Freitag, 21. Juli, 20 Uhr Helmut List Halle
Terpsichore
Der Tanz und die Suite zur Zeit des „Concert spirituel“
Jean-Féry Rebel (1666–1747, 270. Todesjahr) Les Caractères de la Danse (1715) (Die Charaktere des Tanzes) Prelude – Courante – Menuet – Bourée – Chaconne – Sarabande – Gigue – Rigaudon – Paßepied – Gavotte – Sonate – Loure – Musette – Sonate La Terpsichore (1720) Grave – Viste: Bruit – Grave – Gay – Première sicilienne: Rondeau – 2e Rondeau – Langloise: Gigue: Gay Les Plaisirs Champêtres (1734) (Die ländlichen Freuden) Musette – Gavotte – Musette – Chaconne – Passepied – Bourée – Rigaudon – Bourée
Fantaisie (1729) Grave – Chaconne – Mineur – Majeur – Loure – Tambourin deux fois entières – Chaconne
Georg Philipp Telemann (1681–1767, 250. Todesjahr) Ouvertüre: Suite „La Bizarre“ in G, TWV 55:G2 für 2 Violinen, Viola & B. c. Ouverture – Courante – Gavotte en Rondeau – Branle – Sarabande – Fantaisie – Menuet I & II – Rossignol Tafelmusik, Dritter Teil, Nr. 1, TWV 55:B1 Ouvertüre: Suite in B (1733) 2 Oboen, 2 Solo-Violinen, 2 Violinen, Viola & B. c. Ouverture: Lentement. Presto. Lentement – Bergerie: Un peu vivement – Allegresse: Vite – Postillons – Flaterie – Badinage: Très vite – Menuet – Conclusion: Furioso, TWV 50:10
Le Concert des Nations: Manfredo Kraemer, Violine 1 David Plantier, Violine 2 Marc Hantaï & Yi-Fen Chen, Flöte Alessandro Pique & Vincent Robin, Oboe Joaquim Guerra, Fagott Mauro Lopes, Guadalupe del Moral, Éva Posvanecz (Telemann), Kathleen Leidig, Violinen 1 Alba Roca & Santi Aubert, Violinen 2 Angelo Bartoletti, Giovanni de Rosa, Lola Fernández & Éva Posvanecz (Rebel), Viola Balázs Máté & Antoine Ladrette, Violoncello Xavier Puertas, Kontrabass Josep Maria Martí, Theorbe Marco Vitale, Cembalo Pedro Estevan, Perkussion Dirigent: Jordi Savall
Programmdauer: Erster Konzertteil: ca. 40 Minuten Pause: ca. 30 Minuten Zweiter Konzertteil: ca. 45 Minuten
Hörfunk: Freitag, 11. August, 19.30 Uhr, Ö1
Terpsichore
Die Tänze des Hamburger Musikdirektors Georg Philipp Telemann haben das styriartePublikum schon während der letzten Wochen verschiedentlich bezaubert. Auch Jordi Savall erweist dem geborenen Magdeburger aus Anlass seines 250. Todestags die schuldige Reverenz. Freilich wäre Savall nicht der große Pionier der französischen Barock musik, wenn er dem Deutschen Telemann nicht einen ebenso genialen Franzosen gegenüberstellen würde: Jean-Féry Rebel.
Zum Programm
Ein kleiner Geiger aus Paris Jean-Féry Rebel war der erste Meister der Ballettmusik in der französischen Musikgeschichte. Der klein gewachsene Sohn eines Tenors in königlichen Diensten weckte schon als achtjähriges Wunderkind auf der Geige das Interesse des großen Jean-Baptiste Lully. Der „Superintendant“ der Hofmusik des Sonnenkönigs nahm den kleinen Jean-Féry als Schüler in Komposition und Violinspiel an. Nach Lullys Tod veröffentlichte Rebel seine ersten Violinsonaten und wurde unter die „24 Violons du Roi“ aufgenommen, also ins privilegierte Streichorchester Ludwigs XIV. Seine einzige Oper „Ulysse“ dagegen erwies sich 1703 als Fiasko. Erst mit knapp 50 Jahren, nach dem Tod des Sonnenkönigs, entdeckte er seine eigentliche Berufung: die Ballettmusik. 1715 schuf er mit „Les charactères de la danse“ das erfolgreichste Ballett der folgenden Jahrzehnte. Innerhalb weniger Jahre ließ er diesem Meisterstück weitere „Tanzfantasien“ folgen, die Jordi Savall im ersten Teil unseres Konzerts dirigiert: „La Terpsichore“ (1720), „Les plaisirs champêtres“ (1724) und „Fantaisie“ (1729). Sein berühmtestes Werk war zugleich sein letztes: „Les Elemens“ von 1737, sein Ballett über die vier Elemente, dem er die drastische Schilderung des Chaos voranstellte. Rebel starb zehn Jahre später im hohen Alter von 80 Jahren als letzter Repräsentant jener genialen Generation von französischen Barockmeistern, die alle um 1660 geboren wurden (Marais, Campra, Desmarets, Couperin, Destouches, Forqueray, Hotteterre).
Der Krieg der Tänzerinnen Man kann nicht über Rebels Ballettmusiken schreiben, ohne den Krieg der Tänzerinnen zu erwähnen, der sich an diesen Stücken entzündete. Paris war im 18. Jahrhundert nicht nur die Hauptstadt der Philosophen und der Galanterie, sondern auch das Zentrum der musikalischen Fehden: Ständig brach um die Bühnen der Hauptstadt ein kleiner Krieg aus, in dessen Mittelpunkt zwei Komponisten, zwei Primadonnen oder dergleichen standen. Um 1730 waren es zwei Tänzerinnen, die das Pariser Publikum in unversöhnliche Lager spalteten: Wer Marie-Anne Cupis de Camargo bewunderte, hielt von den Künsten der Marie Sallé rein gar nichts und umgekehrt. Diese „Querelle“ zwischen den beiden „Prime ballerine“ war gnadenlos, dabei hatte jede der beiden Tänzerinnen ihre Vorzüge. Voltaire hat dies in einem Gedicht sehr schön beschrieben: Ach, Camargo, wie seid Ihr doch brillant! Aber, o Gott, wie ist die Sallé so charmant! Wie leicht sind Eure Schritte, und wie zart die ihren! Sie ist unnachahmlich, und Ihr seid neu! Die Nymphen springen wie Ihr, Doch die Grazien tanzen wie Sallé. Obwohl die Konkurrentinnen selten in den gleichen Stücken auftraten, konnten sie nicht widerstehen, sobald es um „Les charactères de la danse“ ging. Die Camargo tanzte diesen Klassiker des Repertoires 1726, die Sallé drei Jahre später.
Die Charaktere des Tanzes Bereits 1715 hatte Jean-Féry Rebel seine „Fantaisie“ über die Tanzcharaktere in Paris vorgestellt – ein Ballett en Miniature, das in nur acht Minuten Musik fast sämtliche Standardtänze der französischen Suite abhandelt, jeweils auf ein Minimum
reduziert. Kaum vorstellbar, wie schnell die Camargo und die Sallé dabei ihre Schritte ändern mussten. Auf ein kurzes, zartes „Prélude“ folgt als erstes die Courante, deren Melodie sich Bach sehr gut einprägte (für die Courante seiner ersten Orchestersuite BWV 1066). Bevor die Musiker den zweiten Teil der Courante auch nur beginnen können, drängt sich schon das Menuett ins Bild. Auch dieses wird nach nur 16 Takten von der Bourée abgelöst. Selbst die Chaconne ist hier nicht ein Riesentanz von mehr als 100 Takten Länge, sondern beschränkt sich auf ganze 36 Takte. Auch alle anderen Tanzcharaktere werden in Minimalzeit abgehandelt, und zwar just so, wie sie Johann Mattheson 1739 beschrieben hat: die „Grandezza“ der Sarabande, der „tändelnde Scherz“ des Rigaudon, die „Leichtsinnigkeit“ des Passepied und das „hüpfende Wesen“ der Gavotte. Danach drängt sich plötzlich eine „Sonata“ ins Geschehen, ein Aufflammen italienischer Virtuosität inmitten der streng reglementierten französischen Tänze. Dieser rauschende Satz wird zunächst wieder verdrängt, erst vom „aufgeblasenen Wesen“ einer Loure, dann vom Dudelsack-Klang einer Musette. Am Ende aber kehren die rauschenden Passagen wieder und verwandeln die französische Ballettbühne plötzlich in den Markusplatz von Venedig. Am Dresdner Hof wurde Rebels Ballettmusik übrigens rein konzertant aufgeführt, als Paradestück des berühmten Dresdner Orchesters. Dies belegt eine Orchestrierung des Dresdner Konzertmeisters Pisendel, die sicher auch Bach kannte.
Eine Muse auf Sizilien Terpsichore, die antike Muse des Tanzes, hat dem heutigen Programm den Namen gegeben. Sie inspirierte Rebel zu einem kurzen, pittoresken Orchesterstück, einer Mischung aus Suite und Sonate. Auf ein einleitendes „Grave“ folgt der „Bruit“, der Lärm eines Kampfes im italienischen Stil. Italie-
nisch ist auch die folgende „Sicilienne“, die Imitation einer „Siciliana“. Beide Sätze verweisen auf die kriegerische Besetzung Siziliens durch König Philipp V. von Spanien im Jahr 1718. Der Enkel Ludwigs XIV., dem Rebel 1700 in Madrid persönlich aufgewartet hatte, ließ Sizilien im Handstreich erobern, scheiterte aber politisch ausgerechnet am Widerstand seines Onkels Philipp von Orléans, des Regenten von Frankreich. Unter Führung des „Régent“ stellte die Quadrupelallianz aus England, Frankreich, dem deutschen Reich und den Niederlanden das Gleichgewicht in Europa wieder her: Die Spanier mussten Sizilien räumen. Genau dies hat Rebel in seiner „Terpsichore“ illustriert, weshalb man hier auch eine „Anglaise“ (Langlaise) zu hören bekommt, einen englischen „Country Danse“. Freilich drohte am Horizont schon die nächste politische Krise: Die Mississippi-Blase drohte zu platzen, die der geniale Bankier John Law in Paris ins Laufen gebracht hatte. Ausgerechnet dessen Gattin hat Rebel „La Terpsichore“ gewidmet.
Ländliche Vergnügungen Dass Rebel die Zuhörer mit seiner Ballettmusik „Les plaisirs champêtres“ aufs Land hinausführt, kann man sofort hören: Eine Musette imitiert den Klang des kleinen französischen Dudelsacks gleichen Namens. Auch die folgende Gavotte klingt viel bäuerlicher als ihr höfisches Gegenstück aus den Sälen von Versailles. Die Musette kehrt noch einmal wieder und geht nahtlos in eine prachtvolle Chaconne über, jenen Tanz im punktierten Rhythmus aus lauter achttaktigen Melodiebögen im Dreiertakt. Der Moll-Mittelteil dieser Chaconne wird ebenfalls von rustikalen Klängen bestimmt, bis die Geigen plötzlich zu brillanten Läufen ansetzen und die Bässe mit einem kleinen Erdbeben antworten. Überall bei Rebel spürt man den virtuosen Geiger. Ein Passepied aus lauter
hohen, schnellen Läufen scheint einen Schmetterling im Flug zu imitieren. Zwei kräftig aufstampfende Tänze aus Frankreichs Provinzen führen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: eine Bourée und ein Rigaudon. So fröhlich und „gesund“ stellte man sich in Paris das Landleben der Bevölkerung weitab vom Zentrum der Macht vor. Dabei hatte auch die „Régence“, die Herrschaft des Regenten, keine Entlastung für die Ärmsten in Frankreich gebracht.
Fantasie Ohne Bezüge zur Ballettbühne veröffentliche Rebel 1729 eine Orchestersuite, die er „Fantaisie“ nannte. Nach dem einleitenden Grave aus lauter feierlich absteigenden Tönen setzt eine Chaconne ein, das Hauptstück des Werkes. Ihr Auftakt im punktierten Rhythmus macht sofort dem Tremolo und den virtuosen Streicherkaskaden Platz, die Rebel so liebte. In der gedruckten Ausgabe machte er Angaben zur Mitwirkung der Bläser, etwa im bezaubernden Mollteil dieser Chaconne oder im Tambourin, der auf eine pompöse Loure folgt. Große und kleine Flöten sowie Trommeln gehören zum Tambourin notwendig hinzu, wird hier doch der „Tambourin de Béarne“ imitiert, eine Einhandtrommel, die man in Südfrankreich zusammen mit einer Flöte in der anderen Hand spielte. Der einpeitschende Rhythmus dieses Tanzes wird zum Schluss wieder von der Chaconne verdrängt. Mit Stücken wie diesen bereitete Rebel den Orchestertänzen des großen Rameau den Weg.
Ouvertüren-Meister Telemann Nicht etwa in Deutschland, sondern in Polen begann Georg Philipp Telemann mit dem Komponieren von Orchestersuiten im französischen Stil: Von 1705 bis 1708 diente er im schlesischen Záry (Sorau) dem Reichsgrafen Erdmann von
Promnitz, der dort ebenso großen Hof hielt wie in Pszczyna (Pless) südlich von Katowice: „Allhier fing ich an, mich in der Instrumental-Music, besonders in Ouverturen zu versuchen, weil Se. Excellence der Herr Graf kurtz zuvor aus Franckreich kommen waren und also dieselben liebeten. Ich wurde des Lulli, Campra, und anderer guten Autoren Arbeit habhafft und, ob ich gleich in Hannover einen ziemlichen Vorschmack von dieser Art bekommen, so sahe ihr doch jetzo noch tieffer ein und legte mich nicht ohne guten Succes darauf; es ist mir auch der Trieb hierzu bey folgenden Zeiten immer geblieben, so daß ich bis 200 Ouverturen wohl zusammenbringen könnte.“ Diese Äußerung stammt aus dem Jahre 1718, als Telemann Musikdirektor in Frankfurt am Main war. Auch dort, wie zuvor in Eisenach, hat er unermüdlich „Ouverturen“ geschrieben. Später in Hamburg sollten noch etliche weitere folgen. Erhalten sind davon insgesamt 134 Werke. So viele authentische Orchestersuiten sind im Telemann-Werkverzeichnis (TWV) in der Werkgruppe 55 zusammengefasst.
Bizarre Ouvertüre Allein 13 Orchestersuiten Telemanns stehen in der Tonart G-Dur, darunter auch ein Werk von besonders „bizarrem“ Charakter (TWV 55:G2). Tatsächlich findet sich auf den Dresdner Streicherstimmen dieser Ouvertüre die Überschrift „La Bizarre“. Am Darmstädter Hof dagegen wurden gleich zwei Partituren desselben Stückes angefertigt ohne die seltsame Überschrift. Ob sie tatsächlich von Telemann stammt, bleibt ebenso unklar wie die Frage, ob sie sich nur auf den ersten Satz bezieht oder auf die ganze Suite. Bizarr genug ist das Stück jedenfalls. Aufgrund seines Stils würde man es am ehesten dem jungen Telemann zuschreiben wollen, entweder seiner Zeit in Polen oder den Eisenacher Jahren (1708 bis 1712).
Zur Musik Schon im langsamen Einleitungsteil der Ouvertüre stimmt etwas nicht: Während erste Geigen, Bratschen und Bässe die typischen punktierten Rhythmen im französischen Stil spielen, funken die zweiten Geigen mit einer Melodie im italienischen Stil dazwischen – so als hätten die Geiger das falsche Stück auf ihr Notenpult gelegt. Im schnellen Mittelteil passiert das Gleiche: Während die ersten Geigen eine virtuose Fuge in G-Dur anstimmen, setzen die zweiten Geigen auf einem völlig deplatzierten F ein und scheren sich nicht um den Rest des Ensembles. Der Zorn darüber verdüstert die anfänglich so fröhliche Fuge. Geradezu grotesk wird die Angelegenheit, wenn Bratschen und zweite Geigen einen jämmerlichen Einsatz in Synkopen beginnen und die Bässe dazu das falsche F spielen. Die ersten Geigen retten, was noch zu retten ist, und kehren zum langsamen Teil zurück. Nun aber funken zweite Geigen und Bratschen gemeinsam dazwischen, so dass kein rechtes „Ouvertüren-Feeling“ mehr aufkommen möchte. Wer bislang noch nicht in schallendes Gelächter ausgebrochen ist, hat dazu in den folgenden sieben Tänzen reichlich Gelegenheit: Die
Courante ist ein gänzlich einfallsloser, harmonisch stümperhafter Satz im aufgeblasenen Drei-Halbe-Takt der Franzosen. Die „Gavotte en Rondeau“ strotzt nur so vor Dummheit (deplatzierte Schleifer, Unisono immer im falschen Moment). Die folgende „Branle“ ist schon an sich ein Unding: ein Tanzsatz aus der Renaissance, den Telemann mit der ganzen Trockenheit eines Michael Praetorius ausstattete. Der eigentliche Witz wird für die Zuhörer aber nicht hörbar: Jede der vier Streicherstimmen ist in einer anderen Taktart notiert (Zweihalbe, Dreiviertel, Zweiviertel, Sechsachtel). Die Sarabande benutzt den typischen Rhythmus dieses Tanzes so stur und schematisch, wie es um 1710 schon kaum noch möglich war. Die folgende „Fantasie“ ist genau das Gegenteil: der Inbegriff der Fantasielosigkeit. Unisono, simple Drehfiguren, sinnlose Modulationen und Basstöne, die hineinpoltern, als seien die Spieler besoffen, machen diesen Satz zu den vergnüglichsten 70 Sekunden der ganzen Suite. Der unfähige Komponist, den Telemann hier verspotten wollte, bleibt sich auch in den Menuetten treu: Im ersten Menuett wird ein dümmliches Triolenmotiv bis zum Überdruss wiederholt. Das zweite Menuett ist so leise und
schläfrig, dass die Streicher einzuschlafen drohen. Das Finale trägt in den Dresdner Stimmen die Überschrift „Rossignol“. Unnötig zu sa-
gen, dass Telemann die Nachahmung der Nachtigall nur dazu benutzte, die Lachmuskeln seiner Zuhörer ein weiteres Mal gefährlich zu reizen.
Tafelmusik ohne klapperndes Geschirr 1733 hielten die erstaunten Zeitgenossen sieben dicke Stimmbücher von je 50 Seiten Umfang in den Händen, versehen mit dem schlichten Titel „Musique de Table“. In seiner „Tafelmusik“ hatte Telemann nicht weniger als 18 umfangreiche Instrumentalstücke untergebracht – von der großen Orchestersuite bis hin zur kleinen Sonate für Oboe und Basso con tinuo. Mit dem Titel war also keineswegs eine kalorienarme Hintergrundmusik für die Tafelfreuden der Hamburger „Pfeffersäcke“ gemeint, sondern eine üppige Sammlung aller Formen der Kammer- und Orchestermusik für verschiedenste Feste. Wie groß der Markt dafür war, kann man dem Artikel „Taffel-Music“ in Zedlers Universallexikon von 1744 entnehmen: „Taffel-Music, dieses ist täglich an Fürstlichen Höfen zu hören, wenn nehmlich die Hof- und Kammer-Musici, Mittags und Abends, in dem nächsten Zimmer bey dem Tafel-Gemach aufwarten, und annehmliche Symphonien und Concerten zur Belustigung der hohen Herrschafften, auf allerhand Instrumenten machen müssen. Dergleichen TafelMusiquen hört man auch auf öffentlichen Hochzeiten, Kindtaufen und anderen Festivitäten, die unter bürgerlichen Personen vorgehen.“
Der dritte Teil der Tafelmusik beginnt mit einer Ouvertüre für zwei Oboen, Streicher und Basso continuo, sozusagen die Standardbesetzung der Orchestersuite. Die beiden Oboen gehen über weite Strecken mit den Violinen im Einklang, was einen besonders vollen und kräftigen Klang ergibt. Ab und zu jedoch lösen sie sich aus dem Tutti und spielen virtuose Duette, zu denen im Bass ein beliebiges Instrument hinzutritt. Telemann hat in seiner „Fondamento“-Stimme für die „Tafelmusik“ nicht ausdrücklich ein Solo-Fagott vorgesehen.
Zur Musik Die B-Dur-Ouvertüre zum dritten Teil der „Tafelmusik“ ist eine der schönsten Orchestersuiten, die Telemann geschrieben hat. Von den galanten „lombardischen“ Rhythmen, die den langsamen Teil der Ouvertüre einleiten, über deren launiges Fugenthema bis hin zu den diversen Tänzen bleibt hier gute Laune das oberste Gebot. Dabei nutzte Telemann weidlich die pastoralen Assoziationen aus, die durch die Barockoboen dank ihres Schalmeien-Klangs geweckt werden. Gleich der erste Tanz nach der Ouvertüre heißt „Bergerie“, „Hirtentanz“. Das „leierige“ Thema und die Bordunklänge erwecken den Eindruck, als höre man einen Hirten auf seinem
Dudelsack blasen. Die „Lebhaftigkeit“, französisch „Allegresse“, bildet den Gegenstand des zweiten Tanzes, während man im folgenden Satz das Horn des Postboten hört, der damals sein Eintreffen in jeder Stadt per Hornsignal verkündete. Die Oktaven und Synkopen dieser Telemann’schen „Postillons“ gefielen Georg Friedrich Händel so gut, dass er sie zwölf Jahre später in seinem Oratorium „Belshazzar“ zitierte: für den Auftritt der grotesken Schriftgelehrten Babylons, die vergeblich versuchen, das „Menetekel“ zu entziffern. Eine Sarabande mit weichen Trillern erschien Telemann passend für die „Flatterie“, die Schmeichelei, während er die Spielerei („Badinage“) in
einer sehr schnellen Gavotte aus lauter Zweierbindungen ausdrückte. Als Abschluss dient eines seiner schönsten Menuette. Jordi Savall lässt darauf freilich noch den rasanten Schluss des gesamten dritten Teils der „Tafelmusik“ folgen: die „Conclusion“. Es handelt sich um ein „Furioso“, dessen Streicherklän-
ge noch stürmischer sind als in den „Fantaisies“ von Jean-Féry Rebel. Doch unter dem Klang der beiden Oboen hat Telemann auch eine förmliche Fuge eingebaut. Josef Beheimb
Die Interpreten Jordi Savall, Dirigent Jordi Savall ist eine der vielseitigsten Persönlichkeiten unter den Musikern seiner Generation. Seit mehr als fünfzig Jahren macht er die Welt mit musikalischen Wunderwerken bekannt, die er dem Dunkel der Gleichgültigkeit und des Vergessens entreißt. Er widmet sich der Erforschung der Alten Musik, weiß sie zu lesen und interpretiert sie mit seiner Gambe oder als Dirigent. Seine Konzerte, aber auch sein Wirken als Pädagoge, Forscher und Initiator neuer musikalischer oder kultureller Projekte haben wesentlich zu einer neuen Sichtweise der Alten Musik beigetragen. Zusammen mit Mont serrat Figueras gründete er die Ensembles Hespèrion XXI (1974), La Capella Reial de Catalunya (1987) und Le Concert des Nations (1989). Mit ihnen erforscht und erschafft er seit Jahrzehnten ein Universum voller Emotion und Schönheit für Millionen von Liebhabern Alter Musik in der ganzen Welt. In seiner Musikerlaufbahn hat Savall mehr als 230 Platten aufgenommen. Das Repertoire reicht von Musik des Mittelalters über Renaissance-Musik bis hin zu Kompositionen des Barock und des Klassizismus, wobei er einen besonderen Schwerpunkt auf die iberische und mediterrane Tradition legt. Die CDs erhielten zahlreiche Auszeichnungen, darunter mehrere Midem Classical Awards, International Classical Music Awards und einen Grammy. Seine Konzertprogramme haben die Musik zu einem Mittel der Verständigung und des
Friedens zwischen unterschiedlichen und manchmal auch verfeindeten Völkern und Kulturen gemacht. Nicht ohne Grund wurde Jordi Savall 2008 zum „Botschafter der Europäischen Union für den kulturellen Dialog“ und gemeinsam mit Montserrat Figueras im Rahmen des UNESCO-Programms „Botschafter des guten Willens“ zum „Künstler für den Frieden“ ernannt. Jordi Savalls ertragreiches Musikschaffen wurde mit den höchsten nationalen und internationalen Auszeichnungen gewürdigt, darunter dem Titel des Doctor Honoris Causa der Universitäten von Évora (Portugal), Barcelona (Katalonien), Löwen (Belgien) und Basel (Schweiz). Die Republik Frankreich verlieh Jordi Savall den Titel eines „Chevalier dans l’Ordre national de la Légion d’Honneur“ und vom niedersächsischen Kultusministerium erhielt er den „Praetorius Musikpreis Niedersachsen 2010“ in der Kategorie „Internationaler Friedensmusikpreis“; die katalanische Landesregierung zeichnete ihn mit der Goldmedaille für besondere Verdienste aus, und im Jahr 2012 wurde sein Lebenswerk mit dem angesehenen, einem Nobelpreis für Musik gleichkommenden, dänischen Musikpreis Léonie Sonning prämiert. „Jordi Savall steht ein für die unendliche Vielfalt eines gemeinsamen kulturellen Erbes. Er ist ein Mann unserer Zeit.“ (The Guardian, 2011).
Manfredo Kraemer, Konzertmeister Manfredo Kraemer begann sein Violinstudium in Córdoba, Argentinien. Im Jahre 1984 ließ er sich in Deutschland nieder, um an der Hochschule für Musik in Köln bei Franzjosef Maier sein Studium fortzusetzen. 1985 gründet er gemeinsam mit Studienkollegen das Orchester Concerto Köln. 1986 wurde er von Reinhard Goebel in die Musica Antiqua Köln gerufen. Im Laufe der darauffolgenden Jahre führten ihn Konzert engagements mit jährlich über hundert Auftritten – auch als
Solist und Dirigent – in viele Länder Europas, Asiens, Ozeaniens und Nord- und Südamerikas. Hinzu kommen Radio- und Fernsehauftritte und zahlreiche Aufnahmen für Archiv und Deutsche Grammophon. Ende 1991 begann er seine Karriere als freischaffender Künstler. Er wurde von den bekanntesten Dirigenten der Barockmusik wie René Jacobs, Franz Brüggen, William Christie, Marc Minkowski oder Gabriel Garrido eingeladen und es kam auch zur Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Ensembles der Alten Musik. Seit 1991 verbindet ihn eine enge Zusammenarbeit mit Jordi Savall, dem ange sehenen katalanischen Gambisten und Dirigenten. Sie treten gemeinsam als Kammermusik-Partner auf. In Savalls Orchestern Le Concert des Nations und Hespèrion XXI. ist Manfredo Kraemer Konzertmeister. Manfredo Kraemer hatte mehrere Dozentenstellen für barocke Violine an namhaften Instituten in den USA, Europa, Fernost und Lateinamerika inne. 1996 gründete er das Ins trumental-Ensemble The Rare Fruits Council, 2000 gründete er in seiner Geburtsstadt Córdoba das Orchester La Barroca del Suquía. Er ist auch Mentor und künstlerischer Leiter des Festival de Música Barroca „Camino de las Estancias“.
Le Concert des Nations Das Orchester Le Concert des Nations wurde 1989 von Jordi Savall und Montserrat Figueras bei der Vorbereitung des Projekts Canticum Beatae Virgine von Charpentier gegründet; denn dazu war eine Musikgruppe nötig, die mit historischen Instrumenten ein Repertoire interpretieren konnte, das die
Zeit vom Barock bis zur Romantik umspannte (1600 bis 1850). Der Name geht auf das Werk „Les Nations“ von François Couperin zurück und auf dessen Konzept der goûts-réunis, das die Vereinigung der Musikstile anstrebt und schon eine Vorahnung davon enthält, dass die Kunst in Europa immer eine eigene Prägung haben würde, nämlich die des Zeitalters der Aufklärung. Die von Jordi Savall geleitete Formation Le Concert des Nations war das erste Orchester, dessen Mitglieder mehrheitlich aus romanischen (Spanien, Frankreich, Italien, Portugal) oder lateinamerikanischen Ländern kamen. Alle sind international anerkannte Spezialisten in der historisch fundierten Interpretation Alter Musik mit Originalins trumenten. Von Anfang an stellte das Orchester seine Absicht unter Beweis, ein historisches Repertoire von großer Qualität durch Interpretationen bekannt zu machen, die zwar rigoros den ursprünglichen Geist der Werke respektieren, sie aber beim Spielen neu beleben. Beispielhaft stehen dafür die Einspielungen der Musik von Charpentier, J. S. Bach, Haydn, Mozart, Händel, Marais, Arriaga, Beethoven, Purcell, Dumanoir, Lully, Biber, Boccherini, Rameau und Vivaldi. Mit „Una cosa rara“ von Martín i Soler gab Le Concert des Nations 1992 sein Debüt im Operngenre und führte dies mit „L’Orfeo“ von Monteverdi fort. 1995 wurde eine weitere Oper von Martín i Soler, „Il Burbero di Buon Cuore“, in Montpellier aufgeführt, und im Jahr 2000 wurde „Celos aun del Ayre matan“ von Juan Hidalgo mit Text von Calderón de la Barca
in Salamanca und in Konzertversion in Barcelona und Wien auf die Bühne gebracht. Weitere Produktionen waren „Far nace“ von Vivaldi in Madrid, Bordeaux, Wien und Paris, auf CD herausgegeben bei ALIA VOX. Monteverdis „Orfeo“ wurde von BBC/Opus Arte (2002) auf DVD aufgenommen, ebenso „Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze“ von Haydn (2007) als Koproduktion von Element Productions und ALIA VOX (2007). Eines der letzten Alben von Le Concert des Nations ist „Le Concert Spirituel au temps de Louis XV“ (2010). Die umfangreiche Diskografie wurde vielfach prämiert. Besonders zu erwähnen sind der Midem Classical Award und der International Classical Music Award.
Mit der Unterstützung des Departament de Cultura der Generalitat de Catalunya und des Institut Ramon Llull.
Jordi Savall und Le Concert des Nations haben ihren Sitz in der Saline Royale d’Arc-et-Senans (Doubs)
Aviso Samstag, 22. Juli – Freilichtmuseum Stübing, 18 Uhr
Tanz.Welt.Reise Tänze der Welt auf allen möglichen Gehöften Anna Nyander, Tänzerin / Karin Wallin, Geige / Bo Nordenfelt, Bassgeige (Schweden) CiTollArt Band: Marko Živadinovic´, Akkordeon / deeLinde, Violine / Hermann Härtel, Violine / Saša Prolic´, Bass (Balkan) Luciana Sousa und Escola de Samba Baturim – School of Samba (Brasilien) Inganzo (Ruanda) Citoller Tanzgeiger (Österreich) Tanzen ist Kultur – und kann deshalb so unterschiedlich sein. Je nachdem wohin wir blicken in die weite Welt, erzählen uns die Tänze der Kulturen ganz unterschiedliche Geschichten. Mal tanzen die Geschlechter getrennt, mal miteinander. Mal tanzen ganze Gruppen, mal Paare, mal sogar nur Einzelne. Tänze beschwören die Götter oder die Liebe, versammeln zum Kampf oder zum Umtrunk. All das und noch viel mehr gibt es im Museumsdorf Stübing zu erleben, nicht weniger als eine kleine Weltreise im wirbelnden Schwung der Musik, zum Genießen und natürlich auch zum Mitmachen.
musikprotokoll.ORF.at IM STEIRISCHEN HERBST, GRAZ
Aviso Sonntag, 23. Juli – Helmut List Halle, 20 Uhr
Fiesta Criolla Geistliche und weltliche Tanzlieder aus Peru: Cachuas, Tonadas und Tonadillas aus dem „Codex Trujillo de Lima“ (Kathedrale von Lima 1780-1790) Tembembe Ensamble Continuo (Mexiko) La Capella Reial de Catalunya Hespèrion XXI Leitung: Jordi Savall
Es waren unruhige Zeiten, als fromme Padres der Kathedrale von Lima im Codex Trujillo die Tanzlieder Perus zusammentrugen: 1780 brach eine Indianer-Revolte los, angeführt vom letzten Sprössling des letzten Inka. Der spanische Vizekönig ließ den Auf rührer Túpac Amaru vierteilen und machte ihn dadurch zur Legende. Um 1790 breiteten sich die Ideen der Französischen Revolution in Lima aus. Umso wichtiger schien es, die alten Gesänge und Tänze zu bewahren. 225 Jahre später hat sie Jordi Savall aus den Archiven geholt. Er erweckt die Tonadas und Tonadillas zu neuem Leben, die Arbeits- und Tanz lieder der Indios, die Cachua-Tänze und die fröhlichen Gesänge. Sie alle waren zum singenden Tanzen bestimmt: „para bailar cantando“.
Kunsthaus Graz
24.03.-20.08.2017
Erwin Wurm, Ohne Titel, 2016, (unter Verwendung von: Fritz Wotruba, Liegende Figur, 1953), Foto: N.Lackner, UMJ, © Bildrecht, Wien 2017
Fußballgroßer Tonklumpen auf hellblauem Autodach Erwin Wurm
Klassik, Jazz, Rock, Pop oder Alternative. Leidenschaftliche Musikberichterstattung erÜffnet Perspektiven. Täglich im STANDARD und auf derStandard.at.
HAUS
DER
KUNST
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WERNER BERG Mensch und Landschaft
17. Juni bis 27. August 2017 Steirisches Feuerwehrmuseum Kunst & Kultur Marktstraße 1, 8522 Groß St. Florian www.feuerwehrmuseum.at