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Doppelte Staatsbßrgerschaft als Mittel des Minderheitenschutzes im europäischen bzw. internationalen Vergleich.



Doppelte Staatsbßrgerschaft als Mittel des Minderheitenschutzes im europäischen bzw. internationalen Vergleich.



Diese Publikation wurde im Auftrag der Landtagsfraktion der SĂźd-Tiroler Freiheit erstellt und von ihrem Mitarbeiter, Dr. Cristian Kollmann, wissenschaftlich ausgearbeitet.


Inhalt  Vorwort

S. 9

 Everton Altmayer Brasilianisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaft in Dreizehnlinden: Eine positive Realität.

S. 13

 Norbert Rasch Doppelte Staatsbürgerschaft der Deutschen in Schlesien (Polen).

S. 19

 Roza Hovhannesyan Doppelte Staatsbürgerschaft für die armenische Diaspora.

S. 25

 Koloman Brenner Minderheitenrechte der deutschen Minderheit in Ungarn – ohne doppelte Staatsbürgerschaft.

S. 33

 Maurizio Tremul Die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft für die Angehörigen der italienischen Minderheit in Kroatien und Slowenien.

S. 39

ˇ avdek  Julijan C Die doppelte Staatsbürgerschaft als Mittel zur nationalen staatsgrenzenübergreifenden slowenischen Einheit.

S. 47


 Erno ˝ Fancsali Doppelte Staatsbürgerschaft am Beispiel der ungarischen Gemeinschaft in Siebenbürgen.

S. 55

 Daniel Turp Die doppelte Staatsbürgerschaft als Mittel zum Schutz von Minderheiten nach europäischen und internationalen Standards.

S. 59

 Jan Diedrichsen Neue Zeiten im Norden: Dänemark ermöglicht doppelte Staatsbürgerschaft.

S. 65

 Andrea Carteny Zugänge zu doppelten Staatsbürgerschaften in den Donauregionen: Die Fälle Slowakei, Rumänien und Moldawien.

S. 71

 Alexandra von Schantz Doppelte Staatsbürgerschaft in Finnland und das åländische „Hembygdsrätt“.

S. 81

 Franz Watschinger Die Umsetzung der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler im österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz.  Nachwort zum Nachdruck

Herausgeber: Landtagsfraktion der Süd-Tiroler Freiheit. Herstellung: Effekt! GmbH. Bild auf der Titelseite: Partie am Wuhnleger, Tiers, mit Blick zur Rosengartengruppe. Bildnachweis: Pixoto, © Davide Azzetti. ISBN: 978-88-97053-47-7

S. 87 S. 95



Vorwort Die vorliegende Publikation ist das Ergebnis einer gleichnamigen internationalen Tagung, die im Oktober 2015 in Bozen stattfand und von der Landtagsfraktion der Süd-Tiroler Freiheit organisiert wurde. Die Notwendigkeit der Tagung und in der Folge dieser Publikation ergab sich dadurch, dass die doppelte Staatsbürgerschaft, besonders in den letzten Jahren, auch in Südtirol immer mehr zu einem Thema geworden ist. In Südtirol ist, im Vergleich zu vielen anderen Regionen in Europa und in der restlichen Welt, die doppelte Staatsbürgerschaft (noch) keine Realität, wenngleich Bemühungen in diese Richtung bereits mehrfach unternommen wurden. Das Thema wird politisch sowohl in Österreich als auch in Südtirol kontrovers diskutiert, hierbei mitunter oberflächlich, einseitig und polemisch. Diese Publikation versteht sich als Informationsschrift und Diskussionsgrundlage für politische Entscheidungsträger und für interessierte Bürger. In zwölf Beiträgen wird das Thema doppelte Staatsbürgerschaft aus diversen (rechtlichen, länderspezifischen, minderheitenbezogenen) Perspektiven beleuchtet, und als Leser gewinnt man dabei zwangsläufig interessante Einblicke in die Situation einer betreffenden Minderheit. Die Autoren, die aus den unterschiedlichsten Regionen der Europäischen Union und der restlichen Welt stammen, sind oft selbst Angehörige der jeweils gegenständlichen Minderheit und fungieren (nach dem Stand von Oktober 2015) als politische Vertreter, hohe Beamte, Juristen, Wissenschaftler an Universitäten oder Vertreter von Kulturvereinen, wobei sich ihre Funktionen teilweise überschneiden. Im Folgenden seien sie kurz vorgestellt: 1. Everton Altmayer, Professor für Linguistik an der Universität São Paolo und Obmann des österreichischen Kulturvereins „Dona Leopoldina“ in Dreizehnlinden. 2. Norbert Rasch, Vorsitzender der Sozial-Kulturellen Gesellschaft der Deutschen im Oppelner Schlesien und Abgeordneter des „Wahlkomitees Deutsche Minderheit“ zum Regionalparlament der Woiwodschaft Oppeln. 3. Roza Hovhannesyan, Leiterin der Abteilung für Armenische Gemeinschaften in Amerika und Australien, Ministerium für Diaspora der Republik Armenien. 4. Koloman Brenner, Vize-Dekan der Philosophisch-Humanwissenschaftlichen Fakultät der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) Budapest. 9


Vorwort

5. Maurizio Tremul, Vorsitzender des Leitungssausschusses der „Unione Italiana“ in Kroatien und Slowenien. ˇ avdek, politischer Sekretär von „Slovenska Skupnost“ 6. Julijan C („Slowenische Gemeinschaft“) für die Provinz Görz. ˝ Fancsali, Vorsitzender von „Erdélyi Magyar Néppárt“ 7. Erno („Ungarische Volkspartei Siebenbürgens“), Kreis Klausenburg. 8. Daniel Turp, Professor für Völkerrecht und Verfassungsrecht, Universität Montréal, sowie ehemaliges Mitglied des Kanadischen Unterhauses und der Nationalversammlung von Quebec. 9. Jan Diedrichsen, Leiter des Sekretariats der Deutschen Volksgruppe in Kopenhagen und ehemaliger Direktor der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEV). 10. Andrea Carteny, Assistenzprofessor für osteuropäische Geschichte, Universität Sapienza. 11. Alexandra von Schantz, Vertreterin von „Ålands Framtid“ („Ålands Zukunft“). 12. Franz Watschinger, Rechtsanwalt, Innsbruck. Aus den meisten Beiträgen geht hervor, dass die doppelte Staatsbürgerschaft EU-weit und darüber hinaus weltweit mitunter ein gängiges Modell ist, das mittlerweile vielfach als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wird. Die Gründe, warum eine zweite Staatsbürgerschaft in diesen Ländern möglich ist, sind natürlich vielfältig und nicht immer dieselben, ebenso die mit der jeweiligen zweiten Staatsbürgerschaft verbundenen Rechte, Pflichten und Symbolik. Neben den mehrheitlich positiven Beispielen, wie einzelne Staaten mit der doppelten Staatsbürgerschaft umgehen, kommen in dieser Publikation auch Negativbeispiele zur Sprache, also Fälle, in denen die doppelte Staatsbürgerschaft für eine autochthone Minderheit nicht oder nur äußerst bedingt möglich ist. Selbstverständlich erheben weder die positiven noch die negativen Fälle Anspruch auf zahlenmäßige Vollständigkeit. Vielmehr dienen sie der Veranschaulichung und dem Vergleich, woraufhin es gelten kann, auch im Hinblick auf eine mögliche doppelte Staatsbürgerschaft für die Südtiroler Schlüsse zu ziehen. Ein Beitrag konnte in dieser Publikation aus urheberrechtlichen Gründen nicht berücksichtigt werden. Der Autor Peter Hilpold, Professor für Völkerrecht und Europarecht an der Universität Innsbruck, publizierte ihn bereits in der Zeitschrift „Europa Ethnica“ 1/2 2016, die in besagter Ausgabe den Schwerpunkt auf die doppelte Staatsbürgerschaft legt. Von Hilpolds Beitrag, der den Titel „Die

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Vorwort

doppelte Staatsbürgerschaft im Völkerrecht“ trägt, seien an dieser Stelle die zentralen Aussagen zu fünf ausgewählten, weil besonders relevanten Fragestellungen, aufgegriffen: 1. Etwaigen Behauptungen, dass die doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler völkerrechtlich nicht möglich sei, hält Hilpold entgegen: „Es gibt völkerrechtlich überhaupt keine Notwendigkeit mehr, im Verhältnis zwischen Italien und Österreich eine Mehrstaatigkeit zu verhindern.“ (P. Hilpold, Die doppelte Staatsbürgerschaft im Völkerrecht, in: Europa Ethnica 1/2 2016, S. 2.). Resümierend wiederholt Hilpold seine diesbezügliche Auffassung: „Auf völkervertraglicher bzw. völkerrechtlicher Ebene stehen der Verleihung einer doppelten Staatsbürgerschaft somit keine Hindernisse entgegen.“ (ebenda, S. 3.). 2. Doch nicht nur aus der Sicht des Völkerrechts, auch aus der Sicht des österreichischen Verfassungsrechts glaubt Hilpold an die Realisierbarkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft: „Auch in verfassungsrechtlicher Hinsicht ist somit eine doppelte Staatsbürgerschaft möglich.“ (ebenda, S. 4). 3. Hilpold thematisiert zudem die Wehrpflicht für Südtiroler, die mitunter für Südtiroler im Falle einer doppelten italienisch-österreichischen Staatsbürgerschaft als relevant erwogen wird. Er schreibt: „Eine grenzüberschreitende Durchsetzung der Wehrpflicht wäre kaum möglich.“ (ebenda, S. 3). 4. Gegenüber den so genannten „Bozner Empfehlungen“, die sich in Nummer 11 gegen eine massenhafte Verleihung der Staatsbürgerschaft aussprechen, äußert Hilpold Bedenken und schreibt, dass sie „nicht unbedingt als geglückt bezeichnet werden können“ (ebenda, S. 3), sowie: Es „muss die Sinnhaftigkeit dieser Empfehlungen, konkret jener in Nr. 11, infrage gestellt werden.“ (ebenda, S. 3, Anmerkung 5). 5. In den Schlussbemerkungen bezieht Hilpold zu einem möglichen Argument, dass die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler auf Grund ihrer EU-Staatsbürgerschaft überflüssig sei, wie folgt Stellung: „Wer sagt, dass die Unionsbürgerschaft die Staatsbürgerschaft obsolet mache, verkennt, dass die EU kein Staat ist, dass diese keine Generalzuständigkeit hat und dass die Unionsbürgerschaft nur ein Annexrecht ist.“ Auszüge aus Peter Hilpolds Beitrag, der sich vollinhaltlich mit dem von ihm gehaltenen gleichnamigen Vortrag auf der Tagung deckt, nehmen einige interessante Punkte und diesbezügliche Zugänge bereits vorweg. Die Inhalte sind nicht immer nur deskriptiv, sondern auch argumentativ, wenn sie im Lichte der jeweiligen Rahmenbedingungen, der historischen, doch besonders der gesetzlichen,

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Es gibt völkerrechtlich überhaupt keine Notwendigkeit mehr, im Verhältnis zwischen Italien und Österreich eine Mehrstaatigkeit zu verhindern. Peter Hilpold


betrachtet werden. Möge es daher insgesamt gelingen, dass die wissenschaftliche Komponente des Themas doppelte Staatsbürgerschaft mehr in den Vordergrund gerückt wird, was für einen objektiven Diskurs und letztlich für eine politische Entscheidung im Fall Südtirol nur förderlich sein kann. Bozen, im September 2017 Landtagsfraktion der Süd-Tiroler Freiheit

Hinweis: Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um einen Nachdruck, der – aus aktuellem Anlass – mit einem Nachwort versehen wurde. Bozen, im Jänner 2018


EVERTON ALTMAYER

Brasilianisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaft in Dreizehnlinden: eine positive Realität. Die Tiroler Einwanderung in Brasilien fand ihren Höhepunkt zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert. Die Gründe dafür waren für viele Österreicher die sozialen Probleme in Europa sowie die Aussicht auf Reichtum. Zwischen 1859 und 1939 sind etwa 30.000 Tiroler nach Brasilien ausgewandert. Die meisten von ihnen waren Welschtiroler – Tausende allein zwischen 1874 und 1895. Von Deutschtirolern wurde 1859 das Dorf Tirol gegründet, im Jahr 1933 schließlich das Dorf Dreizehnlinden – „Treze Tílias“ auf Portugiesisch. Hierbei handelt es sich um die jüngste Kolonie der Tiroler in Brasilien. Dreizehnlinden liegt in Südbrasilien, im Bundesstaat Santa Catarina. Das genaue Gründungsdatum war der 13. Oktober 1933, als der damalige österreichische Landwirtschaftsminister Andreas Thaler (aus der Wildschönau in Nordtirol) die erste Gruppe von Einwanderern aus Österreich und Deutsch-Südtirol nach Brasilien brachte. Thaler hatte sich vorgenommen, ein Kolonisationsprogramm zu entwickeln, um die damalige schwere Wirtschaftskrise in den Griff zu bekommen. Dreizehnlinden ist heute kein Dorf und keine Kolonie mehr, sondern eine echte, wenngleich für brasilianische Verhältnisse kleine Stadt mit fast 8.000 Einwohnern. Man darf nicht vergessen, dass Brasilien ein riesiges Land ist, in dem etwa 80 Millionen Menschen leben. Seit 1963 ist Dreizehnlinden eine selbstständige Gemeinde. Etwa 60 Prozent der Einwohner stammen aus Österreich (die meisten aus den heutigen Bundesländern Tirol, Vorarlberg, Niederösterreich und dem Land Südtirol), aber in Dreizehnlinden leben auch Nachkommen von Welschtirolern sowie von vielen Italienern (die meisten aus Venetien und der Lombardei) und von Deutschen (aus dem Hunsrück und Norddeutschland). Hinzukommen natürlich die „echten“ Brasilianer, das heißt jene Menschen, die mehrere Ethnien in sich vereinen (Indianer, Europäer und Afrikaner). Auf Grund des von den österreichischen Einwanderern mitgebrach-

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Zwischen 1987 und heute haben laut Auskunft des Konsulats von Dreizehnlinden exakt 1.309 Familien die österreichische Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben.


Everton Altmayer

ten Kulturguts einschließlich der Bräuche und Traditionen, die die Nachkommen bis heute pflegen, ist die Stadt auch als „brasilianisches Tirol“ bekannt. Auf 800 Metern Höhe gelegen und in einem anmutigen Hügelland eingebettet, unterscheidet sich Dreizehnlinden durch den alpenländischen Baustil deutlich von den brasilianischen Städten in der Umgebung. Auf Grund dieser Eigenart wird die Stadt von einheimischen Touristen sehr gerne besucht. Pro Jahr sind es circa 100.000, hauptsächlich aus Brasilien, aber auch aus Argentinien, Uruguay und Paraguay. Der Tourismus ist, gemeinsam mit der Milchwirtschaft vor allem dank der Molkerei „Tirol“, die 1974 in Dreizehnlinden gegründet wurde, der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Stadt. Wo vor 80 Jahren noch Urwald war, vermitteln schöne Tiroler Häuser, die schöne Kirche, Hotels und Gasthäuser den Eindruck eines alpinen Touristenortes wie in der Region Tirol.

BRASILIEN

Dreizehnlinden gilt als positives Beispiel für das Miteinander verschiedener Volksgruppen und Kulturen. Österreicher, Italiener, Deutsche und Brasilianer leben in Eintracht zusammen. Die in den Alpen anzutreffende Architektur, die Sprache, die Gastronomie, die Musik, die Schuhplattlergruppen, die österreichische Kultur und die Volkstümlichkeit verwandeln Dreizehnlinden in ein typisch österreichisches Städtchen im Süden von Brasilien. Zum Tirolerfest, mit dem jedes Jahr die österreichische Einwanderung gefeiert wird, kamen im Jahr 2015 50 Österreicher, aber auch Südtiroler nach Dreizehnlinden. Auch sonst bekommt die Stadt immer wieder Besuch aus dem alten Vaterland, manchmal sogar von Brasilianern, die aus Dreizehnlinden ausgewandert sind und heute in Österreich, besonders in Vorarlberg und Tirol, leben. Manche haben sich auch in der Schweiz, Deutschland und Liechtenstein niedergelassen. Insgesamt sind es in diesen Ländern 500 Personen, die aus Dreizehnlinden stammen, während sich die Gesamtzahl der in Österreich lebenden Brasilianer auf etwa 22.000 beläuft. Den Höhepunkt erreichte die brasilianische Einwanderung in Österreich in den Jahren 1995 bis 2000.

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Österreicher in Dreizehnlinden

Dreizehnlinden verfügt über ein österreichisches Konsulat. Dieses ist seit 1987 u. a. dafür zuständig, den Nachkommen von österreichischen Einwanderern die österreichische Staatsbürgerschaft zu gewähren. Die Antragsteller müssen ungefähr einen Monat warten, bis sie den österreichischen Pass erhalten. Zwischen 1987 und heute haben laut Auskunft des Konsulats von Dreizehnlinden exakt 1.309 Familien die österreichische Staatsbürgerschaft durch Abstammung erworben. Der allererste Antrag, vom 9. Oktober 1987, stammt von einer Familie aus Vahrn, die ab 1930 in Breitenbach am Inn und seit 1935 in Brasilien lebte. Der jüngste Antrag, vom 6. Mai 2015, kam von einer Familie aus Niederösterreich, die 1933 nach Brasilien auswanderte. Spätestens jetzt drängt sich die Frage auf: Wird die österreichische Staatsbürgerschaft nur an österreichischstämmige Einwanderer in Brasilien vergeben und auf welcher Grundlage geschieht dies? Nach meiner Auffassung ist die Situation in anderen Einwandererländern gleich. Aufschluss darüber gibt die Internetseite der österreichischen Botschaft in Buenos Aires, also in Argentinien, wo es unter „Feststellung der österreichischen Staatsbürgerschaft“ heißt: „Altösterreichische Staatsbürger/Innen (StaatsbürgerInnen des Kaiserreichs Österreich) wurden nach dem Untergang der Monarchie (1918) nur österreichische StaatsbürgerInnen (StaatsbürgerInnen der Republik Österreich), wenn sie beim Inkrafttreten des Staatsvertrages von St. Germain (16. Juli 1920) das Heimatrecht in einer bei der Republik Österreich verbliebenen Gemeinde besaßen. Heimatberechtigte einer Gemeinde, die an einen sogenannten Nachfolgestaat (Italien, Jugoslawien, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei) fiel, erwarben unter Ausschluss der österreichischen Staatsbürgerschaft die Staatsangehörigkeit des Nachfolgestaates. Ausgenommen sind jene Personen, die in der Folge für die österreichische Staatsbürgerschaft optierten. Diese Option hatte in der Regel die Übersiedlung ins Gebiet der Republik Österreich zur Bedingung.“ – Eine wichtige Voraussetzung, um in den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft zu kommen, ist also der Nachweis, dass ein Vorfahr des Antragstellers im Gebiet des heutigen Österreichs das Heimatrecht besaß. Eine weitere Frage, die sich nun stellt, ist: Erhalten die neuen österreichischen Staatsbürger auch besondere Rechte? Diesbezügliche

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Everton Altmayer

Die brasilianisch-österreichischen Doppelstaatsbürger besitzen das Wahlrecht bei den Bundespräsidentenwahlen, Nationalratswahlen und Europawahlen.

Mit ihren knapp 8.000 Einwohnern, davon 2.000 brasilianisch-österreichische Doppelstaatsbürger, ist die doppelte Staatsbürgerschaft eine wichtige und sehr positive Realität für Dreizehnlinden.

Informationen sind z. B. auf der offiziellen Seite der österreichischen Botschaft in Brasilien zu finden: „Unter Staatsbürgerschaft versteht man das Rechtsverhältnis der Zugehörigkeit eines Menschen zu einem bestimmten Staat. Mit der österreichischen Staatsbürgerschaft sind zahlreiche Rechte wie die Teilnahme an Wahlen, aber auch einzelne Pflichten wie die Leistung des Militärdienstes verbunden. / Darüber hinaus besitzen österreichische Staatsbürger/ innen auch die Unionsbürgerschaft, nämlich als Staatsangehörige eines der 28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Aufgrund der Unionsbürgerschaft haben Unionsbürger/innen eine Reihe von Rechten in anderen Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen.“ Die brasilianisch-österreichischen Doppelstaatsbürger besitzen das Wahlrecht bei den Bundespräsidentenwahlen, Nationalratswahlen und Europawahlen. Der Wahlschein und der Stimmzettel werden auf dem Postweg zugestellt. Dank der österreichischen Staatsbürgerschaft haben viele Dreizehnlindener die Gelegenheit ergriffen, ein paar Jahre in Österreich, aber auch, da sie EU-Staatsbürger sind, anderswo in Europa zu leben und zu arbeiten. Ein großer Teil von ihnen ist mittlerweile nach Dreizehnlinden zurückgekehrt. Dort haben sie ihre neuen Häuser im alpinen Stil errichtet und leben vielfach vom Tourismus. Das Gefühl einer doppelten österreichisch-brasilianischen Identität ist bei diesen neuen „Einwanderern“ besonders stark ausgeprägt. In Dreizehnlinden sind es insgesamt etwa 50 Kinder, die in Österreich geboren sind, da ihre Eltern dort arbeiteten. Die Wurzeln dieser Kinder liegen somit klar in Österreich. Mit ihren knapp 8.000 Einwohnern, davon 2.000 brasilianisch-österreichische Doppelstaatsbürger, ist die doppelte Staatsbürgerschaft eine wichtige und sehr positive Realität für Dreizehnlinden. Obwohl viele Nachkommen (Enkel wie Urenkel) von österreichischen Einwanderern noch nie in Europa waren, fühlen sie sich als Österreicher, da sie die in Dreizehnlinden sehr präsente Tiroler Kultur bis heute prägt. Viele dieser Menschen sprechen kein Deutsch, denn die Sprache der Bevölkerung ist Portugiesisch, aber es besteht durchaus das Interesse, die deutsche Sprache zu lernen. Es gibt auch eine deutsche Schule, die von unserem österreichischen Verein „Dona Leopoldina“ verwaltet wird. Darüber hinaus können die Kinder in der Dreizehnlindener Gemeindeschule zweimal pro Woche Deutsch lernen. 16


Österreicher in Dreizehnlinden

Auf Grund der zahlreichen Mischehen zwischen Österreichern, Deutschen, Italienern und Brasilianern wurden viele Tiroler Familiennamen nicht tradiert. Dies tut der Dreizehnlindener Identität als brasilianische Realität mit österreichischen Wurzeln keinen Abbruch. Abschließend noch die Frage: Was macht, auf den Punkt gebracht, die Identität der Dreizehnlindener aus? Die Dreizehnlindener – oder die „Trezetilienses“, wie sie auf Portugiesisch heißen – sind Brasilianer mit Tiroler Wurzeln, Brasilianer und Österreicher. Die doppelte brasilianisch-österreichische Staatsbürgerschaft ist für sie ein positives Beispiel, das ihre doppelte Identität unterstreicht.

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NORBERT RASCH

Doppelte Staatsbürgerschaft der Deutschen in Schlesien (Polen). Nicht alle Deutschen in ganz Polen haben die Möglichkeit, die polnisch-deutsche Staatsbürgerschaft zu erlangen. Zum Einstieg in die Thematik sei das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zitiert. In Artikel 116, Absatz 1 heißt es: „Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Regelung, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt oder als Flüchtling oder Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit oder als dessen Ehegatte oder Abkömmling in dem Gebiete des Deutschen Reiches nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 Aufnahme gefunden hat.“ Diesen Stichtag benutzten auch die Alliierten in der Potsdamer Konferenz zur Definition der deutschen Reichsgrenzen, welche, kraft des Potsdamer Abkommens, verschoben wurden. Unter anderem wurde dabei Schlesien samt der zurückgebliebenen Bevölkerung Polen zuerkannt. Diese bekam in einem komplizierten Verifizierungsverfahren, das bis 1950 andauerte, von den polnischen Behörden die polnische Staatsangehörigkeit zugewiesen. 850.000 autochthone Schlesier wurden als polnische Staatsbürger verifiziert. Wer keine Verifizierung erlangte, wurde enteignet und ausgewiesen. Viele von den Verbliebenen sind in den nachfolgenden Jahren dennoch nach Deutschland ausgewandert. Von 1950 bis 1989 waren es mehr als eine Million. Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs stieg die Zahl der Spätaussiedler noch deutlicher an. Rückläufig wurde der Anstieg erst mit der Anerkennung der deutschen Minderheit in Polen und der Aufhebung der Visumspflicht für Deutschland, also Ende 1990. Wir, die Deutschen in Polen, sind somit Nachkommen der Personen, die am 31. Dezember 1937 deutsche Reichsbürger waren und 1945 von den polnischen Behörden die polnische Staatsangehörigkeit zugewiesen bekamen. Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit haben wir auf der Grundlage des deutschen Grundgesetzes. Die polnische Staatsangehörigkeit haben wir durch Geburt erworben.

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Wir, die Deutschen in Polen, sind somit Nachkommen der Personen, die am 31. Dezember 1937 deutsche Reichsbürger waren und 1945 von den polnischen Behörden die polnische Staatsangehörigkeit zugewiesen bekamen. Anspruch auf die deutsche Staatsangehörigkeit haben wir auf der Grundlage des deutschen Grundgesetzes.


Norbert Rasch

Als Kardinal Karol Wojty a 1978 zum Papst gewählt wurde, wurde er polnisch-vatikanischer Doppelstaatsbürger. Polen fing an, Doppelstaatsbürgerschaften zu dulden. Im Grunde hatte es auch keine andere Wahl, denn den Papst sozusagen einzusperren, wenn er nach Polen kommt, wäre sicher vermessen gewesen.

Die polnische Gesetzgebung hingegen spricht ausschließlich von polnischer Staatsbürgerschaft, schließt aber wortwörtlich keine andere Staatsbürgerschaft aus. In diesem Zusammenhang möchte ich an einen Präzedenzfall erinnern: Als Kardinal Karol Wojty a 1978 zum Papst gewählt wurde, wurde er polnisch-vatikanischer Doppelstaatsbürger. Polen fing an, Doppelstaatsbürgerschaften zu dulden. Im Grunde hatte es auch keine andere Wahl, denn den Papst sozusagen einzusperren, wenn er nach Polen kommt, wäre sicher vermessen gewesen. Dennoch sieht das polnische Gesetz bis heute doppelte Staatsbürgerschaften nicht vor, wohingegen Deutschland erst 2014 die doppelte Staatsbürgerschaft ausgeweitet hat. Ungeachtet der Rechtslage in Polen begannen ab 1990 die deutschen Konsulate in Polen, namentlich in Breslau und Oppeln, für die Deutschen in Schlesien deutsche Pässe auszustellen. So ist es im Laufe der Jahre bis heute zu 300.000 polnisch-deutschen Doppelstaatsbürgerschaften gekommen. Obwohl dieses Verfahren nicht ausdrücklich legal ist, wird es von beiden Regierungen toleriert. Offiziellen Zuspruch durch die polnische Regierung hat es bis heute nicht gefunden, denn ähnlich wie Deutschland, lehnt auch Polen doppelte Staatsbürgerschaften grundsätzlich ab. Der polnischen Vertretung in Berlin zufolge verstoßen doppelte Staatsbürgerschaften gegen die Verfassung. Der Grund, warum Polen die Ausstellung von deutschen Pässen durch die deutschen Konsulate dennoch duldet, ist ein sozialer, doch darauf werde ich später noch zurückkommen. Die Bundesrepublik musste sich an das Europarats-Abkommen zur Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften aus dem Jahr 1963 halten, doch die Bundesregierung argumentierte, die Deutschstämmigen in Polen hätten ihre deutsche Staatsbürgerschaft nicht freiwillig aufgegeben, sondern nur „ruhen lassen“.

DEUTSCHLAND

Seit Anfang 2014 dürfen die deutschstämmigen Schlesier zusätzlich zum deutschen Pass den deutschen Personalausweis ausgestellt bekommen. Darüber hinaus besaßen sie bei der letzten Bundestagswahl (2013) sowie bei der letzten Europawahl (2014) zum ersten Mal das Wahlrecht.

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Deutsche in Schlesien

Werfen wir nun einen Blick auf die Geschichte der Deutschen in Polen nach 1945. In den Jahren 1945 bis 1989 wurden die Deutschen in Polen einer intensiven Assimilierungspolitik unterzogen, besonders in Schlesien. Jene, die nicht als polnische Staatsbürger anerkannt wurden, wurden ausgesiedelt. Das Erlernen und die Verwendung der deutschen Sprache, sowohl in der Öffentlichkeit als auch zu Hause, wurden strengstens verboten. Deutsche Vor- und Nachnamen wurden von Amts wegen zwangsweise geändert. Die Zerstörung der deutschen Inschriften auf Schildern, Grabsteinen und Gebrauchsgegenständen wurde angeordnet, ebenso die Zerstörung der deutschen Denkmäler und Vernichtung sämtlichen deutschen Schriftguts. Dieser Prozess der Ausrottung der materiellen Spuren deutscher Vergangenheit dauerte bis in die Siebzigerjahre und sogar darüber hinaus. Die deutsche Gesellschaft im polnischen Staat, die durch den Eisernen Vorhang vom demokratischen Europa getrennt worden war, lebte in völliger Isolation von ihrer eigenen kulturellen Kontinuität. Das eigene Zuhause war der einzige mögliche Ort, wo man die sprachliche und kulturelle Identität bewahren und pflegen konnte, allerdings im ständigen Bewusstsein, dass Repressalien drohten. Das Ergebnis der Assimilierungspolitik war der völlige Schwund der deutschen Sprache im öffentlichen Raum, wo sie seit Jahrhunderten verwendet worden war. Selbstverständlich durfte unter diesen Umständen von einer nationalen Minderheit nicht die Rede sein, somit auch nicht von einer Minderheitensprache. In den Schulen wurde die deutsche Sprache nicht einmal als Fremdsprache angeboten.

POLEN

TSCHECHIEN

All diese Verluste sind praktisch unwiederbringlich. Obwohl circa jeder vierte Einwohner Schlesiens deutschstämmig ist, ist nicht jeder Vierte deutschsprachig. Unter anderem aus diesem Grund ist die deutsche Minderheitensprache bei uns immer noch nicht als offi-

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Seit Anfang 2014 dürfen die deutschstämmigen Schlesier zusätzlich zum deutschen Pass den deutschen Personalausweis ausgestellt bekommen. Darüber hinaus besaßen sie bei der letzten Bundestagswahl (2013) sowie bei der letzten Europawahl (2014) zum ersten Mal das Wahlrecht.


Norbert Rasch

zielles Kulturgut der Region anerkannt. Bis heute hat die deutsche Minderheit in Polen keinen einfachen Stand. Zu gut erinnert sich Polen an die nationalsozialistische Besatzung von 1939 bis 1945. Noch immer kennzeichnen uns die Folgen der Tragödie der Flucht und der Vertreibung, der Leugnung der Existenz der deutschen Volksgruppe und der langjährigen kulturellen Unterdrückung. Seit 25 Jahren bemühen wir uns, die sprach- und kulturpolitisch schwierige Lage der Deutschen in Polen mit legalen Tätigkeiten und mit staatlicher Hilfe zu verbessern. Die diesbezüglichen Grundlagen wurden im deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrag von 1991 festgelegt. In den letzten Jahren wurde dieser Vertrag vom deutsch-polnischen Runden Tisch reanalysiert. Man suchte dabei nach besseren Möglichkeiten für die in Deutschland lebenden Polen und für uns, die deutsche Minderheit in Polen, für den Erhalt unseres nationalen, kulturellen und sprachlichen Erbes. Mit dem deutsch-polnischen Runden Tisch als Vermittler dürfen wir mit der Unterstützung der beiden Regierungen, sowohl der deutschen als auch der polnischen, rechnen. Dennoch stehen wir, trotz der vergangenen 25 Jahre, immer noch erst am Anfang unseres Weges. Viele Schlesier sprechen selbst Zuhause kein Deutsch. Um die Kenntnis der deutschen Sprache zu erwerben bzw. zu verbessern, lernen fast 30.000 Schüler aus den deutschen Familien die deutsche Sprache in Form von zusätzlichen Unterrichtsstunden. Aber bis heute steht uns keine einzige Schule mit Deutsch als Unterrichtssprache zur Verfügung. Die Gründung einer zweisprachigen Schule stößt jedes Mal auf enormen Widerstand. Was wir indes erkämpft haben, ist die Anbringung von zweisprachigen Ortsschildern, die Zulassung von deutschsprachigen Medien und die Einführung von Deutsch als zweite Amtssprache. Uns ist durchaus bewusst, dass die deutsche Sprache nicht nur ein Identitätsmerkmal ist, sondern verstärkt zu einem Wirtschaftsfaktor geworden ist. In diesem Zusammenhang möchte ich auch den sozialen Grund, warum Polen die Ausstellung von deutschen Pässen durch die deutschen Konsulate duldet, näher erläutern: Polnisch-deutsche Doppelstaatsbürger können nicht nur visumsfrei in die USA reisen, sondern in Deutschland arbeiten, aber in Polen leben. Die sozialen Spannungen in Schlesien werden dadurch entschärft. Allerdings fühlt sich in manchen Fällen die polnische Bevölkerung unzufrieden, da die Deutschen in Polen über ein deutsches Einkommen verfügen, das weit über dem polnischen liegt. Die von den Deutschen

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Deutsche in Schlesien

bewohnten Dörfer und Städte sind zwar wohlhabender, aber das Pendeln in die Arbeit nach Deutschland hat auch eine negative Seite. Familien, in denen der Vater oder die Mutter für mehrere Wochen und Monate das Haus verlassen, um in der Ferne zu arbeiten, leiden sehr unter der Trennung. In der Ehe und Erziehung der Kinder treten Probleme auf. Im Laufe von mittlerweile 25 Jahren haben die polnisch-deutschen Doppelstaatsbürger Milliarden von Euro nach Schlesien gebracht und dort ausgegeben. Es entstehen kleine und mittlere Unternehmen. Die Firmen wachsen. Investoren aus den deutschsprachigen Ländern gründen in Schlesien Niederlassungen. Aktuell kommen etwa 70 Prozent aller Auslandsinvestoren aus Deutschland. Weil wir Deutsche unsere Heimat Schlesien über alles lieben, sorgen wir für das Land mehr als die nach 1945 zugewanderte Bevölkerung. Dies sieht man auch bei unseren Bürgermeistern, Landräten oder Landtagsabgeordneten. Wir schöpfen aus beiden Kulturen und aus der Politik von beiden Staaten. Für den polnischen Staat sind wir keine Bedrohung, sondern eine Bereicherung, und Polen weiß dies langsam zu schätzen.

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Im Laufe von mittlerweile 25 Jahren haben die polnisch-deutschen Doppelstaatsbürger Milliarden von Euro nach Schlesien gebracht und dort ausgegeben. Es entstehen kleine und mittlere Unternehmen. Die Firmen wachsen. Investoren aus den deutschsprachigen Ländern gründen in Schlesien Niederlassungen.



ROZA HOVHANNESYAN

Doppelte Staatsbürgerschaft für die armenische Diaspora. Die armenische Diaspora ist eines der einzigartigsten Phänomene der Weltgeschichte. Seit über einem Jahrhundert leben mehr als zehn Millionen Armenier in über 100 Ländern der Welt. Sieben Millionen leben außerhalb Armeniens, und weniger als ein Drittel, drei Millionen, leben in Armenien selbst – in ihrem unabhängigen Heimatland. Die Entstehung der armenischen Diaspora ist in mehreren Etappen erfolgt: XX Vor dem Ende des 19. Jahrhunderts: Armenische Händler und Kaufleute wanderten nach Europa und Asien ab. XX 1895 bis 1923: In Folge des armenischen Völkermordes, der vom Osmanischen Reich verübt worden war, bildeten sich Gemeinschaften in weltweit über 100 Ländern. XX 1923 bis 1948: Armenier, die sich im Nahen Osten niedergelassen hatten, wanderten nach Westeuropa aus. Ab 1946 wurden sie aus dem Nahen Osten und Westeuropa in die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik zurückgeholt. XX 1990er Jahre: Die schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen im nunmehr unabhängigen Armenien lösten eine weitere Auswanderungswelle aus. Die armenischen Gemeinschaften der Diaspora wurden dadurch größer, und zudem entstanden neue Gemeinschaften. Die armenische Diaspora ist sehr gut organisiert. Sogar in den kleinsten Gemeinschaften finden sich armenische Institutionen und Organisationen. Es gibt armenisch-apostolische bzw. -orthodoxe, armenisch-katholische und armenisch-evangelische Kirchen, ferner gesamt-armenische Einrichtungen sowie Jugend-, Kultur-, Sportverbände, Universitäten, Schulen und Internate. Im Einzelnen hat die armenische Diaspora: XX vier religiöse Organisationen mit Diözesen in mehr als 50 Ländern, XX 18 gesamt-armenische Einrichtungen mit Zweigstellen in über 30 Ländern, XX über 800 Schulen und Internate, XX über 30.000 Nichtregierungsorganisationen, XX über 200 Massenmedien.

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Roza Hovhannesyan

Das Hauptziel dieser Institutionen und Organisationen besteht darin, der Assimilierung entgegenzuwirken und die armenische Sprache, Kultur und nationale Identität zu bewahren. Unsere Landsleute, die schon seit Jahrzehnten im Ausland gelebt hatten, vermochten es, ihre Volkskultur und ihr nationales Selbstbewusstsein beizubehalten. Ebenso ungebrochen blieb ihre Vision von der Rückkehr in ihr Heimatland und von dessen Eigenstaatlichkeit. Klar zum Ausdruck kam dies durch die Welle der Repatriierung zwischen 1946 und 1948, als Hunderte von armenischen Familien aus dem Nahen Osten und Westeuropa in die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik zurückkehrten und sich dort niederließen. Viele taten es ihnen nach, als Armenien am 21. September 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion erklärte. Vom ersten Tag der Unabhängigkeit an stellte sich die Diaspora hinter ihr Heimatland und unterstützt bis heute dessen Entfaltung und nachhaltige Entwicklung. Allerdings sah die armenische Verfassung, die mit dem landesweiten Referendum vom 5. Juli 1995 genehmigt wurde, zum Zwecke der Entwicklung Armeniens keine vollwertige Ausschöpfung des Potenzials der Diaspora in politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Angelegenheiten vor. Unter den diesbezüglich festgelegten Einschränkungen war die Bestimmung über das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft wohl die vordergründigste. Doch unter der Präsidentschaft von Robert Kocharyan, dem zweiten Präsidenten der Republik, wurden am 27. November 2005 Verfassungsänderungen verabschiedet. Das armenische

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Armenische Diaspora

Grundgesetz wurde mit den neuen zeitgenössischen Demokratie-Standards in Einklang gebracht. Eine der wichtigsten positiven Änderungen, die die neue Verfassung hervorbrachte, war die Abschaffung des Verbots der doppelten Staatsbürgerschaft.

ARMENIEN

Entscheidend für die doppelte Staatsbürgerschaft war zweifellos die Besonderheit der armenischen Nation in ihrer Gesamtheit. Es galt, einen Beitrag zur Festigung der Heimat einer derart großen Diaspora, die auf der ganzen Welt verbreitet ist, zu leisten.

Das Institut für die doppelte Staatsbürgerschaft hat sich die einseitige Verpflichtung der Republik Armenien auferlegt, Armenien, im Rahmen des Völkerrechts, zur geistigen Heimat für alle Armenier zu machen, zur Stärkung der Beziehungen zur Diaspora beizutragen, ebenso zum Erhalt des armenischen historischen und kulturellen Erbes im Ausland sowie zur Entwicklung des armenischen Bildungs- und Kulturlebens. Mit der Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft verfolgt die Republik Armenien folgende Ziele:  die Verwurzelung der armenischen Diaspora mit ihrer nationalen Identität zu stärken. Dadurch soll jeder die Chance erkennen und diese gewahrt wissen, sein nationales Potenzial einzubringen;  die Rechte und Pflichten der Doppelstaatsbürger gesetzlich zu regeln und ihnen hierbei einen staatlichen institutionellen Rahmen zuzusichern.

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Das Institut für die doppelte Staatsbürgerschaft hat sich die einseitige Verpflichtung der Republik Armenien auferlegt, Armenien, im Rahmen des Völkerrechts, zur geistigen Heimat für alle Armenier zu machen, zur Stärkung der Beziehungen zur Diaspora beizutragen, ebenso zum Erhalt des armenischen historischen und kulturellen Erbes im Ausland sowie zur Entwicklung des armenischen Bildungs- und Kulturlebens.


Roza Hovhannesyan

Der Hauptgrund für die verfassungsrechtliche Einrichtung des Instituts für die doppelte Staatsbürgerschaft ist die Stärkung der Beziehungen zwischen Armenien und der Diaspora – was in der Innen- und Außenpolitik zweifellos richtungsweisend ist. Doch dürfen, bemerkenswerterweise, auch ausländische, nicht-ethnische Armenier die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben. Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft wird mit dem armenischen Gesetz „Über die Staatsbürgerschaft“ geregelt. Folglich: Wer darf ein Doppelstaatsbürger der Republik Armenien sein? Eine Person, die, zusätzlich zur armenischen Staatsbürgerschaft, die Staatsbürgerschaft eines anderen Landes besitzt, darf ein Doppelstaatsbürger der Republik Armenien sein. Erkennt die Republik Armenien die andere Staatsbürgerschaft eines Doppelstaatsbürgers der Republik Armenien an? Bei einem Doppelstaatsbürger der Republik Armenien zählt für die Republik Armenien nur die Staatsbürgerschaft der Republik Armenien. Welche Rechte und Pflichten hat ein Doppelstaatsbürger der Republik Armenien? Ein Doppelstaatsbürger hat dieselben Rechte, die einem armenischen Staatsbürger zustehen. Er trägt dieselbe Verantwortung und haftet genau so wie ein Bürger der Republik Armenien, außer in jenen Fällen, in denen internationale Abkommen und das Gesetz der Republik Armenien anders verfügen. Welche Verpflichtung hat ein Doppelstaatsbürger der Republik Armenien, wenn er die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates erwirbt? Wenn ein Bürger der Republik Armenien die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates erwirbt, ist er verpflichtet, dies innerhalb eines Monats der von der Regierung der armenischen Republik namhaft gemachten Stelle – d. h. der Reisepass- und Visumabteilung der Polizei – in der von der Regierung der Republik Armenien vorgeschriebenen Weise zu melden. Wie ist die Frage der Wehrpflicht der Doppelstaatsbürger der Republik Armenien geregelt? Nach dem Gesetz der Republik Armenien „Über die Wehrpflicht“ ist der Bürger eines anderen Staates, der die Staatsbürgerschaft der Republik Armenien erworben hat, von der Wehrpflicht befreit, wenn er vor dem Erwerb der armenischen Staatsbürgerschaft bereits mindestens zwölf Monate in den Streitkräften des anderen Staates gedient hat

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Armenische Diaspora

oder einen alternativen Militärdienst im anderen Staat für mindestens 18 Monate abgeleistet hat. Ausgenommene Staaten sind von der Regierung der Republik Armenien festgelegt. Ein Bürger der Republik Armenien, der die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates erworben hat, ist vom Wehrdienst nicht befreit, unabhängig davon, ob er in einem anderen Staat gedient hat. Dürfen Doppelstaatsbürger der Republik Armenien an den in der Republik Armenien stattfindenden Wahlen teilnehmen? Nur Doppelstaatsbürger, die in der Republik Armenien leben und gemeldet sind, dürfen an den Wahlen in der Republik Armenien teilnehmen. Armenier nach nationaler Herkunft erwerben die armenische Staatsbürgerschaft durch ein vereinfachtes Verfahren. Um die Staatsbürgerschaft der Republik Armenien zu erwerben, reicht der Antragsteller die erforderlichen Unterlagen bei folgenden Behörden ein:  im Inland: bei der Reisepass- und Visumabteilung der Polizei der Republik Armenien.  im Ausland: bei der diplomatischen Vertretung oder dem Konsulat der Republik Armenien. Bei der Einreichung der Unterlagen muss der Antragsteller einen vorgefertigten Fragebogen ausfüllen. Der Fragebogen muss in armenischer Sprache und in einer leserlichen Schrift ausgefüllt sowie frei von Korrekturen und Tilgungen sein. Der Fragebogen wird vom Antragsteller und vom Beamten, der den Antrag entgegennimmt, unterzeichnet. Armenier nach nationaler Herkunft reichen, um die armenische Staatsbürgerschaft zu erwerben, folgende Dokumente ein: 1. den Antrag; 2. den Reisepass und eine Kopie davon; 3. sechs Farbfotos mit den Maßen 35 mal 45 Millimeter; 4. die Geburtsurkunde und eine Kopie davon (oder das Familienbuch); 5. sämtliche Dokumente, die die armenische nationale Herkunft beweisen:  die Taufurkunde, ausgestellt von der armenisch-apostolischen, armenisch-katholischen oder armenisch-evangelischen Kirche und genehmigt nach dem Verfahren der jeweiligen Diözese sowie mit dem Hinweis auf den armenischen nationalen Ursprung der getauften Person oder deren Eltern versehen; 29

Armenier nach nationaler Herkunft erwerben die armenische Staatsbürgerschaft durch ein vereinfachtes Verfahren.


Roza Hovhannesyan

XX ein Dokument, ausgestellt von den zuständigen Stellen des

ausländischen Staates, das den armenischen nationalen Ursprung bescheinigt. Das Dokument muss von einem Konsulat beglaubigt oder mit einer Apostille versehen sein; XX die Geburtsurkunde oder ein anderes Ausweisdokument eines Elternteils (Großvater, Großmutter, Geschwister), woraus die nationale armenische Herkunft hervorgeht. Als Bescheinigung für die nationale Herkunft des Antragstellers kann ferner die Geburtsurkunde oder ein anderes Dokument dienen, in dem sich der Hinweis auf die nationale Herkunft eines väterlichen oder mütterlichen Bruders oder einer Schwester findet. Dieser Hinweis ist dann gegeben, wenn der armenische nationale Ursprung des Bruders oder der Schwester durch den nationalen Ursprung des gemeinsamen Elternteils bedingt ist; 6. das Dokument, das die Zahlung der Verwaltungsgebühr bestätigt (3.300 armenische Dram für die Identitätskarte, 25.300 Dram für den elektronischen Reisepass). Während des Zeitraums von 2008 bis 2015 wurden 86.412 ausländischen Bürgern die armenische Staatsbürgerschaft gewährt. Die Mehrheit von ihnen sind Armenier auf Grund ihrer ethnischen Herkunft. Zwischen 2011 und 2014 hat sich, angesichts der Lage in der Syrischen Arabischen Republik, die Zahl der Personen, die die Staatsbürgerschaft der Republik Armenien erlangt haben, deutlich erhöht. Für das Jahr 2015 sind nur die Zahlen der ersten Jahreshälfte verfügbar. Die Zahlen des gesamten Jahres entsprechen voraussichtlich den Zahlen des Jahres 2014. In Folge des Bürgerkriegs in Syrien sind 16.000 syrische Armenier in den Jahren 2012 bis 2015 nach Armenien ausgewandert und haben sich dort niedergelassen. Die Regierung der Republik Armenien hat verschiedene Maßnahmen zur Unterstützung dieser Landsleute umgesetzt und dabei Fragen angesprochen, die für sie von entscheidender Bedeutung sind. Das Verfahren zum Erwerb der Staatsbürgerschaft der Republik Armenien wurde für syrische Armenier vereinfacht. Mit Beschluss der Regierung der Republik Armenien vom 26. Juli 2012 dürfen sich, um die armenische Staatsbürgerschaft zu erwerben, die armenischstämmigen Bürger der Libanesischen Republik, der Republik Irak und der Syrischen Arabischen Republik, den armenischen Pass in den diplomatischen Vertretungen oder Konsulaten der Republik Armenien in den jeweiligen ausländischen Staaten ausstellen lassen, wenn diese die Staaten ihrer bisherigen Staatsbürgerschaft sind. 30


Armenische Diaspora

Zum Abschluss noch folgende Bemerkung: Armenien verfügt zwar nicht über natürliche Ressourcen wie Erdöl, dafür aber über eine mächtige und etablierte Diaspora. Es ist die Diaspora, die den Reichtum unseres Landes ausmacht! Die Republik Armenien hat mit der Einrichtung des Instituts für die doppelte Staatsbürgerschaft den Diaspora-Armeniern die Möglichkeit eröffnet, ihre Rechte in Armenien in vollem Umfang auszuüben und sie in unserem Land am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und pädagogischen Leben sowie in anderen Bereichen vollwertig teilhaben zu lassen.

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Die Republik Armenien hat mit der Einrichtung des Instituts für die doppelte Staatsbürgerschaft den Diaspora-Armeniern die Möglichkeit eröffnet, ihre Rechte in Armenien in vollem Umfang auszuüben und sie in unserem Land am politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und pädagogischen Leben sowie in anderen Bereichen vollwertig teilhaben zu lassen.



KOLOMAN BRENNER

Minderheitenrechte der deutschen Minderheit in Ungarn – ohne doppelte Staatsbürgerschaft. Die deutsche Minderheit in Ungarn hat kurz nach der Wende den Versuch in Richtung einer doppelten Staatsbürgerschaft gestartet, doch der Versuch scheiterte. Im Folgenden möchte ich aufzeigen, wie wir als Ungarndeutsche ohne die doppelte Staatsbürgerschaft leben, und ich werde auch kurz darauf eingehen, warum diese nicht funktionierte. Die deutsche Minderheit ist mit schätzungsweise 200.000 bis 220.000 Angehörigen die größte nationale Minderheit in Ungarn. Es gibt drei größere ungarndeutsche Siedlungsgebiete: 1. Westungarn entlang der österreichischen Grenze (in Ödenburg gibt es übrigens auf meine Initiative hin seit 1993 zweisprachige Ortsschilder). 2. Das ungarische Mittelgebirge in der Umgebung von Budapest (wo es einst sehr viele deutsche Dörfer gab) mit den Zentren Ofen und Sirtz. 3. Südungarn mit dem Zentrum Fünfkirchen. Wie ist die Situation der Ungarndeutschen heute? Ähnlich wie die übrigen Minderheiten in Mittel- und Osteuropa haben auch wir mit Sprachverlust und Assimilation zu kämpfen. Unsere angestammten deutschen Dialekte sind im Rückzug. Weniger ist dies der Fall in den drei genannten größeren Siedlungsgebieten. Ungarn zeichnet sich durch eine besonders große Vielfalt von autochthonen Identitäten aus. Angehörige der deutschen Minderheit haben dabei sehr unterschiedliche Identitätsmuster. Erstens gibt es den harten Kern mit einer singulären deutschen Identität, das sind schätzungsweise 20.000 bis 30.000 Personen. Dann gibt es, zweitens, das typische Muster einer doppelten Identität, sowohl für Angehörige der deutschen Minderheit, aber auch für Ungarn. Drittens gibt es die Kategorie, die sich dunkel an ihren deutschen Familienhintergrund erinnert. Und es gibt, viertens, eine sehr interessante Kategorie, nämlich jene der assimilierten Ungarndeutschen, die bemüht sind, ihre deutsche Abstammung mit einem übersteigerten ungarischen Nationalismus zu kaschieren (was wir übrigens auch von anderen Minderheitengemeinschaften kennen). Neuerdings zeigt sich jedoch die Tendenz, sich auf die deutsche Identität zurückzubesinnen und sie neu zu beleben.

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Koloman Brenner

Die rechtlichen Voraussetzungen dafür sind mittlerweile geschaffen. Ihre Wurzeln liegen in der Mitte der 1980er Jahre. Bereits in dieser Zeit ging nämlich in Ungarn, trotz der kommunistischen Herrschaft, eine positive Entwicklung los. Die Bundesrepublik Deutschland war der wichtigste Wirtschaftspartner, weshalb schon 1985 in Ungarn der erste deutsche Verein gegründet werden konnte. Nach der Wende wurde die Frage, wie die Minderheitenproblematik in Ungarn gelöst wird, besonders relevant, und zwar auf Grund der großen ungarischen Minderheitengemeinschaften in den Nachbarländern. Die Minderheiten waren demnach in der Wendezeit keineswegs ein Randthema, sondern ein absolut politisches Thema, das auf höchster politischer Ebene diskutiert wurde.

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UN G A R N

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Das Nationalitätengesetz stellt in Ungarn 13 Nationalitäten in zahlenmäßiger Minderheit fest: Armenier, Bulgaren, Deutsche, Griechen, Kroaten, Polen, Roma, Rumänen, Ruthenen, Serben, Slowaken, Slowenen, Ukrainer.

Im Rahmen dieser Diskussion ist das Minderheitengesetz aus dem Jahr 1993 entstanden. Dieses wurde 2011 durch ein neues „Nationalitätengesetz“ abgelöst, wobei sich am juristischen Status der Minderheiten nichts geändert hat. Laut diesem Nationalitätengesetz bezeichnet man als Nationalität eine seit mindestens einem Jahrhundert in Ungarn ansässige Volksgruppe, die im Vergleich zur Bevölkerung des Staates in zahlenmäßiger Minderheit lebt, sich von der restlichen Bevölkerung durch eigene Sprache, Kultur und Brauchtum unterscheidet, ein solches Zusammengehörigkeitsgefühl aufweist, deren Ziel die Bewahrung der eigenen Sprache, Kultur und des Brauchtums bzw. die Interessensvertretung und der Schutz der sich historisch entwickelten Gemeinschaften ist. Das Nationalitätengesetz stellt in Ungarn 13 Nationalitäten in zahlenmäßiger Minderheit fest: Armenier, Bulgaren, Deutsche, Griechen, Kroaten, Polen, Roma, Rumänen, Ruthenen, Serben, Slowaken, Slowenen, Ukrainer. Eine weitere Voraussetzung für die Anerkennung als Angehöriger einer Minderheit ist die ungarische Staatsbürgerschaft. Ohne 34

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Deutsche Minderheit in Ungarn

diese greift das Minderheitengesetz nicht. Um ein konkretes Beispiel zu nennen: Bei Kommunalwahlen sind in Ungarn ansässige EU-Staatsbürger wahlberechtigt, somit auch Deutsche und Österreicher. Doch da diese EU-Staatsbürger nicht im Besitz der ungarischen Staatsbürgerschaft sind, dürfen sie nicht die deutschen Selbstverwaltungen wählen (zu diesen, siehe weiter unten). Zwar haben wir uns dafür eingesetzt, dass ihnen dieses Recht gewährt wird, aber der Gesetzgeber blieb rigoros. Im Zusammenhang mit der Entstehung des ungarischen Minderheitengesetzes und somit in der kurzen Zeitspanne von 1990 und 1993 wurde auch über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl machte einen vorsichtigen Vorstoß für eine zusätzlich deutsche Staatsbürgerschaft für die Ungarndeutschen. Die Frage war damals auch deswegen aktuell geworden, weil die aus Ungarn vertriebenen und mittlerweile in Deutschland lebenden Deutschen im Zuge ihrer offiziellen Rehabilitierung nunmehr ihre einst unfreiwillig verlorene ungarische Staatsbürgerschaft zurückbekommen konnten. Da aber das ungarische Minderheitengesetz von 1993 als Voraussetzung für die Ausübung der Minderheitenrechte die ungarische Staatsbürgerschaft vorschrieb, wäre umgekehrt eine zusätzliche deutsche Staatsbürgerschaft für die Ungarndeutschen nicht von Vorteil gewesen, weil sie ihre Minderheitenrechte ausschließlich auf der Grundlage der ungarischen Staatsbürgerschaft geltend machen konnten und können. Zudem ließ die Bundesrepublik Deutschland im Freundschaftsvertrag zwischen Deutschland und Ungarn von 1992 die Förderung der deutschen Minderheit in Ungarn verankern; auch deswegen kam die Frage nach einer deutschen Staatsbürgerschaft für die Ungarndeutschen schnell von der Tagesordnung. In der Tat wird seit 1992 von der deutschen Botschaft und den deutschen Organisationen vieles für die Ungarndeutschen geleistet. Aber die doppelte Staatsbürgerschaft als juristisches Mittel zum Schutz der deutschen Minderheit in Ungarn ist dabei nie mehr ein Thema gewesen, wenngleich Ungarndeutsche als Spätaussiedler,

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Im Zusammenhang mit der Entstehung des ungarischen Minderheitengesetzes und somit in der kurzen Zeitspanne von 1990 und 1993 wurde auch über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmut Kohl machte einen vorsichtigen Vorstoß für eine zusätzlich deutsche Staatsbürgerschaft für die Ungarndeutschen.


Koloman Brenner

allerdings nur ein paar Tausende, nach Deutschland gezogen sind. Diese konnten, wie andere Spätaussiedler, die deutsche Staatsbürgerschaft durchaus erwerben, wenn sie einen ständigen Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland nachweisen konnten. Aber der großen Mehrheit jener Ungarndeutschen, die in Ungarn geblieben sind (und zwar deswegen, weil es zwischen Ungarn und Deutschland, im Vergleich zu anderen kommunistischen Ländern, kein großes Wohlstandsgefälle gab), blieb das Recht auf die deutsche Staatsbürgerschaft verwehrt. Indes sind wir bemüht, auf der Grundlage des Minderheitengesetzes unsere Autonomie weiter auszubauen, worüber ich nun berichten möchte. Momentan haben wir in 422 Gemeinden und Städten so genannte deutsche Minderheitenselbstverwaltungen. Dies sind Körperschaften, die bei der Kommunalwahl gewählt werden, also keine Vereine (auch in Ödenburg gibt es eine gewählte deutsche Minderheitenselbstverwaltung, wo ich bis 2011 selbst Mitglied war). Wir haben ferner eine Landesselbstverwaltung der Ungarndeutschen (LdU). Sie ist unser politisches und kulturelles Repräsentationsorgan, sozusagen das „Parlament“, das die Interessen der Minderheit auf gesamtstaatlicher Ebene vertritt. Der Schwerpunkt der Tätigkeit der LdU ist die Übernahme von ungarndeutschen Bildungsinstitutionen in eigene Trägerschaft. Als letztes Jahr Ungarn versuchte, die Schulen zu verstaatlichen, haben wir als Gegenreaktion 19 örtliche Kindergärten und Grundschulen übernommen. Diese Kompetenz traute man uns als deutsche Minderheit durchaus zu, denn lieber wollte man, dass über diese Bildungseinrichtungen vor Ort verfügt wird als in einem Amt im fernen Budapest. Dass ein Staat so wie Ungarn versucht, alles zu verstaatlichen, kann also, so wie in unserem Fall, auch seine Vorteile haben. Für uns hatte diese Situation jedenfalls einen angenehmen Nebeneffekt. Zu den Institutionen in der Trägerschaft der LdU gehören darüber hinaus folgende Bildungseinrichtungen in den großen regionalen Zentren: XX das Valeria-Koch-Schulzentrum in Fünfkirchen mit zweisprachigem und seit drei Jahren einsprachig deutschem Kindergarten, ferner mit Grundschule, Mittelschule und Schülerwohnheim. Die Neubelebung der deutschen Sprache im Kindergarten kann hier, nach dem Prinzip „so früh wie möglich und nicht erst im Gymnasium“, richtig beginnen;

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Deutsche Minderheit in Ungarn

XX das Friedrich-Schiller-Gymnasium (berufliches Gymnasium mit

Schülerwohnheim) in Werischwar bei Budapest; XX das Ungarndeutsche Bildungszentrum in Frankenstadt in Süd-

ungarn (in der Mitträgerschaft der LdU in Stiftungsform); XX das Ungarndeutsche Pädagogische Institut (UZB) in Fünf-

kirchen. Das UZB ist eine offiziell anerkannte deutsche Auslandsschule. Man bekommt zwei Maturazeugnisse, einmal die ungarische und einmal die deutsche nach dem baden-württembergischen Lehrplan; XX In der Übernahme befindlich ist die Deutsche Bühne in Ungarn in eigener Trägerschaft in Sechshard. Die LdU und mit ihr insgesamt über 500 eingetragene Vereine, Kulturgruppen und Organisationen tragen zum Aufbau der bürgerlich-demokratischen Gesellschaft bei. Die Basis für unsere Arbeit ist das Selbstverwaltungssystem. Das Ziel der deutschen Selbstverwaltung ist die Durchsetzung der Interessen der ungarndeutschen Wähler, die Pflege von Sprache und Traditionen, die Förderung von Partnerschaften sowie der Wirtschaft, Literatur und Kunst. Unsere Finanzmittel sind zwar bescheiden, aber sie sind wichtig, weil uns dadurch gewissermaßen das Betteln bei der Mehrheit erspart bleibt. Der Erfolg unserer Arbeit zeigt sich am Vergleich der Daten der Volkszählungen von 1990, 2001 und 2011. Gefragt wurden dabei die Ungarn u. a. nach ihrer Muttersprache, Nationalität und ihrem nationalen Zugehörigkeitsgefühl. 1990 gaben 37.511 Personen Deutsch als Muttersprache an. 2001 war die Zahl auf 33.774 gesunken, doch 2011 stieg sie wieder auf 38.248 und erreichte somit den höheren Wert als 1990. Hingegen die deutsche Nationalität zu besitzen, gaben 1990 30.824 Ungarn an. 2001 hat sich die Zahl mit 62.105 mehr als verdoppelt, ebenso 2011 mit 131.951. Auch die Zahlen über die Personen, die sich der deutschen Nationalität zugehörig fühlen, sprechen für sich: 2001 waren es 120.344, 2011 waren es, deutlich erhöht, 185.696. Diese letzte Zahl ist durchaus reell, denn sie liegt nicht viel unter der Zahl der zwischen 1946 und 1948 vertriebenen Ungarndeutschen, die sich auf 200.000 bis 250.000 belief und die Hälfte jener Ungarndeutschen ausmachte, die im Land verblieben waren. Es darf schlussgefolgert werden, dass diejenigen, die noch ein deutsches Identitätsmuster oder Teile davon in sich tragen, dies bei der offiziellen Volkszählung allmählich auch zugeben. Letztlich ist dies ein Zeichen dafür, dass unser Autonomiemodell für gut befunden und genutzt wird.

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Koloman Brenner

In Ungarn haben wir die interessante Situation, dass die doppelte Staatsbürgerschaft bei anderen Minderheiten, zum Beispiel der armenischen Minderheit, der kroatischen oder der slowakischen, Realität ist, weil die jeweiligen Patronagestaaten die doppelte Staatsbürgerschaft bereitstellen. Für uns als deutsche Minderheit ist die doppelte Staatsbürgerschaft keine Realität, und wir sind diesbezüglich auf uns gestellt. Selbst der ungarische Staat vergibt seit dem Regierungswechsel 2010 seine Staatsbürgerschaft an die Auslandsungarn.

Dass seit 1993 unsere Autonomie im Ausbau begriffen ist, zeigt auch folgendes Beispiel: Mit der Verabschiedung des Minderheitengesetzes von 1993 hat man es verabsäumt, eine parlamentarische Vertretung der Minderheit einzufordern. 1998 hat man einen weiteren Versuch unternommen, doch erst 2013 war es soweit. 2014 konnten wir unseren Sprecher wählen. Bedauerlicherweise haben wir nicht genügend Stimmen erhalten, um einen vollwertigen, mit Stimmrecht ausgestatteten Vertreter der Ungarndeutschen ins Parlament zu entsenden. In Ungarn gilt nämlich eine 25-Prozent-Regelung, derzufolge die deutsche Liste 25 Prozent vom kleinsten Mandat bekommen muss, um einen vollwertigen deutschen Parlamentarier ins ungarische Parlament entsenden zu können. Diese Hürde haben wir knapp verfehlt, aber bei der nächsten Parlamentswahl im Jahr 2018 wollen wir es schaffen. Einstweilen haben wir einen Fürsprecher, der über alle anderen Rechte eines Parlamentariers verfügt. Die 13 Fürsprecher aller Minderheitenvertreter bilden automatisch den Minderheitenausschuss des ungarischen Parlaments und können durchaus Einfluss auf die politischen Geschehnisse in Ungarn ausüben. Abschließend möchte ich auf das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft zurückkommen. In Ungarn haben wir die interessante Situation, dass die doppelte Staatsbürgerschaft bei anderen Minderheiten, zum Beispiel der armenischen Minderheit, der kroatischen oder der slowakischen, Realität ist, weil die jeweiligen Patronagestaaten die doppelte Staatsbürgerschaft bereitstellen. Für uns als deutsche Minderheit ist die doppelte Staatsbürgerschaft keine Realität, und wir sind diesbezüglich auf uns gestellt. Selbst der ungarische Staat vergibt seit dem Regierungswechsel 2010 seine Staatsbürgerschaft an die Auslandsungarn. Es besteht also ein kleines asymmetrisches Verhältnis, wobei die hier geschilderten positiven Seiten, deren Grundlage das Minderheitengesetz von 1993 bildet, nicht kleingeredet werden sollen. Als deutsche Minderheit in Ungarn sind wir nicht unglücklich, aber für einen vollwertigen Minderheitenschutz wäre die doppelte Staatsbürgerschaft ein sehr gutes Modell.

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MAURIZIO TREMUL

Die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft für die Angehörigen der italienischen Minderheit in Kroatien und Slowenien. Die „Unione Italiana“ ist eine Bürgerorganisation, die die nationale italienische Minderheit in Kroatien und Slowenien vertritt. Unsere Vereinigung ist durch ein internationales Abkommen anerkannt: das bilaterale Abkommen zwischen Italien und Kroatien aus dem Jahr 1996 zum Schutz der italienischen Minderheit in Kroatien und der kroatischen Minderheit in Italien. In diesem Abkommen wird die „Unione Italiana“ als „Organisation, die die italienische Minderheit vertritt“, definiert, und die italienische Minderheit in Kroatien und Slowenien wird als Einheit beschworen. Die Organisation repräsentiert somit die italienische Gemeinschaft in beiden Ländern. Die Italiener in Kroatien, Slowenien, Istrien, Fiume und Dalmatien sind das, was übrig geblieben ist von einer einst viel stärkeren Präsenz von Italienern, welche nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben wurden. Dies geschah in Folge der tragischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts: der Faschismus und all das, was er mit seiner Politik der Unterdrückung der kroatischen und slowenischen Identität in diesen Gebieten leider hervorgebracht hat; die darauffolgende Gewalt, der Zweite Weltkrieg, dann die kroatisch-slowenische Revanche, das gegen die Italiener gerichtete kommunistische Regime, das Foibe-Phänomen und der Exodus. Ca. 350.000 Italiener wurden aus jenen Gebieten vertrieben, nachdem diese mit dem Pariser Vertrag von 1947 an die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien abgetreten worden waren – wobei allerdings die endgültige Aufteilung des Gebiets zwischen Italien und Jugoslawien erst mit dem Vertrag von Osimo von 1975 besiegelt wurde. Die „Unione Italiana“ in Kroatien und Slowenien zählt heute 37.000 erwachsene Mitglieder. Im Schuljahr 2015/16 sind 4.522 Eingeschriebene in den Kindergärten, Pflichtschulen und Oberschulen, welche alle Teil des öffentlichen kroatischen und slowenischen Bildungssystems sind, zu verzeichnen (die Pflichtschule dauert acht Jahre in Kroatien, neun Jahre in Slowenien).

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Maurizio Tremul

Folgende kurze Informationen sollen die Identität der Italiener in diesen Gebieten veranschaulichen: Die Italiener verfügen über einige wichtige Einrichtungen, die die italienische Sprache, Kultur und Identität lebendig halten. Zu nennen sind insbesondere die italienischen Radio- und Fernsehsendungen von Radio und TV Capodistria. TV Capodistria und Tele Montecarlo ist allen in Italien ein Begriff. Die beiden Fernsehsender waren die ersten, die in Italien in Farbe sendeten. Radio Capodistria sendet 24 Stunden Programme täglich in italienischer Sprache. TV Capodistria sendet neuneinhalb Stunden Programme in italienischer Sprache. Von diesen stammen zwei aus eigener Produktion. Das Verlagshaus Edit hat seinen Sitz in der kroatischen Stadt Fiume und gibt die Tageszeitung „La voce del popolo“ heraus. Diese Zeitung wurde 1944 ins Leben gerufen und war somit zu jenem Zeitpunkt noch eine Partisanenzeitung. Heute repräsentiert die Zeitung die gesamte italienische Gemeinschaft. Das Verlagshaus Edit gibt auch andere Zeitungen heraus, darunter „La battana“ (Ausdruck für ein regionaltypisches Paddelboot), die, wie ich finde, die langlebigste aller italienischen Kulturzeitschriften ist. In Rovigno betreibt das „Centro di Ricerche Storiche di Rovigno“ historische und soziologische Forschungen, und in Fiume spielt das „Dramma Italiano“ – eine kleine Schauspieltruppe, die im kroatischen Volkstheater von Fiume, „Ivan de Zajc“, tätig ist. Es handelt sich um das einzige italienische Repertoire-Ensemble außerhalb Italiens.

ITA L I EN

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Italienische Minderheit in Kroatien und Slowenien

So weit die wesentlichen Daten. Kommen wir nun zur doppelten Staatsbürgerschaft. Die „Unione Italiana“ ist der Rechtsnachfolger, doch nicht der politische Erbe der Vorgängerorganisation. 1944, während des Volksbefreiungskampfes – so wurde der Partisanenkampf gegen die Besatzer des Dritten Reichs bezeichnet –, wurde die „Unione degli Italiani dell’Istria e di Fiume“ ins Leben gerufen. Die Gründungsväter waren einige Italiener und viele Kroaten, die in der Organisation die italienische Minderheit im zukünftigen Jugoslawien vertreten und die Rückkehr Istriens zum kroatischen Mutterland fordern sollte. Die „Unione degli Italiani dell'Istria e di Fiume“ war bis 1991 der Vertreter der italienischen Minderheit in Kroatien und Slowenien, also in Jugoslawien. Der ideologisch-kommunistische Zug war dabei offensichtlich und durfte nicht fehlen, da er dem Regime jener Zeit geschuldet war. 1991 hielten wir in unserer Organisation zum ersten Mal freie Wahlen ab. Wir haben die alte „Unione degli Italiani dell’Istria e di Fiume“ aufgelöst und auf einer neuen Grundlage die „Unione Italiana“ gegründet. In der Organisation finden alle vier Jahre freie Wahlen statt, wobei die letzte Wahl ein Jahr her ist. Fast 10.000 Menschen gingen zur Wahl. Gewählt wurden die neuen Vertreter der Union, darunter die beiden Vorsitzenden (ich und Furio Radin). Wir sind somit der gesetzliche, doch nicht der politische Erbe der alten Union. Unmittelbar nach der Gründung der „Unione Italiana“ im Jahr 1991 haben wir die doppelte Staatsbürgerschaft gefordert, das heißt, die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft neben der kroatischen oder slowenischen. Aus diesem Grund wurden zwischen 1990 und 1991 4.175 Unterschriften für eine

SL O W E NIEN

KROATIEN

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Maurizio Tremul

Unsere Forderung rief damals bei den Behörden der nunmehr unabhängigen Staaten Kroatien und Slowenien, in der öffentlichen Meinung, bei den politischen Mächten, bei den Medien, bei der kroatischen und slowenischen Kirche sowie bei der so genannten, leider manipulierten „Zivilgesellschaft“ feindselige und gewalttätige Reaktionen hervor.

Petition gesammelt, die an die italienische Regierung ging. Dies alles geschah während der Zeit, als Ex-Jugoslawien im Begriff war zu implodieren um sich aufzulösen. Die damit einhergehenden Gewalttaten und leidvollen Geschichten kennen wir alle. Wir forderten die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft für alle, die nach dem Zweiten Weltkrieg in jenen Gebieten geblieben sind, die Italien abtreten musste. Dazu zählten Istrien, Fiume, die Kvarner-Bucht und Zadar. Unsere Forderung rief damals bei den Behörden der nunmehr unabhängigen Staaten Kroatien und Slowenien, in der öffentlichen Meinung, bei den politischen Mächten, bei den Medien, bei der kroatischen und slowenischen Kirche sowie bei der so genannten, leider manipulierten „Zivilgesellschaft“ feindselige und gewalttätige Reaktionen hervor. Man versuchte, einen historisch dramatischen Zusammenhang herzustellen: der Balkankrieg beziehungsweise der Krieg im Zentrum Europas, das Risiko einer neuerlichen endgültigen Abwanderung der italienischen Bevölkerung aus ihrem historischen Siedlungsgebiet. Die Angehörigen der italienischen Minderheit in Kroatien und Slowenien, die ab 1990/1991 ins Mutterland Italien einwanderten, waren, trotz ihrer Zugehörigkeit zur italienischen Sprache und Kultur, mit allen Einwanderern aus Nicht-EU-Ländern gleichgestellt und demnach keine EU-Bürger. Dies änderte sich erst am 1. Mai 2004 bzw. am 1. Juli 2013, als Slowenien bzw. Kroatien Mitglied der Europäischen Union wurde. Was sah unsere Forderung, die wir wie gesagt im Jahr 1990 vorbrachten, im Einzelnen vor? Sie sah die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft vor. Ich möchte gleich erklären, warum ich von einer Wiedererlangung und nicht von einer Erlangung spreche. Es geht um die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft durch jene, die in den Gebieten, die von Italien an Jugoslawien nach dem Zweiten Weltkrieg abgetreten wurden, geboren waren, sowie durch deren Nachfahren in direkter Linie. Es handelt sich somit um eine Wiedererlangung als Akt der moralischen Anerkennung gegenüber all jenen, die beschlossen hatten, im ursprünglichen Siedlungsgebiet zu bleiben und hierbei, trotz der jugoslawischen Diktatur, die italienische Sprache, Kultur und Identität zu pflegen; eine Wiedererlangung als Instrument für einen wirksamen und internationalen Rechtsschutz der italienischen Gemeinschaft. Ein erstes Ergebnis wurde 1992 mit dem italienischen Staatsgesetz „5. Februar 1992“, „Neue Bestimmungen für die Staatsbürgerschaft“ erzielt. Dieses Gesetz gestattete den Angehörigen der italienischen

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Italienische Minderheit in Kroatien und Slowenien

Gemeinschaft die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft. Diese Bestimmung galt jedoch nur für jene Landsleute, die vor dem Friedensvertrag von Paris vom 10. Februar 1947 geboren wurden bzw. vor dem Vertrag von Osimo vom 10. November 1975 in der so genannten Ex-Zone B lebten. Diese Zone umfasste den Nordwesten Istriens, der bis zur Unterzeichnung des Vertrags von Osimo im Wesentlichen von Jugoslawien verwaltet wurde. Es war jedoch sozusagen noch nicht verlorenes bzw. abgetretenes Gebiet. Doch genau genommen, wurde es bereits 1945 abgetreten, aber die Politik hat eine andere Dynamik. Erwachsene Personen, die nach 1947 geboren waren, waren jedoch wie bereits erwähnt von der Bestimmung für die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft ausgeschlossen. Die „Unione Italiana“ begrüßte zwar dieses neue Gesetz, aber wir haben unmittelbar eine Korrektur dieser Unstimmigkeit gefordert: Das Recht auf die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft sollte auch an minderjährige Kinder von Eltern, bei denen das Abstammungsprinzip (ius sanguinis) greift und die vor 1947 bzw. vor 1975 geboren wurden, vergeben werden. Unser politischer Einsatz hat 14 Jahre später seine ersten Früchte getragen. Es handelt sich um das Gesetz „8. März 2006, Nr. 124“. Dieses wurde vom italienischen Parlament parteiübergreifend genehmigt – ich glaube, dass damals nur Rifondazione Comunista dagegen stimmte. Am 9. Februar 2006 wurde das letzte Gesetz der Legislaturperiode auf den Weg gebracht, bevor sich das Parlament auflöste und zum x-ten Mal vorgezogene Wahlen stattfanden. Dieses Gesetz beinhaltet eben die Abänderung des Gesetzes „5. Februar 1992“ von 1991 betreffend die Bestimmungen für die Anerkennung der italienischen Staatsbürgerschaft für die in Istrien, Fiume und Dalmatien lebenden italienischen Landsleute und deren Nachkommen. Es handelt sich somit um eine Abänderung des Gesetzes, das sich genau auf unsere Situation bezieht. Mit diesem Gesetz wird das Recht auf Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft auch auf die Nachkommen jener Personen ausgedehnt, die die italienische Staatsbürgerschaft bereits mit dem Gesetz von 1992 erworben hatten, d. h. auch auf die Nachfahren in direkter Linie der nach 1947 in den abgetretenen Gebieten Geborenen. Unser Antrag wurde somit, über eine parlamentarische Gesetzesinitiative, vollinhaltlich von der Regierung angenommen. Was muss heute jemand, der die italienische Staatsbürgerschaft haben will, vorlegen? Er muss eine Reihe von Dokumenten vor-

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Maurizio Tremul

legen, die die Zugehörigkeit zur italienischen Volksgruppe in irgendeiner Weise belegen. Zum Beispiel den Nachweis, dass jemand italienische Schulen besucht hat, dass er dafür bekannt ist, für gewöhnlich Italienisch zu sprechen, dass er die Einrichtungen der italienischen Gemeinschaft besucht. Also all das, was, unabhängig vom Nachweis der direkten Nachkommenschaft eines italienischen Bürgers, in irgendeiner Weise die Zugehörigkeit zur italienischen Gemeinschaft bzw. Nationalität bezeugt.

Die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft hat für uns einen besonderen moralischen Wert. Sie unterstreicht die Verbundenheit zwischen der Mutternation Italien und den Italienern von Kroatien und Slowenien und sie trägt dazu bei, dass die italienische Identität, Sprache und Kultur gestärkt und intensiver gelebt werden.

In Kroatien und Slowenien werden die Italiener in rechtlicher Hinsicht selbstverständlich als eine nationale Minderheit behandelt, als „national minority“, so wie es auch die internationalen Abkommen vorsehen. Wenn es also darum geht, unsere Rechte als Minderheit geltend zu machen, ist die italienische Staatsbürgerschaft nicht hilfreich. Wir können die italienische Staatsbürgerschaft nicht dafür hernehmen, um unsere Rechte als kroatische oder slowenische Staatsbürger, die der italienischen Minderheit angehören, geltend zu machen. In diesem Fall greifen die europäischen und international anerkannten Übereinkommen über die Minderheitenrechte, die auch uns zustehen. Viele unserer Landsleute haben unter anderem an dem so genannten patriotischen Kroatienkrieg teilgenommen. Manche sind dabei umgekommen. Dieser Krieg führte zur Besetzung Kroatiens durch das serbische Heer und endete 1995. Als das Gesetz zur italienischen Staatsbürgerschaft genehmigt wurde, hat die Versammlung der „Unione Italiana“ auch eine wichtige Resolution politischer Natur verabschiedet. Ich werde nun einige der in der Resolution enthaltenen Konzepte kurz zusammenfassen, da ich sie für wichtig erachte. Für uns galt es festzuhalten, dass sich die Italiener in Kroatien und Slowenien effektiv als Erbe der gesamten italienischen Nation fühlen. Aus diesem Grund haben wir uns bei allen politischen Kräften, der Regierung und dem Parlament für die Unterstützung bedankt, und selbige haben wir auch von Italien gefordert bzw. fordern wir noch immer. Die italienische Gemeinschaft in Kroatien und Slowenien ist als Angelegenheit von nationalem und strategischem Interesse zu betrachten und hat insbesondere alle politischen Kräfte und die Regierung dafür zu sensibilisieren. Die Wiedererlangung der italienischen Staatsbürgerschaft hat für uns einen besonderen moralischen Wert. Sie unterstreicht die Verbundenheit zwischen der Mutternation Italien und den Italienern von Kroatien und Slowenien und sie trägt dazu bei, dass die italienische Identität, Sprache und Kultur gestärkt

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Italienische Minderheit in Kroatien und Slowenien

und intensiver gelebt werden. Die italienische Staatsbürgerschaft hat einen großen ethischen Wert, weil sie uns die Teilnahme am politischen, sozialen und kulturellen italienischen Leben ermöglicht. Die Italiener mit Doppelpass nehmen an den Parlamentswahlen in Italien teil (die Stimme wird auf dem Korrespondenzweg mit den diversen Konsulaten abgegeben), ebenso an den Kommunalwahlen in jener Wohnsitzgemeinde, die im so genannten A.I.R.E. (Register der Auslandsitaliener) eingetragen ist. Auch dürfen sie an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen, allerdings müssen sie sich hier zwischen einem italienischen und einem kroatischen/slowenischen Kandidaten entscheiden, zumal das doppelte Wahlrecht nicht gilt. Es kommt zu einer Selbsterklärung, einer Entscheidung, die jeder für sich individuell treffen kann. Darüber hinaus wählen die Italiener im kroatischen Konsularbezirk Fiume den so genannten „Comites“, den Ausschuss der Auslandsitaliener. Die Italiener, die in diesen Gebieten leben, haben einen großen Beitrag zur demokratischen, kulturellen, zivilen und wirtschaftlichen Entwicklung Kroatiens und Sloweniens geleistet, ebenso zu den europäischen Integrationsprozessen. Wir haben, auch in den schwierigen Momenten der frühen 1990er Jahre, stets gefordert, dass Kroatien und Slowenien der Europäischen Union beitreten, obwohl es uns an Rechten kaum mangelte. Ich denke jedoch, dass der EU-Beitritt Kroatiens und Sloweniens am Ende auch einen großen, nunmehr moralischen Wert hat. Heutzutage, wo wir alle in der Europäischen Union leben, stellt die italienische Staatsbürgerschaft nicht mehr jene Erleichterung dar, wie dies zu Anfang der 1990er oder 2000er Jahre der Fall war, wo man ohne italienische Staatsbürgerschaft auch kein EU-Bürger war, was sich beispielsweise bei der Einschreibung an einer ausländischen Universität oder bei internationalen Arbeitsverträgen bemerkbar machte. Heute ist es anders, doch der ethisch-moralische und der emotionale Stellenwert werden immer noch stark verspürt. Viele ältere Personen haben die italienische Staatsbürgerschaft wiedererlangt. Vielleicht haben sie den italienischen Pass nie gebraucht, aber viele sagen sich: „Schauen Sie, ich lege ihn unters Kopfkissen, ich schlafe drauf. Ihn wiedererlangt zu haben, hat für mich einen wichtigen emotionalen Wert.“ Den italienischen Pass haben sie womöglich nie verwendet, und dennoch ist dieser emotionale Aspekt der Verbundenheit äußerst wichtig. Aktuell – und damit komme ich zum Abschluss – beläuft sich die Zahl der im A.I.R.E. eingeschriebenen italienischen Staatsbürger (die meisten davon Doppelstaatsbürger) auf 21.226 im kroatischen

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Viele ältere Personen haben die italienische Staatsbürgerschaft wiedererlangt. Vielleicht haben sie den italienischen Pass nie gebraucht, aber viele sagen sich: „Schauen Sie, ich lege ihn unters Kopfkissen, ich schlafe drauf. Ihn wiedererlangt zu haben, hat für mich einen wichtigen emotionalen Wert.


Maurizio Tremul

Konsularbezirk Fiume und auf 4.132 im slowenischen Konsularbezirk Capodistria. Insgesamt leben also 25.359 Italiener im historischen Siedlungsgebiet der Italiener. Nicht mitgezählt habe ich Laibach und Agram, weil diese Städte nicht zum historischen Siedlungsgebiet der Italiener gehören.

Auch hier zeigt sich, dass die doppelte Staatsbürgerschaft für uns diese Beziehungen nur stärken kann, und sie stellt für keinen Staat eine Bedrohung dar.

Die praktische Bedeutung der italienischen Staatsbürgerschaft ist heute nicht mehr so erheblich wie einst, vielmehr ist es die ethisch-moralische. Ganz zentral ist nämlich das Gefühl, Teil der italienischen Nation zu sein. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Staatsgrenzen und die Souveränität der Staaten in Frage gestellt werden. Wir sind eine sehr friedliebende und sehr ruhige Minderheit. Bei uns gibt es 80 Prozent Mischehen, unsere italienischen Schulen werden von sehr vielen Kroaten, Slowenen und von Angehörigen anderer Ethnien des ehemaligen Jugoslawiens besucht. Wir sind integriert, wir sind treue Bürger dieser beiden Staaten. Wir sind auch treue Bürger Italiens, und wir arbeiten daran, dass Italien, Kroatien und Slowenien freundschaftliche Beziehungen entwickeln und verstärkt zusammenarbeiten. Es besteht auch eine sehr gute Zusammenarbeit mit der slowenischen Gemeinschaft in Italien. Auch hier zeigt sich, dass die doppelte Staatsbürgerschaft für uns diese Beziehungen nur stärken kann, und sie stellt für keinen Staat eine Bedrohung dar.

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ˇ AVDEK JULIJAN C

Die doppelte Staatsbürgerschaft als Mittel zur nationalen staatsgrenzenübergreifenden slowenischen Einheit. In der Republik Slowenien ist die Staatsbürgerschaft per Gesetz geregelt, so wie dies von Artikel 12 der Verfassung vorgesehen ist. Die doppelte Staatsbürgerschaft wird unter besonderen Bedingungen zugelassen. In diesem kurzen Bericht möchte ich vor allem darauf hinweisen, wie wichtig es ist, dass uns der slowenische Staat die Möglichkeit der slowenischen Staatsbürgerschaft bietet – ca. 5.000 Bürger in Italien besitzen sie bereits. Die Wichtigkeit ergibt sich nicht nur für uns als slowenische Minderheit, sondern auch für alle Slowenen, die außerhalb der Staatsgrenzen Sloweniens leben. Zu diesen Gemeinschaften unterhält die Republik Slowenien eine besondere Beziehung, die in Artikel 5 der Verfassung verankert und mit einem ordentlichen Gesetz vom 6. Mai 2006 geregelt ist. In Slowenien trat am 25. Juni 1991 das Gesetz über die Staatsbürgerschaft in Kraft – an jenem Tag, als Slowenien seine Unabhängigkeit von Jugoslawien ausrief. Es handelte sich um einen ersten Schritt zur Auflösung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, welche soeben zusammengebrochen war. Die Ausrufung der Unabhängigkeit Sloweniens war der Höhepunkt eines in den 1980er Jahren begonnenen Demokratisierungsprozesses des slowenischen Volkes. Der Unabhängigkeit von 1991 gingen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erstmals freie und demokratische Wahlen, die am 8. April 1990 stattfanden, voraus; ebenso die Volksabstimmung für die Unabhängigkeit vom 23. Dezember 1990, für welche 95 Prozent der Wähler stimmten. Nahezu das gesamte slowenische Volk sprach sich für die Unabhängigkeit Sloweniens vom damaligen Jugoslawien aus. Darüber hinaus begann die Republik Slowenien, den Weg der europäischen Integration zu beschreiten. Mit dem Eintritt Sloweniens in die Europäische Union im Jahr 2004, in die Nato im selben Jahr sowie im Schengenraum im Jahr 2007 wurde dieser Weg im frühen 21. Jahrhundert abgeschlossen.

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Doch wo besteht der Zusammenhang dieser geschichtlichen ErÖSTERREIC H eignisse mit der doppelten Staatsbürgerschaft? Es gilt zu beachten, dass in der Zeit zwischen 1945 und 1990 in Slowenien das kommuI T A LI EN nistische Regime an der Macht war. Dieses Regime behandelte nicht alle Slowenen gleich. Die Ereignisse während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, als unter der nazifaschistischen Besatzung auch ein Bürgerkrieg unter den Slowenen stattfand, sowie unterschiedliche ideologische Beweggründe und politische Überzeugungen führten zu einer starken politischen Auswanderung und Zerreißung des slowenischen Volkes. Wenn sie ihr Leben retten wollten, mussten viele Slowenen mit katholisch-demokratischer Gesinnung aus Slowenien fliehen. Auf diese Weise entstand die Diaspora der Slowenen mit starken Gemeinschaften in Argentinien, Brasilien, in den Vereinigten Staaten und Australien. Für die Zerreißung des slowenischen Volkes stehen auch die autochthonen slowenischen Minderheiten, deren Siedlungsgebiet außerhalb der Grenzen des damaligen Jugoslawiens geblieben ist. Wir sprechen hier von der slowenischen Minderheit in Italien und von der slowenischen Minderheit in Österreich. Es gab auch eine Minderheit in Ungarn, aber in Ungarn, das wie Jugoslawien ebenfalls unter einem kommunistischen Regime stand, waren andere politische Gesinnungen nicht gestattet. In der damaligen Sozialistischen Republik Slowenien gab es Slowenen der Kategorie A und der Kategorie B. Mit dem Prozess der Demokratisierung und Unabhän-

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Slowenische Minderheit in Italien

gigkeit des Landes gab es den Versuch, die beiden Gruppen näher zusammenzubringen. Dies mag zwar einfach klingen, ist aber ein Unterfangen, das seine Zeit braucht. Ich glaube, dass die damalige neue politische Generation die doppelte Staatsbürgerschaft gewährte, um die nationale Versöhnung des seit 1945 geteilten Volkes zu erreichen und die Folgen SLOW E N I E N einer Ungleichbehandlung KR O A T I E N gegenüber jenen Landsleuten, die auf Grund von verschiedenen historisch-politischen Ereignissen außerhalb der slowenischen Staatsgrenzen lebten, zu beseitigen. Gleichzeitig wollte das Mutterland ihnen gegenüber ein Zeichen der Aufmerksamkeit sowie der Dankbarkeit für ihre Unterstützung im Unabhängigkeitsprozess setzen. Es wurden die Rechtsgrundlagen für die Anerkennung und Rückkehr derjenigen, die während des Kommunismus von Slowenien vergessen, isoliert oder vertrieben worden waren, geschaffen. Selbstverständlich musste das Gesetz über die Staatsbürgerschaft auch diejenigen Prozeduren beinhalten, die für ein demokratisches System typisch sind. So können auch diejenigen, die nicht slowenischer Volkszugehörigkeit sind und die slowenische Sprache nicht sprechen, die doppelte Staatsbürgerschaft erwerben, doch auf Einzelheiten kann hier nicht eingegangen werden. Das Gesetz über die Staatsbürgerschaft der Republik Slowenien sieht eine doppelte Staatsbürgerschaft

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Das Gesetz über die Staatsbürgerschaft der Republik Slowenien sieht eine doppelte Staatsbürgerschaft unter besonderen Bedingungen vor.


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unter besonderen Bedingungen vor. Artikel 2 des Gesetzes legt fest, dass ein slowenischer Staatsbürger mit ausländischer Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der Republik Slowenien als slowenischer Staatsbürger gilt, wenn das internationale Abkommen nicht anders verfügt. Artikel 3 sieht vor, dass die slowenische Staatsbürgerschaft erworben werden kann durch: XX Abstammung, XX Geburt im Gebiet der Republik Slowenien, XX Einbürgerung auf der Grundlage eines Ansuchens, XX internationale Vereinbarung. Ich besitze die doppelte Staatsbürgerschaft auf Grund meiner Abstammung. Dies wusste ich jedoch nicht. Ich wollte die slowenische Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung beantragen. Aber dann merkte ich, dass ich bereits slowenischer Staatsbürger war, zumal meine Mutter einen jugoslawischen Pass hatte, weil sie auf der anderen Seite der Grenze lebte. Und so habe ich gleichzeitig die doppelte Staatsbürgerschaft meinen drei Kindern weitergegeben. In Artikel 10, der die doppelte Staatsbürgerschaft auf der Basis von Einbürgerung regelt, werden zehn Voraussetzungen angeführt: 1. Die Vollendung des 18. Lebensjahres. 2. Der Verlust der Staatsbürgerschaft des anderen Staates oder der Verzicht auf dieselbe. 3. Der Nachweis, dass die Person seit zehn Jahren in Slowenien lebt. 4. Der Nachweis, dass die Person über ausreichend Lebensunterhalt verfügt. 5. Der Nachweis von slowenischen Sprachkenntnissen. 6. Die Nachweis, weder eine Verurteilung noch eine Freiheitsstrafe erlitten zu haben. 7. Der Nachweis, nicht aus dem slowenischen Territorium ausgewiesen worden zu sein. 8. Der Nachweis, keine Gefahr für die Öffentlichkeit darzustellen. 9. Der Nachweis, im Einklang mit der Steuerbehörde zu sein. 10. Der Treueschwur auf die Verfassung. Die unter Punkt 2 angeführte Voraussetzung, also der Verzicht der Staatsbürgerschaft des anderen Staates, bereitet Probleme. Zu diesem Punkt gibt es einige Ausnahmeregelungen, die unter Artikel 12 des Staatsbürgerschaftsgesetzes fallen. Sie greifen in folgenden Fällen:

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Slowenische Minderheit in Italien

 Der Antragsteller ist ein Einwanderer mit slowenischer Nationalität

oder ist sein direkter Nachkomme bis zum vierten Grad und lebt seit mindestens einem Jahr in Slowenien.  Der Antragsteller hat die slowenische Staatsbürgerschaft auf der Grundlage der Staatsbürgerschaftsgesetze, die vor der slowenischen Unabhängigkeit und damit unter Jugoslawien galten, verloren. In diesem Fall muss er seit mindestens sechs Monaten in Slowenien leben. Hiervon handeln auch die Artikel 40 und 41, die die Möglichkeit der Rückführung jener Slowenen vorsehen, die aus politischen Gründen gezwungen waren auszuwandern.  In Ausnahmefällen kann die Staatsbürgerschaft auch einem nicht-slowenischen Staatsbürger gewährt werden, wenn dieser seit drei Jahren mit einem slowenischen Staatsbürger verheiratet ist und seit mindestens einem Jahr in Slowenien lebt. In diesem Fall ist zudem eine staatliche Genehmigung erforderlich.  Die anderen Voraussetzungen sind: Der Antragsteller hat das Recht auf politisches Asyl oder er hat den Status als Staatenloser. Wichtig ist auch Artikel 13, der vorsieht, dass, bei staatlichem Interesse, einer Person die slowenische Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung auf Grund der wissenschaftlichen, wirtschaftlichen oder kulturellen Verdienste gewährt werden kann, wobei diese Person seit mindestens einem Jahr in Slowenien leben muss. In diesem Fall greift Punkt 2 des Artikels 10, wonach die Staatsbürgerschaft des anderen Staates aufgegeben werden muss, nicht. Der zweite Absatz des Artikels 13 sieht eine weitere Ausnahmeregelung zu der unter Punkt 2 in Artikel 10 angeführten Voraussetzung (Verzicht auf die Staatsbürgerschaft des anderen Staates) vor, und zwar für Antragsteller, die in Artikel 2 des Gesetzes über die Beziehungen der Republik Slowenien mit Slowenen, die außerhalb der Staatsgrenzen leben, fallen. Laut diesem Gesetz wird der autochthonen slowenischen Bevölkerung in Österreich, Kroatien, Italien und Ungarn die doppelte Staatsbürgerschaft gewährt. Mit diesem besonderen Gesetz wurden die Beziehungen der Republik Slowenien zu den unmittelbar außerhalb der Staatsgrenzen lebenden Bürger slowenischer Nationalität geordnet. Dieses Gesetz gilt zudem für die Slowenen, darunter politische Emigranten oder Wirtschaftsmigranten, die in der restlichen Welt und nicht in den Grenzgebieten Sloweniens leben. Der Antragsteller hinterlegt den Antrag im Konsulat oder im zuständigen Amt in einer slowenischen Gemeinde.

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Laut diesem Gesetz wird der autochthonen slowenischen Bevölkerung in Österreich, Kroatien, Italien und Ungarn die doppelte Staatsbürgerschaft gewährt. Mit diesem besonderen Gesetz wurden die Beziehungen der Republik Slowenien zu den unmittelbar außerhalb der Staatsgrenzen lebenden Bürger slowenischer Nationalität geordnet.


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Dem Antrag müssen der Lebenslauf sowie eine oder mehrere Bescheinigungen durch eine zivilgesellschaftliche Organisation beigefügt sein, und zwar darüber, wo die Person arbeitet, dass sie die slowenischen Schulen besucht hat, dass sie mindestens fünf Jahre lang in einem slowenischen Sport- oder Kulturverein tätig war oder ist. Kurzum: Es muss bescheinigt werden, dass die Person ein aktives Mitglied der slowenischen nationalen Gemeinschaft ist. Das ganze Verfahren zur Anerkennung der slowenischen Staatsbürgerschaft hat sich mittlerweile in der Regel auf etwa drei Monate eingependelt. Früher dauerte es länger.

Es ist vielmehr eine emotionale Angelegenheit, wenn der slowenische Staat, die slowenische Nation endlich unser Referenzstaat, unsere Mutternation und Heimat ist, und zwar für alle Slowenen, das heißt, für die slowenischen Minderheiten in Italien, Österreich, Kroatien und Ungarn sowie für die Ausgewanderten einschließlich der politischen Diaspora.

In den letzten beiden erwähnten Kategorien (autochthone slowenische Bevölkerung in den Nachbarländern, slowenische Landsleute in der Welt) gibt es die größte Anzahl von slowenischen Doppelstaatsbürgern. Obwohl der ideologische Bruch noch nicht repariert ist, wurde den slowenischen Landsleuten die Staatsbürgerschaft und auch das Wahlrecht gewährt, was zweifellos ein wichtiges Signal war. Nach dem starken Hass zwischen den beiden Teilen meines Volkes ist es nun zu einem Schritt nach vorne und zu normalen politischen Debatten, die westliche Demokratien auszeichnen, gekommen. In einigen Fällen kam es zu Rückwanderungen von Slowenen, die in Slowenien wieder ein neues Leben aufgebaut haben. Im Übrigen besteht jedoch allgemein Übereinstimmung darüber, dass uns auf praktischer Ebene die slowenische Staatsbürgerschaft keine großen Besonderheiten bietet. Es ist vielmehr eine emotionale Angelegenheit, wenn der slowenische Staat, die slowenische Nation endlich unser Referenzstaat, unsere Mutternation und Heimat ist, und zwar für alle Slowenen, das heißt, für die slowenischen Minderheiten in Italien, Österreich, Kroatien und Ungarn sowie für die Ausgewanderten einschließlich der politischen Diaspora. Slowenien sehen wir alle als das gleiche Land und nicht mehr so wie früher, als es eine Unterscheidung gab. Am meisten Freude bereitet es uns, dass wir bei politischen Wahlen in Slowenien mitbestimmen dürfen, also bei Parlamentswahlen und Europawahlen. Im letzteren Fall wählen wir entweder die europäischen Kandidaten in Slowenien oder die Kandidaten auf der italienischen Liste.

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Slowenische Minderheit in Italien

Die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft ist auch im Zusammenhang mit einer parlamentarischen Vertretung von Slowenen, die außerhalb der Grenzen der Republik Slowenien leben, entscheidend. Seit ein paar Jahren sind wir bemüht, für die Slowenen im Ausland zwei Sitze im slowenischen Parlament zugestanden zu bekommen. Hierbei würde es sich jeweils um einen Sitz für die an den Grenzen lebenden slowenischen Minderheiten und für die ausgewanderten Slowenen in der restlichen Welt handeln. Die Durchsetzung dieses Anliegens ist ein bisschen ins Stocken geraten, weil ein wichtiger Teil des slowenischen Volkes ausgeschlossen wäre: Den slowenischen Landsleuten in Kärnten gewährt Österreich nicht die doppelte Staatsbürgerschaft, doch diese wäre für das Wahlrecht die Voraussetzung. Trotz der momentan stagnierenden Situation bleibt zu hoffen, dass in naher Zukunft eine Vereinbarung zwischen den beiden Staaten erzielt werden kann und auch Österreich die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft eröffnet, damit wir Slowenen im Ausland um so mehr eine parlamentarische Vertretung in Laibach einfordern können. Uns ist dies ein wichtiges Anliegen.

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FANCSALI

Doppelte Staatsbürgerschaft am Beispiel der ungarischen Gemeinschaft in Siebenbürgen Von den ethnischen Minderheiten in Europa sind die Ungarn eine der größten. Etwa 2,2 Millionen Ungarn leben außerhalb der ungarischen Staatsgrenzen in den Nachbarstaaten, und verstreut in der Welt gibt es wahrscheinlich weitere Millionen. In Rumänien siedeln laut letzter Volkszählung 1,2 Millionen Ungarn, die meisten von ihnen in Siebenbürgen. Die Siebenbürger Ungarn sind die größte nationale Gemeinschaft, die über keine Autonomie verfügt. Dies ist der Grund, warum Ungarn im Vergleich zu den Nachbarstaaten einer der proaktivsten Patronagestaaten ist. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Friedensvertrag von Trianon, mit dem Siebenbürgen mit Rumänien zusammengeschlossen wurde, fanden sich viele Ungarn in einem fremden Staat wieder. Rumänien fuhr gegen die ungarische Minderheit eine unverblümte Assimilierungspolitik. Unter dem Staatssozialismus wurde ein extrem nationalistischer Diskurs geführt, der gegen nationale Minderheiten gerichtet war. Die ungarische Minderheit trotzte dieser Politik. Das kommunistische System vermochte es nicht, den Fortbestand der ungarischen Gemeinschaft in Rumänien zur Gänze zu zerstören. Nach der Revolution von 1989 suchten sowohl die ungarische Elite in Rumänien als auch die ungarische Führungsriege in Ungarn Beziehungen zueinander. Die ungarische Auslandspolitik fußte nunmehr auf drei Säulen: XX die euroatlantische Integration, XX die Beziehung zu den Nachbarstaaten, XX die Beziehung mit den Ungarn, die außerhalb der ungarischen Staatsgrenzen leben. József Antall, der erste Ministerpräsident des demokratischen Ungarns, hielt eine Rede, die berühmt wurde. Er erklärte, dass er der Ministerpräsident von 15 Millionen Ungarn sein wolle – Ungarn sei auch verantwortlich für jene Ungarn, die außerhalb der ungarischen Staatsgrenzen leben. Antall gründete das Amt für Auslandsungarn. Die nachfolgende Regierung unter Gyula Horn legte den Schwerpunkt auf die euroatlantische Integration und

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Ungarn hat sein Gesetz zur Staatsbürgerschaft im Jahr 2010 geändert. Dieses ermöglichte es ehemaligen ungarischen Staatsbürgern und deren Nachkommen, die ungarische Staatsbürgerschaft zu erlangen, ohne dabei in Ungarn leben zu müssen.

Mit Ende August 2015 haben mehr als 750.000 Menschen die ungarische Staatsbürgerschaft beantragt. Mehr als 400.000 der Anträge kamen aus Siebenbürgen.

die Beziehungen zu den Nachbarstaaten. Die erste Regierung unter Viktor Orbán konzentrierte sich dann auf die Beziehungen mit den Ungarn, die außerhalb der ungarischen Staatsgrenzen lebten und finanzierte Institutionen des Patronagestaates zur Förderung der Ungarn in den Nachbarländern. Die Folgeregierungen unter Ferenc Gyurcsány und Attila Mesterházi behielten dieses Schutzsystem bei und übertrugen die Entscheidungsbefugnis über die Ressourcenzuweisung an die ausländischen ungarischen Organisationen. Die zweite Orbánregierung führte schließlich ein neues Gesetz zur Staatsbürgerschaft und zum Wahlrecht ein. Dabei ging es darum, das Rechtsverhältnis zwischen dem ungarischen Staat und den Angehörigen der ungarischen Minderheit zu klären. So wurden das Zeugnis des nationalen Zusammenhalts und die Einheit der ungarischen Nation gesetzlich festgeschrieben. Ungarn hat sein Gesetz zur Staatsbürgerschaft im Jahr 2010 geändert. Dieses ermöglichte es ehemaligen ungarischen Staatsbürgern und deren Nachkommen, die ungarische Staatsbürgerschaft zu erlangen, ohne dabei in Ungarn leben zu müssen. Vor der Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes war die doppelte Staatsbürgerschaft nur möglich, wenn der Antragsteller nach Ungarn zog. Mit der nunmehrigen Änderung dürfen jene, die die ungarische Sprache sprechen und entweder einst ungarische Staatsbürger waren oder Nachkommen eines Ungarns sind, die ungarische Staatsbürgerschaft beantragen. Jeder, der die ungarische Staatsbürgerschaft erworben hat, ist, unabhängig von seinem Wohnsitz, zur Teilnahme an den gesamtstaatlichen Wahlen berechtigt. Mit Ende August 2015 haben mehr als 750.000 Menschen die ungarische Staatsbürgerschaft beantragt. Mehr als 400.000 der Anträge kamen aus Siebenbürgen. Die Antragsteller sind meist junge Menschen, und es ist zu erwarten, dass sich dieser Trend in den kommenden Jahren fortsetzen wird.

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Ungarische Gemeinschaft in Siebenbürgen

Ungarn hat ein gemischtes Wahlsystem. Bürger, die in Ungarn wohnhaft sind, dürfen zwei Stimmen abgeben: eine für den regionalen Kandidaten und eine für den gesamtstaatlichen. Ungarische Staatsbürger, die nicht in Ungarn wohnhaft sind, haben nur das Stimmrecht für die gesamtstaatliche Liste. Dafür müssen sie sich online oder auf dem Postweg anmelden. Dank dieses Wahlsystems können die im Ausland lebenden Ungarn lediglich ein oder höchstens zwei Mandate beeinflussen. In einem Parlament mit 200 Mitgliedern könnten sich diese beiden Mandate auf die Sitzverteilung auswirken, doch dass sich am Gesamtergebnis der Wahlen groß etwas ändert, ist weniger wahrscheinlich. Dadurch dass Ungarn seinen im Ausland lebenden Landsleuten die Staatsbürgerschaft und das Wahlrecht bei gesamtstaatlichen Wahlen gewährt, trägt es – so wird vielfach behauptet – einem langersehnten Wunsch dieser Menschen Rechnung. Bei den Parlamentswahlen wahlberechtigt zu sein, gibt den Auslandsungarn das Gefühl, bei der Regierung in Budapest und somit bei deren Politik gegenüber den ungarischen Minderheiten in den Nachbarsaaten sowie gegenüber den Ungarn in der weltweiten Diaspora ein Mitspracherecht zu besitzen.

R U MÄNIEN

Dennoch bleibt in Ungarn selbst dessen Beziehung mit den Ungarn im Ausland ein umstrittenes Thema. Diesbezügliche Diskussionen finden zwischen Linken und Rechten statt und reichen bis in die Mitte der 1990er Jahr zurück. Die Spannungen erreichten ihren Höhepunkt mit einem Referendum über die doppelte Staatsbürgerschaft im Jahr 2004, als die ungarische sozialistische Partei eine Kampagne gegen die Auslandsungarn fuhr. Nachdem im Jahr 2011 das neue Wahlgesetz, das den Auslandsungarn das Wahlrecht gewährte, verabschiedet worden war, entschuldigte sich der Chef der sozialistischen Partei in der rumänischen Stadt Klausenburg, in der der Anteil der ethnischen Ungarn besonders hoch ist, für die einstige Gegenkampagne. Offensichtlich haben

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Bei den Parlamentswahlen wahlberechtigt zu sein, gibt den Auslandsungarn das Gefühl, bei der Regierung in Budapest und somit bei deren Politik gegenüber den ungarischen Minderheiten in den Nachbarstaaten sowie gegenüber den Ungarn in der weltweiten Diaspora ein Mitspracherecht zu besitzen.


Erno ˝ Fancsali

Es gibt keinen legitimen Grund, diese Staatsbürger, nur weil sie in anderen Staaten leben, vom Wahlrecht auszuschließen. Dies zeigt auch die europäische Tendenz der letzten Jahre, besonders in Anbetracht der in ganz Europa stattfindenden Wirtschaftsmigration.

Ungarn trägt die Verantwortung für das Schicksal der Ungarn, die außerhalb der ungarischen Staatsgrenzen leben.

die Oppositionsparteien in Ungarn das Potential der auslandsungarischen Stimmen erkannt, und nun galt es, sich bei den Wahlen 2014 auf diese neue Situation einzustellen. Es gibt viele Gründe, warum Ungarn für seine außerhalb der Staatsgrenzen lebenden Landsleute das Wahlrecht einführte, aber der Grundgedanke ist, dass diese Bürger das Recht auf eine Stimme in der Regierung haben sollen. Die Ausweitung des Wahlrechts versteht sich als Ausdruck der nationalen Solidarität, der die Vision von einer grenzübergreifenden ungarischen Nation, die gewissermaßen eine Familie bildet, zu Grunde liegt. Jene Ungarn, die sich durch ihre Staatsbürgerschaft an ihre Heimat gebunden fühlen, sollten die Möglichkeit haben zu wählen – unabhängig davon, wo sie wohnen, sei es in den Nachbarstaaten oder irgendwo weiter entfernt im Ausland. Es gibt keinen legitimen Grund, diese Staatsbürger, nur weil sie in anderen Staaten leben, vom Wahlrecht auszuschließen. Dies zeigt auch die europäische Tendenz der letzten Jahre, besonders in Anbetracht der in ganz Europa stattfindenden Wirtschaftsmigration. Die steigende Zahl von Bürgern, die in einem anderen Land als in ihrem Vaterland leben und arbeiten, soll sich diesem weiterhin verbunden fühlen. Und wenn schließlich die Ungarn, die in den ungarischen Nachbarstaaten und im Rest der Welt leben, das Wahlrecht haben, bedeutet dies für die ungarische Regierung, dass sie ihrer Pflicht gerecht wird, so wie es die Verfassung vorsieht: „Ungarn trägt die Verantwortung für das Schicksal der Ungarn, die außerhalb der ungarischen Staatsgrenzen leben.“ Wie nehmen die Ungarn, die in Siebenbürgen leben, dieses Thema wahr? Viele Ungarn in Siebenbürgen glauben, dass sie Teil der ungarischen Nation sind. Die Anzahl jener, die nicht glauben, Teil der rumänischen Nation zu sein, ist im Steigen begriffen. Für viele ethnische Ungarn in Rumänien hat die ungarische Staatsbürgerschaft vorwiegend eine eine symbolische Bedeutung. Die Zahl jener, die nicht die ungarische Staatsbürgerschaft beantragen wollen, ist rückläufig. Einige Politiker aus Siebenbürgen kritisieren das Wahlrecht und die doppelte Staatsbürgerschaft der ungarischen Minderheit in Rumänien, aber die Zahl der Kritiker ist sehr niedrig. Bukarester Beamte haben kein Problem mit dem Thema. Traian B sescu sagte während seiner Amtszeit als Bürgermeister von Bukarest (2000–2004): „Wir haben keine Einwände gegen das ungarische Gesetz, das den ethnischen Ungarn außerhalb ihres Landes den Erwerb der ungarischen Staatsbürgerschaft erleichtert.“ 58


DANIEL TURP

Die doppelte Staatsbürgerschaft als Mittel zum Schutz von Minderheiten nach europäischen und internationalen Standards. Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft wurde in der wissenschaftlichen Literatur zu Völkerrecht, EU-Recht oder Verfassungsrecht bisher kaum berücksichtigt. Besonders ist dies der Fall, wenn es um die doppelte Staatsbürgerschaft mit Blick auf die Minderheiten geht, wenngleich in der Vergangenheit viele Diskussionen rund um die Staatsbürgerschaft im Allgemeinen, die europäische Staatsbürgerschaft oder die Staatsbürgerschaft von Einzelstaaten stattfanden. Um so begrüßenswerter sind dann Unternehmungen, die dazu beitragen, den Zusammenhang zwischen dem Minderheitenschutz und der Staatsbürgerschaft als ein Konzept an sich zu verstehen. Im Folgenden werde ich Fragen rund um die doppelte Staatsbürgerschaft aus der Sicht des Völkerrechts und des EU-Rechts erörtern, und am Schluss werde ich noch einige Fragen aus der Sicht des Verfassungsrechts ansprechen. Im Laufe meiner Ausführungen werde ich einige Verträge und Instrumente präsentieren, die für unsere Debatte besonders interessant sind. Geht es um das Recht auf die Staatsangehörigkeit und um das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft von Personen, welche laut Völkerrecht einer Minderheit angehören, ist es wichtig zu wissen, dass es im Völkerrecht ein eigenes Recht auf eine Staatsangehörigkeit gibt. Es mag überraschen, aber bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte aus dem Jahr 1948 heißt es in Artikel 15, dass Einzelpersonen und Bürger das Recht auf eine Staatsangehörigkeit haben. Einige Staaten haben dieses Recht insofern umgesetzt, als die meisten Verfassungen Regelungen vorsehen, wie man dieses Recht, d. h. beispielsweise durch Geburt, Zugehörigkeit oder Einbürgerung, erlangen kann. Auf jeden Fall gilt es festzuhalten, dass die Vorstellung von Staatsangehörigkeit als Menschenrecht bereits 1948 entstanden ist.

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Daniel Turp

Etwas Äquivalentes, doch nicht genau dasselbe, findet sich im Europäischen Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit aus dem Jahr 1997. In Artikel 4 ist immerhin davon die Rede, dass die Staaten das Recht auf eine Staatsangehörigkeit anerkennen sollen. Hierbei handelt es sich nicht um ein Recht, das durch das Übereinkommen von selbst anerkannt wird. Vielmehr handelt es sich um eine Verpflichtung jener Länder, die dem Übereinkommen beitreten, ein solches Recht anzuerkennen. Der sprachliche Rahmen des Übereinkommens ist somit ein anderer als jener in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

KA N A D A

Im Völkerrecht dagegen wurde die Frage der Staatsangehörigkeit hauptsächlich im Zusammenhang mit der Umsetzung des diplomatischen Schutzes erörtert. Dabei hat sich herausgestellt, dass ein Staat, der diplomatischen Schutz ausüben will, zuerst beweisen muss, dass dieser Schutz einem Bürger gelten soll, der sein Staatsangehöriger ist. Zu dieser Rechtsprechung gelangten u. a. der Ständige Internationale Gerichtshof 1923 („Nationality Decrees Issued in Tunis and Morocco“), der Internationale Gerichtshof 1955 (Fall Nottebohm, Rechtsstreit zwischen Lichtenstein und Guatemala) sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2012 (Fall Genovese versus Malta). Aber es gibt auch eine Einschränkung, und diese wird seit einiger Zeit sogar als ein Teil des Völkergewohnheitsrechts angesehen: Ein Staat kann zwar den Schutz seiner eigenen Staatsangehörigen ausüben, doch wenn diese die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen, kann der Staat seinen diplomatischen Schutz für diese Staatsangehörigen nicht im anderen Staat, in dem die zweite Staatsbürgerschaft gilt, ausüben. Auf den Fall Südtirol angewen-

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Doppelte Staatsbürgerschaft zum Schutz von Minderheiten

det, würde dies bedeuten, dass ein italienisch-österreichischer Doppelstaatsbürger – sich auf seine österreichische Staatsbürgerschaft berufend – nicht den Schutz durch Österreich einfordern kann, wenn in Italien ein Recht verletzt wird. Diese Regel wurde im fernen Jahr 1930 in Artikel 4 des Haager Abkommens über gewisse Fragen beim Konflikt von Staatsangehörigkeitsgesetzen verankert. Doch scheint sich diese Regel weiterzuentwickeln: Im Jahr 2007 entwarf die Völkerrechtskommission einen Artikel über den diplomatischen Schutz. Da es zu diesem Thema noch kein universelles Abkommen gibt, ist der Entwurf noch nicht Gesetz, doch besagt Artikel 7, dass ein Staat der Staatsangehörigkeit diplomatischen Schutz für eine Person gegenüber einem Staat, dessen Staatsangehöriger diese Person ebenfalls ist, dann ausüben darf, wenn die Staatsangehörigkeit des ersteren Staates überwiegt. Die Gesetzeslage ist somit im Wandel begriffen, und der Schutz eines Bürgers im anderen Staat, dessen Staatsangehörigkeit dieser Bürger besitzt, könnte zukünftig erlaubt sein, wenn bei ihm die Staatsbürgerschaft dieses Staates vorherrschend ist. Dies bedeutet, dass man wahrscheinlich in dem anderen Staat leben oder die meisten Aktivitäten haben muss. Der diplomatische Schutz im Zusammenhang mit der doppelten Staatsbürgerschaft wird auf jeden Fall weiterhin ein wichtiger Gegenstand der juristischen Diskussion bleiben. Werfen wir nun einen Blick in die Instrumente, Verträge und Erklärungen der Vereinten Nationen und anderer Stellen, wo es um den Schutz der nationalen Minderheiten geht. Interessanterweise wird dort die Frage der Staatsangehörigkeit gar nicht diskutiert. Nicht einmal in den Verträgen findet sie Erwähnung. Beispielsweise ist in der im Jahr 1992 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen oder ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten angehören, das Wort „Staatsangehörigkeit“ nicht einmal enthalten. Das heißt, es findet sich kein Hinweis auf das

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Die Gesetzeslage ist somit im Wandel begriffen, und der Schutz eines Bürgers im anderen Staat, dessen Staatsangehörigkeit dieser Bürger besitzt, könnte zukünftig erlaubt sein, wenn bei ihm die Staatsbürgerschaft dieses Staates vorherrschend ist.


Daniel Turp

Konzept der Staatsangehörigkeit, das Recht auf selbige sowie auf das Recht auf die doppelte Staatsbürgerschaft von Personen, die einer Minderheit angehören. Genausowenig ist dies der Fall im europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten. In diesem Übereinkommen, dem auch Italien und Österreich angehören, fehlt ebenfalls der Hinweis auf die Staatsangehörigkeit und den Erwerb derselben oder der Hinweis darauf, dass Staaten, in denen nationale Minderheiten leben, sowie Staaten, die in einem benachbarten Staat Volksangehörige des eigenen Staates haben, die doppelte Staatsbürgerschaft gewähren sollen. Es zeigt sich somit, dass im Völkerrecht die Frage der Staatsangehörigkeit, speziell wenn es um Minderheiten geht, kein Thema ist. In den im Jahr 2008 von der OSZE ausgesprochenen Bozner Empfehlungen zum Minderheitenschutz in zwischenstaatlichen Beziehungen wird die doppelte Staatsangehörigkeit, wenn es um Minderheiten geht, negativ bewertet. Mit der Frage der doppelten Staatsbürgerschaft in diesem Zusammenhang konfrontiert zu werden, wird von den Staaten offenbar als störend empfunden. Zu diesem Schluss gelangt man auf Grund der Empfehlung Nummer 11. Sie lautet: „Bei der Entscheidung über die Verleihung der Staatsbürgerschaft an eine Person im Ausland kann ein Staat die Sprache, die diese Person besser beherrscht, sowie ihre kulturellen, historischen oder familiären Bindungen in Betracht ziehen. Die Staaten sollten jedoch sicherstellen, dass bei einer solchen Verleihung der Staatsbürgerschaft die freundschaftlichen Beziehungen, einschließlich die gut-nachbarlichen, sowie die territoriale Souveränität respektiert werden, und sie sollten es unterlassen, Staatsbürgerschaften en masse zu verleihen, auch wenn die doppelte Staatsbürgerschaft im Wohnsitzstaat erlaubt ist. Für den Fall, dass ein Staat doppelte Staatsbürgerschaften als Teil seines Rechtssystems akzeptiert, sollte er keine Doppelstaatsbürger diskriminieren.“ – Die Abneigung gegenüber dem Umgang mit der doppelten Staatsbürgerschaft liegt also auf der Hand. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist zwar nicht verboten, aber es besteht die Vorstellung, dass ein Staat davon absehen sollte, die Staatsbürgerschaft an eigene Volksangehörige im fremden Staat, die dort eine Minderheit sind, „en masse“ zu verleihen – dies ist gewissermaßen der Schlüsselsatz.

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Doppelte Staatsbürgerschaft zum Schutz von Minderheiten

Diese Position zur doppelten Staatsbürgerschaft findet sich teilweise im Völkerrecht, wie wir bereits gesehen haben, sowie im EU-Recht, das im Folgenden weiter zu Sprache kommen wird, wieder. Auch wird noch die Frage der Staatsbürgerschaft im Verfassungsrecht zu diskutieren sein. Sowohl im Zusammenhang mit dem EU-Recht als auch mit dem Verfassungsrecht kann ein – noch weiter auszubauendes – duales Modell ins Spiel gebracht werden, nach dem die doppelte Staatsbürgerschaft ebenfalls funktionieren könnte: das Modell der supranationalen (über den Nationalstaaten stehenden) und das Modell der infranationalen (unter den Nationalstaaten stehenden) Staatsbürgerschaft. Eine supranationale Staatsbürgerschaft wäre für die Europäische Union interessant. Es sei daran erinnert, dass auf Grund des EU-Rechts die Bürger der Europäischen Union bereits Doppelstaatsbürger sind. Sie haben die Staatsangehörigkeit des Nationalstaates, aber sie haben auch die Staatsangehörigkeit der Europäischen Union. Dies scheint für niemanden ein Problem darzustellen und wirkt weder merkwürdig noch inakzeptabel, zumal die EU-Staatsangehörigkeit nationalen und ethnischen Minderheiten einige Rechte gewährt. Diese Rechte sind im Vertrag über die Europäische Union, im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union sowie in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union festgeschrieben. So besagt z. B. Artikel 22 der Charta, dass die Union kulturelle, religiöse und sprachliche Vielfalt respektieren muss. Gemäß dieser Verpflichtung könnten meines Erachtens die Angehörigen von nationalen Minderheiten innerhalb der EU dank einer supranationalen Staatsbürgerschaft besser geschützt werden. Vielfach ist dieser Artikel von der Europäischen Union noch nicht umgesetzt worden, aber er könnte eine Schlüsselrolle beim Schutz von Minderheiten innerhalb der Europäischen Union einnehmen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass sich der Europäische Gerichtshof für eine breite Interpretation offen zeigen wird. Abschließend möchte ich noch kurz auf die doppelte Staatsbürgerschaft aus der Sicht des Verfassungsrechts eingehen. Die Frage, in wie vielen Verfassungen weltweit die doppelte Staatsbürgerschaft Erwähnung findet, kann erst nach umfangreichen Forschungen beantwortet werden. Es kann jedoch festgehalten werden, dass manche Verfassungen das Modell der doppelten Staatsbürgerschaft, einschließlich jener für Minderheiten, durch-

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So besagt z. B. Artikel 22 der Charta, dass die Union kulturelle, religiöse und sprachliche Vielfalt respektieren muss. Gemäß dieser Verpflichtung könnten meines Erachtens die Angehörigen von nationalen Minderheiten innerhalb der EU dank einer supranationalen Staatsbürgerschaft besser geschützt werden.


Daniel Turp

aus akzeptieren und auch praktizieren. Manche Staaten, zum Beispiel Kanada, beschäftigen sich mit dieser Frage nicht in der Verfassung, sondern in der Gesetzgebung.

Die infranationale Staatsbürgerschaft könnte insofern als Mittel des Minderheitenschutzes verwendet werden, als mit ihr bestimmte Rechte geltend gemacht werden könnten. Ist zum Beispiel die Kenntnis der Sprache der Minderheit Voraussetzung für die infranationale Staatsbürgerschaft, kann man sich auf diese berufen, wenn es darum geht, die Sprache der Minderheit zu schützen und deren Identität und Kultur zu erhalten.

Interessant aus der Sicht des Verfassungsrechts ist die infranationale Staatsbürgerschaft. Sie wäre eine neuartige Form der doppelten Staatsbürgerschaft in Staaten, in denen nationale Minderheiten leben. In föderalistischen Staaten gibt es einige Beispiele für solche infranationalen Staatsbürgerschaften: Artikel 6 der Verfassung der Republik und des Kantons Genf sieht beispielsweise eine „nationalité genevoise“ vor, was mit „Genfer Bürgerrecht“ übersetzt wird. Artikel 8 der Verfassung des Freistaats Bayern spricht von „bayerischen Staatsangehörigen“. Artikel 8 der Nisga’a-Verfassung gewährt kanadischen Staatsbürgern, die dem indigenen Volk der Nisga’a angehören, die Nisga’a-Staatsbürgerschaft. Schließlich gibt es in Artikel 10 des Gesetzentwurfs Nr. 195 Québec Identity Act der Quebecer Nationalversammlung aus dem Jahr 2007 noch den Vorschlag, eine Quebecer Staatsbürgerschaft im kanadischen Bundeskontext einzuführen. Die infranationale Staatsbürgerschaft könnte insofern als Mittel des Minderheitenschutzes verwendet werden, als mit ihr bestimmte Rechte geltend gemacht werden könnten. Ist zum Beispiel die Kenntnis der Sprache der Minderheit Voraussetzung für die infranationale Staatsbürgerschaft, kann man sich auf diese berufen, wenn es darum geht, die Sprache der Minderheit zu schützen und deren Identität und Kultur zu erhalten. Es wäre zu überlegen, ob dieses Modell auch für Südtirol interessant sein könnte.

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JAN DIEDRICHSEN

Neue Zeiten im Norden: Dänemark ermöglicht doppelte Staatsbürgerschaft. Das Thema doppelte Staatsbürgerschaft ist aus dänischer Perspektive höchst aktuell, da es im deutsch-dänischen Grenzland zum ersten Mal seriös diskutiert wird. Dabei kann es aus zwei Perspektiven betrachtet werden: einerseits aus der Perspektive des Leiters des Sekretariats der deutschen Minderheit in der dänischen Regierung und im dänischen Parlament, wo ich mit den Regierungsvertretern und Abgeordneten seit nunmehr fast zehn Jahren zusammenspiele, andererseits aus der Perspektive eines Kämpfers auf europäischer Ebene, wo ich mich u. a., innerhalb der Föderalistischen Union Europäischer Völker (FUEV), seit sechs Jahren für Minderheitenrechte einsetze und dies weiterhin zu tun gedenke. Ferner ist die doppelte Staatsbürgerschaft zum einen eine rechtliche, zum anderen aber vor allem eine emotionale Frage – zumindest für sehr viele Minderheiten, darunter auch die deutsche Minderheit in Dänemark, der ich angehöre. Die doppelte Staatsbürgerschaft war für uns Deutsche in Dänemark nie ein Thema, schon gar nicht aus der Sicht des Minderheitenrechts. In diesem Zusammenhang die Geschichte im deutsch-dänischen Grenzland in ihren Einzelheiten zu beleuchten, würde jedoch zu weit führen. Es sei lediglich daran erinnert, dass der nationale Kampf zwischen Dänen und Deutschen im Grenzland, so wie in manch anderen Minderheitenregionen, über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte, äußerst hart geführt wurde. Unter der jeweiligen Besatzung kursierten viele Geschichten, die letztendlich häufig dazu dienten, die Minderheiten für einen nationalen Kampf zu instrumentalisieren. Um eine lange Geschichte sehr kurz zu machen: Nach 1945 dauerte es nur zehn Jahre, bis Dänemark und Deutschland wieder zueinander fanden. Im Gegensatz zu jenen Deutschen, die in den ehemaligen deutschen Ostgebieten zurückgeblieben waren, war es für uns als deutsche Minderheit in Dänemark das große Glück, dass wir nicht auf der falschen Seite des Eisernen Vorhangs lebten. Deutschland und Dänemark haben sich im Jahr 1955 gemeinsam hingesetzt und sich in den Bonn-Kopenhagener Erklärungen auf Minderheitenrechte geeinigt. Bei diesen Erklärungen handelt es

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Jan Diedrichsen

sich um zwei separate Regierungserklärungen von Deutschland und Dänemark, die völkerrechtlich nicht bindend sind und keinen Vertragscharakter, sondern nur empfehlenden Charakter haben. Sonstige minderheitenbezogene Vereinbarungen, die schriftlich festgelegt wären, liegen kaum vor. Die deutsche Minderheit in Dänemark findet somit weder Erwähnung in der Verfassung, noch profitiert sie von einem Minderheitengesetz. Dennoch haben die Bonn-Kopenhagener Erklärungen ein Modell geschaffen, demzufolge beide Staaten auf ihre Minderheit auf der jeweils anderen Seite der Grenze achten sollen. Dies hat man akzeptiert und nach und nach umgesetzt. Die Umsetzung ist nach dem so genannten „Check and Balances“-System vonstatten gegangen. Etwas platt formuliert heißt dies: Wenn die Dänen den Deutschen etwas Böses antun, dann tun auch die Deutschen den Dänen etwas Böses. Und wenn die Deutschen etwas Gutes kriegen, dann müssen die Dänen auch etwas Gutes kriegen.

D Ä N EMARK

Besagtes Verhandlungsmodell hat sich rückblickend als Erfolgsmodell erwiesen, da es sehr gut funktioniert. Zudem hat es eine Grundkonstante, deren Inhalt de facto leer ist: die Bekenntnisfreiheit. Diese bedeutet, dass das Bekenntnis zur Volkszugehörigkeit frei ist und von Amts wegen nicht überprüft werden darf. Beispielsweise in Dänemark darf man demnach nicht gefragt werden, ob man Däne oder Deutscher ist, oder ob man Friese oder Sinti ist. Für Außenstehende, besonders auch für Südtiroler, mag dieses Prinzip der Bekenntnisfreiheit, das bis in die höchsten Ebenen gilt, schwer zu verstehen sein, da es dem in Südtirol etablierten Proporzsystem sozusagen entgegengesetzt ist. Es sei an einen Fall erinnert, wo ein Bürgermeister in Dänemark meinte, es müsse geprüft werden, ob unsere deutschen Schulen, zumal diese eine besondere finanzielle Förderung in Anspruch nehmen, tatsächlich auch von deutschen Kindern besucht werden oder ob sich auch dänische Kinder daruntermischen. Die Forderung des Bürgermeisters wurde nicht erfüllt, denn auch in diesem Fall berief man sich auf das Prinzip der Bekenntnisfreiheit.

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Deutsche Minderheit in Dänemark

Nun steht die deutsche Minderheit vor einer neuen Herausforderung: die doppelte Staatsbürgerschaft. Aktuell sehr häufig wird gefragt: Welche Kriterien werden für die Vergabe der Staatsbürgerschaft an eine Minderheit angesetzt? Wie will man nach dem Prinzip der Bekenntnisfreiheit feststellen, wer zur Minderheit gehört und wer nicht? Derartige Fragen hatten sich bislang in Dänemark erübrigt, weil doppelte Staatsbürgerschaften gesetzlich nicht zugelassen waren. Wollte man Däne werden, musste man die bisherige Staatsbürgerschaft abgeben. Es galten auch keine Sonderregelungen. Doch nachdem in Deutschland seit dem 1. Dezember 2014 das neue Staatsangehörigkeitsgesetz in Kraft ist, kommt auch in Dänemark Bewegung in die Sache: Seit dem 1. September 2015 erkennt Dänemark die doppelte Staatsangehörigkeit im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedsstaaten an. Wenn sich deutsche Staatsangehörige in Dänemark einbürgern lassen möchten, müssen sie weder ihre deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben noch eine Beibehaltungsgenehmigung vorlegen.

D EUTSC H LAND

Doch was für Auswirkungen hat die neue Gesetzeslage auf die dänische Minderheit in Südschleswig und die deutsche Minderheit in Nordschleswig? Erstere sind per definitionem deutsche Staatsbürger, so wie ich dänischer Staatsbürger bin. Die dänische Minderheit in Südschleswig reagierte durchaus positiv. Eine zweite Staatsbürgerschaft zu beantragen, findet sie jedoch weniger vor dem minderheitenrechtlichen Hintergrund interessant, sondern vor allem deshalb, weil eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen wird, die Identität zu stärken und die Verbundenheit mit dem Mutterland zu unterstreichen. Feststeht soweit, dass das dänische Parlament für das Modell der doppelten Staatsbürgerschaft sich nunmehr grundsätzlich offen zeigt. Doch da die dänische Minderheit in Südschleswig keinen Wohnsitz in Dänemark hat, müsste als Nächstes eine Änderung in der Gesetzgebung vorgenommen werden. Mit diesem Vorhaben geht – und damit sind wir wieder bei dem bereits angesprochenen „Check and Balances“-System – dieselbe Forderung an Deutschland einher. Für Deutschland ergibt sich hierbei das

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Seit dem 1. September 2015 erkennt Dänemark die doppelte Staatsangehörigkeit im Verhältnis zu anderen EU-Mitgliedsstaaten an. Wenn sich deutsche Staatsangehörige in Dänemark einbürgern lassen möchten, müssen sie weder ihre deutsche Staatsbürgerschaft aufgeben noch eine Beibehaltungsgenehmigung vorlegen.

Feststeht soweit, dass das dänische Parlament für das Modell der doppelten Staatsbürgerschaft sich nunmehr grundsätzlich offen zeigt.


Jan Diedrichsen

Problem, dass Deutschland noch weitere deutsche Minderheiten in Europa hat. Mit der Eröffnung dieser Diskussion befinden wir uns meines Erachtens in einem der wichtigsten politischen Prozesse seit 1955, wenn es um die Entwicklung der faktischen Rechte der Minderheiten im deutsch-dänischen Grenzland geht. Allerdings ist der Begriff „Recht“ in diesem Zusammenhang meines Erachtens insofern irreführend, als eine zusätzliche Staatsbürgerschaft auf die beiden jeweiligen Minderheiten keine rechtlichen Einflüsse haben wird. Beide Minderheiten sind so gut abgesichert, dass in rechtlicher Hinsicht die zweite Staatsbürgerschaft keine Rolle spielen würde. Dies bedeutet aber nicht, dass sie nicht wesentlich wäre.

Wäre noch vor zwanzig oder dreißig Jahren die doppelte Staatsbürgerschaft Thema der politischen Diskussion gewesen, wäre sie ein Fall für die nationalen Parlamente geworden, und man hätte sich den Vorwurf eingehandelt, dass man die Minderheiten instrumentalisieren wolle.

Als Angehöriger der deutschen Minderheit würde ich mich über die Möglichkeit, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen, sehr freuen. Aber das im Laufe von über 60 Jahren gewachsene deutsch-dänische Grenzlandmodell, das auf der Bekenntnisfreiheit fußt, dürfte für einen zweiten Pass keinesfalls aufgegeben werden. Genau derart inhaltlich interessante und aber zum Teil auch sehr kontroverse Diskussionen sind zur Zeit im Gange, und dabei ist man, besonders wie in der jüngeren Vergangenheit, stets um gegenseitige Verständigung bemüht. Wäre noch vor zwanzig oder dreißig Jahren die doppelte Staatsbürgerschaft Thema der politischen Diskussion gewesen, wäre sie ein Fall für die nationalen Parlamente geworden, und man hätte sich den Vorwurf eingehandelt, dass man die Minderheiten instrumentalisieren wolle. In der Zwischenzeit wurde jedoch zwischen Deutschland und Dänemark ein Vertrauensverhältnis aufgebaut, auf dessen Basis bislang die Probleme immer gelöst werden konnten. Wie sich die Möglichkeiten rund um die doppelte Staatsbürgerschaft speziell für die jeweilige Minderheit in fünf oder sechs Jahren entwickelt haben werden, bzw. welche gesetzlichen Regelungen konkret gelten werden, bleibt abzusehen – ebenso, ob eine zweite Staatsbürgerschaft von den Minderheiten entsprechend gewünscht sein wird. Nicht nur die Perspektiven, aus denen man sich dieser Thematik nähert, sondern auch deren Umsetzungen sind weltweit recht unterschiedlich. Es sei zum Beispiel an Polen erinnert, wo die doppelte Staatsbürgerschaft weder offiziell verboten noch offiziell erlaubt ist, sondern toleriert wird und sich daher in einem Graubereich befindet.

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Deutsche Minderheit in Dänemark

Abschließend möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es für uns als deutsche Minderheit entscheidend ist, dass das gewachsene historische Modell, das wir im deutsch-dänischen Grenzland leben, nicht in Frage gestellt wird durch die Möglichkeit des Erwerbs der doppelten Staatsbürgerschaft als Akt, der zwar grundsätzlich wichtig ist, doch dem in unserem Fall nur eine symbolische Bedeutung zukäme. Europas Minderheiten sind vielfältig, weshalb jede Situation in Europa individuell zu beleuchten ist. Entsprechend zu unterscheiden ist beispielsweise die Situation der 20.000 bis 25.000 Deutschen in Dänemark von jener der Südtiroler, die über eine Mehrheitsautonomie verfügen. Auch gilt es, sich im Rahmen des Völkerrechts zu bewegen und vor allem die Staaten für die doppelte Staatsbürgerschaft zu gewinnen. Wenn die Staaten in dieser Frage nicht mitspielen, kann es ein sehr harter Kampf werden. Doch genau diesen zeichnen wiederum Minderheiten aus. Schließlich gibt es auch Kämpfe, die wir durchaus gewinnen können, und ich bin ganz zuversichtlich, dass uns dies in diesem Fall gelingen wird.

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ANDREA CARTENY

Zugänge zu doppelten Staatsbürgerschaften in den Donauregionen: Die Fälle Slowakei, Rumänien und Moldawien. Mein Beitrag versteht sich, angesichts der Komplexität des Themas, als Einführung. Den Schwerpunkt bildet dabei der historische Zugang zur doppelten Staatsbürgerschaft und damit auch der Zugang zu einer Kultur des Gespürs für Toleranz sowie des Respekts vor der Staatsbürgerschaft im Sinne einer Nationalität innerhalb der Donauregionen. Dies deshalb, weil – wie bereits aus anderen Beiträgen interessanterweise hervorgeht – die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft mit Umsicht zu behandeln ist, um eben unerwünschten Reaktionen von Seiten der Regierungen vorzubeugen. Vielmehr geht es darum, für Respekt vor dem Gefühl für die Wertschätzung der individuellen und kollektiven Rechte zu sensibilisieren. Das kollektive Recht unter Rücksichtnahme auf die eigene Identität ist ein in den Donau- und Balkanregionen sehr präsentes und stark gefühltes Thema. Die geografischen Schwerpunkte meiner Ausführungen liegen auf der Slowakei, Rumänien und Moldawien. Warum? Mein Forschungsgebiet ist die Geschichte Osteuropas, insbesondere jene der Ungarn im Karpatenbecken. Unter anderem habe ich in Siebenbürgen studiert, und deshalb habe ich die dortige Situation zum Teil auch miterlebt. Die Frage der Ungarn im Karpatenbecken ruft positive wie negative Empfindlichkeiten hervor, sowohl in der Slowakei als auch in Rumänien und Moldawien. Die Slowakei bzw. die Slowaken sind in mehrerlei Hinsicht interessant: Der Süden der Slowakei ist ungarisches Siedlungsgebiet – dieser Streifen wird von früheren Historikern auch als „ethnischer Block Oberungarns“ bezeichnet. Slowaken siedeln andererseits als Minderheit in Ruthenien sowie in Siebenbürgen in Rumänien. Ferner finden wir sie in Serbien, wo sie eine größere Gemeinschaft mit einer stark ausgeprägten ethnisch-kulturellen Identität bilden. Allerdings sind sie auf die Dörfer zerstreut, teilweise assimiliert, wobei sie sich mittlerweile wieder auf ihre Wurzeln besinnen und entsprechende Aktivitäten wieder aufgenommen haben. Die meis-

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Andrea Carteny

Das neue ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz gestattete es den außerhalb des ungarischen Staatsgebietes siedelnden Ungarn, nicht nur die ungarische Staatsbürgerschaft zu erwerben, sondern auch, einige Rechte zuerkannt zu bekommen, insbesondere das Recht, ungarischer Herkunft zu sein, und dies unter Beibehaltung der nicht-ungarischen Staatsbürgerschaft.

ten Slowaken außerhalb der Slowakei siedeln auf ungarischem Staatsgebiet, vornehmlich im Zentrum und im Süden. Mit dem Bevölkerungsaustausch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde das Problem – glücklicherweise – nicht gelöst, und zwar insofern, als im Süden der Slowakei eine starke ungarische Gemeinschaft geblieben ist, die fast zu einem ethnischen Block geworden ist, wenngleich sie früher viel größer war. Innerhalb der fünf Millionen zählenden Bevölkerung der Slowakei macht die ungarische Gemeinschaft heute mehr als zehn Prozent aus. Auf der anderen Seite gibt es die slowakischen Gemeinschaften außerhalb der Slowakei, und diese bilden sozusagen das Gegenstück, wenn es darum geht, für die Ungarn in der Südslowakei Autonomie einzufordern. Die Frage ist somit bekanntermaßen recht komplex und muss auf Grund der unterschiedlichen historischen Gegebenheiten und der Rechtslagen, die in diesen Ländern anzutreffen sind, regionenspezifisch angegangen werden. Um ein Beispiel zu nennen: Gleichzeitig mit der doppelten Staatsbürgerschaft wird deren Verbot diskutiert. Dies war unter anderem der Fall in der Slowakei. Dabei handelte es sich praktisch um eine Reaktion auf das von Ungarn im Jahr 2010 eingeführte Gesetz zur doppelten Staatsbürgerschaft für die außerhalb Ungarns lebenden ethnischen Ungarn. Dieses Gesetz, das von der zweiten Orbánregierung auf den Weg gebracht worden war, sorgte in der Slowakei für viel Aufsehen. Plötzlich war von einem „Statusgesetz“ die Rede, einer Art Subnationalität oder Unterstaatsbürgerschaft. Das neue ungarische Staatsbürgerschaftsgesetz gestattete es den außerhalb des ungarischen

SL O WA KEI R UMÄ N I EN

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Doppelte Staatsbürgerschaft in der Slowakei, Rumänien Doppelte Staatsbürgerschaft in der Slowakei, Rumänien und Moldawien

Staatsgebietes siedelnden Ungarn, nicht nur die ungarische Staatsbürgerschaft zu erwerben, sondern auch, einige Rechte zuerkannt zu bekommen, insbesondere das Recht, ungarischer Herkunft zu sein, und dies unter Beibehaltung der nicht-ungarischen Staatsbürgerschaft. Das Gesetz wurde sehr kontrovers diskutiert und auf politischer Ebene bekämpft, nicht nur in der Slowakei, teilweise auch in Rumänien. Seit der Einführung des ungarischen Gesetzes ist die Slowakei bemüht, dass dieses auf die slowakischen Staatsbürger möglichst limitiert zur Anwendung kommt. Und das Thema beschäftigt auch die Juristen. Es geht um die Frage, ob und inwiefern die doppelte Staatsbürgerschaft als Mittel zur Verletzung der nationalen Souveränität eingesetzt werden kann. Mit dieser Frage werden sich auch zukünftige Generationen auseinandersetzen müssen. Dabei wird sichergestellt werden müssen, dass der Grundsatz der Solidarität keine Einschränkung des individuellen und kollektiven Rechts der europäischen Bürger oder grundsätzlich von Bürgern unter einer demokratischen Regierung bedeutet. Vor diesem Hintergrund wurde in der Slowakei über die doppelte Staatsbürgerschaft diskutiert.

M OLDAWIEN

Allerdings war den Slowaken das Modell der doppelten Staatsbürgerschaft nicht unbekannt. Es existierte bereits in der Tschechoslowakei und baute auf die österreichisch-ungarische Tradition auf, deren Ansatz darin bestand, die lokalen Nationalitäten mit der österreichisch-ungarischen Staatsbürgerschaft zu verknüpfen. Mit letzterer wurde weniger die nationale Identität als vielmehr die Treue zur Monarchie zum Ausdruck gebracht. Dies war bekanntermaßen bis vor dem Ersten Weltkrieg im gesamten Habsburgerreich der Fall. Mit dem System der

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Andrea Carteny

Die Tschechen beantragen die slowakische Staatsbürgerschaft, oder die Slowaken beantragen die tschechische.

Nachfolgestaaten hat sich die Sachlage geändert, doch die Rechtskultur ist in diesen Regionen teilweise geblieben. Aus diesem Grund mag die heftige Reaktion der Slowakei im Jahr 2010 befremdlich erscheinen, zumal die Regierung Fico in anderen Situationen bereits durchaus Pragmatismus an den Tag gelegt hatte. Die Anwendung der ungarischen Staatsbürgerschaft auf die eigenen Bürger einzuschränken, zeugt von einem nationalistischen Ansatz. Und dieser kommt nicht von ungefähr: In einem von der europäischen Universität Fiesole vorgelegten Bericht wird darauf hingewiesen, dass das Konzept der Staatsbürgerschaft und jenes der Nationalität oder eines Volkes oft verwechselt werden. Hinter dieser Verwirrung mag die Absicht stecken, eine Art Heiligkeit der Rechte des Staates oder der Loyalität eines Bürgers als unantastbar zu rechtfertigen. Und somit ergibt sich in der Slowakei das Problem paradoxerweise nicht so sehr gegen die Ungarn, sondern hingegen deutlicher gegenüber den Tschechen. Nach 1918 und 1992/93 mit der Teilung der tschechoslowakischen Republik gab es nunmehr zum Beispiel viele Mischfamilien. Die gegenseitige Nähe der Sprachen hatte zu einer starken gegenseitigen Abhängigkeit geführt, ebenso zu einer starken Mobilität. Daher sind es bis heute nicht Wenige, die, obwohl die Grenze – die so genannte ethnisch-sprachliche Grenze – ziemlich genau festgelegt ist, die jeweils andere Staatsbürgerschaft beantragen können und damit über zwei Staatsbürgerschaften verfügen dürfen. Die Tschechen beantragen die slowakische Staatsbürgerschaft, oder die Slowaken beantragen die tschechische. Doch in Tschechien ist, im Gegensatz zur Slowakei, der Zugang zur doppelten Staatsbürgerschaft mehr im Einklang zu dem, was bis 1969 eine tschechoslowakische Staatsbürgerschaft ausmachte. Nach 1968 wurde unter dem sozialistischen Regime das Land föderalisiert. Ebenso wurde der Kontext für eine tschechische oder slowakische Staatsbürgerschaft innerhalb des tschechoslowakischen Staates rechtmäßig begründet. Nun bestand die Möglichkeit, beide Identitäten anzuerkennen. Offen behielt man sich aber auch die Möglichkeit des Vorhandenseins von unterschiedlichen Empfindlichkeiten in der Frage der Zugehörigkeit. Die diesbezügliche Einstellung der Slowakei ist vergleichsweise restriktiver. Für jene, die die Staatsbürgerschaft erwerben wollen, gilt es es, – so, wie wir später hören werden, auch in Rumänien – einen Eid zu leisten. Jene, die bereits im Besitz der Staatsbürgerschaft sind, müssen dies nicht tun. Es ist bezeichnend, dass jedoch im ersteren Fall auf gesetzlicher Ebene der Beweis der Loyalität eines Bürgers

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Doppelte Staatsbürgerschaft in der Slowakei, Rumänien und Moldawien

gegenüber seinem Saat erbracht werden muss. Nach welchem Grundsatz wird somit beispielsweise die doppelte ungarische Staatsbürgerschaft bekämpft? Wenn jemand als slowakischer Staatsbürger der Südslowakei beispielsweise völlig natürlich Szabó Kovács heißt, also einen typisch ungarischen Namen trägt, besucht er auch die ungarische Schule und lebt in einer Region, in der der ungarische Anteil über 90 Prozent ausmacht. Doch wenn diese Person als slowakischer Staatsbürger sich auf ihre ungarische Volkszugehörigkeit berufend ungarischer Staatsbürger werden will, verstößt sie gegen das Prinzip der politischen Nation, genau genommen, gegen das französische Prinzip der Zugehörigkeit zur politischen Nation getreu dem Zitat von Ernest Renan: „La nation, c’est un plébiscite de tous les jours“ – „die Nation ist ein tägliches Plebiszit“. Das heißt, jeden Tag will ich Teil der französischen Nation sein. Es darf also nicht sein, dass jemand einer anderen Nation oder einem anderen Staat angehören will. Darüber hinaus ergeben sich im Verlauf der Geschichte Fragen, die immer ein bisschen schwierig sind. Beispielsweise erließ die Slowakei unmittelbar nach dem ungarischen Gesetz eine Gesetzesänderung, um gegen den Antrag auf die ungarische Staatsbürgerschaft vorzugehen. Der Antrag auf die ungarische Staatsbürgerschaft wurde meldungspflichtig. Wird er nicht gemeldet, macht man sich strafbar. Wird er freiwillig gemeldet, verliert man die bisherige Staatsbürgerschaft. Genau dies ist auf der Grundlage von einigen Gesetzesänderungen geschehen. Dies hatte natürlich Einsprüche zur Folge, ebenso weitere Gesetzesanpassungen und Änderungen. Hierbei stellte sich zum Beispiel heraus, dass diejenigen, die auf der Grundlage der vorangegangenen Gesetze die doppelte Staatsbürgerschaft beantragt hatten, nicht betroffen waren. Die Gesetzesänderungen galten nämlich nicht rückwirkend. Dies hätte jedoch auch anders sein können, denn wenn jemand, zu seinem eigenen Prinzip gelangend, Teil eines Staates sein will, der nicht seiner ist, kann er als Feind des Staates bezeichnet werden. Handelt es sich hierbei um Terrorismus? Nein, denn zum Terrorismus gibt es spezielle Gesetze, die mittlerweile recht verbreitet sind. Mitunter dienen sie auch dazu – zu Recht oder zu Unrecht – die Meinungs- oder Handlungsfreiheit einzuschränken. Und dies war in etwa auch der Zugang in der Slowakei. Allerdings handelt es sich dabei vielmehr um eine Sache zwischen den Staaten als unter der Bevölkerung. Derartige Situationen werden letzten Endes politisch genutzt, um ein Niveau des Konsenses zu halten, etwa im Verwaltungsapparat und in den Sektoren einer Gesellschaft

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Andrea Carteny

mit nationalistischen Ansätzen. In der Slowakei ist die Frage der ungarischen Staatsbürgerschaft sicherlich auch deshalb zum Problem geworden, zumal sie den Ansatz zu einer Territorialautonomie bedeuten würde. Eine diesbezügliche Diskussion wird tunlichst gemieden, weil man die Gefahr einer Sezession befürchtet. Dasselbe gilt übrigens für Rumänien, und die Befürchtung kommt nicht von ungefähr. Man erinnert sich immer noch an den Ersten Wiener Schiedsspruch von 1938 (mit dem Gebiete mit ungarischer Bevölkerungsmehrheit in der Südslowakei und in der Karpatoukraine von der Tschechoslowakei abgetrennt und Ungarn zugesprochen wurden) sowie an den Zweiten Wiener Schiedsspruch von 1940 (mit dem Rumänien vom nationalsozialistischen Deutschen Reich und vom faschistischen Italien gezwungen wurde, u. a. einen Teil Siebenbürgens an Ungarn abzutreten). Über bestimmte Fragen darf daher nicht geredet werden. Pressburgs kühle Haltung und Versteifung, die letztlich in der Gesetzesänderung zur doppelten Staatsbürgerschaft gipfelte, ist eben auch vor diesem Hintergrund zu sehen. Zudem müssen viele Angehörige der ungarischen Gemeinschaft – Angehörige somit, die direkt vor Ort wohnen – jeden Tag mit diesen Gegebenheiten leben. Einige finden, dass das Staatsbürgerschaftsgesetz von der Orbánregierung nicht klug war, weil sie sich vorher mit ihnen nicht abgesprochen hatte. Es geht immer um die übliche Frage: Sollte man eher pragmatisch sein, in kleinen Schritten die Dinge angehen, um besser überleben zu können, oder sollte man reißerisch vorgehen, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen und um auch gewissermaßen die Frage zu internationalisieren? Vor demselben Problem stehen Rumänien und Moldawien. Im Folgenden werde ich insbesondere den rumänischen Umgang mit dieser Thematik beschreiben. Warum? Rumänien und Moldawien haben, so wie die Slowakei und Tschechien, einen gemeinsamen Vorgängerstaat: Großrumänien, das am 1. Dezember 1918 entstand. Seit März 1918 gibt es das Rumänische Nationalkomitee (im vergangenen Jahr fand in Rom – in einem für die rumänische Gemeinde im Grunde peripheren Ort – eine Feier des Rumänischen Nationalkomitees statt, und diese wurde als erste Proklamation der Bessarabien-Union mit Rumänien angesehen). Die Verfassung des einstigen Rumäniens – vom großen Königreich bis zum Königreich Großrumänien – ist ein historischer Bezugspunkt mit einem hohen emotionalen Wert für

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Doppelte Staatsbürgerschaft in der Slowakei, Rumänien und Moldawien

die gesamte rumänische Welt. Dies nicht nur für die Moldawier, sondern auch für die Rumänen im ukrainischen Czernowitz – die Rumänen im Norden; ebenso für die Rumänen der Donauregionen, beispielsweise der Donaumündung. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass auch hier das Prinzip des „ius sanguinis“, das Abstammungsprinzip, gilt. Die Staatsbürgerschaft und eine Nationalität kann also unter Berufung auf die eigenen Vorfahren, deren rumänische Staatsangehörigkeit oder Nationalität zu erweisen ist, geltend gemacht werden. Das Kriterium ist demnach in diesem Fall ebenfalls die gemeinsame Geschichte. Dies bedeutet in der Praxis, dass, wie übrigens in sämtlichen Zeitungen berichtet wurde, alle Moldawier rumänische Vorfahren nachweisen können. Konkret also: Wenn aus den Registern, Namen und Dokumenten tatsächlich hervorgeht, dass jemand seit Generationen in Moldawien lebt, dann können im Grunde all diese Personen die rumänische Staatsbürgerschaft erwerben. Diese neue Möglichkeit hat einen kleinen Schwarzmarkt geschaffen, der in den letzten Jahren regelrecht explodiert ist. Die Frage der rumänischen Staatsbürgerschaft für die Bürger der Republik Moldawien ist bis heute sehr im Umlauf. Was bedeutet es für einen Moldawier, der sich ansonsten eigentlich kaum für die Staatsbürgerschaft interessiert, die rumänische Staatsbürgerschaft zu erwerben? Er tritt in die Europäische Union ein, und von der Europäischen Union in den Schengenraum. Er betreibt Handel und kann sich frei bewegen. Das heißt, er genießt eine Reihe von Vorteilen, was er als Moldawier aus der ehemaligen Sowjetunion nicht tut. Diese Vorzüge haben zu einer hohen, vielleicht zu hohen Anzahl von Ansuchen um die rumänische Staatsbürgerschaft geführt. Ein Teil der Ansuchen wurde, wie sich später herausstellte, auf der Basis von Dokumentationen angenommen, die gekauft waren. Es kam zu einem Pass-Skandal. Doch was uns interessieren sollte, ist nicht dieser Pass-Skandal als solches, sondern vielmehr der in diesem Zusammenhang geführte politische Diskurs. Es geht um die Frage, wann die Vergabe der doppelten Staatsbürgerschaft effektiv notwendig und wie diese effektiv zu verwalten ist. Alle, die nach dem Abstammungsprinzip nachweisen können, dass sie zurück bis zur dritten Generation rumänische Vorfahren haben, können die rumänische Staatsbürgerschaft beantragen. Gewissermaßen als Garantie dafür müssen sie die Hingabe an das rumänische Land und an das rumänische Volk schwören. Wozu hat dies geführt? Dies hat zu einem Wahlmotiv geführt, das wir auch von den Auslandsungarn kennen. Auf Grund der

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Die Staatsbürgerschaft und eine Nationalität kann also unter Berufung auf die eigenen Vorfahren, deren rumänische Staatsangehörigkeit oder Nationalität zu erweisen ist, geltend gemacht werden.

Alle, die nach dem Abstammungsprinzip nachweisen können, dass sie zurück bis zur dritten Generation rumänische Vorfahren haben, können die rumänische Staatsbürgerschaft beantragen.


Andrea Carteny

Jene Ungarn, die die ungarische Staatsbürgerschaft beantragen, machen höchstens eine halbe Million aus. Es ist also nicht die gesamte Gemeinschaft, die geschlossen agiert.

für sie günstigen Rechte neigen sie dazu, die Orbánregierung bzw. deren Partei Fidesz („Ungarischer Bürgerbund“) zu wählen. Ähnlich bringen in Rumänien die Staatsbürgerschaftspolitik und der Ausbau des Einflusses Rumäniens auf die Republik Moldawien die neuen im Ausland lebenden rumänischen Staatsbürger dazu, für die Regierungspartei zu stimmen. In diesem Fall ist es die demokratische Partei von Traian Ba˘sescu, der in seiner Zeit als Präsident (2004–2014) diese Bevölkerungsschicht im Wählerbecken hatte. In den letzten Jahren kam es bis zu einer halben Million Anfragen. Diese Zahl ist, angesichts der 22 Millionen Rumänen, die im Land selbst sowie der anderthalb Millionen, die im Ausland leben, überschaubar. Aber aus politischer Sicht kann sie interessant sein. Auf der anderen Seite kommen die Ungarn in Rumänien auf die annähernd gleiche Zahl. Wie hoch sie genau ist, weiß man nicht, doch sie ist im Sinken begriffen. Jene Ungarn, die die ungarische Staatsbürgerschaft beantragen, machen höchstens eine halbe Million aus. Es ist also nicht die gesamte Gemeinschaft, die geschlossen agiert. Auch dies gilt es zur Kenntnis zu nehmen. In der Slowakei beispielsweise gibt es sehr wenige Antragsteller. Im Gegensatz zur Slowakei gewährt Rumänien durchaus die zweite Staatsbürgerschaft, tendiert aber dennoch zu gewissen Einwänden, zum Beispiel bei der Dokumentation. Es gelten Regeln, denen zufolge vom anderen Land, das die Souveränität ausübt und die Zuständigkeit besitzt, verlangt wird, Dokumentationen, Beweise und Zeugnisse vorzulegen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es zur doppelten Staatsbürgerschaft einen negativen Zugang geben würde. Aber es zeigt sich, dass in Rumänien die ungarische Staatsbürgerschaft für die eigenen rumänischen Staatsbürger negativer eingestuft wird als die rumänische Staatsbürgerschaft für die Moldawier. Die Moldawier leben in einer Gemeinschaft mit den Slawen, die immerhin 30, 40 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Der slawische Teil der moldawischen Bevölkerung hat auch ein politisches Gewicht und hat die doppelte Staatsbürgerschaft verurteilt. Es wurde argumentiert, dass die zweite Staatsbürgerschaft – obwohl diese für moldawische Staatsbürger gesetzlich vorgesehen ist – Ausdruck der Loyalität gegenüber einem Staat ist, von dem man nicht regiert wird und für den man keine Regierungsverantwortung übernehmen kann. Diese Diskussion ist äußerst interessant, denn es geht hierbei um das Ausmaß der Loyalität und der Rechte innerhalb eines Konzeptes. Das moldawische Parlament verabschiedete im Jahr 2007 ein Gesetz, dass es Bürgern mit doppelter

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Doppelte Staatsbürgerschaft in der Slowakei, Rumänien und Moldawien

Staatsangehörigkeit untersagte, öffentliche Stellen zu bekleiden und im Parlament ein politisches Mandat auszuüben. Daraufhin haben moldawische Abgeordnete mit moldawisch-rumänischer Doppelstaatsbürgerschaft Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Sie argumentierten, dass durch dieses Gesetz Unterschiede zwischen Bürgern desselben Staates geschaffen würden. Die Klage wurde angenommen. Es klingt paradox, aber erst unter Bezugnahme auf die Gleichheit der Bürger unter ein- und derselben Staatshoheit erwirkt man dieses Recht, das von derselben Hoheit verneint wurde. Juristen mögen einmal mehr davon beeindruckt sein, wie man sich ein- und demselben Gesetz aus der rechtlichen Sicht einer Person und weniger hingegen aus der Sicht eines Staates nähert. Zum Abschluss sei noch einmal auf den in der Politologie bestehenden Unterschied zwischen Nation und Staat, zwischen Nationalität und Staatsbürgerschaft hingewiesen, doch aus rechtlicher Sicht gelingt es nicht, diese Unterschiede auch anzuwenden. In diesem Zusammenhang sei an einen Entwurf für ein baskisches Statut erinnert, in dem ein Unterschied zwischen der baskischen Staatsbürgerschaft und der baskischen Nationalität vorgesehen war, und zwar im folgenden Sinne: Zu den baskischen Bürgern zählen alle im Baskenland ansässigen spanischen Staatsbürger; die baskische Nationalität besitzen aber nur jene Bürger, die sich einer baskischen Familie und der baskischen Sprache rühmen können. Besagter Statutsentwurf passierte nicht einmal die erste Gerichtsinstanz, eben deshalb, weil er eine Unterscheidung zwischen Bürgern desselben Staates schuf. Dennoch war der Entwurf interessant. Mit diesem wurde nämlich erstmals versucht, im europäischen Rechtsrahmen einen Unterschied zu integrieren, der in der akademischen Debatte durchaus gemacht wird. Ihn jedoch auf die Rechtsstrukturen anzuwenden, ist schwierig.

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ALEXANDRA VON SCHANTZ

Doppelte Staatsbürgerschaft in Finnland und das åländische „Hembygdsrätt“. Finnland ist ein zweisprachiges Land, in dem ungefähr fünf bis sechs Prozent der Bevölkerung Schwedisch als Muttersprache sprechen. Åland, die Inselgruppe zwischen Finnland und Schweden, gehört zu Finnland und ist als autonome Region bekannt. Im Jahr 1856 nach dem Krimkrieg wurde Åland für entmilitarisiert und 1921 für neutralisiert erklärt. 1920 wurde den Ålandinseln vom finnischen Parlament eine weitreichende Autonomie gewährt. Laut Gesetz ist Åland die einzige einsprachig schwedische Region Finnlands. Autonom zu sein, bedeutet für uns Åländer, dass unsere Inselgruppe zwar Teil von Finnland ist, wir uns jedoch selbst verwalten. Åland war in seiner Geschichte immer schon schwedischsprachig, und seit je war dessen Kultur jener von Schweden sehr ähnlich. Åland wie auch Finnland waren Teil des Schwedischen Königreichs bis 1808/1809, als Schweden gezwungen wurde, Finnland und Åland an Russland abzugeben. Laut den letzten Statistiken beträgt die Bevölkerung Ålands 28.916. Die große Mehrheit, das sind 89 Prozent, spricht Schwedisch. Trotz seiner sprachlichen Homogenität gibt es auf Åland auch eine reiche Sprachenvielfalt. Es sind mehr als 50 verschiedene Sprachen vertreten, und die offizielle Bevölkerungsstatistik aus dem Jahr 2012 zeigt, dass ungefähr 15 Prozent der Einwohner Ålands aus 91 Herkunftsländern eingewandert sind. Die meisten Einwanderer stammen aus Schweden. Ungefähr sechs Prozent der Bevölkerung, das sind 1.700 Personen, kamen aus nicht-skandinavischen Ländern. Die Herkunftsländer außerhalb der EU sind meistens Thailand, Russland, Iran und die Philippinen. Da Åland trotz seiner Autonomie ein Teil Finnlands ist, unterliegen die Åländer als Staatsbürger Finnlands dem finnischen Gesetz. Wie kann die finnische Staatsbürgerschaft erworben werden? Die Bürger in Finnland erwerben die finnische Staatsbürgerschaft durch Geburt, Eheschließung der Eltern oder durch Adoption.

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Alexandra von Schantz

Zusätzlich kann die finnische Staatsbürgerschaft erworben werden, nachdem bei den Behörden ein entsprechender Antrag eingereicht wurde. Die finnische Staatsbürgerschaft beruht in erster Linie auf dem Grundsatz des „ius sanguinis“ (Blutsrecht). Dieses entspricht dem gesamtstaatlichen Recht, demzufolge die Staatsbürgerschaft nicht durch den Geburtsort, sondern vielmehr durch einen oder beide Elternteile, die Bürger eines bestimmten Staates sind, bestimmt wird. Kinder sind bei ihrer Geburt automatisch dann finnische Staatsbürger, wenn ihre Eltern bereits die Staatsbürgerschaft dieses Staates besitzen. Um ein Beispiel zu nennen: Mein jüngerer Bruder wurde in Deutschland geboren und erlangte nach dem Grundsatz des „ius sanguinis“ bei der Geburt die finnische Staatsbürgerschaft, da beide Eltern die finnische Staatsbürgerschaft besitzen. Später entschied er, zusätzlich die deutsche Staatsbürgerschaft zu erwerben, was recht einfach ging. Demnach ist er jetzt ein EU-Bürger mit doppelter Staatsbürgerschaft.

SC H WED EN

Die finnische Staatsbürgerschaft kann darüber hinaus dann erworben werden, wenn man lange genug in Finnland gelebt hat. Ausreichende Sprachkenntnisse sind hierfür ein Muss; seien es Kenntnisse des Finnischen, Schwedischen oder sogar der finnischen Zeichensprache.

DÄNEMAR K

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Doppelte Staatsbürgerschaft in Finnland

FINNLAND

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Sind in Finnland auch doppelte Staatsbürgerschaften möglich? Seit dem 1. Juni 2003 akzeptiert Finnland doppelte Staatsbürgerschaften. Dieses Gesetz gestattet den Erwerb einer ausländischen Staatsbürgerschaft, ohne dass man dabei die finnische Staatsbürgerschaft verliert. Sucht man im finnischen Gesetz nach Informationen über die doppelte Staatsbürgerschaft, findet man weder Informationen, die besagen, dass diese möglich ist, noch findet man Informationen, die besagen, dass sie nicht möglich ist. Zur doppelten Staatsbürgerschaft nimmt Finnland demnach eine neutrale Position ein. Finnlands Migrationsbehörde führt keine Statistiken über die doppelte Staatsbürgerschaft von einzelnen Bürgern. Laut Migrationsbehörde verfügt auch keine andere Behörde über derartige Informationen. Ist dem wirklich so?

Wirft man einen Blick auf die Daten, die vom gesamtstaatlichen Statistikamt herausgegeben werden, kann man die Zahl jener Bürger, die neben der finnischen Staatsbürgerschaft eine weitere Staatsbürgerschaft besitzen, ungefähr abschätzen. Im Jahr 2014 lag die Zahl der Personen, die sowohl die finnische als auch eine ausländische Staatsbürgerschaft besitzen, bei ungefähr 63.350. Dies entspricht 1,17 Prozent der Gesamtbevölkerung Finnlands. Im Jahr 2014 hat Ålands offizielle Statistikbehörde (ASUB) erklärt, dass doppelte Staatsbürgerschaften möglich sind. Demnach gibt es auf Åland 1.633 Personen, die die doppelte Staatsbürgerschaft besitzen. Dies entspricht sechs

Seit dem 1. Juni 2003 akzeptiert Finnland doppelte Staatsbürgerschaften.

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Im Jahr 2014 hat Ålands offizielle Statistikbehörde (ASUB) erklärt, dass doppelte Staatsbürgerschaften möglich sind.


Alexandra von Schantz

Prozent der åländischen Gesamtbevölkerung. Eine Person, die Staatsbürger von zwei Staaten ist, wobei einer dieser Staaten Finnland ist, zählt in der Statistik als finnischer Staatsbürger. Dies trifft auf 1.622 Personen zu, von denen 1.236 Personen zusätzlich schwedische Staatsbürger sind und 386 Personen die Staatsbürgerschaft eines anderen Staates besitzen. Elf Personen besitzen eine doppelte Staatsbürgerschaft, doch ist keine davon die finnische. Sechs Personen sind dreifache Staatsbürger. Dadurch, dass sie das Konzept der doppelten Staatsbürgerschaft akzeptieren, zeigen die Åländer, die aus der Sicht Finnlands eine Minderheit darstellen, in ihrer eigenen Gesellschaft viel Verständnis für Minderheiten, für deren Hintergrund und deren Identität.

Der Hauptzweck des „Hembygdsrätts“ ist der Schutz der kulturellen Identität und der Landschaft Ålands. Dies sind die wichtigsten Bestandteile des Minderheitenschutzes auf Åland im Rahmen der Selbstverwaltung der Region. Ein weiteres Ziel des „Hembygdsrätts“ ist der Schutz der schwedischen Sprache.

Nachfolgend nun Erläuterungen zum åländischen „Hembygdsrätt“: Die Bevölkerung der autonomen finnischen Region Åland besitzt, zusätzlich zur finnischen Staatsbürgerschaft, das nur regional geltende „Hembygdsrätt“. An dieses Recht, das übersetzt soviel wie „Heimatrecht“ bedeutet, sind besondere Rechte gebunden. Diese Rechte, die anderen finnischen Staatsbürgern verwehrt bleiben, umfassen:  das Recht, Landbesitz zu erwerben;  das Recht, ein Gewerbe zu betreiben (dieses kann jedoch auch in anderen Fällen gewährt werden, wenn z. B. die Person schon seit fünf Jahren auf Åland lebt);  das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum åländischen Parlament;  das Recht, vom finnischen Wehrdienst befreit zu sein, wenn die Person bereits vor Vollendung des 12. Lebensjahres auf Åland gelebt hat. Um als Neubürger auf Åland das „Hembygdsrätt“ zu erwerben, muss dieser zuerst die finnische Staatsbürgerschaft besitzen. Nach fünf Jahren Aufenthalt auf Åland kann das „Hembygdsrätt“ beantragt werden. Um es zu erlangen, ist der Nachweis von Schwedischkenntnissen erforderlich. Eine Person, die derzeit auf die Gewährung des „Hembygdsrätts“ wartet, ist zum Beispiel also jemand, der finnischer Staatsbürger ist, die schwedische Sprache spricht und seit drei Jahren auf Åland lebt. Der Hauptzweck des „Hembygdsrätts“ ist der Schutz der kulturellen Identität und der Landschaft Ålands. Dies sind die wichtigsten

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Doppelte Staatsbürgerschaft in Finnland

Bestandteile des Minderheitenschutzes auf Åland im Rahmen der Selbstverwaltung der Region. Ein weiteres Ziel des „Hembygdsrätts“ ist der Schutz der schwedischen Sprache. Das „Hembygdsrätt“ kann man verlieren, wenn die Person seit über fünf Jahren außerhalb Ålands lebt (doch es kann sein, dass sich die derzeitige Gesetzeslage mit einer anderen Regierung ändern kann). Abschließend noch Überlegungen zur doppelten Staatsbürgerschaft aus soziologischer Sicht und aus der Sicht des Minderheitenschutzes. Auf der ganzen Welt gibt es Minderheiten, die als solche anerkannt werden wollen und auf Möglichkeiten hoffen, ihre Identität zu schützen. Es gibt Länder, die die Minderheiten und Personen anderer Herkunft anerkennen und ihnen somit die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen. Unsere moderne Gesellschaft ist ständig im Wandel begriffen. Wir alle sind eingeladen, unseren Beitrag zu dieser Entwicklung zu leisten. Insbesondere ist es Aufgabe der so genannten „totalen Institution“ – also jener Komponente eines Landes, wo alle Lebensbereiche von Individuen einer Institution untergeordnet und abhängig von den Behörden sind –, sich an die ständig wachsenden Bedürfnisse des Individuums, durch das letztlich die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit bestimmt wird, anzupassen. Wir befinden uns mitten in der Globalisierung, alles wird zeitweiliger, der politische Kontext verändert sich. All dies macht, zum Zwecke der Stärkung des Identitätsbewusstseins und des Selbstbewusstseins, Anpassungsfähigkeit und Flexibilität unerlässlich. Die doppelte Staatsbürgerschaft zu diskutieren und zuzulassen, trägt zur Stärkung des Selbstverständnisses und damit der Identität von Angehörigen einer Minderheit bei. Ein Land, das das Privileg hat, aus einer Komponente zusammengesetzt zu werden, die sich Minderheiten nennt, sollte alles tun, um diese Komponente zu unterstützen und zu stärken. Der Erhalt der eigenen Identität und die Aufrechterhaltung des Wissens auf der Grundlage des einheimischen Hintergrundes ist von entscheidender Bedeutung. Es ist also außerordentlich wichtig, dass den Bürgern das Recht auf doppelte Staatsbürgerschaft vor allem dann gewährt wird, wenn es darum geht, eine Minderheit zu schützen. Befürchtungen, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft die Gesellschaft spalten könnte, haben sich nirgends bewahrheitet. Im Gegenteil: Die Gesellschaft wird nicht gespalten, sondern gestärkt, weil durch die doppelte Staatsbürgerschaft die

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Die doppelte Staatsbürgerschaft zu diskutieren und zuzulassen, trägt zur Stärkung des Selbstverständnisses und damit der Identität von Angehörigen einer Minderheit bei.

Befürchtungen, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft die Gesellschaft spalten könnte, haben sich nirgends bewahrheitet. Im Gegenteil: Die Gesellschaft wird nicht gespalten, sondern gestärkt, weil durch die doppelte Staatsbürgerschaft die Minderheiten mehr Anerkennung erfahren. Finnland und Åland sind gute Beispiele dafür. Vielmehr sind es die Nicht-Akzeptanz und die Unterdrückung von Minderheiten, die zu einer Spaltung der Gesellschaft führen.


Alexandra von Schantz

Minderheiten mehr Anerkennung erfahren. Finnland und Åland sind gute Beispiele dafür. Vielmehr sind es die Nicht-Akzeptanz und die Unterdrückung von Minderheiten, die zu einer Spaltung der Gesellschaft führen. Die doppelte Staatsbürgerschaft ist der Schlüssel zur doppelten Identität.

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FRANZ WATSCHINGER

Die Umsetzung der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler im österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz. Die beiden Juristen und Universitätsprofessoren Peter Hilpold und Walter Obwexer sind, unabhängig voneinander, zum Ergebnis gekommen, dass doppelte Staatsbürgerschaften rechtlich möglich sind. Peter Hilpold schreibt, dass es aus völkerrechtlicher Sicht nichts gibt, was einer doppelten Staatsbürgerschaft entgegenstehen würde (Genaueres, siehe im Vorwort dieses Werks). Ähnlich schlussfolgert Walter Obwexer in seinem Gutachten Rechtliche Rahmenbedingungen für den Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft durch ‚Südtiroler‘, das er im Jahr 2011 im Auftrag der Südtiroler Volkspartei erstellt hat, dass eine doppelte Staatsbürgerschaft für die Südtiroler weder völkerrechtlich noch europarechtlich problematisch wäre. Die doppelte Staatsbürgerschaft zuzulassen, liegt somit, fernab von den diplomatischen Gewogenheiten, ausschließlich im Kompetenzbereich Österreichs. Dies ist in der heutigen Zeit insofern bemerkenswert, als die Nationalstaaten, anders als früher, über nur noch wenige Kompetenzen verfügen. Im Jahr 2011 wurde vom damaligen Südtiroler Landeshauptmann die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft für Südtiroler an die Entscheidungsträger in Wien herangetragen. Deren Reaktionen waren sehr bürokratisch und nicht minder zurückhaltend. Es wurde auf das derzeitige Verleihungsverfahren hingewiesen, das äußerst kompliziert sei. Die Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft sei für die Südtiroler nur bei gleichzeitiger Aufgabe der italienischen Staatsbürgerschaft möglich. Zudem, so abschließend das Innenministerium, liefe eine ausschließlich Südtiroler begünstigende Regelung Gefahr, unsachlich und daher vor dem Hintergrund des Gleichheitssatzes verfassungsrechtlich bedenklich zu sein. In dieselbe Kerbe schlug das damalige Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten: „Es scheint sich zu ergeben, dass die Einräumung der Möglichkeit für Südtiroler, die österreichische Staatsbürgerschaft zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft zu erwerben, ohne dass eine Ansässigkeit auf dem Staatsgebiet der Republik Österreich gegeben wäre, jedenfalls einen größeren

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Franz Watschinger

Bereits nach kürzerem Studium haben wir festgestellt, dass es keineswegs eines größeren Umbaus bedarf, sondern dass eine Änderung mit einfachen gesetzlichen Regelungen möglich ist. Es wäre nur die Einfügung eines einzigen Absatzes erforderlich.

Umbau des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts erforderlich machen würde.“ In besagter Stellungnahme ist also von einem „größeren Umbau“ die Rede. Es drängt sich die Frage auf, was gegen einen „größeren Umbau“ sprechen würde, sollte dieser tatsächlich erforderlich sein. Mit entsprechenden Mehrheiten könnten Verfassungsbestimmungen erlassen werden. Dabei wird eine Bestimmung über die doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler ohnehin von den österreichischen Parteien einstimmig erlassen werden müssen. Für die Behauptung, dass all dies, wenngleich mit einem Umbau verbunden, nicht möglich sei, gibt es keinen schlüssigen Grund. Ausschlaggebend ist vielmehr die Tatsache, dass die Vergabe der doppelten Staatsbürgerschaft, wie erwähnt, in der Kompetenz Österreichs liegt. Es sei an das vorgenannte Gutachten von Walter Obwexer erinnert, aus dem hervorgeht, dass die völkerrechtliche und europarechtliche Zulässigkeit der doppelten Staatsbürgerschaft geklärt ist. Auch an unsere Kanzlei ist man herangetreten. Peter Pernthaler, ehemaliger Universitätsprofessor in Innsbruck, und ich wurden gebeten, das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht zu analysieren, vor allem im Hinblick auf die Möglichkeit einer Änderung. Bereits nach kürzerem Studium haben wir festgestellt, dass es keineswegs eines größeren Umbaus bedarf, sondern dass eine Änderung mit einfachen gesetzlichen Regelungen möglich ist. Es wäre nur die Einfügung eines einzigen Absatzes erforderlich. Wir haben einen Änderungsentwurf – im Folgenden Regierungsvorlage genannt – erstellt, der, außer dem österreichischen Staatsbürgerschaftsgesetz, auch das Wählerevidenzgesetz betrifft. Untenstehend der genauer Titel und das Inhaltsverzeichnis der Regierungsvorlage (Teil 1 von 3): *** Regierungsvorlage/Initiativantrag/Antrag eines Ausschusses Bundesgesetz, mit dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 und das Wählerevidenzgesetz 1973 geändert werden (2. Südtirolergleichstellungsgesetz 2012) Der Nationalrat wolle beschließen: 88


Doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler

Inhaltsverzeichnis Artikel 1 Artikel 2

Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 Änderung des Wählerevidenzgesetzes 1973 ***

Bevor wir auf die Regierungsvorlage näher eingehen, sei noch kurz das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz in seiner derzeit gültigen Fassung erklärt. Das österreichische Staatsbürgerschaftsrecht sieht grundsätzlich drei Möglichkeiten vor, wie die Staatsbürgerschaft erworben werden kann. Die erste, klassische Möglichkeit des Erwerbs erfolgt auf Grund der Abstammung. Als Kind eines Österreichers erwirbt man die österreichische Staatsbürgerschaft. Die zweite Möglichkeit des Erwerbs besteht in der Verleihung. Diese wird in erster Linie von den klassischen Gastarbeitern oder Bürgern bemüht, die, aus irgendwelchen Lebensumständen, in Österreich ankommen, dort ansässig und eingebürgert werden wollen. Je nach Fall muss man mindestens zehn, fünfzehn oder sechs Jahre im Staatsgebiet leben. Ferner sind Deutschkenntnisse, österreichische Geschichtskenntnisse sowie ein guter Leumund erforderlich, und man darf keine Finanzstrafverfahren haben. Die Verleihung der Staatsbürgerschaft ist in diesem Fall jedoch unpraktikabel, weil gleichzeitig die bisherige Staatsbürgerschaft abgelegt werden muss. Es gilt nämlich das Prinzip der Vermeidung von Doppelstaatsbürgerschaften. Die dritte Möglichkeit des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft besteht in einer Anzeige. Besonders interessant in diesem Zusammenhang ist Paragraph 58c, der einen Sondertatbestand im Staatsbürgerschaftsgesetz darstellt. Dieser Paragraph besagt im Wesentlichen, dass jene österreichischen Staatsbürger, die in Folge der Vertreibung oder Repressionen unter dem NS-Regime Österreich verlassen mussten oder emigriert sind, aber ihre Bindung zu Österreich beibehalten haben, durch einfache Anzeige die Staatsbürgerschaft wiedererlangen können. Diese Verleihungsart der Staatsbürgerschaft hat weder die Aufgabe der zweiten Staatsbürgerschaft zur Folge, noch muss die betreffende Person im österreichischen Staatsgebiet ansässig sein. Es handelt

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Franz Watschinger

Es handelt sich somit um den idealen Paragraphen, bei dem man einhaken könnte, um auch den Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft zu ermöglichen.

sich somit um den idealen Paragraphen, bei dem man einhaken könnte, um auch den Südtirolern die österreichische Staatsbürgerschaft zu ermöglichen. Unsere Lösung ist ganz einfach: Es wird ein zweiter Punkt angeführt, demzufolge die Südtiroler ebenso nach dem Prinzip der Anzeige die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben können. Untenstehend die Regierungsvorlage (Teil 2 von 3): *** Artikel 1 Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 Das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), Bundesgesetzblatt 311/1985, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz, Bundesgesetzblatt I Nr. 38/2011, wird wie folgt geändert: 1. § 58c Absatz 1 lautet: § 58c. (1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Absatz 1 Z 2 bis 6 und 8 und Absatz 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, 1. sich als Staatsbürger vor dem 9. Mai 1945 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte; 2. dass er oder einer seiner Vorfahren in direkter Linie im Sinne der §§ 7, 7a vor Inkrafttreten des Staatsvertrags von Saint Germain, Staats- und Bundesgesetzblatt Nr. 303/1920, österreichischer Staatsbürger (bzw. Staatsbürger der österreichisch-ungarischen Monarchie) mit Heimatrecht im Gebiet der heutigen autonomen Provinz Bozen-Südtirol war. *** Nun könnte man diskutieren, welche Südtiroler konkret das Recht haben sollen, die österreichische Staatsbürgerschaft durch Anzeige zu erwerben. Mögliche Antworten wurden in den genannten juristischen Expertisen schon aufgezeigt. Eine Möglichkeit bestünde darin, alle derzeit in Südtirol lebenden italienischen Staatsbürger,

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Doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler

die deutscher oder ladinischer Muttersprache sind, einzuschließen. Dies wäre dann die so genannte „extensive Interpretation“, indem man an die Volksgruppenzugehörigkeitserklärungen anknüpft. Eine zweite Möglichkeit – und diese haben wir gewählt – ist dagegen restriktiver. Man knüpft an das Abstammungsprinzip an: Nur jene Südtiroler, die Nachfahren von österreichischen Staatsbürgern sind, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Staatsvertrags von Saint-Germain in Südtirol, also im Gebiet der jetzigen Autonomen Provinz Bozen beheimatet waren, sollen inkludiert werden. Soweit zur Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes. Eine weitere, kleine Änderung wäre dann noch im Wählerevidenzgesetz erforderlich. Eine Folge des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Südtiroler wäre nämlich, dass, so wie bei allen Auslandsösterreichern, die Südtiroler auch in Österreich das Wahlrecht hätten. In diesem Zusammenhang ergäbe sich dann die Frage, zu welchem Wahlkreis Südtirol kommen sollte. Nachstehend hierzu die von uns ausgearbeitete Regierungsvorlage (Teil 3 von 3): *** Artikel 2 Änderung des Wählerevidenzgesetzes 1973 Das Wählerevidenzgesetz 1973, Bundesgesetzblatt 601/1973, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz, Bundesgesetzblatt I Nr. 43/2011, wird wie folgt geändert: 1. § 2a Absatz 2 lautet: (2) Kann eine solche Zuordnung nicht vorgenommen werden, so richtet sich der Ort der Eintragung in die Wählerevidenz nach folgenden, im Antrag (Absatz 1) glaubhaft gemachten, zum Inland bestehenden Lebensbeziehungen, die in der nachstehenden Reihenfolge heranzuziehen sind: 1. Ort der Geburt 2. Hauptwohnsitz des Ehegatten 3. Hauptwohnsitz nächster Verwandter 4. Sitz des Dienstgebers 5. Eigentums- oder Bestandsrechte an Grundstücken oder Wohnungen 6. Vermögenswerte 7. sonstige Lebensbeziehungen

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Eine Folge des Erwerbs der österreichischen Staatsbürgerschaft durch Südtiroler wäre nämlich, dass, so wie bei allen Auslandsösterreichern, die Südtiroler auch in Österreich das Wahlrecht hätten.


Franz Watschinger

Wenn die Südtiroler in Österreich wahlberechtigt wären, würde dies, wie es der Verfassungsrechtler, Menschenrechtsexperte und Nationalratsabgeordnete der Österreichischen Volkspartei, Felix Ermacora († 1995), so schön formulierte, die Verbundenheit der Südtiroler mit dem Vaterland Österreich stärken.

Das Wahlrecht für Südtiroler hätte einerseits den Vorteil, dass die Südtiroler das Gemeinwesen mitgestalten könnten, auch mehr Interesse hätten an Österreich. Andererseits müsste sich Österreich umgekehrt mehr um die Angelegenheiten der Südtiroler kümmern und deren Befindlichkeiten berücksichtigen.

8. Südtiroler, die österreichische Staatsbürger gemäß § 58c Absatz 1 Z 2 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), Bundesgesetzblatt 311/1985, sind und keine Anknüpfungspunkte nach Z 1 bis 7 haben, werden in die Wählerevidenz der Gemeinde Innsbruck eingetragen. *** Relevanter als die Frage nach dem Wahlkreis erscheint mir die Frage nach anderen konkreten Auswirkungen: Welche Rechte sind für die Südtiroler mit dem Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft verbunden? Vordergründig sind natürlich die Staatsbürgerrechte, das heißt, die Südtiroler können sich auf die Gleichheit vor dem Gesetz berufen. Sie haben das Aufenthaltsrecht. Dieses Recht würde für die Südtiroler keine besonderen Änderungen bedeuten, da es bereits das Südtiroler Gleichstellungsgesetz gibt und da auch im Rahmen der Europäischen Union ganze Freiheiten bestehen. Weitaus wesentlicher wäre die Änderung des Wahlrechts, und zwar bei österreichischen Nationalratswahlen und Bundespräsidentenwahlen. Wenn die Südtiroler in Österreich wahlberechtigt wären, würde dies, wie es der Verfassungsrechtler, Menschenrechtsexperte und Nationalratsabgeordnete der Österreichischen Volkspartei, Felix Ermacora († 1995), so schön formulierte, die Verbundenheit der Südtiroler mit dem Vaterland Österreich stärken. Das Wahlrecht für Südtiroler hätte einerseits den Vorteil, dass die Südtiroler das Gemeinwesen mitgestalten könnten, auch mehr Interesse hätten an Österreich. Andererseits müsste sich Österreich umgekehrt mehr um die Angelegenheiten der Südtiroler kümmern und deren Befindlichkeiten berücksichtigen. Das Wahlrecht wäre, kurzum, ein probates Mittel, um die Beziehungen zwischen der Schutzmacht und der Südtiroler Volksgruppe zu stärken. Das Wahlrecht bei Landtagswahlen des Bundeslandes Tirol wäre mit der doppelten Staatsbürgerschaft nicht verbunden. Ein dritter, allerdings eher vernachlässigbarer Vorzug der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Südtiroler wäre, dass sie den Zugang zu den österreichischen Beamtenstellen eröffnet. Die Südtiroler könnten in Österreich Notar oder Staatsanwalt werden oder im Bundesheer sowie bei der Polizei dienen, wobei dann der Wohnsitz ohnehin nach Österreich verlegt werden müsste.

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Doppelte Staatsbürgerschaft für Südtiroler

Zu diskutieren bliebe noch die Frage der Wehrpflicht. Aktuell sieht das österreichische Staatsbürgerschaftsgesetz vor, dass ein österreichischer Staatsbürger, der freiwillig den Militärdienst in einem anderen Land leistet, die österreichische Staatsbürgerschaft verliert. Für einen Südtiroler mit italienisch-österreichischer Doppeltstaatsbürgerschaft würde dies somit theoretisch bedeuten, dass er, würde er in Italien die Wehrpflicht leisten, die österreichische Staatsbürgerschaft verlieren würde. Dieses Problem würde sich mittlerweile gar nicht mehr stellen, zumal in Italien keine Wehrpflicht mehr besteht. Direkt hier anschließen ließe sich die Frage, ob die Südtiroler mit italienisch-österreichischer Doppeltstaatsbürgerschaft dann in Österreich wehrpflichtig wären. Die Praxis der österreichischen Behörden zeigt, dass österreichische Staatsbürger mit ständigem Aufenthalt im Ausland, also klassische Auslandsösterreicher, nicht eingezogen werden. Ob dies in Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten gehandhabt wird oder einfach nur Behördenwirklichkeit geworden ist, habe ich nicht untersucht, doch ich verweise auf die von Peter Hilpold angeführten Anhaltspunkte, denen zufolge genannte behördliche Vorgehensweise auch der Erfüllung völkerrechtlicher Pflichten entsprechen kann (Siehe hierzu im Vorwort dieses Werks) . Darüber hinaus hat Peter Pernthaler zu unserer Regierungsvorlage umfangreiche Erläuterungen formuliert und dabei den rechtshistorischen Aspekt akribisch und anschaulich aufgearbeitet. Es wird angeführt, welche Nachweise für den Antrag auf die österreichische Staatsbürgerschaft, die im Grunde ein Heimatrecht ist, zu erbringen wären, und welcher dieser Nachweise bei welcher Behörde einzureichen wäre. Aus administrativer Sicht würde es sich um keinen aufwändigen Verwaltungsakt handeln, und aus rechtlicher Sicht bestehen keine Probleme, die sich nicht lösen ließen. Wenn man bedenkt, dass in einer Legislaturperiode durchschnittlich 540 Gesetze erlassen werden, die mitunter durchaus umfangreich sein können, wäre die Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes sowie des Wählerevidenzgesetzes eine Kleinigkeit. Allein zum Staatsbürgerschaftsgesetz hat es seit 2011 meines Wissens fünf Novellen gegeben. Unsere Regierungsvorlage könnte da ruhig auch einmal sozusagen mitrutschen. Doch anscheinend fehlt es am politischen Willen. Soweit ich es ihrer Genese entnehme, hat, wie oben erwähnt, die Forderung nach der österreichischen Staatsbürgerschaft für die Südtiroler bereits im Jahr 2011 der damalige

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Aus administrativer Sicht würde es sich um keinen aufwändigen Verwaltungsakt handeln, und aus rechtlicher Sicht bestehen keine Probleme, die sich nicht lösen ließen.


Franz Watschinger

Österreich sollte sich also davor hüten zu behaupten, dass von den Südtirolern dieser politische Wille zu wenig laut artikuliert worden sei.

Südtiroler Landeshauptmann gestellt. Österreich sollte sich also davor hüten zu behaupten, dass von den Südtirolern dieser politische Wille zu wenig laut artikuliert worden sei. Vielmehr sollte – so bleibt zu hoffen – Österreich ein Zeichen setzen, dass es in der Frage der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler seiner Schutzmachtrolle gerecht wird und den Südtirolern eine späte Wiedergutmachung angedeihen lässt.

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Nachwort zum Nachdruck Im Dezember 2017 wurde die Wiedererlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft für Südtiroler im Koalitionsabkommen der neuen österreichischen Bundesregierung festgeschrieben. Nachfolgend der Text im Wortlaut: „Im Geiste der europäischen Integration und der Förderung einer immer engeren Union der Bürgerinnen und Bürger der Mitgliedsstaaten wird in Aussicht genommen, den Angehörigen der Volksgruppen deutscher und ladinischer Muttersprache in Südtirol, für die Österreich auf Grundlage des Pariser Vertrages und der nachfolgenden späteren Praxis die Schutzfunktion ausübt, die Möglichkeit einzuräumen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft die österreichische Staatsbürgerschaft zu erwerben.“ Auf der Grundlage des Textes im Koalitionsabkommen wurde der von DDr. Franz Watschinger und von em. O.Univ.-Prof. Dr. Peter Pernthaler ausgearbeitete Gesetzentwurf angepasst. Er soll aufzeigen, wie die österreichische Staatsbürgerschaft für Südtiroler nach den Vorgaben des Koalitionsabkommens umgesetzt werden kann. Untenstehend der ausgearbeitete Gesetzentwurf und diesbezügliche Erläuterungen:

Regierungsvorlage/Initiativantrag/Antrag eines Ausschusses Bundesgesetz, mit dem das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, das Wählerevidenzgesetz 1973 und das Europa-Wählerevidenzgesetz geändert werden (2. Südtirolergleichstellungsgesetz 2018) Der Nationalrat wolle beschließen: Inhaltsverzeichnis Artikel 1 Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 Artikel 2 Änderung des Wählerevidenzgesetzes 1973 Artikel 3 Änderung des Europa-Wählerevidenzgesetzes

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Nachwort zum Nachdruck

Artikel 1 Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 Das Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG), BGBl. 311/1985, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017, wird wie folgt geändert: 1. § 58c Abs.1 lautet: § 58c. (1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt,

1. sich als Staatsbürger vor dem 9. Mai 1945 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Dritten Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte; 2. dass er Südtiroler deutscher oder ladinischer Sprachzugehörigkeit ist und zum Zeitpunkt der Geburt im Gebiet der heutigen autonomen Provinz Bozen-Südtirol oder in Österreich ansässig oder österreichischer Staatsbürger war. Die Zugehörigkeit zur deutschen oder ladinischen Sprachgruppe kann durch eine aktuelle Bescheinigung über die Zugehörigkeit zur deutschen oder ladinischen Sprachgruppe (Sprachgruppenzugehörigkeitserklärung), bei Minderjährigen durch eine aktuelle Bescheinigung über die Zugehörigkeit zur deutschen oder ladinischen Sprachgruppe eines Elternteils, nachgewiesen werden. 1. § 49 Abs.2 lautet: (2) Evidenzstelle ist a) für Personen, die vor dem 1. Juli 1966 im Gebiet der Republik geboren sind: die Geburtsgemeinde (Gemeindeverband); b) für Personen, die ab dem 1. Juli 1966 im Gebiet der Republik geboren sind: die Gemeinde (Gemeindeverband), in der die Mutter im Zeitpunkt der Geburt der zu verzeichnenden Person laut Eintragung im Geburtenbuch ihren Wohnort hatte, wenn dieser aber im Ausland liegt, die Geburtsgemeinde (Gemeindeverband) der zu verzeichnenden Person;

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Nachwort zum Nachdruck

c) für Personen, die im Ausland geboren sind oder bei denen sich nach lit. a oder b keine Zuständigkeit feststellen lässt: die Gemeinde Wien. d) Für Südtiroler, die nicht in Österreich geboren sind und bei denen sich nach lit. a oder b keine Zuständigkeit feststellen lässt: die Stadt Innsbruck. *** Artikel 2 Änderung des Wählerevidenzgesetzes 1973 Das Wählerevidenzgesetzes 1973, BGBl. 601/1973, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 120/2016, wird wie folgt geändert: 1. § 2a Abs.2 lautet: (2) Kann eine solche Zuordnung nicht vorgenommen werden, so richtet sich der Ort der Eintragung in die Wählerevidenz nach folgenden, im Antrag (Abs. 1) glaubhaft gemachten, zum Inland bestehenden Lebensbeziehungen, die in der nachstehenden Reihenfolge heranzuziehen sind: 1. Ort der Geburt 2. Hauptwohnsitz des Ehegatten 3. Hauptwohnsitz nächster Verwandter 4. Sitz des Dienstgebers 5. Eigentums- oder Bestandsrechte an Grundstücken oder Wohnungen 6. Vermögenswerte 7. sonstige Lebensbeziehungen 8. Südtiroler, die keine Anknüpfungspunkte nach Z 1 bis 7 haben, werden in die Wählerevidenz der Stadt Innsbruck eingetragen. *** Artikel 3 Änderung des Europa-Wählerevidenzgesetzes Das Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahlund Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz – EuWEG), BGBl. Nr. 118/1996 idF BGBl. I Nr. 35/1998, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 120/2016, wird wie folgt geändert:

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Nachwort zum Nachdruck

1. § 4 Abs.2 lautet: (2) Kann eine solche Zuordnung nicht vorgenommen werden, so richtet sich der Ort der Eintragung in die Europa-Wählerevidenz nach folgenden, im Antrag (Abs. 1) glaubhaft gemachten, zum Inland bestehenden Lebensbeziehungen, die in der nachstehenden Reihenfolge heranzuziehen sind: 1. Ort der Geburt 2. Hauptwohnsitz des Ehegatten 3. Hauptwohnsitz nächster Verwandter 4. Sitz des Dienstgebers 5. Eigentums- oder Bestandsrechte an Grundstücken oder Wohnungen 6. Vermögenswerte 7. sonstige Lebensbeziehungen 8. Südtiroler, die keine Anknüpfungspunkte nach Z 1 bis 7 haben, werden in die Wählerevidenz der Stadt Innsbruck eingetragen.

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Erläuterungen Allgemeiner Teil 1. Die Südtiroler Volksgruppe hat im Zuge des Staatsvertrags von Saint Germain gegen ihren Willen die österreichische Staatsbürgerschaft verloren, indem das Gebiet von Tirol südlich des Brenners von Österreich abgetrennt wurde und dem Staatsgebiet Italiens zugeschlagen wurde. Mit gegenständlichem Gesetzesentwurf wird dem politischen Wunsch der Südtiroler entsprochen, durch die zusätzliche Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft (Doppelstaatsbürgerschaft) die Bindung zum Vaterland Österreich, das immer auch die Schutzmachtrolle für die Südtiroler ausgeübt hat, und die ethnische Identität der Volksgruppe zu stärken. 2. Das Pariser Abkommen (1946) verbindet die (völkerrechtlich gewährleistete) Autonomie Südtirols noch sehr klar mit dem Schutz der deutschsprachigen Volksgruppe (German speaking element) in der Provinz Bozen-Südtirol. „Deutschsprachig“ wurde als Kennzeichen der Volksgruppe gewählt, weil die deutsche Sprache das Verbindungsglied zwischen dem Muttervolk in Österreich/Bundesland Tirol und der eingesessenen Bevölkerung des durch die Brennergrenze abgetrennten Landesteiles Südtirol war. Die deutschsprachige Volksgruppe Südtirols ist nämlich (zusammen mit der ladinischen Volksgruppe) auch die „autochthone“ Volksgruppe in der Provinz Bozen-Südtirol, verknüpft mit dem im Pariser Abkommen definierten territorialen Geltungsbereich durch die Generationen-übergreifende Ansässigkeit in ihrer Heimat. Auch die österreichische Bundesverfassung definiert jetzt in der Staatszielbestimmung des Artikels 8 Absatz 2 B-VG den Volksgruppenschutz durch das Merkmal „autochthone Volksgruppe“, das schon im Staatsrecht der Monarchie das Kennzeichen des verfassungsrechtlich geschützten „Volksstammes“ (Art 19 STGG) war (Marko, Rz. 27 - 30 zu Art 8 Abs. 2 B-VG in: Korinek u.a., Österreichisches Bundesverfassungsrecht. Kommentar). Die geplante Neuregelung knüpft an diese beiden Elemente der autochthonen Volksgruppe an: An die deutsche Sprache als das ethnische Kriterium der Zugehörigkeit zum österreichischen/Tiroler Volk und an das Merkmal der „Alteingesessenheit“ durch das Kriterium der Ansässigkeit zum Zeitpunkt der Geburt in Südtirol. 3. Die Schutzmachtfunktion Österreichs beruht auf zwei Pfeilern: Der völkerrechtlichen Verankerung, die im folgenden Punkt näher erläutert wird, und der ethnischen Verbundenheit zwischen der

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Südtiroler Volksgruppe und ihrem „Muttervolk“, dem Staatsvolk Österreichs und dem Landesvolk Tirols. Das geschichtlich begründete Bindeglied dieser volksmäßigen Verbundenheit ist die deutsche Sprache, die einerseits die Staatssprache und Volkssprache des Nationalstaates Republik Österreich und die Landessprache Tirols ist (Art. 8 Abs. 1 B-VG; Art 4 LV Tirol) und anderseits das rechtlich maßgebliche Kriterium der Südtiroler Volksgruppe ist. Nach der österreichischen Verfassung sind das Bundesvolk und das Landesvolk Tirols jeweils durch die „Summe der Bundesbürger“ und die „Summe der Landesbürger“ definiert, wobei Bundesbürger alle Staatsbürger und Landesbürger jene Staatsbürger sind, die im Land ihren Hauptwohnsitz haben (Art 6 Abs. 1 B-VG). Damit ist das „Muttervolk“ der Südtiroler Volksgruppe nicht nur durch die deutsche Sprache charakterisiert, sondern in gleicher Weise durch die Staatsbürgerschaft der (deutschsprachigen) Republik Österreich. Daher ist die Möglichkeit der erleichterten Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft – neben der unbedingt notwendigen Beibehaltung der italienischen Staatsbürgerschaft – ein besonders starkes ethnisches Bindeglied zwischen der Südtiroler Volksgruppe und ihrem deutschsprachigen „Muttervolk“ Österreichs/Tirols. Die Notwendigkeit eines solchen neuen und starken rechtlichen Bindegliedes auf Grund der ethnischen Zusammengehörigkeit wird in den folgenden Punkten näher begründet. 4. Die Schutzmachtfunktion Österreichs ist völkerrechtlich zunächst im Pariser Abkommen (1946) begründet (Miehsler, Das Gruber-Degasperi-Abkommen und seine Auslegung, in: Huter (Hrsg), Südtirol 1965, 385ff). In der Folge wurde die Schutzmachtfunktion durch den bilateralen Verhandlungsprozess Österreich-Italien über die „Paketlösung“ und über die Reform des neuen Autonomiestatutes (1972) durch 30 Jahre bis zur Streitbeilegungserklärung (1992) und den darauf bezüglichen Notenwechsel zwischen Österreich und Italien auf die völkerrechtliche Verankerung des „Paketes“ der neuen Südtirolautonomie erweitert (Hilpold, Die völkerrechtliche Absicherung der Südtirolautonomie, in: Marko et al. (Hrsg), Die Verfassung der Südtiroler Autonomie 2003, 38ff; derselbe/Perathoner, Die Schutzfunktion des Mutterstaates im Minderheitenrecht 2006, 93; Obwexer, Die Schutzfunktion Österreichs, in: Gamper/Pan (Hrsg), Volksgruppen und regionale Selbstverwaltung in Europa 2008, 76ff).

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Die Schutzmachtfunktion Österreichs bezieht sich jedenfalls auf die deutschsprachige Volksgruppe in Südtirol als Teil des durch die Brennergrenze geteilten Landesvolkes von Tirol (Präambel zu Tiroler Landesordnung 1989). Daher erstreckt sich der persönliche Geltungsbereich der geplanten Regelung ausschließlich auf „Südtiroler deutscher oder ladinischer Sprachzugehörigkeit“. Anderseits ist die Schutzmachtfunktion auch durch den territorialen Geltungsbereich der Provinz Bozen-Südtirol rechtlich festgelegt (zum personellen und territorialen Geltungsbereich des Pariser Abkommens als Anknüpfungspunkt für die Südtirol–Autonomie und die Schutzfunktion Österreichs vgl. Pernthaler, Die Identität Tirols in Europa 2007, 76 ff). Auf das Siedlungsgebiet der deutschsprachigen und ladinischen Volksgruppe als völkerrechtlich garantiertes Territorium der Schutzbestimmungen für die Volksgruppen (so ausdrücklich: Riz/Happacher, Grundzüge des italienischen Verfassungsrechts unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Aspekte der Südtiroler Autonomie 3. Aufl. 2008, 381) bezieht sich das Erfordernis der „Ansässigkeit zum Zeitpunkt der Geburt im Gebiet der heutigen autonomen Provinz Bozen-Südtirol“ in der geplanten Regelung. 5. Die erleichterte Erlangung der österreichischen Staatsbürgerschaft neben der italienischen ist für die Südtiroler Volksgruppe deshalb ein so wichtiges neues Element des Volksgruppenschutzes, weil sich die Autonomie Südtirols seit dem neuen Autonomiestatut (1972) und der Streitbeilegungserklärung (1992) rechtlich und politisch immer mehr vom Schutz der deutschen Sprache als dem eigentlichen Schutzziel der Autonomie entfernt. Grund dafür ist vor allem die außerordentlich komplexe rechtliche Verankerung der Autonomie in der italienische Rechtsordnung und ihre subtile verfassungsrechtliche Absicherung in der Verfassung, in der Verfassungsrechtsprechung und in ungeschriebenen Verfassungsprinzipien Italiens. Dadurch wurde ein rechtliches und politisches System begründet, das vor allem intensive Verflechtungen und Kooperationszwänge in Italien für die politischen Repräsentanten der Volksgruppe mit sich bringt und deren Beziehungen zu Tirol und Österreich in den Hintergrund drängt. Dazu kommt, dass die neue Autonomie sehr stark auf die Kooperation mit den Sprachgruppen ausgerichtet ist (vgl. dazu eingehend: Pernthaler, Identität, Kapitel „Volk und Sprachgruppen in Südtirol“, 114 ff.). Daraus hat sich ein sehr komplexes politisches und rechtliches System und eine politisch/gesellschaftliche Identität des Landes Südtirol entwickelt, die sich von der des Bundeslandes Tirol völlig unterscheiden.

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Als Ausgleich für die starken Bindungen und Kooperationszwänge mit dem italienischen Staat und der italienischen Sprachgruppe, die das neue Autonomiesystem für die deutschsprachige Volksgruppe mit sich bringt, soll die geplante doppelte Staatsbürgerschaft zusätzlich zum Schutz durch die im italienischen Staatsrecht verankerte Autonomie eine neue Verbindung mit dem „Muttervolk“ als Stärkung der deutschsprachigen Identität der Volksgruppe bewirken. 6. Erst durch die geplante doppelte Staatsbürgerschaft der deutschsprachigen Südtiroler wird eine wirksame Grundlage für einen effizienten Schutz dieser Volksgruppe in der Doppelfunktion des heutigen politischen und rechtlichen Autonomiesystems geschaffen: Die italienische Staatsbürgerschaft ist die unabdingbare Basis für die notwendige Kooperation und Koordination der Volksgruppe mit dem italienischen Staat und der italienischen Sprachgruppe im System der komplizierten Regeln und Verfahren der ethnischen Konkordanzdemokratie in Südtirol (Pernthaler, Identität 114 ff.). Die österreichische Staatsbürgerschaft ist notwendig zu Stärkung der deutschen Sprachgruppe in ihrer Identität als ethnisch selbständiges Subjekt und eigentliches Schutzziel der komplexen Autonomie Südtirols. Daher ist die Schaffung dieser doppelten Basis des Volksgruppenschutzes auch die Grundlage dafür, dass die notwendige Dynamik der Autonomie zu Stärkung der deutschen Identität der Südtiroler Volksgruppe und nicht zu ihrer Assimilation nach dem Muster der „Verelsässerung“ beiträgt. 7. Mit diesem Gesetz erhalten jene Südtiroler, die die österreichische Staatsbürgerschaft beantragen, zusätzlich zur italienischen Staatsbürgerschaft den Status von Auslandsösterreichern. Damit verbunden ist das Wahl- und Stimmrecht, das sich nach den allgemeinen Regelungen insbesondere nach dem Wählerevidenzgesetzes 1973, BGBl. Nr. 601/1973, dem Bundesgesetz über die Führung ständiger Evidenzen der Wahl- und Stimmberechtigten bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Europa-Wählerevidenzgesetz - EuWEG), BGBl. Nr. 118/1996, dem Bundesgesetz über die Wahl des Nationalrates (Nationalrats-Wahlordnung 1992 - NRWO), BGBl. Nr. 471/1992, das Bundespräsidentenwahlgesetz 1971, BGBl. Nr. 57/1971 und das Volksabstimmungsgesetz 1972, BGBl. Nr. 79/1973, richtet. Voraussetzung für die Ausübung des Wahl- und Stimmrechts ist ein Antrag des österreichischen Staatsbürgers in Südtirol auf Eintrag in die Wählerevidenz.

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Ein Wahlrecht zum Landtag besteht gemäß Art 95 Abs.1 B-VG in jenen Bundesländern, die in den jeweiligen Landtagswahlordnungen das Wahlrecht für österreichische Staatsbürger mit Hauptwohnsitz im Ausland verankert haben. Dies ist derzeit in Niederösterreich, Tirol und Vorarlberg vorgesehen. Gem. Art. 17 der Tiroler Landesverfassung ist das Wahlrecht zum Tiroler Landtag aber nur für österreichische Staatsbürger für längstens zehn Jahre zulässig, die vor Verlegung ihres Hauptwohnsitzes in das Ausland einen Hauptwohnsitz im Land hatten. Diesen Ausschluss der Südtiroler mit österreichischer Staatsbürgerschaft vom Wahlrecht zum Landtag müsste landesgesetzlich beseitigt werden. 8. Im Hinblick auf die besondere Situation der Südtiroler muss gewährleistet sein, dass der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft nicht von der Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft abhängig ist, wie dies etwa bei der Verleihung (vgl. etwa § 10 Abs. 3 StbG) der Fall ist. Schon bisher ist das Ausscheiden aus dem bisherigen Staatsverband nicht die Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige gemäß §§ 58c und 59 Abs. 1 StbG. Es erscheint auch vor diesem Hintergrund sachgerecht, den Erwerb der Staatsbürgerschaft für Südtiroler durch Anzeige vorzusehen. Die Entziehungsgründe im StbG, insbesondere §§ 32, 33 gelten auch für Südtiroler, die die Staatsbürgerschaft erworben haben. Schon bisher führte der Eintritt in den Militärdienst eines fremden Staates nur dann zur Entziehung der Staatsbürgerschaft, wenn der Eintritt freiwillig erfolgte. Militärpflicht etwa aufgrund einer allgemeinen Wehrpflicht erfüllt den Tatbestand nicht, wobei infolge der Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht in Italien dafür derzeit praktische Relevanz nicht besteht. § 33 wird im Hinblick auf Beamte in Südtirol so zu interpretieren sein, dass die pflichtgemäße Erfüllung des Dienstes nicht als schädigendes Verhalten zu werten ist. 9. Für die Regelung der Materie wird der im Gesetzgebungsbereich des Bundes gelegene Kompetenztatbestand „Staatsbürgerschaft“ (Art 11 Abs. 1 Z 1) in Anspruch genommen.

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Erläuterungen Besonderer Teil Zu Art. 1 (Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985) Zu Z 2 (§ 58c Abs. 1 StbG): Die Bestimmung sieht einen erleichterten Zugang zur Staatsbürgerschaft für Südtiroler durch Anzeige an die Behörde vor. Die zuständige Behörde gemäß § 39 iVm § 49 StbG wäre in aller Regel die Gemeinde Wien. Durch die Ergänzung von § 49 Abs. 2 lit. d StbG wird die Zuständigkeit zentral bei der Stadt Innsbruck als Evidenzstelle und der Tiroler Landesregierung als zuständige Behörde gebündelt, was aufgrund der Nähe zu Südtirol und der zu erwartenden Menge der Anträge zweckmäßig erscheint. Die Voraussetzungen sind durch geeignete Dokumente, insbesondere etwa durch Vorlage einer Bescheinigung über die Zugehörigkeit oder Zuordnung zu einer der Sprachgruppen und eine historische Wohnsitzbescheinigung nachzuweisen. Die Anzeige ist nicht persönlich bei der Behörde zu stellen, weil § 19 Abs. 1 StbG nur auf Verfahren auf Verleihung oder Verlängerung der Verleihung der Staatsbürgerschaft anzuwenden ist. Zu Art. 2 (Änderung des Wählerevidenzgesetzes 1973) Zu Z 8 (§ 2a Abs. 2): Bei Südtirolern besteht naturgemäß eine enge Beziehung zum Bundesland Tirol (ethnische und sprachliche Gemeinsamkeit, Verwandtschaftsbeziehungen, Optanten, Landesuniversität Innsbruck, Europaregion Tirol, …), wobei aber überwiegend eine Lebensbeziehung zu einer bestimmten Gemeinde nach den bestehenden Anknüpfungspunkten nicht bestehen wird. Durch die ergänzte Bestimmung wird dem Rechnung getragen und subsidiär die Landeshauptstadt Innsbruck für zuständig erklärt.

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Zu Art. 3 (Änderung des Europa-Wählerevidenzgesetzes) Zu Z 8 (§ 4 Abs. 2): Die Südtiroler können gemäß § 4 Abs. 7 EuWEG erklären, bei Wahlen zum Europäischen Parlament die Mitglieder im Sinne des Art. 23a B-VG wählen zu wollen. Dadurch wird den Südtirolern die Möglichkeit eröffnet, an den Wahlen zum Europäischen Parlament sowohl aktiv als auch passiv in Österreich mitzuwirken. Da bei Wahlen zum Europäischen Parlament die Mitgliedsstaaten einheitliche Wahlkörper bilden, ist es den Südtirolern nur erschwert möglich, bei Wahlen in Italien eigene Volksvertreter in das Europäische Parlament zu entsenden. Die Möglichkeit, in Österreich auch Südtiroler als Kandidaten aufzustellen, stärkt die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die Europaregion Tirol und die Einheit des Landes Tirol.

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In SĂźdtirol ist, im Vergleich zu vielen anderen Regionen in Europa und in der restlichen Welt, die doppelte StaatsbĂźrgerschaft (noch) keine Realität, wenngleich BemĂźhungen in diese Richtung bereits mehrfach unternommen wurden. Das Thema wird politisch sowohl in Ă–sterreich als auch in SĂźdtirol kontrovers diskutiert, hierbei mitunter oberflächlich, einseitig und polemisch. Diese Publikation versteht sich als Informationsschrift und Diskussionsgrundlage fĂźr politische Entscheidungsträger und fĂźr interessierte BĂźrger. In zwĂślf Beiträgen wird das Thema doppelte StaatsbĂźrgerschaft aus diversen (rechtlichen, länderspezifischen, minderheitenbezogenen) Perspektiven beleuchtet, und als Leser gewinnt man dabei zwangsläufig interessante Einblicke in die Situation einer betreffenden Minderheit. Die Autoren, die aus den unterschiedlichsten Regionen der Europäischen Union und der restlichen Welt stammen, sind oft selbst AngehĂśrige der jeweils gegenständlichen Minderheit und fungieren (nach dem Stand von Oktober 2015) als politische Vertreter, hohe Beamte, Juristen, Wissenschaftler an Universitäten oder Vertreter von Kulturvereinen, wobei sich ihre Funktionen teilweise Ăźberschneiden.


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