Dienstag, 26. Juni, 20 Uhr Stefaniensaal
Verklärte Nacht
Johannes Brahms (1833–1897)
Streichquintett in G, op. 111 Allegro non troppo, ma con brio Adagio Un poco Allegretto Vivace ma non troppo presto
Alexander Zemlinsky (1871–1942)
Zwei Sätze für Streichquintett Allegro Finale: Prestissimo, mit Humor
Arnold Schönberg (1874–1951)
Verklärte Nacht, Streichsextett, op. 4
Zemlinsky Quartet: František Souček, Violine Petr Střížek, Violine Petr Holman, Viola Vladimír Fortin, Violoncello Mitglieder des Pražák Quartetts: Josef Kluson, Viola Michal Kaňka, Violoncello
Konzertdauer: Erster Teil: ca. 50 Minuten Pause: ca. 30 Minuten Zweiter Teil: ca. 30 Minuten
Hörfunkübertragung: Dienstag, 03. Juli 2018, 14.05, Ö1
Verklärte Nacht
Die ganze Donaumonarchie in einem einzigen
Kammerkonzert:
Das
Ischler
G-Dur-Quintett von Brahms steckt voller Reminiszenzen an seinen Freund Johann Strauß, an Ungarn und an das Salzkammergut. Der junge Zemlinsky navigierte zwischen den Synagogen Wiens und der erotischen Aura der Alma Schindler. Schönberg verwandelte eine schicksalsschwere Wiener Mondnacht in eine „Verklärte Nacht“. Österreich anno 1890, 1896, 1899.
Ad notam Abschiedsquintett Mit 57 Jahren hatte Johannes Brahms genug vom Komponieren: „Sie können mit dem Zettel Abschied nehmen von meinen Noten – weil es überhaupt Zeit ist aufzuhören.“ So schrieb er lakonisch an seinen Verleger Fritz Simrock, als er im Dezember 1890 einige Noten zum G-Dur-Quintett nach Berlin schickte. Noch im nächsten Sommer meinte er rückblickend: „Wie oft habe ich mir fest vorgenommen, nichts mehr drucken zu lassen, niemals aber so sicher, lustig und energisch, als da ich Ihnen meinen ‚letzten Willen‘ schrieb.“ Der „letzte Wille“ war das G-Dur-Streichquintett, das Brahms als Abgesang auf ein halbes Jahrhundert angelegt hat: mit einem ekstatischen Cellogesang und lieblichen Strauß-Walzern im ersten Satz; in der Mitte ein tieftrauriges ungarisches Adagio und ein wehmütiges Intermezzo aus den Weiten der Puszta; zum Schluss ein Csárdás, wie Brahms nur je einen geschrieben hat. Alles atmet hier die souveräne Kunst des „Altmeisters“, der sich noch ganz jung fühlte – schlussendlich doch zu jung, um aufzuhören. Schon im nächsten Sommer war die Resignation überwunden. Die Klarinette des Richard Mühlfeld und das schöne Salzkammergut inspirierten ihn zum Klarinettenquintett und zum a-Moll-Trio. „Ich war so glücklich, fühlte mich so frei und sicher – daß mir immer das Hübscheste und Lustigste einfiel.“ Am Charakter des G-Dur-Quintetts als Abschiedswerk ändert dieser Sinneswandel nichts. Kaum zufällig wählte er dafür die Opuszahl 111 – die gleiche, die Beethoven seiner letzten Klaviersonate verliehen hatte.
Brahms in Bad Ischl Auf dem Rückweg von seiner letzten Italienreise machte Brahms im Frühjahr 1890 in Bad Ischl Station. Reiseeindrücke aus Italien
und das herrliche Frühjahr im Salzkammergut waren die ersten Inspirationsquellen für das G-Dur-Quintett. Seit dem Vorjahr diente ihm das Kaiserbad im Salzkammergut als Refugium fürs ungestörte Komponieren – im Wald und am Kaffeehaustisch: „Geht man gegen zwei Uhr nachmittags in das Café Walter, so sieht man an einem Tische im Freien, Kaffee trinkend und Zigaretten rauchend, einen sehr kräftigen, untersetzten Fünfziger mit blondem Haar, die hoch geröteten Wangen von einem grauen Bart eingerahmt, und mit blitzenden blauen Augen, denen man ansieht, dass in der geistigen Werkstätte dieses Mannes fortwährend gehämmert und geschmiedet und niemals gefeiert wird. In seiner Brust toben manchmal vielleicht wilde Stürme, aber an der Oberfläche sieht man nichts wie ein sich ewig gleich bleibendes Jäger’sches Normalhemd. Es ist Johannes Brahms, der sich diesmal entschlossen hat, einen Sommer ausschließlich in Ischl zuzubringen. Er ist in größerer Gesellschaft sehr wortkarg und brummt nur zeitweilig eine ironische Bemerkung; im intimen Kreise aber nimmt er lebhaft an der Unterhaltung teil.“ So beschrieb der Wiener Satiriker Daniel Spitzer das Bild des Hanseaten Brahms im mondänen Kaiserbad. Im Sommer 1890 entsprang aus der „geistigen Werkstätte des Komponisten“ in der Tat nur das G-Dur-Quintett. An Clara Schumann schrieb er entschuldigend: „Werkstattpläne gab es auch heuer genug, aber es wird nicht viel davon bleiben. Wenn ich damit etwa ein Streichquintett meine, so ist es doch ein Unglück, daß mein erstes (F dur) wohl eines meiner hübschesten Stücke ist?“ Noch traute der Meister seinem neuen Quintett nicht den Erfolg des F-Dur-Quintetts Opus 88 zu. Seinem Verleger Simrock schrieb er: „Im Übrigen aber hab ich viel zerrissenes Notenpapier zum Abschied von Ischl in die Traun geworfen. Gescheites ... war eben nicht mitzunehmen.“ Man vermutet, dass sich darunter auch die Skizzen zur Fünften Sinfonie befanden, mit der sich Brahms seit Ende der 1880er Jahre belastete, ohne sich letztendlich dazu durchringen zu können. Das Gerücht, es sei einiges von den sin-
fonischen Themen in das G-Dur-Quintett eingeflossen, konnte nicht bestätigt werden, hat aber angesichts des sinfonischen Charakters gerade des Kopfsatzes einiges für sich.
Aufführungen in Wien, Berlin und London Wie üblich folgten die ersten Aufführungen des neuen Werkes bereits im folgenden Herbst und Winter. Am 11. November durfte sich Brahms im Wiener Bösendorfer-Saal über die umjubelte Uraufführung durch das erweiterte Rosé-Quartett freuen. Die Musiker spielten aus handschriftlichen Stimmen, die anschließend nach Berlin geschickt wurden: Am 10. Dezember spielte Joseph Joachim das Quintett in seiner Kammermusikreihe im Saal der Berliner Singakademie, dem heutigen Maxim-Gorki-Theater. Dabei musste er das Adagio wiederholen, weil die Berliner nicht aufhörten zu klatschen. (Damals klatschte man noch zwischen den Sätzen!). Im folgenden Frühjahr errang der große Geiger auch in London einen rauschenden Erfolg mit dem neuen Quintett, und zwar in den „Monday Pops“, einer jener populären „After Work“-Konzertreihen, wie sie für London typisch waren. Davon erfuhr Brahms durch die junge Pianistin Ilona Eibenschütz, die der Aufführung beigewohnt hatte: „Im März 1891 wurde das G-Dur-Streichquintett von Joachim, Piatti, Rigis, Strauss and Gibson in den Monday Pops zur Londoner Erstaufführung gebracht. Als ich Brahms erzählte, wie gewissenhaft Joachim das Quintett einstudiert hatte und wie begeistert es aufgenommen worden war, war er sehr erfreut.“ Man beachte: Das Cellothema des ersten Satzes wurde in London von keinem Geringeren als dem Virtuosen Alfredo Piatti gespielt. Der erste Adressat dieses gewaltigen Solos aber war Robert Hausmann, der Cellist des „Joachim Quartetts“. In mancher Hinsicht wirkt das G-Dur-Quintett wie die kammermusikalische Antwort auf das a-Moll-Doppelkonzert, das Brahms dem Geiger Joachim und dem Cellisten Hausmann auf den Leib geschrieben hatte.
Zur Musik Erster Satz, „Allegro non troppo, ma con brio“ („Nicht zu rasch, aber mit Feuer“): Ursprünglich wollte Brahms diesen Satz „Allegro energico“ nennen. Wahrhaft energisch setzt das Cello mit einem gewaltigen Thema ein, das vom Grundton zur Unterquart abspringt, um dann mit einer Arabeske in die Höhe zu schnellen. Beide Elemente – Quartsprung und Arabeske – spielen in dem Satz eine bedeutende Rolle, ebenso eine fallende Sext, die etwas später in dem weiträumigen Hauptthema auftaucht. Zunächst aber schwingt sich das Cello aus der tiefen Lage bis in höchste Höhen hinauf, um dann erst die Führung an die erste Geige abzutreten. Die Begleitstimmen zum Cellogesang ins Piano zurückzunehmen, verweigerte Brahms beharrlich. Ihre wogenden Terzen bilden den ekstatischen Klanggrund zum Hauptthema. Wenig begeistert war Elisabeth von Herzogenberg, die als erste die neue Partitur zu sehen bekam: „Warum machen Sie es dem armen Cello so schwer?“ Brahms aber blieb standhaft. So ausufernd das
Hauptthema wirkt – in Harmonien schwelgend, die Arnold Schönberg entzückten –, so knapp ist die Überleitung. Sie macht nach wenigen Takten zwei selig singenden Wiener Walzern Platz: der erste im Forte für die Bratschen, der zweite leise und zart für die Geigen. Im wilden Tremolo der Schlussgruppe kann man von Ferne Schuberts G-DurStreichquartett anklingen hören. Nach der Wiederholung dieser wundervollen Exposition ereignet sich zu Beginn der Durchführung ein Klangwunder: Das Taktgefühl wird aufgehoben, der Streicherklang verwandelt sich in ein einziges Wehen und Wogen, Schönbergs „Verklärte Nacht“ kündigt sich an. Dann aber schieben sich dunkle Wolken vor das sonnige Idyll: Die eigentliche Durchführung beginnt, erst bärbeißig kontrapunktisch, dann zurückgenommen auf ein brütendes Pianissimo, aus dem sich ganz allmählich das Hauptthema wieder herausschält. Wie Brahms das Thema erst in der falschen Tonart eingeführt hat, um es dann mit einem Ruck nach G-Dur
zu versetzen, wie er das Hauptthema nun noch emphatischer gestaltet hat als zu Beginn, die Walzerthemen noch lieblicher, wie er zum Schluss in der Coda lauter Walzerträume in fallenden Terzen übereinandergeschichtet hat, das gehört zum Schönsten, was er jemals geschrieben hat. Zweiter Satz, „Adagio“ („Langsam“). Gleich mit den ersten Tönen der ersten Bratsche über dem Pizzicato des Cellos umfängt den Zuhörer tiefste Wehmut: Im dorisch angehauchten d-Moll zieht ein ungarischer Klagegesang seine Bahnen, der von merkwürdigen Einschüben in der Harmonik Palestrinas unterbrochen wird. Tremoli, die an den Klang des ungarischen Zymbals erinnern, rhapsodische Soli und Pizzicati verleihen dem Satz eine kaum zu beschreibende Klangaura, hinter der sich ein Brahms’sches Bekenntnis verbirgt. Denn die Bratschenmelodie beginnt mit dem viertönigen Motto F-A-Gis-E, einer Variante jenes „F-A-E“, das sich einst der junge Brahms und sein Freund Joachim zum Lebensmotto wählten: „Frei, aber einsam“. Joachim
hatte später geheiratet und sich auch wieder scheiden lassen, Brahms war Junggeselle geblieben und wurde als Mitfünfziger zunehmend einsam. Wie das eingestreute gis im F-A-E-Motto zeigt, wurde für den alternden Brahms das „einsam“ immer bedrückender, trotz seiner Freiheit als Mensch und Künstler. Das „wunderbar knappe Adagio“, wie es Joachim nannte, bezieht sich also auf Brahms selbst – als Bekenntnis eines Einsamen, der seine Klage in die schlichte Form eines ungarischen Volkslieds kleidet. Im Laufe des Satzes wird dieses Volkslied zum Gegenstand einer hochdramatischen Entwicklung, stetig sich steigernd und klanglich immer mehr angereichert. Die Dynamik verharrt lange im Piano. Erst kurz vor Schluss entlädt sich die aufgestaute Spannung in einem erschütternden Fortissimo-Höhepunkt: Aus der höchsten Höhe eines mit wehmütigen Dissonanzen gesättigten Gesangs stürzt das Thema ab in wildes Tremolo, an dessen Ende nur ein Bratschensolo übrigbleibt. Resigniert und kraftlos leitet die einsame Viola zur knappen Reprise des Anfangs zurück. Die
allerletzten, schmerzlichen Vor- punktisch umkehren. Nach der halte und der plagale Schluss Reprise des Hauptteils klingt sprechen eine deutliche Sprache. dieses Vexierspiel aus dem Trio noch einmal kurz an. Dritter Satz, „Un poco Allegretto“ („Ein klein wenig rasch“). Nach Vierter Satz, „Vivace ma non dem Cellothema des ersten Sat- troppo presto“ („Lebhaft, aber zes und dem Bratschensolo des nicht zu sehr schnell“): Zu Bezweiten wollte Brahms seinen ginn des Finales haben noch einFreund Joseph Joachim nicht län- mal die Bratschen das Sagen, nun ger auf ein Geigensolo warten zu zweit, in einem mürrischen lassen. Der dritte Satz beginnt Duett in der „unlustigen“ Tonart mit einer wehmütigen „ungari- h-Moll. Erst mit dem Einsatz der schen Melodie“ für Geige, deren Geigen in strahlendem G-Dur lange, seufzende Vorhalte die und im Duktus eines ungarischen Klage des Adagios in zarte Weh- Volkstanzes wird der eigentliche mut verwandeln. Der Wiener Sinn des Satzes deutlich: Er ist Kritikerpapst Eduard Hanslick eine Huldigung an den Csárdás, schrieb über diese feinen Über- dessen mitreißender Wirkung gänge beim späten Brahms und sich Brahms dank der Wiener über die Reduktion seiner Me- Zigeunerkapellen nicht entzielodik auf lakonische Gesten. Aus hen konnte. Dass er zu den solchen, nämlich aus lauter Seuf- Stammgästen der ungarischen zern, ist die gleichsam scheue Platzkonzerte im Prater gehörGeigenmelodie zusammenge- te, ist diesem Satz unschwer setzt, die von nachschlagenden anzuhören, besonders in seiner Figuren der Unterstimmen auf grandiosen Coda. Zuvor freilich sanfte Weise vorangetragen wird der Konflikt zwischen dem wird. Im Trio leuchtet – durch unruhigen h-Moll-Thema der Umdeutung des Schlussmotivs Bratschen und dem ungarischen aus dem Hauptteil – G-Dur her- G-Dur-Tanz der Geigen in strenvor. In dauerndem Dialog spielen ger Sonatenform ausgetragen. die Geigen und Bratschen ein- Als zweites Thema mischt sich ander ein einfaches Ländler- eine schlendernde Melodie ein, thema zu, indem sie es kontra- die Brahms dem Finale seines
Zweiten Klavierkonzerts entlehnt hat. Die Lösung des Themenkonflikts hat sich Brahms für die Coda aufgespart. Dort bricht sich – Knall auf Fall, wuchtig wie ein Katarakt – ein Csárdás
so rückhaltlos Bahn, dass dagegen kein Kraut mehr gewachsen ist. Der Humorist Brahms triumphiert im letzten Moment über die tiefen Schatten der Mittelsätze.
Zemlinsky in Wien „Das Komischste, was es gibt, eine Karikatur, kinnlos, klein, mit herausquellenden Augen.“ Diese keineswegs schmeichelhafte Beschreibung des jungen Alexander von Zemlinsky stammt von Alma Schindler, der umschwärmten Muse der Wiener Jahrhundertwende, die damals noch nicht ahnen konnte, wie bald schon sie zur Ehefrau des Hofoperndirektors Gustav Mahler avancieren würde. Im Freundeskreis der Schindler verkehrten die Herren Hofmannsthal, Mahler und Schreker. Unter ihnen saugte auch der junge Zemlinsky die „Luft von anderem Planeten“ auf, die durch das Wien jener Jahre wehte. An seinem musikalischen Genie gab es keinen Zweifel: Arnold Schönberg bewunderte an ihm die „natürliche, ungezwungene, selbstverständliche Größe“, und selbst der oft so gehässige Strawinski schrieb später über ihn: „Von allen Dirigenten, die ich gehört habe, würde ich Alexander von Zemlinsky als den überragenden Dirigenten wählen.“ Weniger begeistert war anfangs die junge Schindler, die Zemlinsky zwar abstoßend fand, aber dennoch seine Schülerin wurde. Offenbar siegte die Aura des jungen Mannes über seine Hässlichkeit, und es kam zu einer stürmischen Affäre, die abrupt endete, als Gustav
Mahler in Almas Leben trat. Für den jungen Zemlinsky war es ein herber Rückschlag auf seinem mühsam erkämpften Weg vom zweiten Wiener Bezirk in die erlauchten Höhen des Musikvereins. Als Zemlinsky 1871 in der Odeongasse zur Welt kam, trug er noch ein „sz“ im Nachnamen. Sein Vater war Sekretär der türkischisraelitischen Kultusgemeinde, auch die Mutter war vom Milieu der sephardischen Juden tief geprägt. Die Begabung war dem kleinen Alexander in die Wiege gelegt. Robert und Johann Nepomuk Fuchs lenkten sein Genie am Wiener Konservatorium in grundsolide Bahnen. „Sieht überall Talent heraus“, meinte sogar der gestrenge Brahms, nachdem er die ersten Werke des FuchsSchülers studiert hatte, etwa die lieblichen „Ländlichen Tänze“ für Klavier. 1896 hatte Brahms sogar Grund, den jungen Künstler seinem Verleger Simrock zu empfehlen. Das Klarinettentrio Opus 3 von Zemlinsky, Preisträgerstück beim Wettbewerb des Tonkünstlervereins, beeindruckte den alten Meister tief. Gleichzeitig mit dem Klarinettentrio komponierte Zemlinsky ein Streichquintett in d-Moll, das im März 1896 vom HellmesbergerQuartett im Wiener Tonkünstlerverein uraufgeführt wurde. Nur die beiden Ecksätze sind erhalten geblieben: das erste Allegro in einer Partiturskizze, das humorvolle Finale immerhin in einer datierten Reinschrift („11. Jänner 96“). Bei der Uraufführung fand gerade dieses „Prestissimo, mit Humor“ in D-Dur breiten Zuspruch. Auch Brahms war begeistert, und zwar so, dass er den jungen Komponisten zu einer Kompositionsstunde in die Karlsgasse einlud – der ersten und einzigen Unterrichtsstunde. Für das junge Genie Zemlinsky war es eine harte Prüfung, wies ihm der Meister doch die Schwächen seines frühen Streichquintetts erbarmungslos nach und verwies auf Mozarts Quintette als unerreichtes Muster der Gattung. Dennoch blieb der junge Zemlinsky ein glühender „Brahmine“: „Ich kannte die meisten Werke von Brahms gründlich und war wie besessen von dieser Musik“, meinte er später über diese frühe Phase. Seinen Quintettsätzen kann man dies anhören. Sie bauen die Brücke von der Klangwelt der
Brahms’schen Streichquintette hin zur „Verklärten Nacht“ Schönbergs, der bis 1902 Zemlinskys Schüler war und später sein Schwager werden sollte.
Verklärte Nacht in einem Wiener Park Als Schönberg 1899 sein Streichsextett „Verklärte Nacht“ komponierte, ging er noch bei Zemlinsky in die Lehre. Mit der Uraufführung drei Jahre später in Wien freilich betrat er vehement die Bühne der anbrechenden Moderne. Geradezu mit Stolz hat noch der alte Schönberg bemerkt, dass sein Sextett anno 1902 „ausgezischt wurde und Unruhe und Faustkämpfe verursachte“. 1950, fast ein halbes Jahrhundert nach diesem denkwürdigen Ereignis, verfasste er seine ausführliche Erläuterung des Werkes. Sie beginnt mit aufschlussreichen Bemerkungen zum Zeitgeist in diesem wahrhaft epochalen Werk: „Am Ende des 19. Jahrhunderts waren Detlev von Liliencron, Hugo von Hofmannsthal und Richard Dehmel die vordersten Vertreter des Zeitgeistes in der Lyrik. In der Musik hingegen folgten nach dem Tod von Brahms viele junge Komponisten dem Vorbild von Richard Strauss und komponierten Programmmusik. Dies erklärt den Ursprung der ‚Verklärten Nacht‘: sie ist Programmmusik, die das Gedicht von Richard Dehmel schildert und zum Ausdruck bringt. Meine Komposition unterschied sich vielleicht etwas von anderen illustrativen Kompositionen erstens, indem sie nicht für Orchester, sondern für Kammerbesetzung ist, und zweitens, weil sie nicht irgendeine Handlung oder ein Drama schildert, sondern sich darauf beschränkt, die Natur zu zeichnen und menschliche Gefühle auszudrücken. Es scheint, dass meine Komposition aufgrund dieser Haltung Qualitäten gewonnen hat, die auch befriedigen, wenn man nicht weiß, was sie schildert, oder, mit anderen Worten, sie bietet die Möglichkeit, als ‚reine‘ Musik geschätzt zu werden. Daher vermag sie einen vielleicht das Gedicht vergessen zu lassen, das mancher heutzutage als ziemlich abstoßend bezeichnen könnte.
Dessen ungeachtet verdient vieles von dem Gedicht Anerkennung wegen seiner in höchstem Maße poetischen Darstellung der Gefühlsregungen, die durch die Schönheit der Natur hervorgerufen werden, und wegen seiner bemerkenswerten moralischen Haltung bei der Behandlung eines erschütternd schwierigen Problems.“ Soweit Schönbergs Andeutungen zur Gedichtvorlage und ihrer musikalischen Umsetzung. Im Folgenden soll die Musik in Schönbergs eigenen Worte beschrieben werden, wobei die Notenbeispiele notgedrungen durch Beschreibungen der Themen ersetzt sind. Danach wird auch das Originalgedicht von Richard Dehmel abgedruckt – für all jene Leserinnen und Leser, die lieber eine Brücke von der Poesie zur Musik bauen wollen.
Zur Musik „Bei einem Spaziergang in einem Park in einer klaren, kalten Mondnacht (symbolisiert durch das immer wiederkehrende erste Thema) bekennt die Frau dem Mann in einem dramatischen Ausbruch eine Tragödie (im dramatischen Solo der ersten Geige über Tremolobegleitung). Sie hatte einen Mann geheiratet, den sie nicht liebte. Sie war unglücklich und einsam in dieser Ehe (Thema des Violoncellos mit Dämpfer), zwang sich aber zur Treue (schnellere Passage im Dreiertakt), und nachdem sie schließlich dem mütterlichen Instinkt gefolgt ist, trägt sie jetzt ein Kind von einem Mann, den sie nicht liebt. Sie hatte ihre Pflichterfüllung gegenüber den Forderungen der Natur sogar für lobenswert gehalten (ruhiger Einschub, Bordun der beiden Celli). Ein höhepunktartiger Aufstieg, der das Motiv verarbeitet, drückt aus, wie sie sich selber ihrer großen Sünde bezichtigt. Voller Verzweiflung geht sie nun neben dem Mann her, den sie liebt, und fürchtet, dass sein Urteilsspruch sie vernichten wird. Aber ‚die Stimme eines Mannes spricht‘, eines Mannes, dessen Großmut so erhaben ist wie seine Liebe. Die vorausgegangene erste Hälfte der Komposition endet auf es-Moll, von dem als
Überleitung nur b im Cello liegenbleibt, um mit dem äußersten Gegensatz D-Dur zu verbinden. Flageoletts, die mit gedämpften Läufen ausgeziert sind, drücken die Schönheit des Mondlichts aus, und über einer flimmernden Begleitung wird ein Nebenthema eingeführt, das bald in ein Duett zwischen Violine und Cello übergeht. Dieser Abschnitt gibt die Stimmung eines Mannes wieder, dessen Liebe im Einklang mit dem Schimmer und Glanz der Natur fähig ist, die tragische Situation zu leugnen: ‚Das Kind, das du empfangen hast, sei deiner Seele keine Last.‘ Nachdem das Duett einen Höhepunkt erreicht hat, wird es durch eine Überleitung mit einem neuen Thema verbunden. Seiner Melodie, die die ‚Wärme‘ ausdrückt, die ‚flimmert von dir in mich, von mir in dich‘, die Wärme der Liebe, folgen Wiederholungen und Verarbeitungen früherer Themen. Schließlich führt es zu einem weiteren neuen Thema, das dem würdigen Entschluss des Mannes entspricht: die Wärme ‚wird das fremde Kind verklären, du wirst es mir, von mir gebären‘. Ein Aufstieg führt zum Höhepunkt, zu einer Wiederholung des Themas des Mannes. Ein langer CodaAbschnitt beschließt das Werk. Sein Material besteht aus Themen der vorausgehenden Teile. Alle sind von neuem verändert, wie um die Wunder der Natur zu verherrlichen, die diese Nacht der Tragödie in eine verklärte Nacht verwandelt haben.“ Josef Beheimb Richard Dehmel (1863–1920) Verklärte Nacht (Aus der Sammlung „Weib und Welt“, Berlin 1896) Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain; der Mond läuft mit, sie schaun hinein. Der Mond läuft über hohe Eichen, kein Wölkchen trübt das Himmelslicht, in das die schwarzen Zacken reichen. Die Stimme eines Weibes spricht:
Ich trag ein Kind, und nit von dir, ich geh in Sünde neben dir. Ich hab mich schwer an mir vergangen; ich glaubte nicht mehr an ein Glück und hatte doch ein schwer Verlangen nach Lebensfrucht, nach Mutterglück und Pflicht – da hab ich mich erfrecht, da ließ ich schaudernd mein Geschlecht von einem fremden Mann umfangen und hab mich noch dafür gesegnet. Nun hat das Leben sich gerächt, nun bin ich dir, o dir begegnet. Sie geht mit ungelenkem Schritt, sie schaut empor, der Mond läuft mit; ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht. Die Stimme eines Mannes spricht: Das Kind, das du empfangen hast, sei deiner Seele keine Last, o sieh, wie klar das Weltall schimmert! Es ist ein Glanz um alles her, du treibst mit mir auf kaltem Meer, doch eine eigne Wärme flimmert von dir in mich, von mir in dich; die wird das fremde Kind verklären, du wirst es mir, von mir gebären, du hast den Glanz in mich gebracht, du hast mich selbst zum Kind gemacht. Er fasst sie um die starken Hüften, ihr Atem mischt sich in den Lüften, zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht.
Die Interpreten
Zemlinsky Quartet Das Zemlinsky Quartet knüpft seit seinem Bestehen 1994 an die reiche Tradition der tschechischen Quartett-Schule an. Es gewann den ersten Preis im Internationalen Wettbewerb für Streichquartette in Bordeaux (2010), ist Preisträger des Prager Frühlings und der internationalen Streichquartettwettbewerbe im kanadischen Banff und in London, wo es zugleich den Publikumspreis errang. Auch aus anderen Wettbewerben ging es als Sieger hervor (Beethovenův Hradec, New Talent Bratislava, Wettbewerb der Bohuslav-Martinů-Stiftung Prag). Im Jahre 2005 wurde dem Quartett der Preis des Tschechischen Vereins für Kammermusik verliehen und 2009 der Förderpreis des Alexander-Zemlinsky-Fonds in Wien. Im Rahmen seiner Tourneen bereiste das Quartett bereits vier Kontinente. Sein Repertoire umfasst mehr als 200 Werke führender tschechischer und internationaler Komponisten. Nach den erfolgreichen Einspielungen tschechischer Musik auf den ersten beiden CDs unterschrieb das Zemlinsky-Quartett einen exklusiven Aufnahmevertrag mit der französischen Firma Praga Digitals. Für sie hat es bereits vierzehn Titel einschließlich eines Satzes von vier CDs mit dem frühen Quartettschaffen Dvořáks
aufgenommen, wofür es den prestigeträchtigen französischen Schallplattenpreis Diapason d’Or erhielt. Zahlreiche Aufnahmen machte das Quartett auch für den Tschechischen Rundfunk. Während des Studiums am Prager Konservatorium und an der Prager Musikhochschule wurde das Quartett zunächst von Musikern renommierter tschechischer Kammerensembles geschult: des Quartetts der Hauptstadt Prag, des Talich-, Kocian- und Pražák-Quartetts. Später studierte das Quartett bei dem legendären Musikpädagogen und Primarius des LaSalle-Quartetts Walter Levin. In den Jahren 2006 bis 2011 assistierten die Mitglieder des Zemlinsky Quartets an der Musikakademie Basel in der Schweiz und lehrten an der Internationalen Sommer-Musikakademie in Pilsen, die sie auch mitorganisierten (2007 bis 2011). Im Rahmen ihrer Tourneen unterrichten sie auch in Meisterkursen für Studenten sämtlicher Alterskategorien. František Souček und Petr Holman haben seit kurzem auch Lehraufträge am Prager Konservatorium.
Josef Kluson, Viola Geboren im tschechischen Vysoké Myto, studierte Josef Kluson zunächst Viola am Konservatorium in Prag, später dann an der Akademie der musischen Künste (die renommierteste Hochschule für Musik, Theater und Filmkunst in Prag) bei Josef Kodousek, Mitglied des legendären Vlach Quartetts. Während seines Studiums wurde Kluson mit zahlreichen Preisen als Solist und Kammermusiker ausgezeichnet. 1972 gründete er das Pražák Quartett, eines der führenden Streichquartette Europas. Zusätzlich zu seinem Engagement im Pražák Quar-
tett gibt er Meisterkurse und tritt regelmäßig als Solist auf, zuletzt beim Schleswig-Holstein Musik Festival, dem Pablo Casals Festival, dem Arizona Festival und bei La folle journée in Nantes. Er hat diverse Aufnahmen für Praga Digitals gemacht, unter anderem die kompletten Sonaten von Reger und Brahms, außerdem Werke von Penderecki, Schulhoff und Martinů.
Michal Kaňka, Violoncello 1960 in Prag geboren, begann Michal Kaňka im Alter von sieben Jahren Violoncello zu spielen. Er studierte am Prager Konservatorium, dann an der Prager Akademie der musikalischen Künste. In Los Angeles nahm er am Gregor Piatigorsky Seminar unter der Leitung von Andre Navarra, Maurice Gendron und Paul Tortelier teil. Im Jahre 1980 wurde Michal Kaňka beim Internationalen Wettbewerb des Prager Frühlings mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Ein Jahr später gewann er den Grand Prix in allen Kategorien im Rahmen des Tschechoslowakischen Nationalwettbewerbes. Nach den ersten Erfolgen folgten die höchsten Preise im Tschaikowski-Cello-Wettbewerb in Moskau 1982 (Laureat) und beim Prager-Frühling-Wettbewerb 1983 (erster Preis). 1986 gewann Michal den Internationalen ARD-Wettbewerb in München. Michal Kaňka tritt mit bedeutenden internationalen Orchestern auf, mit der Tschechischen Philharmonie, dem Bayerischen und Berliner Rundfunk Orchester, der Slowakischen Philharmonie, um nur einige zu nennen. Er war Solist der Staatsphilharmonie Brno und hat seit 2003 eine Ehrenposition als Solist des Rundfunkorchesters Prag inne. Auch als Kammermusikspieler ist Michal
Kaňka sehr gefragt. Als Mitglied des Pražák Quartetts (seit 1986) ist er auf den wichtigsten Konzertpodien der Welt präsent. Michal Kaňka hat viele Aufnahmen für den Tschechischen Rundfunk, Radio France, den Bayerischen Rundfunk, AVRO Holland u. a. verwirklicht. Er hat bereits weit über 50 CDs eingespielt, viele wurden auch mit hohen Preisen geehrt. Seit 2011 unterrichtet er Cello an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Prag. Seit 2013 ist er Professor am Prager Konservatorium. Als Vorsitzender der permanenten Kommission des Internationalen Wettbewerbes Prager Frühling wirkt er seit 2014. Seit 2016 ist er als Mitglied der Stiftung Bohuslav Martinů tätig. Michal Kaňka spielt ein französisches Cello von Christian Bayon 2006 und einen französischen Bogen von Nicole Descloux 2000.
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