Carl Friedrich Kunz Hommage zum 225. Geburtstag

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Carl Friedrich Kunz Hommage zum 225. Geburtstag

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Enthüllung der Gedenktafel am ‚Krackhardt-Haus’, Grüner Markt 31, Bamberg in den

Katakomben des MaxPlatzes Samstag, 24. Juli 2010, 17 Uhr

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Titelbild Gustav Philipp Kratzmann: Porträt C. F. Kunz. Kupferstich 1838 (Staatsbibliothek Bamberg, V A 273)

Unterlegt ist E.T.A. Hoffmanns Handschrift siehe S. 19.

Impressum Carl Friedrich Kunz. Hommage zum 225. Geburtstag Hrsg. von der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft e. V. und der Goethe-Gesellschaft Bamberg e. V. Redaktion: Bernhard Schemmel und Michael Stark Abb.: Gerald Raab, Staatsbibliothek Bamberg Druck: flyeralarm GmbH, 97080 Würzburg Gestaltung: Studio Linear Bamberg 2010 4


Inhalt Programm der Enthüllung der Gedenktafel am 24. Juli 2010 und Text der Tafel

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Ulrich Krackhardt: Begrüßung

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Michael Stark: Literarisches Tafelkonfekt für Kunz

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Michael Stark: Literatur aus dem Geist des Weines

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Bernhard Schemmel: Kunz und Hoffmann

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Siegmar Walter: „Sie sind jetzt ein Bamberger, wie ich sehe“. A Gedichdla übän Kunz

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Bernhard Schemmel: Hans Günter Ludwigs Illuminationen zu Kunz

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Michael Stark: Literarische Gedenktafeln und Denkmäler in Bamberg

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Quellen

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Literatur

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Friedrich Karl Rupprecht: Maxplatz mit Marktst채nden. Federzeichnung aquarelliert, ca. 1815/1820 (Staatsbibliothek Bamberg, I R 11c)

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Programm Begrüßung: Dr. Ulrich Krackhardt James Hook (1746-1827): Flötentrio (Allegretto) H. G. Ludwigs Illuminationen zu Kunz: Prof. Dr. Bernhard Schemmel Kaspar Kummer (1795-1870): Flötentrio op. 59 (Adagio) Literarisches Tafelkonfekt für Kunz: Dr. Michael Stark Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791): Trio KV 439/1 (Allegro) „Sie sind jetzt ein Bamberger, wie ich sehe“. A Gedichdla übän Kunz: Siegmar Walter Enthüllung der Tafel: Dr. Julia Schöll Umtrunk Flötentöne: Trio Sabine Karger-Karl, Johanna Karl und Regina Köhler 7


Text der Tafel: CARL FRIEDRICH KUNZ Zerbst 1785 – 1849 Bamberg handelte mit Wein und Büchern betrieb eine Leihbibliothek war Verleger und Literat lebte 1808-1811 in diesem Haus und zechte im Kellergewölbe mit E.T.A. HOFFMANN

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Ulrich Krackhardt: Begrüßung Sehr herzlich willkommen im Namen der Familie Krackhardt in unserem Haus! Wir sind heute zusammen gekommen, um einen Mann zu ehren, der von 1807 bis zu seinem Tod im Jahre 1849 in Bamberg gelebt und gewirkt hat. Sein Name ist in dieser Zeit eng mit E.T.A. Hoffmann verbunden. Die Rede ist von Carl Friedrich Kunz. Ihm zu Ehren wollen wir heute, im 225. Jahr nach seiner Geburt, eine Gedenktafel enthüllen. Über das Leben dieses vielseitigen Mannes, der Weinhändler, Leihbibliotheksbetreiber, Verleger und auch Autor war, werden berufenere Geister berichten, wie Sie dem Programm entnehmen können. Ich möchte mich hier insbesondere auf die Verbindung zu diesem Anwesen beschränken. Kunz betrieb in diesem Haus von 1807 bis 1814 eine Weinhandlung und wohnte auch hier von 1808 bis 1811. Die wohl plakativste Verbindung zwischen Kunz und E.T.A. Hoffmann sind die Trinkgelage der beiden Herren im Weinlager, das gerade einmal 30 Meter von hier entfernt liegt. E.T.A. Hoffmann fand hier Abstand von seinen Alltagssorgen, fand Inspiration und in Kunz einen literarisch hoch interessierten Gesprächspartner. Für E.T.A. Hoffmann waren diese Kellerräume die herrlichen Katakomben des MaxPlatzes.

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E.T.A. Hoffmann: Brief an Kunz 8.9.1813, 2. S. u.: Katakomben (Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Misc.70/51/2)

Lassen Sie mich die Verbindung zu diesem Haus durch einen – wirklich kurzen – Abriss seiner Geschichte anreichern: Fürstbischof Friedrich Karl von Schönborn ließ das Gebäude von 1731 bis 1734 als Spital erbauen. Mit dem Entwurf war Balthasar Neumann, mit der Bauaufsicht Justus Heinrich Dientzenhofer betraut. Die barocke Fassade entsprach der des Priesterseminars, das heute unser Rathaus ist. Das Spital beherbergte ab 1738 die zusammengelegten Spitäler St. Elisabeth und St. Katharina. Im Zuge der Säkularisation wurde der Spitalbetrieb in das Bürgerspital auf den Michaelsberg verlegt und das Anwesen versteigert. Der Hoffaktor Seligmann Samuel Hesslein erwarb es um 1803/1804. Von 1808 bis 1814 war Kunz dann Mieter bei Hesslein. 10


Im Jahre 1842 schließlich erwarb Friedrich Krackhardt den Ostteil des Gebäudes, das seitdem im Besitz der Familie ist. Friedrich Krackhardt war ein sehr aktiver Geschäftsmann und auch Förderer der Künste: Unter anderem war er ein maßgeblicher Mitbegründer der ERBA (1856) und trieb auch die Gründung der Gasfabrik und des Wasserwerkes voran. Schließlich – und hier schließt sich ein Kreis – engagierte er sich auch für die Rettung des E.T.A. Hoffmann-Theaters durch Gründung einer Wirtschaftsgesellschaft. Hier und heute gedenken wir also eines Dreiklangs im Kunz’schen Leben bestehend aus: Literatur im allgemeinen, E.T.A. Hoffmann im speziellen, sowie seiner Wirkungsstätte hier im Haus, wo sich beide Herren begegneten. Da ist es nur folgerichtig, dass die heutige Veranstaltung von der Goethe-Gesellschaft Bamberg, der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft und der Familie Krackhardt ausgerichtet wird. Der Goethe-Gesellschaft, namentlich der Vorsitzenden Frau Dr. Julia Schöll und Herrn Dr. Michael Stark, sowie der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft, hier Professor Dr. Bernhard Schemmel als Präsident, sei an dieser Stelle herzlich für die gemeinsame Organisation der Feierstunde gedankt! Ein ganz besonderer Dank gilt Professor Dr. Wulf Segebrecht, der sich intensiv mit dem Leben und Wirken von Carl Friedrich Kunz beschäftigt hat und dem wir es verdanken dürfen, dass uns wichtige Daten und Zusammenhänge aus dieser Zeit nicht abhanden gekommen sind. Begrüßen darf ich auch Siegmar Walter, der als Vorsitzender des Theater-Vereins und als Schlaraffenkollege meines Vaters heute anwesend ist. Nicht versäumen möchte ich, Dr. Helmut Müller als Vertreter der Stadt Bamberg willkommen zu heißen. 11


Wenn wir später die Gedenktafel enthüllen, werden wir eine – wie ich meine – handwerklich sehr fein ausgeführte Arbeit aus unterfränkischem Sandstein bewundern können, die von Christoph Klesse aus Viereth geschaffen wurde. Nun wünsche ich uns allen eine angenehme Feierstunde mit vielen interessanten und zum Teil auch amüsanten Einblicken in das Leben und Wirken von Carl Friedrich Kunz. und darf um Ihre geschätzte Aufmerksamkeit bitten für das Flötentrio Sabine Karger-Karl, Johanna Karl und Regina Köhler.

Kunz’scher Riss, Ausschnitt: Kunz studiert fiktiv in der Weinstube riesige Wein- und Speisezettel. Lithographie 1839 nach Zeichnung E.T.A. Hoffmanns zum 18. Juli 1815 (Staatsbibliothek Bamberg, L.g.o.390/1)

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Michael Stark: Literarisches Tafelkonfekt für Kunz Bis zum 24. Juli 2010 erinnerte nichts im öffentlichen Raum der WeltkulturerbeStadt Bamberg an Carl Friedrich Kunz und seine Bedeutung für die ‚große Literatur’ wie auch für das literarische und gesellschaftliche Leben Bambergs in der Zeit der Romantik und des Biedermeier. Aber das soll so nicht bleiben und von nun an anders sein. Die Eigentümer des Anwesens Grüner Markt 31, die Goethe-Ortsvereinigung in Bamberg und die E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft haben in schönem Einklang zusammengewirkt, damit seiner zu gedenken eine Tafel enthüllt werden kann. Als Anlass war uns der 225. Geburtstag von Carl Friedrich Kunz gerade recht. Längst hat dieser merkwürdige literarische Unternehmer, der die meiste Zeit seines Lebens in Bamberg verbrachte, in der Literaturwissenschaft Fürsprecher gefunden. Besonders den Nachforschungen von Wulf Segebrecht und Karl Klaus Walther ist die Erkenntnis zu verdanken, dass er nicht allein als Freund E.T.A. Hoffmanns und Förderer von dessen schriftstellerischer Karriere, sondern als höchst vielseitiger Literaturvermittler das Interesse der Nachwelt verdient: als Betreiber der umfassendsten Leihbibliothek im damaligen Bayern in erster Linie. Sogar der Kunz gegenüber kritisch eingestellte Heinrich Joachim Jaeck, sachkundiger Bibliothekar und Begründer der nachmaligen Staatsbibliothek Bamberg, bezeichnete sie als die beste des ganzen Königreichs; als Verleger natürlich und ferner als Herausgeber von Anthologien, als Biograph befreundeter Schriftsteller und damals bekannter Theaterleute, als Journalist und Beiträger von Nachschlagewerken, als Organisator kultureller Freizeitvergnügungen und nicht zuletzt als Autor mit poetischem Talent. Unter den Veröffentlichungen des Z[acharias] Funck – so nannte sich Kunz als Schriftsteller in einem Anagramm – sind drei besonders erwähnenswert: die „Erinnerungen aus meinem Leben“ (1838), „Das 13


Buch deutscher Parodien und Travestien“ (1840) und sein „Geschichtlicher Erinnerungs- und Conversationskalender“ (1841). Längst auch haben sich gewisse Vorurteile zerstreut. Anders als manche seiner Zeitgenossen, denen der Wechsel vom Weinhändler und geselligen Vinothekar zum Buchhändler und kommerziell tätigen Bibliothekar missfiel, schätzen viele heute, wenn sich önologische und literarische Grundkenntnisse vereinen. Dass Kunz ein sinnenfroher Mensch und – wie seine Kundschaft – kein Kostverächter war (Jean Paul in Bayreuth etwa ließ sich Honorar in süffiger Währung durchaus einleuchten), macht ihn nicht unsympathisch und lässt uns sein unglückliches Ende bedauern. Die Gedenktafel wird, wo sonst, am Krackhardt-Haus angebracht. Hier im Mittelbau befand sich die Kunzsche Weinhandlung anfangs, das Getränkelager im Keller darunter, und in der ersten Etage waren zunächst die Privaträume der Familie. Das ‚Haus zum Marienbild’ am Pfahlplätzchen, das später bis 1821 Flaschenverkauf, Buchhandlung, Leihbücherei und Wohnung beherbergte, wurde 1968 abgerissen. Wie das Gebäude in der Eisgrube 14, das die Familie Kunz zwar auch zeitweise bewohnte, am Bamberger E.T.A. Hoffmann-Weg gelegen ist das ‚Krackhardt-Haus’ aber ein Objekt mit ‚hoher Standortfrequenz’, und die Tafel an der Ecklisene zum Grünen Markt und zum Maxplatz hin weniger versteckt platziert.

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Kunz’sche Weinangebotsliste September 1808 (Staatsbibliothek Bamberg, RB.Caps.f.7/2)

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Michael Stark: Literatur aus dem Geist des Weines Manche fanden den merkwürdigen Mann unter Bambergs literarischen Berühmtheiten kaum erwähnenswert. Andere versuchten, ihn in ein schlechtes Licht zu rücken. Zum Glück hat es seiner Anerkennung nicht auf Dauer geschadet. Heute wird Carl Friedrich Kunz, geboren am 19. Juli 1785 in Zerbst, gestorben am 27. Januar 1849 in Bamberg, zurecht höher geschätzt. Seine Verdienste um die große Literatur sind so wenig zu verkennen wie seine Bedeutung für das damalige kulturelle und gesellschaftliche Leben der Stadt. Längst hat er seinen Ort in der Literaturgeschichte erhalten – als erster Verleger E.T.A. Hoffmanns vor allem, der dessen Fantasiestücke in Callots Manier ab 1814 der literarischen Welt zugänglich machte, als Vermittler Friedrich Gottlob Wetzels, als beider Lebensbeschreiber und Biograph Ludwig Devrients, August Wilhelm Ifflands und Jean Pauls, als Herausgeber von Anthologien, als belletristischer Autor und als Buchhändler und Betreiber eines kommerziellen Lese-Instituts, das er zur umfassendsten Leihbibliothek in Bayern auszubauen verstand. Kunz hatte eine kaufmännische Lehre absolviert und war zunächst Handlungsgehilfe in einem Leipziger Speditions- und Bankgeschäft, ehe er als Angestellter und bald Teilhaber der Weinhandlung G. M. Niezoldi nach Bamberg kam und mit Ehefrau Wilhelmine übersiedelte. Anfangs wohnte die junge Familie mit Töchterchen bei Hoffaktor Hesslein zur Miete (heute das ‚Krackhardt-Haus’). Die Firma des inzwischen selbständigen Unternehmers befand sich im Mittelbau, das Getränkelager im Keller.

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Nach dem Umzug in das Wohnhaus Eisgrube 14, dessen Türknauf Hoffmann zur Figur des Äpfelweibes im Kunstmärchen „Der goldene Topf“ anregte, trafen sich befreundete Schriftsteller und Literaturliebhaber, darunter die Mediziner Adalbert Friedrich Marcus und Christian Pfeufer, in der Privatbibliothek des Hausherrn. Deren Bestand bildete den Grundstock des am 11. Dezember 1814 eröffneten Kunz’schen Lese-Instituts. Zuletzt verfügte diese Leihbücherei über 15.000 Bände. Aus Neigung wechselte der Literatur sammelnde Vinothekar das Gewerbe und erhielt am 28. Mai 1814 die Konzession für das Buchhandelsrecht. Ohne den Weinhandel ganz aufzugeben, stellte er sich im „Fränkischen Merkur“ nunmehr als Buchhändler, Sortimenter und Verleger vor: Allen Bücherfreunden empfehle ich mich bei allen Vorfällen auf das angelegentlichste. Der neu gegründete Verlag brachte noch im selben Jahr neben E.T.A. Hoffmanns „Fantasiestücken“ Wetzels „Schriftproben“ und „Die Symbolik des Traumes“ von Gotthilf Heinrich Schubert heraus. Weit über hundert Titel erschienen dort. Anders als für E.T.A. Hoffmann, der im April 1813 Bamberg den Rücken kehrte, wurde die Regnitzstadt für den ebenso Zugereisten Kunz zur Wahlheimat. Als Mitglied der geselligen Vereinigungen des ‚Museums’ und der ‚Harmonie’ gehörte er zum angesehenen Bürgertum, auch dann noch, als der geschäftliche Erfolg zu wünschen übrig ließ. 1821 bereits mussten Buchhandlung, Ausleihe und Wohnung aus dem ‚Haus zum Marienbild’ am Pfahlplätzchen (im Frühjahr 1968 abgerissen) nach dem Zinkenwörth 39 (heute Schillerplatz 4) verlegt werden. 1833 verkaufte Kunz das Unternehmen an den einheimischen Verlagsbuchhändler Johann Casimir Dresch und wagte als Z. Funck – Anagramm für C. F. Kunz – einen Neuanfang als Literat. Am bekanntesten mag seine Novelle „E.T.A. Hoffmann und die Epigonen in Bamberg“ (1839) sein.

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Standesgemäß noch konnten die drei Töchter vermählt werden, doch das Vermögen von 3000 Gulden und aller Zugewinn waren verbraucht, zumal Kunz mit seinen wertvollen Sammlungen sehr großzügig umging. Nur Weniges ist in der Bamberger Staatsbibliothek erhalten. Einkünfte aus Schriftstellerei und journalistisches Zeilengeld reichten kaum zum Überleben. Zuletzt wohnte er am ‚Theaterplatz’ (seit 1859 Schillerplatz) zur Untermiete und von der Stadt mit monatlich 2 Gulden unterstützt. Arm und von seiner Familie verlassen starb Kunz im Bamberger Krankenhaus. Am 31. Januar 1849 wurde er in einem später aufgelösten Armengrab beigesetzt. Zeitgenössischer und fernerer Biedersinn hielten Kunz den Mangel an kaufmännischer Fortüne, berufliche Unstete und sinnenfrohe Lebensart vor. Heute werden sowohl die Lebensleistung als auch die Persönlichkeit dieses vielseitigen Literaturvermittlers durch Anbringung einer Gedenktafel geehrt.

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E.T.A. Homann: Entschuldigungsbrief an Fanny Mark 7.9.1812 (E.T.A. Homann-Gesellschaft in der Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Misc.70/84/4)

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Bernhard Schemmel: Kunz und Hoffmann Carl Friedrich Kurz gibt zur Erwähnung eines Burgunder-Weins in einem vorher ungedruckten Brief E.T.A. Hoffmanns 1837 eine Erklärung: Hoffmann habe diesen „Nuits“ aus Ehrfurcht vor seiner geheimnißvollen Kraft und seinem gewürzreichen Bouquet nur in seinem Elemente, der N a c h t, oder geschah es bei T a g e, doch nur in der zauberisch dunkeln Umhüllung des K e l l e r s genossen. Zuweilen pflegte es sogar zu geschehen, daß wir Beide unsern Platz auf dem Fasse selbst (einer sogenannten Pièce) nahmen, und auf den entgegengesetzten Enden desselben, Gesicht gegen Gesicht gekehrt, triumphirend ritten. Jeder hielt das gefüllte Glas in der Hand, der offene Spund blieb in der Mitte, in welchem die blecherne Pumpe, als stets bereitwillige Hebe, bis die Gläser geleert waren, nachlässig ruhte. – Daß aber hier nicht auf gemeine Art gezecht, sondern auf die geistreichste und gemüthlichste Art sich des heitern Lebens gefreut ward, darf ich ebenfalls versichern. – Die allerdings höchst komische Attitüde gab Hoffmann Veranlassung zu einer trefflich kolorirten Zeichnung, die ich leider, wie so viele, ungestümen Bitten nachgebend, nicht mehr besitze. Dies ächte Tenier’sche Genrebild bezeichnete den Moment, wo, als wir eben Beide ganz gemüthlich auf dem Fasse gegenüber sitzen, und im Begriff stehen, unsre Gläser aneinander zu klingen, ein mit einem heftigen Donnerschlage verbundener Blitz durch die Kelleröffnungen zuckt, und unsre von Schrecken grimassirten Gesichter hell erleuchtet darstellt. – Das Bild war kein Phantasiestück, sondern einer wirklich erlebten Szene entnommen. Honny soit qui mal y pense! E.T.A. Hoffmanns frische Erinnerung an das Kellergewölbe des Hauses Grüner Markt 31 in einem Brief aus Dresden vom 8. September 1813 an den carissimo amico Kunz klingt etwas anders: Unwillkürlich gerate ich auch h i e r, wo ich es nicht wollte, in die kriegerischen Szenen des Tages – indem ich aber ein Glas Cagiorgischen Burgunder genieße, verschwinden plötzlich Kanonen – Granaten pp und ich sitze mit Ihnen in höchster 20


Gemütlichkeit in den herrlichen Katakomben des MaxPlatzes, der mir in schimmernden Lichtern oft wie der MarkusPlatz erschienen, da sich der Dunst der sublimsten Weine zum optischen LinsenGlase verdichtet, vor dem sich allerlei närrische Gestalten in skurrilen Bockssprüngen lustig und ergötzlich bewegten! Hoffmann zeigt in diesem Brief wie in seiner Literatur das typische unentwirrbare Ineinander von Realem und Phantastischem. Er brauchte bekanntlich den Alkohol als Stimulanz, um sich zu „montieren“, wie er sagt. Die Forschung kommentiert Kunzens Schilderung denn auch als nicht nachprüfbar und spricht höchstens von „ausgedehnten Zechgelagen“. Eine andere Schilderung von Kunz betrifft die unerfüllte Liebe Hoffmanns zu Julia Mark, der Nichte des Krankenhausdirektors Dr. Adalbert Friedrich Marcus und Gesangsschülerin Hoffmanns. Die Tagebücher, in der er Julia als Käthchen nach dem Schauspiel „Käthchen von Heilbronn“ Heinrich von Kleists oder mit dem Signet des Schmetterlings einführte, spiegeln die jahrelange qualvolle Entwicklung. Als Julia an einen Hamburger Kaufmann verheiratet werden sollte, kam es zum Eklat. Am 6. September 1812 hatte man in Pommersfelden gut gegessen und reichlich Wein genossen und wollte sich im Park ergehen. Der Bräutigam stürzte, streckte alle Viere von sich und Hoffmann stieß hervor: Sehen Sie, hier liegt der Sch-hund! Wir haben doch auch getrunken, wie er, uns passirt so etwas nicht! Das kann nur so einem gemeinen, prosaischen Kerl passiren! Hoffmann hat sich am Tag darauf bei der Mutter, der Konsulin Fanny Mark, entschuldigt, er sei mit einem gewaltsamen Ruck nicht berauscht worden, sondern in einen völlig wahnsinnigen Zustand geraten. Zwei Jahre nach dieser Veröffentlichung, also immerhin 25 Jahre nach dem Vorfall, hat Julia (längst wieder verheiratete) Marc, zwar einzelne Korrekturen an Kunzens Schilderung angebracht, die zitierte Situation aber nicht in Frage gestellt.

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Bei einer weiteren Darstellung lässt sich Kunzens Literarisierung nachweisen. Es ist eine Angabe zu der zweiten Wohnung Hoffmanns, der Mansarde und dem darunter gelegenen Wohnzimmer im heutigen ‚E.T.A. Hoffmann-Haus’, damals Zinkenwörth 50: Sein Duodezstübchen gab ihm oft, wenn ich zu ihm kam, Stoff zu komischen Einfällen und besonders war es ein viereckiges, etwa zwei Schuh breites Loch in der Decke, aus dieser in das obere Schlafstübchen führend, was ihn stets auf komische Weise beschäftigte, und von dem er die wunderlichsten Dinge berichtete. […] Es diente ihm nicht nur, wenn er z. B. sich im Schlafzimmer befand, und die Frau unten war, zur Conversation mit derselben, sondern auch zu allerlei komischen Überraschungen, die er ihr, bald durch das Herabhängen eines langen Handtuchs oder Herabwerfen eines Stiefelpaars und dergleichen bereitete. Diese Öffnung ist längst wieder eine Attraktion des ‚E.T.A. Hoffmann-Hauses’ am Schillerplatz 26. Kunz schmückte die Darstellung später aber novellistisch aus und widersprach in Einigem seinen eigenen vorherigen Angaben, um Zeugnisse einer Erinnerungskultur zu bieten. Kunz war zunächst Weinhändler, doch scheint der Weinhandel nicht so recht floriert zu haben. Am 2.1.1813 machte er eine Leihbibliothek auf, für die Hoffmann das Verzeichnis der italienischen Bücher und der Musikalien, der Kgl. Bibliothekar Heinrich Joachim Jaeck das der englischen Literatur verfertigte. Bezahlt hat er, so Jaeck süffisant, die meisten Buchhändler mit den in seinem Konkurse unsichtbar gewordenen Weinen. Im Jahr darauf erhielt Kunz die Konzession für das Buchhandelsgewerbe; zusätzlich verlegte er Bücher. Er verwendete seine eigene Bibliothek als Grundstock, und der Leser konnte Bücher ausleihen oder kaufen. Angeschlossen war ein Journallesezirkel. Kunz wurde der erste Verleger von Hoffmanns selbständigen Schriften. Eine 16seitige Flugschrift, „Die Vision auf dem Schlachtfelde bei Dresden“, verarbeitet die Erlebnisse, die er in dem zitierten Brief angedeutet. Für die „Fantasiestücke in Callots Manier“ vermittelte Kunz ein Vorwort Jean Pauls, der ein Benutzer seiner Leihbibliothek war. Die Beziehungen zwischen Jean Paul und Hoffmann waren nicht ungetrübt, zumal Hoffmann Jean Paul bei einem Besuch in Bamberg einmal karikiert 22


E.T.A. Hoffmann: Kunz’sches Familienbild. Gouache 1812/1813 (Historisches Museum Bamberg, Gr. 1992)

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hatte. Das Vorwort ist auch nicht gerade begeisternd. Das hinderte Hoffmann aber nicht, ihm 1821 den „Kater Murr“-Roman devot handschriftlich zu dedizieren. Jean Paul erhielt von Kunz 24 Flaschen Wein als Honorar für die Vorrede. Wie viel Wein Hoffmann mit Kunz je getrunken hat, ist natürlich nicht bekannt. Kunz, so Hoffmann, nahm in den Weinen eben so wie in seiner Bibliothek nur das wahrhaft gute geistvolle auf. Jedenfalls zahlte Hoffmann zumindest einen Teil in Naturalien, in Zeichnungen. Einige davon gelangten im Tausch an den Graphiksammler und –forscher Joseph Heller und von diesem in die Staatsbibliothek Bamberg, heute nahezu die einzigen erhaltenen Originalzeichnungen. In einer Gouache verewigte Hoffmann Kunz und seine Familie. Sie gilt als sein zeichnerisches Hauptwerk. Er verwendete vom 30. September 1812 bis zum 13. Februar 1813 viel Zeit und Sorgfalt darauf. Dargestellt sind Kunz mit seiner Frau und der ältesten, fünfjährigen Tochter. Rechts sitzt die unverheiratete Schwägerin. Die herausgehobene Gattin schaut über Kunz hinweg; vielleicht denkt sie an die im Hintergrund dargestellte Altenburg, wo sich Hoffmann als Gast von Adalbert Friedrich Marcus zeitweise aufhielt. Kunz ist mit den Attributen Wein, Jagd und Buch für Profession und Leidenschaft charakterisiert. Hoffmann selbst hat sich in einem aufgeschlagenen, nie erschienenen Buch mit dem Titel „Lichte Stunden eines wahnsinnigen Musikers“ porträtiert. Das Familienbild stellt alles andere als eine Familienidylle dar. Auf dem Bild ist eine rote Decke dargestellt. Es dürfte sich um die erhaltene Damastdecke handeln. Sie ist „1788“ datiert und weist die Initialen „I. S. B.“ unter einer Krone an allen vier Ecken auf. Sie sind als Johanna Sophie Bellé (Beller) aufzulösen. Diese war eine geborene Jehne in Dessau und schenkte 1787 einer Tochter Wilhelmine das Leben. Kunz heiratete diese im Jahr 1807; sie starb 1856 in Prag bei ihrer Tochter, die mit dem Maler und Akademiedirektor Gustav Kratzmann verheiratet war.

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Damastdecke der Schwiegermutter von Kunz, Johanna Sophie BellÊ von 1788. E.T.A. HomannGesellschaft e. V.

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Die E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft erhielt die Decke 1936 von der Urenkelin von Kunz, Marie Birkenmayer aus Esting bei München. Sie überstand den 2. Weltkrieg im ‚E.T.A. Hoffmann-Haus’ und wurde 1972 bei der Umgestaltung zum 150. Todestag Hoffmanns durch den damaligen Vorsitzenden, Dr. Georg Wirth, wieder „entdeckt“. Seine Tochter, die Textilrestauratorin Sibylle Wirth (verheiratete Russ), restaurierte sie im April 1980.

E.T.A. Hoffmann zeichnet sich, Kunz und Christian Pfeufer. Radierung von August Hoffmann 1839 nach Zeichnung E.T.A. Hoffmanns 1809/1813 (Staatsbibliothek Bamberg, V A 227) 26


Unter Hoffmanns Darstellungen von Kunz ist vor allem eine Zeichnung bemerkenswert. Sie zeigt ihn mit dem Krankenhausdirektor Christian Pfeufer, der ein Bläschen auf seiner Zunge untersucht. Hoffmann hielt den Vorgang fest, der für einen Außenstehenden befremdlich erscheinen musste, fügte sich gleichwohl zeichnend als Beobachter mit ein, treffend ähnlich dargestellt. Kunz versuchte, bei der Bürgergesellschaft Harmonie als Sekretär unterzukommen. Er wurde hier wie auch beim Kunstverein als Ehrenmitglied gewürdigt. Er verlegte sich auf schauspielerische und literarische Themen. Von seiner späteren Wohnung am Zinkenwörth (am heutigen Schillerplatz 4, später Nr. 10) führte er reisende Literaten wie Karl Immermann oder Fürst Pückler-Muskau zu der nahen Wohnung Hoffmanns und beschenkte sie oft reichlich mit Andenken. Als er am 27. Januar 1849 verlassen und verarmt verstarb, hatte er nur das Familienbild behalten. 1955 konnte es von der Stadt Bamberg gekauft werden. Kunz überliefert, Hoffmann habe bei der ersten Begegnung zu ihm gesagt: Sie sind auch kein Bamberger, wie ich höre. Die Verbindung der beiden Zugezogenen und Protestanten, die erkennbar anders sprachen als die Bamberger, war intensiv. Die Vorliebe für geistige Getränke, anregende Gespräche und gemeinsame Lektüre verband, Kunz lebte gern und gut, war freigiebig, außerdem sehr belesen, unterhielt auch eine ausgedehnte Korrespondenz. Jaecks bitteres Verdikt „Verfehlte Bestimmung“ ist ungerecht und trifft die Bedeutung Kunzens nicht.

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Siegmar Walter: „Sie sind jetzt ein Bamberger, wie ich sehe“. A Gedichdla übän Kunz des iss edsd ball scho nümmä woä dswaahunnerd joä und nuch a boä do sinn noch bamberch hinderander örschd deä aa und dann deä anner dswa sogenannda breussn kumma breussn dswoä doch kanna dumma örschd iss kumma heä dsä uns aus leibdsich der carl friedrich kunz doch woä eä hiä nedd long allaa im joä drauf kaam der eedeeaa sinn ball sich übän weech geloffn und dsiemlich schnell midnandä gsoffn deä hoffmann deä woä om deadä und hodd ghobbd an dauäkadä hodd midm kunz sich dsamm offd gfundn hiä gands genau im källä drundn deä kunz hodd geän ann wain gedrunkn und ball hodd des na dsu orch gschdunkn dass eä örsch immä laafn muss und örschd an wain sich kaafn muss hodd selbä ogfangd wain dsä handeln 28

und so sich gschbord des longa wandeln als freund woä eä dem hoffmann rechdd aa aichnä kellä is nedd schlechd die hom dswoä fill doch nedd bloos gsoffn dass di dswa sich hiä hom gedroffn des woä in bamberchs longa gschichd a wirklich ganz besonders lichd dea aa deä hodd viel büchä gschriem deä andä hodd era verdriem hodd ghobbd aa büchä dsum verleia in riesnräum und longa reia dem hoffmoo dem gings meisdns schlechd mä froochd sich wos hädd deä gemechd wenn deä nedd ghobbd nooch dswa drei humbn den kunz um na nuch oo dsäbumbn eä hodd sain wain ofd nedd bedsoold eä hodd na ainfoch wos gemoold des geld weä ford doch gibbds bis heud die bildla fu dem kunz sei leud


den eedeeaa den kennd aa jedä aa wennä eä woä kaa dsiebldredä eä is aa nedd seä long gebliem doch hodd eä hiä scho schöns dseuch gschriem is widdä ham wie des so isd woä widdä breusischä jurisd deä kunz deä woä edsd gands allaa doch kennd mä iin olds ann fu dswaa

deä kunz deä ist ganz ungelogn nuch ochd biss dseämoll umgedsogn doch hodds na neddmoll wos genüdsd wi nan des apfelweibla gschüdsd eä woä alla und dsiemlich orm wie eä in bamberch hiä is gschdorm doch endliich is edsäd deä kunz die dofl sechds --- anä fu uns

Kunz im Bett, E.T.A. Hoffmann vorlesend (ob Fouqués Undine?). Radierung von Johann B. Sonderland 1839 nach Zeichnung E.T.A. Hoffmanns 1809/1813 (Staatsbibliothek Bamberg, V A 272) 29


Bernhard Schemmel: Hans Günter Ludwigs Illuminationen zu Kunz Hans Günter Ludwig wurde am 19. März 1963 in Bamberg geboren; sein Vater war stellvertretender technischer Leiter am Bamberger Theater. Nach der Realschule in Scheßlitz lernte Ludwig an der Staatlichen Fachoberschule in Nürnberg Gestaltung und ließ sich anschließend in Gremsdorf zum graphischen Zeichner ausbilden. In Frankfurt am Main war er in Werbe- und Designagenturen tätig, in einer Verpackungsfirma für Hipp und Danone. Im Jahr 2006 kehrte er nach Bamberg zurück und seit dem Jahr darauf ist er als selbständiger Graphiker hier tätig. Der Künstler ist bereits aus einer blauen Serie mit Postkarten und Lesezeichen zu E.T.A. Hoffmann bekannt geworden. Er gehört der Künstlergruppe „blau 7“ mit Ingo Sigismund an, die das Apfelweibla „in die ganze Welt schicken“ möchte. Wer den E.T.A. Hoffmann-Weg schon abgegangen ist, wird seit 2010 zum audiovisuellen Führer mit einem schönen Faltblatt von Ludwig geleitet. Er liebt die kräftigen Farben und eine realistische, man könnte sagen, kindgerechte Wiedergabe. Am Sonntag, 1. August 2010 war er bei der „Künstlergruppe Monopterus Bamberg“ im Rahmen des Kunstpavillons im Hain vertreten, und zwar mit Illustrationen zu Hans Christian Andersens Märchen, u. a. „Die Schneekönigin“ und „Die kleine Meerjungfrau“, aber auch mit Küstenlandschaften von der „dänischen Südsee“ und expressiven Stillleben mit floralen Motiven. Auf Anregung des Kulturamts der Stadt Bamberg hat er zehn Illuminationen zu E.T.A. Hoffmann geschaffen, fünf Objekte aus dem Umkreis von Hoffmanns Bamberger Zeit und eine gleich große Zahl aus Werken Hoffmanns, die mit Bamberg verbunden sind. Zur Präsentation verwendet werden Stelen mit Glasaufsätzen, ur30


Hans Gßnter Ludwig: In den Katakomben des Maxplatzes. Installation 2010 (E.T.A. Homann-Haus)

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sprünglich Beleuchtung am Schillerplatz, als der Bamberger E.T.A. Hoffmann-Weg mit einer langen E.T.A. Hoffmann-Nacht am 28. März 2009 eröffnet wurde. Für die neue Nutzung wurde das Glas mit Darstellungen zum Leuchten gebracht. Im ‚Krackhardt-Keller’ wurden, vor Fertigstellung des ganzen Zyklus, zwei Objekte gezeigt. Ihre Darstellungen gehen vor allem auf Angaben von Kunz zurück. Sein Weinkeller ist mit einem Fass dargestellt, aber nicht mit dem legendären Ritt darauf. Kunz und Hoffmann sind eine Wendeltreppe herunter gekommen und sitzen an einem Tisch. Sie haben schon eifrig und feucht-fröhlich gebechert, alles wackelt, Flaschen liegen am Boden, Kunz verheddert sich am Tisch, droht bald umzufallen. Als zweite Ebene sieht man den Markusplatz im Hintergrund aufleuchten. Aus Hoffmanns Werk erscheinen groteske Gestalten: der Archivarius Lindhorst, wie er sich in einen Geier verwandelt, der Nussknacker und die Automate Olimpia, fliegend. Auf dem Deckel ist transparent die Ansicht des Maxplatzes von Friedrich Karl Rupprecht wiedergegeben. Die Szene in Pommersfelden auf dem anderen Lichtschirm zeigt vor der Kulisse von Schloss Weißenstein auf grünem Rasen den gestürzten Graepel, alle Viere von sich streckend, dazu den „teuflischen“ Hoffmann, Julia mit Schirm, die Mutter echauffiert und Kunz als Beobachter. Der apostrophierte Sch-hund erscheint als Gag wirklich. Eine transparente Reproduktion des Entschuldigungsschreibens Hoffmanns vom folgenden Tag bildet den Deckel des Zylinders. Die Technik ist die des Scherenschnitts mit durchsichtigen und undurchsichtigen Papieren, die eine räumliche Tiefe ergeben, auf diese Weise Reales, Abstraktes und Phantastisches verbindend. Mit diesen kleinen Kunstwerken sind die Motive und Geschichten vereint, die Darstellungen sind verlebendigt, erlauben es, die Handlung betrachtend nachzuvollziehen. Skurrile Details wie versteckte Katzen und Mäuse ermöglichen Suchspiele.

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Hans Gßnter Ludwig: Szene in Pommersfelden. Installation 2010 (E.T.A. Homann-Haus)

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Michael Stark: Literarische Gedenktafeln und Denkmäler in Bamberg Gedenktafeln und Denkmäler sollen uns erinnern. Gedacht wird meist bedeutender Gestalten und wichtiger Ereignisse der ferneren und jüngeren Vergangenheit. Erinnert wird an namhafte Bürger und Gäste von Rang, aber auch an weniger Belangvolles und manches heute Zweifelhafte. Das ist in Bamberg nicht anders. An der dem Rathaus gegenüberliegenden Front des ‚Krackhardt-Hauses’ wurde schon einmal eine Gedenktafel angebracht, und zwar am 4. Juli 1855 zur Erinnerung an das vormalige Bürgerspital und die Katharinenkapelle. Sie befindet sich noch immer an Ort und Stelle, und ein Gleiches wünschen wir nun der jüngsten für Carl Friedrich Kunz. Die Initiative hatte seinerzeit König Max II. Joseph von Bayern ergriffen. Höchstselbst lag ihm daran, die Erinnerungen und Überlieferung an Örtlichkeiten, wo ehedem bemerkenswerthe, oder die frühere Gestaltung der Städte bezeichnende städtische oder ärarische oder Privatgebäude standen, durch Aufstellung steinerner Gedenktafeln, an Gebäuden, Mauern und dgl. zu sichern. Der Historiker unter den Wittelsbachern war Schüler Leopold von Rankes, der Geschichte erforschen hieß, wie sie wirklich war. Wie nicht anders zu erwarten, folgte der Magistrat dem Rescript der Allerhöchsten Absichten, und so erhielt das ‚Krackhardt-Haus’ die erste Tafel zur Zier. Daneben hat man in Bamberg im 19. und 20. Jahrhundert verdiente Bürger der Stadt auf diese Weise geehrt. Bereits 1827 war eine Tafel für den Schulhausstifter Heinrich Karl Rüdel angebracht worden. Als erster ‚moderner’ Schriftsteller sozusagen wurde Friedrich Gottlob Wetzel, dessen „Schriftproben“ Kunz publiziert hat, am 18. Oktober 1869 entsprechend gewürdigt. 34


Zu gerne hätte einst die deutschnationale Begeisterung auch in Bamberg ein Schiller-Denkmal errichtet, obwohl der Weimarer Freiheitsherold die Stadt wohl nur dem Hörensagen nach kannte. Seinen 100. Geburtstag feierte man 1859 ganz pompös, mit Festakt im Theater und Konzert, mit Umzug und Pflanzung einer Eiche im Hain unter Kanonendonner von der Altenburg. Der Theaterplatz wurde umgetauft, in der Hoffnung, Mäzene für ein Monument des Klassikers zu finden. Konditoreien verkauften als Tagesgebäck ‚gefüllte Schillerlocken’. Goethe dagegen bekam seine Gedenktafel, am ehemaligen Gasthaus ‚Zum Weißen Lamm’ in der Unteren Königstraße, wenn auch viel später. Sie wurde im April 1928 aufgehängt, zunächst mit falscher Inschrift übrigens (Goethes Aufenthalt am 17. November 1797 war auf den 20. Mai vorverlegt worden). Weitere literarische Memorialtafeln vor Ort gelten Hugo von Trimberg und Karl May, mehrfach dem Angedenken E.T.A. Hoffmanns, der Erinnerung an den Bamberger Kunsthistoriker und Schriftsteller Joseph Heller und an den zum Katholizismus konvertierten ‚Rembrandtdeutschen’ Julius August Langbehn. Zweifellos waren es aus heutiger Sicht fragwürdige Motive, diesen deutschtümelnden Scharfmacher mit antisemitischem Einschlag zeitgleich mit Goethe zu ehren. ‚Kunz und Goethe’ ist zwar kein Kapitel für sich, doch gibt es Spuren. So inszenierte Kunz 1839 für das ‚Theater im Freyen’ während der Bamberger Theresien-Volksfeste unter anderem eine von ihm bearbeitete (und 2009 in einem Nachdruck vorgelegte) Fassung des Götz von Berlichingen und nahm in seine Textsammlungen Auszüge aus Goethes Gesprächen mit Eckermann auf. Nicht deswegen allein schlug die hiesige Goethe-Gesellschaft vor, dem lange unterschätzten Wahl-Bamberger und ersten Verleger Hoffmanns einen Denkstein zu widmen. Ein Wunsch nach ‚Wiedergutmachung’ war da mit im Spiel. Der Weimarer Klassiker nämlich beargwöhnte, daß die krankhaften Werke jenes leidenden Mannes lange Jahre in Deutschland wirksam gewesen und solche Verirrungen als bedeutend-fördernde Neuigkeiten gesunden Gemüthern eingeimpft worden. 35


Gedenktafel am ‚Krackhardt-Haus’, Grüner Markt 31, 96047 Bamberg

Gemeint war E. T.A. Hoffmann. Leider sollte diese literaturkritisch gemeinte Unterscheidung zwischen ‚gesund’ und ‚krank’ sich später hierzulande geistig verwirrend auswirken. Im Jahr 1870 bereits wurde vorgeschlagen, neben Gedenktafeln für Hoffmann, Marcus, Schönlein und Heller auch eine für Heinrich Joachim Jaeck anzubringen. Der freigestellte Zisterzienser des aufgelösten Klosters Langheim war Büchernarr, wie Kunz, und literarisch tätig als Lokalhistoriker, Schriftsteller und Bibliothekar. An diesen bemerkenswerten Eingeborenen erinnert in Bamberg vorläufig nur ein Straßenname. 36


Quellen Die Kunz-Zitate im Beitrag Schemmel, Kunz und Hoffmann sind entnommen: E.T.A. Hoffmann in Aufzeichnungen seiner Freunde und Bekannten. Eine Sammlung. Hrsg. von Friedrich Schnapp. München 1974. S. 243, 208-210 und E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch 17, 2009, S. 202, das Brief-Zitat: E.T.A. Hoffmanns Sämtliche Werke. Bd. 1. Frankfurt am Main 2003. S. 306. Der Beitrag Stark, Literatur aus dem Geist des Weines, wurde zuerst publiziert in: Fränkischer Tag. Beilage Fränkischer Sonntag vom 24./25. Juli 2010, S. 1. - Die Kgl. Anweisung zur Anbringung von Gedenktafeln in dem entsprechenden Beitrag Stark ist zitiert nach: Intelligenzblatt für Oberfranken 1.4.1852, Nr. 44; Goethes Urteil über E.T.A. Hoffmann aus: Werke. Ausgabe letzter Hand. Stuttgart und Tübingen 1833 ist zitiert nach Schnapp, S. 747.

Literatur Fertig, Ludwig: „Ein Kaufladen voll Manuskripte“. Jean Paul und seine Verleger. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 32 (1989) S. 273-395, spez. S. 332f. Heinritz, Reinhard: Das E.T.A. Hoffmann-Museum in Bamberg. Einblicke in ein Künstlerleben. Bamberg 2003. Spez. S. 64-72. Herd, Rudolf: Ungedruckte Romantikerbriefe. Aus dem Briefwechsel des Bamberger Verlegers Karl Friedrich Kunz. In: Bamberger Blätter 10 (1933) S. 11f., 15f. Schemmel, Bernhard: Die E.T.A. Hoffmann-Sammlung der Staatsbibliothek Bamberg. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rezeption E.T.A. Hoffmanns in Bamberg. In: Bibliotheksforum Bayern 6 (1978) S. 167-187, spez. S. 171-174. Ders.: Carl Friedrich Kunz: Weinhändler, Leihbibliothekar und Verleger. In: Bamberg wird bayerisch. Die Säkularisation des Hochstifts Bamberg 1802/1803. Katalog. Hrsg. von Renate Baumgärtel-Fleischmann. Bamberg 2003. S. 410-412. 37


Ders.: E.T.A. Hoffmann-Haus und E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft. In: E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch 17 (2009) S. 199-215, spez. 201-206. Segebrecht, Wulf: Neues zum „Neuen Lese-Institut“ des C. F. Kunz. In: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft 23 (1977) S. 50-56. Ders.: Carl Friedrich Kunz. In: Neue Deutsche Biographie. Bd. 13. Berlin 1982. S. 307f. Ders.: Weinhändler, Buchhändler, Literat. Vor 200 Jahren wurde Carl Friedrich Kunz geboren. In: Mitteilungen der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft 31 (1985) S. 59-68. Ders.: E.T.A. Hoffmann. In: Gerhard C. Krischker: Bambergs unbequeme Bürger. Bamberg 1987. S. 109-122. Ders.: Hoffmanns imaginäre Bibliothek italienischer Literatur. In: Das Land der Sehnsucht. Hrsg. von Sandro M. Moraldo. Heidelberg 2002. S. 9-23. Stark, Michael: Goethe unter freiem Himmel. Jahresbericht der Goethe-Gesellschaft Bamberg 26/27 (2006/07) [ ersch. 2008]. Vodosek, Peter: Eine Leihbibliothek der Goethezeit: das „Königl. Privilegirte neue Leseinstitut“ des Carl Friedrich Kunz zu Bamberg. In: Jahrbuch des Wiener GoetheVereins 77 (1973) S. 110-133. Walther, Karl Klaus: Carl Friedrich Kunz. Ein literarischer Unternehmer aus Bamberg. Bamberg 1994 (Fußnoten zur Literatur 29). Ders.: Kolleg des großen Mendelssohn. Der jüdische Gelehrte Aron Wolfsohn in Bamberg. In: Fränkischer Tag. Beilage Fränkischer Sonntag vom 12. Juli 1997, S. 2. Ders.: Buch und Leser in Bamberg 1750-1850. Wiesbaden 1999. Spez. S. 237-257. Widmaier, Tobias: Der deutsche Musikalienleihhandel. Funktion, Bedeutung und Topographie einer Form gewerblicher Musikaliendistribution vom späten 18. bis zum frühen 19. Jahrhundert. Saarbrücken 1998. S. 81-84. 38


Gustav Kratzmann: Portr채t C. F. Kunz. Bleistiftzeichnung, rechts unten signiert; an den Ecken beschnitten und einmal angesetzt, urspr체nglich gerahmt (Staatsbibliothek Bamberg, V A 273b) 39


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