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Stephan Pörtner

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Semhar Negash

Semhar Negash

Stephanstag

Jedes Jahr freue ich mich auf die Weihnachtszeit. Obwohl ich mit Weihnachten nichts anfangen kann. Erstens, weil ich nicht dem christlichen Glauben angehöre, zweitens, weil ich kein Freund des Termin-Schenkens bin, bei dem Menschen Geschenke bekommen, unabhängig davon, ob sie diese wollen oder brauchen.

Das Schenken zu Weihnachten geht auf die Heiligen Drei Könige zurück, die einen Präzedenzfall schufen: Zwei Drittel der Geschenke waren Mist. Gold, okay, aber Weihrauch und Myrrhe? Ein Mann und eine hochschwangere Frau, erschöpft von einer beschwerlichen Reise, werden von Herberge zu Herberge geschickt, in finsterer Nacht, ehe die Frau das Kind zur Welt bringt, in einem Stall, in dem weder Halbpension noch Frühstücksbuffet angeboten werden. Dieses Ehepaar wird sich kaum gesagt haben: «Ach, hätten wir bloss Weihrauch und Myrrhe!» Doch genau das bekamen sie. Seither will es die Tradition, dass unnütze, aber teure Dinge verschenkt werden.

Die eigentlichen Feiertage sind geprägt von Familiendramen, Animositäten und Ressentiments. Allein die Frage, bei wem am 24. oder am 25. gefeiert wird, führt dazu, dass Konflikte, Verletzungen und Beleidigungen schon wacker gedeihen, bevor die erste Kerze am Baum brennt. Der Tannenbaum, der zwingend dazugehört. Das Jahr über kaufen wir alles, bei dem versprochen wird, dass dafür Bäume gepflanzt werden, zu Weihnachten massakrieren wir sie wieder, und was der Tannenbaum mit einer Geburt in Palästina zu tun hat, bleibt bestenfalls unklar.

Aus diesen Gründen habe ich mit Erreichen der Volljährigkeit das Feiern von Weihnachten eingestellt, mich diesem mittels Verreisen ins nahe Ausland entzogen. Der Schritt über die Grenze ist ratsam, denn wenn sich herumspricht, dass man Weihnachten allein zuhause verbringt, wird man gnadenlos eingeladen, teilzuhaben am Elend anderer Menschen.

Der 24. und 25 Dezember werden ruhig vertüdelt. Zeit, einen Klassiker zu lesen.

Nun aber folgt der Grund, weshalb ich die Weihnachtszeit trotzdem mag: der Stephanstag. Der am wenigsten beachtete, aber meiner Ansicht nach schönste Feiertag des ganzen Jahres. Dass es mein Namenstag ist, macht ihn mir umso sympathischer. Nicht zuletzt, weil noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, mir am Stephanstag etwas zu schenken, mich zu besuchen oder einzuladen. In der Schweiz hat man an diesem Tag frei, fragt man die Leute jedoch nach dem Anlass dafür, haben sie keine Ahnung. Niemand interessiert sich für den armen Stephan, den Märtyrer, der gesteinigt wurde. «He got stoned», wie es im Englischen heisst. Dasselbe zu tun, war in jungen Jahren durchaus eine Methode, seiner zu gedenken.

Um den Stephanstag möglichst vollständig zu geniessen, empfiehlt es sich, früh aufzustehen, was kein Problem ist, wenn man am Abend vorher zeitig zu Bett ging und von schweren Speisen und Alkohol die Finger liess. Selten ist die Welt so ruhig und friedlich wie am Morgen des Stephanstages. Welch ein Gegensatz zum Weihnachtsrummel. Es lohnt sich, einen kleinen Morgenspaziergang zu unternehmen, ausser Besitzer*innen von Hunden mit Reizblase ist niemand unterwegs. Alles liegt erschlagen im Bett, hat einen Kater und ist still. Herrlich.

Ein idealer Tag, um Wintersport zu betreiben, selbst Topdestinationen sind menschenleer. Dasselbe gilt für alle anderen Ausflugsziele, Naturschönheiten, See- und Meeresufer: Man ist, wenn nicht allein, so doch fast. Selbst an touristischen Hotspots herrscht kaum Gedränge, denn niemand will am Stephanstag ein Selfie mit feiertagsbeschädigter Fratze machen.

Bis die ersten Festtagsleichen dann doch noch auftauchen, ist man schon ordentlich müde, begibt sich wieder zurück ins Innere und widmet sich dem, wonach einem gerade der Sinn steht, denn es gibt nichts aufzuräumen, keine Küchen zu putzen, keine Geschenke zu verstauen, keine Entschuldigungsanrufe zu tätigen. Man geniesst die letzten ruhigen Stunden dieser Jahreszeit, denn bald schon beginnen die Leute wieder umtriebig zu werden, sich aufzubrezeln, Schaumwein zu trinken und in der Kälte zu stehen, weil irgendwo im Hochnebel scheints ein Feuerwerk abgebrannt wird.

STEPHAN PÖRTNER, 57, ist ein hochgeschätzter, langjähriger Begleiter von Surprise, ob mit eigenen Kolumnen oder als Wissensvermittler in der Surprise-Schreibwerkstatt.

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