Dienstag, 3. Juli, 20 Uhr Stefaniensaal
Schubert und andere Wiener
Alban Berg (1885–1935)
Sonate in h, op. 1 Anton Webern (1883–1945)
Variationen für Klavier, op. 27 Sehr mäßig Sehr schnell Ruhig fließend
Arnold Schönberg (1874–1951)
Sechs kleine Klavierstücke, op. 19 Leicht, zart Langsam Sehr langsame Viertel Rasch, aber leicht Etwas rasch Sehr langsam
Drei Klavierstücke, op. 11 Mäßig Mäßige Achtel Bewegt
Franz Schubert (1797–1828)
Sonate in G, D 894 Molto moderato e cantabile Andante Menuetto: Allegro moderato Allegretto
Pierre-Laurent Aimard, Klavier
Einführungsgespräch vor dem Konzert um 19.15 Uhr im Saal
Konzertdauer: Erster Teil: ca. 40 Minuten Pause: ca. 30 Minuten Zweiter Teil: ca. 40 Minuten
Schubert und andere Wiener
„Schubert und andere Wiener“ hat sich Pierre Laurent Aimard für seinen Klavierabend herausgesucht. Dass er dabei eine Brücke baut von der „Wiener Klassik“ bzw. ihrem romantischen Erben Franz Schubert zur „Wiener Schule“, versteht sich bei seinen pianistischen Vorlieben von selbst. Wer, wenn nicht er, könnte eine monumentale Schubertsonate ebenso mitreißend vortragen wie mikrobisch kurze Klavierstücke von Schönberg, den expansiven „Sturm und Drang“ des frühen Berg ebenso wie die komprimierte Leidenschaft des späten Webern?
Ad notam
Waschechte Wiener waren sie alle vier: Franz Schubert kam 1797 im Himmelpfortgrund zur Welt, Arnold Schönberg 1874 in der Leopoldstadt, Alban Berg 1885 in der Inneren Stadt, im Schönbrunnerhaus Tuchlauben 8. Anton von Webern war ebenfalls ein Wiener, geboren 1883 in der Löwengasse im 3. Bezirk. Freilich zog er 1890 mit Eltern und Geschwistern nach Graz und war zwischen seinem siebten und elften Lebensjahr ein steirisches Schulkind, bevor sein Vater, ein Bauingenieur, mit der Familie nach Klagenfurt weiterzog, wo Anton maturierte. Erst zum Studium kehrte er in seine Vaterstadt zurück. „Wienerisch“ ist die Musik dieser vier Komponisten also in jedem Fall, aber auf sehr unterschiedliche Weise. Allen vier gemeinsam ist auch, dass sie keine konzertierenden Pianisten waren, das Klavier also vor allem als Ausdrucksmedium verstanden. Dies erklärt sicher, warum sie sich gerade dort so weit auf unbekanntes Terrain vorwagten.
Grande Sonate in G, Opus 78 Franz Schubert komponierte seine große G-Dur-Sonate für Klavier im Oktober 1826, unmittelbar nach dem G-Dur-Streichquartett und kurz vor Beginn der Arbeit an den ersten zwölf Liedern der „Winterreise“. Otto Erich Deutsch gab der Sonate in seinem „Deutschverzeichnis“ der Werke Schuberts die Nummer D 894, daneben trägt sie auch eine authentische Opuszahl, da sie noch zu Lebzeiten des Komponisten im Druck erschien: bei Haslinger in Wien als Opus 78, wenn auch nicht wirklich als „Sonate“ (siehe unten).
„IV. Sonate fürs Pianoforte allein“ - so nannte Schubert das Werk auf dem Titelblatt der Handschrift. Bis 1826 hatte er zwar schon weitaus mehr Klaviersonaten komponiert als nur vier Werke, doch hatte er in diesem Genre – wie auch im Streichquartett – alle seine Jugendwerke verworfen und 1824 neu mit dem Zählen begonnen. Als „Première Grande Sonate“ war im März 1826 seine große a-Moll-Sonate erschienen (D 845), als „Seconde Grande Sonate“ im Mai desselben Jahres die so genannte „Gasteiner Sonate“ in D-Dur (D 850). Nach dem Erfolg dieser beiden Publikationen nahm Schubert die G-Dur-Sonate in Angriff. Welches Werk er davor als „III. Sonate“ intendiert hatte, ist nicht bekannt. Der Verleger Tobias Haslinger brachte das Stück als neuntes Heft in seiner Reihe „Museum für Klaviermusik“ heraus, freilich keineswegs als Sonate: Der Titel lautete: „Fantasie“, fett geschrieben, und darunter in schmalen Lettern: „Andante, Menuetto und Allegretto für das Piano-Forte allein“. Die Titelgestaltung suggerierte dem Käufer, dass es sich um vier einzelne Klavierstücke handelte. Nur so waren die riesenhaften Dimensionen der vier Sätze und ihr durchwegs lyrischer Zug den Wiener Klavierspielern schmackhaft zu machen. „Fantasie oder: Sonate“ steht noch einmal vor dem ersten Satz. Für den Vortrag der G-Dur-Sonate gilt in besonderer Weise, was Schubert im Juli 1825 in einem Brief an seine Eltern als sein Ideal des Klavierspielens formulierte: „Besonders gefielen die Variationen aus meiner neuen Sonate zu 2 Händen, die ich allein und nicht ohne Glück vortrug, indem mich einige versicherten, daß die Tasten unter meinen Händen zu singenden Stimmen würden, welches, wenn es wahr ist, mich sehr freut, weil ich das vermaledeyte Hacken, welches auch ausgezeichneten Clavierspielern eigen ist, nicht ausstehhen kann, indem es weder das Ohr noch das Gemüth ergötzt.“ Mit der G-Dur-Sonate verfasste er gleichsam ein kompositorisches Manifest gegen das „vermaledeite Hacken“ am Klavier und alle Formen rein äußerlicher Virtuosität im anbrechenden Salonzeitalter.
Zur Musik Erster Satz, Molto moderato e cantabile (Sehr mäßig und singend): Die G-Dur-Sonate beginnt so, wie nur Schubert beginnen konnte: im zartesten Pianissimo, sehr ruhig wiegend im 12/8-Takt, mit einem Thema, das sich langsam auf den typischen Schubert-Ton einschwingt. Die zarte Melodie hat er an ein österreichisches Pilgerlied angelehnt – an dasselbe, das auch Beethoven in den Trioabschnitten des Scherzos aus seiner Siebten Sinfonie zitiert hat. Was aber bei Beethoven hymnisch auftrumpfend daherkommt, ist bei Schubert ganz zurückgenommen in die Innigkeit: ein stilles Gebet inmitten der Natur. Dieser Anfang widersprach so fundamental den Erwartungen an eine „Große Sonate“ und ihren schnellen Kopfsatz, dass der Verleger glaubte, ihn nur unter dem Titel „Fantasie“ ankündigen zu können. Dies hat dem gesamten Werk den missverständlichen Beinamen „Fantasie-Sonate“ eingebracht, dabei hatte Schubert hier keineswegs eine freie Fantasie im Sinn, sondern einen mustergültig gebauten Sonatensatz mit zwei Themen und Schlussgruppe, Durchführung, Reprise und Coda. Freilich ruhen alle Themen in sich selbst. Die pendelnden G-Dur- und D-Dur-Akkorde des Beginns scheinen im Raum zu schweben, ohne einen Impuls zum Weitermachen zu setzen. Ihre Eintrübung nach Moll wirkt ebenso nach innen gekehrt
wie die allmähliche Steigerung bis zum Fortissimo. Im zweiten Thema kommt der Rhythmus einer Barcarole, eines Gondelliedes, hinzu, aber zart, wie der Ruderschlag des einsamen Schiffers in Schuberts schönsten Wasserliedern (Auf dem See, Gondelfahrer, Des Fischers Liebesglück). Dieses Bild prägt den gesamten Seitensatz, der in schier endlosen Wiederholung variierend um die schlichte Melodie kreist. Nach einem kurzen heroischen Aufflackern fällt auch die Schlussgruppe in den lyrischen Duktus zurück. Den entscheidenden dramatischen Kontrast hat sich Schubert für die Durchführung aufgespart: Unversehens verwandelt sich das Hauptthema in eine Schicksalsmusik aus bleischweren MollAkkorden. Zweimal unterbricht der Seitensatz tröstlich das hermetische Moll des verwandelten Hauptthemas, bevor die Reprise erreicht wird. Sie verharrt wieder fast ganz im lyrischen Duktus der Exposition. Erst ganz am Ende scheint sich aus den Akkorden des Hauptthemas eine gewaltige Steigerung aufzubauen. Doch auch sie bricht ab und verhallt am Ende in zarten Echos. Zweiter Satz, Andante (Gehend): Der Dur-Moll-Gegensatz des Kopfsatzes wird wieder aufgegriffen, und zwar in Form eines fünfteiligen Rondos, Schuberts Lieblingsform für langsame Sätze. Das Rondothema ist eine
alpenländische Liedweise in D-Dur von äußerster Schlichtheit, im Dreiachteltakt, der immer wieder von drei Sechzehnteln als weichem Auftakt eingeleitet wird. In der ersten Episode wird diese Heimatweise von einem schroffen h-Moll-Thema in wild-heroischen Rhythmen verdrängt, einer Art Polonaise, die sich zu vollen Akkorden steigert und in zart-melancholischen Wendungen ausklingt. Nachdem Rondothema und Episode sich ein zweites Mal abgelöst haben, klingt das Durthema in einer letzten, innigen Variante aus. Der Satz als Ganzes wirkt wie ein Gegenstück zu den großen Liedern der Winterreise, in denen ein selig singender Traum von Sturm und Todesahnung verdrängt wird: „Lindenbaum“ und „Frühlingstraum“. Dritter Satz, Menuetto: Allegro moderato (Mäßig bewegt): Dass Schubert den dritten Satz „Menuett“ nannte, ist pure Ironie. Es handelt sich um ein romantisch zerrissenes „Scherzo“, einen schroffen Tanz in
h-Moll, der so kraftvoll einsetzt, als sei er für ein ganzes Orchester geschrieben. Immer wieder werden die orchestralen Akkorde von zarten „Bläserepisoden“ unterbrochen. Eine Spieldosenmusik von kindlicher Unschuld bildet das H-Dur-Trio, „molto ligato“ zu spielen. Vierter Satz, Allegretto (Ein wenig bewegt): Nahtlos geht aus dem Schluss des Menuetto der Beginn des Finales hervor, eine weitere von Schuberts scheinbar naiven Tanzmelodien, die sich in endlosen Wiederholungen um sich selbst zu drehen scheinen. Fast fünf Minuten lang wird dieses Spiel mit unbekümmerten tänzerischen Weisen aufrechterhalten, bis eine melancholische Melodie in Moll den Einbruch des Tragischen in die Idylle ankündigt. Dieser dialektische Umschlag findet in einer einzigen, großen FortissimoSteigerung statt, die noch einmal die Nähe zur „Winterreise“ unterstreicht. Der Rest des Satzes verharrt im spielerischen Duktus des Anfangs.
Klaviersonate, op. 1 Sich in Wien mit einer Klaviersonate als Opus 1 dem Publikum vorzustellen, hatte hochsymbolischen Charakter und war ein heikles Unterfangen. Die Sonatenkunst eines Beethoven, Schubert und Brahms rückte unweigerlich vor das geistige Auge der Hörerinnen und Hörer und legte die Messlatte auf klassische Höhe.
Dies musste Alban Berg schmerzlich erfahren, als die Uraufführung seiner Klaviersonate Opus 1 durch die Pianistin Etta Werndorf 1911 zu stürmischen Protesten führte. Das einsätzige, harmonisch wie formal über die Spätromantik hinausgreifende Werk wirkte auf die Zeitgenossen wie eine Verhöhnung der großen Wiener Tradition, obwohl es sie natürlich in aller Emphase fortführte. Aus einem harmonisch gleichsam aufgeladenen Material – Bergs Tribut an seinen Lehrer Arnold Schönberg auf dem Stand von dessen erster Kammersinfonie – entwickelt sich im Rahmen eines einzigen großen Satzes eine komplexe Sonatenform aus Exposition, Durchführung, Reprise und Coda. Es war Schönberg, der seinem Schüler Berg geraten hatte, dieses Stück aus den Jahren 1907–1908 als sein Opus 1 zu publizieren. Berg bezahlte diesen Erstdruck aus eigener Tasche. Erst zehn Jahre später nahm der Wiener Verlag Haslinger die Sonate in sein Programm auf, wie überhaupt der frühe Berg auf den Verkauf „von ein paar antiquen Sachen“ aus seinem „Hausrat“ angewiesen war, um den Druck seiner ersten vier Opera zu bezahlen. So desinteressiert waren die Wiener Verleger an den ersten Werken des vielleicht begabtesten Komponisten der Wiener Schule.
Variationen, op. 27 „Wenn er sang und schrie, seine Arme bewegte und mit den Füßen stampfte beim Versuch, das auszudrücken, was er die Bedeutung der Musik nannte, war ich erstaunt zu sehen, dass er diese wenigen, für sich alleinstehenden Noten behandelte, als ob es Tonkaskaden wären. Er bezog sich ständig auf die Melodie, welche, wie er sagte, reden müsse wie ein gesprochener Satz. Diese Melodie lag manchmal in den Spitzentönen der rechten Hand und dann einige Takte lang aufgeteilt zwischen linker und rechter. Sie wurde geformt durch einen riesigen Aufwand von ständigem Rubato und einer unmöglich vorherzusehenden Verteilung von Akzenten. Aber es gab auch alle paar Takte entschiedene Tempo-
wechsel, um den Anfang eines neuen gesprochenen Satzes zu kennzeichnen.“ Der Wiener Pianist Peter Stadlen hat dieses höchst eindringliche Bild von Anton Webern bei der Einstudierung seiner Variationen Opus 27 überliefert. Stadlen studierte das Stück 1937 für die Uraufführung über mehrere Wochen mit dem Komponisten ein – ein strapaziöses Ringen um die Ausdruckspalette von wenigen Minuten Musik: „Gelegentlich versuchte er, die allgemeine Stimmung eines Stückes anzuzeigen, indem er das quasi improvisando des ersten Satzes mit einem Intermezzo von Brahms verglich, oder den Scherzocharakter des zweiten mit der Badinerie von Bachs h-moll-Suite, an die er, wie er sagte, bei der Komposition seines Stückes gedacht hatte. Aber die Art, in der dieses ausgeführt werden mußte, war in Weberns Vorstellung genau festgelegt und nie auch nur im geringsten der Stimmung des Augenblicks überlassen ... Nicht ein einziges Mal berührte Webern den Reihenaspekt seiner Klaviervariationen. Selbst als ich ihn fragte, lehnte er es ab, mich darin einzuführen - weil es, sagte er, für mich wichtig wäre, zu wissen, wie das Stück gespielt wird, nicht wie es gemacht worden ist.“
Zur Musik Der Musikwissenschaftler Frank Schneider schrieb folgende knappe Einführung zu Weberns Opus 27: „Weder war Webern Pianist, noch widmete er als Tonsetzer dem Klavier besondere Aufmerksamkeit. Sein marksteinsetzendes Werk für dieses Instrument, die Variationen op. 27, entstand erst 9 Jahre vor dem Tode des Komponisten … Die immer wieder hervorgehobene Tendenz der
Webern’schen Musik zur Aussparung, zur Schrumpfung und zum Verstummen wendet sich gewiß gegen ein Weltgeschrei, vor dessen brutaler Gewalt und mörderischen Konsequenzen er gerade in jenen Jahren in Österreich allen Grund hatte, sich – wenn auch ohnmächtig – abzuschließen. Die Beschäftigung mit Musik, wenige Freunde und Schüler blieben als Ermutigung für
Webern, der zunehmend vereinsamte, künstlerisch totgeschwiegen wurde und oft am Rande der materiellen Not lebte. Das dreiteilige Werk dauert nur wenige Minuten. Trotz seiner die bisherige Klaviertechnik umstülpenden, auf alle gewohnten pianistischen Virtuoseneffekte verzichtenden technischen Schwierigkeiten ist es seine meistgespielte Komposition geworden. Während der Eröffnungssatz noch an einem melisch durchhörbaren Motivspiel festhält, bringt der Mittelsatz (Sehr schnell, 2/4) impulsivere, rhythmisch-tokkatische Ele-
mente ins Spiel. Er ist von scherzoser Agilität und von blitzender Eleganz und verlangt vom Spieler eine enorme Sprungtechnik, die in punktueller Manier fast jeden einzelnen Ton individuell artikulieren muss. Der 3. Satz (Ruhig fließend, 3/2) kann demgegenüber durchaus als eine Art reduktive Synthese der bisherigen Abläufe verstanden werden, weil in ihm die Idee des Variierens gleichsam zur intensivierten, einstimmig gebrochenen Linearität zusammengezogen erscheint.“ (Frank Schnieder)
Sechs kleine Klavierstücke, op. 19 „Wie in einem schöpferischen Rausch“ komponierte Arnold Schönberg die ersten fünf seiner Sechs kleinen Klavierstücke op. 19 an einem einzigen Tag: am 19. Februar 1911. Als drei Monate später Gustav Mahler verstarb (am 18. Mai), beeindruckte ihn die Beisetzung so tief, dass er im Folgemonat dem Zyklus das sechste Stück hinzufügte. Nach der Uraufführung am 4. Februar 1912 durch Louis Closson im Harmonium-Saal in Berlin erfolgte bereits 1913 die Drucklegung. Wie schon bei seinen Klavierstücken op. 11 bewirkte die zeitnahe Publikation eine entsprechende Rezeption. Obwohl Schönberg alles andere als ein konzertreifer Pianist war, propagierte er seine Neuerungen zuerst durch seine Klaviermusik. Im Falle des Opus 19 besteht die Neuerung in der gedrängten Kürze und der konsequenten Sparsamkeit des Klaviersatzes. Die Stücke umfassen jeweils zwischen 9 und 17 Takten. Sie sind oft bis
zur Zwei- oder gar Einstimmigkeit ausgedünnt. Pianisten der Epoche waren solche Sparsamkeit nicht gewöhnt. Als Ferruccio Busoni Schönbergs Klavierstücke nur mit „Retuschen“ aufführen wollte, antwortete ihm der Komponist in aller Entschiedenheit: „Ich glaube, mein Klaviersatz ist nicht das Ergebnis eines Unvermögens, sondern der Ausdruck eines festen Willens. Was er nicht tut, ist nicht, was er nicht kann, sondern was er nicht will. Was er tut, ist nicht, was auch anders geschehen könnte, sondern was er tun muss.“ Nach einer Probe mit dem Pianisten Egon Petri 1912 schrieb Schönberg in sein Tagebuch: „Er wird die Stücke wahrscheinlich ausgezeichnet spielen. Mindestens klavieristisch. Im Ganzen nahm er alles zu rasch; oder vielmehr zu eilig. Ich sagte zu Webern: zu meiner Musik muss man Zeit haben. Die ist nichts für Leute, die anderes zu tun haben. Aber es ist jedenfalls ein großes Vergnügen, seine Sachen von jemandem zu hören, der sie technisch vollkommen beherrscht.“ Die aphoristische Kürze der sechs Stücke wird nicht nur durch das langsame Tempo gleichsam mit Bedeutung aufgeladen, sondern auch durch die Pausen, die Schönberg ausdrücklich vorschrieb: „Nach jedem Stück ausgiebige Pause; die Stücke dürfen nicht ineinander übergehen!“
Drei Klavierstücke, op. 11 Das Jahr 1909 gehörte zu den fruchtbarsten in Schönbergs Schaffen: die Fünf Stücke für Orchester und das Monodram „Erwartung“ bildeten die großen Opera 16 und 17. Schon wesentlich früher zum Druck kamen die drei Klavierstücke jenes Jahres, nämlich als Opus 11. Dementsprechend wurden sie als Schönbergs Manifest eines neuen Ausdruckswillens und einer neuen Technik verstanden, der „Atonalität“. Schönberg selbst sah diesen Übergang aber nicht auf das Opus 11 beschränkt: „Die Drei Klavierstücke op. 11 waren nicht mein erster Schritt in Richtung eines neuen musikalischen Ausdrucks. Vorausgegangen waren Teile meines Zweiten Streichquartetts und einige meiner Fünfzehn Lieder nach Stefan George op. 15; aber sie waren die erstpublizierte Musik dieser Art
und führten demgemäß eine große Sensation herbei.“ „Mit den Liedern nach George ist es mir zum ersten Mal gelungen, einem Ausdrucks- und Formideal näherzukommen, das mir seit Jahren vorschwebt. Es zu verwirklichen, gebrach es mir bis dahin an Kraft und Sicherheit. Nun ich aber diese Bahn endgültig betreten habe …“ Für die Wiener wurde der neue Ausdruckswille des Komponisten zuerst in den Klavierstücken Opus 11 hörbar, und natürlich stieß Schönberg damit zunächst auf Ablehnung.
Zur Musik Matthias Schmidt hat für das Arnold Schönberg Center in Wien eine knappe Beschreibung der drei Klavierstücke verfasst: „Beim ersten Stück von op. 11 lässt sich in groben Umrissen durchaus eine dreiteilige Form (A–B–A’) erkennen, auch eine herkömmliche thematische Arbeit im Sinne etwa der Liszt’schen Transformationstechnik ist zu Anfang deutlich nachvollziehbar. Ebenso könnte ein Bezug zu den letzten Klavierintermezzi von Brahms in ihrer engmaschigen Motivtechnik, wohl abgewogenen Artikulation und Rhythmusstruktur hergestellt werden. Das zweite Stück mit seinem langsamen, düsteren Thema über einem Bass-Ostinato aus zwei Tönen kann freilich noch erheblich deutlicher in tradierte Erfahrungsmuster eingebunden werden als das ab-
schließende Stück, dessen erhebliche satztechnische Dichte und impulsiv hervorbrechende Klanggestik Theodor W. Adorno von einem Beispiel ‚informeller‘ Musik sprechen ließen ... ‚Jeder Akkord‘, so betonte der Komponist etwa in seiner ‚Harmonielehre‘, ‚entspricht einem Zwang [...] meines Ausdrucksbedürfnisses, vielleicht aber auch dem Zwang einer unerbittlichen, aber unbewussten Logik in der harmonischen Konstruktion‘. Die Ästhetik einer rücksichtslosen Ich-Bezogenheit des Ausdruckswillens, die Schönberg in dieser Zeit auch mit Wassily Kandinsky teilte, vermied zwar in den Klavierstücken Wiederholungen, die durchgängige Anwendung thematischer Arbeit und natürlich tonale Dreiklänge, aber sie verwirklichte dennoch fast unmerklich motivische
Verknüpfungstechniken und ein Geste geworden war, gleichsam auf ausgewogenes Proportionsdenken eine noch nicht zum Schema verin der Abfolge von Spannung und
engte Substanz zurückgeführt wer-
Entspannung. Es handelt sich hierbei
den sollte: auf ausbalancierte Ver-
offensichtlich nicht um eine Verfah- hältnisgefüge von dichter und rensweise, die Tradition bedenken- lockerer Fügung, lauter und leiser, los zerstört, sondern lediglich um
rascher und langsamer Gestaltung,
einen grundlegenden Abstraktions- durch die eine traditionelle Formvorgang, indem all dasjenige, was an
schulung (freilich in äußerster Ver-
‚klassischen‘ Formmustern bereits
mitteltheit) auch weiterhin durch-
zum Klischee, zur abgegriffenen
scheint.“ (Matthias Schmidt)
Josef Beheimb
Der Interpret Pierre-Laurent Aimard, Klavier „Ich erachte Pierre-Laurent Aimard als den führenden Interpreten von zeitgenössischer Klaviermusik. Gesichert hat er sich diesen herausragenden Platz durch seine technische Meisterschaft, durch die Tiefe seiner Empfindung und deren facettenreiche Schattierungen sowie durch seine totale Identifikation mit dem Geist eines jeden Werkes.“ (György Ligeti) Der französische Pianist Pierre-Laurent Aimard wurde 1957 in Lyon geboren und studierte am Pariser Konservatorium. Im Alter von zwölf Jahren begegnete er Olivier Messiaen und wurde in kurzer Zeit zum berufenen Interpreten seiner Werke. Bereits im Alter von 15 Jahren gewann Aimard den renommierten Messiaen-Preis, was den Beginn seiner internationalen Karriere markieren sollte. Seitdem ist er auf der ganzen Welt aufgetreten, unter anderem mit Dirigenten wie Kent Nagano, Andrew Davis, Giuseppe Sinopoli und Pierre Boulez. Letzterer gründete 1976 das Ensemble InterContemporain (EIC) und berief Aimard zum Solopianisten. 18 Jahre blieb Aimard dem EIC treu, lernte in dieser Zeit eine große Bandbreite Neuer Musik kennen und entwickelte sich zu einer der Schlüsselfiguren dieses Repertoires. Seine Arbeit brachte ihn mit den führenden Komponisten wie Stockhausen, Ligeti und Kurtág zusammen, aber er förderte auch Nachwuchskomponisten wie George Benjamin und Marco Stroppa durch die Aufführung ihrer Werke.
Gleichzeitig blieb Aimard dem „traditionellen“ Klavierrepertoire als Solist und Kammermusiker treu. Regelmäßig trat er mit führenden Orchestern auf. Gemeinsam mit Nikolaus Harnoncourt spielte er hier bei der styriarte alle Werke Beethovens für Klavier und Orchester; Konzerte, die auch auf CD dokumentiert vorliegen. Beim Grazer Festival startete er im Jahre 2005 gemeinsam mit dem Chamber Orchestra of Europe einen Zyklus mit Klavierkonzerten Mozarts. Der CD-Mitschnitt dieses ersten Konzertes 2005 erntete weltweit Jubelkritiken, „Die Zeit“ urteilte sogar: „Dies ist eine der schönsten Mozart-Aufnahmen aller Zeiten.“ Aimard nahm längere Zeit exklusiv für die Deutsche Grammophon auf. Bachs Kunst der Fuge, seine erste DG-CD, erhielt den Diapason d’Or und den Choc du monde de la musique. Diese Einspielung ist auch der Topseller bei den Klassik-iTunes-Downloads. Zu weiteren Preisen gesellt sich noch ein Grammy für die Einspielung von Charles Yves’ Concord Sonata und Yves-Liedern mit Susan Graham. Zuletzt erschien 2014 Bachs Wohltemperiertes Klavier. 2017 erhielt er den Gramophone Award in der Kategorie Zeitgenössische Musik. Und im heurigen März kam bei Pentatone Messiaens „Catalogue d’oiseaux“ heraus. Pierre-Laurent war 2015 bei den Wiener Symphonikern Artistin-Residence und hat dort alle Beethoven-Klavierkonzerte unter Philippe Jordan gespielt. Im Herbst 2017 wurde er für drei Jahre zum Artist in Residence an den Londoner Southbank Centre berufen. Die kommenden Projekte: Im August geht er auf Tour durch Brasilien, dann spielt Aimard beim Edinbourgh Festival, dann in Luzern, Berlin, Oslo, Frankfurt, London, New York, Chicago, Paris, Prag, Amsterdam etc. etc. 2015 hat Pierre-Laurent Aimard in Kooperation mit dem Klavier-Festival Ruhr eine Online-Quelle eingerichtet, über die er Aufführungen und Unterrichtseinheiten mit Ligetis Musik verbreitet und so sein Wissen und Können weitergibt (www. explorethescore.org).
Haltungsübung Nr. 11
Filterblase verlassen. Um Ihre Haltung zu trainieren, brauchen Sie kein atmungsaktives Outfit und keine Gewichte, nur Ihren Kopf. Üben Sie zunächst jeden Tag, ihn aus der Filterblase zu ziehen. Das funktioniert sogar im Sitzen.
Der Haltung gewidmet.
Aviso
Donnerstag, 5. Juli – Helmut List Halle, 19 Uhr
Peter Rosegger.SOAP Lesung aus Roseggers Roman „Die Schriften des Waldschulmeisters“ Kienzl: Klaviertrio in c, op. 13 / Meine Lust ist Leben, op. 44,4 / Brahms: aus der Klarinettensonate Nr. 1 und dem Klaviertrio Nr. 2 Webern: Der Tag ist vergangen, op. 12/1, u. a.
Johannes Silberschneider, Lesung Martina Janková, Sopran Anna Magdalena Kokits, Klavier Maria Bader-Kubizek, Violine Lars Wouters van den Oudenweijer, Klarinette Rudolf Leopold, Violoncello & Leitung Es ist leicht, Peter Rosegger zu unterschätzen. Aber wenn Johannes Silberschneider aus den „Schriften des Waldschulmeisters“ von 1875 liest, wenn sich Roseggers Komponistenfreund Wilhelm Kienzl dazugesellt, wenn seine Gedichte in den Vertonungen Anton von Weberns erklingen, dann spürt man die Bedeutung dieses Großen der österreichischen Literatur. Als Rosegger am 26. Juni 1918 in Krieglach starb, ging eine Epoche zu Ende. Doch was bleibt: viel Stoff für einen langen Abend aus Lesung, Musik und Film-Reportagen von den Orten, die er prägte und die ihn geprägt haben.
Die Sklavinnen der Tugend
Damenorden aus dem alten Österreich
Universalmuseum Joanneum
Münzkabinett Schloss Eggenberg 18. 05. — 31. 10. 2018 Eggenberger Allee 90, 8020 Graz, Mi – So 10 – 17 Uhr www.muenzkabinett.at
Abbildung: Ordenszeichen 1. Klasse des Elisabeth-Ordens am Band, Foto: UMJ/Lackner
Aviso Samstag, 14. Juli – Stefaniensaal, 20 Uhr
Unvollendete Franz Schubert: Ouvertüre zum Zauberspiel mit Musik „Die Zauberharfe“, D 644 Symphonie Nr. 7 in h, D 759, „Die Unvollendete“ Lieder in Orchestrierungen von Johannes Brahms und Anton Webern
Florian Boesch, Bassbariton Concentus Musicus Wien Dirigent: Stefan Gottfried Als „Flaschenpost“ an die Zukunft ruhte Schuberts unvollendete h-Moll-Sinfonie in einer Grazer Schublade, bis sie 1865 endlich die ersten Zuhörer erschütterte. Zur gleichen Zeit begann Brahms, Schuberts Lieder zu orchestrieren. Im Originalklang des Concentus Musicus und in der perfekten Akustik des Stefaniensaals wirken Sinfonie und Lieder so wahr und unmittelbar wie in der Stunde ihrer Entstehung. Für Stefan Gottfried und Florian Boesch ist dieser Abend eine Hommage an den größten Schubertdirigenten ihres Lebens: Nikolaus Harnoncourt.
Langeweile gehört sich nicht.
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