Heinrich Chronik 50 Jahre

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„ D e r Hände Fleiß und Feuers Kraft Aus Erd das weiße G o l d erschafft."


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Gestaltung und Text: Kurt und Marianne Piepenstock, Unterhaching bei München Typographie und Zeichnungen: Werner SchmicJtner, München 23, Molticestraße 7 • Druck: F. Bruckmann KG.,München


„Es ist etwas Hohes, Heiliges um die Arbeit. Sie erst drückt dem Menschen den Stempel wahrer Bildung auf und adelt ihn. W e r sie verachtet, ist ihrer nicht wert und würdigt sich herab in der Achtung seiner Mitmenschen und vor sich selbst. Wer aber sich selbst nicht achten kann, der zählt zu den Ärmsten, die der Erdboden trägt." (MACAULAY)

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MH reichem Goldglanz Oberstrahlte die sich neigende Sonne die herbstbunten W ä l d e r des Fichtelgebirges. Aufatmend blieb der bislang geruhsam W a n d e r n d e stehen, als er seine Heimatstadt Ober Tal und Hänge hingebreitet liegen sah. Schnell eilte er nun talwärts, aber bevor er über die Brücke in die Stadt einbog, verhielt er nochmals den Schritt und wandte sich zur Höhe des Goldberges hin. Er konnte noch nicht nach Hause. Er mußte erst ruhig und klar über die ihn noch immer bedrängenden Empfindungen werden. Wuchtig und breit w a r sein Rücken. Schwer und bedachtsam sein Gang. Ein Bauer schreitet so pflügend, säend und erntend Ober sein Feld. „Für wen plagte ich mich, für wen darf ich ernten?" quoll es bitter fragend in seinen Gedanken auf, als er drüben über die Höhen einen Pflüger schreiten sah. Ihm w a r wehmütig ums Herz. Seit er sich erinnern konnte, hatte er schwer arbeiten müssen. Der schweigsame, hagere Vater verlangte von seinem Ältesten, daß er Oberall mit Zugriff, zu Hause in Stall und Scheune, beim Brauen des Bieres in der Kommune, und draußen auf dem Feld. Vier Stunden Arbeit hatte er meistens hinter sich, wenn er zur Schule ging oder später, in der Lehrzeit, zur Fabrik. Und nun sollte er sich wieder einspannen in fremdes Joch? Nein.


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Unten lag Selb, die Porzellanstadt der W e l t im Nordostwinkel Bayerns. W i e die Füchse über den dunkeln-

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den Himmel hinjagten, die flöchtigen Flammen, die aus den Brennöfen der großen Porzellanfabriken wirbelnd schlagen! Mächtig griff ihm dies geliebte Bild ans Herz. Ach, er war ja längst den Flammen verfallen, diesem nicht greifbaren, nie ganz zu durchschauenden Geheimnis, in dem sich die weiße Erde zum schimmernden Porzellan verwandelte. Lange stand er sinnend. Immer stärker erfüllte ihn eine Gläubigkeit, daß er seinen W e g schon finden w e r d e . . . Heute waren die zuckenden und ziehenden Flammen geliebtes Zeichen, während sie vor 40 Jahren Verderben bringend über die Stadt hinzüngelten. In der Karwoche 1856 hatte das zehrende Feuer den größten Teil der Stadt vernichtet. Häuser und Webstühle waren zu Asche verfallen, die meisten Selber ihrer Wohnstatt und Arbeit beraubt. Jedoch wenige Wochen vor dem Brand hatte Lorenz Hutschenreuther um die Konzession zur Errichtung einer Porzellanfabrik nachgesucht. Und schon nach einigen Jahren begann sich bescheidener Wohlstand in Selb zu entfalten. Auch das Elternhaus des jungen Franz Heinrich war 1856 eingeäschert worden. In der einfach schlichten und sparsamen Bauart wurde es wieder errichtet, die den kargen Mitteln des herben Landes entsprach. Mager und steinig ist der Boden. Gut wächst in ihm die Kartoffel, die Hauptnahrung der genügsamen Bevölkerung. In Selb war ja auch durch Rogler zum erstenmal in Deutschland die Kartoffel feldmäßig angebaut worden. — Franz Heinrich wußte, wie schwer sein Vater sich plagen mußte und daß er ihn gebraucht hatte. Künftig mußte er jedoch seinen eigenen W e g zu gehen suchen. Einen Weg, der wohl nicht leichter sein würde, der ihn auch ins Joch beugen mochte, aber in das der freiwillig übernommenen Pflicht. Ja, das wollte erl Schnell faßte er nach seinem bescheidenen Ränzel und eilte den schmalen Feldweg hinab — nach Hause. In den ersten Tagen nach seiner Rückkehr hatte Vater Heinrich seinen Sohn nur flüchtig von der Seite angesehen, aber meist die Stirn gerunzelt, wenn er ihn eifrig mit der Mutter diskutieren sah. Nun war Feier-

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abend. Die Dielen waren frisch gescheuert und mit feinem Sand bestreut, der Hof gekehrt und aufgeräumt. Der Vater band seine blaugraue ArbeitsschOrze ab und nahm am großen Tische Platz. Nach dem Abendessen war es dann soweit. Der Vater stopfte sich die Pfeife und frug wie nebenher: „ W a s willst jetzt machen?" Lauernd schaute der wortscheue, verschlossene Mann auf seinen Ältesten, der verträumt in das züngelnde Flämmlein des Streichholzes starrte. Er lauscht noch einen Augenblick dem schmauchenden Geräusch, mit dem der Vater die Pfeife in Brand setzt und wirft es dann beinah nebensächlich hin: „Selbständig möcht ich arbeitenI" Betreten schweigen die Geschwister. Spott zuckt um den schmalen Mund des Vaters. Aber im schmächtigblassen Gesicht der kränkelnden Mutter ruht ein gutes Lächeln, das den Jungen fortfahren läßt: „Ich brauch kein Geld. Nur eine Stube gib mir! Eine Muffel möcht ich bauen, Weißgeschirr kaufen, bemalen und selbst vertreiben I" Nun war's heraus, was ihn lange bedrängt hatte. Ais Porzellanmaler hatte er vier Jahre gelernt und dabei wenig Freude empfunden. Er wollte weiter. Aber lange wußte er nicht, wohin. Jetzt ahnte er seinen Weg. Ruhe war in ihm. Die Ruhe des Zielbewußten. Vom Vater, der noch für vier jüngere Kinder zu sorgen hatte, konnte er nichts erwarten. Eher von der gütigen Mutter, die vielleicht etwas hülfe -— ach, und sei's drum, ihn sprengte ja beinah die eigene Kraft. Der ihn still beobachtende Vater mochte ahnen, wie es ihn trieb. Er erlaubte, daß Franz eines der Zimmer bekam. Mochte er denn sehen, wie er fertig wurde I Während er schweigsam an seiner Pfeife zog, sann Vater Heinrich zurück. Seit 1703 war die Familie in Selb. Als Lehensleute des Markgrafen Christian Ernst waren sie vordem auf dem Pfaffenhof in Vielitz ansässig. In Selb wurden die Heinrich's Besitzer eines der Zwölfkammergüter. Zu den verschiedenen Rechten gehörte auch das des Brauens in der Kommune. Sobald das frische Bier angezapft war, wurde seit Generationen der glänzende Bierkegel straßenwärts gezogen. Jahrhundertelang hatten Heinrich's das Feld bestellt und in der Gemeinde mit beraten — und nun wollte ein Heinrich den neuen W e g gehen, den eines Unternehmers. Ja, der Vater verstand seinen Sohn. Aber er empfand, daß er es nicht leicht haben würde.


In den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts war Deutschland mächtig aufgeblüht. Man erlebte es schon in Selb. Es gab große Fabriken, in deren Schatten viele kleinere Betriebe ihr Auskommen fanden. Und was gab es an neuen Waren zu kaufen, die von den Kaufherren aus aller W e l t geholt wurden I Nur eines war dem sinnenden Alten nicht ganz verständlich, daß nämlich soviele Firmen, deren Gründer man persönlich oder mit Namen kannte, sich zu Gesellschaften zusammenschlössen und ihre Bedeutung durch große Summen ausdrückten, bei denen ihm, dem einfachen Mann, fast schwindelte. Die Zusammenhänge wurden ihm nicht ganz klar. Vielleicht aber spürte er die Gefahr, die durch diese wirtschaftliche Entwicklung dem Deutschen stärker drohte als den Unternehmenden anderer Länder. Dem jungen Wagemut seines Sohnes mochte es nicht leicht werden inmitten der sich entfaltenden wirtschaftlichen Macht. Aber bestehen würde er. Das war selbstverständlich. Vielleicht war es gut, daß er ärmer beginnen mußte als alle, die vor ihm den gleichen W e g wagten; mit dem wenigen Selbstersparten und einigen Goldstücken der sorgenden Mutter Als dann draußen in dichten Flocken leise der Dezemberschnee herniederrieselte, war es soweit: an Stelle des alten Backofens stand eine kleine Muffel zum Brennen des bemalten Porzellans im Zimmer. In einer Ecke war das gekaufte weiße Geschirr gestapelt: Teller und Tassen, Milchkrüge und Kaffeekannen, Zuckerdosen und Aschebecher. Und eine Arbeiterin war auch schon eingestellt. Eifrig und fröhlich begann Franz Heinrich als sein eigener Herr das Weißporzellan zu bemalen. Was ihn während der Lehrjahre mitunter verdrossen hatte, tat er nun gern: Blättchen an Blättchen und Blüte zu Blüte zu fügen, Pinselstrich neben Pinselstrich traumhaft zarte Figuren und phantastische Blumen zu malen. Jede Tasse und jede Kanne sollte sein Können erweisen. Am Ende der Lehrzeit hatte er seine Palette unmutig auf den Scherbenhaufen geworfen und war fortgewandert. Nun hielt ihn das ferne Ziel, das er nicht in ungestümem Dahineilen erreichen konnte, sondern nur im freien Gehorsam gegen die tägliche Pflicht. Ihm brauchte keiner zu sagen, wie man vorankäme. Er wußte es. Genügsamer und s|5arsamer mußte er sein als der bescheidenste Arbeiter.

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Die Kunst der Porzellanmalerei ist in China beheimatet. Inmitten lieblicher Landschaften mit Pagoden und verträumten Lotosblumenteichen entstanden vor fast 2000 Jahren Töpfer-Dörfer und Maler-Kolonien. Mit feinen Pinseln hauchten die Maler groteske Tiere und phantasievolle Arabesken auf Kultg

.und bald auch

auf die Tisch-Geräte. Zu ihren beglöckendsten Schöpfungen abe

ästerte sie das

opalen schimmernde, dünnwandige Wunder des Porzellans, Jahrhunderten durch europäische Kauffahrer über Holland an fand und gleich einem Märchen aus Tausend-und-einer-|Macht Heute wird die Porzellanmalerei als selbständiges ^ w e r b e eine meist recht bedeutende Abteilung der PorzellqbfÖbrHMbti. Vor 50 Jahren saß Franz Heinrich mit einer Arbeiterin über während heute viele braun- und blondlockige Mädchenköpfe, er nergesichter in den weiten Sälen der jetzigen „Handmalerei" ihr«j(^beit sam und sicher führen sie den Pinsel Ober Fischteller und Obstsc^len, schlanks bende Vasen und feingeformte Dosen. In kostbare

Gewähder^leiden

schmucklosen weißen Geräte für die Häuser der Reichen uraÖ^erei^itir Blümchen die einfach-schönen Formen, die wir bei u n s e r n M a h l ä ^ S ^ ^ ^ e r Als „Handmalerei" bezeichnet man die Auf- und Unterglasurmalerei. Be glasurmalerei wird das farbige Muster auf das glasierte und gebrannte aufgetragen. Die Aufglasurfarben bestehen aus Metalloxyden, die mit Glasflu^ leicht schmelzbarer Glasur, versetzt sind. Reich und bunt ist die Palette der Aufgla-"^ surfarben, während bei der technisch schwierigeren Unterglasurmalerei die Farbpalette wesentlich beschränkter ist.


Maft und fahl wirken die auf die Glasur gemalten Porzellanfarben, bevor sie in der Glut des Feuers zu wundersamem Glanz aufstrahlen und innig die Malerei mit der Glasur zu unlösbarer Einheit verschmilzt. Die erste SchmelzmufFel, die sich Franz Heinrich im elterlichen Hause baute, war eine einfache StandmufFel mit einem Fassungsvermögen von ungefähr 0,75 cbm. Bei großen Teilen, Terrinen, Kannen oder Vasen, paßten nur ein paar Stück in den FOllraum. Für jede Füllung mußte die Muffel mit Holz bis zu 600—850° erhitzt werden, da erst bei dieser Temperatur die Farbe einschmilzt. Seine Ersparnisse hatte Franz Heinrich für Weißware, Farben und Arbeitsgeräte verbraucht. Zum Brennen aber gehört Holz, viel Holz, und auch Holz kostet Geld. Da jedoch Vater Heinrich sah, wie entschlossen und tatkräftig sein Ältester arbeitete, ließ er gern das nötige Holz zuerst einmal von seinem Stapel nehmen. Die ersten Schmeizbrände glückten. In satten frOK^ lingsfrohen Farben leuchteten di Muster auf dem schimmernden . packte Franz Heinrich seine Mi Koffer und reiste in die näher um den besseren Fachgeschäften zulegen. Sie gefielen. Gute A u nach Hause nehmen. Der erste Eifrig wurde an der

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gearbeitet und schon bald reichte noch die eine Arbeiterin zu. 10


Heute füllen sich rasch die großen Geschirrkästen neben den Arbeitsplätzen der Malenden, die geduldig vielhundertmal Tag um Tag die gleichen Tupfen, Ornamente, Blüten und Ranken ziehen. Aber auch die farbigen Ränder vieler Dekore müssen an jeder einzelnen Tasse, jedem Teller unermüdlich durch die stets gleich behutsame Hand des Malers angebracht werden. Hilfskräfte packen die großen Kästen mit bemaltem Geschirr auf Wagen und rollen sie v/eg Was v/äre da mit Franz Heinrichs erster Muffel anzufangen? Schon ein Jahr später konnte er sich eine Doppelstandmuffel bauen, die aber auch nicht mehr als 1,5 cbm Fassungsraum hatte. 1904 wurde eine moderne Schmelzanlage gebaut, eine kohlebeheizte sogenannte FOrbringer-Muffel, durch die sich die Schmelzkörbe hufeisenförmig schoben. Als eine der ersten Geschirrfabriken ihrer Gegend ist die Firma Heinrich & Co. heute im Besitz einer ganz modernen neuartigen Schmelzanlage, mit mehreren Elektromuffeln und eines großen elektrischen Zweibahn-Ofens. Schade, daß Franz und Ernst Heinrich dieses technische Meisterwerk nicht mehr erleben konnten, das heute in einer Schicht mehr leistet, als mit der ersten Muffel in vielen Monaten zu schmelzen war. Die Anlage arbeitet kontinuierlich. Ober 70 Körbe, deren jeder ungefähr 15—20 kg Porzellan faßt, gehören dazu. Alle paar Minuten geht es automatisch um eine Korblänge weiter. Immer wärmer wird es, bis die Körbe in den eigentlichen Feuerbereich kommen, wo die zum Schmelzen erforderliche Temperatur vorhanden ist. Durch sinnvolle Steuerung der elektrischen Hitze wird diese in der Mitte des Tunnelofens gestaut. Während die einen Körlje in die Feuerzone vorrücken, kommen andere Körbe wieder aus dem Tunnel heraus, werden entnommen und durch neue Körbe ersetzt. Unaufhörlich geht es so durch Stunden — und am Ende einer Schicht sind einige tausend Kilo Porzellan allein von dieser modernsten Anlage bewältigt.

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Wieder einmal war Franz Heinrich von seiner Tour zurückgekommen. Nun saß er in der leeren Stube im elterlichen Haus am großen Tisch und reihte die Zahlen untereinander. Gut waren die Aufträge, die er in Nürnberg, Würzburg und Bamberg erhalten hatte. Mit einer Arbeiterin waren sie aber nicht mehr zu bewältigen. In zwei Monaten mußte alles geliefert sein. Zum Bedienen des Ofens hatte er ohnehin schon einen „Schmelzer" angenommen. Nun würde er bber noch gut zwei Maler brauchen. Und eine Packerin. W o sollte auch die Weiß- und Fertigware hin, nachdem er jetzt größere Posten einkaufen konnte? Aus der Westentasche holte er ein kleines zerknittertes Büchlein, in das er jede Woche das Ersparte eingetragen hatte. Für sich brauchte er keinen Pfennig, nicht für eine Zigarre, kaum für ein Glas Bier. Am andern Tag sprach er mit Herrn Adolf Gräf, der ihm schon zu verstehen gegeben hatte, daß er ganz gern ein wenig Geld bei ihm anlegen und mitarbeiten wollte. Rasch wurden sie einig, als Männer, die nicht zaudern. Ober der Straße stand eine Scheune, geräumig, wetterfest. Sie wird von der jungen Firma Heinrich & Gräf gemietet und dient als Lagerraum. Bald erweist es sich ober recht störend, bei jedem Wetter, Regen, Schnee und Sturm die Weißware oder die fertigen Geschirre über die Straße tragen zu müssen. Franz Heinrich geht in die Küche zur Mutter, die Strümpfe strickt. Wieder rechnet er und sinnt. Die Mutterist stolz auf ihren Buben, von dem man im Ort schon redet. Der Franz, der weiß, was er will. Und er will viel:„Mutter, wenn ich selber bauen könnte?" Erschrocken sieht die sparsame Frau von den gleitenden Nadeln auf und läßt die müden Hände in den Schoß sinken. Lang war ihr Tagewerk gewesen, und schwer. In mehreren Arbeiterhäusern hatte sie nach dem Rechten gesehen. Alte Mütterchen gebettet, Wöchnerinnen und Kranke versorgt, Kinder angezogen und Essen gekocht. Gemeindeschwestern gab es damals noch nicht. So griff sie zu, wo es Not zu lindern gab. So kühn war also Franz, selber möchte er bauen? Die stille Frau wich dem drängenden Blick des Sohnes nicht aus: „ W e n n Dir der Vater die Wiese gäbe, drüben, in der Vielitzerstraße?" Franz strahlt auf, und

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eifrig spinnen die beiden den neuen Plan weiter, während Karo, der Schäferhund, zu Füßen Franz Heinrichs sitzt und sicli behaglich kraulen läßt. Der Vater gibt die Wiese. Bald wirken hilfreiche Nachbarhände und einige Arbeiter mit Franz Heinrich zusammen, das Haus an der Vielitzerstraße zu bauen, den Kern und Grundstock der heutigen weitgedehnten Fabrikanlagen. Der Bau bereitet Franz Heinrich manche schlaflose Nacht. Unheimlich türmen sich viele Sorgen auf, aber energisch geht er jedem Problem auf den Grund und wird damit fertig. Manche in Selb schelten ihn einen Narren, manche finden ihn geizig, da er jeden Pfennig dreimal umdreht, um pünktlich und gewissenhaft die Zahlungsfristen einzuhalten. Und die Arbeitszeit dehnt sich immer länger in die Nacht hinein, da ja der kleine Betrieb weiterläuft. Ehe noch die Sterne verglimmen, ist er am Bau und erst in der Nacht geht er schwer und mOde zu kurzem Schlaf nach Hause. Die Aufträge holt nun Adolf Gräf herein. Franz ist in Selb nicht zu entbehren. Adolf Gräf scheidet als Teilhaber aus, verbleibt aber als Mitarbeiter. Wolfgang Hertel wird der neue Teilhaber. Die Firma nennt sich anno 1898 „Heinrich & Hertel". Im ersten Stock des neuen Hauses soll die kleine bescheidene Wohnung Franz Heinrichs sein. Was ist aber ein Haus ohne Herrin? Es taugt so wenig wie ein Bienenstock ohne Königin. Ja, zum Haus brauchte er unbedingt eine Frau, und welche er wollte, ach, das wußte er längst. O b sie ihn aber mochte, und wenn, ob sie ihn nahm? Die blonde, feine Jette, die ihm seit ihrer Kindheit so wunderbar Widerpart gehalten hatte, wenn er mit den andern Buben die Mädchen neckte? Was gäb Jette für eine prächtige Frau! Stolz, kurz angebunden, klug überlegend, dabei immer fröhlich und zupackend. Es gab nur Jette für Franz! O f t hatte er sie zwar geärgert — er wurde ein wenig unsicher in seinem Begehren. Doch Jette Krippner sagte „ J a ! " Ins behagliche Nest setzen, bah, das konnte jede. Ihr war nicht ängstlich vor den vielen Pflichten, die sie übernehmen sollte. Sie wollte gern zupacken und aufbauen. Auch Vater

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Krippner sagte ja zu Franz Heinrich. Er gab den jungen Leuten die neben dem Heinrichschen Grundstüd« gelegene Wiese und Ziegel aus dem eigenen Betrieb. Im Herbst 1898 wurde das Haus eingeweiht und Hochzeit gefeiert! Leicht hat es die junge Frau wahrhaftig nicht. Sechs Hände müßte sie haben, denn überall wird sie gebraucht. An einem Tag holt sie Weißware aus einer der Fabriken, und stapelt sie mit einer Arbeiterin im Lager. Am andern Tag ist sie von früh an in der Binderei und hilft beim Verpacken des fertigen Geschirrs, daneben führt sie Lohnlisten und Bücher, versorgt ihren kleinen Haushalt, ist immer der vergnügte gute Kamerad ihres Mannes. Wieder einmal ist Feierabend. Eine Arbeiterin kehrt den Boden in der Binderei, in der Frau Jette am tannenen Tisch sitzt und Löhne auszahlt. Nun ist der letzte Arbeiter gegangen. Lächelnd zählt sie zusammen: vier Mark und dreißig Pfennige sind ihr und Franz geblieben! Nicht gerade viel, aber für die nächsten Tage reicht es schon. Denn die fälligen Rechnungen sind ja wieder einmal bezahlt. Als Frau Jette die paar Mark in ihre Börse schiebt, kommt Franz herein. Fröhlich fragt er, ob es noch zu einem Glas Bier lange. Und zieht ein bestürztes Gesicht, daß nur noch die paar Mark übrig sind. Doch eifrig zählt die junge Frau auf, während sie mit rascher Hand eine lockige Strähne zurückstreicht: „Der Schreiner ist bezahlt, die Kisten sind gekommen, die hab' ich auch gleich erledigt und auch die Weißware, die Andres holte, gehört schon uns!" Beim bescheidenen Nachtmahl überlegen die beiden noch immer, was alles in der kommenden Woche zu tun und zu zahlen und zu besorgen ist, bis auch sie endlich für wenige Stunden der Sorgen und Pläne vergessen dürfen. Nach zwei Jahren einträchtiger Zusammenarbeit stirbt Wolfgang Hertel. Das bringt neue Sorge. Denn Franz Heinrich verliert nicht nur einen vortrefflichen Mitarbeiter, sondern er soll auch das Kapital seines Teilhabers zurückbezahlen. Freilich, das Kapital ist klein, aber schwer fällt die Rückgabe doch. Durch un-

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ermüdlichen Fleiß und sparsamstes Wirtschaften schafft er es. Schon 1901 beschäftigt er 50 Arbeiter. Mit Achtung spricht man am Ort und in Fochicreisen von der Heinrich'schen Porzellanmalerei und mancher neidet dem Jungen die rasche Entwicklung. Franz Heinrich ist aber noch nicht zufrieden. Ihn drängt es, selbst Porzellan herzustellen, weil er nur dann zu den Qualitäten kommt, die er braucht. Eines Tages kommt der hochangesehene Färbereibesitzer Ernst Adler aus dem benachbarten Asch in den Betrieb und besieht sich alles genau, im kleinen Kontor entwickelt ihm dann Franz Heinrich seine Pläne: „ W e n n ich mein eigenes Porzellan herstellen könnte, dann brauchte ich nicht mit dem zufrieden zu sein, was die Fabriken an Weißware abgeben. Dann könnte ich mit der Zeit zu einem so feinen, kostbaren Scherben kommen, daß man „Heinrich-Porzellan" in der ganzen W e l t begehrt. Zuerst müßte ich wohl die Masse und Glasur kaufen, bis sich der Betrieb soweit entwickelt hat, daß man auch die Maschinen und Anlagen zur Aufbereitung der Masse anschaffen kann. Wenn ich mir das Geld zum Bau des Brennofens, für die Dreherei, Gießerei und die vielen Nebenbetriebe zusammensparen muß, dauert es viele Jahre. Finanzieren Sie den Bau, dann steht er in einem Jahr, und darauf, daß ich für Sie eine gute Rendite herauswirtschafte, können Sie sich verlassen. Nach ein paar Jahren werden wir unsere eigene Masse machen können 1" Mit kühnen Gebärden unterstreicht Franz Heinrich seine Worte, denen Herr Adler ruhig zuhört. W i e kaum je in seinem Leben ist Franz Heinrich aus sich herausgegangen und läßt einen andern hineinschauen in das Reich seiner Zukunftspläne. Lange schweigen die Männer. Dann fährt Franz Heinrich fort: „Sie wissen, Herr Adler, wie ich arbeite von früh bis in die Nacht, wie ich durchführe, was ich beginne. Meine Frau und ich brauchen fast nichts. Wenn Sie das Geld geben, dann sind Sie gesichert durch den Bau. Bestimmen im Betrieb möcht ich weiter allein als mein eigener Herr." Ohne lange W o r t e gibt Herr Adler dem viel jüngeren Mann die Hand; er wird als stiller Teilhaber in die Firma „Heinrich & Co." eintreten und Franz Heinrich die Verantwortung lassen. Er spürt, daß er vertrauen darf. 15


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Prinzessin Porzellan ist ein zerbrechliches und auch gar nicht leicht zu behandelndes Geschöpfchen, das seine letzten Geheimnisse nicht preisgibt. Prinzessin Porzellan ist auch anspruchsvoll: nur von behutsamen Händen läßt es sich aus feinstem Material zu den Köstlichkeiten bilden, die uns stets entzücken. Wer Porzellan formen und gestalten will, muß alle Geheimnisse dieses edelsten keramischen Materials kennen. Die Modellstube ist daher recht eigentlich das Herz der Fabrik. W e i l nicht nur von der Reinheit und Feinheit des Scherbens und der Geschmacksicherheit der verwandten Dekore Rang und Wert einer Porzellanmarke abhängen, sondern vor allem von den Formen, die Prinzessin Porzellan gegeben werden. Der neue Formen entwerfende Künstler muß aber nicht nur mit dem Material und Verarbeitungsgang vertraut sein, sondern auch den Markt kennen, für den die Modelle bestimmt sind. Er muß wissen, für welche mutmaßlichen Abnehmer er zu gestalten hat und welche Bedürfnisse seine Arbeit erfüllen soll. Die Kosten für ein neues Modell sind sehr groß: Entwurf, Gipsmodelle, Herstellung der Haupt- und Mutterform, Probefertigung, Anfertigung von tausenden von Arbeitsformen aus Gips und von Stanzwerkzeugen aus Metall erfordern beträchtlichen Aufwand. Darum bedarf es gründlicher Überlegung und Planung, ob ein neues Modell herausgebracht werden soll, oder ob bewährte alte Formen durch hübsche neue Dekore zu verjüngen sind. Ich komme gerade zu einer Entwurfsbesprechung: der erste Modelleur, ein erfahrener Keramiker, hat für den Export nach Amerika ein vornehmes, nicht allzusehr der Mode unterworfenes Modell ausgearbeitet. Die Teller haben die große Eßfläche und schmale Fahne, die der Amerikaner schätzt. Er zeigt uns die Entwurfszeichnung, bei der er schon das mutmaßliche Schwinden der Masse beim Brand berechnet hat. Um ungefähr 15—20% nehmen die Stücke beim Brand ab. Dies ist jedoch bei jeder Fabrik verschieden, weil jeder Hersteller die Masse etwas anders zusammensetzt. Wenn die Eigenheiten der Porzellanmasse, zu schwinden und sich beim Brand zu setzen, nicht genau beachtet werden, entstehen mißgestaltete Formen. Darum ist so manche theoretisch schöne Zeichnung eines schwungvollen Künstlers nicht auszuführen.

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„So,Röhring, nun hätten wir's!"Mit einem befreienden Lachen wendet sich der Modelleur zu seinem nun endlich anerkannten und genehmigten gipsernen Entwurf. Betriebsleitung, Vertreter und Exporteur hatten ihm sein Modell tüchtig verrissen. Zu manchem Zugeständnis hatte er sich bequemen müssen. Aber nun war es „durch". Seine Arbeit ist getan. Nun kommt die nicht weniger wichtige Aufgabe, vom Modell Formen herzustellen. In der neben der Modellstube gelegenen Abgießerei erhält das Gipsmodell zuerst eine schützende Hülle aus Schellack. Dann wird es mit einem geschmeidigen, ölhaltigen Seifengemisch umgeben, damit beim folgenden Abguß der Haupt- oder Mutterform nicht Gips an Gips haften bleibt, sondern sich die Form gleichmäßig und leicht vom Kern lösen läßt. Der Gips wird in großen mit Ausgußtüllen versehenen Zinkgefäßen mittels elektrisch getriebener Schraubenquirle gleichmäßig angerührt. Von der Mutterform wird dann ein erstes Stück in Porzellan abgenommen und gebrannt, um festzustellen, ob nicht doch noch die eine oder andere kleine Änderung oder Verbesserung nötig ist. Mitunter senkt sich eine Kanne stärker als be•/ihrt^x

rechnet, oder bei großen gezogenen Platten ist das Stärkeverhältnis des Bodens auszugleichen, damit beim Brand der Plattenboden ganz eben und flach verbleibt.

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Sind endlich alle Wünsche und Forderungen an eine untadelig edle Form erfüllt, so beginnt das Einrichten des endgültigen Modells, von dem dann serienweise die gipsernen Arbeitsformen gefertigt werden. Mit feinen Messern und Werkzeugen, die an das Gerät eines Bildhauers erinnern, wird die Mutterform millimetergenau ausziseliert. Von der zwei- oder mehrteiligen Mutterform, die mit einer schützenden Firnisschicht umgeben wird, nehmen dann die Formgießer die vielen Tausende von Arbeitsformen, die für die Fabrikation eines einzigen Services gebraucht werden. Von einer Tellerform werden ungefähr 500 Arbeitsformen benötigt, von Kannen und Terrinen je deren fünfzig, je nach der Art und beabsichtigten „Auflage" des Modells. Außerdem hängt die Zahl der Arbeitsformen davon ab, ob die Fabrikation mehr oder weniger maschinell oder fließbandartig betrieben werden kann. Von der Fabrikationsart hängt auch der Gipsverbrauch ab. Die Firma Heinrich hat monatlich einen Bedarf von einigen Güterwagen voll, weil auch die Arbeitsformen immer wieder erneuert werden müssen. Für die zu drehenden Teile sind außer der die Hohlform bildenden Arbeitsform noch die Außenfläche prägende Schablonen erforderlich. Diese werden vom Oberdreher im Betrieb angefertigt. Auch bei den Schablonen muß genau die Schwindung der Masse beim Brand beachtet werden. Wenn ein neues Modell herausgebracht wird, nimmt man meistens zuerst eine kleine Auflage, um abzuwarten, wie sich die neue Form einführt. So manches Modell, das man mit einer guten Portion Zurückhaltung herausbrachte, erwies sich als Schlager und ging jahrelang beinahe „reißend", während wieder andere Modelle, von denen man sich viel mehr versprochen hatte, geringeren Anklang fanden und daher auch nur kürzere Zeit hergestellt wurden. Die Formen, die augenblicklich nicht „ i n Arbeit sind", lagern in den Formenböden, bis vielleicht eines Tages wieder ihre große Zeit herankommt. Manche Modelle freilich versinken für immer. W e n würde beispielsweise heute die 1910 hypermodern gewesene Bart-Tasse interessieren, die damals bei den Trägern schwungvoll gezwirbelter Schnurrbärte Begeisterung erweckte! 19


Es machte Gott, der große Schöpfer, aus einem Goldmacher 'nen Töpfer!

schrieb Johann Friedrich Böttger 1709 über die Tür seines Laboratoriums, als ihm an Stelle des von König August dem Starken erhofften echten Goldes das Wunder des weißen Goldes geglückt war. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts stieg an den Höfen der europäischen Fürsten die prunkende Lust an verschwenderisch reicher Hofhaltung immer höher. Die Pracht der Feste steigerte sich zu üppigen Schaustellungen, und die Lust am Bauen trieb zu maßloser Entfaltung. Da hierzu auch die gefüllteste Fürstenkasse nicht ausreichte, gierte man nach Quellen, die mühelos unabsehbaren Reichtum versprachen. W e r anders konnte helfen, wenn nicht der kundige Alchimist, der Blei in echtes Gold zu verwandeln wußte. Viele gaben vor, das Arkanum, den Stein der Weisen zu kennen, und nur noch kurzer Versuche zu bedürfen, um Unedles in einen nicht mehr endenden Strom von Gold zu wandeln. Durch eine eigenartige Verkettung von Zwischenfällen geriet auch der Berliner Apothekerlehrling Johann Friedrich Böttger in den Ruf, ein Goldmacher zu sein. Dabei war er nach keiner anderen Erkenntnis begierig, als nach der aus alten Schriften zu holenden. So schrieb er in sein Wittenberger Tagebuch, daß Gott nicht lehre, Blei in Gold zu verwandeln, sondern das Gold der Seele zu erkennen. W e i l sein Vater aus Sachsen gebürtig war, empfahl sich Böttger 1702, als ihn der Berliner König in Wittenberg gefangenhielt, dem prachtliebendsten Fürsten des Barock, August dem Starken. König August plante den Neubau seiner Residenz in Dresden. Ein Wunderwerk sollte entstehen, wie die Welt noch keines gesehen hatte. Dia Mittel dazu sollte ihm Böttger verschaffen, den er nun kurzerhand in Dresden gefangensetzte, um Gold zu machen. Böttger wagte nicht, sein Unvermögen einzugestehen. Er wußte, daß er kein Gold machen konnte. W o h l aber ahnte er, daß noch viele unentdeckte Geheimnisse dem forschenden Auge sich erschließen könnten.

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So sann er tastend: „ W i e der Baumeister aus gleichgeformten Ziegeln herrliche und doch ganz verschiedenartige Bauwerke aufbaut, so kann der feine Stoff des Äthers sich millionenfach anders gruppieren." Der hervorragende Physiker Graf Tschirnhaus, den Böttger am Hofe August des Starken kennen lernte, lenkte sein unklares Suchen auf einen zielbev/ußten W e g : dem Geheimnis des chinesischen Porzellans nachzugehen, für das die Fürsten Unsummen verschwendeten, ja, das sie beinah mit echtem Gold aufwogen. Unermüdlich brachte der „Täschelgraf", wie er am Hof und beim Landvolk gutmütig spottend genannt wurde, immer neue Erdproben zu Böttger. In den von Tschirnhaus konstruierten Hohlspiegeln brachten sie immer wieder andere Erdmischungen zum Schmelzen. Auch als Böttger sich dann einen richtigen kleinen Brennofen baute, glückte nach jahrelangen Versuchen doch nur eine rote Masse, das sogenannte Böttgersteinzeug. Erst ein glücklicher Zufall brachte Böttger in den Besitz einer kleinen Menge feinen weißen Puders, der sich viel schwerer anfühlte als der sonst verwandte: Böttger hielt Kaolin, feine, schimmernde Porzellanerde, in Händen. Nun dauerte es nur noch kurze Zeit, bis ihm die Herstellung des echten „ostindischen Porzellans" gelang. Die von König August gegründete Meissener Manufaktur nahm einen ungeheuren Aufschwung und brachte bald durch das bestaunte und begehrte Wunder des weißen Goldes einen Strom echten Goldes nach Sachsen. Als Vorbild für Böttgers Entwürfe dienten die zartedlen Formen der Chinesen. Aber schon bald bemächtigte sich die heitere, sinnenfrohe Verspieltheit des Rokoko der leicht zu formenden Masse und gestaltete vor allem unter dem Bildhauer Kandier unvergängliche Köstlichkeiten plastischer Anmut und Grazie. Jahrhundertelang hatten die Chinesen ihr Geheimnis bewahrt, bis es endlich einem Deutschen gelang, es wieder zu entzaubern. Fast zur gleichen Zeit als die Erfindung Böttgers jubelnd begrüßt wurde, erprobte ein unbekannter Abb6 in der Champagne die Zusammensetzung des Champagnerweins, der damals fast nichts kostete. Heute ist er begehrte Kostbarkeit seltener Stunden, während das Wunder des Porzellans Vielen eine kaum beachtete Alltäglichkeit wurde. 21


Im Jahre 1902 begann Franz Heinrich mit der finanziellen Unterstützung seines neuen Teilhabers Ernst Adler den Bau der Gebäude und Einrichtungen zur Herstellung von Porzellan. Die fertige Masse wurde jedoch ebenso wie die Glasur in den ersten Jahren von einer befreundeten Firma bezogen. Fast 200 Jahre waren seit der Erfindung des Porzellans vergangen. Das bis ins 19. Jahrhundert von den einzelnen Manufakturen und bedeutenden Arkanisten ängstlich gehütete Geheimnis des „Arkanums", wie die Summe der Anweisungen über Zusammensetzung der Porzellanmasse, Dauer und Temperatur der verschiedenen Brände sowie Konstruktion der Brennöfen, genannt wurde, war nun erfahrungsreiches Wissen der Porzelliner. Ganz entschleiert ist freilich das Wesen des Porzellans auch heute noch nicht, so wenig wie die Seele einer Frau jemals ganz zu ergründen ist. Unwägbarkeiten in der Wandlung des ErdenstofFes durch lodernde Glut in schimmerndes Porzellan verleihen der Arbeit noch heute ihren besonderen Reiz. Der echte Porzelliner muß es in der Hand und im Gefühl haben, worauf es nicht nur beim Entwurf, sondern auch beim Drehen und Brennen ankommt. In Selb wird seit 1858 Porzellan erzeugt. Die generationenalte Erfahrung der Selber Porzellan-Facharbeiter ist wesentliche Voraussetzung zu der Güte des nordbayerischen Porzellans. Das wußte Franz Heinrich genau. Das „Heinrich-Porzellan" sollte gut sein und schön in der Form. Dazu brauchte er vortrefFliche Arbeiter. Er ließ sich Zeit, um sie zu finden, so wie der echte Könner sich zu zügeln weiß, bis er seiner besten Kraft gewiß ist. Am Stammtisch und bei seinen Einkäufen sah er sich aufmerksam nach guten Leuten um, von denen so mancher kam und frug, ob er nicht bei ihm mitarbeiten könnte. Die Arbeiter mochten spüren, daß Franz Heinrich einer der Ihren war, mit dem sie sich gern an eine gewaltige Aufgabe spannen wollten, einer, der mit ihnen durch dick und dünn ginge. Schon immer war Franz Heinrich der längste Tag um Stunden zu kurz gewesen. In den Monaten, da die neuen Bauten entstanden und die Vorarbeiten zum „Heinrich-Porzellan" begannen, reichten ihm die Tage

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gar nicht mehr. Er gehörte zu den glücklichen Menschen, die auch bei der stärksten lange währenden Anstrengung keinerlei Müdigkeit kannten. Er hätte nur zehn Hände haben mögen, um überall mitanzupacken. Der alte Vater Blendinger sitzt vor mir, rüstig, klar, bedächtig und erfreut, in seinen Erinnerungen kramen zu können. Er erzählt, wie er 1902 als Kapseldreher in die Firma Heinrich & Co. kam. überall drängte die Arbeit, um zum ersten Brand zu kommen. Viele Kapseln waren nötig. Franz Heinrich half auch ihm bei der Arbeit, holte Material herbei, trug die fertigen Kapseln weg, bis abends zehn, elf Uhr. Auch am Sonntag wurde gearbeitet. W e r dachte an die Essenszeit? Die heitere Frau Jette mußte schon mit Schweinebraten und Kartoffelknödeln zu den Arbeitenden kommen, die dann am Werktisch ihr Sonntagsmahl gemeinsam verzehrten. Und gemeinsam ihr Bier aus dem Maßkrug tranken. Die Arbeiter werkten im Akkord, und Franz Heinrich schaffte für zweie mit. Er hatte ja noch viel vor. In den Lehrbüchern der Porzelliner steht, daß die Porzellanmasse zu 50% aus Kaolin und zu je 25% aus Feldspat und Quarz bestehe. Ein einfaches Rezept. W i e verschieden schmecken jedoch die Kuchen, die mehrere Hausfrauen nach der gleichen Anweisung bereiten. Nicht anders ist es beim Porzellan. Kleinigkeiten sind es, die zu einem festeren, transparenteren Scherben gehören, die Kleinigkeiten, die das Wesen des Porzellans umschließen, so wie Kleinigkeiten, ein ungeahnter Duft, ein besonderer Liebreiz, das Wesen einer Frau bestimmen. Geheimnisse des Laboratoriums und der einzelnen Fabriken sind es heute noch. Als dann später Franz Heinrich auch die Herstellung von Masse und Glasur in den eigenen Anlagen möglich war, trug er sorgfältig alle errechneten und erprobten

Masse- und Glasur-,,Versätze" in ein

kleines Büchlein ein, das er bei den wichtigsten Dokumenten verwahrte. Franz Heinrich war seiner Aufgabe verfallen. Was Wunder, daß durch diese hingebende Arbeit „Heinrich-Porzellan" zu einem Begriff diesund jenseits des Ozeans wurde!

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Porzellan ist Licht gewordenes Urgestein. Die moderne Forschung ergibt, daß die uralte sagenhafte Überlieferung der Chinesen einen wahren Kern enthält. Die Chinesen lehrten, daß die Porzellanmasse nicht aus verschiedenartigen Substanzen zusammengesetzt war, sondern ein einheitliches Gefüge bildete. Kaolin ist verwitterter Granit. Granit aber besteht aus Feldspat, Quarz und Glimmer. Goethe sann lange V forschend der Entstehung des Urgesteines Granit nach. Er spricht davon, daß der Granit einst durch eine lebendige, sehr zusammengedrängte Kristallisation entstanden ist, so wie eute in der höchsten Glut des Feuers die zähflüssige Masse kristallartig zusammenschießt. Im Karlsbader Becken, nahe den heilkräftigen Quellen, liegen die besten Kaolinfelder der Welt. Von dort bezog auch Franz Heinrich die an Ort und Stelle gereinigte und geschlämmte Porzellanerde. Feldspat und Quarz müssen noch besonders „aufbereitet" werden. Der Quarz wird in besonderen Öfen ausgeglüht, ehe er ebenso wie der Feldspat mittels Kollergängen zu zerkleinern ist. Danach werden Feldspat und Quarz in routierenden, wassergefüllten Trommelmühlen mit Hilfe von kugeligen Flintsteinen hauchfein zermahlen. /Jfelzt erst können die drei Grundstoffe Kaolin, Feldspat und Quarz angerührt und inniglich vermischt werden. Der ent-


stehende rahmartige Brei wird über viele in die Maschinen eingebaute Magnete geleitet, um die winzigsten mechanisch gebundenen Eisenteilchen, die jede Erde enthält, zu entfernen. Als brauner Punkt tritt das vorher in der Masse nicht wahrnehmbare Eisenteilchen sonst auf dem gebrannten Porzellan entstellend zutage, über die Magnete wird der Brei in die Filterpressen gepumpt und dort vom größten Teil des Wassers befreit. Die Massekuchen werden in den Massekeller

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verbracht, um dort zu lagern, zu „mauken", wie es der Fachjj-y

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mann nennt. Durch das „Mauken" gärt die Masse und v<frd dadurch geschmeidiger und formbarer. Die chinesischen zelliner lagerten die Masse oft 50 Jahre. Das wäre heute n mehr möglich. Durch die Fortschritte der Technik ist es auch nicht nötig. Für das feinste Porzellan verwendet jedoch heute noch eine durch langes „Mauken" besonders'geschmeidig gewordene Masse, die sich hauchdünn verarbeiten läßt. So wie der edelste Stahl am längsten und härtesten „gestäh wird, so muß auch die Porzellanmasse noch harte Gewa über sich ergehen lassen. In sinnvoll konstruierten Mass Schlagmaschinen wird sie unerbittlich gewalkt und geknetd ^ bis auch das kleinste Luftbläschen entwichen und sie ferti^^ zum Drehen ist. 25


W e r mit den üblichen technisciien Vorstellungen an den Guß des Porzellans denkt, erlebt eine Überraschung, wenn er einem Porzellangießer bei der Arbeit zusieht. Das Wesen des Gusses scheint vorauszusetzen, daß die Gußmasse zwischen Formmantel und Formkern gegossen wird. Beim Porzellan ist es mitnichten so. Der Formkern fehlt! Der Gießer füllt die in großen Holzbottichen zu einem dünnflüssigen Brei aufgerührte Masse, den sogenannten Schlicker, in eine gipserne Hohlform. Füllt die Hohlform bis oben an den Rand. Und stellt eine gefüllte Hohlform nach der anderen zur Seite, bis er die von ihm bearbeitete Gruppe von Formen gefüllt hat. Dann nimmt er die erste Form, gießt den überflüssigen Schlicker wieder aus und öffnet die zwei- oder mehrteiligen Arbeitsformen. Gespannt sehen wir zu — was mag zum Vorschein kommen? Es ist das fertig gegossene Kernstück einer Kanne, einer Schüssel oder Vase. Wie ist das möglich? Das im Schlicker enthaltene Wasser wird gierig vom Gips aufgesogen. Dadurch schwindet die Masse am inneren Rand der Arbeitsform und verfestigt sich. Es entsteht — das gegossene Porzellanstück, das sich tadellos von der Form entfernen läßt. Aber immerhin nur von geübten Händen. Denn bei weniger sicherem und dennoch behutsamem Zugreifen

könnte sich das

Stück verziehen und das noch weiche, lederartige Gebilde zerbröckeln, das vom Gießer auf Blanken gesetzt und auf den übereinandergestellten Horden vorgetrocknet wird. cif/y.

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Die Porzellandreher schaffen im Akkord. Schneller als wir den Vorgang begreifen, in kaum einer Minute, ist ein Teller gedreht. Vor jedem Arbeitsplatz eines Drehers ist ein Lehrling dabei, ein Stück Porzellanmasse auf eine Trommel zu setzen und zu einem flachen Kuchen zu quetschen. Flink setzt der Dreher die Hubeltrommel auf die routierende Scheibe und löst gewandt das Hubelblatt, wie der flache Porzellankuchen genannt wird, von der Trommel. Mit Hilfe eines nassen Schwammes wird nun das Hubelblait so über die sich drehende Form gezogen, daß auch nicht das kleinste Luftbläschen dazwischengerät. Das erfordert Übung und Geschicklichkeit. Seine untere Form erhält der Teller durch das Aufdrücken der Schablone, wobei der Dreher vor allem darauf zu achten hat, daß der Tellerfuß nicht abreißt. Das Drehen von Tellern ist ober recht eigentlich des Drehens. Hauchdünne Tassen, durch die spie Sonnenstrahlen geistern, werden nicht gegossen, s Hubel geformt und danach eingedreht. Dickwandige Terrinen, die sich nach oben verengen, werden in althergebrachter Weise mit Hilfe des Galgens gedreht. Auch hier muß zuerst ein Hubel aufgedreht werden, der dann in eine Arbeitsform gesetzt wird und mittels des eingeführten Galgenkopfes seine innere Hohlform erhält.

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Wenn man tagelang von Arbeitsplatz zu Arbeitsplatz geht, zusehend verweilt und plaudernd seine Kenntnisse erv/eitert, findet man keinen so großen Unterschied zwischen der Töpferarbeit, wie sie seit Jahrtausenden geübt wird, und der Arbeit in einer Porzellanfabrik. Hier kommt es auch heute noch entscheidend auf das älteste und edelste Werkzeug des Menschen an, seine Hand. Größer wurden die Dimensionen des Schaffens. Heute dreht ein Arbeiter am Tage einige hundert Teller im Akkord, während er es vor Jahrhunderten vielleicht auf dreißig gebracht hätte. Heute nennt man Fabrikarbeit, was zum überwiegenden Teil Handarbeit ist, nur weil der Arbeitsplatz in einer Fabrik ist statt in einer kleinen Werkstätte. Und weil aus der Fabrik immer größere Mengen von Porzellan fluteten und das einst nur Wenigen erschwingliche Porzellan heute jedermann erstehen kann, mißachtet es „jedermann" und behandelt es als „Fabrikat". Und entwertet den in der Fabrik genau so behutsam, klug und verantwortlich Schaffenden zum „Fabrikarbeiter". Haben wir nicht viele falsche Anschauungen zu überwinden? Kommt es darauf an, wo man arbeitet? Oder ist nicht entscheidend, w i e

man arbeitet? Gleichviel, ob man eine Schraubenpresse

bedient oder Blüten auf Porzellan pinselt, Henkel angarniert oder das Geschirr in Kisten packt: am Arbeitenden liegt es, w a s er ist. Und eine Arbeit, die zu Behutsamkeit erzieht, dünkt mich gut. In der Garniererei schafft auch die Jugend des Betriebes mit: die Lehrbuben und Mädchen sind eifrig dabei, an ganze Kolonnen von Tassen Henkel anzugarnieren. Vorsichtig nehmen sie die vorgetrockneten, aber noch empfindlichen Tassen in die Hand, bestreichen den Henkel mit Garnierschiicker — dem man in Friedenszeiten Tropfbier zufügte, damit er besser klebt — fügen beides zusammen und fahren sauber verputzend noch einmal darüber. Immer neu beginnend, immer gleich sorgfältig. W i e lang mag ihrer jungen Ungeduld mitunter ein Arbeitstag werden! Ich sehe es euch an, daß ihr gern fortspringen möchtet, ihr Jungen, aber vielleicht ist es gut, daß ihr euch in der uns so fremd gewordenen Tugend zu üben habt, der Geduld, aus der allein das Gute wächst, und die der Güte verschwistert ist. Von Hand zu Hand wandern Teller und Kannen, bis sie endlich als „fertig" gelten. Fast hundert Hände

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f


helfen zu dem einfachen Alltagsgerät „Tasse", das uns so unbedeutend dünkt, und doch soviel Sorgfalt fordert. — Eine neuzeitliche Gießereianlage leitet den Schlicker heute den Arbeitsplätzen zu, so daß vor allem der große Stöcke—^ Gießende nur noch den Hahn aufzudrehen braucht, damit der Schlicker in die Form läuft. Auch das Rückgießen der über: schüssigen Masse ist sinnvoll vereinfacht. W ä h r e n d wir durch die Dreherei zur Glasurabteilung gehen, erzählte der Betriebsleiter ein nettes Geschichtchen. Die Maler und Graveure genießen gerne Schnupftabak und erkltÜfSfl,^ daß man davon „helle A u g e n " bekommt. Aber auch mancher Dreher und Glasierer hat eine stille Liebe zum Schnupftabak, f Vor vielen Jahren nun traten im Elfenbein-Porzellan nach d e g Brand immer wieder kleine graue Punkte auf. Der e r f a h r u ^ ^ ^

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reiche Betriebsleiter verfolgte wochenlang alle Fabrikationfaj!;:.

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Vorgänge, um dem Fehler auf die Spur zu kommen. Es'VfSr zum Verzweifeln. Einmal waren die Pünktchen auf den o v a j ^

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Platten, in der nächsten Woche wieder bei anderen großen, Teilen. Beim Ausnehmen der O f e n stellte der Betriebsleiter dann fest, daß ungefähr jede zehnte Platte fleckig war. Somit w a r erwiesen, daß eine in bestimmten Abständen wiederkehrende Fehlerquelle irgendwo verborgen lag. Nun, was meinen Sie: der Glasurmeister war Schnupfer, und während er sich über die Glasurwanne beugte, tropfte a b und z u . . . !

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Die fertigen, luftgetrockneten, noch nicht glasierten Gegenstände kommen nun zum ersten Brand, dem Glühbrand. Bei den modernen großen Brennöfen der Porzellanfabriken darf man sich keinen, wenn auch geräumigen Alchimistenofen vorstellen. Solch Brennofen gleicht mehr einem „Brennhaus", da er mehrere Stockwerke umfaßt. Im Erdgeschoß befindet sich auch heute noch die eigentliche Alchimistenstube, weil sich dort im zweiten, dem Scharf- oder Glattbrand, die zauberische Verwandlung ins Porzellan vollzieht. Jetzt ist es aber noch nicht so weit: die verschiedenen Gegenstände kommen zuerst einmal in die „Glühstube" im ersten Stock, wo die Hitze für die noch des Feuers ungewohnten Geschöpfe erträglich ist. Hier steigt die Glut bis zu 800—900«C. Das ist die Temperatur, um das Porzellan gut zu verschrühen, wie es der Porzelliner nennt. Würde das Porzellan den wabernden Flammen direkt ausgesetzt, so wäre es schnell vorbei mit der blendenden Schönheit: häßlicher Ruß würde sie belecken und die Masse bräunen. Darum wird das Porzellan sorgsam in Schamottemäntel gepackt, die zu hohen Säulen aufgeschichtet das ganze „Gemach" ausfüllen. Im GlOhbrand härtet sich das Kaolin zu dem die Form tragenden knochenähnlichen Gerüst, während Quarz und Feldspat noch unverwandelt im tönernen Kern liegen bleiben. Porös, spröde, zusammengeschrumpft und matt verläßt das verschrühte Geschirr nach dem GlOhbrand den' Ofen. Es hat nun alles Wasser verloren. Auf der Unterseite jeden Teiles wird nun das Fabrikzeichen eingestempelt, das die Abstammung der Porzellankinder den Benutzern in aller Welt zu wissen gibt. Nun kommt das Geschirr zum Glasieren. In großen Bottichen ist die flüssige Glasurmasse, die ebenfalls Feldspat, Quarz und wenig Kaolin enthält, bereitgestellt. Auch das Glasieren ist Handarbeit. Es kommt dabei darauf an, den zu glasierenden Gegenstand völlig gleichmäßig und rasch in den Bottich zu tauchen, durchzuziehen und so herauszuheben, daß

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an k einer Stelle auch nur ein Tröpfchen mehr Glasur haften bleibt als an einer anderen oder gar an einem Rand eine Verdickung entsteht. Dadurch würde das schöne Ebenmaß der Form zerstört und das Stück schadhaft. Das Wasser der Glasur wird von der spröden, porösen Masse sofort

aufgesaugt.

Das glasierte Teil sieht wie leicht überpudert aus. Der Glasierer reicht jedes Teil sofort der Verputzerin, die es über ein auf Walzen laufendes

feuchtes

Gummischwammtuch

führt, damit die auf dem Fuß haftende Glasur entfernt wird. Würde sie nicM^gewissenhaft abgewaschen, müßte im Scharfbrand die Glasur auf dem Untersatz festbacken. Daher finden wir bei fast allen Porzellangegenständen

einen

rauhen,

nicht glasierten Rand, der bei den dünnen Tassen oben liegt, weil diese Tassen gestürzt in den Ofen kommen und auf„Bomsen" gebrannt werden.


Die schamoHenen Schutzhüllen für das zu brennende Porzellan nennt der Porzelliner Kapseln. Das zur Herstellung erforderliche

Schamotte-

Tongemisch wird im Betrieb aufbereitet. In der Kapseldreherei werden die runden Formen auf der Scheibe gedreht. Die ovalen Kapseln für Platten, Saucieren und andere ovale

Gegen-

stände werden mit einer Handschablone gezogen. Die fertigen Kapseln kommen noch der Lufttrocknung zum Verglühen in den zweiten Stock des Brennofens. Die Kapseln behüten das Porzellan vor der scMi? ' genden Flamme. Beim Glühbrand können d i e ( ^ schirre

Obereinandergestapelt

werden.

Scharfbrand muß jedes einzelne Teil für eine Kapsel kommen, damit es nicht mitTSnäSSh zusammenklebt. Viele Tausende von Kapseln sind für jeden einzelnen Ofen erforderlich. Da die Kapseln nur eine sehr beschränkte Lebensdauer besitzen — manche überstehen nur einen Brand, während sich andere drei- bis viermal verwenden lassen — bilden sie'einen beträchtlichen Teil der Herstellungskosten des Porzellans.

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Wie unscheinbare graue Entlein sehen die glasierten Porzellane vor dem Scharfbrand aus. Sie sind noch nicht schneeweiß oder elfenbeinfarbig, sondern gelblich-grau, matt und unansehnlich. Vor der Alchimistenstube eines Brennofens herrscht Hochbetrieb. Die Einfüller setzen das Geschirr in die Kapseln. Nach Weisung des Ofensetzers werden die einzelnen Stapel dann im Ofen gruppenweise zwischen die Büchsen gesetzt, wie die Öffnungen im Boden des Brennofens heißen, durch welche die Flammen schlagen. Der Ofensetzer trägt große Verantwortung. Nicht an allen Stellen des Ofens herrscht die gleiche Temperatur. Das empfindlichste und kostbarste dünnwandige Porzellan wird in die Mitte einer Porzellanfamilie gesetzt, wo die schlagenden Flammen nicht einmal die Kapseln erreichen. Der Ofensetzer muß auch genau darauf achten, daß alle Kapseln völlig gerade und eben stehen, weil sich sonst bei der Sinterung das Porzellan verzieht oder schiefmäulig wird.

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Sobald alle Stockwerke eines Brennofens gefüllt sind, werden die Türen vermauert. Jede Feuerstelle eines Ofens wird gleichmäßig mit Braun- und Steinkohle beschickt. Die Kohlen werden auf der Rostfläche so verteilt, daß keine unverbrauchte Luft, also kein Sauerstoff, in das Innere des Ofens dringt. Das Porzellan wird bei reduzierendem Feuer gebrannt, durch das es seinen schimmernd weißen Glanz erhält. Das reduzierende Feuer beginnt bei 1.050—1.100°. Die dabei frei werdenden Kohlengase bewirken im Innern des Ofens die Reduktion des Porzellans. Elfenbeinporzellan erhält man durch Zusatz von Farbkörpern oder von Braunstein, das eine Oxydation des Porzellans bewirkt. Bei „Heinrich-Elfenbeinporzellan" ist Masse und Glasur gefärbt. Als 1902 der erste Ofen angesteckt wurde, sah Ernst Adler, der verständnisvolle Teilhaber, lächelnd auf die fiebernde Ungeduld Franz Heinrichs, der am liebsten den Ofen selbst geschürt hätte. Graue Regenwolken hingen über Selb, und der schwelende Geruch der in den anderen Fabriken brennenden Öfen drang bis in die Heinrichsche Fabrik. Tiefe Erregung hielt Franz Heinrich gefangen. Ahnte einer der Umstehenden, w a s dieser erste Scharfbrand für ihn bedeutete, der vor 6 Jahren arm und arbeitslos aus der Kaserne heimgewandert war? Viel hatte er selbst geleistet, aber was wäre er gewesen ohne die helfenden Hände seiner Mitarbeiter, ohne das Vertrauen Herrn Adlers, ohne Gottes Segen, ohne den nie versagenden gütigen Humor seiner Jette, die auf mehr zu verzichten hatte als manche Arbeiterfrau, um ihm den Aufbau zu ermöglichen? Er empfand dankbar, wie sich dem die helfenden Mächte verbünden, der nicht beim Träumen und Wollen bleibt, sondern mit festem Griff sich ins Geschirr legt. Würde der erste Brand gelingen? Umsichtig leitete der Ansteller das Beschicken der Brennstellen, die unablässig gewaltige Mengen Kohle in sich fraßen. Bis 1838 hatte man gewaltige Buchenklötze zum Brennen verwandt. Dann versuchte man es mit Braunkohle und Torf, aber erst die Steinkohle gab die beste, Mißlingen verringernde Glut. Und dennoch blieb und bleibt jeder Brand spannungsreich. Denn das wilde Element des Feuers läßt sich wohl zähmen, aber nicht bezwingen.

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Während einiger Arbeitsschichten schlingt der Brennofen gleich einem vielschlündigen Drachen unersättlich Kohle. Für einen Brand ist fast ein ganzer Güterwagen voll bestgeeigneter Kohle erforderlich. Um die zusammengedrängt stehenden Kapselstöße schlagen in rasender Fahrt die Flammen steil empor, fallen durch klug berechnete Führung nieder, erheben sich wieder und wirbeln schließlich als jagende Füchse durch den Kamin auf und davon. Die Füchse entstehen beim Zusammenprall der glühenden Heizgase mit der sauerstoffhaltigen Luft. Was geschieht nun während des Brandes in den Kapseln? Bei ungefähr 1100° beginnt die Sinterung. Dabei werden Glasur, Feldspat und Quarz glasartig flüssig und überschwemmen das knochenharte Gerüst aus Kaolin. In der sich immer noch steigernden Hitze wird die ganze Masse zu einem zähen Brei. In der höchsten Glut scheint sie sich aufzulösen

und zusammenzusinken. Aber

hier, in der

^gaQstTTollen Spanne zwischen Werden und Vergehen gej ^ e h t das Wunder: die Sinterung. Die Masse schießt zusammen in feine, nadeiförmige Kristalle, die sich eng ineinander verflechten zur nicht mehr aufzulösenden Einheit „Porzellan".


Auch die Glasur wird glasartig flüssig und überzieht wie ein feines Glashäutchen das Porzellan. Würde sich die Temperatur jetzt noch steigern, wäre alles vorbei. Denn noch ist das Porzellan nicht erstarrt. Der Oberbrenner läßt es nicht soweit kommen. Er beobachtet durch eine kleine Öffnung schon lange die Vorgänge im Ofen. Er betrachtet die Seegerkegel. Diese fingerartigen Porzellansäulchen sind aus Porzellanmasse so zusammengesetzt, daß jeder Kegel bei einer ihm vorher bestimmten Temperatur zusammensinkt. Der eine Seegerkegel beginnt also beispielsweise schon bei 700° zusammenzufallen, während der „markigste" erst bei 1400° zusammensinkt. Sobald die Höchsttemperatur erreicht ist, wird das Feuer gedrosselt — der Brand ist vorbei. Nach Absinken der Temperatur werden in den Ofen Rohrleitungen eingeführt, durch die den einzelnen Abteilungen, Dreherei, Gießerei, Kapseldreherei, Warmluft zugeleitet wird.

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Nach vier Tagen ist der Ofen soweit ausgekühlt, daß man ihn öfFnen kann. Bald ist der letzte Ziegelstein von der vermauerten Türe entfernt und fix beginnen die Arbeiter die vollen Kapseln aus dem Ofen zu tragen. Ist der Brand gelungen? Die ungeduldige Spannung, mit der 1902 Franz Heinrich und seine Getreuen auf die ersten Stücke aus dem Ofen warteten, herrscht heute beim Ausnehmen nicht mehr. Durch jahrzehntelange Erfahrungen weiß man ungefähr, wieviel brauchbare Stücke ein Brand erbringen kann. Mit einem bestimmten Prozentsatz „Ausschuß" rechnet der Porzelliner ohnehin. W i e mag das unansehnliche graue Entlein geworden sein? Erwartungsvoll sehen wir zu, wie die Brenner die Kapseln öfFnen. Schimmernd schön und rein leuchtet es schneeweiß auf der rauhen Arbeitshand des Brenners. Uns erscheint beinah jedes Stück gelungen und fehlerfrei. Die Arbeiter lachen, als ich auch eine Kanne ganz in Ordnung finde, die an der Schnaube etwas gerissen ist. Das hatten sie fast ohne Zusehen gemerkt. Lächelnd verraten sie mir, daß ich wohl noch staunen würde, wenn ich hernach in der Sortiererei die kritischen Augen der Sortierer erlebte, zu denen das aus dem Ofen kommende Geschirr verbracht wird. In der Sortiererei werden auch die Brandlisten geführt, aus denen das Ergebnis eines Brandes zu ersehen ist. Nach dem „Grobsortieren"

folgt die genaue Prüfung jedes einzelnen Teiles nach den unscheinbarsten

Fehlern. Die kleinen Unebenheiten in der Glasur, die nur genaues Zusehen erkennbar macht, werden unter hurtig sich drehenden Achatspindeln verschliffen und dann poliert — der Teller hier weist eine winzige matte Stelle auf, die vielleicht durch einen Gaswirbel während des Brandes entstand, und nun auszumerzen ist, und auf jener Tasse haftet gar ein winziges Körnlein, das während des Brandes von der Schamottekapsel auf die Tasse fiel. Vorsichtig wird es herausgeschliffen. Bald ist nichts mehr davon zu sehen. Aber die Glasur ist an dieser Stelle nicht so schimmernd, weshalb nun auch noch eine Nachpolitur vonnöten ist. Was macht doch so ein einfaches kleines Porzellanstück für Arbeit, bis es als „fertig" gelten kannl Rundum wird es immer wieder gedreht und besehen, bis man endlich damit zufrieden ist. Aber selbst dann braucht es noch den letzten Schliff: der Fuß jeden Teiles wird nun noch mit Carborundum verschlifFen.

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In leichtem Trab liefen die beiden prächtigen Braunen über die felderumsäumte Straße. Weiße Wölkchen segelten im blitzend blauen Bayernhimmel, in den nadelspitze Kirchtürme und rote Dächer aus den schimmernden Sträußen der fränl<ischen Wälder hervorlugten. Behaglich zurückgelehnt saßen Franz und Jette Heinrich im Landauer und genossen den Zauber der Fahrt. Wie schön war es, einmal losgelöst von allen Sorgen, befreit von den tausend und aber tausend Bedrängnissen der vergangenen Jahre so unbeschwert dahinzurollen. Wie gut tat es, einmal seine Frau neben sich zu wissen, die so oft der Arbeit wegen zurückstehen mußte. Mit blitzenden Augen wandte sich Franz Heinrich ihr zu, die sichtlich zufrieden die vorüberziehenden Bilder der heiteren Landschaft aufnahm. So glücklich hatte er sich lange nicht gefühlt. Mit fast ungewohnter Zartheit griff er nach Jettes Hand und umschloß sie fest. Und leise sinnend träumten sie den vergangenen Jahren nach. Vier Jahre waren nun seit dem ersten eigenen Porzellanbrand vergangen. Es war nicht leicht gewesen.

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Franz Heinrich wollte gleich am Anfang einen schönen, festen und klaren Scherben erreichen, um vom er-

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sten Auftreten an seinem Erzeugnis Achtung und Anericennung zu verscbiafFen. Dank der unverdrossenen und tatkräftig klugen Mitarbeit von Oberdreher Neupert und Oberbrenner Christian Gräf wurden die unvermeidlichen Kinderkrankheiten bald überstanden. Schon das erste Porzellan fand guten Anklang in den besten Fachgeschäften.

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Als Franz Heinrich Herrn Adler erstmals seine Pläne dargelegt hatte, meinte er, in einigen Jahren könnten

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dann auch die Gebäude und Anlagen für die Massehersteliung erstellt v/erden. Solange hatte es aber gar

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nicht gedauert. Schon zwei Jahre später, 1904, konnten die Fabrikationsanlagen erheblich erweitert wer-

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den. Zwei weitere Brennöfen gesellten sich zu den ersten beiden, eine Massemühle wurde errichtet, eine eigene Kraftanlage geschaffen und die Gebäude für eine Malerei, Expedition und Packerei, ein Lagerhaus sowie eine geräumige Pferdestallung geschaffen. Die Stallung — ach, in ihr war Franz Heinrich zuerst und zuleizt am Tage, und nie fehlten die ZuckerstOckchen in seinen Taschen. Das Bauen hörte in dem weiten Gelände, das allmählich zu der Heinrichschen Fabrik gehörte, Oberhaupt nicht mehr auf. Jetzt, im Jahre 1906, beschäftigte das Werk schon über 200 Menschen. Die brauchten Raum und schafften viel Ware. Zwei weitere Brennöfen waren im Bau sowie ein eigener Kobaltofen. Und drüben auf der linken Seite der Vielitzerstraße entstand ein großes mehrstöckiges Gebäude, das die Malereiabteilung aufnehmen sollte, für die es in den anderen Häusern allmählich zu eng geworden war. Der Gedankengang Franz Heinrichs wurde von Frau Jette unterbrochen. Ihre Gedanken eilten nicht zurück, sondern dem Ziele der Fahrt entgegen: „Sag mal, Franz, hast du schon gesehen, wo unsere Vase steht?" Sie wollte wissen, wie das erste Ausstellungsstück der jungen Fabrik auf der Großen Nürnberger GeWerbeausstellung 1906 wirke, welchen Platz es einnehme, vor allem aber, ob man schon sehen könne, daß sie dafür eine Medaille bekommen hatten. Ausführlich und bedächtig erzählte ihr Franz Heinrich, wie er auf seiner letzten Reise sich die Ausstellung

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genau angeschaut habe. Vor allem hotte er natürlich sein erstes Geschöpf, das er den kritischen Augen der Besucher und Schiedsrichter darbot, selbst streng und sachlich mit den Erzeugnissen anderer Porzellanfabri ken verglichen. Manche Anregung hatte er dabei gewonnen. Aber man durfte zufrieden sein. Der Hein richsche Scherben galt für edel und kostbar. Im Maler Frey hatte Heinrich zudem einen Mitarbeiter, de nicht nur unerschöpfliche Ideen für die Aufglasurmalerei entwickelte, sondern der auch der Unterglasur maierei ganz besondere Effekte abgewinnen konnte. Bei der Unterglasurmalerei, welche die ältere Be malungsart ist, werden die Farben auf den unglasierten, erst geglühten Porzellanscherben aufgetragen, Danach wird der Gegenstand nach nochmaligem Verglühen glasiert und dann der hohen Temperatur des Scharfbrandes ausgesetzt. Dieser höllischen Glut halten aber nur wenige Farben stand. Darum ist die Palette der Unterglasurmalerei gering. Die schönen, heimeligen Zwiebel- und Strohmuster, die fast in jedem Haus zu finden sind, werden in Unterglasurmalerei hergestellt. Den Könner reizt aber immer wieder die Aufgabe, gerade den wenigen Farben besondere Wirkungen zu entlocken. Mit der in Nürnberg ausgestellten Vase hatte Maler Frey ein meisterliches V^erk vollbracht, das ja nun auch die bronzene Medaille errungen hatte. W e r ermaß, wie dem jetzt Dreißigjährigen zumute sein mußte, der nun im Landauer Ober die gleiche Straße rollte, die er vor 10 Jahren mittellos und zweifelnd heimwärts geschritten war? Auch der Kutscher Ehrhard genoß die Fahrt. Das war doch mal was anderes, bis Nürnberg zu fahren, als immer nur zu geschäftlichen Verhandlungen oder zu einer kurzen Sonnlagsausfahrt die schönen Tiere aus dem Stall zu holen. Wie umgänglich auch heut der Herr w a r ! Denn wenn es einer wußte, dann Kutscher Ehrhard, daß es mit dem Herrn mitunter nicht ganz einfach auszukommen war. W e r soviel konnte und leistete, und über solch unverwüstliche Arbeitshingabe verfügte wie Franz Heinrich, der forderte auch von seinen Leuten etwas. Ein solcher Mensch erfaßte aber auch im genialen blitzartigen Erkennen, was den an-

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dem langsamer aufging. Aber ein guter Herr war er doch, väterlich bemüht um jeden, der mit ihm werkte,

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und noch immer so umgänglich und schlicht wie am Anfang, als er nicht mehr Geld im Sack hatte als einer von ihnen. Was erzählte der Herr da seiner Frau? Nach Amerika wollten sie liefern? Dunnerlittchen, das war ne Sache. Seit kurzem wurden ja schon die Messen beschickt, und daß sogar aus dem Ausland Vertreter kamen, das hatte er ja schon selbst gesehen. Man brauchte ja auch jetzt ordentliche Aufträge. Ein Brennofen faßt ungefähr 15 000 Stück Porzellan. Sechs Öfen waren schon 1906 bereit, immer neue Porzellanstapel aufzunehmen. Da genügte es nicht mehr, nur die nahegelegenen europäischen Märkte zu beliefern. Mit Herrn Adler, zu dem Franz Heinrich jeden Samstagnachmittag im Wagen hinüber nach Asch fuhr, war es schon abgesprochen, daß sie künftig viel nach Amerika liefern wollten. Die Voraussetzungen dafür waren günstig, weil die junge Heinrichsche Fabrik

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die Initiative und Beweglichkeit hatte, sich den besonderen Wünschen des amerikanischen Marktes anzu-

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passen und dafür besonders geeignete Formen und Dekore zu schaffen.

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Klar und sicher lag die Leitung des Betriebes in den Händen von Franz Heinrich, den nun in den kaufmän-

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nischen und technischen Abteilungen tüchtige Männer, wie beisp. Prokurist Karl Lang, unterstützten. Auch das Vertreternetz war planmäßig erweitert und ausgebaut worden. Schöne Aufträge brachten die Vertreter ja, aber auch Wünsche, Wünsche, daß sich einem die Haare sträuben konnten. Beinah jedes größere

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Geschäft wollte, wenn nicht schon eine Extraform, so doch besondere Dekore. Das wirkte sich verteuernd aus. Nun, früher war es möglich, aber künftig wird es auf weises Haushalten nicht nur mit den Materialien des Betriebes, sondern mehr noch mit den Mitteln der Abnehmer ankommen. Die vielfältige Kunst, die dem

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Schmuck des weißen Goldes dient, wird sich aber immer entfalten in den kostbaren Stücken, die das Aus-

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land erhält und die als begehrte Exportware Deutschland die Einfuhr lebenswichtiger Artikel ermöglichen.

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Kleider machen nicht nur Leute, sondern machen auch die vielgestalteten schlanken und rundlichen Porzellanfräuleins zu den modischen und reizenden Geschöpfen, die alle Welt begehrt. Nicht anders als bei den Frauen, stehen auch zum Schmuck des Porzellans vielfältige Möglichkeiten bereit. So wie die kapriziösesten Damen Pariser Toiletten bevorzugen oder die schlichte Eleganz eines Wiener Tailleurs bemühen, so empfangen die zartesten und feinsten Porzellane den edlen Schmuck echten Goldes oder die wenigen erlesenen Stücken vorbehaltene Ausstattung raffiniertesten technischen Könnens. Die alte Erfahrung, daß gutgewachsene Geschöpfe alles tragen können, gilt auch für dos Porzellan. Die gleiche Form eines Kaffee- oder Tafelservice hüllen die einfallsreichen Künstler in immer neue entzückende Gewänder, so daß sie der Laie kaum mehr als verwandt empfindet. Es ist wie bei einer Modenschau, wo ein Mannequin die tollsten Verwandlungen vorführt. W e r erkennt Fräulein Christine in ihrem damenhaften Kleid mit schlichtem Goldrand am hochgeschlossenen Kragen als das mutwillig-lustige Kind, das da drüben ein heiter-verspieltes Streublümchenkleid frühlingsfroh übergeworfen hat? Nun kommt Fräulein Christine im Abendkleid aus zartem Elfenbein, das mit einer aparten Goldbrokatkante geschmückt ist. Dazu hat sie sich ein duftiges Ströußchen angesteckt. Wie eine sonnenfrohe Juniwiese lacht nun wiederum Fräulein Christine in dem großgeblümten Bauernrock, der sie viel beleibter erscheinen läßtl Immer die gleiche Form?l Wahrhaftig, dazu gehört schon was! Und hier seht noch Madame Lumina, den ganz großen Schlager, da im schlichten blaugeblümten Alltagsgewand und dort in der heiteren Festlichkeit eines Sommertages I O b Künstlermodell, ob maßgeschneidert oder beste Konfektion, viele Künstler sind dabei, reizende neue Muster zu entwerfen. Der Leiter der Malereiabteilung zeigt mir seine dicken Entwurfsbücher, in denen in überraschender Mannigfaltigkeit die Dekore vieler Formen und Jahre gesammelt sind. Nicht nur er als verantwortlicher Ober-

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maier ist ständig mit dem Pinsel zur Hand, um neue hübsche Muster zu entwerfen, sondern auch viele Künstler sind damit betraut, für bestimmte Aufgaben besondere Dekore auszuarbeiten. Für dos neue Modell, das kürzlich entwickelt wurde und nun bald herauskommen soll, liegen schon viele Muster für abwechslungsreichen Schmuck bereit. Die aparte Abwandlung des Apfelblütenmotivs ist besonders gut gelungen. Großzügig und farblich reizvoll sieht es beim Tafelservice vorzüglich aus. Ist es aber gleich gut für ein Kaffeeservice zu verwenden? Trägt es dann nicht zu sehr auf? Die gleichen Bedenken hatte der Obermaler natürlich auch, und in sehr gekonnter Art hat er das Muster für das Kaffeeservice verkleinert und ein wenig umgestellt. Er erzählt, wie es mit einem recht hübschen Blütenmuster vor einigen Jahren ging. Es fand in den südlichen Ländern prächtigen Anklang, während es die nordischen Länder ablehnten. Während unseres Gesprächs stellte sich noch einer der tüchtigsten Vertreter ein. Verständig greift er nach kurzer Begrüßung nach den vor uns liegenden Mustern. Denn dabei ist er in seinem Element. Ihn gehen sie ja vor allem an, weil er sie mit den Einkäufern der großen Geschäfte zu besprechen und zu verkaufen hat. Manches Muster ist auf Anregung eines Vertreters entstanden, weil sie den Geschmack und die herrschende Vorliebe der Kundinnen für bestimmte Muster besonders gut kennen. So legt der Vertreter auch jetzt einige Muster gleich zur Seite, die ihm nicht zu passen scheinen. In der Musterbesprechung, die mit Geschäftsleitung, Modelleur, Obermaler und meist noch auswärtigen Künstlern und oft auch den Vertretern stattfindet, wird dann noch tüchtig gearbeitet, bis ein Dekor jedem der vielen Teile eines Service wie angegossen sitzt. Ja, es ist nicht leicht, aber schön, immer wieder neue bezaubernde „Heinrich"-Geschöpfe in alle Welt zu schicken, damit sie gefallen und beglücken — vielleicht auch Siel


Kennen Sie das Zauberreich des weißen Goldes, wo man träumen icann wie kaum in einem Märchen von Tausendundeiner Nacht?

Standen Sie schon einmal vor einer der Vitrinen auf einer Ausstellung oder

Messe und ließen sich einspinnen von dem holden Zauber der liebreizenden porzellanenen Wesen? Es ist Sonntagnachmittag. Der sonst auch bis ins Musterzimmer dringende Lärm des geschäftigen Treibens in den vielen Hallen und Betrieben schweigt. Aus versteckt angebrachten Soffitten strahlt ein milde gedämpftes Licht nieder auf die schönsten und kostbarsten Porzellane, die in den Häusern von Fürsten, Adeligen, Kaufherren und Diplomaten in aller W e l t auf damastenen und brokatenen Decken stehen und hier wie in einem kleinen Museum vereinigt sind. W o mag das elfenbeinzarte Gedeck zu finden sein, das mit einer Kette wie aus Gold und Korallen geschmückt ist? Herr Hollering, der Ober 30 Jahre im Hause ist, braucht nicht in Rechnungen nachzuschlagen, um meine Fragen zu beantworten. Er weiß von jedem Stück und jedem Service, wohin es geliefert wurde. Dies entzückende Barockservice, das der tändelnden Rokokoform ähnelt und an wippende Reifröcke und kosende Schäferstündchen erinnert, ist in Schweden zu finden. In den behaglichen Häusern am Lund mag man daraus speisen, wenn Geschäftsbesuch gekommen ist, und drinnen im Land auf den großen Gütern mag es bei winterlicher Gastlichkeit die Festesfreude erhöhen. Das kostbar prunkende Goldbrokatservice mit Kobalt ist wie geschaffen für die Marmorpaläste des Südens, für Renaissancegestühl mit schweren seidenen Damasten und dunkel lockenden Augen, während das Prunkservice Cora nicht nur nach Italien, sondern auch nach Amerika in die Fürstensitzen gleichenden Landhäuser der Magnaten geliefert wurde. Und nun: ein Traum von Gold und Rot und Elfenbein, köstlich wie edles Geschmeide — eine braunhäutige Dienerin bringt auf einem Tablett aus Ebenholz der Favoritin des kaiserlichen Prinzen weit im Osten darin die Morgen-Schokolade mit delikaten Leckereien I Und wieder wandelt sich das Bild — in England oder Amerika kommt eine Jagdgesellschaft zurück von


dem erregenden Treiben in den Wäldern, im Kamin lohen die klo•>» bigen Buchenscheiter — gleich wird der Diener zu Tisch bitten — j ^ ^ u n d auch hier wird „Heinrich-Porzellan" in

ganz

besonderem

ihmuck die Gäste überraschen: das Service „Porforce" mit schmis® g e n handgemalten BildernI 'bas Brokatservice in Silber und Kobalt ruhte auf dunklem Samt in l'IMner Vitrine auf der Ausstellung in Mailand. Bewundernde und kühl ^abschätzende, vergleichende und nach Punkten wertende Augen '^glitten darüber hin. Gelassen und stolz stand silbern und kobaltblau .Service aus „Heinrich-Porzellan" im Wettbewerb, bis eines Tages [

leine Plakette kündete, daß es die Goldene Medaille erhieltl ler ersten Anerkennung 1906 bis zur letzten Goldenen Mefanden sich viele Auszeichnungen zueinander, merika sind in den 40 Jahren des Exportes viele Formen und 16 geschaffen worden, die mich heute natürlich besonders interVen. Seit mehr als 25 Jahren unterhielt die Firma Heinrich eine le Niederlassung in Neuyork. Die Entwicklung des Amerikageles zu schildern, wäre eine lockende Aufgabe, aber hier muß ^ch auf einige Sätze beschränken. Als besondere Spezialität für den amerikanischen Markt u. a. die zweihenkelige Bouilse entwickelt sowie der aristokratische Platzteller. Sein Durchsser von 27—28 cm überragt den normalen Eßteller und läßt den Snd seiner kostbaren Verzierung sehen. Denn gleich den Mokka' (5.


fassen ist der Platzteller gern Einzelgänger und legt Wert darauf, in immer neuen Arten und Dekoren zu prunken. Er dient nicht nur als Sammelobjekt, sondern vor allem dazu, die amerikanische Tafel zu beleben. Denn er bleibt während der ganzen Mahlzeit auf seinem Platz und nimmt die wechselnden Gedecke auf. Aber mein Blick schweift weiter, zu den aparten Kabinettstücken der Porzelliner — der Mokkatasse. In Arabien und der Türkei, wo der zum Mokka verwandte Kaffee seit dem 16. Jahrhundert angebaut wird, ist die Mokkatasse zierlich, schmucklos und dünnwandig wie ein Ei. In Deutschland und anderen europäischen Ländern dagegen ist die Mokkatasse gehütete Kostbarkeit der Vitrinen. Seht nur hier, die innenwandung ist völlig vergoldet, während auf dem königsblauen Mantel eine goldene Blume wie ein Schmuckstück gleißt — dort tragen Mokkatassen auf Kobalt und Gold echte Emaillen, während hier eine zarte goldgeätzte Schuppenkante sich um den Rand hauchdünner Tassen schwingt. Und all die Vasen, Obstschalen, Konfektdosen und kleinen Behälter für die geliebten Nichtigkeiten der Frauen — eine V/elt des Glücks strahlen die verschiedenartigen Porzellanprinzeßchen aus, eine- Welt der Weite und des Glanzes, so daß man beinah ihrer anmutig-hübschen Schwestern vergißt, die heute durch die vervollkommnete Technik und dadurch verbilligte Herstellung jedermann erschwinglich sind. Diese niedlichen Streublümchenmuster fanden nicht nur in Deutschland großen Beifall, sondern auch in den Ländern des Südostens. Zum Abschluß unserer Traumreise durch die Welt des Porzellans und der Tafelfreuden zeigt uns Herr Hollering noch einige Tassenformen: hier diese mittelgroße, unseren deutschen Tassen ähnelnde Form liebt der Italiener für den schwarzen Caffö espresso, während er für den Cafffe con latte, mit Milch also, richtige Großvätertassen von gewaltiger Größe schätzt. Wissen Sie übrigens, woher die Bezeichnung „Bliemchen-Kaffee" kommt? Das war einst in Sachsen der Sonntagskaffee, durch den man die Blümchen der Meißener Dekore auf der Innenwand der Tasse sehen konnte, während man wochentags bei dem noch dünneren Aufguß durch die gefüllte Tasse die gekreuzten Schwerter am Boden der Tasse erblicken konnte, nämlich die Fabrikmarke der Meißener Manufaktur.

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Die vielseitigen interessanten Arbeitsgänge für das Dekorieren der Weißware erfolgen in weitgedehnten Arbeitsräumen durch sehr geschickte und erfahrene Mitarbeiter, die den verwickelten und langwierigen Bearbeitungen gewachsen sind, wie sie beispielsweise die Herstellung eines Goldbrokatdekors erfordert. Die handgemalten Porzellane erkennt man am geschlossenen Pinselstrich und den kleinen Verschiedenheiten beim Vergleich der Tassen oder Teller eines Services. Außerdem tragen sie am Boden jeden Teiles meist den Aufdruck „handgemalt", um sich von ihren konfektionierten Gefährten, die ihren bunten Schmuck einem Umdruckverfahren verdanken, sichtbar abzuheben. Beim Buntdruckverfahren werden nach dem künstlerischen Entwurf in Spezialfabriken sowie auch in der eigenen Steindruckerei Abziehbilder mit keramischen, also Flußmittel enthaltenden Farben hergestellt. An der zu verzierenden Stelle wird das völlig saubere Porzellan mit einem Lack versehen. Dann wird das ausgeschnittene Bild durch eine Druckerin mit der Hand aufgeklebt, mit einem Schwamm befeuchtet und festgerollt. So muß jedes Teil einige Zeit verbleiben. Hernach wird das Papier abgelöst und der Lack abgewaschen. Genau wie beim handbemalten Stück muß nun noch jedes Teil in die Handmalerei, wo die Staffagen und Ränder handgemalt werden. Erst wenn ein Gegenstand so fertig dekoriert wurde, kommt er zum Schmelzbrand. Die Buntdrucktechnik vereinfacht und verbilligt zwar dekorierte Porzellane, erfordert aber nicht minder Genauigkeit und Sorgfalt. Denn jedes Bild muß an der im Entwurf bezeichneten Stelle angebracht werden. Und auch die Buntdruckkanten müssen so genau ineinanderübergehen, daß man den Ansatz gar nicht merkt. Hinzu kommen noch die Kosten für die im Mehrfarbendruck herzustellenden Abziehbilder. W i e aber mögen die prächtigen silberblauen oder rötlichgoldenen Brokatmuster der Prunkgedecke „ C o r o " oder das vornehme schwarzgoldene Schuppenmuster entstehen, das sich so schlicht und schön um den Rand der feinen Elfenbeinporzellane legt? Schon während ich die wundervollen Arabesken des Musters betrachtete, tauchte diese Frage immer wieder auf. Handmalerei und Buntdruck kann man sich vorstellen. Zu der Technik der Goldätzkanten und Brokatgebilde vermochte ich mich jedoch allein nicht durchzuahnen.

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Eine silberschimmernde hochglanzpolierte Stahlplatte liegt auf dem Arbeitsplatz des Graveurs. Durch einen dünnen Mullschleier empfängt sie gleichmäßig gedämpftes Licht. Neben dem Arbeitsplatz liegen das Musterbuch und viele andere Zeichnungen, die teils schon ausgearbeitet sind, teils noch der Ausführung harren. Heute ist Herr Pleyer dabei, die Kante für ein Stahldruckmuster einzurichten. Er zeigt mir den Originalent-

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wurf, der ober merkwürdigerv/eise dreigeteilt Ober- j j ! einander liegt. Ich frage nochmals, denn nicht v/ahr, es | soll doch eine Kante werden, die sich Ober den Rand;^ eines Eßtellers rundet? Herr Pleyer bejaht lächel und meint, ich sollte nur noch ein wenig zuwarten. Die schimmernde Stahlplatte wird nun mit Aspha dünn überzogen. Sobald der Lack trocken ist, wird Muster schattenhaft leicht auf die Platte übertragen. Nun erst kann Herr Pleyer mit seiner feinen Graveurnadel das Muster aus der Lackschicht herausarbeiten. So tiftelig ist diese Arbeit, daß er sich dabei einer Lupe bedienen muß. Wenn das Muster aus der Asphaltschicht herausgeholt ist, wird die Platte geätzt. Dadurch gräbt sich das Muster in die Stahlplatte ein.


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Die Arbeitsweise der Druckerin eri<lärt, wieso die Stahlstichkante dreigeteilt gearbeitet wird. Mittels einer Hornspachtel trägt sie die Farbe auf die geätzte Stahlplatte auf. Mehrmals fährt die Spachtel über die Platte her und hin. Der Farbauftrag ist erst beendet, wenn die Farbe ganz gleichmäßig in den Vertiefungen der Platte liegt und die überschüssige Farbe wieder abgestrichen ist. Nun wird auf die eingefärbte Platte ein hauchzartes Druckseidenpaj gelegt und mit einer Filzrolle das Muster auf das übertragen. Jede Druckerin bereitet sich selbst^^giijezahl Drucke, ehe sie mit dem Obertragen beginnt.

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Die ausgeschnittenen Papierstreifen werden dann völlig exakt um den Rand der Teller gelegt, angefeuchtet, m der Filzrolle aufgepreßt und dann das Papier abgSfo^n:^^ Die einfache Stahldruckkante hebt sich nun zart vom Porzellan ab. Da beim Druck jedoch der Farbauftrag mei ein wenig schwach ist, pudert die Druckerin noch etwos trockene Farbe Ober die Kante und läßt die Gegenstände so bis zum anderen Tag stehen. Dann wischt sie mit einem Wattebausch über die bedruckten Flächen. Dort bleibt die Farbe kräftig haften, während sie sich von dpj^üÖ^fSen Stellen leicht entfernen läßt.

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Der Stahldruck ist jedoch meist nur der Auftakt zu recht komplizierten Vorgängen. Die Schwarzgoid-Dekore entstehen beispielsweise dadurch, daß das schwarze Stahldruckmuster in der beschriebenen Weise auf das handgemaite und bereits eingeschmolzene Goldband aufgetragen wird. Für die Goldätzkante wird zum Herstellen der Drucke Asphalt verwandt. Sobald der Stahldruck trocken ist, wird auch noch das ganze übrige Stück mit Asphalllack bestrichen, so daß nur die zu ätzenden, hellgebliebenen Stellen der Kante noch zu sehen sind. Jetzt kommt das Stück in das Säurebad. Glasiertes Porzellan ist nur von einer Säure angreifbar, nämlich der Flußsäure. Die Flußsäure ätzt nun die nicht durch den Asphalt geschützten Stellen der Kante aus. Sobald die Ätzung genügend tief gedrungen ist, wird das Porzellan herausgenommen und vom Asphalt gereinigt. Nach sorgfältiger Trocknung wird die geätzte Kante vergoldet, und zwar muß diese Vergoldung mehrmals geschehen. Jeder Vergoldung muß ein Schmelzbrand folgen. Für einen einzigen Teller mit echter Goldätzkante sind also viele Stunden Handarbeit und komplizierte technische Einrichtungen notwendig, sowie mancherlei nicht billige Hilfsmittel. Neben der echten Ätzkante gibt es auch eine imitierte Ätzkante, die man auf verschiedene Weise herzustellen vermag. Meistens wird zuerst eine gelbglänzende Zierkante auf dem Teller angebracht und eingebrannt. Hernach wird diese Kante mit echtem Gold überdeckt. Die überstrichene Kante wirkt nach nochmaligem Schmelzbrand glänzend, die bedruckte Stelle matt, wodurch ein der echten Ätzkante ähnlicher Effekt hervorgerufen wird. Den Unterschied erkennt man jedoch sofort, wenn man über eine echte und eine imitierte Kante mit dem Finger streicht. Bei der echten Ätzkante spürt man die Vertiefungen und Erhöhungen der echten Ätzung, während bei der imitierten Kante die Fläche fast eben geblieben ist. Der Porzelliner unterscheidet zwei Arten von Gold: dos Mattgold, das er auch Poliergold nennt, und das Glanz- oder „Trompeten"-Gold. Beide Goldarten werden vorbereitet bezogen. Das Mattgold ist fein gepudertes echtes Gold, das mit geeigneten Flußmitteln, Terpentin und anderen ö l e n versetzt ist. Durch die Ole wird das Gold zum Malen geeignet, während die Flußmittel das Gold während des Brandes innig mit

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der Glasur verbinden. Das Glanzgold ist in einer ätherischen Lösung von Schwefelbalsam gelöst und wird so aufgetragen. Beim Schmelzbrand verbrennt der Balsam und das Glanzgold bleibt als hauchdünner Überzug auf dem Porzellan haften. Nach dem Brand sieht das Mattgold noch unansehnlich aus. Mit feinem nassem Sand und Achatsteinen wird es nachpoliert, weshalb man es auch Poliergold nennt. Das Mattgold ist goldhaltiger als das Glanzgold. Goldbänder sowie die goldenen Staffagen der Henkel, Schnauben und Füße werden stets durch Handmalerei aufgetragen. Auch dabei erlebt man eine Überraschung. Nach dem Aufmalen sieht nämlich das Mattgold tiefschwarz, das Gianzgold hell- bis dunkelbraun aus. Erst nach dem Brand tritt der Goldcharakter zutage. Die Druckerinnen haben ihre ganz besondere „Fachsprache". Sie bezeichnen die Muster nicht nach den üblichen nichtssagenden Nummern, sondern prägen mit raschem treffsicherem W i t z ihre eigenen, mitunter recht drastischen Namen. Noch nach Jahren wissen sie genau, wie beispielsweise das „Fledermaus-Muster" ausgesehen hat, während die Dekornummer in ihrer Erinnerung spurtos versank. Für sogenannte Reliefgoldmuster wird zuerst eine stärkere Unterlage aufgedruckt. Diese wird nach dem Trocknen mit Pudergold zart betupft und das Muster eingeschmolzen. in der Herstellung besonders schönen echten Kobaltporzellans wetteifern noch heute die Porzellanfabriken. Auf das glasierte und gebrannte undekorierte Porzellan wird Kobaltoxyd, vermischt mit Glasfluß gleichmäßig fein aufgetragen und im sogenannten Kobaltofen, der elektrisch beheizt wird, bei etwa 1300° C gebrannt. Danach wird das Kobaltporzellan noch mit köstlichen Goldmustern oder dem Schmuck echter Emaillen versehen, so daß echte Kobaltporzellane zu den wertvollsten Erzeugnissen einer Fabrik gehören.

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Ein besonders interessantes Kapitel in der Geschichte und Verwendung des Porzellans begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Die sich entwickelnde Elektroindustrie hatte in den Kindheitsjahren der Elektrizität mit vielen Mängeln und Fehlschlägen zu kämpfen, die mit der ungenügenden Isolierung des elektrischen Stromes zusammenhingen. Der Fortschritt der Elektrotechnik hing also weitgehend davon ab, daß man neue, wirksame Isolierungsstoffe fand. Die Eigenschaften, die der gesuchte Werkstoff aufweisen sollte, schienen aber so gegensätzlich, daß man lange Zeit sie kaum bei einem einzigen Werkstoff zu finden glaubte. Das gewünschte Isoliermaterial sollte gut formbar sein, einwandfrei isolieren, abreibefest, wasserundurchlässig, witterungsbeständig und schließlich auch noch völlig chemikalienfest. Für Isolatoren entdeckte man bald das Porzellan als hervorragend geeigneten Werkstoff. Für Schalter, Klemmen, Rollen, Sicherungen forschte man weiter nach einem plastischen neuartigen Stoff. Man suchte ihn zuerst aus zwei Naturstoffen künstlich zu schaffen, indem man Gesteinsmehl mit Klebmassen zusammenpreßte. Als Klebstoffe dienten Gummilösungen, Schellack, Kolophonium, Pech und Asphalt. Die neuen Preßstoffe hatten aber den Nachteil, daß das Gesteinsmehl im gepreßten Zustand wieder leicht brüchig wurde, Feuchtigkeit aufnahm und dadurch die Isolierfähigkeit bedeutend beeinträchtigte.

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Eines Tages probierte man dann, ob sich das Porzellan außer zum Drehen und Gießen vielleicht auch zum Pressen eigne. Und siehe da, der neue W e g war richtig und der gesuchte Werkstoff gefunden. Die völlig trockene pulverisierte Porzellanmasse wurde mit etwas Stanzöl vermischt und mit Hilfe von Stahlmatrizen in die entsprechenden oft sehr komplizierten Formen gepreßt.Schon sehr bald war Porzellan für zahlreiche elektrotechnische Kleinartikel der gegebene Werkstoff, der zur besseren Leitung und Bändigung des elektrischen Stromes nicht mehr zu entbehren war. In der Firma Heinrich wurde die Herstellung von elektrotechnischem Porzellan erst 1915 aufgenommen. Zuerst waren es vor allem Hoch- und Niederspannungs-Isolatoren, für deren Erprobung auch umfangreiche Prüfanlagen geschaffen wurden. Elektrische Spannungen von kaum vorstellbarem Ausmaß werden durch Hochspannungs-Isolatoren im Zügel gehalten. Unerhört große Gewichte haben die Isolatoren zu tragen. Das so zart erscheinende Porzellan hat eine ungeheure Festigkeit. Sie beträgt für 1 qcm 5000 kg. Das bedeutet, daß ein mit 10 Tonnen beladener W a g g o n auf ein 3 qcm kleines Porzellanplättchen gestellt werden könnte, ohne daß dieses bricht. Für elektrotechnisches Porzellan kommt es jedoch in ganz besonderem Maße auf Festigkeit und Maßgenauigkeit an. Deshalb muß der Masse-Versatz für elektrotechnisches Porzellan besonders erprobt und kontrolliert werden. In den letzten Jahrzehnten widmete sich die Firma Heinrich & Co. vor allem dem hochwertigen Tafelporzellan, Hotelgeschirr und Geschenkartikeln. Künftig wird durch die Zusammenarbeit mit der Firma Schwarzfärber & Co., die als Spezialistin für elektrotechnische Artikel bekannt ist, die Herstellung von elektrotechnischem Porzellan bedeutend erweitert. Vor allem werden elektrische Sicherungs-Patronen in allen Ausführungen im Werk B der Firma Heinrich & Co. gebrauchsfertig hergestellt. Dies ist insofern eine Neuerung, weil bei den anderen Porzellanfabriken meist nur der Porzellanteil als Halbfabrikat hergestellt und den Spezialfirmen verkauft wird. Im Werk B werden jedoch auch die Metallteile gefertigt und die Montage der Patronen vorgenommen.

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Der W e g der Porzellanherstellung, der hier auf wenigen Seiten und Bildern rasch vor Ihnen voröberrollte, erstreckt sich in der Praxis über viele Wochen und je nach der Kostbarkeit des Gegenstandes über 50 bis 150 Arbeitsgänge. Nur in seltenen Fällen kommt das fertige Porzellan sofort zum Versand. Denn bei einem Unternehmen von der Bedeutung und Ausdehnung der Porzellanfabrik Heinrich & Co., die in normalen Zeiten und hoffentlich bald wieder, den Wünschen und Gewohnheiten vieler Völker dienstbar zu sein hat, kommt es darauf an, für kleinere und größere Abrufe von nah und fern startbereit zu sein. W i r können uns ja noch selbst erinnern, wie es war, wenn von einem Ergänzungsgeschirr noch einige Teile fehlten, die auch das Fachgeschäft augenblicklich nicht vorrätig hatte, oder vom „schönen" Eß-Service etwas zu Bruch ging: man bestellte beim Fachgeschäft das Fehlende und erhoffte, daß die Fabrik beinah postwendend lieferte. Schon eine mitunter gar nicht lange Verzögerung empfand man fast als Nachlässigkeit. Eine ausgetiftelt kluge und Oberlegte Lagerhaltung ist daher notwendig, die es ermöglicht, selbst seit längerer Zeit nicht mehr hergestellte Formen schnell zu liefern. Jedoch nicht nur „häusliche Unfälle" machen eine ausgedehnte Lagerhaltung erforderlich. Bei neu aufgelegten Formen oder Dekoren tätigen manche Geschäfte zuerst kleinere Abschlüsse, um zu sehen, ob Form und Muster beim Publikum auch ansprechen. Geht ein Muster gut, dann häufen sich oft sogar telegrafische Bestellungen, die dann noch am gleichen Tag auszuführen sind. Zu dem Gebrauchsgeschirr kommt noch die sehr bedeutende Erzeugung von Hotel-Porzellan, welche die Firma Heinrich seit Jahrzehnten pflegt. Sie entwickelte dafür besonders schöne und zweckmäßige Formen von großer Widerstandsfähigkeit, die größtenteils mit besonderen Dekorationen den besten Hotels im In- und Ausland und nicht zuletzt in Amerika geliefert wurden. Das Lager der Firma Heinrich umfaßt daher normalerweise große mehrstöckige Gebäude mit vielen Hunderttausenden von Geschirrteilen. Ein einziges Service hat gegen 50 bis 80 Teile. Wieviele Formen und De55


kore sind aber ständig in der Fabrikation und werden laufend abgesetztl Aus der Art der Herstellung wird ober auch verständlich, daß keine Porzellanfabrik ständig alle Dekore auf Lager halten kann. Es ist auch in normalen Zeiten nur möglich, die wichtigsten Dekore der gängigen Formen vorrätig zu halten. Ausgefallenere oder seltene und kostbare Dekore müssen bei der oft erst nach Jahren erfolgenden Nachbestellung neu angefertigt werden. Und daß dies mitunter durch die Art der Herstellung nicht schnell geschehen kann, haben Sie ja durch unsere Erklärungen erfahren. Porzellan kann man nicht gleich Schrauben zu Hunderten zusammenpacken. Sorgfältig muß jedes einzelne Stück umhüllt und so verpackt werden, daß unterwegs möglichst nichts zu Bruch geht. Dabei ist auch noch das Zusammenstellen der Service eine kleine Wissenschaft für sich. Es ist ja nicht einmal gleichgültig, ob beispielsweise ein Eß-Service für Süd- oder Norddeutschland bestellt wird, weil schon innerhalb Deutschlands die Eß-Gewohnheiten verschieden sind. So verzehrt man beispielsweise in Norddeutschland mehr Gemüse, in Süddeutschland mehr Salate, was sich auch bei den benötigten Gemüse- oder Salatschüsseln auswirkt. Bei den Kaffeeservicen unterscheidet man allein auf dem deutschen Markt sieben verschiedene Zusammenstellungen. Die meist langjährige Erfahrung der Binderinnen hilft ihnen jedoch, rasch und sicher die für jede Bestellung nötigen Teile zusammenzusetzen, die dann sorgfältig in Holzwolle verpackt und in

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Kisten verschickt werden. Für den Übersee-Transport kamen früher die Fernlastzüge der Spediteure gleich in die Fabrik, um die versandbereite W a r e zu übernehmen und direkt zum SchifF zu bringen. Dadurch wurde der Transport sehr beschleunigt. Zur Erleichterung der Einfuhr schickten früher die Abnehmer aus Amerika auch besonders erprobte und bereits verzollte Packungen herüber, in denen den amerikanischen Käufern dann im Kaufhaus oder Spezialgeschäft das nach Besichtigung von Musterstücken gekaufte Porzellan auch ausgehändigt wurde.

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Wenn sich ein Betrieb durch den Willen und das Können seines Gründers in Jahren und Jahrzehnten zu einem reich verästelten Wirtschaftsorganismus mit vielen Hunderten von Mitarbeitern auswächst, so prägt sich allmöhlich ein ganz besonderes Betriebsgesicht heraus. Vielleicht nennt man es besser das Wesen des Betriebes, das ihm unverlierbar zu eigen gev^orden ist, das die Arbeitenden in seinen Bann zieht und beinah unabhängig geworden ist von den führenden und leitenden Händen. Denn gerade sie, die Hauptal<teure, sind sehr bald dem eigentlichen Wesen „ihres Betriebes" verbunden und handeln nach seinen Erfordernissen. Und wer aus Beruf und Neigung mit immer wieder anderen Wirtschaftszweigen und Firmen in Berührung kommt, empfindet es besonders reizvoll, aus den zutageliegenden Zufälligkeiten durchzudringen bis zum Kern eines Betriebes, aus dem heraus sich erst Wesentliches sagen und gestalten läßt. Denn nicht wahr, nicht über jede Porzellanfabrik ließe sich schreiben wie über die Porzellanfabrik Heinrich & Co. im vorliegenden Büchlein. Ja, nicht Ober viele Firmen ließe sich überhaupt so schreiben, weil sie durch ihre bedeutungsvolle Entwicklung oft so vornehm zurückhaltend wurden, daß man gar nicht mehr wagt, über die Menschlichkeiten des Anfangs und die faszinierenden inneren Spannungen ihrer Entwicklung zu plaudern. Die Firma Heinrich hat vom Wesen ihres Gründers einen so mitreißenden frischen Schwung mitbekommen, daß er heute noch spürbar ist und man im schönsten Sinne sagen kann: die Firma ist jung und spannkräftig und vor allem menschlich geblieben. Bei ihr gehört es zur guten Tradition, daß auch die heranwachsende zweite Generation den Betrieb von der Pike auf kennen lernen muß. Das kameradschaftliche Du verbindet noch heute Chef und den Meister, der einst dem jungen Gehilfen die ersten Anleitungen zu geben hatte, bis er heranreifte zum Leiter des Betriebes. Jedoch, ich habe vorgegriffen, und muß nun noch einmal kurz zurückschauen auf die Jahre zwischen 1906 und 1920, ehe ich von der Fixigkeit und dem Wagemut der Jungen berichten kann.

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In den Jahren 1906 bis 1911 wurden umfangreiche Ländereien sowie ein landwirtschaftliches Anwesen erworben, der Bau eines Sägewerks und verschiedener ergänzender Nebenbetriebe bewerkstelligt sowie für die sich immer mehr steigernde Produktion die Verkaufs- und Absatzorganisation in immer neue Länder ausgedehnt. Vor allem aber wurde der Export nach Amerika ständig erweitert. Im Jahre 1912 wurde dann mit der Schaffung einer großzügigen modernen Fabrikanlage in einem sechsstöckigen Eisenbetonbau begonnen, der außer einer geradezu idealen Dreherei und Kapseldreherei, einer Formgießerei, Modellierräumen, weitläufigen Formen- und Modell-Lagern und einem mustergültigen Tongewölbe vier weitere Brennöfen erhielt. Gleichzeitig wurden MassemOhle und Masselager vergrößert. Zur Schaffung der sehr wichtigen Industriegleisanlage von fast 1700 m Länge wurden ebenfalls Gelände gekauft und die dafür notwendigen Maschinen erworben. Bei Ausbruch des Krieges 1914 war also ein Werk vollendet, das zu den größten der Branche zählt. Durch die vielen Einberufungen trat bald ein Rückgang in der Erzeugung ein. Ebenso ließ der Absatz rapide nach. Auch der Kohlemangel bereitete Schwierigkeiten. Aber Franz Heinrich ließ sich nicht entmutigen, baute die Abteilungen für elektrotechnisches Porzellan auf und entwickelte verschiedene Neuerungen. 1918 wurde in Meierhöfen bei Karlsbad eine Kaolinschlämmerei mit Wohn- und Wirtschaftsgebäuden erworben, zu der ausgedehnte Kaolingründe gehörten. Das in Zettlitz bei Karlsbad gefundene Kaolin zählt zu den kostbarsten Porzellanerden der Welt. Schon 1912 war eine eigene Betriebskrankenkasse gegründet worden, die bei den Mitarbeitern rasch Anklang fand. Besondere Aufmerksamkeit widmete Franz Heinrich aber immer der Heranbildung junger Kräfte. Er förderte später die Staatliche Porzellan-Fachschule in Selb tatkräftig und war stets darauf bedacht, den jungen Leuten auch im Werk eine vielseitige und gründliche Ausbildung zu geben.

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Als im Herbst 1896 Franz Heinrich seinem Vater noch Feierabend den Wunsch nach Selbständigkeit vorgetragen hatte, saßen seine Geschwister mit um den Tisch. Anna, die ISjährige, der ISjährige W o l f , der 10jährige Ernst mit großen fragenden Augen und der kleine verspielte erst vier Jahre zählende Michael. Nach Beendigung des Weltkrieges nahm Franz Heinrich seine Brüder, Ernst und Michael, die aus dem Felde heimkehrten, in die Firma auf. Vor allem Ernst sollte für das Schicksal der Firma bedeutungsvoll werden. Ernst Heinrich war das Gegenspiel seines Bruders. W a r Franz rasch, schnell entschlossen, intuitiv erfassend und aufbrausend in wild schäumender Kraft, so war Ernst still und bedächtig, verschlossen und lange bedenkend. Dann freilich war seine Meinung und Tat kaum geringer als die seines Bruders, denn bestimmt und weitschauend waren dann sein Urteil und Handeln. Ernst Heinrich hatte als Buchdrucker gelernt und an verschiedenen Orten als Gehilfe gearbeitet, ehe er sich 1911 im elterlichen Hause mit einer Buch- und Steindruckerei selbständig machte. Als Ernst Heinrich in die Firma seines Bruders eintrat, brachte er seine Druckereianlage ein. Franz betraute ihn mit der kaufmännischen Leitung des Betriebes. Es war am Anfang nicht leicht für die Leute. Denn lange Zeit sah er sich schweigend und beobachtend nur alles an, im Betrieb und in den kaufmännischen Abteilungen. Fast zwei Jahre lang. Bis er jeden Schachzug, auf den es ankam, erfaßt hatte. Dann aber begann er nicht nur sicher und weitschauend für den Absatz und die Ausdehnung der Firmeninteressen zu wirken, sondern auch die Leute in der Firma auf den Platz zu stellen, an dem sie am meisten zu leisten vermochten und sich wohl fühlten, so daß ihm die Mitarbeiter bald nicht weniger anhingen als Franz. Und er, der unermüdlich Planende und von vielen Vorhaben Geplagte fand nun endlich Entlastung. Es war ja nicht einfach nach dem Krieg. Schwierige Zeiten waren durchzustehen. 1921 konnte jedoch ein schon lange vorgesehener Lieblingsgedanke verwirklicht werden, nämlich die Errichtung einer eigenen Niederlassung in Amerika, w o man bisher nur durch Vertreter verkaufte. Die Firma wurde unter dem Namen „Heinrich and Winterling New York" gegründet und gewann bald große Bedeutung. Sie beschäf-

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tigte viele Reisende. Franz und Ernst Heinrich fuhren auch selbst nach Amerika, vor allem Ernst baute das Amerikageschäft so aus, daß beispielsweise in den Jahren bis 1928 oft mehr als zwei Drittel der Produktion nach Amerika ging. Die Mitarbeit seines Bruders Ernst ermöglichte Franz Heinrich, der schon vor Jahren den Titel Kommerzienrat erhalten, aber der einfache, unermüdlich strebende und immer tätige Mensch geblieben war, sich im erwünschten Maße den Aufgaben des Selber Gemeinwesens und den vielen Sorgen der Stadtväter um das W o h l und Wehe der ihrer Hut anvertrauten Bürger zu kümmern. Unter ihnen war Franz Heinrich nicht der geringste. Um der Wohnungsnot zu steuern, erbaute er schon bald nach dem Kriege eine Anzahl für Selb vorbildlicher Wohnhäuser in der später nach ihm „Franz-Heinrich-Straße" genannten Ansiedlung am Fuße des Goldberges. Auch den Gemeinnützigen Bauverein unterstützte er mit umfangreichen Stiftungen. Auf dem Fabrikgelände entstanden wieder neue große Bauten.

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Anläßlich des 25iährigen Bestehens der Firma errichtete Kommerzienrat Heinrich die „Franz-Heinrich-Stiflung", die dann durch die Firma noch erweitert wurde und der Förderung der Selber Handwerker sowie der Verschönerung der Stadt zu dienen hatte. Aber auch allen anderen Bestrebungen war er zugänglich. Gleichviel, ob es der Tuberkulosenfürsorge galt, ob die Sanitätskolonne einen Krankentransportwagen brauchte und von ihm erhielt, ob er zur Erweiterung des Krankenhauses Gelände gab oder die Fachschule unterstützte und förderte, immer half er mit gutem Rat und schneller Tat. Freilich, nicht immer stimmten seine Pläne mit den Absichten der Stadtväter oder Kuratorien überein. Als er anläßlich der Erweiterung des Krankenhauses auch die Anlage der neuen Straße skizzierte, verschloß man sich seinen Anregungen. Kurz entschlossen pflanzte er eine doppelte Baumreihe quer durch das Gelände, um darzutun, wie die künftige Straße verlaufen müsse. Als dann 10 Jahre später eine neue Erweiterung nicht zu umgehen war, erkannte man, daß die Straße nicht besser als von ihm skizziert geführt werden könnte, und verwirklichte seinen Plan. Als der Betrieb auf vollen Touren lief und neue Pläne der Ausführung entgegenreiften, verschied Franz Heinrich plötzlich im Frühjahr 1928, kurz nach Vollendung seines 52. Lebensjahres. Ein reiches, unerhört schöpferisches und wohltuendes Menschendasein fand allzufrühes Ende. Ernst Heinrich, der zur Zeit des Todes seines Bruders wieder in Amerika weilte, übernahm nun die Leitung des Betriebes. So unendlich viel Franz Heinrich als Gründer und Entwickler der Firma zu danken ist, Ernst Heinrich fiel nun die Aufgabe zu, das Werk seines Bruders zu bewahren und durch die bald beginnenden schweren wirtschaftlichen Krisen, die die W e l t erschütterten, zu leiten. Seit 1927 arbeitete auch Adolf Heinrich, der Sohn des Gründers, in der Fabrik. Ja, genauer ausgedrückt: seit 1927 war er als Arbeitender im Werk. Denn wenn man die Mutter frägt nach besonderen Neigungen des Knaben, so hört man nur immer wieder, daß sich Adolfs Leben seit frühen Kindertagen am liebsten in der Fabrik abspielte. Oder er spielte zu Hause „Betrieb". Es wurde auch ihm nichts erleichtert. W i e nur 62


irgend ein Lehrling hatte er mit der Arbeit in der Massemühle zu beginnen. Auch die geringste und kleinste Tätigkeit mußte er selbst verrichten. Ernst Heinrich übernahm ruhig und sicher, völlig vertraut mit dem ganzen Betrieb, die Leitung. Er holte zur Entv/icklung neuer Formen und zur Erweiterung des Absatzes neue Künstler und Mitarbeiter heran und konnte dadurch den Ruf der Firma erhalten. Im Juli 1929 wurde die Porzellanfabrik Gröf & Krippner erworben, jedoch bereits im Jahre 1932 wegen der steigenden Wirtschaftskrise stillgelegt und ihre Fertigung ins Hauptwerk verlegt. Durch die Zusammenfassung der Aufträge und die verringerten Unkosten kam die Firma verhältnismäßig gut über die kritische Zeit. Sowohl Kommerzienrat Franz Heinrich als auch Ernst Heinrich waren im Aufsichtsrat des Verbandes Deutscher Geschirrporzellanfabriken. In dieser wichtigen Stellung haben sie nicht nur in den guten Jahren gewirkt. Vor allem Ernst Heinrich hat in der schlimmsten Zeit, als das Verbandsgebäude wankte und auch die Preisvereinbarungen zerbröckeln wollten, unermüdlich für den Zusammenhalt der Gruppe gearbeitet. Immer neue Vorschläge brachte er, um die Geschirrporzellanindustrie wieder auf gesunde Füße zu stellen und sorgte für das gute Zusammenhalten der Fabrikanten. In den Exportausschüssen, Fach- und Preis-Ausschüssen schätzte man seinen auf hoher Sachkenntnis beruhenden Rat und seinen lauteren, selbstlosen Charakter. Mit dem Jahre 1933 war aber die Heinrichsche Fabrik und der Verband'nur scheinbar über die ärgste Krise hinweggekommen. Vor allem die Firma Heinrich, die als der größte Exporteur nach Amerika galt, wurde von dem allmählich einsetzenden Rückgang der Ausfuhr nach Amerika, das sich mehr und mehr den deutschen Erzeugnissen verschloß, sehr getroffen. Bitter wurde die sich anbahnende neue Entwicklung empfunden, die der ganzen Einstellung der Leitung zuwiderlief. Es ist ja bezeichnend für diesen so sehr auf persönliche Achtung und

persönliche Leistung aufgebauten Betrieb, daß nach Kräften die als richtig seit Jahr-

zehnten erkannte Linie gehalten wurde.

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Durch den Ausbau des Exports nach Italien und die nördlichen Länder, vor allem auch in die nahegelegene Schweiz, sowie durch die Aufnahme von Neuheiten gelang es aber immerhin, den Betrieb bald wieder voll zu beschäftigen. Rührig und fix wie kaum ein Betrieb paßte sich das Heinrichsche Unternehmen den Wünschen jeden Marktes so vorzüglich an, daß ihm der Absatz gewiß war. Einmal weilte Herr Ernst Heinrich zu einer Instruktionsreise in Italien. Im Gespräch mit einem bedeutenden Abnehmer ergab sich, daß eine besondere Service-Form gewünscht wurde, die noch nicht auf dem Markt war. Ernst Heinrich erinnerte sich an ein Modell, das als Muster dienen konnte und an dem man sofort die gewünschte Art vorzeigen konnte. Ein dringender Anruf in Selb beorderte den rührigen Gebhard mit den noch nachts herausgesuchten Mustern, den nachts fertigzustellenden neuen Zeichnungen und weiteren Unterlagen nach Italien. Mitten in der Nacht mußte der junge Mann sich bei den amtlichen Stellen seine Ausweispapiere zusammenholen, um bereits den FrOhzug in den Süden benutzen zu können. Natürlich klappte es dann, und neue schöne und lohnende Beschäftigung war den Arbeitenden im Werk gesichert. Auch die 1936 begonnene Herstellung von Sparbüchsen aus Porzellan mit hübschen bunten Bildern, die durch eine besondere Verkaufsmethode vertrieben wurden, erwies sich als Schlager. So lief das Werk bald wieder aus eigener Kraft auf vollen Touren.

Wenn man in Urlaub fährt, dünkt es vielen die schönste Ferienfreude, daß man einmal gar nichts mehr zu denken hat und restlos den Alltagskram vergessen darf. Wenn Michael Heinrich auch so gedacht hätte, als er eines schönen Morgens in München im Frühstückszimmer eines Hotels behaglich beim Kaffee saß, wäre die Firma um eines ihrer schönsten und interessantesten Erzeugnisse ärmer. Herr Heinrich las in der Zeitung. Las nicht besonders aufmerksam. Aber auf einmal weckte eine Nachricht sein Interesse. Er sah genauer zu und las aufmerksam noch einmal die eben flüchtig aufgenommene No-

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tiz: der Luftschiffbau in Friedrichshafen sah für das im Bau befindhche Luftschiff „Zeppelin" eine Bordküche v o r ! W o geicocht wird — wird serviert — wo serviert wird, braucht man Porzellan! Konnte es nicht „Heinrich-Porzellan" sein? . . . Wann ging der nächsle Zug nach Friedrichshafen? . . . Schon mittags war Herr Heinrich in der betriebsamen Stadt am schönen Bodensee. Und bald wußte er Bescheid. Ja, man hatte sich auch schon nach Porzellan umgesehen. Nach staricem, dickem Hotel-Porzellan! Herr Heinrich war frappiert: schweres Porzellan für ein Luftschiff, das nach geringstem Gewicht in der gesamten Ausstattung strebte? Hier wäre doch das „Heinrichsche dünnwandige Elfenbein-Porzellan" richtig, das nach Amerika geliefert wurde und bei aller Zartheit enorme Festigkeit des Scherbens aufwies? Ein Malheur passiert überall einmal, aber die Menschen, die das Luftschiff benützen würden, wüßten wohl edles Porzellan zu schätzen. Ein Blitzgespräch verband mit Selb. Und sofort begann man dort in fieberhafter Eile Formen zu entwerfen und Dekore zu zeichnen. Eine Nacht verging und ein neuer Tag. Und als die zweite Nacht verdämmerte, da packte einer der Mitarbeiter Zeichnungen und Musterstücke des nach Amerika gelieferten Elfenbein-Porzellans in die Tasche und machte sich auf den W e g nach Friedrichshafen. Nicht nur für das Luftschiff „Zeppelin" erhielt die Firma Heinrich die Lieferung des gesamten Porzellans Obertragen. Sie wurde und blieb die alleinige Porzellan-Lieferantin. Und bei vielen Deutschlandfahrten kamen die Luftschiffe über Selb und grüßten das Werk, das wiederholt auf den Fabrikdächern in viele Meter hohen aus Tellern gelegten Buchstaben dem Schiff seinen Gruß entbot. Als freundlicher Zufall fügte es sich auch, daß am Tage der Silberhochzeit Ernst und Christine Heinrichs das Luftschiff „Hindenburg" unvermutet über Selb auftauchte und einen Auftrag abwarf. Auch die umseitige Zeichnung der Fabrik entstand nach einer Aufnahme des Zeppelins.

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Mif Frau Jette Heinrich, den jungen Heinrichs und einigen Herren des Betriebes sitze ich oben in der Buchhaltung des Werks, über die letzten schlimmen Kriegsjahre und die Widrigkeiten des neuen Beginnens, jetzt, im Herbst 1945, haben wir uns die Köpfe heiß geredet. Gütig lächelnd sitzt die immer Anteil nehmende Frau Jette zwischen Adolf Heinrich und ihrem Neffen Franz, Ernst Heinrichs Ältesten. Auch Dieter Jöger ist dabei, der Enkel von Herrn Ernst Adler. Im Sommer 1942 war der Leiter des Betriebes, Ernst Heinrich, von einer Lungenentzündung nicht wieder genesen. Zuerst übernahm der langjährige Prokurist Ottomar Poller die Leitung. Doch schon bald zwang ihn schwere Krankheit von seinem Posten. Adolf Heinrich wurde vom Militärdienst freigestellt und konnte den Betrieb übernehmen. Man braucht ihn nicht lange Zeit zu beobachten, um zu erkennen, daß bei ihm das Geschick der Firma in guten Händen liegt. Energischer Wille vereint sich mit Weitblick und Tatkraft. Und sein Vetter Franz Heinrich ist als vorzüglicher Techniker dabei, den Betrieb immer noch zu verbessern, während der junge Diplomkaufmann Dieter Jäger in den kaufmännischen Abteilungen nicht minder umsichtig arbeitet. Während einer kleinen Gesprächspause nehme ich das Trommeln der Massemühle bewußter auf und den Lärm der Ventilatoren. Das klopfende Geräusch der Kollergänge schiebt sich dazwischen und nun tönt laut und energisch die Stimme des „Hofrats" durch das ofFene Fenster, der das Entladen der eben eingetroffenen Waggons mit Kohle dirigiert. Es ist ja witzig, daß der hochgewachsene „Herr Hofrat", der wendige umsichtige Hofverwalter, den netten Namen Wiesel trägtl Ich trete zum Fenster und schaue hinunter. Gutsverwalter Popp und Prokurist Gebhard kommen über den Hof und eilig strebt ihnen Fräulein Emmi mit einer unförmigen Statistik entgegen, für die sie von ihrem Chef Gebhard noch eine Angabe braucht. Da ruft mich Herr Dorn an und frägt, ob ich die Geschichte mit den 400 Waggons kenne. Erstaunt verneine ich und eifrig berichten mir die Herren ein bezeichnendes Vorkommnis aus dem November 1944. Adolf Heinrich war gerade von einer Verkaufsreise aus der Schweiz zurückgekommen, als ihm telefonisch von einem auswärtigen Rüstungskommando erklärt wurde, daß von Berlin bestimmt worden sei, daß die Firma 68


Heinrich einen westdeutschen ROstungsbetrieb aufzunehmen habe. 400 Waggons mit schweren und schwersten Maschinen und Gerätschaften rollten bereits an und wären sofort nach Eintreffen zu entladen, damit schnellstens die Erzeugung aufgenommen werden könne. Vergeblich wies Adolf Heinrich daraufhin, daß er aus der Schweiz mit wichtigen Aufträgen gelcommen sei und sich seine Fabrik für eine solche Röstungsferligung nicht eigne. Er mußte also auf eigene Faust handeln, ehe durch eine sofortige Reise nach Berlin die Aufhebung dieser Anordnung zu erzielen war. Denn die Gefahr war beträchtlich. Wenn die Waggons einmal in Selb oder gar auf dem Geleis der Firma standen, war es schwierig, sie loszuwerden. Vor allem aber konnten die wohl einsetzenden Luftangriffe nicht nur dem W e r k , sondern der ganzen Stadt Selb verhängnisvoll werden. Deshalb erklärte Adolf Heinrich dem Bahnhofsvorsteher, daß die anrollenden 400 Waggons aus besonderen Gründen noch nicht in die Stadt rangiert werden könnten, sondern draußen vor Plößberg auf freiem Gelände stehen bleiben müßten, bis er von seiner Reise zurück sei. Es gab eine wahre Hetzjagd zu vielen Behörden in einigen Städten. Aber schließlich war auch dies geschafft: die Anordnung wurde aufgehoben und die Waggons wo anders hinbeordert. Da ficht Herr Heinrich noch ein hübsches Schweizer Erlebnis ein: der Luzerner Vertreter hatte im Stadthaus Luzern eine entzückende Sonderausstellung mit „Heinrich-Porzellan" veranstaltet. Auf 30 sehr geschmackvoll geschmückten Tischen prunkten die schönsten Service. Außerdem hatte die rührige Firma Buchecker & Co. ein hübsches Detailgeschäft eröffnet, in dessen Schaufenstern die auf der Ausstellung gezeigten Service alle paar Tage wechselnd gezeigt wurden. Von den aparten Tisch-Arrangements waren Farbfotos im Laden, so daß die Kundinnen dieWirkung eines Services genau prüfen konnten.


Kaum endete die Erzählung Adolf Heinrichs, als Prokurist Gebhard mit Franz Heinrich schon wieder neue Gedanken bespricht, um der vielen Schwierigkeiten Herr zu werden, die aus Material- und Kohlemange! und so manchen Zeitnöten entstehen. Aber unüberwindlich sind sie in diesem Hause keinemI Auf der heute anmutig mit Bäumen bestandenen Höhe des Goldberges erbaute vor Jahrzehnten Franz Heinrich sein Wohnhaus. Sinnend schreite ich mit Frau Jette hinauf. Wieder ist es Herbst und leuchtend flammen die Blätter der Buchen. Friedlich liegen die Höhen im Abenddunst. Nichts erinnert hier an die Schauder, die uns erschütterten. W i r tragen sie in uns, wir spüren sie beim Atmen und bei jedem Schritt.

Wenn wir heute auch noch kaum von dem zu sprechen vermögen, was uns bewegt, so wissen wir dennoch, was zu tun ist. Fleißig und geduldig haben wir den aufgewühlten Boden der Ruinen neu zu bestellen, zufrieden mit kargerem Mahl, zufrieden mit geringerem Behagen. Aber ringend mit uns. Um m den giAigen Dingen unser Ziel zu finden. Nicht darum, weil die W e l t auf uns schaut. Nicht dnrum^ \Ygil yyir Jind und bestehen wollen. Vielleicht aber desh|||i n o i l n i i im l l l l l r n Hur irliliirhti n in den r q | j i den Fsuer• liiiiiii,jLÜi» tlfiiMH llllil IUI I t i l i

Ji Iii lilii Tote den Segen des „sanften Gesetzes^<!(^ Men ichlichkeit"

erahn in, das die W e l t bewegt und e/neuert.

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GEFOLGSCHAFTSMITGLIEDER MIT 40JÄHRIGER Bediert M a x

DIENSTZEIT

leupold Heinrich

GEFOLGSCHAFTSMITGLIEDER MIT 25JÄHRIGER DIENSTZEIT Adler Hans Sauriedl Hans Soyreufher Hans Froas Adolf Geiger G e o r g G e y e r Karl Giäßel Adolf Goßler Andreoi G r a f Rosa Griefiliommer Heinridi Grie6lia(nmer Niicol Grottenmüller Karl

Hanold Julius Hollering Viktor Kaiser Lorenz Köhler Erhard Kuhn Adolf Kuhn Fritz Kübridi Otto Lang Hans Legat Gustav Lenic Ludwig Mad^t Elise Müller Heinridi

Müller Uno Munde! Adolf Munde! Emil Pöhlmann Karl Pöhlmann Susanne Reldiel Christian Reul Adam Riditer Arthur Riedelbaudi Gustav Rogler Adolf Rohr Anna Rothemund Fritz

Röhring Karl Rummel Otto Sauerteig Karl Seidel Hans Seid Christoph Solbrig Andreas Sonntag Anna Sonntag Johann Sdiiller Wilhelm Sdilegel Emma Sdiletz Adolf Sdiott Jonas

Sdiowonek Marie Sdiödel Fritz Sdiuberth Karl Stengel Martin Unglaub Hans Unglaub Lina Ulz Baptist W e l z e ! Bobette Wolf Lorenz Wölfel Christian Zeidler Karl

G E F A L L E N E 1939 - 1 9 4 5 Bauer Emil Bayreuther G e o r g Benz Willi Bösold Fritz Dorn Alfred DOIIer Karl Emmert Midiael Fiedler Johann Frohring Karl

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Fudis G e o r g Gruber G e o r g Honft Hans Huber Hans Huber Josef Jahn Karl Jäger M a x Ka.tl Adolf Krämer Heinridi

Kuhn Fritz Legat Gustav Leineweber Albert Lenk Andreas M H I e r Alfred Pidcl Hans Rausdi Christian Reul Andreas Roder Reinhard

Sommerer Jakob Sdiuster Hans Stengel Hans Thumser Karl Unterburger M a x Veit Karl WiSmath Karl Zink Gustav Zeltler Karl



896-1946


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in Schlot raucht! In den Straßen unserer kleinen Stadt bleiben die Mensdien stehen — sdinuppern — und zeigen erstaunt mit den Fingern in die Luftl Was ist nur los? Was gibt es zu sehen? Wahrhaftig! Der erste Sdiornstein rauditl Und — er raudit natürlidi bei H. & Co.! Dick windet und schraubt sich der Qualm über die Fabrik. Ein zuversichtliches Lächeln huscht über die Züge der Schauenden. Nun wird es wieder gut werden. Bald wird man wieder Arbeit haben. Der vor so ungefähr 7 Wochen beendete Krieg ließ wohl die kleine Stadt unzerstört — aber was ist Selb, wenn seine Porzellanindustrie nicht arbeitet. Heinrich & Co. haben es geschafft. Als erste bayerische Porzellanfabrik hat die Firma von der nunmehr zuständigen Stelle die Erlaubnis zur Wiederaufnahme der Produktion erhalten. Freilich, die Schwierigkeiten sind bergehoch. Wie soll künftig das Material beschafft werden — wo die Kohle herkommen — wer den Gips liefern I Aber die hundert — Fiundertfünfzig Leute, die zuerst mit anfingen, sind genau so zuversichtlich wie die noch auf


Beschäftigung wartenden Mitarbeiter: sie wissen, H. & Co. werden sdion den rediten Weg finden. Und — es dauert audi gar nidit lang, da haben H. & Co. tatsädilidi das damals erste Kohlen-Kompensationsgesdiäft mit derTsdiedioslowakei gesdilossen. Optimismus steckt a n I die Amerii<aner freuen sidil Mit ihren Jeeps kommen sie in die Fabrik und fragen >presents« und Gesdiirr. Voll Verwunderung nehmen sie das formsdiöne H. &Co.Porzellan — in den original amerikanisdien Verpakkungen entgegen — und lassen sidi von dem langjährigen — jahrzehntelangen Export nadi ihrem heimatlidien Kontinent beriditen. Nadi und nadi kommt nodi der eine und andere Arbeitskamerad wieder an seinen alten Platz. Nidit sehr zuversiditlidi. Aber bald ist er dodi vom Leben, das bei H.& Co. immer voll Sdiwung und mitreißend ist, gefangen. Vor allem die Jugend läßt sidi willig mittragen von dem Optimismus, den die Leitung ausstrahlt.


Das T a b a k s k o l l e g i u m Trotz allem zur Schau getragenen Optimismus ist den >leitenden Herrenc oft mulmig Mute. Oft sitzen die »Altenc an den Abenden zusammen, planen — suchen Möglichkeiten und Wege für das Werk und die Belegschaft. Unvermutet rücken die Gedanken aus der grauen Gegenwart mitunter >in das goldene Zeitalterc des Anfangs. Aber schnell belehrt ein »Uralterc, wie schwer es auch damals gewesen ist — und unvermutet sagt einer: >lm nächsten Jahr bestehen wir 50 Jahre l< Mit gewaltigem Puff rauchen die Pfeifen — was 50 Jahre? Kaum einer dachte daran I Ja — damals — warens auch erst einige Jahre nadi dem Krieg — dem ersten — und doch — wie wurde das fünfundzwanzigjährige Jubiläum gefeiertI Die mit >Eigenbau« und aus >dunkleren Beständen« gefüllten Pfeifen qualmen — bedeutende Gedanken werden gewälzt I


Lieber als 1 0 0 0 M a r k ? ? ? So mancher, der heut im Werk mitschafTt, stand als Hosenmatz dabei, als der eine oder andere Heinridn'sdie Bau ausgeführt wurde. Und einer, der nun sdion fast zwei Jahrzehnte im Werk sdiafFt und die lebende Chronik genannt werden kann, spridit es einmal aus: »Lieber als 1000 Mark waren mir damals, beim Fünfundzwanzigjährigen, die Festschrift und die schönen Bilder.« Viele pflichten ihm bei. Der Leitung kam es zu Ohren. Abgesehen davon, daß sie sich selber schon Gedanken gemacht hatte. — Da war doch mal ein Keramiker im Werk — so ein schmaler Schwarzer — in München wohnt er heute — soll ein bekannter Graphiker geworden sein? Mit manchen aus dem Betrieb ist er heut noch befreundet. Der Chef spricht mit ihm. Und eines Tages fahren Adolf Heinrich und Andreas Gebhardt nach München.


Die geheimnisvolle Frau Eines Morgens erschien der Chef in Begleitung einer Frau im Betrieb. Neugierig war d i e l Hatte überall ihre Nase drin — blieb überall stehen — wollte wissen, was olles bedeutete — wie es früher war — einfodi unsympatisdi war sie. Aber sie quetsdite die Leute aus und erfuhr, was sie wissen wollte. Zugegeben, dumm frug sie nidit. Und da ansdieinend der Chef dafür war und ihr selber erzählte, wenn er nur Zeit hatte, tauten allmählidi immer mehr Zungen auf. Aus dem Musterzimmer war sie long nidit herauszubringen. Viktor Hollering bekam beinahe Angst. Sogar der alte Vater Blendinger kam und erzählte — aber Freund Hollering wurde es dabei besonders unbehaglidi — er sudite zu stoppen — denn konnten nidit Betriebsgeheimnisse verraten werden? Abends versdiwand die Dame nidit. Sie ging zu Heinridis mit Andreas Gebhardt, Alfred Dorn, Bier trinken. Da kamen erst Dinge zutage. Wie es zu den Zeppelinbestellungen kam — warum der Kas auf die Muffel mußte —warum der Porzelliner Tropfbier in den Sdilid<er rührt — und nidit zuletzt, was Andreas alles in Italien erlebt hatteI Romantisdi war das I


G r o ß e Ereignisse w e r f e n Ihr

i!

Es kam nocfi besser — oder schlimmer. Mit dem ersten Sdinee und der richtigen Winterkälte erschienen zwei Herren. Die durchkrochen alle Ecken und Winkel der Fabrik, begleitet von Alfred Dorn im wehenden Kittel. Am nächsten Tag schleppten die Drei Reflektoren, >Jupiter«-Lampen uncT sonstige Sonnen mit, rollten Kabel durch die Räume und hielten »Besprechung« ab. Das war eine merkwürdige Einrichtung: Einer zückte eine Schachtel und bot an. Im blauen Dunst redeten sie über Schlagschatten, Lichthöfe und Gegenlicht, wen und was sie fotografleren wollten. War das Opfer gefunden, kletterten die Herren auf Stühle, Bänke,Tische und Staffagen. Sonnen glühten auf — »sie« oder »er« erstarrte vor dem optischen Auge der Contax,die sagte »knicks« und der Operateur »danke«. Mitunter ober zischte es plötzlich — zuckte bläulich durch den Raum — dann fluchte der eine und der andere sprach lakonisch »Kurzschluß«.AIIedrei legten aber eine »Besprechung« ein, bis der Schaden behoben war.


Was hatte das alles zu bedeuten? »Die san vom Filme, meinte man in der Buntdrud<erei, denn der Sdiwarze in der fesdien Keilhose sagte: »Wir madien Kulturflimaufnahmen für die »Bavaria«. »Na, die san von der Presse«, widersprachen andere. Wer hatte recht? Auskannte sich keiner. Nur manche grinsten. Ein Tag um den andern verging. Von oben bis unten und in die Quer ging die Expedition der »Drei«. Dann war's anscheinend geschafft. Die beiden verschwanden. Und man sah und hörte nichts mehr. Hinter d e n Kulissen Fräulein Emmy stöhnte. Stöhnte unmenschlich. Dicke Stöße von Fotokopien gingen nach München — nach Unterhaching. Alte Belege wurden gesammelt — gingen ebenfalls ab. Eines Tages begann dann das Kommen von dicken Briefen, die eifrig gelesen wurden. »Von der Leitung.« Da rauchten wieder die Köpfe. Und auf einmal hieß es im Betrieb: »Eine Festschrift entstehtl« Der Chef und Andreas Gebhardt verreisten und kehrten befriedigt heim. Aber nur kurz berichteten sie: »Die Sache macht sich.« Der Winter verging. Die dicken Briefe kamen häufiger. Wurden sogar ungemütlich. Dann redete man von Zeichnungen — Korrekturabzügen.


Und dann wurde es still um die Sdirift. Man sah und hörte nidits. Ins Wasser gefallen? Abwarten meine Lieben! Im Sommer begann es um Frl. Emmy wieder lebhaft zu werden. Briefe wurden getippt — Briefe — stoßweise I Und als es herbstete, fuhren zwei Unternehmungslustige mit großen Koffern nadi Unterhadiing. Was gesdiah dort? Mit den in Tag- und Naditsdiidit v e r p a ß t e n und beklebten 2000 Kartons entsdiwanden sie eines Mittags wieder im — Postauto. Es r e g n e t

regnet!?

Die geheimnisvolle Tätigkeit der beiden entpuppte sidi bald: Von der Festsdirif) waren bereits 2 0 0 0 Stüde in alle Winde geflattert — mit Hilfe der guten Mündiner Post, die ein modernes Auto nadi Unterhadiing gesdiidet hatte, um die sdiöne Festsdirift abzuholen — bei denen, die sie gesdirieben hatten — bei denen sie vom »jungen Manne und »Fräulein Emmyc samt Mithilfe der ganzen Familie »piep« versandfertig gemadit wurde.


Die Festschrift ist sdiön, hieß es zuerst. Dann kamen Anerkennungen. Die waren begeistert. Täglich wurden es mehr. Heinrich sdiien wieder mal ins Schwarze getroffen zu haben, denn oudi die Zeitungen berichteten von der Festschrift und dem bevorstehenden Jubiläum. Denn — w:o denkt ihr hin? Eine Festschrift ist kein Jubiläum. Die gehört nur so dazu. Sintemalen sich ergibt, daß schon seit geraumer Zeit wieder etlichen Leuten der Kopf rauchte. Und w i e l Und es gab keinen Schnaps — oder doch? Das F e s t k o m i t e e ! Jawohl, das gab es. Aber wer war es — was tat es? Geheimnisvoll tot man. Aber bald wußte es die ganze Stadt: Am 27. November 1946 in der Turnhalle! Nicht nur im Betrieb wurde geredet, nein, die ganze Stadt rätsejte und redete mit. Inzwischen reiste der Chef im Lande umher und kaufte ein, was und wo und wie er nur konnte. Bedenkt: im Herbst 1946, wo es bei Gott nicht einfach war — wo manche keine Nähnadel mehr hatten und nur noch vom Hörensagen wußten, wie Bier eigentlich schmeckt. Denn was man so


abends in d e r W i r t s d i a f l trank, war beileibe kein Bier, sondern nur Dividendenbrühe. Da kamen ja allerhand rare Wesen angesdiwommen — Karpfen, Heringe, Marinaden, Räudierflsdie — Fässer rollten herbei — Kisten und Kasten kamen — Zauberwort: Tombolal In der Turnhalle versdiwanden wenige Tage vor dem Fest geheimnisreidie Gegenstände — Helferund Helferinnen aus dem Werk. Von Musikkapellen, die von weit her kommen sollten, wurde gemunkelt — vor Vorfreude gar sdion — gesdiunkelt —I Es herrsdite ein Leben und Treiben, wie vor einer Dult und die Beteiligten stöhnten — sie wüßten nicht, wo ihr Kopf sitje. Das J u b i l ä u m steigt Am 27. November 1946, abends '/iB Uhr, begann in der festlidi gesdimüAten Turnhalle in Selb der feierlidie Akt. Morgens wollte die Arbeit nidit mehr klappen. Mittags war dann Sdiluß. Für unsere Jugend war's das erste Fest nadi langen gleidiförmig grauen Kriegs- und Nadikriegsjahren. Im Büro klingelte der Fernsprecher. Unaufhörlich. Bit zur Verzweiflung. Der eine gratulierte — der andere wollte nodi 'ne Einladungskarte, Ein


Vater hatte drei heiratsfähige Töchter, die audi tanzen wollten — ein anderer braudite — besser wollte, nidit allein zum Fest, sondern mit Frau und Toditer ersdieinen, da man ihm fürditerlidi idrohec — mit dem PantofFeil Eine flinkzüngige Spradienkundige, die eingeladen war, gestand versdiämt stotternd, daß sie, da ja, nun ja, da sie an Weihnaditen die Konzession und Lizenz erhalte, sie dodi sdion gern mit ihrem heimlidien reditskundigen Zukünftigen ersdieinen würde — es flössen honigsüße Worte hüben und drüben — aber auf den Stirnen unserer Herren ersdiienen Sdiweißperlen — sie wanden sidi zu Spiralen — wo sollte das Ende sein? Denn 1100 Gäste wurden erwartet — und für mehr war einfadi kein Platz — und kein Bier da. Man konnte dodi nidit sdion während des offiziellen Teiles die Mäddien auf den Sdioß der männlidien Sdiönheiten setzen oder mit Rüdcsidit auf die Gleidibereditigung der Frau gar umgekehrt! Mittags sdiloß der Betrieb seine Pforten. Jeder hatte seine Jubiläumsgabe erhalten, ^dazu ein Stüde Karpfen, die Bons für die Feier und eine Festsdirifl. Donnerwetter, was stand da alles drin. Inzwisdien gaben die »Beauftragten« der Turnhalle den letzten Chidc. Wie in einem überheizten Kessel stieg der Drude. Eine ganz Eifrige drohte sogar, ihren Geist aufzugeben, sdinell wurde ihr Bettruhe bis zum Abend verordnet.


Es d ä m m e r t e — die ersten auswärtigen Gäste trafen ein. Die neue Errungenschaft, das hell erleuchtete Ausstellungsfenster in der Ludwigstraße mit Christine und Irmgard, natürlich in »Heinrich-Porzellan«, zog Scharen von Bewunderern an. In den Straßen tauchten festlich gekleidete Gestalten auf und stolzierten zur Turnhalle, deren Eingang belagert war von vielen Einlaßbegehrenden, die vergeblich versucht hatten, durch Tausch oder gar auf dem Schwarzen Markt eine Einlaßkarte zu ergattern. 50 Mark waren geboten worden. In Autos und Kutschen kamen die Gäste an. Auf dem schönsten Fiaker prunkte im schmucken Zylinder Kutscher Schott, der so ofl den alten Chef gefahren hatte — und drinnen saßen — natürlich die Herren von >Film« und »Presse« I In der Turnhalle reihten sich weißgedeckte Tische — aus zahllosen Heinrich-Vasen schimmerte es in herbstbunten Farben — Kaffeetassen standen bereit — und ein verlockender Dufi erfüllte den Saal. Richtig — es gab ja Kaffee, echten Kaffeel Die Augen unserer Frauen strahlten — und auch wir Männer schmunzelten, als wir das erste Glas Bier tranken. Das war auch echt und hochprozentig. Alle Achtung I


Von der Bühne leuchteten die Worte »50 Jahre Heinrich-Porzellamt und darüber stand als Symbol und Erinnerung an den Wiederbeginn die qualmende Esse. Musik erklang. Das Summen und Geplauder der festlich bewegten Menge verstummte. Unser Chef, Direktor Adolf Heinridi, begrüßte die Gäste, die Werksangehörigen, den Präsidenten des L. A. A., die Vertreter staatlicher und städtischer Behörden — den Oberbürgermeister, Bürgermeister, die Stadträte — det Militärregierung, der keramischen Industrie, der Industrie- und Handelskammer, der Gewerkschaft, Presse und Gratulanten aus Freundes und Geschäflskreisen. Er nannte uns des Werkes Ehrengäste, sprach Von der gemeinsamen Arbeit und gab einen Oberblick über die Zahlungen det Firma, die anläßlich des 50 jährigen Bestehens erfolgten. An die Belegschaft wurden RM 30984.—, an Invaliden und Hinterbliebene RM 5748.— ausgezahlt. Die Stadtverwaltung erhielt für soziale Verwendung RM 15000.—. Gut taten seine anerkennenden Worte, die spürbare Verbundenheit der Leitung mit uns. Dann wünschte der Chef einen frohen Abend, den er unter das Motto stellte: »Wer schaffen will, muß fröhlich sein.« Der politische Bürgermeister der Stadt Selb, Sanitätsrat ^ Dr. Bogner, überbrachte in einer Ansprache die Glückwünsche der Stadt. Dr. Bogner, der von den 50 Jahren unserer Firma 41


miterlebte, gab einen interessanten Rückblick auf die damalige Zeit, von cfer es nach einem Ausspruch des >Oberrichtersf Josef Müller heißt: i W e n n in Selb heute ein paar Teller zusammengeschlagen werden, so wird morgen als Ersatz eine Porzellanfabrik gebaut.« Er sprach von dem fanatischen Arbeitseifer unseres hochverehrten Herrn Franz Heinrich, der alle, auch damals nicht geringen Schwierigkeiten überwunden habe und schilderte die Zielstrebigkeit und Lauterkeit des Bruders Ernst Heinrich, der nach dem Tode von Kommerzienrat Heinrich das Werk lenkte. Er vergaß nicht die Gattinnen und gedachte der Familien Jaeger-Adler. Der jungen Generation Heinrich rief Dr. Bogner das Dichterwort zu: >Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen.« Voll Vertrauen auf das Können und Wollen der heutigen Leitung wünschte er alles Gute. Der Präsident der Industrie- und Handelskammer Bayreuth, Dr. Pöhner, bestieg dann das Rednerpult und gratulierte im Namen der Kammer. Er lobte in knappen eindrucksvollen Worten die Tüchtigkeit der fränkischen Familienbetriebe und erwähnte besonders anerkennend die stets bewiesene Initiative der Herren Heinrich.


Paulus Dorn dankte in unser aller Namen. Er ließ noch einmal das Werk vor uns wachsen und werden und sprach von guten und schlechten Jahren, die gemeinsam durchlebt und getragen wurden, von dem familiären Zusammenarbeiten von Leitung und Betriebsangehörigen und wie die Belegschaft die bewiesene soziale Einsatzbereitschaft der Inhaber durch Treue und Anhänglichkeit lohne. Vier schmucke Mädchen überreichten Blumenspenden als Zeichen unseres Dankes. Damit war der offizielle Teil beendet. Die Reihen lockerten sich. Schmissige Musik lockte zum Tanze — die Alten setzten sich gemütlich zusammen. Zugunsten des Roten Kreuzes wurden Lose für die Tombola angeboten, um deren Stand sich die glücklicken Gewinner immer dichter stauten. Was gab es aber auch für praktische und schöne Raritäten: Kaffeeservice, Vasen, Teller, Kochlöffel, Teesiebe, Bratpfannen und Ascher waren dabei und als viel belachter Clou ein Potschamperl. So wechselten Tanz und Gelächter, Plaudern und Erinnern — bis gen Morgen sich die Reihen lichteten. Schön war es gewesen — und dankbar gingen wir nach Hause. Stolz fühlten wir uns als »Heinrich-Leute« und stolz werden wir weiterschaffen, damit »Heinrich-Porzellan« nicht nur in Deutschland, sondern bald wieder in aller Welt von guter, deutscher Werkmannsarbeit berichten kann.


Gostaltung und Text; Kurt Piepenstock, Unterhadiing bei M端nchen Typographie und G r a p h i k : W e r n e r Sdimidtner, M端ndien 23, Moltkestr. 7 Druck: Franz'sche Budidruckerei, G. Emil Mayer, M端nchen 2, Luisenitr. 17


DAS WIRTSCHAFTSS

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ERFOLGREICHE WIRTSCHAFTSFUHRER UND IHRE WERKE

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FOLGE 1 Wirtschaft

537

DAS WIRTSCHAFTS mit

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HEINRICH

Heinrich & Co Porzellanfabrik Selb-Bayern

VERLAG GEORG KUNZ GMBH • FRANKFURT A. M . • GEORG-SPEYER-STRASSE 19 • TEL. 74397 S c h r i f t l e i t u n g : Chefredakteur G e o r g K u n z - T i t e i i Herbert Hahn - F o t o s : Werkfotos Z e i c h n u n g e n : H a n n s E h m o n n - K l i s c h e e s : J u l i u s S t e e g e r ä Co. G. m. b. H., Bayreuth, Folge 1 Dos Wirtschafhinterview — Folge 2 Der Wirtschof^sreporter Nachdruck verboten


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BAVARIA

1939

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Dos letzte, hier gezeigte Signet ist dos Zeichen der Kunstabteiiung Seetol am Chiemsee. Außer dem Signet des Jahres 1939 wird seit 1949 das auf der nebenstehenden Seite abgebildete Zeichen besonders für Zwecke der Werbung gebraucht


' i e A n f a h r t : Reizvolle Ausblicke auf über tausend M e t e r h o h e Berge, Fichten, Tannen — Wiesenhänge — malerische Marktflecken, Dörfer, einzelne Gehöfte. Durch schmale Täler schlängeln sich zwischen W e i d e n und Erlen glasklare Flüßchen — Mühlen — da und dort ein Sägewerk — Steinbrüche — auf den Feldern reift das Getreide. Fichtelgebirge — Grenzland. Und inmitten dieser schönen Landschaft S e l b , die Stadt des Porzellans. Seit etwa einer Stunde hat der feine, leise rauschende Regen nachgelassen und in der lichten Bläue des sommerlichen Spätnachmittags sieht man jenseits der nur wenige Kilometer entfernten deutsch-tschechischen Grenze, umrahmt v o n dunklen W ä l d e r n , hingebettet an einen weiträumigen Hang, das sonnenbeschienene A s c h , eine einst blühende Stadt mit rein deutscher Bevölkerung.


van. a e u R - Rtictt A«F DIK MeiNR.k:H-Po«-2ei.iAN-wc«.ii6 „ J a " , nickt ein neben mir stehengebliebener alter Mann, „'nüberschauen können wir noch, aber 'nübergehen können w i r nimmer . . .". Nach einer W e i l e : „ A u f den Straßen, zwischen den Pflastersteinen, wächst das Unkraut . . ." Eine letzte Stadt vor der Grenze d o r t — und eine Stadt, die Stadt des Porzellans, eine letzte Stadt vor der Grenze hier.

In der Annahme, ihm seien die ortsüblichen Arbeitszeiten der in Selb ansässigen Industrie bekannt, f r a g e ich am A b e n d im Hotel den Kellner, w a n n man w o h l Herrn A d o l f Heinrich, den Chef der Firma Heinrich & Co., frühestens sprechen könne. A n t w o r t : „ A b sieben Uhr." „ W i e bitte?" A b sieben Uhr ist bei den „ H a r e ' s " alles im Betrieb. V o m Chef bis zum jüngsten Stift. „ D i e H a r e " , so nennt man hier mundartlich „ d i e Hein-


riche" in einer A r t respektvoll-vertraulicher Hochachtung; denn, das müssen Sie wissen, Selb und „ d i e H ö r e " sind zwei voneinander nicht zu trennende Begriffe. Der erste urkundlich nachweisbare „Heinrich" w i r d bereits 1562 in den Kirchenbüchern erwähnt, und Angehörige späterer Generationen w a r e n V e r w a l t e r des Pfaffenhofes, eines den M a r k g r a f e n von Bayreuth gehörenden Lehensgutes in der N ä h e v o n Selb. Jawohl, „ d i e Hare's" sind alteingesessene, waschechte Selber . . . „ A b sieben Uhr", wiederhole ich. Der Kellner lächelt ein wenig. Und ich denke etwas noch: die Grenze — und jenseits der Grenze eine Stadt, in der zwischen den Pflastersteinen das Unkraut wächst — und diesseits der Grenze eine Stadt, in der vom Chef bis zum jüngsten Stift . . . „Lassen Sie mich bitte um 6 Uhr wecken", sage ich, bevor ich mich auf mein Zimmer begebe. „Bitte sehr, um 6 Uhr." *

Am nächsten M o r g e n habe ich trotz der mir erteilten Auskunft gewisse Hemmungen, schon so zeitig anzurufen. Ich w a r t e also noch eine halbe Stunde. Dann hebe ich den Hörer ab. „ G e w i ß , Herr Heinrich ist bereits in der Fabrik." Die Verbindung w i r d hergestellt. Ich sage wer ich bin, was ich w i l l und frage, o b und w a n n ich kommen darf.


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«eINKlCH-STRASSE

„ A m besten gleich!" Ich bedanke mich und hänge ein. Eine Viertelstunde später: Höflicher Empfang, liebenswürdige Begrüßung. Ein kultiviert eingerichteter Raum. Neuzeitliche M ö b e l , hohe, die ganze W a n d einnehmende Schränke und Vitrinen, alte Gemälde — „schon mein Vater w a r ein Liebhaber und Sammler guter Bilder" — ein großer Schreibtisch, bedeckt mit Post, Papieren, Zeitschriften. A u f einem Nebentisch die Teile eines Mokkaservices mit Kanne, Sahnegießer, Zuckerdose und einem Gedeck. Die Stücke scheinen mir auffällig matt. Herr Heinrich bemerkt meinen prüfenden Blick. „Ein Gipsmodell", erklärt er, „ a l l e Porzellane beginnen, wenn w i r v o n den ganz am A n f a n g zu fertigenden zeichnerischen Entwürfen absehen, mit einem Gipsmodell." „Entschuldigen Sie bitte, ober sind die einzelnen Teile für ein M o k k a service nicht etwas g r o ß ? " „So, wie sie hier stehen, ja. Die Stücke werden jedoch im O f e n wesentlich kleiner, da die Porzellanmasse beim Brand schwindet."

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„ O h n e daß die Form dabei Schaden leidet?" „Bei den ersten, den sogenannten Probebränden, kann so etwas natürlich noch vorkommen. W e n n aber die Produktion erst einmal angelaufen ist, dürfen selbstverständlich keine Deformationen mehr auftreten." „Bei welchen Temperaturen brennen Sie Ihre Porzellane?" „ D e r G l a t t b r a n d erfolgt bei 1410 bis 1450 Grad. Und erst im G l a t t b r a n d oder Scharffeuer erlangt der Scherben unter mannigfachen physikalischen und chemischen Umsetzungen seine charakteristischen Eigenschaften. Erst im Feuer w i r d das Porzellan — P o r z e l l a n . " „Zigarette? Z i g a r r e ? "

.<-4.

SEETAl. A M

CHIEMSBE

Ich greife nach der Zigarette. A d o l f Heinrich steckt sich eine Zigarre an. Ueber dem Schreibtisch verflüchtigt sich ein feiner Schwaden bläulichen Rauches. „Es gibt ja in Selb und dessen Umgebung mehrere Porzellanfabriken von Ruf", wendet sich Herr Heinrich mir zu, „ w e s h a l b kommen Sie gerade zu uns?" „ W e i l der N a m e ,Heinrich-Porzellan' in den letzten Jahren immer mehr zum Begriff einer Produktion wurde, bei der sich technische Vollendung und vorbildliche Formgebung die W a a g e halten. Ich denke da unter anderem an Ihre Service ,Anmut'. - Ja, sie w a r e n es eigentlich, die mich bewogen, nach Selb zu fahren. A b e r vielleicht darf ich, um von vorn zu beginnen, erst einmal f r a g e n : Seit w a n n gibt es überhaupt HeinrichPorzellan?" „Heinrich-Porzellan gibt es, wenn w i r genau sein wollen, seit dem Jahre 1903."

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„Sie sagen, wenn wir genau sein w o l l e n ? " „Eben; denn die Gründung der Firma erfolgte bereits im Jahre 1896. Damals errichtete mein Vater, der Porzellanmaier Franz Heinrich, eine eigene Porzellanmalerei. Man kann nicht sagen, daß er gleich sehr groß angefangen hätte. Im Gegenteil. A n Stelle eines Backofens erbaute er in seinem Elternhaus eine Schmelzmuffel von nur einem dreiviertel Kubikmeter Fassungsvermögen. Die Porzellane, die er vorerst noch von anderen Fabrikanten bezog, dekorierte er selbst. Als Hilfskraft beschäftigte er eine einzige Arbeiterin." „Demnach hätte sich Ihr Unternehmen in der — wirtschaftlich gesehen — verhältnismäßig kurzen Spanne von nur einem halben Jahrhundert zu seiner heutigen Bedeutung entwickelt?" „Ja. Und neben meinem Vater, der zwar kaum ein Anfangskapital, dafür aber um so mehr Unternehmungsgeist und Elan besaß, hat ein besonderes Verdienst am raschen Aufstieg unserer Firma, gerade in der ersten Zeit, auch meine damals noch sehr junge, jedoch unermüdlich tätige Mutter, deren Umsicht wesentlich dazu beitrug, daß die Malerei im Jahre 1903 bereits fünfzig Personen beschäftigen konnte."

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„1903? - Sagten Sie nicht vorhin, daß es seit 1903 Heinrich-Porzellan g ä b e ? " „ G a n z recht, denn von jetzt an bezog mein Vater die zu bemalenden Stücke nicht mehr von anderen Herstellern. Im Jahre 1903 gewann er Ernst A d l e r , einen angesehenen Färbereibesitzer aus Asch als Teilhaber und nach Errichtung der erforderlichen Fabrikbauten fertigte er sein Porzellan selbst." „ — ich verstehe: dieses Porzellan v/ar also das erste Heinrich-Porzellan." „ A b e r zugleich auch das erste Porzellan, der sich von nun an — ebenfalls erstmalig — H E I N R I C H & C O . nennenden Firma." „ U n d der E r f o l g ? " „Ausgezeichnet! Die neue Produktion fand, als sie auf dem M a r k t er-

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schien, gleich solchen A n k l a n g , daß die Fabrik schon b a l d danach erheblich vergrößert werden mußte. Bereits drei Jahre später hatte sich die Anzahl der Ö f e n auf sechs und die der Beschäftigten auf 200 erhöht. Im Rahmen der großen Nürnberger Gewerbeaussteilung w u r d e zum erstenmal eine repräsentative Heinrich-Vase gezeigt und prämiiert. Die ersten Exporte bahnten sich an . . . " „Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Sie erwähnten vorhin Herr Adler aus Asch. Ich hatte gestern Gelegenheit, einen Blick über die Grenze zu tun — Sie beschäftigen doch sicher in Ihrem Unternehmen auch Flüchtlinge?" „36 Prozent unserer über 1200 Angesteliten, Facharbeiter und sonstigen Hilfskräfte sind ,von drüben'. Auch die Nachkommen Ernst Adlers mußten Asch verlassen. Sie fanden in Selb eine neue Heimat. Frau Tina JaegerA d l e r ist noch heute Mitinhaberin unserer W e r k e . " „Sie sprachen im Plural?" „ W i r besitzen drei W e r k e : zwei in Selb, die W e r k e A und B; außerdem gründeten w i r , nachdem w i r 1945 als erste Porzellanfabrik der Westzone die A r b e i t wieder aufgenommen hatten, im Jahre 1947 eine besondere Kunstabteilung Chiemsee."

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in Seetal

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„Diese Aktivität ist um so bemerkenswerter, zumal ich mir sagen ließ, d a ß die hiesige Porzellan - Industrie seit der unglückseligen Grenzziehung v o n ihren früheren HauptrohstofFbasen abgeschnitten sei." „ D a s stimmt. Auch w i r verloren neben ausgedehnten Kaolingruben eine betriebseigene Kaolinschlämmerei m i t W o h n und Wirtschaftsgebäuden in der N ä h e v o n Karlsbad. Die Versorgung unserer, zu den wichtigsten Zweigen der bayerischenWirtschaft zählenden Industrie mit Kaolin und Kohle wurde nach dem Kriege zu einem Rohstoffproblem ersten Ranges. Trotzdem mußten jich die Porzellanfobriken als . . ni- U DI "l storkste wrrtschaftliche Pfeiler


des o b e r f r ä n k i s c h - o b e r p f ä l zischen Grenzlandes mit allen Mitteln bemühen, ihre Erzeugung wieder anlaufen zu lassen und in G o n g zu halten, w o b e i immer wieder unüberwindlich scheinendeSchwierigkeiten - immer wieder überwunden w u r d e n . " „ U n d die Kaolinvorkommen in Deutschland?" „ D i e westdeutschen Kaoline weisen leider von N a t u r eine geringere Plastizität auf als die tschechischen. Um nun die Abhängigkeit von den insbesondere bei Zettlitz vorkommenden Tonerden wenigstens zu vermindern, arbeiten unsere Laboratorien mit Gewerbeförderungsmitteln des bayerischen Wirtschaftsministeriums laufend an der Veredlung einheimischer,insbesondere oberpfälzischer Kaoline."

TEUEß-PaeHE-ß.

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„Sie nannten vorhin Kaolin und Kohle in einem Atem. A b e r Kohle gibt es doch in Deutschland g e n ü g e n d ? " „ K o h l e an sich, ja. Unsere O f e n verlangen jedoch für das Vorfeuer eine besonders langflammige Kohle, wie sie vor dem Kriege die böhmischen Braun- und Steinkohlenreviere und die sächsischen Steinkohlengruben lieferten. Die Wichtigkeit auch dieses Problems mag Ihnen die Tatsache veranschaulichen, daß man zum Brennen eines Kilogramms Porzellan etwa acht Kilogramm Kohle benötigt." „Das ist ja ein überraschendes Verhältnis. Da kauft man eine Vase oder ein Service und bildet sich ein, in der Hauptsache — wenn ich so sagen d a r f - das strahlend W e i ß e zu bezahlen; dabei bezahlt man in Wirklichkeit viel mehr ,Schwarzes'." „ W e n n Sie nur die Rohstoffe in Betracht ziehen, ja." „Ich merke schon, die Materie ist so interessant, daß ich mich bemühen muß, in meine Fragen wieder etwas System zu bringen. Ihre Fabrik beschäftigte also nach zehnjährigem Bestehen bereits 200 Personen — . "

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„ D i e Fabrik meines Vaters." „Ja - natürlich - und wie ging es weiter? „Immerhin so, daß Heinrich & Co. schon kurz vor Ausbruch des ersten Weltkrieges mit zu den größten Firmen der deutschen Porzellanindustrie gehörte." „ U n d w a n n traten Sie in die Firma ein?" „ 1 9 2 7 - E i n Jahr später starb mein Vater. Die Führung des Betriebesübernahm sein schon seit 1918 neben ihm tätiger Bruder Ernst Heinrich, dessen besonderes Verdienst es ist, daß das von ihm mit Energie und Umsicht geleitete Unternehmen nicht nur die allgemeine Wirtschaftskrise der Jahre 1929 bis 1934 ohne fundamentale Schädigungen überstand, sondern darüber hinaus mit dem Erwerb der ehemaligen Porzellanfabrik

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, G r ä f & K r i p p n e r ' s o g a r noch eine Erweiterung erfuhr. Es handelt sich bei dieser Fabrik, die am 29. Juni 1952 einem Großfeuer zum O p f e r fiel, die aber bereits Ende O k t o b e r des gleichen Jahres wieder aufgebaut w a r , um unser heutiges, modernst ausgestattetes W e r k B." „Sie sagten, Herr Heinrich, d a ß sie 1927 in die Firma eintraten. Seit wann stehen Sie nun an deren Spitze?" „Seit 1942. Ich wurde der Nachfolger meines Onkels, der in diesem Jahre starb." „Ich hörte, Heinrich & Co. sei das größte Unternehmen seiner A r t in Familienbesitz?" „Ja." „ U n d sind außer Ihnen in Ihrer Firma auch noch andere Familienmitglieder als Mitarbeiter t ä t i g ? " „ D i e gesamte technische Leitung der Heinrich-Porzellan-Fabriken liegt in den Händen meines Vetters Franz Heinrich. Dessen Initiative haben w i r

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auch den raschen Wiederaufbau des Werkes B zu verdanken, der so zügig vonstatten ging, daß schon wenig Ober drei Monate nach dem erwähnten Brand die Produktion in vollem Umfange wieder aufgenommen werden konnte. Sein Bruder Gerhard Heinrich widmet sich u. a. Fragen der Betriebsorganisation und des Kostenwesens. Er nimmt Einfluß auf die formale und dekorative Gestaltung der sowohl für das Inland wie auch für das Ausland bestimmten Porzellane. Hinsichtlich seiner marktorientierten Tätigkeit ist Nordamerika sein besonderes Steckenpferd. Franz und G e r h a r d Heinrich sind Söhne meines schon vorhin genannten Onkels Ernst Heinrich. Frau Christiana Heinrich, deren Mutter, ist ebenfalls Mitinhaberin unserer Firma. Außerdem sind die Söhne Frau Tina JaegersAdler bei uns tätig. Herrn Dr. Dieter Jaeger obliegen vielfache finanzielle Dispositionen, die gerade für einen stark exportorientierten Betrieb wie den unsrigen, besonders wichtig sind. So müssen die währungstechnischen Maßnahmen des In- und Auslandes fortlaufend beobachtet und entsprechend beachtet werden, um die Funktion der zwischenstaatlichen Zahlungsabkommen zu gewährleisten. Außer für weitere Aufgaben devisenrechtlicher Natur, der Grundstücksverwaltung und des Versicherungswesens wurde er auch dazu ausersehen, mit den meist sehr wissensdurstigen Herren der Steuerämter, deren Auffassung na, sagen wir, zuweilen geringfügig von der unseren a b w e i c h t - in jenem Umgangston zu verkehren, der trotz einer dabei meist etwas spannungsgeladenen Atmosphäre noch als verbindlich bezeichnet werden kann. Herr Ernst Jaeger ist verantwortlich für den Einkauf sämtlicher Betriebsmaterialien, einschließlich aller Rohstoffe vom Kaolin bis zum Gold - wir verarbeiten jährlich allein ca. 200 Kilogramm an Goldpräparaten daneben untersteht ihm als Ingenieur unser betriebseigener Stab von über 50 Elektrikern, Installateuren, Schreinern, Zimmerleuten,Schlossern ' 4CAPselJ>R.eheb> «JW^^»»«^ und sonstigen Handwerkern."

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„Sie erwähnten mehrmals Ihren Export. W i e hoch ist der prozentuale Anteil Ihrer Ausfuhr, gemessen an Ihrer G e s a m t p r o d u k t i o n ? " „ D i e Zahl unterliegt selbstverständlich gewissen periodischen Schwankungen. Im Durchschnitt exportieren w i r 50 bis 60 Prozent. Diesem Export — wie natürlich auch der Auslieferung an das Inland — dient eine moderne, den Anforderungen neuzeitlicher Versandtechnik entsprechende, erst 1953 erbaute Expeditionshalle von 75 Meter Länge und 25 Meter Breite mit vollkommener Unterkellerung und 4000 qm Lagerräumen." „Hatten Sie in der letzten Zeit einen besonders interessanten Exportauftrag?" „Ich muß schon sagen, Sie gehen der Sache aber verdammt auf den Grund. Und wenn w i r nun keinen hätten? peinlich - w a s ? " „Besonders für mich." „ N u n - ich weiß nicht - aber Sie haben Glück. W a s sagen Sie dazu, daß wir zum Beispiel die Jacht des griechischen Tankerkönigs Onassis mit H e i n r i c h - P o r z e l l a n ausgestattet h a b e n ? " „ D a z u kann ich Ihnen nur gratulieren!" „Danke."

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„ M i t ihrer Form , A n m u t ' ? " „Ja." „Seit wann gibt es diese Form?" Unsere Form ,Anmut', die auf der IX. Triennale in M a i l a n d mit der einzigen für Porzellan verliehenen Goldenen M e daille ausgezeichnet wurde, gibt es seit 1949. „ W e r hat sie e n t w o r f e n ? " „ K a r l Leutner. Er ist Lehrer an derModelleurklasse derStaatlichen Höheren Fachschule für Porzellan in Selb." „ - und - wieviel , A n m u t ' -


Porzellan haben Sie bis heute verkauft?" „ W a r e n Sie f r ü h e r 'mal Untersuchungsrichter? Ihre G r ü n d lichkeit schlägt einem ja g l a t t auf den M a g e n . " Herr Heinrich erhebt sich, entnimmt

einem

Schrank

eine

Flasche sowie zwei Gläser und gießt ein. IMirseinGlas entgegenhebend: „ A n einzelnen Stücken, so, w i e sie zu Tafel-, KafFee-, Tee- und Mokka-Servicen gehören, fertigten w i r bis jetzt rund 25 Millionen, das entspricht etwa 550000 Servicen." „ U n d w o r a u f führen Sie diesen außerordentlichen Erfolg z u rück?" „DieService,Anmut'sowie eine Reihe ihnen v e r w a n d t e r und gleichzeitig entwickelter G e schenkporzeliane zeichnen BLICK J)V/RCH PIE T O R E E i n E S R . U N P O F 6 M S A V F J)IE lOAPSEl-STÖSSE l/M CJLATTiRANPRAyArt. sich - ich d a r f das aussprechen, VOR BEC3INN D e s B R A N P E i WIB-P piE tORE o h n e G e f a h r laufen zu müssen, AMT H O C H F E U E i V E S T E N SCHAMOTTESTEINEN unberechtigt pro d o m o zu Z W S EAAAVJER.T r e d e n - d u r c h f o r m a l überzeugende Gestaltung und durch technisch beste V e r a r b e i t u n g aus. M a n verließ mit der ihrer Fertigung zugrundeliegenden W i e d e r b e s i n n u n g a u f die überzeitliche G ü l t i g k e i t der reinen Form den ausgetretenen W e g lediglich äußerlicher N a c h a h m u n g historischer V o r b i l d e r . Die Porzellane verzichten bewußt a u f jedes f o r m a l e Beiwerk. Um so einprägsamer v e r k ö r p e r n sie in der Ausgeglichenheit ihrer räumlichen Verhältnisse und im organischen A u f b a u ihrer Einzelteile das Prinzip der alle M a ß e zum Ebenmaß o r d n e n d e n H a r m o n i e , das sie w e i t über die Stufe vielleicht heute m o d e r n e r , a b e r schon m o r g e n veralteter Durchschnittsware erhebt. In ihrer Synthese aus Z w e c k m ä ß i g k e i t und Schönheit sind sie so kultiviert und z e i t g e m ä ß w i e nur möglich, aber zugleich auch v o n jener überzeitlichen G ü l t i g k e i t , die keinen modischen W a n d l u n g e n u n t e r w o r f e n ist. Porzellan, das d a r a u f Anspruch erhebt, wirklich gutes Porzellan zu sein, d a r f als Gegenstand unseres täglichen

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und oft lebenslänglichen Umgangs auch mit den Jahren nichts von der Schönheit einbüßen, die uns zu seiner Anschaffung bewog." „Stimmt es, daß man olle Teile der Service ohne jeden Preisaufschlag einzeln kaufen kann?" „ D i e T a t s a c h e , d a ß , A n m u t ' nie veraltet, stellen wir bewußt in den Dienst einer individuellen Bedienung des Kunden. Die Zeiten, da sich der Käufer damit begnügte, ein ,komplettes' Service zu erwerben, sind vorBRENNEC. VOR. EINS/VN »ER. FtueR.KiiTeN I bei. Natürlich gibt es auch jetzt EINE'S SL-»TTBK>NBOFENS noch Standardservice, aber die Hausfrauen gehen immer mehr dazu über, sich die einzelnen Teile selbst auszuwählen, und zwar so, w i e es den Gepflogenheiten ihrer speziellen Haushaltsführung entspricht. Junge Eheleute, die sich sonst den Erwerb geschmackvollen Porzellans vielleicht versagen müßten, können auf diese Weise mit den für zwei oder drei Personen benötigten Teilen beginnen und allmählich — ein auch wirtschaftlich nicht zu unterschätzender V o r z u g — ihr »wachsendes Service' über weitere Gedecke sowie Gebäck-, Butter- und Konfitürendosen, Brotschalen, Kannenuntersätze, Eierbecher, Salz- und Pfefferstreuer, ja sogar dazu passende Fruchtschalen und Vasen, mit allem ergänzen, was sie v o m Frühstück bis zur festlichen Tafel brauchen. Noch unterschiedlicheren Varianten von Servicezusammenstellungen als im Inland begegnen w i r beim Export. W ä h r e n d z. B. die Schweiz bei einem Kaffeeservice für sechs Personen nur eine vierpersönliche Kaffeekanne, d a f ü r aber einen Einlitermilchgießer v e r l a n g t - i n Deutschland ist der 0,35 Liter fassende Gießer üblich — besteht das normale Kaffeeservice für die gleiche Personenzahl in Italien aus der zweipersönlichen Kaffeekanne, also der Kanne, die w i r in Deutschland als M o k k a k a n n e oder als Kanne für ein Dejeuner benutzen sowie dem zweipersönlichen Sahnegießer, der zweipersönlichen Zuckerdose und sechs Mokkatassen. Es existieren kaum einige landesübliche Service, die miteinander übereinstimmen. Dazu verlangen manche Länder noch Spezialformen, die wiederum nur in diesen Ländern verkäuflich sind."

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„ D i e Produktion einer Porzellanfabrik ist demnach noch viel mannigfaltiger als man gemeinhin annimmt." „ G e w i ß . Und außerdem, w i e w o h l sonst nicht gleich in einem anderen Wirtschaftssektor das Ergebnis einer Leistung, an der Industrie und Handwerk, Kunst und Technik gleichermaßen beteiligt sind. Trotz einiger Verbesserungen, die sich w ä h r e n d des Gebrauchs gewissermaßen v o n selbst ergaben, ist die Drehscheibe, an der heute unsere Modelleure arbeiten, nichts anderes als die Töpferscheibe, die in China bereits unter der Regentschaft des mythischen Kaisers Huang-Ti im dritten Jahrtausend vor Christi erfunden wurde. Auch dürfen wir nicht übersehen, daß sich uns mit der V e r w e n d u n g des Kaolins, den w i r als Verwitterungsprodukt feldspathaltiger Urgesteine definieren können, lediglich ein neuer Bezirk keramischer Möglichkeiten erschloß. Die Herstellung von ,Geschirr' ist ja eine der ältesten Betätigungen des Menschen überhaupt. Und eine Industrie wie unsere Porzellanindustrie, deren früheste A n f ä n g e bis auf über 13000 Jahre alte ägyptische Töpferwaren und europäische Funde aus der Eiszeit zurückreichen, mußte sich zwangsläufig, selbst im Rahmen der ,Industrialisierung' hand-werklicher entwickeln, als etwa andere Industrien, die von vornherein .industrieller' begannen. Auch die Entführung des verhältnismäßig jungen Gießverfahrens, bei dem die einzelnen Stücke mit Hilfe des Schlickers, einer durch Beifügung von Wasser und Alkalien abermals verflüssigtenMasse gegossen werden, ändert nichts an der Tatsache, daß am A n f a n g jeder Fertigung immer wieder das Modell steht, ein ursprüngliches, handwerklich gestaltetes Vorbild, dem späterhin alle Stücke, auch bei noch so umfangreicher Serienproduktion genau entsprechen müssen."

„ W i e lange dauert die Entwicklung einerForm einschließlich sämtlicher Einzelteile bis mit ihrer Serienfertigung begonnen werden kann?" „Je nachdem, mehrere Monate bis über ein Jahr."

\

fö^kElUNMALER.

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„ U n d was kostet eine solche Entwicklung?" „Alles in allem 2 0 0 0 0 0 DM."

1 0 0 0 0 0 bis

„ U n d wenn es nachher ,nichts ist'?" „ D a n n ist es eben leider nicht so,daß es nur,nichts ist' - d a f ü r sprechen schon die investierten Beträge eine zu aufschlußreiche Sprache." „ U n d g i b t es irgendweiche Möglichkeiten . . ." „Sie wollen sagen, den Erfolg im voraus zu berechnen?" „ N u n , m a n versuchtes unterZugrundelegung gewisserMarktanalysen, des Stilbewußtseins bestimmter Käuferschichten und anderer Faktoren natürlich zu tun. Aber Publikum, Käuferschichten, Menschen sind eben doch etwas anderes, als mathematische Gleichungen. Rechnen Sie einmal einen Menschen aus! Und weil man dabei allerhand Ueberraschungen, um nicht zu sagen, immer wieder von neuem seine blauen W u n d e r erleben kann, beginnen wir dort, w o die Ausrechnung nicht mehr aufgeht, mit dem Gegenteil, mit der Einfühlung, mit der psychologischen Lenkung, mit der Dynamik einer guten W e r b u n g . " „ U m nochmals auf die Entwicklung eines Services zurückzugreifen, wie viele Modelle mußten für Ihre Form ,Anmut' angefertigt w e r d e n ? " „118 Haupt- und 146 Nebenmodelle." „Das w ä r e n zusammen 264." „ W o b e i ich als Hauptmodelle die Modelle für die eigentlichen Porzellankörper und als Nebenmodelle die Modelle für Henkel, Schnaupen, Knöpfe und sonstige Zusatzteile bezeichne. Den O r i g i n a l m o d e l l e n f o l g e n dann in mehrmaligem Umgußverfahren die Mutterformen, die Arbeitsmodelle und schließlich die Arbeitsformen, deren Hohlraum als N e g a t i v dem Positiv, dem vollen Gipskörper des Originalmodells genau entspricht. Die Arbeitsformen bestehen ebenfalls aus Gips. Ihre Lebensdauer ist beschränkt. Sie müssen also im Laufe der Produktion immer wieder erneuert werden." „Sind das die Formen, in die der Schlicker gegossen w i r d ? "

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„ J a , und da Gips hygroskopisch ist, also Feuchtigkeit aufsaugt, w i r d dem eingefüllten Schlicker, w o er der Arbeitsform anliegt, Wasser entzogen. Er trocknet also an der Innenwandung des Formmantels aus, so daß er dort nicht mehr mit abfließen kann, wenn die übrige, flüssig gebliebene Masse nach mehreren Minuten wieder ausgegossen wird. Die Folge: In der Arbeitsform bleibt ein sogenannter ,Formling' zurück. Dieser Formling hat eine gewisse Scherbenstärke und ist die künftige Kanne oder Vase im Rohzustand. Nach ein bis zwei Stunden w i r d er seiner aus mehreren Teilen bestehenden Arbeitsform entnommen, getrocknet, verputzt und — mit anderen Stücken v o n einer schützenden Schamottekapsel umschlossen — bei etwa 900 G r a d Celsius im Brennofen verglüht. Anschließend glasiert man ihn und zwar in besonderen Fällen durch Begießen, meist jedoch durch Eintauchen in die Glasurmasse, ein den Porzellangrundmassen verwandtes, ober mehr Flußmittel enthaltendes Silikatgemisch. Die schon beim Verglühen einsetzende Schwindung erhöht sich beim 20 bis 45 Stunden w ä h r e n d e n G l a t t b r a n d in Ö f e n von 60 und mehr Kubikmeter Rauminhalt — sie fassen jeder 8000 bis 12000 Stück Porzellan - auf linear 11 bis 16 Prozent, die Stücke sintern, werden absolut unporös, transparent und blütenweiß." „ W i r sprachen vorhin d a v o n , daß zur Entwicklung der Serie ,Anmut' 264 Modelle nötig gewesen seien. W i e v i e l e Arbeitsgänge treffen nun im Durchschnitt auf ein einzelnes, jeweils einem dieser Modelle entsprechendes Stück Porzellan?" „Eine mittlere Zahl läßt sich hier w o h l nicht gut nennen. Dazu weichen die Formen zu sehr voneinander ab. A b e r mit wenigstens 30 bis zu teilweise weit über 100 Arbeitsgängen p r o Stück können Sie rechnen." „ U n d wieviele verschiedene Einzelformen, ich meine da Tassen, Teller, Kannen, Vasen und andere Porzellane befinden sich in ihrer derzeitigen Fertigung?" „ A n 800." „ W i e v i e l e derartige Formen gibt es in Ihren W e r k e n ü b e r h a u p t ? " „Rund 1500." „ M i t wie vielen Dekors?" „ M i t insgesamt 38000." „ U n d wieviele Dekors umfaßt Inre gegenwärtige

Produktion?"

„ W i r arbeiten zur Zeit mit etwa 800 Dekors verschiedenster Mal-, Gravur-, Druck- und Ätztechniken, einschließlich der etwa 25 Muster für unser Heinrich-Gemmo-Porzellan." „Apropos

Heinrich-Gemmo-Porzellan."

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PlE P E K O R . S

W E R . P e N IN M O F P E U N ( K H / v \ E L Z ( S F e N ) BPl 560«^. «SOSRAP DER.CiLA$VP. A O F G E B P A N N T

„Es handelt sich dabei hauptsächlich um Geschenkporzellane, bei denen eigens dafür entworfene Spezialdekors mit Hilfe eines durch In- und Auslandspatente geschützten Verfahrens, die Glasur bis in die Tiefe des Scherbens durchschneidend, in diesen eingeschliffen werden. Durch die anschließend erfolgende Auslegung der Schnittflächen mit G o l d ergeben sich äußerst reizvolle, von jeder anderen Dekorationsart abweichende Wirkungen. „ W i e v i e l e G e m m o p o r z e l l a n e fertigen Sie pro J a h r ? " „Rund 100000 Stück." „ U n d wieviele Porzellane umfaßt Ihre gesamte Jahresproduktion?" „Sechs Millionen Stück. Dazu verbrauchen w i r 1680 W a g g o n s an Kaolin, Q u a r z , Feldspat, Gips, Kohle und sonstigen Rohstoffen, das sind allein an Kohle pro M o n a t 3 Güterzüge zu je 20 W a g g o n s . " „Sechs Millionen Stück — eine Z a h l . . . " „ i c h weiß - man hat dabei keine allzu präzise Vorstellung - aber nehmen w i r an, Heinrich & Co. produziere ein Jahr long — was natürlich in der Praxis nicht v o r k o m m t — nur Teller. Das w ä r e n 11 500 000 Stück. Diese

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Teller aneinandergereiht ergäben eine Strecke v o n rund 3000 km Länge, das entspräche sechsmal der Fluglinie München—Berlin. O d e r noch anders: Angenommen, diese Teller w ü r d e n so aufeinandergestellt, wie Hausfrauen Teller zu Stößen stapeln, also immer einer in den anderen, wir bekämen dabei 2400 Tellersäulen von je 50 Meter Höhe. Könnten w i r nun unsere wirkliche Jahresproduktion in der gleichen W e i s e aufeinanderstapeln, so ließe sich damit eine 10 Meter hohe und 15 Kilometer lange Porzellanmauer errichten. Daß eine derartige Leistung nur möglich ist, wenn alle an ihrem Zustandekommen Beteiligten Hand in Hand arbeiten, versteht sich v o n selbst. Jeder ist hier in gleicher Weise wichtig, der Techniker wie der Künstler, der hochqualifizierte Facharbeiter wie der kaufmännische Angestellte. Erst im Zusammenspiel aller Kräfte, bei dem es keine Ersten und keine Letzten gibt, sondern jeder an seinem Platz die Verantwortung trägt, die ihm zugewiesen ist, kann eine industrielle Erzeugung mehr werden, als eine Summe ihrer Erzeugnisse. Und so gebührt auch jedem die gleiche Anerkennung, jedem, der dazu beiträgt, unser Heinrich-Porzellan zu einem Produkt zu machen, dessen wesentlicher W e r t w o h l d a r i n besteht, daß es von Menschen geschaffen w i r d , Menschen Freude zu bereiten und Menschen zu dienen.

Den Nachmittag verwende ich zur Besichtigung der Fabrik. Immer wieder von neuem w i r d mein Staunen wachgerufen, sowohl Ober den Umfang der Fertigung, als auch über die Vielfalt kaum vermuteter zusätzlicher Arbeitsgänge vom Entwurf der Dekors bis zu deren Reproduktion, w o b e i allein das Bedrucken der großen Papierbogen zuweilen bis z w a n z i g und mehr Farbaufträge erfordert. Ich sehe die weitgespannte Skala der Verrichtungen von der maschinellen Aufbereitung des Rohmaterials bis zur minutiösen Genauigkeit der Graveure, ich atme den Duft des in der Malerei verwendeten Nelkenöles, ich beobachte, wie Teller und Tassen gerändert werden und entdecke, daß die dabei gebrauchten, anfänglich unansehnlich wirkenden Präparate, sich in der Schmelzmuffel zu eleganten, mattglänzenden Bändern metallischen Goldes verwandeln.

Es ist bereits spät, als ich meinen W a g e n besteige, um Selb wieder zu verlassen. Aus mehreren Kaminen der W e r k e A und B quillt in wirbelnden Schwaden massiger Rauch. Selbst die rasch einfallende Nacht vermag die qualmigen Säulen nicht aufzuschlucken. Deutlich stehen sie vor dem bleigrauen Hintergrund des sich mehr und mehr mit Sternen bedeckenden

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Himmels. Die Straße beginnt langsam zu steigen. In regelmäßigen Abständen gleiten die Bäume der Allee in die Kegel der Scheinwerfer meines Wagens, wachsen ins Riesengroße und stürzen jäh zurück in die sich hinter mir wieder schließende Nacht. „Eine Schmelzmuffel", denke ich, „ v o n nur einem Dreiviertelkubikmeter Fassungsvermögen - das w a r einst - und was ist heute?" In mir ersteht das Bild der Brenner, so, wie ich sie nachmittags in W i r k l i c h k e i t sah, im Brennhaus von Feuerkasten zu Feuerkasten um die heißen Ö f e n herumgehend, jedesmal, wenn frische Kohlen a u f g e w o r f e n werden, grell beleuchtet v o n der Glut, die sie schüren, damit in den feuerumwaberten Kapseln aus jener Masse, deren Hauptbestandteile Kaolin, Feldspat und Q u a r z bilden, in geheimnisvoller W a n d l u n g sich etwas völlig Neues gestalte — Porzellan. Als ich den Scheitel der Anhöhe erreicht habe, steige ich aus und schaue nochmals zurück. Glutrot stehen nun die sogenannten ,Füchse', aus den Kaminen hervorschießende, acht bis zehn Meter hohe Flammen über den Dächern. Lautlos lohende, aber bei aller Lautlosigkeit tönende feurige Zungen, Symbole jenes Strebens, das Stoffe zu Dingen f o r m t , die, von Menschen erdacht und über das Tun menschlicher Hönde verwirklicht, unsere Dinge sind,

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F O R M V O L L E N D E T K U L T I V I E R T E L E G A N T


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