschichtsphilosophischen Schriften näher steht.


Von ihm erfährt der junge Mann Ermutigung, doch trotz einiger positiver Briefe und Besuche kommt es nicht zu einer Zusammenarbeit, auch wenn Gedichte Hölderlins in Schillers Zeitschrift „Die Horen“ gedruckt werden. Hölderlins Bewunderung für Schiller bleibt einseitig. So schreibt er am 23. Juli 1795 an Schiller nach Jena: „Ich war immer in Versuchung, Sie zu sehen und sah Sie immer nur, um zu fühlen, dass ich Ihnen nichts sein konnte. Nur alle Monate möcht’ ich zu Ihnen und mich bereichern auf Jahre. Ich suche übrigens mit dem, was ich von Ihnen mitnahm, gut hauszuhalten und zu wuchern.” Das Verhältnis zu Goethe war von Beginn an kühl. Bezeich­ nend für diese Beziehung ist Hölderlins Schilderung ihrer ersten Begegnung im Jahr 1794 bei Schiller in Jena: „Ich trat hinein, wurde freundlich begrüßt und bemerkte kaum im Hintergrunde einen Fremden, bei dem keine Miene, auch nachher lange kein Laut etwas Besonderes ahnden ließ. Schiller nannte mich ihm, nannte ihn auch mir, aber ich verstand seinen Namen nicht. Kalt, fast ohne einen Blick auf ihn, begrüßte ich ihn und war einzig im Innern und Äußern mit Schiller beschäftigt. Der Fremde sprach lange kein Wort. Schiller brachte die „Thalia“, wo ein Fragment von meinem „Hyperion“ und mein Gedicht „An das Schicksal“ gedruckt ist, und gab es mir. Da Schiller sich einen Augenblick darauf entfernte, nahm der Fremde das Journal von dem Tische, wo ich stand, blätterte neben mir in dem Fragmente und sprach kein Wort. Ich fühlte es, dass ich über und über rot wurde. Hätte ich gewusst, was ich jetzt weiß, ich wäre leichenblass geworden. Aber ich ahndete nichts. Der Himmel helfe mir, mein Unglück und meine dummen Streiche gutzumachen.”

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Abends erfährt Hölderlin, dass Goethe bei Schiller gewesen war. Die beiden etablierten Dichter befassen sich zwar auch später mit Texten Hölderlins, sein Stil ist aber mit ihrer Auffas­ sung von Literatur nicht in Einklang zu bringen.

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Hölderlins dichterische Entwickung nimmt eine eigene Rich­ tung, in deren Verlauf er auf Reim verzichten wird, freie Rhyth­ men verwendet und zu einer poetischen Sprache gelangt, die erst im 20. Jahrhundert verstanden werden wird. Nur wenige seiner Zeitgenossen fanden Zugang zu seinem Werk, das in den folgenden Jahrhunderten seine weltweite Bedeutung erlangte.

Herzog Carl Eugen von Württemberg Der Herzog (Regierungszeit: 1744–1793) steht in Siegerpose mit in die Hüften gestemmten Händen auf dem verendenden württembergischen Hirsch, Sinnbild des absolutistischen Herr­ schers. Seine Gestalt drückt aus, was auch für Napoleon gilt: Die mangelnde Körpergröße wird durch umso größeren Ehr­ geiz ausgeglichen.

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Aufgewachsen am Hof Friedrichs des Großen und beein­ druckt von der Strahlkraft Ludwigs XIV, errichtet Herzog Carl Eugen imposante Zeugnisse seiner Macht; Schloss Monrepos in Ludwigsburg, Schloss Hohenheim und Schloss Solitude auf den Hügeln um Stuttgart. Sein ausschweifender Lebensstil ist legen­ där. Seinen Untertanen verbietet er „demokratische Umtriebe“. Er gründet die „Karlsschule“, in der die künftige Elite, zum Bei­ spiel Schiller, ausgebildet wird. Er ist der Träger der Stipendien am „Tübinger Stift“, wo ab 1788 auch Hölderlin wohnt. Hölderlin studiert. Er ist befreundet mit Hegel und Schelling und die jungen Männer begeistern sich für die Französische Revo­ lution, für die Dichtkunst und für die Philosophie. Sie beschäf­ tigen sich mit Rousseau, mit Fichte, der in Jena lehrt, und mit Kant, dessen Schriften druckfrisch aus Königsberg das geistig eng gehaltene Württemberg erreichen. Hölderlin denkt nicht tagespolitisch, sondern philosophisch: Er ist interessiert am Wesen der Dinge, der Natur, der Geschichte, der Menschen.


Dem entsprechen die Quellen, aus denen er die Bilder seiner Gedichte schöpft: die Natur, besonders die Landschaft, das antike, idealische Griechenland, die Mythologie. Er nimmt die Wirklichkeit wahr als etwas, das über sich hinausweist, das Größeres zu offenbaren hat. Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich, Pflegend und wiedergepflegt mit den fleißigen Menschen zusammen. Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel. Aus: Die Eichbäume

Diotima Die einzige weibliche Figur des Kunstwerks ist gestaltet als grie­ chisch anmutende Schönheit: Diotima, die Geliebte des Hyper­ ion aus Hölderlins gleichnamigem Briefroman. Sie verkörpert das Ideal der Liebe und Natürlichkeit. An ihr wird deutlich, wie dasselbe Stilmittel des Künstlers – die Nacktheit von Figuren – unterschiedliche Wirkung erzielen kann: Diotima wird durch ihre Nacktheit klassisch, zu einer symbolischen Gestalt, wäh­ rend die Nacktheit bei der Figur Goethes entlarvend wirkt und etwas respektlos. Die Liebe seines Lebens findet Friedrich Hölderlin in Susette Gontard, der Frau seines Frankfurter Arbeitgebers. Susette be­ wundert seine lyrischen Werke und unterstützt ihn durch einen intensiven Gedankenaustausch über seinen in Arbeit befindli­ chen Roman „Hyperion“. Sie wird ein Gegenüber, das das Bes­ te in ihm erwecken kann. Hölderlinkunstwerk 9


In Frankfurt erfährt Hölderlin Demütigung und Anerkennung. Der Hausherr behandelt ihn wie einen Dienstboten, der Arzt Wilhelm Heinse, ein Freund des Hauses, diskutiert mit ihm intensiv über Gestaltungselemente der Poesie und Musik. In diesem Klima der starken Gefühle gewinnt Hölderlin eine neue Perspektive für seine Weltsicht hinzu. Er erlebt Harmonie, er findet Verstehen und Begrenzung und in Susette ein Alter Ego. Diese Impulse befördern seine poetische Entwicklung, die in den Jahren bis 1806 zum Höhepunkt seines dichterischen Schaffens führt. Nun! ich habe dich gefunden! Schöner, als ich ahndend sah, Hoffend in den Feierstunden, Holde Muse! bist du da; Von den Himmlischen dort oben, Wo hinauf die Freude flieht, Wo, des Alterns überhoben, Immerheitre Schöne blüht, Scheinst Du mir herabgestiegen, Götterbotin! weiltest du Nun in gütigem Genügen Bei dem Sänger immerzu. Aus: Diotima

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Hölderlin setzt die Frankfurter Erfahrungen in eine Poetik der sich ergänzenden Töne um, erst die Zusammenfügung gibt ein Ganzes. Der positiven Spannung zwischen Diotima und Hyperion, zwischen erlebendem und zupackendem Weltzu­ gang, zwischen Natürlichkeit und Ideenwelt, entspringt Ener­ gie. Er benennt drei Töne: den naiven, den idealischen und den heroischen. Seine Gedichte baut er sorgfältig entlang dieses Prinzips. Er ordnet die Worte nach ihren Wirkungen. Harmonie und Spannung im Gedicht entstehen durch die entsprechende Balance der Bausteine.


Friedrich Nietzsche Der Philosoph Friedrich Nietzsche (1844 – 1900) sitzt auf einem Fahrrad und nimmt von schräg oben her kommend Kurs auf die Figurengruppe. Er fährt einhändig und streckt in seiner freien Hand den Thyrsosstab in die Höhe, das von Efeu und Wein­ laub umrankte und von einem Pinienzapfen gekrönte Symbol des Dionysos. Dionysos war in der antiken Welt der Gott der fließenden Säfte, der Naturhaftigkeit, Zügellosigkeit, der Sin­ nenfreude und auch Gott des Weines. Nietzsche hat Hölderlin in jungen Jahren bereits als seinen Lieblingsdichter bezeichnet und gilt als einer der ersten Vertreter einer intensiven und posi­ tiven Hölderlin­Rezeption. Wie Hölderlin erkennt Friedrich Nietzsche zwei grundlegende Triebkräfte des menschlichen Strebens als sich notwendig ergänzend: die Vernunft, das Ordnende, Beherrschende und Begrenzende, das „apollinische Prinzip“ auf der einen Seite und die Sinnlichkeit, das Unbeherrschte, das Grenzen spren­ gende Empfinden, das „dionysische Prinzip“ auf der anderen Seite, die erst zusammen die Ganzheitlichkeit des Menschen ergeben. Für Hölderlins Zeit sind diese Gedanken revolutionär: Er hinterfragt hiermit seine Erziehung, die Wert legt auf Selbst­ beherrschung, sich einfügen und sich bescheiden und denkt gegen den von Hegel in der Philosophie und Schiller in der Kunst geprägten Idealismus an. Hölderlin findet zur Harmonisierung seiner Gedankenwelt, zu seiner eigenen Philosophie, gerät aber zunehmend in Konflikt mit den gesellschaftlichen Anforderungen, die an ihn gestellt werden. Er wehrt sich auf seine Weise, nicht protestierend, sondern ausweichend und sich auf sich selbst zurück ziehend. Hölderlinkunstwerk 11


Jetzt aber sitz‘ ich unter Wolken (deren Ein jedes eine Ruh‘ hat eigen) unter Wohleingerichteten Eichen, auf Der Heide des Rehs, und fremd Erscheinen und gestorben mir Der Seligen Geister. Aus: Lebensalter Die Figur Nietzsches steht auch für die Neuzeit, die beginnende Moderne, die erst die Mittel finden wird um die späten Gedichte Hölderlins in ihrer Radikalität und Modernität zu verstehen und zu würdigen. Zu Nietzsches Zeit beginnt das, was wir heute als Beschleunigung des Lebens bezeichnen: das Rad rollt. In Nietzsches Werk finden sich zahlreiche Rad­Bilder, Symbol für eine Beschleunigung des Lebens, für etwas Unaufhaltsames. Die Entmythologisierung der Welt hat begonnen.

Der Bildhauer Peter Lenk

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Peter Lenk wurde 1947 geboren, er lebt und arbeitet am Boden­ see. Seine oftmals provokanten Skulpturen stehen in zahlrei­ chen Städten, zum Beispiel die „Imperia“ in der Hafeneinfahrt von Konstanz, der „Bodenseereiter“ mit einem parodistischen Porträt von Martin Walser in Überlingen. An dem Ensemble „Hölderlin im Kreisverkehr“ arbeitete Lenk eineinhalb Jahre lang. Die Figuren bestehen aus verwitterungsresistentem Stein­ guss.


Das Hölderlinzimmer im Museum der Stadt Lauffen am Neckar

Literatur kann man nicht ausstellen Natürlich will ein Schriftsteller lieber gelesen als ausgestellt werden. Aber der Zugang zu einem dichterischen Werk kann durch entsprechende Präsentation direkter, sinnlicher, mehr­ dimensionaler werden.


Niemand wird als Dichter geboren Aus dem kleinen Hölderlin, am 20. März 1770 in Lauffen am Neckar geboren, wurde ein weltbekannter Dichter. Für die Geburtsstadt eine positive Herausforderung. Dichtung kann eine Stadt bereichern. Fünfundzwanzig Quadratmeter sind zuwenig für ein Dichterleben Literatur kann nie vollständig erklärt werden. Aber es können Korridore des Verstehens geschaffen werden. Drei Themen­ bereiche zeigen das Werden, das Schreiben und das Wirken des Dichters Hölderlin.

Die drei Ausstellungsschwerpunkte Werden umfasst Geburt, Kindheit und Ausbildung bis zum Entschluss Dichter werden zu wollen. Schreiben stellt das Werk Hölderlins und seine poetischen Entwicklungen und Arbeitsweisen vor. Wirken befasst sich mit der Rezeption seiner Schriften im 19. und 20. Jahrhundert und dem Umgang der Geburtsstadt mit ihrem Dichter.

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Hölderlinzimmer

Die Ausstellung versteht sich als Erkundungsplatz, der nach Interesse begangen und erforscht werden kann. Dazu gehören besonders die aktiv zu betätigenden Teile: öffnen, herausnehmen, bedienen, auf­ schlagen. Aber natürlich auch: sehen, lesen, hören.


Sie können zwischen drei Informationsebenen wählen Die Texttafeln informieren kurz und prägnant über die Entwicklung Hölderlins und sein Werk. Die Schubladen und Fächer enthalten Informationen zur Epoche, Briefzitate und andere historische Dokumente. Die Bücher und der Bildschirm ermöglichen individuell vertiefte Information zu einzelnen Aspekten und Themen.

Die Elemente der Ausstellung

Der Kopf des Dichters Sie betreten die Ausstellung durch ein Scherenschnittprofil, das Hölderlin im Alter von zwanzig Jahren zeigt.

Das Panoramabild wird immer wieder ausgetauscht, was der Atmosphäre der Ausstellung unterschiedlichste Nuancen verleiht. Die Sitzwürfel sind herausnehmbar, für Gruppenführungen und längeren Aufenthalt. Hölderlinzimmer 15


Die Hölderlinbüste darüber ist ein Abguss der Figur aus dem Kunstwerk im Kreis­ verkehr. Die Glastür bietet einen Ausblick, der zusammen mit einem Zitat Hölderlins Leben und sein Wollen versinnbildlicht. Ich möchte von mir schütteln, was mein Jahrhundert mir gab, und aufbrechen ins freiere Schattenreich! Aus: Hyperion

Das Hörbuch liegt auf dem Tisch in der Mitte. Ein Buch, in dem Sie lesen können und das Ihnen vorliest. Wenn Sie es aufblättern, hören Sie eine Rezitation des auf der jeweiligen Seite abgedruckten Textes. Die Biografie dient Ihrer Orientierung. Von jedem Punkt der Ausstellung aus können Sie sich mit einem kurzen Blick auf Jahreszahlen und Orte ein Bild der jeweiligen Lebenssituation machen. Dass ich meinen Schreinermeister Zimmer noch nicht gefunden habe, bereitet mir Sorge. Die Altersheime sind überfüllt und ich bin noch nicht vorgemerkt. Ernst Jandl

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Die Texttafeln sind zum Teil herausnehmbar und bieten Informationen über Person, Familie, Werk und Rezeption.


Die Bilder illustrieren die Ausstellungstexte und vermitteln einen Eindruck der damaligen Zeit. Drei Bilderrahmen zeigen in regelmäßigem Wechsel Abbildungen zum entsprechenden Themenbereich. Die Schreibfedern sehen so aus, wie sie zur Zeit Hölderlins benutzt wurden. Die Faksimiles zeigen, wie Hölderlins Handschrift ausgesehen hat und wie wenig einfach eine korrekte Entzifferung ist. Die Schubladen öffnen sich durch leichten Druck von selbst oder durch Heraus­ ziehen. Sie finden dort Informationen zur Zeitgeschichte, Zitate aus Briefen Hölderlins über sein Verständnis von Literatur und Dichtkunst und Dokumente aus dem Lauffener Stadtarchiv. Zwei besondere Bücher liegen zum Nachlesen bereit – bitte be­ nutzen Sie die weißen Handschuhe. Wo ein Volk das Schöne liebt, wo es den Genius in seinen Künstlern ehrt, da weht, wie Lebensluft, ein allgemeiner Geist. Aus: Hyperion Die Vitrine enthält drei historische Originale aus dem 20. Jahrhundert aus dem Lauffener Stadtarchiv, Beispiele für die literaturferne Ver­ wendung eines Dichternamens. Die Bücher sollen genutzt werden. In die Ausstellung integriert ist eine Gesamtausgabe der Werke Hölderlins und Beispielbände der großen Ausgaben. Dazu eine Auswahl an Sekundärliteratur, in der vertiefte Information zu den Inhalten der Texttafeln nach­ gelesen werden kann.

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Der Bildschirm reagiert auf Berührung mit dem rechts angebrachten Stift. Auf dem Monitor sehen Sie ein Abbild der Ausstellung. Bei jedem pulsierenden Element, das Sie berühren, öffnet sich eine neue Informationsebene.

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Ich bin mit den Fragen nicht am Ende und kann einstweilen nur soviel sagen, dass ich sie ungemein interessanter finde als so manche Antwort. Gregor Wittkop


Zum Weiterlesen Friedrich Hölderlin. Die Gedichte. Insel­Verlag Friedrich Hölderlin: Hyperion oder der Eremit in Griechenland. Insel­Verlag. David Constantine: Friedrich Hölderlin. C.H.Beck­Verlag Peter Härtling: Hölderlin, ein Roman Otfried Kies: Hölderlin und seine Familie in Lauffen am Neckar (vergriffen) Johann Kreuzer (Hg.): Hölderlin-Handbuch. Leben-Werk-Wirkung Hölderlin. Texturen. Sechsbändige Reihe der Hölderlin­Gesellschaft Tübingen, die Werk und Lebensstationen Hölderlins umfassend dokumentiert.

Links www.hoelderlinmuseum.de www.hoelderlin­gesellschaft.de www.lauffen.de www.literaturland­bw.de

Zum Weiterlesen 19


Faksimile „Lebenslauf“ Aus: Friedrich Hölderlin Sämtliche Werke, Frankfurter Ausgabe, Stuttgarter Foliobuch Faksimile­Edition; einsehbar in der Lauffener Hölderlin­Bibliothek, siehe Rückseite Impressum Herausgeber:

Stadt Lauffen am Neckar Rathausstraße 10 74348 Lauffen am Neckar

Design:

face design (Umschlag), 2av – GmbH (Innenteil)

Fotos:

face design, Klaus Ditté, Stadt Lauffen am Neckar, Claudia Fy, 2av – GmbH

Text:

Eva Ehrenfeld (Lenk­Kunstwerk, Hölderlinzimmer), Bettina Keßler (Lenk­Kunstwerk)




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