Porzellan für die welt

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PRESSEMAPPE


PRESSEMAPPE

„Porzellan für die Welt – 200 Jahre Porzellan der bayerischen Fabriken“ Porzellanikon Hohenberg a. d. Eger / Selb 18. Juli bis 30. November 2014

INHALT:

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Pressemitteilung „Porzellan für die Welt – 200 Jahre Porzellan der bayerischen Fabriken“

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Konzepte der einzelnen Ausstellungsteile an beiden Standorten

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Highlight-Exponate

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Themen der Ausstellung (Auswahl)

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HINTERGRUND: Porzellanindustrie in Bayern

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Daten und Fakten

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Das Porzellanikon

Pressekontakt: Pressebüro „Porzellan für die Welt“

c/o projekt2508 Gruppe Riesstraße 10 53113 Bonn T: 0228 / 184967-24 F: 0228 / 184967-10 presse@projekt2508.de

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PRESSEMITTEILUNG

„Porzellan für die Welt – 200 Jahre Porzellan der bayerischen Fabriken“ Sonderausstellung im Porzellanikon in Hohenberg a.d.Eger / Selb 18. Juli bis 30. November 2014 Ob Päpste im Vatikan, der Schah von Persien oder die Passagiere im Luftschiff Graf Zeppelin – Berühmtheiten aus aller Welt speisten schon von Porzellan aus bayerischen Fabriken. Noch heute ist Bayern die bedeutendste Porzellanregion Europas. Erstmals gibt nun das Porzellanikon, das Staatliche Museum für Porzellan, einen umfassenden Einblick in die Erfolgsgeschichte der bayerischen Porzellanfabrikation, die mit der Gründung der Porzellanfabrik Hutschenreuther vor 200 Jahren in Hohenberg ihren Anfang nahm. Vom 18. Juli bis 30. November zeigt das Porzellanikon die große Sonderausstellung „Porzellan für die Welt – 200 Jahre Porzellan der bayerischen Fabriken“. 2.000 Exponate geben an den beiden Standorten des Porzellanikons einen facettenreichen Einblick in Porzellangeschichte und vielfalt. Am Porzellanikon-Standort Hohenberg können die Besucher auf rund 1.300 Quadratmetern auf eine interessante Zeitreise von der Gründung der Porzellanmalerei durch Carolus Magnus Hutschenreuther bis in das Jahr des Mauerfalls 1989 gehen. Präsentiert wird dabei die ebenso breite wie bunte Palette der Produkte, mit denen Firmen wie Bauscher, Heinrich, Hutschenreuther, Rosenthal und Seltmann die ganze Welt belieferten: prächtig bemalte Vasen und kunstvoll gefertigtes Geschirr, Sammeltassen und Spielzeug aber auch zahlreiche kuriose Stücke. Die Ausstellung im Porzellanikon-Standort Selb veranschaulicht in vielen Inszenierungen und Videoinstallationen die Porzellangeschichte ab 1989 und bietet gleichzeitig einen spannenden Überblick über prägende Trends, Moden und Lifestyle-Richtungen in der Porzellanbranche in dieser Zeit: von Landhausromantik bis Purismus, von Future Form bis Nachhaltigkeit. Daneben werden unter dem Motto „Design als Innovationstreiber“ die besten 50 Designprodukte aus den letzten 25 Jahren bayerischer Porzellanproduktion vorgestellt. HINTERGRUND: Das Porzellanikon mit seinen zwei Standorten ist das größte Spezialmuseum für Porzellan in Europa. Es präsentiert in vier Abteilungen die wesentlichen Facetten des Porzellans ab: In der ehemaligen Rosenthal-Porzellanfabrik in Selb die Herstellung des Porzellans vom 18. Jahrhundert bis heute, die Technische Keramik und ihre Anwendungen in Geschichte, Gegenwart und Zukunft sowie die Produktgeschichte des Rosenthal-Porzellans; in Hohenberg die Entwicklung von Form und Dekor von Servicen, Zierartikeln und Figuren aus der reichen Geschichte der Porzellanindustrie seit dem 18. Jahrhundert.

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ÜBERBLICK ÜBER DIE AUSSTELLUNGSBEREICHE

Eine Ausstellung – zwei Standorte Hohenberg: Vom Türkenbecher bis zum Lagerfeld-Service Wie es überhaupt dazu kam, dass ab dem 18. Jahrhundert im Norden Bayerns zahlreiche Fabriken und Manufakturen gegründet wurden, erfahren die Besucher in Hohenberg. Anschließend gehen sie auf eine Reise durch die Geschichte und können auf rund 1.700 Quadratmetern nacherleben, wie sich Geschmäcker, Produktionsmöglichkeiten und Vertriebswege im Laufe der Zeit wandelten: Wie spiegelte sich das Lebensgefühl etwa in den 20er Jahren, in der Wirtschaftswunderzeit oder die Flowerpower-Bewegung in der Porzellangestaltung wieder? Wie wirkte sich die Machtergreifung Hitlers auf die Branche aus? Wie wurden die Muster vor Nachahmung geschützt? Und welche Verknüpfungen gab es zu Mode und Kunst? Die Palette der Produkte, mit denen Firmen wie Bauscher, Heinrich, Hutschenreuther, Rosenthal und Seltmann die ganze Welt belieferten, ist ebenso breit wie bunt: Sie reicht von Souvenirs bis zum Tafelgeschirr, vom Puppenkopf bis zum Isolator. Zu sehen sind nicht nur prächtig bemalte Vasen und kunstvoll gefertigtes Geschirr, Sammeltassen und Spielzeug, sondern auch Porzellane mit Sinnsprüchen, die so genannten Türkenbecher oder von Künstlern wie Dalì designte Objekte. In einem „Kabinett der Besonderheiten“ bieten kuriose und besondere Exponate wie die Barttassen, eine PorzellanPorträt-Bildplatte für Ludwig Erhard, eine Vase für den Schah von Persien, eine Josefine Baker-Figur im Bananenröckchen oder Hippies Anlass zum Staunen und Schmunzeln. Die rund 2.000 Exponate wurden aus der über 200.000 Stücke umfassenden Sammlung des Hauses ausgewählt. Selb: Design und Trends - 25 Jahre packende Porzellangeschichte Einerseits entwickeln internationale Designer für Markenunternehmen der Porzellanindustrie faszinierende Formen und Dekore, präsentieren angesagte Trends auf internationalen Messen und Ausstellungen. Andererseits schließen gerade in den letzten 25 Jahren zahlreiche kleine und auch große Fabriken ihre Tore. Die Ausstellung im Porzellanikon-Standort Selb veranschaulicht in vielen Inszenierungen und Videoinstallationen die Porzellangeschichte ab 1989 und verschafft gleichzeitig einen Überblick über prägende Trends, Moden und Lifestyle-Richtungen in der Porzellanbranche. Unter dem Motto „Design als Innovationstreiber“ werden die besten 50 Designprodukte aus den letzten 25 Jahren bayerischer Porzellanproduktion vorgestellt. Eine Fachjury wählte diese extra für die Ausstellung aus, dabei werden neben ausgefallenem Design und ungewöhnlichen Konzepten auch die Designer selbst präsentiert. Von Landhausromantik bis Purismus, von Future Form bis Nachhaltigkeit – Dieser Ausstellungsteil zeigt dabei nicht nur formschöne Produkte und die Vielfalt aktueller Dekore und Designs in den letzten 25 Jahren. Die Besucher lernen Porzellan als Gebrauchs-, Modeund Repräsentationsartikel kennen. Themen wie Kunstfertigkeit und Eleganz in Form und Farbe, Designinnovation und Funktionalität werden ebenso behandelt sowie Ökologie und Wirtschaftlichkeit, Kindergeschirr und Inklusion. Dabei wird auch nicht nur die private Tischkultur in den Fokus genommen, sondern auch die Hotelgastronomie, die in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. 4


Porzellan-Trends der letzten 25 Jahre Ein Ausstellungsteil in Selb lädt zu einer ungewöhnlichen Entdeckungsreise durch die prägenden Trends und Stilrichtungen des Porzellans in den letzten 25 Jahren ein. Im Ambiente eines verklinkerten Fachwerkhauses in der Abenddämmerung etwa kann der Besucher in die heile Welt im Landhaus Look eintauchen. Der Stil, der die Sehnsucht nach Natur und Behaglichkeit widerspiegelt, wurde in den 80er Jahren von Villeroy & Boch ins Leben gerufen, entwickelte sich aber in den 90ern zu DEM Trend schlechthin. Als Beispiel wird die Serie Gallo von der zu V&B gehörenden Porzellanfabrik Heinrich in Selb präsentiert. Heinrich war einer der ersten Bone China Geschirrproduzenten in Bayern, später stellten weitere Firmen ihre Werke auf den eierschalenweißen Scherben um. Im Bereich Klassik ist Zeit für Gefühle und Erinnerung. Entgegen dem vorherrschenden Stil der Modernität in den 90ern setzte Hutschenreuther auf der Frankfurter Frühjahrsmesse 1996 bewusst auf Romantik, auf Traditionelles und Filigranes. Die Ausstellungsszenografie lädt in das Ambiente eines französischen Gartenlandschaft analog zum damaligen Messeauftritt von Hutschenreuther. Tradition ja, aber neu formuliert: Die1994 ins Leben gerufene einmalige Symbiose aus Rosenthal Porzellan und Dekoren des italienischen Modedesigners Gianni Versace darf in der Ausstellung natürlich auch nicht fehlen. Der Stil, der schlichte Schönheit und farbige Opulenz verbindet und mit seiner ungewöhnlichen Mischung aus Gold und kräftigen Farben ins Auge fällt, machte weit über Deutschland hinaus von sich reden. „Retro Look“ und der Weg zum Purismus: Der Klassiker des Funktionalismus wird in weißer, puristischer Atmosphäre präsentiert. Nachdem im Jahr 2009 das Mokkaservice von Marguerite Friedländers Service „Halle’sche Form“ von der KPM neu aufgelegt wird, erleben in Bayern die Schöpfungen von Wilhelm Wagenfeld, Hermann Gretsch und Heinrich Löffelhards sowie Wolfgang von Wersins eine Renaissance. Dieter Sieger setzte mit Cult (Arzberg) 1994 strenge architektonisch konstruierte Linien. Für ihre klare Formen sind auch Jasper Morrissons Moon (Rosenthal) und Wolf Karnagel pure von SKV Schirning berühmt.

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HIGHLIGHT-EXPONATE Nashornvogel Dekor: Aufglasur- und Goldbemalung Entwurf: August Billmann, Kunstgewerbeschule Nürnberg, 1918 Pf. Zeh, Scherzer & Co., Kunstabteilung, Rehau Porzellanikon, Foto: © Porzellanikon Hohenberg (Zu sehen im Ausstellungsteil in Hohenberg)

Als absolute Rarität darf man diesen Nashornvogel bezeichnen, der in der bereits 1908/10 ins Leben gerufenen und spätestens 1917 weitergeführten Kunstabteilung Zeh, Scherzer & Co. in Rehau geschaffen wurde. In den Jahren 1918 bis 1920 entstanden mehrere Modelle der Zeh-Scherzer-Kunstabteilung mit Studierenden der Bildhauerklasse von Professor Max Heilmaier. Leider sind die Namen der Schüler nicht bekannt. Aufgrund stilistischer Ähnlichkeiten mit der Figur „Pelikanreiter“ der Schwarzburger Werkstätten für Porzellankunst in Unterweißbach könnte Emil Wagner als Entwerfer in Frage kommen. Porzellan für Luftschiff „Graf Zeppelin“ Mokkatasse mit Untertasse „Zeppelin“ Bordgeschirr für das Luftschiff Graf Zeppelin, Ausformung 1928 Pf. Heinrich & Co., Selb Porzellanikon, Foto: © Porzellanikon Hohenberg (Zu sehen im Ausstellungsteil in Hohenberg)

Porzellan für Zeppeline Majestätisch zieren die riesigen Luftschiffe den Himmel der 1920er Jahre. Sie gelten als Inbegriff des luxuriösen Reisens, auch für Transatlantikflüge. Als der Firmenchef der Porzellanfabrik Heinrich in Selb beim allmorgendlichen Lesen der Tageszeitung von dem in Friedrichshafen im Bau befindlichen Luftschiff „Graf Zeppelin“ liest, erregt die Meldung, dass eine Bordküche installiert werden soll, seine Aufmerksamkeit. „Wo gekocht wird, wird serviert, wo serviert wird, braucht man Porzellan“. Umgehend reist er 1928 mit ein paar Entwürfen, die der gehobenen Ausstattung des Luftschiffes angemessen sind, nach Friedrichshafen und bewirbt sich für die Produktion des Bordservices. Er erhält den Zuschlag. Ausgewählt wird eine Serviceform, die bereits als Haushaltsservice im Verkauf ist. Diese wird mit einem aufwändigen Dekor versehen. Im Jahr 1936 folgt die Ausstattung für das Luftschiff LZ 129 „Hindenburg“.

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Barttasse Ausformung um 1850, Pf. Tirschenreuth Dauerleihgabe Oberfrankenstiftung Bayreuth Foto: © Porzellanikon Hohenberg (Zu sehen im Ausstellungsteil in Hohenberg)

Kurioses für den Herrn – Barttassen. Die uns heute eigentümlich anmutenden Gegenstände der Kaiserzeit ent-springen ganz dem damaligen Zeitgeschmack und der vorherrschenden Mode. In Nachahmung der modischen Oberlippenbartträger wie Prinz Albert oder Kaiser Wilhelm II. kommen so genannte Barttassen auf, als deren Ur-sprungsland England gilt. Um die Benetzung und Auf-weichung des gewachsten und des Nachts durch eine Bartbinde in Form gebrachten Schnurrbartes durch den Wasserdampf bei heißen Getränken zu vermeiden, wird ein horizontaler Steg im Innenbereich der Tasse angebracht. Kraftgefühl Entwurf: Ernst Seger, 1938, Rosenthal Porzellan AG, Selb Elfenbein poliert, H. 60 cm Dauerleihgabe Oberfrankenstiftung Bayreuth (Zu sehen im Ausstellungsteil in Hohenberg)

Ab 1934, nach der Arisierung des Unternehmens Rosenthal, ist eine Veränderung in der Porzellangestaltung zu verzeichnen. Im Bereich der figürlichen Plastik wird ein „neuer“ Porzellanstil propagiert. „Elfenbein poliert“, so der Titel eines neuen Werbeheftes, zeigt weibliche Aktfiguren, die den Vorstellungen der neuen Führung entsprechen. Die von Ernst Seger (19.9.1868 – 12.8.1939) im Jahr 1938 entworfene Figur zählt zu diesen Frauenfiguren. Koffergeschirr 20 : 1 Entwurf: Otto Koch, 1948, Rosenthal Porzellan AG, Selb-Plößberg Buntdruck, H. 22,5 cm (Koffer) (Zu sehen im Ausstellungsteil in Hohenberg)

Dieses Rosenthal-Service ist eine gesetzlich geschützte Erfindung, die es ermöglicht, auf kleinstem Raum ein Service unterzubringen. Die kleine elegante Hand-Box enthält ein ganzes Service aus 20 Teilen bestehend. 20 : 1 ist das Service für die Einzimmerwohnung, die alleinstehende Frau, den Junggesellen, das Auto, den Wohnwagen, das Picknick im Freien, den Strand oder die sommerliche Fahrt in einem Boot. Es ist platzsparend unterzubringen , stets staubsicher und griffbereit verwahrt. 7


Vasen Logo Kaiser Porzellanmanufaktur Staffelstein KG Produziert ab 2002, Entwurf: unbekannt (Zu sehen im Ausstellungsteil in Selb)

Diese Vasenserie wurde 2002 auf der Konsumgütermesse in Frankfurt – dem Ort für aktuelle Produktdarstellungen – präsentiert und bezeugt damit das gegenwärtige Interesse an offensichtlich vergangenen Stilen und Trends. Medusa Medusa, Dekor Médaillon Méandre D’or Rosenthal GmbH, Rosenthal Versace Produziert ab 1993, Entwurf: Gianni Versace (Zu sehen im Ausstellungsteil in Selb)

Blickfang dieser Kollektion ist das Medusenhaupt – unverkennbares Wahrzeichen von Versace – umrahmt von einem antiken Meanderband. Die Figur der Medusa entstammt der antiken Mythologie und galt als betörende Schönheit. Die Kollektion Medusa besteht aus komplettem Tafel- und Kaffeeservice sowie vielen Accessoires. Zwei Glasserien (Lumière und Méandre) sowie eine Besteckkollektion vervollständigen das Konzept einer eleganten und farbenprächtigen Tischkultur. TRIC Arzberg Porzellan GmbH, Selb; Produziert ab 1998, Entwurf: Michael Sieger (Zu sehen im Ausstellungsteil in Selb) „Red dot“ Design Zentrum Nordrhein Westfalen, 1998

Dieses rund 50 Teile umfassende Geschirrprogramm ist modular aufgebaut und erlaubt unterschiedliche Kombinationsmöglichkeiten der einzelnen Teile. Beispielsweise passt ein Aromadeckel sowohl auf runde wie konische Schüsseln und Schalen. Das Konzept des Entwerfers war es, die Teileanzahl zu verringern, dabei aber einzelnen Produkten eine Mehrfachnutzung zu geben. Einige Extras wie Schüsseln aus Glas oder Metall bringen neue Verwendungsmöglichkeiten. Hier besonders Hervorhebens wert ist der patentierte Kunststoffdeckel dessen Henkel als Vakuumventil dient und damit eine Schale luftdicht – und somit kühlschranktauglich und transportfähig – macht.

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Heile Welt im Landhaus-Look Die Sehnsucht nach dem Leben auf dem Land (Zu sehen im Ausstellungsteil in Selb)

In den 1980er Jahren von Villeroy & Boch ins Leben gerufen, wird der Landhaus-Stil zum Trend und zum Vorbild für die deutsche Porzellanbranche. Dekore in Erdtöne auf feinstem Bone China Porzellan strahlen Wärme, Ruhe und Geborgenheit aus. Die Formen sind schlicht – mal traditionell, mal modern. Ihre Gestaltung ist oft weich fließend und weckt Assoziationen an alt Bekanntes. Porzellan im Landhaus-Stil wendet sich an Menschen, die das Natürliche lieben und sich von der kalten, technisierten Welt zurückziehen möchten. Schlichte Schönheit und farbige Opulenz Die Welt der Moden und des Lifestyle (Zu sehen im Ausstellungsteil in Selb)

Der neuen Behaglichkeit von Landhaus-Stil und Klassik steht die neue Üppigkeit gegenüber. Ihr besonderer Reiz liegt in der Kombination oftmals schlichter Formen und prächtiger, farbenfroher Dekore. Edles Porzellan, dekoriert in üppiger Farbigkeit mit reichen Vergoldungen, setzt neue Maßstäbe. Porzellanfirmen suchen die Zusammenarbeit mit Modedesignern und Künstlern wie z. B. die Firma Heinrich mit Paloma Picasso oder Rosenthal meets Versace. So entsteht eine neue Stilrichtung, für ein repräsentatives häusliches Ambiente, das weltweit auf Käufer trifft. Funktionalität mit zwei Gesichtern Retro-Look und der Weg zum Purismus

(Zu sehen im Ausstellungsteil in Selb)

Ein neuer Geist des Funktionalen bringt die Porzellanfabriken dazu auf Schätze aus ihrem Formenfundes zurückzugreifen. Klassiker des Funktionalismus werden neu interpretiert und wieder aufgelegt. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts gefällt puristisches Porzellan. Strenge, architektonisch konstruierte Linien strahlen Klarheit und eine funktionale Qualität aus. Es herrscht eine formale Reinheit in modischem Weiß oder mit sparsamen farblichen Akzenten. 9


THEMEN DER AUSSTELLUNG (Auswahl) Bodenmarke Eine Bodenmarke, ein Zeichen auf der Unterseite von Porzellanwaren bzw. Keramiken, weist auf den Hersteller hin. In Europa hielt die Bodenmarke mit der Einführung des Porzellans, also ab etwa 1720, Einzug. Bis etwa 1810 wurden die Marken in Blau mit dem Pinsel, meist unter der Glasur, von Hand aufgetragen. Danach wurden häufig Gummistempel verwendet. Seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde es Brauch, auch Form- und Dekornamen zusätzlich anzubringen. Porzellan musste nach seinen Produktionsländern bezeichnet werden z.B. „Bavaria”. Deutsches Porzellan erhielt meist den Stempel: „Made in Germany”. Mittlerweile wird der Ursprung der aus Deutschland stammenden Ware mit dem Vermerk „Germany” gekennzeichnet. Mit den Bodenmarken haben die Porzellanfabriken eingängliche Firmenlogos erschaffen – mit diesem Marketing waren sie anderen Branchen weit voraus.

Design Die Deutsche Porzellanindustrie kann für sich in Anspruch nehmen, eine der Innovativsten weltweit zu sein und ist führend im Bereich Design. Berühmte Designer aus dem In- und Ausland gestalteten und gestalten Produkte, die im besten Sinne von sich reden machen. Rosenthal wurde auf diese Weise zu einem der renommiertesten Best Brands weltweit. Aber auch andere Firmen aus Bayern werden regelmäßig bei nationalen und internationalen Wettbewerben ausgezeichnet. Ob die Tassenkollektion Collecione Alta von Walküre, die Serie Tric von Arzberg von Michael Sieger designt oder die Hotelform Event von Schönwald des Designers Carsten Gollnick – die besten 50 Designprodukte aus den letzten 25 Jahren bayerischer Porzellanproduktion können die Besucher am Standort Selb unter dem Motto „Design als Innovationstreiber“ sehen.

Gastronomie/Hotelerie Mit der Industrialisierung und dem Wandel der Arbeitswelt gewann auch die Außerhaus- und öffentliche Gemeinschaftsverpflegung immer mehr an Bedeutung. Ob in Betriebskantinen, Hotels und Gaststätten, in Speisewagen oder Bordrestaurants – der zunehmende Bedarfan gastronomietauglichem Porzellan stellte die Hersteller vor neue Herausforderungen. Anders als Haushaltsgeschirre, die meist als einheitlich gestaltete Service angebotenwurden, bestand das durchschnittliche Sortiment an einfachem Gastronomiegeschirr noch Ende des 19. Jahrhunderts aus einer Vielzahl von Einzelartikeln, die erst durch den gemeinsamen Dekor oder die Kundenvignette einen homogenen Charakter erhielten. Die gehobene Gastronomie verwendete im Allgemeinen die üblichen Haushaltsservice, einziges Zugeständnis an die besonderen Anforderungen der gastronomischen Nutzung war ein stärkerer Scherben. Erst mit der Ausbreitung und den wachsenden Ansprüchen der Gastronomiebetriebe wurde der funktionalen Gestaltung verstärkte Aufmerksamkeit zugewandt. Als erster Porzellanhersteller erkannte Bauscher/Weiden das Marktpotential für spezielles Hotel- und Wirtschaftsgeschirr. Das 1881 gegründete Unternehmen verzichtete zunächst nicht völlig auf die Produktion von Haushaltsporzellan, verlagerte aber bis etwa 1890 den Schwerpunkt immer mehr auf den Gastronomiebereich.

Geologie Porzellan besteht aus Kaolin, Quarz und Feldspat. Insbesondere der Kaolin, auch Porzellanerde genannt, ist in der Frühzeit der Porzellanherstellung selten zu finden gewesen. In Bayern fanden sich bei Passau größere Felder, die z.B. für die Manufakturen in Wien und München abgebaut wurden. Aber auch in Nordostbayern waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts Kaolingruben. Carolus Magnus Hutschenreuther, der Gründer der Hohenberger Porzellanfabrik, nutzte die Porzellanerde am 10


Steinberg bei Hohenberg, aber auch weitere Gruber in der näheren Umgebung, so bei Göpfersgrün. Wenig später entdeckte man nicht weit entfernt, in der Oberpfalz bei Tirschenreuth, ergiebige Felder, die auch heute noch abgebaut werden. Gut brauchbarer Feldspat konnte ebenfalls im Fichtelgebirge gewonnen werden. Der Boom der Porzellanherstellung vor allem in Nordbayern in den Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg wurde gefördert durch die großen Kaolinfelder bei Karlsbad sowie die Vorkommen von Braunkohle bei Falkenau, alles recht nah an den Fabriken gelegen. Damit avancierte Nordwestböhmen zum wichtigsten Rohstofflieferanten für die nordbayerische Porzellanindustrie.

Inklusion/interkulturelle Kompetenz Die deutschen Porzellanhersteller beschäftigen sich seit Jahren mit der Fragestellung nach Inklusion und zeigen, dass auch in der Porzellanbranche den speziellen Bedürfnissen von in ihrer Bewegung eingeschränkten Menschen Rechnung getragen wird. Mit hoher Funktionalität und ansprechender Gestaltung leistet sie somit auch einen Beitrag zum Leben und Altern in Würde. In der Ausstellung sind auch Gedecke für Sehbehinderte mit besonderer Farbcodierung sowie andere auf die Möglichkeiten der Nutzer abgestimmte „Werkzeuge“ der Nahrungsaufnahme etwa für den Einsatz in Krankenhaus und Pflegeheim zu sehen.

Konsumverhalten Das Kaufverhalten der Kunden in Deutschland ist sehr konjunkturabhängig. Porzellan steht auf Platz 15 der Bedarfsliste (hinter dem Rasenmäher). Die „Geiz ist geil“ Mentalität wirkt sich auch auf diesen Bereich aus. Während in der Freizeitgesellschaft viel Geld für Reisen, Auto, Unterhaltungselektronik und Kleidung ausgeben wird, wird beim Porzellan gespart, schließlich gibt es dies jetzt immer häufiger auch zum Schnäppchenpreis beim Discounter und im Möbelgeschäft (etwa IKEA). Das Essen zuhause wird zurückgedrängt von Fastfood in der Pappschachtel. Aber auch hochwertiges Essen außer Haus wird immer beliebter; davon profitieren zumindest die Hersteller von Hotel- und Gaststättenporzellan. Die Folgen: In Deutschland stirbt der Porzellanfachhandel, von zehn meist noch in Familienbetrieb arbeitenden Einzelhandelsgeschäften im Bereich Glas, Porzellan und Keramik starben in den letzten 25 Jahren sieben. Ein Ende ist nicht absehbar.

Kunst Ab 1964 versucht man bei Rosenthal in Selb auf Anraten von Arnold Bode, dem Begründer der Documenta in Kassel, Kunst in Porzellan umzusetzen. Die ersten Ergebnisse (34 Arbeiten von 23 Künstlern) werden 1968 in limitierter Auflage im Kölner Kunstverein ausgestellt, die sog. ROSENTHAL RELIEF REIHE mit Entwürfen von Joannis Avramidis, Lucio Fontana, Berhard Heiliger, Henry Moore, Günter Ferdinand Ris, Victor Vasarely usw…. Obwohl Kunstkritiker und Ausstellungspublikum zurückhaltend reagieren, lässt sich Philip Rosenthal nicht entmutigen und macht weiter. 1967 engagiert er Eugen Gomringer in die neu geschaffene Abteilung „Kulturelle Beziehungen“. Fortan kümmert sich der „Vater der konkreten Poesie“ um die Organisation von Ausstellungen der ROSENTHAL RELIEF REIHE. Künftig setzt man weitere Entwürfe von namhaften Künstlern in Porzellan, Glas und Keramik um. 1980 folgt ein anderes Unternehmen dieser Idee. Wilhelm Goebel vertraut Walter Stürmer die Aufgabe an, eine Kollektion hochwertiger Kunstwerke in Porzellan zu entwickeln, nachdem er ihn 1974 als Produktmanager zur Oeslauer Porzellanmanufaktur W. Goebel K.G. geholt hat. Vorher ist Stürmer seit 1967 bei Rosenthal in der Produktentwicklung tätig, mit der technischen Leitung der Rosenthal Relief Reihe. Mit Prof. Dr. Gertz, einem profunden Kenner der zeitgenössischen Kunst, und Dr. Joachim Kruse, dem damaligen Leiter der Kunstsammlungen der Veste Coburg, entwickelt Stürmer gemeinsam die Konzeption der Goebel Galerie. Umgesetzt werden unter anderem Entwürfe von Gerhard Marcks, Volkmar Kühn, Ioan Pârvan usw. 11


Kriege In Kriegszeiten wie dem Ersten oder Zweiten Weltkrieg wird die Produktion der Bayerischen Porzellanfabriken weitgehend umgestellt auf kriegswichtige Erzeugnisse. Dies sind oft Lieferungen für die Armee, technische Ausstattung für die Kriegführung, elektrotechnisches Material und Isolatoren. Viele Männer werden zum Kriegsdienst eingezogen, die Belieferung von Rohstoffen und Kohle stockt. Viele der stark exportorientierten Fabriken verlieren ihre Abnehmer, müssen die Produktion einschränken, am Ende sogar komplett schließen. Dies erlaubt anderen, kapitalkräftigeren Firmen wie z.B. Lorenz Hutschenreuther oder Rosenthal den Aufkauf anderer Unternehmen.

Mode Bereits Anfang der 1960er bis 1977 liefert der italienische Modedesigner Emilio Pucci (1914-1992), dessen farbenfrohe Modelle von Stars wie Sophia Loren, Grace Kelly oder Marilyn Monroe getragen wurden, Dekor-Entwürfe für die Rosenthal-Studio-Linie, die ebenfalls eine auffällige Farbigkeit zeigen. 1980 beginnt die Porzellanfabrik Hutschenreuther mit verschiedenen Modeschöpfern zusammen zu arbeiten. Mit Léonard entstehen eine Reihe von Dekoren, die meist großflächig auf unterschiedliche Hutschenreuther-Serviceformen aufgebracht werden wie z. B. Camaro auf die Form Concorde oder Calypso auf die Form Tavola. Der Couturier Karl Lagerfeld arbeitet 1981 mit der Porzellanfabrik Hutschenreuther in Selb zusammen und kreiert das Service Fleuron-Chloé. Der 1922 in Italien geborene und in Paris lebende Modeschöpfer Pierre Cardin kauft 1981 das Pariser Nobelrestaurant Maxim´s. Vier Jahre später präsentiert das Unternehmen Hutschenreuther in Selb eine von Cardin entworfene Serviceform gleichen Namens. Maxim´s de Paris zieren verschiedene Muster, u.a. die Dekore En Vogue oder Accent. Auch die Porzellanfabrik Bareuther in Waldsassen kann Pierre Cardin 1986 als Entwerfer für eine Serviceform gewinnen. Das Unternehmen Villeroy & Boch setzt Entwürfe von Paloma Picasso um. Rosenthal beginnt 1993 die Zusammenarbeit mit Versace, die bis heute andauert. Marken- und Musterschutz Bereits die großen Manufakturen sahen die Notwendigkeit spezieller Firmenzeichen, um die Herkunft ihrer Erzeugnisse kenntlich zu machen. Mit zunehmender Verdichtung der Porzellanindustrie wurde diese Kennzeichnung von den meisten Herstellern übernommen, wobei sich die Bodenmarken häufig bewusst an den Marken namhafter Manufakturen orientierten. Nachdem die sächsische Regierung 1779 bereits die Kennzeichnungspflicht von Porzellan verbunden mit dem strikten Schutz der Meissener Marke eingeführt hatte, wird 1874 mit dem „Gesetz über den Markenschutz“ eine verbindliche gesamtdeutsche Regelung geschaffen. Von den bayerischen Porzellanherstellern lässt C. M. Hutschenreuther in Hohenberg ab 1876 eine konsequente Registrierung seiner Markenzeichen vornehmen. Obwohl fast alle Firmen ihre Erzeugnisse mit Bodenmarken versehen, beanspruchen im Allgemeinen nur Unternehmen des gehobenen und mittleren Qualitäts- und Preissegments Markenschutz. Dabei erkennen sie bereits früh die marktstrategische Bedeutung von Markenzeichen und sind bestrebt, diese als Kennzeichen für Qualität am Markt zu platzieren, um sich so einen markentreuen Kundenkreis heranzuziehen. Bis zur gesetzlichen Einführung des „Gesetzes, betreffend das Urheberrecht an Mustern und Modellen“ im Jahr 1876 stehlen sich die deutschen Porzellanfabrikanten gegenseitig Muster und Modelle. Der Musterschutz ist also als Ergänzung zum Markenschutz unverzichtbar und speziell für die Porzellanindustrie von geradezu existenzieller Bedeutung. Heute sind die Markenzeichen- und Musterschutzregistrierungen ein wertvolles Hilfsmittel zur zeitlichen Einordnung historischer Porzellanerzeugnisse.

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Ökologie In Zeiten steigender Energiepreise musste auch die Porzellanindustrie als eine der energieintensivsten Branchen die Produktion optimieren: Einsparungen an Wasser, Vermeidung von Müll, Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoff-Emissionen. Heute kann die Porzellanindustrie für sich in Anspruch nehmen, eine Vorzeigebranche für energiebewusstes Handeln zu sein. Auch aus Sicht der Verbraucher ist die Verwendung von Porzellan ökologisch sinnvoll: Eine Tasse ein Jahr im Gebrauch ersetzt bis zu 3650 Pappbecher. Mit der Serie Tric (Aufbewahrungsgefäße mit luftdicht abschließbaren Deckeln für den Kühlschrank) bietet die Porzellanfabrik Arzberg eine umweltbewusste Alternative zu den gängigen Kunststoffbehältern. Pfeifenrauchen „Saftsack“ und „Pfeifenkopf“ sind nicht nur Schimpfworte, sie bezeichnen vielmehr Bestandteile einer Porzellanpfeife. Das Pfeiferauchen erreichte im 30-jährigen Krieg von 1618 bis 1648 die Bevölkerung Deutschlands. Mit der Erfindung des Porzellans in Sachsen stellte man sie bald aus diesem Material her. Besonders beliebt waren die Porzellanpfeifen Ende des 18. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts. Man schenkte sie sich zu besonderen Anlässen mit kleinen Sprüchen, mit Genreszenen, mit Landschaften usw. Mit dem Aufkommen der Zigarette im Krimkrieg der 1850er Jahre kam das Rauchen der Pfeifen außer Mode, da der Stopfvorgang als zu langwierig empfunden wurde. Dennoch verschwand die Porzellanpfeife nie ganz. Politik Einflussreiche Männer finden sich in der bayerischen Porzellanindustrie. Da wäre Philipp Rosenthal (1855-1937) zu nennen, Begründer des Rosenthal-Konzerns. Sein Engagement für die Leipziger Messe brachte ihm auch die Position des Vorstands im Messeverband ein. Einfluß erlangte er auch als Vorstandsmitglied im Reichsverband der Industrie, der Arbeitgeberorganisation der Industrie. Zum 50jährigen Jubiläum seines Unternehmens 1929 erschien auch der Reichspräsident von Hindenburg zur Gratulation. Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 geriet er wegen seiner jüdischen Wurzeln schnell in das Schussfeld der neuen Machthaber. Ihnen gelang es, ihn aus dem Unternehmen zu verdrängen. Sein Sohn Philip Rosenthal (1916-2001) engagierte sich politisch. Nicht nur, dass er als SPD-Mitglied Abgeordneter der Bundestagswahlkreise Goslar und Kulmbach war, in der ersten sozialliberalen Koalition ab 1969 wurde er unter Finanzminister Schiller kurzzeitig zum Staatssekretär ernannt. Er gilt als einer der Wegbereiter der Arbeitnehmerbeteiligung am wirtschaftlichen Gestaltung des Unternehmens (Vermögensbeteiligung) Porzellan für den Vatikan Die Serviceform Anmut , 1949 von Karl Leutner entworfen und bei Heinrich & Co. in Selb hergestellt, wird bereits 1951 auf der IX. Triennale in Mailand als einziges Produkt mit einer Goldmedaille ausgezeichnet. Die zeitgemäße Form bringt nicht nur hohe Verkaufszahlen, sondern auch prominente Käufer. Berühmte Persönlichkeiten und gekrönte Häupter wie das Fürstenpaar von Monaco oder König Paul von Griechenland speisen von ihr. Auch in den Vatikan werden Tafel-, Kaffee-, Tee-, Mokka- und Frühstücksservice mit Dekor-Sonderanfertigungen geliefert, unter anderem für die Päpste Pius XII. im Jahr 1955, seinen Nachfolger Johannes XXIII. 1959 und Paul VI. 1964. Weltausstellungen Vor dem Hintergrund der rasanten Industrialisierung hatten sich schon vor und in verstärktem Maß nach dem Krieg 1870/71 eine Vielzahl regionaler Industrie- und Gewerbeausstellungen etabliert. Obwohl diese ähnlich kommerziell ausgerichtet waren wie die reinen Handelsmessen, lag der Fokus 13


eher auf einer künstlerisch-ästhetischen Warenpräsentation. Die teilnehmenden Firmen waren bestrebt sich mit attraktiven Kollektionen und Ausstellungsarrangements zu übertreffen. Auf internationaler Ebene galt dies auch für die seit 1851 in schneller Folge stattfindenden Weltausstellungen. Dieser Wettbewerbscharakter wurde durch ein System von Auszeichnungen zusätzlich gefördert. Ihr Wert war zwar umstritten, gab den prämiierten Firmen aber die Möglichkeit, mit Abbildungen der errungenen Medaillen auf Briefköpfen und Anzeigen für die Qualität ihrer Erzeugnisse zu werben. Im Gegensatz zu branchenspezifischen Fachausstellungen stießen die (Kunst)-Gewerbeausstellungen auf größeres Publikumsinteresse und wurden auch von den Porzellanherstellern gern beschickt. Nach Kriegsende 1918 war jedoch die Blütezeit des Ausstellungswesens vorbei. Wirtschaft Die Deutsche Porzellanbranche hat in den vergangenen 25 Jahren über 80 % ihrer Arbeitsplätze verloren, Grund hierfür ist vor allem die Konkurrenz aus den Billiglohnländern. Von 1989 sinkt die Zahl der Beschäftigten der im Arbeitgeberverband VKI angehörigen Betriebe von 30.000 (West) auf nicht einmal 13.000 (gesamt) zum Ende der 90er Jahre. 2013 sind noch in etwa 4.075 Menschen in der Porzellanbranche in Deutschland (einschließlich Manufakturen) beschäftigt. Viele Betriebe müssen in diesen 25 Jahren geschlossen werden (etwa die Hutschenreuther AG, die 1989 noch 6.000 Mitarbeitern in 14 Fabriken beschäftigte), einige können nach Insolvenz unter neuer Führung weiter bestehen. Oft sind es nur die Marken, die weiter bestehen. Dennoch: die deutsche und vornehmlich bayerische Porzellanindustrie ist nach wie vor die bedeutendste in Europa. Bayerisches Porzellan wird heute in 186 Länder exportiert, von A wie Angola bis Z wie Zypern. 60 % des in Europa hergestellten Porzellans kommt aus Bayern. Die Marktführer im Gastro- und Hotelbereich BHS Tabletop und im Haushaltsbereich Rosenthal zählen trotz Strukturkrise zu den Best Brands in der Branche. Die bayerische Porzellanindustrie ist 2014 zwar von der Zahl der Betriebe und Beschäftigten kleiner, aber innovativ und kreativ und steht wirtschaftlich auf einem gesundern Fundament.

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HINTERGRUND: Die Porzellanindustrie in Bayern Seit dem 18. Jahrhundert wurden im Norden Bayerns Fabriken und Manufakturen zur Erstellung von Porzellan errichtet. Ein wichtiger Standortfaktor war neben der Nähe zu den Rohstoffen Kaolin, Feldspat und Quarz auch die Nachbarschaft zu bedeutenden Absatzmärkten wie den böhmischen Weltbädern. Während sich Selb im Laufe des 19. Jahrhunderts langsam zum Weltzentrum der Porzellanindustrie entwickelte, entstand in ganz Nordbayern zwischen Weiden und Coburg eine Vielzahl von kleineren und größeren Porzellanfabriken. Zu den bekanntesten Marken zählen Bauscher, Heinrich, Hutschenreuther, Rosenthal und Seltmann. Aus dieser Region, die heute noch die bedeutendste Porzellanregion Europas darstellt, wurde in die ganze Welt geliefert. Arzberg 1887 Gründung der Porzellanfabrik Arzberg durch Christoph Schumann. Er verkauft 1891 die Fabrik an den Kaufmann Theodor Lehmann. Bereits 1903 wird das Unternehmen von der Porzellanfabrik Schönwald AG übernommen. Theodor Lehmann bleibt angestellter Direktor und leitet 1904 auch die Porzellanfabrik Schönwald AG. 1927 kommen beide Betriebe zum Kahla-Konzern, der beide in Porzellanfabrik Arzberg umbenennt. Dieser Name wird auch nach der Vereinigung mit der Hutschenreuther AG 1972 beibehalten. Seit September 2013 gehören die Markenrechte von Arzberg der Rosenthal Sambonet Gruppe. Seit jeher produziert Arzberg Qualitätsporzellan. Formen und Dekore wie die 1382 von Hermann Gretsch mit dem Dekor Blaublüten zählen weltweit zu den beliebtesten Klassikern. BHS tabletop AG, Selb, Schönwald, Weiden Hinter dem Kürzel BHS verbergen sich drei der traditionsreichsten Porzellanmarken in Deutschland: Bauscher, Tafelstern (bis 2006 Hutschenreuther Hotel) und Schönwald. tabletop steht in der Gastronomie für den gedeckten Tisch. Die Ursprünge des Unternehmens liegen weit zurück. 1859 wurde die Porzellanfabrik Hutschenreuther in Selb in Betrieb genommen; 1879 war das Geburtsjahr der Porzellanfabrik Schönwald und 1881 folgte die Gründung der Porzellanfabrik Gebrüder Bauscher in Weiden. Im Laufe der Zeit führte die Hutschenreuther AG alle drei Marken unter ihrem Dach. 1998 erfolgte durch die Neuausrichtung des Geschäftsmodells und die Spezialisierung auf funktionales Markenporzellan für den Außer-Haus-Verzehr und die Umfirmierung zur BHS tabletop AG. Dibbern 1997 Übernahme des 1814 in Hohenberg/Bayern von C. M. Hutschenreuther gegründeten Porzellanbetriebes. Bereits Anfang der 1970er Jahre legte Bernd T. Dibbern den Grundstein für die heutige Positionierung als Hersteller und Lieferant von Lifestyle-Produkten höchster Qualität und zeitlosem Design im Bereich Tischkultur. Der Durchbruch zur Lifestyle Marke gelang mit dem Geschirr Solid Color in den 80er Jahren: Die mehrfach prämierte, pure Form von Solid Color stammt aus den 30er Jahren, 40 aktuelle Farben eröffnen dem Verbraucher eine endlose Vielfalt an individuellen Kombinationsmöglichkeiten.

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Heinrich, Selb 1896 als Porzellanmalerei von Franz Heinrich gegründet, fertigt Gebrauchs-, Hotel- und Luxusgeschirre sowie Geschenkartikel. Nach dem Krieg wird im Jahr 1947 in Seethal am Chiemsee eine Kunstabteilung für Handmalerei eingerichtet. Im Jahr 1976 übernimmt Villeroy & Boch das Unternehmen, stellt jedoch 1999 die Produktion in Selb ein. Die von Karl Leutner 1949 entworfene Form Anmut wird bis heute mit zeitgemäßem Dekor angeboten. Hutschenreuther, Hohenberg a. d. Eger und Selb 1814 gründet Carolus Magnus Hutschenreuther in Hohenberg zunächst eine Porzellanmalerei, 1822 erhält er die Genehmigung zur Errichtung einer „PorcellainFabrique“. Hergestellt werden Pfeifenköpfe, Puppenköpfe, Türkenbecher, Milchtöpfe, Tassen, Kannen usw.. Die Produkte von C. M. Hutschenreuther werden in alle deutschen Staaten und von Regensburg aus donauabwärts bis in den Nahen Osten exportiert. 1859 Beginn der Porzellanproduktion durch Lorenz Hutschenreuther in Selb. 1902 wird die Porzellanfabrik Lorenz Hutschenreuther in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1917 Gründung der Lorenz Hutschenreuther Kunstabteilung in Selb unter der künstlerischen Leitung von Prof. Fritz Klee. Im Jahr 1930 wird das Dekor Blau Zwiebelmuster in die Kollektion aufgenommen. 1969 fusionieren C. M. Hutschenreuther und Lorenz Hutschenreuther zur Hutschenreuther AG. Der Bildhauer Hans Achtziger kreiert figürliche Meisterwerke und entwirft Geschirrformen sowie Geschenkartikelserien. Er prägt die Kollektion bis in die 80er Jahre. Die vom Naturalismus geprägten Tierplastiken von Gunther Granget sind ebenfalls weit über die Grenzen Europas bekannt und beliebt. 1975 Künstlerische Zusammenarbeit mit Pariser Modeschöpfern und renommierten Designern, u. a. Pierre Cardin und Karl Lagerfeld. Im Jahr 2000 wird die Traditionsmarke Hutschenreuther durch die Rosenthal AG, heute Sambonet-Gruppe, übernommen. Rosenthal, Selb 1879/1880 Philipp Rosenthal lässt sich im ehemals markgräflichen Schloss Erkersreuth nieder und gründet eine Porzellanmalerei. Nachdem dem florierenden Betrieb, der seit 1887 ein geschütztes Firmenzeichen führt, die Beschaffung von Weißware Probleme bereitet, wird in Selb eine Porzellanfabrik errichtet und 1891 mit 225 Mitarbeitern mit der Fertigung von eigenem Porzellan begonnen. Bereits 1897 wird das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. 1901 erfolgt die Eingliederung der 1897 in Kronach gegründeten Porzellanfabrik Bauer, Rosenthal & Co. KG.. Die Einrichtung einer speziellen „Kunstabteilung” für Ziergefäße und figürliches Porzellan im Werk Selb erfolgte 1910, geht aber in ihren Anfängen auf das Jahr 1908 zurück. 1908 erfolgte auch die Übernahme der Porzellanfabrik Thomas. Im Jahr 1950 trat der Sohn des Geheimrats, Philip Rosenthal, als Werbeleiter in das Unternehmen ein, bereits zwei Jahre später übernimmt er die Produktgestaltung. Mit Gespür für Produkte, Markt und Öffentlichkeit krempelte er das bisherige Image der Rosenthal AG um, scharte namhafte Künstler und Designer wie beispielsweise Richard Latham, Raymond Loewy, Raymond Peynet, Tapio Wirkkala und Björn Wiinblad um sich. Er initiierte die neue Rosenthal Linie, den „New Look“ in Porzellan; 1961 entstand daraus die Rosenthal StudioLinie. Seit 1968 werden Rosenthal Kunstobjekte aus Porzellan, Glas und Keramik sowie Einzelmöbel in limitierter Auflage hergestellt. 16


Heute zählt die Rosenthal GmbH, die seit August 2009 Teil der Sambonet Paderno Gruppe ist, zu den international führenden Anbietern einer zeitgemäßen Tisch- und Wohnkultur, Design und Kunst in Porzellan und Glas. Seltmann, Weiden 1910 Gründung der Porzellanfabrik Christian Seltmann in Weiden. Neben Geschenkartikeln wurden vor allem Tafel- und Kaffeegeschirre hergestellt, in den 1920er Jahren auch figürliches Kunstporzellan. Wilhelm Seltmann, der die Schaffensfreude und den unternehmerischen Geist seines Vaters geerbt hatte, gelang es, das Bestehende noch weiter auszubauen. So wurde der Firma in Weiden im Jahr 1939 die Porzellanfabrik „Krummennaab“ angegliedert und 1940 die Porzellanfabrik Erbendorf angekauft. Durch Übernahme und Eingliederung der „Königlich privilegierten Porzellanfabrik Tettau“ (1957) sowie der „Aeltesten Volkstedter Porzellanmanufaktur“ (1990), den „Schwarzburger Werkstätten“ für Porzellankunst (1990), der "Porzellanmanufaktur Scheibe Alsbach" (gegr. 1835), den „Unterweissbacher Werkstätten“ für Porzellankunst (1990) und der „Porzellanmanufaktur Plaue“ (1995) entwickelte sich eine Unternehmensgruppe mit ca. 1000 Mitarbeitern, die bis heute als Familienunternehmen geführt wird. Gefertigt wird heute Porzellan für die Bereiche Haushalt, Hotellerie und Sozialgastronomie sowie Figuren und Geschenke. Thomas 1903 Gründung der Porzellanfabrik Thomas & Ens in Marktredwitz durch Fritz Thomas. Bereits 1908 erfolgte die Übernahme durch den Rosenthal Konzern. Über Jahrzehnte hinweg wurde Qualitätsporzellan, insbesondere Service, hergestellt. 1959 feierte man im neuen Werk „Thomas am Kulm“ in Speichersdorf Richtfest. Diese Fabrik, deren Fassadengestaltung von dem Italiener Marcello Morandini stammt, zählt heute zu den modernsten ihrer Art. Die Marke Thomas steht heute für junges unkompliziertes Design für jeden Tag. Walküre, Bayreuth Mit der Gründung einer Porzellanmalerei legte Siegmund Paul Meyer 1896 den Grundstein für das Unternehmen, das seit 1899 Porzellan herstellt und heute in vierter Generation von Dr. Wolfgang und Siegmund Meyer geführt wird. Schon in der Gründungszeit fertigte man Spezialprodukte. Das feuerfeste Koch- und Backgeschirr Walküre ist eine begehrte Spezialität. Mitte der 50er Jahre hält nicht nur neueste Technik Einzug, sondern auch eine Spezialisierung auf die Gastronomie als Reaktion auf die Bedürfnisse der sich entwickelnden Freizeitgesellschaft. Dank überlegter Unternehmensführung und der von Anfang an bestehenden Innovationskraft entwickelt sich die Porzellanfabrik Walküre kontinuierlich weiter. Mit dem nötigen Sinn für Qualität und Design setzte sie sich all die Jahrzehnte hinweg durch und produziert bis heute Qualitätsporzellan „Made in Germany”.

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DATEN & FAKTEN Sonderausstellung

Porzellan für die Welt – 200 Jahre Porzellan der bayerischen Fabriken

Dauer

18. Juli bis 30. November 2014

Exponate

2000 Exponate aus 200 Jahren aus einem Fundus von 200.000 Stücken

Kuratoren

Hohenberg: Petra Werner M.A.; (alphabetisch) Selb: Wilhelm Siemen, Wolfgang Schilling, Anke Mölling, Dr. Jana Göbel, Claudia Zachow, Sabine Reichel-Fröhlich

Gestaltung

Selb: Wilhelm Siemen (Konzeption) und Wolfgang Faßbender (Architektur) Hohenberg: Design "Die WERFT", München, Swen Sieber

Veranstaltungsorte

Porzellanikon Selb Staatliches Museum für Porzellan Werner-Schürer-Platz 1 95100 Selb Fon: +49 (0) 9287 918 000 info@porzellanikon.org Porzellanikon Hohenberg a.d.Eger Staatliches Museum für Porzellan Schirndinger Straße 48 95691 Hohenberg a.d. Eger Fon: +49 (0) 9233 772 211 dpm@porzellanikon.org

Ausstellungsfläche

3500 qm an beiden Standorten

Öffnungszeiten

Dienstag bis Sonntag 10–17 Uhr

Eintrittspreise

Einzelkarte Selb 5,00 EUR Einzelkarte Hohenberg 3,00 EUR Kombiticket 6,50 EUR

Katalog

Ein umfangreich bebilderter zweibändiger Katalog erscheint zur Ausstellung

Webseite

www.porzellanikon.org

Führungen

umfangreiches Führungsangebot an beiden Standorten

Veranstaltungen

zur Ausstellung erscheint eine Veranstaltungsübersicht

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DAS PORZELLANIKON Das Porzellanikon ist Europas größtes Spezialmuseum für das „Weiße Gold“. Insgesamt über 200.000 Exponate bilden ab, was die Menschen in der deutschen Porzellanbranche, insbesondere in Oberfranken und der Oberpfalz, in den letzten 200 Jahren geschaffen haben und was die Region mit der größten Dichte an Produktionsstätten weltweit bekannt gemacht hat: das Porzellan. Auf rund 10.000 Quadratmetern bietet das Museum, das zum 1. Januar 2014 durch den Freistaat Bayern übernommen wurde, Raum für spannende und abwechslungsreiche Ausstellungen. Hohenberg Das Mutterhaus der 1979 ins Leben gerufenen Einrichtung, in Hohenberg a. d. Eger gelegen, dokumentiert heute auf nahezu 2000 Quadratmetern die Geschichte der Porzellanformen und -dekore und dies seit der Erfindung des Porzellans durch Johann Friedrich Böttger und Walther Ehrenfried von Tschirnhaus. Der Schwerpunkt der Sammlung und damit der dort präsentierten Exponate liegt auf dem Schaffen der Porzellanindustrie des deutschsprachigen Raumes seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Zeit der Wende 1990. Sonderausstellungen, die manchmal sogar das ganze Museum in ein neues Gewand hüllen, behandeln immer wieder zentrale Aspekte der Porzellangeschichte aus unterschiedlichsten Perspektiven. Aber auch das künstlerische und handwerkliche Können der Manufakturisten in ganz Europa ist hier präsent. Selb In der früheren Porzellanfabrik, die 1867 durch Jacob Zeidler gegründet, 1917 durch Phillipp Rosenthal erworben und 1969 stillgelegt wurde, schufen einst 800 Beschäftigte wertvollste Figuren, Zierartikel und Geschirre. Noch heute können Besucher dies in dem weitläufigen Museumsareal authentisch erleben: In drei unterschiedlichen Bereichen wird Porzellan als Erlebnis erfahrbar: Im Europäischen IndustrieMuseum für Porzellan wird auf rund 8000 Quadratmetern in den historischen Fabrikationsräumen die Herstellung des „Weißen Goldes“ präsentiert: von der unscheinbaren Masse über den fertig gebrannten weißen Scherben bis zur verzierten Ware. Ein zweiter Bereich widmet sich der technischen Keramik: Im Europäischen Museum für Technische Keramik sind mannshohe Mischbehälter für die chemische Industrie, Elektroisolatoren und Kondensatoren oder modernste Produkte für den Bereich der Biomedizin, Computertechnik und den Automobilbau zu sehen. Schließlich werdeen im Rosenthal Museum die Geschichte der berühmten Marke erzählt und Produkte aus der über 25.000 Exponate zählenden Sammlung der Rosenthal Porzellane präsentiert – ein Überblick über Designer und Design, Künstler und Kunst, wie er sich sonst zu einem Unternehmen kaum andernorts wiederfindet. www.porzellanikon.org

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