MARKETS STÖCKLI
FOKUSSIERT Stöckli-Chef Marc Gläser richtet sich im Rennsport voll und ganz auf Marco Odermatt aus.
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BEFREIUNGSSCHLAG Marco Odermatt zerschlug mit seinem Sieg die Kritik, Stöckli-Ski seien langsamer auf dem chinesischen Kunstschnee.
Doppelsieg Stöckli CEO Marc Gläser hat gezeigt, dass der kleine Hersteller mit den Branchenriesen mithalten kann. Nun will er in China wachsen.
Fotos: Herbert Zimmermann für BILANZ, Keystone
von BASTIAN HEINIGER
E
r wollte eigentlich seine Nerven schonen. Und den Olympia-Riesenslalom erst schauen, wenn er vorbei war. An Schlaf war für Marc Gläser dann aber doch nicht zu denken, und so sass der Stöckli-Chef frühmorgens vor dem Fernseher und verfolgte die beiden Läufe seines Skistars Marco Odermatt. «Es stand viel auf dem Spiel», sagt Gläser, der seit 2016 auch mit zehn Prozent am Unternehmen beteiligt ist. In der OlympiaAbfahrt hätten sich die Fans vom Füh renden im Gesamtweltcup mehr erhofft, und das Ausscheiden im Super-G sei eine Enttäuschung gewesen. Auch wurmten
den 53-Jährigen die bereits aufkommenden Unkenrufe, Stöckli-Ski seien lang samer im chinesischen Kunstschnee. Unfug, aus Gläsers Sicht. «Es ist auch immer eine Frage des ganzen Set-ups.» Man habe ja über die Saison gezeigt, dass das Material unter unterschiedlichsten Verhältnissen schnell ist. Und dann welch ein Höllenritt: Im heftigen Schneetreiben startet Odermatt als letzter Fahrer in den zweiten Lauf, Nebel ist aufgezogen, allmählich dunkelt es ein, und je näher er dem Ziel kommt, desto mehr schmilzt der Vorsprung. Die Anspannung vor dem TV steigt ins Unermessliche. Umso grösser die Befreiung, als es unten grün aufleuchtet. «Ich habe geschrien und laut ge-
jubelt», sagt Gläser. «Gefühlt sind wir auch Olympiasieger geworden.» Quasi ein Doppelsieg. Ein Schweizer auf Schweizer Ski.
OLYMPIA- UND WELTCUPSIEG
Dank Odermatts Vorsprung sollte dies auch im Gesamtweltcup gelingen. Es wäre eine Premiere. Dabei zweifelten manche Experten, als der Nidwaldner vor einem Jahr den Vertrag mit Stöckli verlängerte, dass der kleine Hersteller aus dem luzer nischen Malters in drei Disziplinen Siegerski bereitstellen könne. Gläser, ein hochgeschossener Mann mit athletischer Statur, spricht von der Marke Stöckli als gallischem Dorf im Reich der grossen Player um Atomic, Head und •
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VIELSCHICHTIG Die Ski werden aus bis zu 23 Lagen zusammen gefügt. Oben steht bereits zugeschnittenes Fiberglaslaminat bereit. UNTER DRUCK Beim Zusammenbauen sitzt jeder Handgriff, die Mitarbeitenden haben selber ein sportliches Tempo drauf. Danach kommen die Ski in die Pressen (rechts).
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Schweizer Markt im Vergleich
«Alles fahrt Schii»
Corona bremste den zuvor wachsenden Absatzmarkt für Ski alpin in der Schweiz. Schweiz
800 in tausend Stück
1 58 Skischuhe
%
Österreich Frankreich
0
9 22
19 6
200
Skibindungen
29
5
400
Ski alpin
17/18 18/19 19/20 Quelle: FESI, Marktschätzung ASMAS, Sportbiz
Anteil der Skifahrer an der Bevölkerung ausgewählter Länder
USA
600
24 3
Fährt man von Luzern ein paar Minuten in Richtung Willisau, kommt man an der Stöckli-Manufaktur vorbei, einem unscheinbaren Industriegebäude, an dessen Front ein riesiges Odermatt-Plakat hängt. Im Eingangsbereich stehen alte, lange Holzlatten. Sie gehörten Josef Stöckli, der
Bretter aus Eschenholz, um sie in Form zu biegen. Das Resultat war so gut, dass bald Aufträge von Bekannten folgten. Im grösseren Stil produziert wurde von 1986 an mit der Inbetriebnahme der Manufaktur. Doch von Fachhändlern wurden die Ski verschmäht, weil Stöckli damals nur direkt an die Endkunden verkaufte und damit
6 22 5
START AUF HOLZLATTEN
die Firma 1935 gründete. «Damit hatte er Rückwärtssalti gemacht», sagt Gläser. Es muss ein wilder Typ gewesen sein, dieser Stöckli. Gemäss Firmengeschichte feuerte er eines Tages den Waschhafen seiner Mutter ein, füllte den grossen Bottich mit Wasser und dämpfte die zuvor in der elterlichen Zimmerei zurechtgeschnittenen
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Rossignol. Zum Vergleich: Die Schweizer produzierten 2019 rund 60 000 Ski. Atomic, der grösste Hersteller, der heute zum chinesischen Anta-Sports-Konzern gehört und in Österreich Ski für die Marken Atomic, Salomon, Armada und Volant presst, kommt hingegen auf bis zu 680 000 Paar. Andere helvetische Pioniere wie Streule, Attenhofer, Schwendener oder Authier sind längst verschwunden. Etwas Aufwind haben kleine Nischenplayer, die jedoch im Jahr höchstens einige hundert Paar fertigen. Doch wie schafft es Stöckli, sich neben der Piste auch im nicht minder knallharten wirtschaftlichen Wettkampf zu behaupten?
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2020/21
Schweiz Österreich Finnland Norwegen Schweden Deutschland Frankreich Italien Grossbritannien Japan USA
10
20
30
40 35 34
23 22 18 18 13 12 10 9 8
Saison 2019/2020. Quelle: Laurent Vanat, Statista, 2021
FÜR DIE RENNSTRECKE Rennsport-Ski wurden aufbereitet (l.), und stehen wieder zur Abholung bereit. SWISS MADE Dass die Stöckli-Ski komplett in der Schweiz entstehen, wird mit dem Schweizer Kreuz auf der Unterseite der Ski betont.
Marke gewechselt – nachdem ihm bei einem Juniorenrennen ein Freund auf Stöckli davongefahren war. Odermatt musste also gar nicht angeworben werden, es hat sich so ergeben – ein Lottosechser für den Hersteller. «Müsste ich einen Skibotschafter erfinden, wäre er genau so wie Odermatt», sagt Gläser. Zwar hatte man mit Tina Maze bereits eine Spitzenfahrerin, die den ehemaligen Insiderbrand auf die Weltkarte setzte; Siege an Olympia, WM und Gewinn des Gesamtweltcups gehören zum Palmarès der heute 38-jährigen Slowenin. Doch an Topfahrer heranzukommen, ist schwierig, und sie sich zu leisten, eine Herkulesaufgabe. Aber sie ist wirtschaftlich notwendig, schlagen sich doch Podestplätze in den Verkaufszahlen nieder. Es geht dabei um mehr als den blossen Werbeeffekt: «Erfolge im Rennsport geben den Endkonsumenten das Vertrauen, ein qualitativ hochstehendes Produkt zu kaufen», sagt Peter Bruggmann, Präsident des Sportfachhändlerverbands Asmas.
Fotos: Herbert Zimmermann für BILANZ
MILLIONEN FÜR DEN RENNSPORT
günstiger war. «Genau das war aber zu einer gewissen Zeit die Rettung für die Firma», sagt Wolfgang Gruber, der seit 1999 in Laax den Fachhändler Meini Sport & Mode betreibt und hauptsächlich Stöckli verkauft und vermietet. Klar, wer in der teuren Schweiz produziert, ist noch auf den kleinsten Anteil Marge angewiesen. Und die ist im Direktverkauf natürlich besser. Dass die hiesigen Konkurrenten nicht überlebten, hatte aber auch mit dem Rückgang der Verkäufe zu tun: 1985 gingen hierzulande 500 000 Paar über die Theke, aktuell sind es noch um die 200 000. Stöckli musste also international wachsen. Das aber erforderte Sichtbarkeit in den wichtigen Wintersportdestinationen –
und eine Öffnung für den Fachhandel. 1997 begann die Zusammenarbeit mit acht Händlern; heute sind es schweizweit 50 und weltweit 800. «Früher war Stöckli in den Geschäften ein Exot», erinnert sich Gruber. «Inzwischen sind sie bei uns klar am gefragtesten, obwohl sie etwas teurer sind als die anderen Marken.» Auch an den Kinderskirennen seien nun dank Odermatt viele auf Stöckli unterwegs. «Das war vor zwei Jahren noch anders.» Odermatt ist für Nachwuchsfahrer zur Identifikationsfigur schlechthin geworden. Den Effekt davon dürfte der Hersteller in den nächsten Jahren spüren, wenn Jungtalente hochkommen. Der Olympiasieger hat vor 14 Jahren zur Zentralschweizer
„HEUTE SIND STÖCKLI BEI UNS KLAR AM GEFRAGTESTEN, OBWOHL SIE ETWAS TEURER SIND.” WOLFGANG GRUBER
Stöckli unterstützt aktuell 30 Profis, etwa Aline Danioth, Thomas Tumler oder die Slowenen Ilka Štuhec und Martin Čater. Der strategische Fokus liege aber klar auf Odermatt, sagt Gläser. Das Unternehmen mit 220 Mitarbeitenden richtet alles auf den Topfahrer aus für eine bestmögliche Betreuung. Nur der versierteste Skibauer darf Odermatts Rennski fertigen. Sie entstehen aus demselben Material wie die Modelle für Normalkunden. Bis zu 23 Schichten, bestehend etwa aus Belag, Fiberglas, Dämpfungsgummi, Holzkern und Deckblatt, das im eigenen Siebdruck gefärbt wird, werden in Handarbeit zusammengefügt, bei 140 Grad und mit 40 Tonnen Druck gepresst und dann geschliffen. Rund 300 Paar entstehen täglich im Zweischichtbetrieb. Viele der Mitarbeitenden fiebern mit bei den Rennen. Geht man durch die Werkstatt, entsteht dank Postern, Fotos und Stöckli-Shirts, die alle tragen, der Eindruck einer eingeschworenen Truppe, eines grossen Rennstalls, der gemeinsam am sportlichen Erfolg arbeitet. Allein für den Rennsport beschäftigt Stöckli zehn Personen und investiert jährlich rund drei Millionen Franken. Eine beachtliche Summe für ein Unternehmen mit einem Umsatz von rund 55 Millionen Franken. «Für uns ist es eine Gratwande- •
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WACHSTUM GEFORDERT Künftig sollen noch mehr Ski produziert werden. Rechts stehen Serienski für die Weiterbearbeitung in der Schleiferei bereit. • rung», sagt Gläser. «Wir investieren viel, müssen aber Resultate haben.» Stimme die Performance nicht, so der an der HSG geschulte CEO, sei das ein «bad return on investment». Oder anders gesagt: viel Aufwand und wenig Sichtbarkeit. Gefragt sind deshalb möglichst viele Podiumsbilder, Siegerinterviews und während des Rennens eine lange Präsenz in der Leaderbox. «Vierte und fünfte Plätze bringen uns nicht viel.» Im Skizirkus dreht sich das Interesse um die Topfahrer.
AUS DER UHRENBRANCHE
Wie entscheidend der Rennsport ist, zeigt Gläser auch mit seiner Präsenz am Weltcup. Dieses Jahr war er in Sölden, Gröden, Alta Badia, Adelboden und Wengen. «Ich
muss einschätzen können, an welchen Rennen welche Fahrer aufgrund ihrer Fähigkeiten welche Resultate erzielen können.» Auch bei den Pistenbesichtigungen von Odermatt ist er oft nahe dabei. Zu Stöckli kam Gläser 2014. Für viele war seine Ernennung eine Überraschung. Denn der aus einer Badener Unternehmerfamilie stammende Manager – sein Vater hat den Möbelhersteller Wogg aufgebaut – kommt eigentlich aus der Uhrenbranche. Beim Logistikkonzern DKSH hatte er zuletzt das globale Uhrengeschäft geleitet, davor war er erst Marketing- und Verkaufsleiter und danach Chef des Uhrenbrands Maurice Lacroix. Headhunter Guido Schilling hatte damals vom Verwaltungsrat den Auftrag erhalten, eine branchenfremde Schweizer Persönlichkeit mit Markenexpertise zu gewinnen. «Marc Gläser überzeugte, weil er zuvor einer Topmarke zu weiterem globalem Erfolg verholfen hatte», sagt Schilling. Das Zünglein an der Waage dürfte Gläsers sportliche Vergangenheit als Skifahrer, Snowboarder der ersten Stunde, Eis hockeyspieler und Triathlet gewesen sein.
„WIR INVESTIEREN VIEL IN DEN RENNSPORT, MÜSSEN ABER AUCH RESULTATE HABEN.” MARC GLÄSER 72
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POTENZIAL CHINA
In der Schweiz erreicht Stöckli einen Marktanteil von 15 Prozent, im Ausland ist er noch einstellig. Doch das soll sich ändern. Wachstumschancen als Premium-Anbieter sieht Gläser besonders in den USA und China, wo man sich derzeit überlegt, nach den USA eine zweite Tochterfirma zu gründen. In den nächsten fünf Jahren will Gläser den Absatz insgesamt um gut 15 000 auf jährlich rund 75 000 Paar steigern. Wie sehr Olympia nun das Skifieber in Fernost auch nachhaltig befeuert, wird sich zeigen. Gläser ist optimistisch und pflegt zu sagen, dass ein riesiges Potenzial entstehe, wenn nur schon ein Prozent der Chinesen mit dem Skifahren beginne. Vor zwei Jahren wurden in China von allen Marken zusammen erst einige zehntausend Paar Ski verkauft. Atomic-Chef Wolfgang Mayrhofer sagte damals zu BILANZ, dass der chinesische Markt bis 2022 auf die Grösse des schweizerischen wachsen werde. Zwar gibt es bereits 700 Skigebiete im Land, die meisten davon sind jedoch sehr klein. In den letzten Jahren entstanden aber zahlreiche neue Gebiete, die international mithalten können. Dass es mit reinem Kunstschnee funktioniert, hat China mit Olympia bewiesen. Und Odermatt, dass er auch mit • Stöckli darauf gewinnen kann.
Fotos: Herbert Zimmermann für BILANZ
PRÄZISION GEFRAGT Die gepressten Ski werden geschliffen, erst von Hand, dann in einem maschinellen Prozess.
Eigentümer und VR-Präsident des Unternehmens ist seit 2012 der aus Luzern stammende Diego Kaufmann. Seine Familie war schon seit 1990 beteiligt. Zum Unternehmen äussern möchte sich der 39-Jährige nicht. In seinem einzigen Interview sagte er Ende 2020, Gläser sei die treibende Kraft im Unternehmen und habe die strategische Fokussierung gut um gesetzt. Dazu gehörte etwa der Ausstieg aus dem Bike-Geschäft. «Aus Markensicht haben die Bikes nicht viel Sinn gemacht», sagt Gläser. Eingeführt worden waren sie einst, um im Sommer die eigenen Filialen zu bespielen. Es war allerdings ein aufwen diges Geschäft, das kaum Profit brachte. Gläser entwickelte nach seinem Einstieg die Vision, die beste Skisportmarke der Welt zu werden. «Und dazu brauchte es keine Bikes mehr.» Es ist der klare Fokus auf den Wintersport und die Skiproduktion. Auch das eigene Filialnetz wurde 2020 von neun auf vier Läden gestrafft und durch einen Onlineshop ergänzt.