JUERGEN STRASSER I BRAVE NEW WORLD

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Jürgen Strasser Schöne neue Welt



Jürgen Strasser Schöne neue Welt


→ Unterstützer und Förderer von Ausstellung und Publikation

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Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung: Jürgen Strasser. Schöne neue Welt Große Kunstschau Worpswede, 19. November 2017 bis 4. März 2018


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Schรถne neue Welt


Wir sehen riesige Bauten mit Hunderten Wohnungen, jede nur wenige Quadratmeter groß. Strasser findet ausdrucksvolle Bilder für dieEinführung von Ditmar Schädel (DGPh)

se Wohnmaschinen, die immer wiederkehrenJürgen Strasser ist ein Suchender. Mit der

den Strukturen und die Anonymität des Woh-

Kamera streift er intensiv beobachtend vor al- nens, die mit diesen Komplexen einhergeht. lem durch die Megastädte Asiens, immer auf

Auch dass die Zeitlichkeit eine ganz andere

der Suche nach Eindrücken und Bildern über

ist, werden doch viele Bauten schon nach

die Besonderheiten des urbanen Lebens dort.

gut zwanzig Jahren abgebrochen und durch

Besonders interessiert ihn dabei die Wohnsi- neue und ähnliche Architektur ersetzt, findet tuation, die so ganz von den uns geläufigen

eine Entsprechung in seinen Bildern. Nichts

Strukturen im ländlichen Raum, aber auch im

scheint auf Dauer. Wohnen zielt hier nicht auf

städtischen Umfeld abweicht. Sein Blick geht

einen individuellen Lebensausdruck, sondern

dabei häufig nach oben. Dadurch entdeckt er

ist nüchterne Notwendigkeit, niemand scheint

z. B. Zugänge zu Nachbargebäuden, die ihm

hier gesteigerten Wert auf Individualität oder

eine Übersicht und freies Blickfeld erlauben. Besonderheit zu legen. Es entstehen einzigartige Perspektiven auf

Mit einem durch lange Erfahrung geschärf-

eine Architektur, die einerseits eindrücklich

ten analytischen Blick nimmt der studier-

für die wirtschaftliche Entwicklung dieser

te Soziologe Strasser die architektonische

Megastädte, andererseits für die beklemmen- Struktur dieser Metropolen auf und kontrasde Wohnsituation einer breiten Bevölkerungs- tiert sie mit Bildern von Menschenmassen inschicht steht. Mit seinen Fotografien erlaubt er dem

nerhalb dieser Welten. Auch die kühnen Bauten in Dubai, die me-

Betrachter, sich als Gegenüber zu den mo- tallenen und gläsernen Moloche und die Lenumentalen Gebäuden zu fühlen. Der Bild- bensadern der Straßen und Bahnverbindunausschnitt ist häufig so gewählt, dass das

gen erkundet er. Dabei tauchen Menschen

Ende des Gebäudes nicht sichtbar oder die

nur vereinzelt oder als Beiwerk auf. Strasser

Einbettung der Architektur in das Stadtum- interessiert sich auch hier für die neu geplanfeld nicht möglich ist. Dadurch erscheinen

ten Systeme im Ganzen wie im Detail. Glas

die Fassaden grenzenlos und entwickeln sich

und Metall als vorherrschendes Material, eine

außerhalb des Sichtbaren weiter. Durch prä- Anpassung an zeitgenössische und globale zise Schärfe, den passenden Einsatz des vor- Entwürfe, die Ausstrahlung der Macht dieser handenen Lichts sowie eine klare Winkelung

expandierenden Städte ist weltweit feststell-

werden die Fensterfronten oder architekto- bar. Der Wandel in dieser bis vor Kurzem eher nischen Elemente zu Strukturen verdichtet. noch traditionell geprägten Umgebung ist Sie geben dadurch Auskunft über die Haltung

im Kontrast noch einmal gesteigerter wahr-

des Fotografen, der Titel „Schöne neue Welt“ nehmbar. Die Fotografie Jürgen Strassers ist ist dabei natürlich ironisch zu lesen. Übergro- besonders geeignet, diese Entwicklung zu ße Formate wechseln mit kleinen Bildmaßen, dokumentieren und zur Diskussion zu stellen. sodass immer wieder ein Blick auf das Ganze, Dabei bezieht er nicht direkt Position, sondann wieder auf Details evoziert wird. 4

dern bietet dem Betrachter an, seinen Weg


Schöne neue Welt

Jürgen Strasser findet ausdrucksvolle Bilder für diese Wohnmaschinen, die immer wiederkehrenden Strukturen und die Anonymität des Wohnens, die mit diesen Komplexen einhergeht. → Ditmar Schädel ist Dozent für Kunst und Gestaltung an der zwischen Ästhetik und Faszination der Größe

Universität Duisburg-Essen

einerseits sowie Enge und Lebensfeindlichkeit

und Vorsitzender der

andererseits selbst zu finden.

Deutschen Gesellschaft für

Der Dynamik dieser rasch wachsenden Metro-

Photographie e.  V. (DGPh)

polen nähert er sich auch mit Bewegtbildern in Form von Videoprojektionen an und ergänzt so die Fotografien um eine weitere schlüssige Bildsprache. Zitate von Architekten, Zukunftsforschern und von Kulturwissenschaftlern sowie die eigens konzipierte Ausstellungsarchitektur lassen den Besuch in der Ausstellung und auch den Gang durch das vorliegende Buch zu einem immer wieder überraschenden Erlebnis werden. Hier tut sich eine noch fremde Welt auf, deren Zukunft aber auch uns eventuell droht. Schöne neue Welt eben. x 5


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SchönerxWohnen fürxAlle xxxxxxxxxx Wirxgeben IhrerxZukunft einxZuhause xxxxx Wünschexwerden Wirklichkeit


→ Werbeslogans diverser Bausparkassen

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AufxdiesexSteine könnenxSiexbauen xxxx xxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxx xxxxxx xxxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxx xxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxx

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Der Mensch  zwischen  Modul und  Masse

der Behausung verweist, in der eine anonymisierende Vervielfältigung das einzelne Element und damit Individualität überlagert. Zugleich kündet die klare Gliederung der fotografischen Komposition aber auch von Klarheit, konstruktiver Stringenz und futuristischem Ehrgeiz des modernistischen Städtebaus:

— Bilder  von der  Konstruktion  des Urbanen

Modulartige

Wohnraumbeschaffung

gibt sich als bauliche Antwort auf die temporeichen Zentralisierungsbewegungen der mo-

dernen Gesellschaft zu erkennen. Strasser pendelt den Ausdruck des Bildes zwischen

Konfektionierung des Wohnens und ästheti-

Essay von Rainer Beßling

scher Ordnung aus. Mit einem pinkfarbenen

Tuch vor einer Fensterreihe fängt er in einem Bild eine markante Pointe als geradezu narra-

tiven Kontrapunkt ein: Kann sich in dieser bildsprengenden Uniformität doch noch die

einzelne

personale

Identität

wenigstens

punktuell durchsetzen? Strasser verstärkt in der seriellen Anord-

nung seiner Fassadenfotografien die sachlich nüchterne Wiedergabe und arbeitet zugleich

die ornamentalen Bänderformationen heraus. Aus dem Rapport entwickelt er in seinen Fotoarbeiten einen hohen formalen Reiz, der den Betrachter bindet. In die geometrische Grundordnung lässt er in einigen der Fassadenfotografien als erzählerischen Subtext und wuchernde Binnenformulierung die speFormatfüllend setzt Jürgen Strasser die Fassaden

zifischen Ausstattungen der Wohneinheiten

von Wohntürmen ins Bild. Prägnant schärft er deren

zur Sprache kommen: Attribute eines Le-

grafische Strukturen, arbeitet im malerisch überbor- bensalltags in und hinter dem steinernen Gedenden All-over die farbliche Staffelung heraus und

rüst. Uniforme und individuelle Wohnwelt ge-

nimmt die leichten Vibrationen der Außenflächen durch

raten so in eine spannungsvolle Korrespondenz

die Versetzung der Linienführung auf. Die sachliche

zueinander. Der subjektive Faktor meldet sich

bildliche Inszenierung hält die Wirkung der wabenarti- zu Wort, partisanengleich scheint er die archigen Wohnformationen offen. Das Muster der Architek- tektonische Vereinheitlichung durchkreuzen tur markiert eine Monotonie, die auf die Vermassung 26

zu wollen.


nung lässt er in einigen der

Schöne neue Welt

In die geometrische Grundord-

Fassadenfotografien als  erzählerischen Subtext und  wuchernde Binnenformulierung  die spezifischen Ausstattungen  der Wohneinheiten zur Sprache  kommen – uniforme und individuelle Wohnwelt geraten  so in eine spannungsvolle  Korrespondenz zueinander.

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Diese Städteaufnahmen sind nicht vordergründige Zivilisationskritik oder Fortschrittsanklage.

→ Dr. Rainer Beßling ist Kunstkritiker und Kulturjournalist. Er ist Mitarbeiter der Zeitschriften artist und artline nord.

Jürgen Strasser rückt in seiner Städtefotografie vor- einzelne Menschen wie verlorene Kulissenzugsweise die in rasantem Tempo angewachsenen Met- phänomene auftreten. In vielen Aufnahmen ropolen des asiatischen Raums in den Fokus. Dort

wirken die Straßen wie ausgestorben, dem

scheinen am augenfälligsten die kühnsten Entwürfe ar- Flaneur geben die Megacities als Spiegelbild chitektonischer Utopien Wirklichkeit zu werden, dort

höchster Effizienz und Funktionalität keinen

scheint sich am deutlichsten die globale Wachstumsdy- Raum. Dafür sind die U-Bahnen und Vorortzünamik von Wirtschaft und Bevölkerung niederzuschla- ge prall gefüllt. Wie glühende, rasant durchgen. Dort scheint auch am stärksten die Tendenz einer

pulste Adern inmitten kalter Wohn- und Ge-

global vereinheitlichten Architektur ablesbar zu wer- schäftsblocks lässt der Fotograf in einem Bild den, die vergangene allmählich gewachsene Siedlungs- die Straßenzüge in einem Stadtzentrum erformen und Kulturen ablöst und überblendet. Der

scheinen. Tempo und Statik treten als Pole

Fotograf lenkt unseren Blick durch klaffende Häuser- und Anker des urbanen Alltags auf.

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schluchten und auf türmereiche Skylines. Wir heften

Wenn Menschen im Straßenbild auftreten,

unsere Augen auf die Fluchten von Fahrbahntrassen

tun sie es Schwärmen und Trauben gleich:

oder auf freie Plätze gigantischen Ausmaßes, in denen

eine bewegt im Gleichmaß eilende Masse, die


Schöne neue Welt

von parallelen Zwecken und Zielen

zusam-

mengehalten wird, nicht von lebendiger Kommunikation. Freiflächen neben den futuristischen Architekturen vermitteln den Eindruck einer synthetischen Genese der Gebäude inmitten einer gesichts- und charakterlosen Landschaft. Hier ist nichts organisch gewachsen, sondern konstruktiv gesetzt. Eine großformatige Aufnahme von Dubai zeigt die Türmestadt inmitten der Wüste, eine der Unwirtlichkeit der Natur abgerungene Ansiedlung von hoher Künstlichkeit, eine imperiale Geste

Auch wenn die jüngsten Riesenstädte global uniforme

der Wirtschaftskraft, des Überflusses und der

Konturen zeigen, gelingt es Strasser, sie porträthaft ins

extensiven Ausbeutung nicht nachwachsen- Bild zu setzen. Mit Zuspitzung der grafischen metropoder Ressourcen.

len Eigenarten schafft er städtebauliche Bildnisse, die

Die Aufnahmen zeigen die Metropolen aus

Entwicklungsdynamik dokumentieren, die aber zu-

unterschiedlichen Blickwinkeln. Mal schaut

gleich in einem hohen Maß an strukturell gebändigter

der Betrachter frontal auf die Bauwerke, die

Überwältigung die Faszination des Fotografen selbst

weniger harmonieren als vielmehr vereinzelt

ins Spiel bringen. Das lässt sie weit entfernt von einem

ein Zeichen setzen, die einen Pflock einschla- bloßen Menetekel wirken. Diese Städteaufnahmen sind gen, ein Terrain markieren und eine himmels- nicht

vordergründige

Zivilisationskritik

oder

Fort-

stürmende Dynamik ausflaggen. Mal sind es

schrittsanklage. Der Betrachter darf sich von der Wucht

Luftaufnahmen, in denen die Ansiedlungen in

der abgebildeten städteplanerischen und architektoni-

der Gesamtsicht umso eindrücklicher den

schen Statements mitgenommen fühlen und aus seiner

Charakter fiktionaler Exotik einnehmen. Hier

Wahrnehmung heraus eine Haltung entwickeln. Sym-

findet eine post-industrielle Gesellschaft ih- bolische Bildanlagerungen, die lediglich eine gesellren Ausdruck, in der alle Lebensvollzüge auf

schaftskritische Position illustrieren, liegen Strasser

digitaler Basis und in effizientester Struktur

fern. Zentrale Fragen aber, die sich aus seinen Arbeiten

rationalisiert sind. Strasser überhöht diese

ableiten lassen, sind die nach der Reichweite der Pla-

Anmutung mit surreal wirkender Farbigkeit

nung städtischer Öffentlichkeit und nach dem Einfluss

oder einem kalten metallischen Licht, das

wachsenden privaten Vermögens in den Händen immer

dem Ganzen ebenso wertigen Glanz wie auch

weniger. Strassers eindrucksvolle Fotografien fangen

spiegelnden Scheincharakter verleiht. Wenn

die markantesten Zeichen der Wachstumsrationalität

inmitten der Welten aus Glas und Stein Natur- ein, welche die globalisierte Gesellschaft den künftigen elemente auftreten, dann als bloßes Dekor

Generationen vererbt. Sie lassen uns nicht zuletzt dar-

wie in einem Gehege oder Freiluftmuseum, über nachdenken, welches Schicksal die künstlerische Bäume wirken wie Artefakte aus einer histo- Sprache der Architektur-Moderne in den neuen Balrisch gewordenen Epoche.

lungsgebieten der Welt erlitten hat.  x 29


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Werxauch immerxglaubt, dassxGewinnen nichtxalles ist,xderxkennt Dubaixnicht. x x x


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x x x x x xx xxx xxxxx xxxxxxxxxx xxxxxxxxxxxxxxxx → Muhammad bin Raschid Al Maktum seit 2006 Herrscher des Emirats Dubai 33


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Werxeinexkennt, kenntxdie anderenxalle, soxähnlich sindxsie untereinander, sofernxnicht derxCharakter derxĂ–rtlichkeit


→ Thomas Morus

Utopia, 1516

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einexÄnderung bedingt. x x x xxxxxxxxxxxxxxx x x x xxxxxxxxxxxxxxx x x x xxxxxxxxxxxxxxx x x x


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Essay von Björn Haferkamp

Neue Moderne der Stadt? — Vom kühlen Konzept zum smarten, lebenden System

der schottische Aufklärungsphilosoph David Hume anmerkt. Adorno schließlich kritisiert die Rückständigkeit der Provinz, die anderen Theoretikern und Künstlern wiederum als unverfälschtes, nicht entfremdetes Residuum einer menschlicheren Lebensweise erscheint. Nachdem das Ansehen der Stadt im späten 20. Jahrhundert massiv gelitten hat, haben sich – teilweise vom intellektuellen Diskurs unbemerkt – urbane Entwicklungen auf globaler Ebene ergeben, die neue faszinierende Aspekte zur Geltung bringen, aber auch manche Befürchtung wiederbeleben. Eines der markantesten Phänomene sind die Entstehung neuer Millionenstädte und das Anwachsen der Megacities. Die vermeintlich abgemeldete Lebens- und Kulturform Stadt prosperiert nicht nur, sie erscheint auch immer mehr in einem Licht, das dem düsteren Bild des lebensfeindlichen Molochs vergangener Jahrzehnte nicht mehr entspricht. Was freilich nicht bedeutet, dass alte Sorgen nicht wiederkehren könnten. Es scheint viel für die neue, die erneuer-

Die Stadt, zumal die moderne Metropole, ruft ein

te Stadt zu sprechen, neben den in der Ver-

Spektrum von Reaktionen hervor. Künstler und Intel- gangenheit schon zelebrierten Vorzügen des lektuelle haben verschiedenen Standpunkten Ausdruck

urbanen Lebens. Schon die bloßen Daten

verliehen, nicht zuletzt, weil sie an der Stadt als Le- rücken alte Perspektiven zurecht. Seit den bensform partizipierten, profitierten, an ihr litten oder

1990er-Jahren überwiegt die urbane Bevölke-

sie verfluchten. Ein Sokrates ist auf das Stadtleben mit

rung die ländliche – mittlerweile sogar ganz be-

seinen kulturellen Erscheinungen und dem intellektu- trächtlich. Ökologisch, energiepolitisch, infraellen Austausch angewiesen. Epikur und Montaigne

strukturell scheint dies vorteilhafter, nach-

ziehen sich nach einer städtischen Inkubationsphase

haltiger zu sein, als wenn die wachsende

aufs Ländliche zurück. Künstler und Schriftsteller der

Weltbevölkerung in ländlichen Regionen sie-

Neuzeit arbeiten sich immer wieder an der Polarität von

deln würde: die Stadt als Lösung zahlreicher

Naturhingabe einerseits, urbaner Weltläufigkeit und

drängender Probleme. Vorausgesetzt, die

Inspiration andererseits ab – Gegensätze, deren Bevor- komplizierte Infrastruktur wird tatsächlich zugung vielleicht weniger auf unumstößlichen Wahr- zuverlässig bereitgehalten und Wohnraum für heiten, sondern eher auf zufälligen Launen beruht, wie 56

die vielen Millionen wird geschaffen. Doch die


legenden Funktionen hinaus. Das ist die Lehre der Moderne des 20. Jahrhunderts, in der – nicht nur, aber auch – trostlose funktionale Quartiere entstanden, in denen sich kein

→ Björn Haferkamp

Gemeinsinn, keine gelebte Kultur entwickeln

ist wissenschaftlicher Mitarbeiter

kann. Und selbst Vorzeigeprojekte und Land-

am Institut für Philosophie der

mark-Buildings sind häufig nach wenigen

Universität Bremen

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Herausforderungen gehen über diese grund-

Jahrzehnten dysfunktional und ein Klotz am Bein. Die Postmoderne, angetreten, um der starren Ordnung Leben einzuhauchen, hat

rend Daten über ihre Zustände und Aktivitäten, durch

auch keine Lösungen geliefert, sondern allzu

die – so der Anspruch – viel besser auf die Bedürfnisse

oft – wie Noam Chomsky konstatiert – sinn- und die verfügbaren Ressourcen reagiert werden kann. lose Diskurse in obskure Details übersetzt, mit

Das Optimierungspotenzial ist beträchtlich. Die unter-

denen die Menschen sich nicht anfreunden

schiedlichsten Gesellschaftssysteme weltweit wollen

können. Architekten und Stadtplaner stehen

diesen Zug nicht verpassen. Das macht die Fehlerquelle,

vor der Aufgabe, aus diesen Fehlern zu lernen. die schon die Probleme der Vergangenheit verursacht Die Diskussion von Konzepten und Entwürfen, hat, noch kritischer: Abstrakte Planung und unrealisdie architektonische, technische und soziokul- tische Konzeption können sich verhängnisvoll auswirturelle Aspekte in Einklang bringen, findet ih- ken. Die Algorithmen und die dahinterstehenden Daren Weg hinaus über das Feuilleton bis in die

tenkonzepte sollten besser der Realität von Menschen

interessierte Öffentlichkeit.

in sozialer Interaktion entsprechen als unrealistische

Die Architektur des Modernismus war von

Visionen oder naive, eindimensionale Mechanismen zu

den Umbrüchen in den Künsten und Wissen- implementieren. Das Szenario einer IT-Diktatur scheint schaften inspiriert – neuartige, mitunter eli- darüber hinaus ebenfalls in greifbare Nähe zu rücken, täre Auffassungen schufen neue Freiräume

dem nur durch eine Wertediskussion und zuverlässige

für Ausdrucksmöglichkeiten. Wie sich gezeigt

Rechtssysteme begegnet werden kann.

hat, ist die Stadt als Quasi-Organismus jedoch

Die „Philosophie der Stadt“ fordert heute smarte,

verschärften, zumindest anderen Bedingun- nachhaltige und resilienzfördernde Konzepte – Schlaggen als die Kunst unterworfen. Kühnheit von

worte, die auf alte Fehler und neue Entwicklungen mit

Ideen ist kein hinreichendes Kriterium für ein

einer Werthaltung reagieren. Ob sie sich bewähren,

komplexes System, in dem Menschen leben

wird der Diskurs in ein, zwei Jahrzehnten zeigen. Das

müssen. Wie die neuen Antworten aussehen, so oft kritisierte technokratische Denken ist jedenfalls kann man in neuen Städten und Stadtprojek- einer umsichtigeren Perspektive gewichen, die aus der ten besichtigen. Darunter sind auch Beispiele

sträflichen Vernachlässigung der „sanften“, im weites-

für die immer wiederkehrenden Fehler, wenn

ten Sinne „ethischen“ Aspekte gelernt hat, denn diese

Planung abstrakten Konzepten folgt. Gesucht

tragen ganz erheblich zum Funktionieren einer Stadt

sind die Lösungen, die sich unter der Anfor- bei. Die Stadtentwickler müssen den schmalen Pfad derung, den verschiedenen Lebensbereichen

zwischen Technokratie und einengender ethischer Be-

in der irdischen Realität der Stadt gerecht zu

vormundung finden, und zwar an einem lebenden,

werden, bewähren.

wachsenden System, wie es die Stadt nun einmal ist –

Die Digitalisierung verheißt dabei ganz

on the fly also, oder, mit einem treffenden Bild von Otto

neue Möglichkeiten. Im Internet der Dinge

Neurath für Fehlerkorrekturen in Echtzeit: wie auf ho-

liefern Gegenstände und Personen fortwäh- her See ohne die Sicherheit des Trockendocks.  x 57


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Wirxmüssenxdie futuristische Stadtxerfinden undxerbauenx– siexmuss einerxgroßen, lärmendenxWerft gleichenxund inxallenxihren


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Teilenxflink, beweglich, dynamischxsein. x x x x x x x → Antonio Sant’Elia Manifest der futuristischen Architektur, 1914 63


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Wir bauen die Ruinen


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der Zukunft x → Walter Ludin Wo sind die Freundbilder?, 1994 75


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Titel und

Verzeichnis Werkabbildungen

Rücktitel: Tokio, 2014 (Ausschnitt)

Schöner Wohnen für Alle

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Dubai, 2013

Wir geben Ihrer Zukunft

Singapur, 2014

ein Zuhause

Tokio, 2014

Wünsche werden Wirklichkeit

Seite 53:

Tokio, 2014

Auf diese Steine können Sie bauen

Seite 58:

Shanghai, 2015

Kairo, 2017

Seite 10/11: Tokio, 2014

Bangkok, 2014

Seite 12/13: Hongkong, 2013

Kairo, 2017

Seite 16/17: Tokio, 2014

Bangkok, 2015

Seite 18/19: Hongkong, 2013

Shanghai, 2015

Seite 20/21: Hongkong, 2013

Seite 59:

Shanghai, 2015

Seite 22/23: Mumbai, 2016

Seite 60:

Bangkok, 2014

Seite 24/25: Hongkong, 2013

Kairo, 2017

Seite 61:

Mumbai, 2016

Bangkok, 2014

Wer auch immer glaubt, dass

Dubai, 2016

Gewinnen nicht alles ist, der kennt Dubai nicht. Wir müssen die futuristische Seite 34/35: Dubai, 2013

Stadt erfinden und erbauen –

Seite 36:

Dubai, 2013 (Ausschnitt)

sie muss einer großen, lärmenden

Seite 37:

Dubai, 2016 (Ausschnitt)

Werft gleichen und in allen

Seite 40/41: Dubai, 2016 Seite 42:

Dubai, 2013

Seite 43:

Dubai, 2016

ihren Teilen flink, beweglich, dynamisch sein. Seite 66/67: Tokio, 2014 Seite 68/69: Shanghai, 2015

Wer eine kennt, kennt die anderen

Seite 70:

Mumbai, 2016

alle, so ähnlich sind sie

Seite 71:

Mumbai, 2016 (Ausschnitt)

untereinander, sofern nicht der Charakter der Örtlichkeit eine Änderung bedingt.

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Wir bauen die Ruinen der Zukunft

Seite 52:

Dubai, 2013

Seite 76/77: New York, 2014

Bangkok, 2015

Seite 78/79: Kairo, 2017

Kuala Lumpur, 2014

Seite 53:

Kuala Lumpur, 2014


© Rüdiger Lubricht, Worpswede 2018; VG Bild-Kunst, Köln 2018

Schöne neue Welt

Verzeichnis Installationsansichten und Appendix

Rüdiger Lubricht  S. 14/15, S. 54/55, S. 87

Gabi Anna Müller  S. 85, S. 87 © Gabi Anna Müller, Worpswede 2018; VG Bild-Kunst, Köln 2018 Jörg Sarbach  S. 30/31, S. 38/39, S. 72/73, S. 84, S. 85, S. 86, S. 88/89 © Jörg Sarbach / Worpsweder Museumsverbund, Worpswede 2018 Christine Steyer S. 83 © Christine Steyer, Wiesbaden 2018 Jürgen Strasser  S. 2/3, S. 6/7, S. 44/45, S. 48/49, S. 64/65, S. 84, S. 85 © Jürgen Strasser, Wiesbaden/Worpswede 2018; VG Bild-Kunst, Köln 2018

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Vita Jürgen Strasser

Zur Person Geboren und aufgewachsen im Berchtesgadener Land. Nach dem Abitur Studium der Politikwissenschaft und Soziologie an der Philipps-Universität Marburg. Langjährige Tätigkeit als Etatdirektor in einer Frankfurter Werbeagentur. Gründung eines Kalenderverlags im Jahr 2007. Mehrere Auszeichnungen auf der Internationalen Kalenderschau in Stuttgart. Seit 2014 regelmäßige Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland. Jürgen Strasser lebt als künstlerischer Fotograf in Wiesbaden und Worpswede und findet seine Motive und Bildideen überall auf der Welt. Er ist Mitglied im Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler (bbk) und berufenes Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Photographie e. V. (dgph). Seit 2016 leitet er das raw photofestival worpswede. Kontakt E-Mail juergenstrasser@web.de Website www.juergenstrasser.com

Ausgewählte Ausstellungen einzelausstellungen 2018

schöne neue welt:remixed  Galerie Gut Sandbeck, Kunstverein Osterholz

2017

Schöne neue Welt  Große Kunstschau Worpswede

Urban unlimited. Zukunft findet Stadt  Fotogalerie Weißer Turm, Darmstadt

Eine Idee von Landschaft  Galerie im Nassauer Hof, Hattersheim

2015

Urban unlimited. Zukunft findet Stadt  Galerie Altes Rathaus, Worpswede

gruppenausstellungen 2018

Plakativ V  Galerie Interzone, Rom

2017

The way we see it!  Schloss Landestrost, Kunstverein Neustadt am Rbge.

2016

Photo.Kunst2  Temporary Art Gallery, Wiesbaden

Worpsweder Landschaften  Worpsweder Kunsthalle

2015

Wandel und Wandlung  Galerie Altes Rathaus, Worpswede

2014 Mehr Kunst als Welt  Museum an der Weichsel, Kazimierz Dolny

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Aufbau, Vernissage und Künstlergespräche Große Kunstschau Worpswede, 19. November 2017 bis 4. März 2018


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Impressum Ausstellung und Katalog

Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung Jürgen Strasser. Schöne neue Welt Große Kunstschau Worpswede, 19. November 2017 bis 4. März 2018 Herausgeber jürgen strasser photography Mevenstedter Straße 16, 27726 Worpswede www.juergenstrasser.com Ausstellung Ausstellungskuratorin  Katharina Groth Ausstellungsmitarbeit  Christine Steyer Ausstellungsszenografie  Axel Brasgalla Ausstellungstechnik  Gerd Mahnken Leitung Aufsichtsdienst  Anne Lueßen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit  Matthias Jäger, Gesa Jürß Katalog Konzeption & Redaktion  Jürgen Strasser Grafische Gestaltung und Realisation  Steffen Granz Texte  Dr. Rainer Beßling, Björn Haferkamp, Ditmar Schädel Lektorat  Paula Matos Installationsfotografien  Rüdiger Lubricht, Jörg Sarbach, Jürgen Strasser Fotografien Appendix  Gabi Anna Müller, Jörg Sarbach, Christine Steyer, Jürgen Strasser Schriften  Rational, Rational TW von René Bieder

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung bedarf der Zustimmung der Rechteinhaber. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. © 2018 Jürgen Strasser und VG Bild-Kunst für die abgebildeten Werke, Worpsweder Museumsverbund e. V. und Autoren Erste Auflage 2018 Printed in Germany

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Katharina Groth, Kuratorin der Ausstellung, für den inspirierenden Gedankenaustausch und das perfekte Ausstellungsmanagement.

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Danksagung Ausstellung und Katalog

Dankeschön –

Der Kulturstiftung Landkreis Osterholz und der Geschäftsstelle des Worpsweder Museumsverbunds e. V. für die Unterstützung und Förderung der Ausstellung. Der Worpsweder Gesellschaft für Kunst, Kultur und Wissenschaft e. V. für die großzügige Förderung dieser Publikation. Hartmut Balke, Jörg van den Berg und Rüdiger Lubricht für die Moderation der lebhaften und anregenden Künstlergespräche. Dem Team der Großen Kunstschau Worpswede für die großartige Betreuung vor, während und zum Abbau der Ausstellung. Björn Herrmann, der die Ausstellung im Worpsweder Museumsverbund angestoßen hat. Meinem Freund und Künstlerkollegen David Didebulidze für die zahlreichen Stunden intensiven konzeptionellen Austausches. Schließlich gilt ein besonderer Dank meiner Frau Christine Steyer. Ohne sie wäre vieles nicht möglich gewesen, auch im Hinblick auf diese Ausstellung. Jürgen Strasser

→ Unterstützer und Förderer von Ausstellung und Publikation

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