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Ruedi Kälin

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Diana Frei

Diana Frei

Perspektivenwechsel

Der Weihnachtsmonat ist lieber und anständiger als die anderen Monate. Man nimmt sich mehr Zeit. In der Bahnhofshalle in Zürich steht ein Weihnachtsbaum, schön geschmückt, und Peter Conrath, mit dem zusammen ich jahrelang als Stadtführer eine gemeinsame Tour hatte, kamen beim Anblick des Baumes immer fast die Tränen.

Auch mir kommen dabei alte Erinnerungen aus meiner Davoser Zeit in den Sinn, als meine Eltern und Grosseltern noch lebten. Peter und ich fragten auch die Zuhörer*innen auf unserer Stadtführung immer: Was ist für euch Weihnachten? Meine Eltern leben jetzt nicht mehr, deshalb mache ich bei mir zuhause in Chur ein Essen. Auch Heini ist eingeladen, der mit mir Surprise verkauft. Wir machen verschiedene Projekte zusammen und haben zum Beispiel Flyer für ein neues Projekt für Obdachlose in Chur verteilt.

Mit Peter ging ich auch schon ans Fest der Heilsarmee am 24. Dezember, das war ein sehr schöner Moment. Mit ihm habe ich seit 2014 Stadtführungen gemacht und Surprise verkauft, das verbindet auch in schlechten Zeiten.

Und leider gibt es sie, die schlechten Zeiten. 2020 ging ich am 27. Dezember nach Davos, Heini und Peter kamen auch. Am 24. Januar gingen Heini und Peter spazieren, mir war nicht gut, ich ging nicht mit. Peter ist beim Spazieren zusammengebrochen. Er hatte eine Hirnblutung, seither sitzt er im Rollstuhl in der Reha in Schaffhausen. Am häufigsten besucht ihn Hans, der auch Surprise verkauft und Stadtführer ist (und Kolumnen schreibt!), und ich gehe auch zweimal die Woche hin.

Ich bin auch nicht mehr ganz gesund. Ich habe Diabetes und war zwei Monate im Spital. Auch das war 2020, kurz vor Peters Zusammenbruch. Ich habe fast meinen Fuss verloren. Es war die dümmste Zeit, genau als der Weihnachtsverkauf begonnen hätte. Aber ich tue seither brav, was mir der Doktor sagt. Ich schaue ein bisschen mehr auf mich, auf meine Gesundheit, meine Bedürfnisse. In der Weihnachtszeit falle ich aber wieder in Arbeitseifer. Die Stimmung ist schön, die Menschen sind freundlich, und ich bin besser drauf. Ich kann Geld zur Seite legen für Eishockeyspiele und andere spezielle Pläne. In der Weihnachtszeit habe ich eine längere Perspektive als sonst im Jahr.

RUEDI KÄLIN, 64, verkauft Surprise in Chur, Zürich und Zug. Weil er keine Familienmitglieder mehr hat, verbringt er die Weihnachtszeit am liebsten beim Verkaufen wegen der vielen guten Leute und Gespräche.

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