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Irrtum ausgeschlossen?
Ein Geschäftsmann aus dem Zürcher Oberland steht vor Gericht, weil er mit Kratom gehandelt hat. Und nein, es ist keine Bildungslücke, wenn Sie gerade denken: Was zur Hölle ist Kratom? Selbst der Vorsitzende am Obergericht Zürich hatte noch nie davon gehört. Deshalb zum Prozessauftakt etwas Pflanzenkunde.
Der Kratombaum ist vor allem in Südostasien verbreitet. Dessen Blätter werden seit Jahrhunderten als Heilmittel und zu Rauschzwecken genutzt. Psychoaktiv sind die Substanzen Mitragynin und 7-Hydroxymitragynin. Doziert der Gerichtspräsident: «In niedriger Dosis putschen die Stoffe auf, höher dosiert sedieren sie.» Was ihn erstaunt: Als Schmerzmittel soll Kratom x-fach potenter und weniger suchtbildend sein als Morphin.
Dazu meint der Geschäftsmann: Leider habe die Pharmaindustrie die Pflanze nie genutzt, lasse sich eben schlecht monetarisieren. Der Kratom-Handel sei immer nur ein kleiner Teil seiner Geschäftstätigkeiten gewesen, sagt der Beschuldigte. Vertrieben hatte der 49-Jährige das Grünzeug über Websites in der Schweiz und in Deutschland. Nach bestem Wissen und Gewissen, wie er betont. Er will denn auch einen Freispruch.
Quelle: Ludovic Vérolet, Fälle aus der Beratung, in: TANGRAM – Zeitschrift der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Struktureller Rassismus, Nummer 46, Oktober 2022, Bern.
In Deutschland ist Kratom bis heute legal, in der Schweiz wurde es im Oktober 2017 verboten. Auf der Schweizer Website, sagt der Unternehmer, habe er deshalb umgehend einen entsprechenden Hinweis aufschalten lassen. Laut Staatsanwaltschaft geschah dies allerdings erst im Dezember 2017. Unbestritten ist, dass es den hiesigen Kund*innen weiterhin möglich war, das Kraut auf der Website der Tochterfirma in Deutschland zu bestellen – und diese lieferte in die Schweiz. Rund dreissig Pakete, insgesamt über 12 Kilogramm Blätter, fing der Zoll zwischen November 2017 und April 2018 ab. Marktwert: rund 2000 Euro.
Der Beschuldigte sagt, er sei erstens davon ausgegangen, dass dieser Handel unter das deutsche Recht falle. Zweitens, dass ohnehin die Kundschaft verantwortlich sei, schliesslich habe diese das Kraut eingeführt. Der Richter wundert sich etwas: «Sie glauben also, dass man Heroin aus einem Land, wo es erlaubt ist, einfach so über das Internet weltweit vertreiben darf?»
Die Nachfrage deutet es an: Die Oberrichter*innen nehmen dem Mann den angeblichen Rechtsirrtum nicht ab. Sie sprechen ihn auch in zweiter Instanz schuldig. In einem Punkt geben sie dem Mann aber Recht: Bei der in Hausdurchsuchungen sichergestellten Ware handelt es sich nicht sicher um Kratom. Das diesbezügliche Gutachten scheint nicht über alle Zweifel erhaben zu sein.
So richtig freuen dürfte sich der Mann trotzdem nicht. Zwar reduzieren die höheren Richterinnen die Geldstrafe von 180 auf 120 Tagessätze. Aber weil der Unternehmer erfolgreich unterwegs ist, erhöht sich der Satz von 50 auf 200 Franken, also von 9000 auf satte 24 000 Franken. Die Strafe ist bedingt, also nur zu zahlen, wenn der Unternehmer während der Probezeit von zwei Jahren erneut straffällig wird. Dennoch: Auf den Verfahrenskosten von über 20 000 Franken bleibt er sitzen.