Porzellanfabrik Paul Müller

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SELBER TAGBLATT Vor dem Abbruch: Erinnerung an ein Stück Wirtschaftsgeschichte

Die kurze Blüte der Müllerfabrik

Die Porzellanfabrik Paul Müller auf einem historischen Foto. Wolfgang Schilling schätzt, dass die Aufnahme um 1 9 0 0 entstanden sein dürfte. Fotos: ArchivZeitler

Im Jahr 1890 gründet Paul Müller seine Porzellanher­ stellung in Selb. Ihre Geschichte endet endgültig Mitte September. Dann lässt die Stadt die Gebäude abreißen. Von Andreas Godawa Selb - Übernächste Woche, am 17.

oder 18. September, rücken in der Hartmannstraße in Selb die Bagger an: Dann wird die Firma Erd- und Tiefbau Ebersbach aus Oelsnitz mit den Abbrucharbeiten der Müllerfa­ brik beginnen. Schon seit einigen Wochen waren die Mitarbeiter des Kommunaluntem ehm ens Umwelt­ schutz Fichtelgebirge (Kufi) damit beschäftigt, die Gebäude zu räumen. Wie Oberbürgermeister Wolfgang Kreil mitteilt, wird das Abrissunter­ nehm en vom komm enden Montag an die Türen und Fenster entfernen, die Gebäude also entkernen, bevor der eigentliche Abbruch beginnt. Im täglichen Sprachgebrauch n en n t m an die alten Produktionsgebäude einfach die Müllerfabrik. Was es genau mit diesem Porzellanher­ steller auf sich hat und wie die Fir­ mengeschichte aussieht, wissen aber nur wenige. Licht in das Dunkel der Geschichte kann da der Kurator des Porzellanikons in Selb, Wolfgang Schilling, bringen. Nach seinen Re­ cherchen wurde die Porzellanfabrik von Paul Müller im Jahr 1890 ge­ gründet. Damals nahm die Porzel­ lanindustrie in Selb gerade ihren gro­

ßen Aufschwung. Es existierten be­ reits Hutschenreuther, Rosental und die Zeidlersche Fabrik in Selb-Plößberg. Später sollten natürlich noch viele weitere dazukommen. In den 1920er-Jahren gab es nach Schillings Angaben rund ein Dutzend Fertigungsstät­ ten für Porzel­ lan und Kera­ mik in Selb. 1910 beschäf­ tigte das Unter­ nehm en bereits 350 Mitarbeiter. Geschäftsführer war zu dieser Zeit Hermann Müller, der Sohn Paul Müllers. Als eigenständige Firma bestand die Porzellanfabrik al­ lerdings nur bis zum Jahr 1917. Dann wurde sie von der Lorenz Hut­ schenreuther AG übernom m en. Von

diesem Zeitpunkt an wurde in den Gebäuden an der Hartmannstraße zwar noch weiter Porzellan herge­ stellt, allerdings nur noch m it dem Namenszusatz „Abteilung Paul Mül­ ler".

Je kürzer eine Fabrik existierte, desto schwieriger ist es, ihre Geschichte nachzuvollziehen. Wolfgang Schilling, Kurator des Porzellanikons Selb

Direktor blieb der in den Hutschenreuther-Vorstand gewechselte Kommerzienrat Hermann Müller. „Der tauchte dann noch in ein paar Vorstandsunterlagen auf, sonst trat er kaum in Erscheinung", sagt Schil­ ling. Überhaupt gebe es kaum gesi­

Das Mokaservice Charlotte wurde 1931 bei der Abteilung Paul Müller der Lorenz Hutschenreuther AG gefertigt. Foto: Porzellanikon

cherte Quellen über die Familie Mül­ ler. Im Jahr 1943 wurde die Produk­ tion der Königlichen Porzellanma­ nufaktur (KPM) Berlin kriegsbedingt in die Fabrikgebäude verlagert. Die letzten Abteilungen verließen Selb erst 1955. „Danach ist hier kein Por­ zellan m ehr produziert worden", sagt der Kurator.. Weitergehende Unterlagen zur Porzellanfabrik Paul Müller gibt es kaum. Das sei allerdings nicht weiter verwunderlich, sagt Schilling. Die meisten Inform ationen zu einem U nternehm en bekommt auch das Porzellanikon vor allem aus den fir­ meneigenen Archiven. „Wenn nun eine Porzellanfabrik nur ein oder zwei Jahrzehnte existierte, dann übernommen wurde oder Pleite ging, sind die Akten meist vernichtet worden“, erzählt der Kurator. Meist hatten die neuen Besitzer kein Inte­ resse an der Geschichte der über­ nom m enen Fabrik. Ähnlich dürftig wie bei Paul Müller sei die Quellenla­ ge etwa zur Porzellanfabrik Gräf & Krippner oder zur Porzellanfabrik Josef Rieber. Eine erschöpfende Recherche bräuchte enorm viel Zeit. Dazu müs­ se man sich durch die Einträge der Handelsregister oder die Akten der Amtsgerichte wühlen. „Und je kür­ zer eine Firma existiert hat, desto schwieriger wird es." Wie zeitauf­ wendig solche Recherchen sind, be­ weisen zwei Zahlen: In den vergan­ genen 20 Jahren hat das Porzellan­ ikon die Geschichte von rund 15 Un­ ternehm en aufgearbeitet. Insgesamt gab es in Deutschland allerdings 400 Porzellanfabriken.


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