resolution_streitbeilegungserklaerung

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Resolution an den Nationalrat:

25 Jahre Streitbeilegungserklärung.

Der Nationalrat beschloss am 5. Juni 1992 die Abgabe der österreichischen Streitbeilegungserklärung. In diesem Beschluss ist folgende wichtige Rechtswahrung enthalten: „Der Nationalrat stellt fest, daß es seine zuvor schon wiederholt zum Ausdruck gebrachte Auffassung ist, daß die Paketmaßnahmen Akte in Ausführung des Pariser Vertrages sind. In Hinblick auf diesen Charakter der Paketmaßnahmen bekräftigt der Nationalrat die Aussage des Ausschusses des Nationalrates vom 1. Oktober 1946, daß der Pariser Vertrag keinen Verzicht auf die Selbstbestimmung Südtirols bedeutet.“ Wenn der Nationalrat nun der Streitbeilegungserklärung vor 25 Jahren gedenkt, so muss dies heute um so mehr im Bewusstsein geschehen, dass die Streitbeilegung weder die Lösung des Südtirol-Problems darstellt noch einen Verzicht auf das Selbstbestimmungsrecht bedeutet. Die aktuellen Entwicklungen in Europa (Referendum in Schottland und Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien), aber auch die negativen Autonomieentwicklungen in Südtirol zeigen, dass die Streitbeilegung zwar eine wichtige Zwischenetappe zu mehr Autonomie und Eigenständigkeit war, das langfristige Ziel aber die Unabhängigkeit Südtirols von Italien bleibt. Südtirol hat sich in den letzten 25 Jahren durchaus positiv entwickelt. Die Bemühungen Österreichs zum Schutze der Südtiroler haben maßgeblich dazu beigetragen. Dafür gebührt der Republik Österreich und den Vertretern aller Parteien Dank und Anerkennung. Im Rahmen der Gedenkveranstaltung zur Streitbeilegungserklärung müssen aber auch die aktuellen Probleme und die Zukunftsfrage Südtirols angesprochen werden. Autonomie im Verteidigungsmodus. Die Südtirol-Autonomie befindet sich zunehmend im Verteidigungsmodus gegen den italienischen Staat, den Verfassungsgerichtshof, aber auch gegen andere italienische Regionen. In Italien werden immer mehr Stimmen laut, die behaupten, dass die Südtiroler 100 Jahre nach dem 1. Weltkrieg keine österreichische Minderheit mehr seien und daher auch kein Anrecht mehr auf eine Autonomie hätten. Die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Südtiroler ist daher eine der wichtigsten Maßnahmen der nächsten Jahre zur Absicherung der Südtirol-Autonomie, denn nur solange die Südtiroler noch als österreichische Minderheit in Italien anerkannt werden, besteht Anspruch auf eine Autonomie. Weit über 100 Verfassungsgerichtsverfahren, zwei Drittel der Landesgesetze angefochten. In den letzten 15 Jahren wurde Südtirol über 100 Mal entweder vom Staat vor den Verfassungsgerichtshof gezerrt oder musste selbst die autonomen Zuständigkeiten


vor dem Verfassungsgericht verteidigen. Dabei gingen weit mehr als die Hälfte der Verfahren für Südtirol negativ aus. In der laufenden Legislaturperiode wurden fast zwei Drittel aller Landesgesetze in irgend einer Form von der italienischen Regierung angefochten, oder der Landtag musste vor einer Anfechtung zurückrudern (u.a. Personalwesen, Gemeindengesetz, Omnisbusgesetze). Bruch der Finanzautonomie. Die Autonomie wurde von Italien im Bereich der Finanzen mehrfach einseitig gebrochen. Die Südtirol-Autonomie wurde seit der Regierung Monti (2012) und zuletzt mit dem Finanzabkommen Kompatscher/Renzi deutlich beschnitten: Statt der 90 Prozent im Land erwirtschafteten und bezahlten Steuerabgaben erhält Südtirol nur mehr rund 82 Prozent, Tendenz sinkend. Zudem musste das Land im Gegenzug zum Finanzabkommen eine Reihe von Klagen vor dem Verfassungsgerichtshof zurückziehen, dies war Teil des Abkommens. Stillstand und Rückschritt der Autonomie. Es gab und gibt ― abgesehen von der Verfassungsreform 2001 ― kaum mehr Dynamik nach vorne in der Autonomie, sondern vielmehr eine Dynamik nach hinten. Insbesondere seit der Regierung Monti hat Italien gelernt, wie man die Südtirol-Autonomie auch gegen den Buchstaben des Gesetzes beschneidet. Das „nationale Interesse“ wird vom Staat einfach als Notwendigkeit zur Sanierung des Staatshaushaltes ausgelegt oder uminterpretiert, und Südtirols Zuständigkeiten werden damit in Frage gestellt. Wesentliche Zuständigkeiten fehlen – Ortsnamenfrage ungelöst. Es fehlen weiterhin wesentliche Zuständigkeiten einer starken Autonomie, wie die echte Steuerhoheit, die Bildungshoheit, oder etwa die primären Zuständigkeiten im Gesundheitswesen, in Umweltbelangen und auch in der Sicherheitspolitik. Zudem ist die identitätsrelevante Frage der Ortsnamengebung bislang stets an einer zentralistisch-nationalistischen Ausrichtung Italiens gescheitert. Auch die gesetzlich verpflichtende Zweisprachigkeit in den öffentlichen Ämtern wird in vielen Bereichen einfach ignoriert. Internationale Absicherung. Die Frage der internationalen Absicherung der Autonomie ist noch immer nicht geklärt. Erst 2012 hat der italienische Ministerpräsident Monti sowohl die Schutzmachtfunktion Österreichs in Zweifel gestellt, als auch Südtirol als ein rein inneritalienisches Problem bezeichnet. Im Zusammenhang mit der internationalen Absicherung der Autonomie bestehen zudem ernsthafte Zweifel, inwieweit die Klagebefugnis Österreichs bei Verletzungen der Südtirol-Autonomie reichen würde. Das Rechtsgutachten, das vom Innsbrucker Universitätsprofessor Franz Matscher im Auftrag der österreichischen Bundesregierung erstellt wurde, kommt zum Schluss, dass hier nur eine sehr erschwerte Klagemöglichkeit für Österreich besteht. Begnadigung der Südtiroler Freiheitskämpfer. 56 Jahre nach der Feuernacht dürfen einige der Südtiroler Freiheitskämpfer noch immer nicht nach Südtirol zurückkehren. Trotz wiederholter Aufforderungen des Südtiroler Landtages weigert sich die italienische Regierung, die im Exil lebenden Freiheitskämpfer zu begnadigen.


Die gefertigten Abgeordneten des Südtiroler Landtages richten daher folgende

Resolution an den Nationalrat:

1. Die Abtrennung Südtirols vom Vaterland Österreich und die Teilung Tirols sind ein fortwährendes Unrecht, zumal der Bevölkerung bisher eine demokratische Volksabstimmung verweigert wurde. 2. Gemäß Art. 1 der UN-Menschenrechtspakte steht auch den Südtirolern das Recht auf Selbstbestimmung zu. 3. Die Streitbeilegung präjudiziert in keinster Weise das den Südtirolern zustehende Selbstbestimmungsrecht. Die Streitbeilegung ist nicht die Lösung des Südtirol-Problems, sondern Ausgangspunkt für eine konsequente Weiterentwicklung der Autonomie mit dem Ziel, die völlige Selbstverwaltung und Unabhängigkeit vom italienischen Nationalstaat zu erreichen. 4. Solange Südtirol noch zum italienischen Staat gehört, gilt es, die Autonomie auszubauen und zu festigen. Die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Südtiroler bildet dafür eine essentielle Grundlage, welche daher mit Nachdruck angestrebt wird. 5. Die Begnadigung der im Exil lebenden Südtiroler Freiheitskämpfer ist ein längst überfälliger Akt der Menschlichkeit, aber auch der Wiedergutmachung für die von Italien begangenen Verbrechen in Südtirol.

Südtirol, den 27. Juni 2017.

L.-Abg. Sven Knoll. L.-Abg. Myriam Atz Tammerle. L.-Abg. Bernhard Zimmerhofer. L.-Abg. Ulli Mair. L.-Abg. Walter Blaas. L.-Abg. Sigmar Stocker. L.-Abg. Roland Tinkhauser. L.-Abg. Tamara Oberhofer. L.-Abg. Hannes Zingerle. L.-Abg. Andreas Pöder.


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