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Lasst die Jungen ran
Die Sortimente auffrischen, sich mit den neuen Herausforderungen der Digitalisierung auseinandersetzen – das sind überlebensnotwendige Aufgaben im Handel. Warum nicht die Fähigkeiten junger Mitarbeiter nutzen, wenn es darum geht, den Modehandel nach vorne zu denken? Ihr Potenzial wird noch viel zu wenig genutzt.
Text: Nicoletta Schaper. Fotos: Gesprächspartner. Illustration: Claudia Meitert@Caroline Seidler
Johannes Westerheide ist von der Orderrunde zurück. Mehrere Tage war er unterwegs, hat mit seinem Team viele Kollektionen gesehen und viele Leute gesprochen, schließlich gehört er der Branche seit zehn Jahren an und ist entsprechend gut vernetzt. „Ich beobachte auf Messen und in Showrooms nur vereinzelt, dass die Einkäuferteams gestandener Häuser auch junge Leute dabei haben“, so der Geschäftsleiter von Silomon. „Generell bindet unser Handel seinen Nachwuchs noch viel zu wenig ein. Vielleicht, weil gerade wir in der Modebranche uns immer für am Puls der Zeit halten, egal, wie alt wir sind. Aber ein Mittvierziger kann dennoch gewisse Dynamiken nicht mehr so nachvollziehen wie derjenige, der jetzt damit aufwächst.“ Zugleich steht der Einzelhandel unter Kostendruck. „Aus der Not heraus gönnt sich der Händler oft die Investition nicht, seine jungen Mitarbeiter mitzunehmen“, sagt Westerheide, „für viele sind das Personalkosten, bei denen kein unmittelbarer Umsatz dahintersteht. Die Wenigsten haben begriffen, dass das aber für ihre Zukunft notwendig ist.“
Umbruch Offline und Online, anything goes. Die Herausforderungen im Markt sind überaus komplex: Die Kommunikation hat sich vollkommen gewandelt, der Informationsfluss ungleich beschleunigt. Was uns heute bestimmt, ist zudem jung getrieben: Die technische Digitalisierung und Social Media sind jung besetzte Themen, die von den Jungen gefordert und auch vielfach weiterentwickelt werden. Und sie können von großem Nutzen für den stationären Handel sein. Johannes Westerheide sieht sich und Silomon als Handelsunternehmen, wie viele andere auch, im Findungsprozess. Er möchte Erlebnis auf der Fläche bieten und das auf allen Kanälen entsprechend bewerben. „Wir haben in der Geschäftsleitung diskutiert und erkannt, dass, wer es nicht versteht oder nicht Social-Media-affin ist, es auch nicht gut kann“, sagt Westerheide. „Deshalb habe ich das Feld ein paar Mitarbeitern überantwortet, die 20 bis 25 Jahre alt sind und somit die sozialen Medien ganz intuitiv nutzen.“ Etwa dreimal wöchentlich gibt es Posts auf Facebook und Instagram. Die Ideen hierfür kommen meist von den Verkaufsmitarbeitern auf der Fläche. „Der Erfolg ist nicht direkt messbar, aber wir merken, dass sich unsere junge Klientel glaubhaft mitgenommen fühlt, weil es nicht so erwachsen konstruiert ist.“
Elke Henschel, Head of Buying Ludwig Beck, baut ebenfalls auf die Jugend. „Es ist mir eine Herzensangelegenheit, jüngere Mitarbeiter zu fördern und ihnen auch Verantwortung zu übertragen“, sagt sie. „Sie gehen anders ran an die Dinge, frisch und unvoreingenommen, ohne Vorgeschichte. Das möchten wir für Ludwig Beck nutzen. Auf der anderen Seite haben wir langjährige Mitarbeiter, deren Erfahrung zum Tragen kommt, wenn es schwierig wird, zum Beispiel, wenn Umsätze nicht laufen und ein Plan nicht wie gedacht aufgeht. Denn damit tun sich Jüngere schwer. In Zusammenspiel unserer Mitarbeiterschaft zwischen Anfang 20 und 60 Jahren ist es umso wertvoller, dass jeder etwas beitragen kann.“ So sind bei Ludwig Beck die Jungen in der Order oft die Entscheider, die auch die Möglichkeit bekommen, junge Kollektionen, die gerade dran sind, auch mal mit einer Pop-up-Fläche zu promoten, wie in den vergangenen Osterferien die Marke NA-KD, mit DJ und Drinks von frank Juice. „Neue Kollektionen bekommen bei uns leicht eine Chance“, so Elke Henschel. „Wir wissen durch Umfragen, dass unsere Kunden von uns erwarten, überrascht zu werden. Deshalb sind wir immer bereit, Neues auszuprobieren, auch, weil die Dynamik im Markt noch mal zugenommen hat.“ Eine Dynamik, die auch Johannes Westerheide zu spüren bekommt. „Es ist schwieriger geworden, die jüngeren Kunden authentisch abzuholen, weil der modische Wandel sich dort schneller vollzieht. Für sie müssen wir die neuen Themen wie jetzt die Streetwear, wie sie Marken wie Champion, Fila und Elesse verkörpern, von Null auf Hundert auf der Fläche zeigen. Das gelingt uns nicht immer. Und die jungen Kunden sind noch nicht so loyal wie die älteren, weil ihnen die Beratung, also unsere USP, noch längst nicht so wichtig ist.“
Neue Kunden Laura Rogger unterstützt ihre Eltern Fritz Rogger und Sonja Rogger-Furrer seit eineinhalb Jahren im Unternehmen Phänomen, gemeinsam mit ihrer Schwester Marina Bayat-Rogger. Facebook, Instagram und Whatsapp sind ihre Domäne, und sie nutzen sie für Phänomen schon länger. „Für uns ist das ein zusätzlicher Kanal, mit dem wir unser Geschäft bewerben, außerdem sehen wir dort Trends und welche Marken die Stars tragen“, sagt die 28-Jährige. Durch Initiative der Schwestern bereichern Kollektionen wie Fenty x Puma, Roqa, Sneaker von Filling Pieces und Menswear von Deus Ex Machina das Angebot von Phänomen. „Manches haben wir zu vorsichtig eingeteilt, da hätten wir mehr auf unser gutes Bauchgefühl hören können, denn ein Bild auf der Fläche überzeugt mehr als ein paar Einzelteile“, sagt Laura Rogger. „Mit Anine Bing trafen wir zwar den Geschmack unserer jüngeren Kundinnen, aber die Kollektion war für sie zu hochpreisig. Viele junge Frauen kaufen mehr bei Zara, während die jungen Männer eher bereit sind, bei uns Geld auszugeben, etwa für Marken wie Stone Island und Dsquared2.“ Schon zweimal haben die Rogger-Schwestern zur Friend’s Night eingeladen, gemeinsam mit den jungen Verkaufsmitarbeitern, inklusive DJ und Drinks. „Das kam super an, viele haben sich vorher nicht zu uns getraut, weil sie dachten, das Sortiment sei nur teuer!“, berichtet Laura Rogger. „Die jungen Kollektionen haben oft auch erschwinglichere Preise, die sich Jüngere leisten können, während die Junggebliebenen gern zur Dsquared2-Jeans das T-Shirt von Deus dazu kombinieren.“ So spricht der verjüngte Markenmix auch die Stammklientel von Phänomen an und macht darüber hinaus Jüngere zu neuen Fans.
Freiheit zur Verantwortung Die Freiheit der neuen Generation zu geben, damit diese sich im Unternehmen entfalten kann, wird auch von der Familie Grüner beispielhaft gelebt. Mit 150 Jahren ist Grüner in Klagenfurt das dort älteste Handelsunternehmen, das jetzt in fünfter Generation geführt wird. „Wir haben das Glück, dass unsere Kinder mit Spaß dabei sind, das ist ja keine Selbstverständlichkeit“, sagt Alfred Grüner. Seine Tochter Theres verwaltet das Büro für die nunmehr fünf Geschäfte, während sein Sohn
„Mit unseren neuen Kollektionen bekommen wir auch die jüngeren Kunden, weil die Preise nicht so hoch sind.“
Laura Rogger, Geschäftsführerin Phänomen
Elke Henschel, Head of Buying Ludwig Beck
„Ich möchte bei meinen Einkaufsmitarbeitern ein Bewusstsein für einen gesunden Preislagenaufbau schaffen, weil die Welt nicht nur aus Premium besteht. Denn wir wollen auch die Breite der Kunden erreichen.“
Johannes Westerheide, Geschäftsleiter Silomon
Frank Troch, Geschäftsführer Hirmer
„Die junge Denke unserer Kinder hält auch uns Eltern jung.“
Alfred Grüner, Geschäftsführer Grüner
Gregor Grüner, Leiter Online-Business Grüner
Gregor neben der Filiale in der Kramergasse, den Onlinebereich verantwortet. Mit Erfolg: Der seit sieben Jahren betriebene Webshop ist seit zwei Jahren in den schwarzen Zahlen. „Es funktioniert deshalb so gut, weil mein Vater von Anfang an den Druck herausgenommen hat, dass wir übernehmen müssen“, so Gregor Grüner. „Zudem ist er ein guter Stratege und macht die Möglichkeiten auf.“ Schon 1998 initiierte Alfred Grüner einen Webshop und bewies damit visionäres Denken. „Es war aber noch zu früh und außerdem konnte sich keiner richtig darum kümmern“, sagt Alfred Grüner. In der Zusammenarbeit wird eine demokratische Gesprächskultur gepflegt. „Vor allem bei modischen Themen zeigt sich die andere Sicht“, meint Alfred Grüner. „Der Trend Karo wirkt auf unsere Generation bieder, die junge dagegen findet Karos cool.“ Wann ist es gut, auf die Kinder zu hören, und wann zählt die Erfahrung? „Da kann man keinen Strich ziehen“, sagt Alfred Grüner. „Ich glaube an den stationären Handel, zumal wir jetzt eine weitere Filiale in Velden eröffnen. Aber ich halte Online auch für wahnsinnig wichtig. Die Social-Media-Kanäle sind so tolle Instrumente, uns zu bewerben, so können wir schnell interessante Artikel unter die Leute bringen“, sagt Alfred Grüner. „Wohl ganze 70 Prozent der Konsumenten informieren sich vorab im Netz, bevor sie ins Geschäft kommen. Was mich dabei überrascht, ist die Tatsache, dass das Konsumenten jeden Alters sind.“
Hard to get Nach wie vor leidet der Handel unter Mangel an Nachwuchs. Niedrige Löhne machen den Job ebenso wenig attraktiv wie die Rabattschlachten im Modemarkt, die zur Selbstentwertung beitragen. „Die wirklich qualifizierten jungen Leute muss man heute länger suchen“, sagt Frank Troch, Geschäftsführer von Hirmer. „Die aber, die man findet, die Spaß am Beruf haben, stehen viel früher vor einer Gruppe und referieren, sie trauen sich mehr zu.“ Die Anforderungen auch an den Einkauf ändern sich schnell und grundlegend. „Gleichzeitig ist die normale Ausbildung für den Bereich Einkauf oft unzureichend“, sagt Johannes Westerheide. „Ich muss meine Einkaufszahlen verstehen, lesen, deuten und aufbereiten können, das lernt der Auszubildende bei uns in internen Schulungen und Learning by Doing. Der Markt ist so stark im Wandel, aber der Professionalisierungsgrad der Ausbildung im Handel muss deutlich steigen. Wir sind oft nicht schnell genug, die nötigen Schritte zu gehen.“
Smartphonegeneration Hirmer in München will die Tradition des Herrenmodehauses ebenso in die Zukunft führen. Gerade wird das Erdgeschoss modernisiert und dabei einem jungen Mitarbeiterteam zwischen 18 und 25 Jahren, der sogenannte Förderkreis, ein Mitspracherecht eingeräumt. „Wie sieht heute ein Cashpoint aus, wo und wie zahlt der Kunde, wie vernetzt sich der Kunde bei uns mit unserem Onlineshop? Da kommen ganz andere Sichtweisen aus der Smartphonegeneration zum Tragen“, sagt Frank Troch. „Früher hatte jeder Verkäufer einen Zettel mit seinen Stammkunden in der Tasche. Heute ist es das Smartphone. Das ist nur ein anderes Medium, um mit dem Kunden zu kommunizieren. Wer hätte noch vor einigen Jahren gedacht, dass sich über Whatsapp Umsätze generieren lassen?“ Darüber hinaus werden die Jungen bei der Order und bei Fabrikantenschulungen integriert. „Heute übertragen wir dem Nachwuchs schon deutlich früher mehr Verantwortung“, sagt Frank Troch. Die eingangs formulierte Forderung: „Lasst die Jungen ran“ möchte er dennoch umformulieren. „Lasst die Mutigen ran, das trifft es für mich besser“, sagt Troch. „Es steht nicht mehr einer allein vorn, der alles weiß, sondern wir alle wissen etwas, über alle Altersschichten hinweg. Wir haben heute viel mehr Spezialistentum und jeder hat seine entsprechenden Stärken. Diesen Wandel vollziehen wir gerade: Ich weiß was und du weißt was. Gemeinsam wissen wir mehr.“
Sebago. UNTER NEUER FLAGGE
Die italienische BasicNet Gruppe, zu der u. a. auch die Marken Superga, Kappa und K-Way gehören, hat im Sommer des vergangenen Jahres vom amerikanischen Konzern Wolverine die Lizenz für Sebago übernommen. Seitdem wurde damit begonnen, die Traditionsmarke wieder zu alter Stärke zurückzuführen und behutsam mit modernem und zeitgemäßem Designansatz weiterzuentwickeln. Text: Kay Alexander Plonka. Fotos: Sebago
Daniel J. Wellehan Sr., William Beaudoin und Joseph Cordeau gründeten Sebago 1946 am Ufer des gleichnamigen Sees in Maine im Nordosten der USA. Ihr erster Schuh war ein rahmengenähter Penny Loafer, der in seiner Machart vom Mokassin der Indianer inspiriert war. Ab Mitte der 1960er-Jahre wurden die Loafer auch nach Europa exportiert. Im Jahr 1970 folgte mit der Einführung des Modell Docksides ein handgenähter Segelschuh aus Leder mit rutschfester Gummisohle, der genau wie das farbenfrohen Pendant Namens Spinnaker zu den wohl bekanntesten Modellen von Sebago gehört. Viele Jahre lang war die Marke Sponsor des America’s Cup und der Celebrity-Regatta von Newport nach Bermuda sowie Ausstatter der US-amerikanischen Segelnatio
nalmannschaft. Aktuell ist die Marke weltweit in 90 Ländern vertreten. Aber nicht nur echte Segler schwören auf Sebago. Schon Paul Newman, John F. Kennedy, Steve McQueen und Michael Jackson trugen damals die Schuhe aus Maine. Heute gehören u. a. Kate Middleton, Tom Hanks, Pharrell Williams, Bruno Mars, Lourdes Ciccone Leon und Jack O’Connell zu den Fans der Marke. Zudem gab es Kooperationen und Capsule-Kollektionen mit Filson, Ronnie Fieg und Amor Luxe. Bereits im Jahr 2003 übernahm Wolverine World Wide Inc. die Rechte an der Marke, bis im Juli 2017 die in Turin ansässige BasicNet SPA die Lizenz von Wolverine kaufte. Die österreichische CMH GmbH ist der Vertriebspartner von BasicNet für die D-A-CH-Region. Customer Service und Lager für die D-A-CH-Region sind in Schönau ansässig.
Klassisch, kultig, sportlich: Segelschuhe von Sebago sind weltberühmt und gehören zu DNA der Marke.