DAS KLEINGEDRUCKTE

Nein, die nachfolgende Kolumne ist keineswegs politischer Natur … obwohl? Es soll nämlich um eine Art Terror gehen, der nur auf den zweiten Blick gewalttätig ist. Dafür aber dann allumfassend, jederzeit spürbar und kaum Möglichkeiten bietend, sich zu entziehen. Es soll um den Konsumterror gehen; wenn wir in dieser Kolumne »Kleingedruckten« groß schreiben, was ja an sich schon als Widerspruch gelten dürfte, dann können wir KONSUMTERROR in jedem Falle groß schreiben, ganz groß sogar.

Erst einmal ist es ja schön, alles was das Herz begehrt, erwerben zu können. Und das zu jeder Zeit, an jedem Ort, im Geschäft oder per Bestellung, in jeglicher Ausführung, für den großen Geldbeutel natürlich sowieso aber meistens auch für den kleineren, verziert oder schnörkellos, aus heimischer Produktion oder aus dem Fernen Osten, umweltgerecht produziert oder doch eher mit bedenklichem ökologischen Fußabdruck, edel präsentiert oder eher discountet, mit dreihundertseitigem Benutzerhandbuch oder ohne jegliche Erklärung … Ich höre mal an dieser Stelle besser auf – ihr wisst, was ich meine. Die ganze Sache fängt natürlich damit an, dass wir gar nicht wissen, was wir eigentlich brauchen. Jetzt staunt ihr, was? Ja, auch ihr wisst nicht, was ihr dringend benötigt. Natürlich wissen wir, dass wir Senf brauchen, wenn wir keinen Senf mehr haben. Aber das meine ich nicht. Ich meine die versteckten Bedürfnisse, die sozusagen im Unterbewusstsein schlummern. Und weil niemand von uns so genau weiß, was in seinem Unterbewusstsein schlummert (sonst hieße es ja nicht so), gibt es die Werbung, die sozusagen das Vorspiel des KONSUMTERRORS darstellt. Und wenn ihr ganz ehrlich seid (müsst es ja außer mir niemandem verraten) wisst doch auch ihr, wie das funktioniert. Wenn der Senf zur Neige geht, dann holen wir Senf. Das ist mal klar. Aber welchen Grund sollte es wohl geben, sich für ein achtteiliges Topfset zu interessieren, wenn sich in der Küche die Töpfe schon so stapeln, dass man ein ausgeklügeltes System entwickeln musste, sie alle im Schrank unterzubringen? Nun das kann ich euch gerne erklären, wenn ihr nämlich dieses Topfset jetzt zum unschlagbaren Preis von was weiß ich wie viel Euro bestellt, dann bekommt ihr ein zweites Topfset automatisch dazu. Das verringert euer Platzproblem in der Küche natürlich nicht. Aber kann man solch ein einzigartiges Angebot tatsächlich ausschlagen? Schließlich könnte man ja eines der Sets verschenken. Und was sagt der gute Mann jetzt? Ein hochwertiges Tranchiermesser gibt es auch noch dazu; natürlich nur, wenn ihr jetzt bestellt … Geht mal offenen Auges durch die Stadt: Werbung, Werbung, Werbung – an den Häusern, in den Briefkästen, auf Plakatsäulen, neuartigen digitalen Werbeträgern, an Bussen und Straßenbahnen, auf dem Handy, im Radio … Ach ja, ich sagte ja, dass die Werbung nur das Vorspiel des eigentlichen KONSUMTERRORS sei. Richtig. Denn wenn ihr euch nun tatsächlich entschließt, etwas zu kaufen Unser Thema und dazu in einen der allgegenLorem Ipsum riesigen Supermär- wärtiger kte geht, dann wer- Terror det ihr natürlich fündig. Aber es beginnt die nächste Terrorisierungsphase. Ihr müsst nämlich aus zweiundvierzig verschiedenen Sorten Senf auswählen. Ja, ihr könntet natürlich den nehmen, den ihr immer nehmt. Aber in der Werbung habt ihr doch da neulich gehört, dass es eine neue Sorte geben soll, die eher fruchtig schmeckt … Es soll ja tatsächlich schon Fälle gegeben haben, dass Menschen vor gefüllten Supermarktregalen vor Hunger zusammengebrochen sind, weil sie sich nicht entscheiden konnten. Ich kann mich gut an Zeiten in den vergangenen Jahren erinnern, in denen das Einkaufen sehr streng reglementiert war, weil kaum Geschäfte geöffnet hatten. Das wollen wir natürlich nicht wieder erleben, obwohl es schon so eine Art Terrorbekämpfung war – irgendwie im doppelten Sinn.

Und jetzt viel Spaß beim Einkaufen und bis zum nächsten »Kleingedruckten«

Stefan Tschök

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