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p ierre - e tienne l esueur

(tätig in Paris 1790–1810)

Karikatur auf die Kunstkritik. Radierung. 33 x 39 cm. Um 1795. Unbeschrieben. Johann Wolfgang von Goethe, Rezension einer Anzahl französischer satirischer Kupferstiche: Text, Bild, Kommentar. Mit einer Einführung hrsg. von Klaus H. Kiefer, München 1988, S. 137 f., Nr. 55.

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Ein Künstler in antikisierender Kleidung mit Lockenfrisur nach dem Geschmack der Revolutionszeit betrachtet eine eigene Schöpfung auf der Staffelei. Seine Körperhaltung folgt neoklassizistischen Prinzipien, mit dem Kopf in Profilansicht, die rechte Hand liegt ergriffen auf dem Herzen, während der linke Arm eine Büste des Apoll umfasst, in der Hand einen Lorbeerzweig. Im Atelier sind Fragmente oder Abgüsse klassischer Skulpturen zu erkennen, an der Wand ein Medaillon mit dem Kopf der Beschützerin der Künste Minerva. Palette und Pinsel liegen unbenutzt in einem Malkasten, doch scheint der Lorbeerzweig angespitzt zu sein, auch hält die Hand ihn ähnlich einer Zeichenfeder. Auf dem Sockel darunter steht „Celui qui méprise les arts et n’en sent pas l’utilité est“, der Rest ist von einem Krug verdeckt, die als metaphorischer „cruche“ die Übersetzung zuließe: „Wer die Künste verachtet und deren Nutzen verkennt, ist ein Dummkopf.“ Die Bildunterschrift lässt sich in etwa übersetzen: „Der kreative Maler, den sein Genie mit gelehrten Bildern inspiriert, kann bezaubern und belehren, zur Unsterblichkeit bahnt er sich den Weg, trotz der Bemühu ngen eines eifersüchtigen Schriftstellers.“ Es geht demnach um eine Kontroverse zwischen dem schöpferischen Künstler und der Häme der Kunst kritik. Auf dem Staffeleibild ist ein sitzender Gott – Zeus? – vor einer antiken Kulisse zu erkennen. Ob hier im Sinne der Unsterblichkeitsthematik der Bildunterschrift das – nur Wenigen und auf Geheiß des Zeus zugängliche – antike Heldenparadies Elysium angedeutet ist oder auch nur ein Idealbild der Antike, der Künstler betrachtet diesen Sehnsuchtsort ehrfürchtig und ergriffen.

Kein Geringerer als Johann Wolfgang von Goethe hat die außerordentlich seltene Karikatur 1797 in seinem Aufsatz

Rezension einer Anzahl französischer satirischer Kupferstiche besprochen. Goethe ordnete das Blatt in sein Kapitel „Gegen Künstlerfeinde“ ein, wusste jedoch nicht zu bestimmen, wer der Künstler und der „ecrivain“ sein könnten. Klaus Kiefer interpretierte in seiner Bearbeitung des Goethe’schen Textes den genannten Kritiker als den Schriftsteller Louis-Sébastien Mercier, der auf Grund seiner polemischen Haltung zur neoklassischen Kunst mehrfach Gegenstand von Karikaturen war. Bei dem dargestellten Künstler in modischer, klassischer Tunika handelt es sich demnach um Jacques Louis David, im Gegensatz zu Mercier einen feurigen Verfechter der Rückkehr zur Antike, der 1794 eine antikisierende Amtstracht – ähnlich der Kleidung des Abgebildeten – für die französischen Staatsbeamten entworfen hatte (Johann Wolfgang Goethe / Klaus H. Kiefer 1988, S. 137 f., Nr. 55).

Bei dem mit E. Le Sueur signierenden Autor unseres Blattes könnte es sich auf Grundlage dieser Interpretation um den Maler Pierre-Etienne Lesueur handeln. Dieser wird als Schüler Jean Pillements als Landschaftsmaler, sowie im Gefolge Davids erwähnt. Er nahm zwischen 1791 und 1810 an Salonausstellungen teil und war Mitglied der Société républicaine des arts David folgend war er auch um die Erneuerung der Kleidermode bemüht, die für die Revolutionsführer programmatische Bedeutung hatte (siehe Philippe de Carbonnières, Lesueur Gouaches révolutionnaires, Collections du Musée Carnavalet, Paris 2005, S. 34). In der Sammlung des Musée Carnavalet werden einige seiner Entwürfe aufbewahrt, etwa für die Mitglieder des Rates der Fünfhundert (Inv. Nr. D.3235) oder die Tracht eines Richters nach David (Inv. Nr. D.3238). Auch wird Lesueur eine Zeichnung von der Hinrichtung Louis’ XVI in der Bibliothèque Nationale zugeschrieben, eine vielfigurige Darstellung, die durch Davids Ballhausschwur beeinflusst ist (vgl. Warren Roberts, Jacques-Louis David and Jean-Louis Prieur: revolutionary artists, New York 2000, S. 266 ff.). Prachtvoller, kontrast reicher Druck mit dem vollen Rand. Leichte Gebrauchs- und Altersspuren, etwas fleckig im weißen Rand, sonst vorzügliches, unbehandeltes Exemplar.

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