Dienstag, 25. Juni 2019, 20 Uhr Helmut List Halle
All you need is Bach
Johann Sebastian Bach (1685–1750)
Präludium und Fuge in D, BWV 532 Triosonate Nr. 3 für Orgel in d, BWV 527 Andante Adagio e dolce Vivace
Präludium und Fuge für Orgel in a, BWV 543 Passacaglia und Fuge in c, BWV 582
Toccata und Fuge für Orgel in F, BWV 540 Präludium und Fuge für Orgel in h, BWV 544
Französische Suite Nr. 5 in G, BWV 816 arrangiert für Orgel von Cameron Carpenter Allemande Courante Sarabande Gavotte Bourrée Loure Gigue
Cameron Carpenter (*1981)
Serenade and Fugue on B-A-C-H (2010)
Cameron Carpenter, Orgel
Patronanz:
Konzertdauer: Erster Konzertteil: ca. 45 Minuten Pause: ca. 30 Minuten Zweiter Konzertteil: ca. 45 Minuten
All you need is Bach
Unendlich wandlungsfähig, eine permanente Metamorphose des Klangs: So wirkt Cameron Carpenter an seiner digitalen „Touring Orgel“ Opus 8, gebaut von Marshall & Ogletree in Needham, Massachusetts. Der amerikanische Weg zu Bach ist unverkrampft, hoch technisiert und unendlich effektvoll. Dafür hat sich Carpenter sechs der schwersten und populärsten Orgelwerke Bachs herausgesucht, eine „Französische Suite“ und seine eigene Serenade über B-A-C-H.
Ad notam
Orgelwunder Bach „Ich habe diesen großen Mann unterschiedene Male spielen hören. Man erstaunet bey seiner Fertigkeit, und man kann kaum begreifen, wie es möglich ist, daß er seine Finger und seine Füße so sonderbar und so behend in einander schrencken, ausdehnen, und damit die weitesten Sprünge machen kann, ohne einen einzigen falschen Ton einzumischen oder durch eine so heftige Bewegung den Körper zu verstellen.“ Selbst Bachs schärfster Kritiker Johann Adolph Scheibe musste zugeben, dass der Organist Bach einem Wunder glich. Dieses Wunder neu zu erschaffen, hat sich Cameron Carpenter vorgenommen. Sein Programm umspannt die gesamte Entwicklung des Organisten Bach vom jungen, aufmüpfigen Virtuosen in Arnstadt über den gereiften Weimarer Hoforganisten bis hin zum berühmten Bach der Leipziger Jahre, der weit mehr war als „nur“ ein Organist. Als „Director Musices“ der Stadt Leipzig und Hofcompositeur des Dresdner Kurfürsten dachte Bach nicht daran, Organistendienst zu tun, schon gar nicht in der Thomaskirche. Wenn er sich an die „Königin der Instrumente“ setzte, dann nur als reisender Virtuose, wie heute Cameron Carpenter, oder als Orgelsachverständiger, vor dessen Expertise die Orgelbauer zitterten. Der reife Bach war an der Orgel eine Autorität weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Nicht zufällig begannen sein Sohn Carl Philipp und sein Schüler Agricola den Nachruf auf den Verstorbenen mit den Worten „der im Orgelspielen weltberühmte Hochedle Herr Johann Sebastian Bach “.
Zeugnisse der Bewunderung gibt es von seinen Zeitgenossen in großer Zahl. Johann Joachim Quantz, der Flötenlehrer Friedrichs des Großen, schrieb über die Orgelkunst im Allgemeinen: „Schließlich hat sie der bewundernswürdige Johann Sebastian Bach, in den neuern Zeiten, zur größten Vollkommenheit gebracht.“ Als Flötist der Dresdner Hofkapelle hatte Quantz öfters Gelegenheit, Bach zu hören, etwa im September 1725 an der Silbermann-Orgel der Sophienkirche, wo Bach ein Orgelkonzert mit Begleitung der Hofkapelle gab, oder 1736 an der neuen Silbermann-Orgel der Frauenkirche. Ein solches Orgelkonzert Bachs muss ein zutiefst beeindruckendes Ereignis gewesen sein, wie Cameron Carpenters Programm erahnen lässt.
Bachs Orgeln Was den Bau der Instrumente betrifft, legte Bach gesteigerten Wert auf „égalité“, auf Ausgewogenheit „sowohl in der Intonation, als Claviatur und Registratur“. Nach der Prüfung der neuen Scheibe-Orgel in der Universitätskirche zu Leipzig riet er dem Orgelbauer, „die inaequalitate der Intonation“ auszugleichen, damit die „tiefsten Pfeiffen nicht so graß und blatternd ansprechen, sondern einen reinen und firmen Thon angeben und behalten“. 1746 prüfte er zusammen mit Gottfried Silbermann die Hildebrandt-Orgel in der Wenzelskirche zu Naumburg. Als Ergebnis empfahlen die beiden Sachverständigen dem Orgelbauer, „das gantze Werck, von Stimmen zu Stimmen noch mahlen durch zu gehen“, um die gewünschte Gleichheit in Ansprache und Klang zu erzielen. Zu Bachs Lieblingsorgeln zählte die Trost-Orgel in der Schlosskirche zu Altenburg, die er Anfang September 1739 einer informellen Prüfung unterzog und im Gottesdienst spielte. Sie entsprach vollkommen seinen Vorstellungen von einem „dauerhafften“ Orgelwerk, zumal „der Orgelmacher in Ausarbeitung jeder Stimme Eigenschafft und gehöriger Lieblichkeit wohl reussiret habe“.
Schon als dreiundzwanzigjähriger Organist in Mühlhausen empfahl er den Einbau eines neuen Registers, „welches in die Music sehr delicat klinget“. „Lieblich“ und „delikat“ sollte eine Orgel klingen, nicht nur donnernd und kraftvoll. Alles musste dabei deutlich zu hören sein. 1716 rügte er an der Cuncius-Orgel in der Martkirche zu Halle, dass „der Klang sonderlich der großen Pfeiffen sich nicht deutlich vernehmen lässet“. Wenn Cameron Carpenter seine digital programmierte Konzert orgel spielt, muss er sich weder um den „reinen und firmen Ton“ noch um Deutlichkeit Gedanken machen. Auch „die Tracktierung des Werckes“ bereitet keine Probleme, wie sie Bach etwa an der Leipziger Paulinerorgel feststellte. Deren Ansprache hätte er sich „etwas leichter“ gewünscht, damit die Tasten „nicht so tief fallen“. Carpenter kann von seinem Spieltisch aus jede beliebige Orgel der Bachzeit ansteuern, ohne sich um den nötigen Winddruck oder die Unbequemlichkeiten einer Kirchenempore kümmern zu müssen, wie dies Bachs tägliches Geschäft war.
Orgelprogramm Wie sahen die Programme aus, die Bach bei seinen Orgelkonzerten spielte? Möglicherweise ähnlich wie das Programm von Cameron Carpenter heute Abend. Er mischt die frühen Präludien und Fugen in D und a mit dem grandiosen Satzpaar in h aus der reifen Leipziger Zeit. Die dritte Triosonate sorgt für Abwechslung durch ihren kammermusikalischen Charakter und ihren galanten Stil. Passacaglia und Fuge bringen eine Variationenform ins Spiel. Auf ein großes Choralvorspiel hätte Bach sicher nicht verzichtet, dafür aber keine seiner Cembalosuiten auf der Kirchenorgel gespielt. Alles in allem aber vermittelt Cameron Carpenter einen sehr authentischen Eindruck von einem Bach’schen Orgelkonzert und setzt mit seiner eigenen Serenade und Fuge über das Namensthema B-A-C-H noch eins obendrauf.
Präludium und Fuge in D-Dur, BWV 532 „Praeludio Concertato ex D con Pedale“ („Konzertantes Präludium aus D mit Pedal“). So lautet der Titel zum D-Dur-Präludium in der frühesten erhaltenen Abschrift, die 1740 von dem Organisten der Egidienkirche in Nürnberg, Lorenz Sichart, angefertigt wurde. Sie ist ein Beleg dafür, wie weit Bachs Orgelwerke in Organistenkreisen kursierten, und sie verrät das feine stilistische Gespür des Schreibers. Denn in der Tat handelt es sich um ein Werk „in stile concertato“, im italienischen Konzertstil, was besonders auf die Fuge zutrifft. Das Präludium könnte Bach schon als ganz junger Organist in Arnstadt entworfen haben, also mit 20 Jahren. Die Fuge gehörte nicht von vornherein dazu und ist etwas später anzusetzen, vermutlich in den ersten Jahren als Weimarer Hof organist 1708-1712. Beide Teile hat Bach in Weimar zusammen gefügt und noch einmal gründlich überarbeitet.
Zur Musik Im Präludium geht das Pedal mit virtuosen Sechzehntelläufen voran, wie ein solistisches Cello, dem ein Concerto grosso antwortet. Auf diesen italienischen Konzerteinstieg folgt ein Abschnitt in französischen punktierten Rhythmen, danach ein „Alla breve“, das von ebenmäßigen Spielfiguren geprägt ist. Der Satz schließt mit überraschend scharfen Dissonanzen – deutlich ein frühes Bachstück, das wie eine Improvisation aus heterogenen Teilen zusammengesetzt ist. Die Fuge wirkte reifer und „moderner“, obwohl ihr Thema mit der auffälligen Kreisfigur von Pachelbel inspiriert ist. Bach hat
daraus etwas völlig anderes gemacht. Der Satz wirkt wie eine AllegroFuge aus einem Concerto grosso für Streicher: Die Bratschen gehen voran, gefolgt von den zweiten, dann den ersten Geigen. Zum Schluss setzen die Bässe ein, also das Pedal. Die hellen Klanglagen und die brillanten Spielfiguren wirken durchwegs streicherisch. Immer wieder wird vom Pedal sportliche Beweglichkeit verlangt, während die Oberstimmen dazu kraftvolle „Tuttiakkorde“ spielen. Immer wieder unterbrechen Dialoge zwischen Ober- und Unterstimmen den ewigen Fluss der Sechzehntel. Die Länge der Fuge ist eine
Herausforderung für den Organisten, besonders am Schluss, wenn ein riesiger Aufgang des solistischen Pedals von den Oberstimmen abgefangen werden muss. Der Satz endet,
wie das Präludium begonnen hat: mit den Füßen, nicht mit den Händen des Organisten. So tobte der junge Bach über die Tasten und das Pedal seiner Orgeln.
Triosonate Nr. 3 in d-Moll, BWV 527 Wohl 1727 schrieb Bach in Leipzig eine seiner schönsten Notenhandschriften nieder: die Reinschrift der sechs Triosonaten für Orgel. „Sie sind für seinen ältesten Sohn Wilhelm Friedemann von ihm aufgefasst, welcher sich damit zu dem großen Orgelspieler vorbereiten musste, der er nachher auch wurde.“ So vermerkte der Berliner Musikaliensammler Georg Poelchau auf der Handschrift und fügte hinzu: „Man kann von ihrer Schönheit nicht genug sagen. Sie sind in dem reifsten Alter des Verfassers gemacht und können als das Hauptwerk desselben in dieser Art angesehen werden.“ Hinter der schönen Schrift von Bachs Partitur verbergen sich kleine Details, die verraten, dass diese Sonaten einmal für andere Instrumente in anderen Tonarten bestimmt waren. Die Bachforschung geht davon aus, dass alle sechs Orgeltrios auf verlorene Triosonaten für zwei Melodieinstrumente und Basso continuo zurückgehen. Wie diese im einzelnen besetzt waren, ist nicht bekannt. Nur der Anfang der e-Moll-Sonate hat sich in einer Fassung für Oboe d’amore, Viola da gamba und Continuo erhalten. Der Organist kann durch die Registerwahl die „Instrumentierung“ des jeweiligen Trios selbst wählen. Den Mittelsatz des d-Moll-Trios hat Bach später in seinem Tripelkonzert BWV 1044 für Travers flöte, Violine und Cembalo arrangiert. Entsprechend „lieblich und delikat“ könnte die gesamte Sonate gemeint sein.
Zur Musik Alle Orgel-Triosonaten Bachs sind dreisätzig angelegt, „auf Concertenart“, wie man damals sagte: Wie in einem Concerto umrahmen zwei schnelle Sätze einen langsamen. Der Kopfsatz der Sonata 3 trägt im Autograph keine Satzbezeichnung. Nachträglich hat Bach das Wort „Andante“ über den Bass geschrieben. Tatsächlich handelt es sich um einen „gehenden Bass“, der in gleichmäßigen Achteln den schönen Dialog der beiden Oberstimmen trägt. Die ausdrucksvolle Melodie ist so voller Raffinement im Rhythmus, in den galanten Verzierungen und in den chromatischen Durchgängen, dass sie im gemächlichen Tempo gespielt werden muss. Die Oberstimme geht voran, die Mittelstimme imitiert, wie in einer Triosonate üblich. Der Satz ist in Da-Capo-Form angelegt: Dem sanft abfallenden d-Moll-Thema des Hauptteils tritt im Mittelteil ein forsch aufsteigendes Thema in F-Dur gegenüber, gefolgt von schönen Sequenzen über Triolen, bevor das Da Capo des ersten Teils einsetzt.
Noch galanter als der Kopfsatz wirkt das „Adagio e dolce“ in F-Dur, eine Pastorale im schwingenden Sechs achteltakt aus lauter süßen Terz parallelen. Diesem ruhigen Hauptgedanken folgen jeweils ausdrucksvolle Dialoge zwischen den beiden Stimmen in komplexen Rhythmen, die immer wieder zur Pastorale zurückkehren. Bach gefiel dieser Satz so gut, dass er ihn Jahrzehnte später in sein Tripelkonzert BWV 1044 einfügte und mit einer vierten Stimme ausstatt ete, für Violine pizzicato bzw. Flöte staccato. Als Finale schrieb Bach einen polnischen Tanz über absteigendem Bass im raschen Tempo „Vivace“. Wieder geht die Oberstimme voran, wieder imitiert die Mittelstimme, während der Bass in Achteln seine Bahnen zieht. Die starke Betonung auf der eins und die „rauschenden“ Triolen verleihen dem Satz seinen rustikalen Schwung. Wieder kommt es nach dem Mittelteil in B-Dur zum Da Capo des Hauptteils in d-Moll.
Präludium und Fuge in a-Moll, BWV 543 Anfang 1706 rügte das Konsistorium im thüringischen Arnstadt seinen zwanzigjährigen Organisten Bach, dass er „viele frembde Thon mit eingemischet, daß die Gemeinde drüber confundiret worden“. Nicht nur beim Begleiten der Choräle, sondern auch in
seinen Präludien hatte der junge Bach eine Vorliebe für Chromatik, also für gehäufte Halbtöne, die das Gefüge der Tonarten aus den Angeln heben. Das große a-Moll-Präludium BWV 543 ist dafür ein Musterbeispiel. Um 1725 schrieb der Bachschüler Johann Peter Kellner eine Frühfassung dieses Präludiums ab, an der man erkennen kann, wie gründlich Bach den berühmten Anfang überarbeitet hat. Die Frühfassung stammt vermutlich aus den ersten Weimarer Jahren ab 1708, wobei die Fuge stets mit dem Präludium überliefert wurde.
Zur Musik Der Beginn des Präludiums ist ein schier endlos langer chromatischer Abstieg, der auf einem Orgelpunkt im Pedal endet. Darüber scheinen die Passagen frei im Raum zu schweben, bis das Pedal die Initiative ergreift und selbst den chromatischen Anfang wiederholt. Erst allmählich befreit sich die Musik von den vielen Halbtönen und erreicht einen kompakten vierstimmigen Satz mit einem großartig verdichteten Schluss. Die a-Moll-Fuge lässt in ihrem wundervollen Thema den Einfluss der venezianischen Concerti erkennen, besonders von Albinoni. Sie lebt vom
Tanzrhythmus des Sechsachteltakts und den langen Sequenzketten der Sechzehntel, die wie Bariolagen auf der Violine geschrieben sind. Die Fuge ist vierstimmig, wobei die Themeneinsätze im Pedal jeweils als Höhepunkte der Durchführungen erscheinen. Auf unübertreffliche Weise hat Bach die letzte Durchführung „orchestral“ verdichtet und mit wuchtigen Dissonanzen angereichert, bis die angestaute Spannung sich in einem gewaltigen Pedalsolo entlädt und von flirrenden Passagen der Oberstimme zum grandiosen Schluss geführt wird.
Passacaglia in c-Moll, BWV 582 Im Februar 1706 musste sich Bach vor dem Konsistorium in Arnstadt dafür rechtfertigen, dass er seinen jüngst bewilligten Urlaub
auf das Vierfache ausgedehnt hatte. Statt vier Wochen war er vier Monate bei Dieterich Buxtehude in Lübeck geblieben, „um daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreiffen“, wie er den hohen Herren ins Gesicht sagte. In der Passacaglia c-Moll hat der junge Bach seiner Verehrung für Buxtehude das eindrucksvollste Denkmal gesetzt. Der Däne in der Lübecker Marienkirche war der unbestrittene Meister der Chaconnes und Passacaglien auf der Orgel. Bach hat sich dieser Form als Organist nur einmal zugewendet. Für Variationen, welcher Art auch immer, hegte er wegen der gleichbleibenden Harmonie keine besondere Vorliebe. Deshalb deutete er die Form hier streng kontrapunktisch: Über einem ungewöhnlich komplizierten achttaktigen Bassthema entspinnt sich eine lange Folge von Variationen, die immer virtuoser werden, während das Bassthema unbeirrt seine Bahnen zieht. Die Varia tionen gipfeln in einer „Fuga cum subjectis“, einer Doppelfuge über das Bassthema und ein Gegenthema. Die früheste Abschrift der Passacaglia ist vor 1713 zu datieren, entstanden ist sie aber wohl schon vor 1710. Der Bachforscher Christoph Wolff vermutete, Bach könne sie bereits 1706 in Arnstadt, kurz nach seiner Rückkehr aus Lübeck entworfen haben. Dabei benutzte er für das Bassthema ein „Trio en passacaille“ aus einer Orgelmesse des Franzosen André Raison.
Toccata und Fuge in F-Dur, BWV 540 Hätte nicht der Bachschüler Johann Ludwig Krebs zusammen mit seinem Vater, der ebenfalls ein Bachschüler war, eine gemeinsame Handschrift von Toccata und Fuge in F-Dur angefertigt, man könnte fast meinen, dass die beiden Teile dieses Werkes nicht zusammengehören. Kaum ein Bachschüler, der nicht die Toccata abgeschrieben hätte, während die Fuge meistens separat überliefert ist. Die früheste Quelle der Toccata stammt von ca. 1714, die früheste Abschrift der Fuge erst von ca. 1731. Sehr gut kann man sich vorstellen, wie Bach den Weimarer Hof mit der Toccata beeindruckt hat, diesem neunminütigen Parcours fast ununter-
brochener Sechzehntel über langen Orgelpunkten. Es ist Bachs einzige Toccata im Dreiertakt, ein atemloses Sich-Jagen der Stimmen in engen Kanons. Auf jeden der rastlosen Kanons folgt ein riesiges Pedalsolo, doch ist dies nur der Auftakt zu einem ständigen Wechsel zwischen wuchtigen Akkorden und nervösen Sechzehnteln durch alle Stimmen. Die vierstimmige Fuge antwortet darauf in der äußersten Ruhe des Alla Breve-Taktes, mit einem Thema, das an den alten Stil erinnert, den Stile antico.
Präludium und Fuge in h-Moll, BWV 544 Am 17. Oktober 1727 setzte sich Bach an die von ihm zehn Jahre zuvor geprüfte Scheibe-Orgel der Paulinerkirche in Leipzig und spielte ein Präludium zu einem ganz besonderen Anlass: Die Stadt Leipzig gedachte der verstorbenen Kurfürstin Christiane Eberhardine von Sachsen. Anders als ihr Gemahl August der Starke war sie nicht zum katholischen Glauben konvertiert und wurde deshalb von ihren lutherischen Untertanen wie eine Heldin verehrt. Entsprechend großartig legte Bach seine „Trauerode“ BWV 198 an, beinahe eine Passionsmusik in seiner Lieblingstonart h-Moll. Dass er vor ihrer Uraufführung präludiert hat, ist überliefert. Höchst wahrscheinlich schrieb er zu diesem Zweck das h-Moll-Präludium, BWV 544, das er wenig später in einer wunderschönen Partitur ins Reine schrieb.
Zur Musik Das Präludium beginnt im Rhythmus einer Siciliana, einer Trauerarie, deren Melodie sofort in Imitationen und schmerzliche Vorhalte gehüllt wird. Mächtige dissonante Akkorde prägen diesen Anfangsteil, der als Ritornell im Laufe des Satzes immer wiederkehrt. Ihm stehen gering
stimmige „Soloabschnitte“ gegenüber, die mit ihrem aufsteigenden Thema zum Himmel weisen und sich nach Dur aufhellen – beinahe wie eine Apotheose der Kurfürstin. Auf höchst dramatische Weise hat Bach die beiden kontrastierenden Themen gegeneinander ausgespielt, am
Schluss sogar mit Umkehrung des Gegenthemas. Die vierstimmige Fuge beginnt mit einem stufenweise aufund absteigenden Thema in gleichmäßigen Achteln. Daraus gewinnt sie ihren feierlich schreitenden Charakter, beinahe wie ein Kondukt. Sie ist unter Bachs Fugen deshalb
einzigartig, weil zwei Blöcke im Organo-pleno-Klang einen langen Mittelteil in durchsichtigem Klang umrahmen. Dort nimmt die Musik galante Züge an – eine Auflockerung im strengen Duktus der Fugendurchführungen.
Suite in G-Dur, BWV 816 Mit der fünften Französischen Suite hat es eine besondere Bewandtnis. 1722, im Jahr nach seiner zweiten Heirat, begann Bach ein „Clavierbüchlein“ für seine junge Frau Anna Magdalena anzulegen, da sie eine vorzügliche Cembalistin war. Zu diesem Zweck trug er eine bereits komponierte d-Moll-Suite in das Büchlein ein und komponierte vier neue Suiten in c, h, Es und G – die so genannten „Französische Suiten“, die man eher „Köthener Suiten“ oder „Magdalenensuiten“ nennen sollte. Mit diesem auf sechs Suiten angelegten Zyklus wurde Bach in Köthen aber nicht fertig: Die fünfte Suite in G-Dur brach er nach den ersten Takten unvermittelt ab. Erst 1725, zwei Jahre nach dem Umzug nach Leipzig, schrieb er genau an derselben Stelle der Allemande weiter, als sei nichts gewesen. Daraus entstand eine seiner schönsten Cembalosuiten.
Zur Musik Der weiche Schwung der Allemande und ihre leise Chromatik bestimmen alle folgenden Sätze. Die Courante ist eine italienische „Corrente“ aus lauter schnellen Läufen, die sich am Ende jedes Teils zu einer schwung-
vollen Melodie zusammenfügen. Die Sarabande hat die vielleicht schönste Akkordfolge aller Bach’schen Sarabanden, wunderbar aufgelöst in Verzierungen. Darauf folgen drei „Galanterien“, kleinere Tänze im
galanten Geschmack. Die Gavotte verkörpert vollkommen „die jauchzende Freude“ und das „hüpfende Wesen“ dieses Tanzes, wie es Mattheson beschrieben hat, die Bourrée dagegen das „Fließende, Glatte und Gleitende“ dieses sehr schnellen Tanzes. „Die Loure oder langsame punktierte Gigue zeigt ein stolzes, aufgeblasenes Wesen“ (Mattheson).
Die Suite schließt mit einer fugierten Gigue, deren jubelndes Thema von oben nach unten durch die Stimmen wandert. Im zweiten Teil hat Bach das Fugenthema umgekehrt und vom Bass aus nach oben geführt. Rauschender und virtuoser hätte er diese prachtvolle Suite kaum schließen können.
Serenade and Fugue on B-A-C-H Nomen est omen: Bach war bekanntlich stolz darauf, dass man aus den Buchstaben seines Familiennamens ein vollkommenes musikalisches Subjekt formen konnte und hat es in seiner Musik verschiedentlich angebracht. Dem schlossen sich spätere „Bachianer“ wie Liszt oder Reger durch ihre eigenen Werke über B-A-C-H an. Cameron Carpenter reiht sich in diese ehrwürdigen Vorgänger ein – bezeichnenderweise mit einer „Serenade and Fugue“. Josef Beheimb
Seitenblick „Organistenschuhe“ ist unter Musikern ein feststehender Ausdruck. Sie müssen spitz zulaufen, „leichtgängig“ sein, das präzise Treffen des Pedals erleichtern. Wären die Organistenschuhe Bachs erhalten, sie wären vermutlich als Heiligtum im Bachmuseum zu Leipzig oder Eisenach ausgestellt. Cameron Carpenter hat seinen eigenen Schuhmacher, der genau nach seinen Vorstellungen arbeitet – glitzernd im Äußeren, präzise im Antritt.
Der Interpret
Cameron Carpenter, Orgel Mit seiner außergewöhnlichen Musikalität, einer nahezu grenzenlosen technischen Fertigkeit und seinem Pioniergeist hinterlässt Cameron Carpenter bereits Spuren in der neueren Musikgeschichte. „Er ist ein Musiker, der fürwahr Neues schafft, und ein Virtuose, wie er im Buche steht.“ (Moritz Weber, Neue Zürcher Zeitung) Seit der Fertigstellung der International Touring Organ (ITO) im Jahr 2014 spielt Carpenter nunmehr fast ausschließlich, ob Rezitale oder mit Orchester, auf seinem eigenen Instrument. Die nach seinen Plänen gefertigte ITO ermöglicht es ihm, an fast jedem denkbaren Ort konzertieren zu können. Er bereiste mit seinem Instrument neben Europa und den USA auch Russland, Australien, Neuseeland und Asien. Im Frühjahr 2016 erschien nach der mit einem ECHO ausgezeichneten Einspielung „If You Could Read My Mind“ (2014) mit „All You Need is Bach“ Carpenters zweites Album bei Sony Classical, „unkonventionell, zutiefst lebhaft und von jeglichem Puderperückenstaub befreit“ (Rolling Stone). Als erster Organist überhaupt wurde Cameron Carpenter für sein Album „Revolutionary“ (2008, Telarc) für einen Grammy nominiert. Ebenfalls bei Telarc erschien 2010 „Cameron Live!“ Mit Johann Sebastian Bachs Goldberg-Variationen widmete sich Carpenter in der gerade vergangenen Spielzeit einem der herausragenden Werke für Tasteninstrumente und hat diese unter anderem beim Lucerne Festival, im Festspielhaus Baden-Baden sowie in der Cité de la Musique Paris aufgeführt. Weitere Höhepunkte waren Konzerte in der Kölner Philharmonie, der Philharmonie Luxembourg sowie mehrere Konzerte in Russland und Estland. Außerdem war Cameron Carpenter mit seiner Bearbeitung von Rachmaninoffs
Paganini-Variationen bei den Bamberger Symphonikern unter Christoph Eschenbach zu Gast. Nach einer Tournee mit dem ORF Radio-Symphonieorchester Wien 2016, auf dem Programm Rachmaninoffs Paganini-Variationen für Orgel und Orchester, waren Cameron Carpenter und die ITO im Mai 2017 mit der Academy of St. Martin in the Fields erneut auf Tournee. In der Saison 2017/18 war Cameron Carpenter „Artist in Residence“ des Konzerthauses Berlin. 1981 in Pennsylvania, USA, geboren, führte Cameron Carpenter mit elf Jahren erstmals J. S. Bachs Wohltemperiertes Klavier auf und wurde 1992 Mitglied der American Boychoir School. Neben seiner Mentorin Beth Etter zählten John Bertalot sowie James Litton zu seinen Lehrern. An der North Carolina School of the Arts studierte er Komposition und Orgel bei John E. Mitchener – und transkribierte währenddessen über 100 Werke für Orgel, unter anderem Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 5. Die ersten eigenen Kompositionen entstanden während Carpenters Zeit an der Juilliard School New York, deren Student er von 2000 bis 2006 war. Parallel zu seinen Studien an der Juilliard erhielt er Klavierunterricht von Miles Fusco. 2011 wurde sein Konzert für Orchester und Orgel „Der Skandal“, ein Auftragswerk der Kölner Philharmonie, von der Deutschen Kammerphilharmonie uraufgeführt. 2012 erhielt er den Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein Musik Festivals.
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