Sutton Verlag Leseprobe: Die Druidenkrieger"

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Josef Sax

Die Druidenkrieger



Josef Sax

Die Druidenkrieger


Sutton Verlag GmbH Hochheimer Straße 59 99094 Erfurt http//:www.suttonverlag.de Copyright © Sutton Verlag, 2009 Buch: 978-3-86680-414-2 E-Book: 978-3-86680-772-3 Gestaltung: Markus Drapatz


Inhalt Ăœber dieses Buch Die Druidenkrieger

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Nachwort

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Glossar

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Über dieses Buch Als ich an einem sonnigen Herbsttag durch die schöne Landschaft rings um meinen Heimatort Wolken wanderte, versuchte ich mir vorzustellen, wie es wohl früher hier ausgesehen haben könnte. Wenn man das kurze Wegstück hinauf auf den Karmelenberg geht, dann ist man oft seltsam berührt, wird nachdenklich und schweigsam. Dieser Berg ist etwas Besonderes, und viele Menschen spüren es unbewusst – auch ohne die Geschichten der Vergangenheit zu kennen. Wer einmal an diesem mystischen Ort gewesen ist, wird ihn aus weiter Ferne und aus jeder Himmelrichtung sehr schnell wieder entdecken. Im Buch heißt er Covernaberg (siehe Glossar). Unweit liegen der Goloring, der Gollenbusch, der Birkenkopf und die Dreitonnenkuppe. Einst war hier für die Menschen heiliger Boden! Eine Vielzahl vorgeschichtlicher Gräber in der Umgebung zeigt, wie wichtig diese Orte damals gewesen sind und wie frühzeitig hier schon eine Besiedlung stattfand. Seit der Steinzeit lebten hier nachweislich Menschen und veränderten die Landschaft nachhaltig. Der Goloring hatte vermutlich überregionale Bedeutung und ist die bisher größte entdeckte Anlage ihrer Art auf dem europäischen Kontinent. Nicht so spektakulär wie Stonehenge in Südengland, aber mit ähnlichem Zweck: Vermutlich waren es heilige Plätze, die der Beobachtung von Sonne und Mond dienten und damit die Funktion eines Kalenders erfüllten. Der Goloring ist – an die Genoveva-Sage angelehnt – nach Golo, dem Verräter und Ehebrecher benannt, der hier hingerichtet worden sein soll. Den ursprünglichen Namen kennt niemand mehr. In den Jahren um 633 v. Chr. gab es noch die sogenannte Hunsrück-Eifel-Kultur in unseren Regionen, die vermutlich irgendwo zwischen den keltischen und germanischen Lebensverhältnissen einzuordnen ist und erst später langsam „keltisiert“ wurde. Ich habe mir hier die künstlerische Freiheit genommen und schreibe von Kelten und Germanen. Oft sind die Übergänge zwischen den beiden Hauptgruppen historisch nicht


genau bekannt, einige Wissenschaftler sprechen zum Beispiel von Keltogermanen. Es ist vermutlich auch nicht korrekt, den Rhein als Trennung zwischen den Völkern einzusetzen, frei nach dem Motto: Rechts des Rheins siedelten die Germanen, links davon die Kelten. Diese These ist historisch zu simpel, aber ich habe sie der Einfachheit halber in meinem Roman benutzt. Nicht unproblematisch sind viele Ortsbezeichnungen, die in diesem Roman verwendet wurden. Teilweise sind sie keltischen oder römischen Ursprungs. Die Römer haben auch einige alte Namen übernommen oder manchmal nur leicht abgeändert. Oft wurden die Orte erst später, meist in Urkunden, zum ersten Mal schriftlich erwähnt und ihr wahres Alter und der ursprüngliche Name sind uns heute unbekannt. Trotzdem habe ich solche Bezeichnungen verwendet und habe den an diesen Orten vorgefundenen Siedlungsresten damit einen Namen gegeben, um eine regionale Orientierung zu ermöglichen. Dass alle genannten Siedlungen tatsächlich schon zur Zeit der Handlung bekannt waren, ist eher nicht wahrscheinlich. Die verwendeten Personennamen wurden völlig willkürlich verwendet und stehen in keinerlei Bezug zu lebenden oder verstorbenen Personen oder zu Organisationen. Jegliche Ähnlichkeiten sind daher rein zufällig und nicht beabsichtigt. Assurbanipal hat zu dieser Zeit jedoch wirklich gelebt. Die genannten Kelten- und Germanenstämme sind nicht exakt den zitierten Regionen zuzuordnen. Fast alle Kenntnisse darüber stammen aus der späteren, römischen Zeit und verzerren die Herkunft und die Wege der Volksgruppen. Teilweise gibt es in unterschiedlichen Quellen erhebliche Abweichungen voneinander. Ich bitte die Historiker und Fachleute unter Ihnen, mir vielleicht nicht korrekte Angaben, falsche Zusammenhänge oder zeitlich verschobene Aspekte zu verzeihen. Die gebräuchlichen Begriffe „Kelten“, „Germanen“ und „Skythen“ sind historisch nicht in dieser Form verwendet worden. So nannten sich die keltischen Stämme nicht „Kelten“ oder sprachen von „Germanen“. Wie zuvor erwähnt, stammen diese Begriffe überwiegend aus dem Bereich der römischen Geschichtsschreibung. Auch hierbei erfolgte eine Vereinfachung. Es ist eben ein Roman und kein Fachbuch; der Unterhaltungswert stand für mich im Vordergrund – trotzdem habe ich mir Mühe gegeben, bekannte historische Fakten in die Handlung einzubinden. Ich hoffe, ich kann Ihre Fantasie etwas anregen, sich das Leben, die Wälder, Siedlungen und Wege in

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diesen Zeiten vorzustellen und den erdachten Personen ein Gesicht zu geben! Tr채umen Sie einfach ein wenig und tauchen ein in die spannende Welt, wie sie lange vor der Zeitenwende vielleicht einmal ausgesehen hat. Viel Vergn체gen w체nscht Ihnen Josef Sax

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in gewaltiger Stier stand plötzlich auf dem engen Pfad und scharrte mit dem Vorderhuf. Lautstark schnaubte er durch die Nase und warnte vor weiterer Annäherung. Sein Kopf war angriffslustig gesenkt, und die langen, spitzen Hörner zeigten in Richtung des dunkelhaarigen Reiters und seiner beiden Packpferde. „Ein Auerochs! Beim Belenus, das hat mir gerade noch gefehlt!“, erschrak der junge Mann und zügelte die Rösser. Eine Kurve im Verlauf des Wegs hatte ihn die Gefahr zu spät erkennen lassen. ‚Hoffentlich reicht der Abstand zu diesem Biest, sonst bin ich verloren!‘, dachte er furchtsam. Vorsichtig ließ er sich aus dem Sattel zu Boden gleiten und ergriff mit bedächtigen Bewegungen einen Speer mit eiserner Spitze. Erborix, Sohn des Fürsten vom Covernaberg, kehrte von einer langen Handelsreise zurück und freute sich auf die Ankunft zu Hause. Und nun war sein Weg von diesem vierbeinigen Koloss versperrt! Erborix befand sich auf Schulterhöhe mit dem Stier, dessen schwarzes Fell mit den hellen Streifen am Bauch in der Sonne glänzte. ‚Es ist ein Einzelgänger – ein Bulle ohne Herde‘, dachte er. Diese ausgewachsenen Tiere waren unberechenbar und wegen ihres angriffslustigen Verhaltens gefürchtet. Doch er konnte nicht ausweichen mit seinen Pferden. Schlehenhecken säumten den Weg zu beiden Seiten, außerdem befanden sie sich in einer Senke zwischen zwei Hügeln. Ein Rückzug war nicht möglich, der Stier würde es gewiss als Bedrohung ansehen, wenn Erborix mit seinen Tieren kehrtmachte. „Bei allen Göttern, so einen riesigen Auerochsen habe ich noch nie gesehen! Ein wahrer Fleischberg mit Hörnern“, flüsterte er zu sich selbst. Das war überhaupt das größte Tier, das ihm je unter die Augen gekommen war. Am liebsten wäre er davon gelaufen, doch er blieb reglos stehen und beobachtete, wie sich der Stier verhielt. Erneut scharrte das Biest mit dem Huf und hielt den Kopf gesenkt. Erborix spürte das Pochen seines Herzens und begann zu schwitzen. Er wusste genau, ein einzelner Mann konnte einen angreifenden


Auerochsen mit einem leichten Wurfspeer kaum aufhalten. Ging der erste Lanzenstoß fehl, dann boten selbst Dornenhecken keinen Schutz mehr. Solch ein Tier war beinahe so schwer wie zwei Pferde und ließ selbst die mutigsten Krieger Furcht empfinden. Respektvoll betrachtete er die weit ausladenden Hörner und die Narben im schwarzen Fell. Im rechten Hinterlauf steckte noch der Rest eines Pfeils, aber die Wunde war längst verheilt und behinderte das Tier nicht. Der Koloss hob und senkte nun den massigen Kopf, dabei schnaubte er so kräftig, dass Staub vom Weg aufwirbelte. Doch plötzlich hielt er den Schädel witternd aufrecht. Langsam kam er auf Erborix zu und sog hörbar Luft in die Nase. Erborix blieb unbewegt stehen und hielt den Speer für alle Fälle bereit. Er spannte seine Muskeln an und schauderte. ‚Hoffentlich bleiben die Pferde ruhig!‘, dachte er aufgeregt und sah dann mit angehaltenem Atem zu, wie der Auerochse gemächlich vorbeitrottete, so nah, dass er ihn fast hätte berühren können. Der Boden erzitterte unter der Masse des Tieres. Die Pferde standen dicht zusammengedrängt und fast bewegungslos. Erborix’ Blick folgte dem schwarzen Riesen, bis dieser hinter der Biegung verschwunden war. Der Fürstensohn spürte, wie sein Puls raste. Er wischte sich ein paar Schweißtropfen von der Stirn und verstaute die Waffe. Noch einmal blickte er sich um, der Auerochse war weg. Erborix setzte seinen Weg fort und freute sich, so glimpflich davongekommen zu sein. „Auf nach Hause – es ist nicht mehr weit! Da wartet Hafer auf euch“, rief er jetzt übermütig und trieb seine Pferde an. Wochenlang war er unterwegs gewesen. Er hatte die Regionen bis hin zum Mittelländischen Meer bereist und Handel getrieben. Wieder einmal hatte ihn, den großgewachsenen und drahtigen Erborix, die Neugier in die Ferne gezogen, unbekannte Reisewege und fremde Siedlungen waren stets eine Verlockung für ihn. Aber jetzt war er voller Sehnsucht nach seiner geliebten Frau. Der schmale Waldpfad wurde immer steiler und beschwerlicher, bis Reiter und Tiere auf die Kuppe eines Hügels gelangten. „Da ist er! Endlich!“, freute sich Erborix. Von hier oben konnte er den Covernaberg sehen – das Ziel seiner Reise. Gut gelaunt blickte er sich um und sah verdutzt, wie sich ein Gewitter von Westen näherte. Eine dunkelgraue, bedrohliche Wand türmte sich am Horizont auf und kam schnell näher. Blitze zuckten darin in großer Zahl und verhießen Unheil. Im dichten Wald hatte er nichts davon bemerkt. „Auch das

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noch“, murmelte er. Er zog eilig weiter. Dunkle Wolken überzogen jetzt den stahlblauen Himmel und verfinsterten die Sonne. Eine bleierne, feuchte Luft verdrängte die sommerliche, trockene Hitze und ließ selbst die Pferde schwer atmen. Winzige, schwarze Mücken klebten auf der verschwitzen Haut und Erborix wischte sie verärgert weg. ‚Bald habe ich es geschafft, ich muss mich beeilen‘, dachte er und trieb sein Reitpferd weiter an. „Los, Brauner, wir wollen doch nicht ins Gewitter geraten, oder?“ Das gehorsame Tier spürte die Unruhe seines Reiters und trabte noch schneller. Wie immer liefen die beiden Lasttiere mit ihrem schweren Gepäck in gleichem Tempo hinterher. Erborix’ Blick folgte dem Verlauf des Weges. Dieser schien mit der Landschaft zu verschmelzen, so als habe Taranis, der Gott des Donners, Erde und Himmel miteinander vereint. Totenstill war es hier im Wald aus mächtigen Buchen und Eichenbäumen geworden. Nur der Hufschlag der Pferde auf dem Boden klang hohl und dumpf. Als plötzlich ein kleiner Vogel angstvoll zwitscherte, wusste Erborix, dass er es nicht mehr rechtzeitig nach Hause schaffen würde. Ein Windstoß fuhr durch das Geäst und wirbelte Staubfahnen auf. Dicke Regentropfen prasselten hernieder und bildeten dunkle Flecke auf dem Weg. Dann schien die Hölle loszubrechen. Die verschreckten Pferde waren kaum noch zu bändigen und Erborix brauchte alle Kraft, damit sie nicht in Panik davonliefen. Als hätte der Himmel alle Schleusen geöffnet, so stürzte der Regen jetzt herunter. Donner grollte, Blitze zuckten grell, heftige Windböen bogen die Äste der Bäume fast bis zum Boden. Kleine Zweige knickten ab und flogen zusammen mit abgerissenen Blättern wirbelnd durch die Luft. „He, bleibt ruhig! Ich bin doch bei euch! Ruhig! Es ist nur ein Gewitter“, beschwichtigte er die Tiere, aber sie preschten davon und folgten dabei dem Weg nach Hause. Geschwind näherten sie sich dem Reiseziel. Aber das Wetter wurde noch schlimmer und der Sturm nahm an Heftigkeit zu. Kurz überlegte Erborix, ob er unter einem Baum Schutz suchen sollte, verwarf den Gedanken aber wieder. Zu viele Blitze schlugen in der Nähe ein. Hagelkörner, so groß wie Brombeeren, trafen jetzt schmerzvoll seine Haut. Er schrie leise auf und verbarg sein Gesicht in den verschränkten Armen. Erborix hielt sich am Sattel fest und verließ sich auf den Instinkt seiner Pferde. Sie kannten den Weg und witterten den schützenden Stall. In rasendem Galopp erreichte Erborix den Pfad am Fuß des Covernabergs und verließ mit den Tieren den bisherigen Weg. Hier floss ein schlam-

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miges Rinnsal die Anhöhe herab, die Hufe der Tiere versanken tief im aufgeweichten Lehmboden. Ein Packpferd strauchelte, doch es richtete sich von selbst wieder auf und lief unverletzt weiter. Der Fürstensohn führte die Zügel und Seile straff und redete mit freundlichen Worten auf die verängstigten Tiere ein. „Wenigstens ist der Eisregen vorbei“, seufzte Erborix und betastete eine gerötete Schwellung auf seiner großen Nase. Dort hatte ihn ein Hagelkorn empfindlich getroffen. Mühsam gelangten sie auf die Bergkuppe. Der Reiter näherte sich erleichtert der kleinen Siedlung. Hier oben auf dem Plateau der kleinen, markant in der Landschaft gelegenen Erhebung war sein Heimatdorf. Mit dem gegenüberliegenden, unbewohnten Schweinsberg bildete der Covernaberg eine beeindruckende Landmarke nahe dem Zusammenfluss von Mosella und Rhynn. Rechteckige Holzhäuser in unterschiedlicher Größe standen auf der Anhöhe. Starke Holzpfos­ ten trugen die Dächer aus dünnen Holzstämmen und Strohmatten; Flechtwerke aus biegsamen Ästen bildeten die Wände. Sie waren fein mit Lehm verputzt und boten guten Schutz gegen Hitze, Wind, Regen und Kälte. Innen gab es nur einen einzigen Raum und die zentrale Feuerstelle. Keines der Gebäude hatte Fenster – trotzdem waren sie ein freundlicher Anblick. Hohe Palisaden aus angespitzten Holzpfählen umgaben die kleine Siedlung. Dieses hölzerne Sperrwerk bot Schutz vor Eindringlingen und Raubtieren. Ein schmales Eingangstor bildete den einzigen Zugang. Vor diesem Tor stand der Kelte nun – es war wie immer verschlossen. „Nichts wie raus aus diesem Unwetter, ehe wir im Regen ertrinken“, sprach er zu seinem Reitpferd, als könne es ihn verstehen. Im nächsten Moment schlug ein Blitz unweit von ihm in einen Baum ein; das Tier wieherte vor Schreck und bäumte sich kurz auf. Nur mit Mühe konnte sich Erborix im Sattel halten. Kaltes Regenwasser drang unter sein Gewand und er begann zu frieren. ‚Oh, ihr Leute! Wo ist der Torwächter?‘, dachte er. ‚Wieso ist denn hier niemand?‘ Fest verschlossen und abweisend stand die hölzerne Schutzwand vor ihm. Der kleine Wachturm war nicht besetzt. Hatte es wegen des Gewitters keiner für nötig gehalten, Wache zu stehen? Die Leute des Dorfes hatten sich in die geschützten Stuben zurückgezogen und drängten sich um die Herdfeuer. Kein vernünftiger Mensch würde bei diesem Wetter reisen oder auf den Waldpfaden unterwegs sein.

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„Öffnet mir! Macht endlich auf! Bei allen Göttern des Himmels!“, schrie er und trat wütend gegen das Tor, aber es bewegte sich nicht. Nach langem Rufen schlurfte ein alter Mann heran, bestieg fluchend eine glitschige Leiter und blickte über die hölzerne Wand. Ein Überwurf aus Leder schützte ihn vor dem strömenden Regen. Er schien überhaupt keine Eile zu haben, so als sei ihm der gerade einsetzende Weltuntergang völlig egal. Mit der Hand schützte er seine Augen gegen Wind und Regen: „Wer ist da? Erborix? Bist du das da draußen?“ War der Alte blind? „Was glaubst du denn? Mach endlich auf, ehe mich die Götter in einen Fisch verwandeln!“ Erborix fror erbärmlich und hämmerte ungeduldig mit seinen Fäusten gegen das Holz. In aller Ruhe wurden die Sperrstangen auf der Innenseite der Palisade entfernt und das schwere Tor öffnete sich. „Sei bedankt!“, grummelte er verärgert. Nass war er jetzt, aufgeweicht bis auf die Knochen. Der alte Mann murmelte ein Wort des Grußes und schlurfte zurück in seine trockene Stube. ‚Was ist das bloß für ein Empfang?‘, dachte Erborix verwundert. Kopfschüttelnd packte er seine Pferde an den Zügeln und lief zu einem etwas abseits gelegenen Stallgebäude. Er nahm den Tieren das Gepäck, die Sättel und die Reitdecken ab und versorgte sie gründlich. Pferde waren wertvoll und brauchten ordentliche Pflege. Jetzt, nach der langen Reise, benötigte der frierende Mann auch selbst etwas Zuneigung. Mit seinen wasserdicht in Fell verpackten Habseligkeiten stapfte er keuchend zum nahe gelegenen Langhaus. Die aufwendige Fertigung und der sorgfältige Verputz aus hellem Lehm kündeten vom Wohlstand des Erborix und seiner Frau Avena. Mit einem Ruck öffnete er die schwere Eichentür. Knarrend öffnete sich der Eingang mit seinen kostspieligen Beschlägen. Völlig durchnässt, aber frohen Mutes betrat Erborix sein Haus und warf die schweren Fellbeutel in die Ecke neben der Tür. „Erborix! Erborix!“, jubelte eine helle Stimme. Schon kam Avena herbeigesprungen und nahm ihn fest in die Arme. Freudestrahlend wirbelte er sie herum. „Endlich!“, strahlte sie. „Endlich bist du wieder zurück!“ Ihre Umarmung nahm ihm fast den Atem. „Ich habe dich so sehr vermisst!“, flüsterte sie ihm leise ins Ohr, bevor sie ihn zärtlich küsste. „Und ich war viel zu lange weg von dir!“, erwiderte er und streichelte ihren Nacken. Lachend öffnete Erborix

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die bronzene Gewandspange und warf den Mantel aus gegerbtem Hirschfell ab. Das Kleid seiner Frau war auch nass geworden, aber es schien ihr nichts auszumachen. Avena war eine zierliche Schönheit, noch sehr jung, aber schon lange kein Kind mehr. Wie sie ihn jetzt wieder ansah! Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn und die Härchen seiner Unterarme stellten sich auf. „Du bist ja völlig durchnässt, mein Ärmster. Komm, leg dein Gewand ab, ich werde dich trockenreiben!“, lachte sie und zupfte ihn neckisch an den Haaren. Sie zog ihn nahe an das Feuer heran und half ihm, die restlichen Kleider auszuziehen. Dann rieb Avena kichernd seinen Körper ab und hüllte ihn in weiches Leinen. Angenehme Wärme umfing ihn und ein herrlicher Geruch nach gebratenem Fleisch und frischem Brot ließ seinen Magen knurren. Rasch brachte Avena ein paar Speisen und etwas Wein herbei. „Endlich bin ich wieder zu Hause!“, seufzte er und ließ sich auf den weichen Fellen vor der Herdstatt nieder. Die Widrigkeiten des Unwetters hatte er schon fast vergessen. Avena schmiegte sich an ihn und sie teilten die Mahlzeit. „Wirst du deinen Vater Elverix und deine Schwestern heute noch begrüßen?“ Sie blickte ihn fragend an. „Nein, es ist schon spät und ich muss mich doch um mein Weib kümmern!“, lachte er. „Das rate ich dir auch, mein Liebster. Du hast mich viel zu lange allein gelassen!“ Langsam ließ sie ihr Oberkleid aus feinem Leinenstoff herab gleiten. Erborix ahnte, es würde noch eine lange Nacht auf den weichen Fellen vor dem Feuer werden. Alles andere konnte bis zum Morgen warten.

Elverix war der Anführer auf dem Covernaberg. Mehrere kleine Gehöfte in der näheren Umgebung gehörten ebenfalls zum Herrschaftsbereich des Druiden. Die Menschen genossen seinen Schutz, mussten sich aber auch den Stammesregeln verpflichten und Abgaben an die Siedlungsgemeinschaft zahlen. Der stämmige, kleine Fürst mit den listigen Augen war mit seinen 42 Jahren eigentlich schon ein alter Mann, aber noch kein Greis. Ein starker Kerl war er, mit Stiernacken und gepflegtem Vollbart, dessen zwei geflochtene Spitzen am Kinn herabhingen. Eine lange Narbe zeichnete seine linke Wange – die sichtbare Spur eines Kampfes auf

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Leben und Tod. Viele Frauen hatte er in seinen Bann gezogen und verführt; wirklich geliebt hatte er aber nur eine Adlige aus dem Reich der Gallier, die Tochter eines Druiden aus uraltem Geschlecht – und die Mutter von Erborix. Sie war keine Schönheit gewesen, aber voller Anmut und Würde, darüber hinaus schlagfertig und wortgewaltig. Und sie hatte ihre stete Neugier und den Wunsch nach fernen Orten an ihren Sohn Erborix weitergegeben, genauso wie ihre Kenntnisse von Heilkunst und Natur. Nach ihrem Tod hatte Elverix, um seine Trauer zu überwinden, sich verstärkt der Kampfkunst gewidmet, die er bis ins Detail beherrschte. Niemand, der seine Sinne beisammen hatte, legte sich mit ihm an. Kam es doch mal zu einem Gefecht, dann war der Stammesführer meist überlegen. Doch auch andere Aufgaben verlangten ihm viel Kraft ab. Immer wieder gab es schlechte Ernten, Unwetter oder das Vieh erkrankte plötzlich. Wehe, wenn dann nicht vorgesorgt war. Doch Elverix achtete aufmerksam auf Reserven und Vorräte. Jetzt, im Jahre 633 vor der Zeitenwende, gab es auf den umliegenden Bergen mehrere keltische Siedlungen. Die Höhenlagen ermöglichten einen weiten Blick über den Landstrich und waren gut zu verteidigen. Die einzelnen Herrschaftsbereiche waren mündlich vereinbart und man vertrug sich für gewöhnlich gut mit den Nachbarn, wenngleich es zwischen den Dörfern nur wenig Kontakt gab. Meist trafen sich die Stammesführer und Druiden mehrmals im Jahr zu großen Versammlungen und Feiern. Unweit des Covernaberges befand sich ein wichtiges Heiligtum, das Nemeton, was den Fürstensitz erheblich aufwertete. Die Götterverehrung und alle damit verbundenen Feiern lagen allerdings in den Händen von Elverix’ Bruder Caturix, der das Amt des religiösen Oberhaupts nicht nur innehatte, sondern auch liebte. Elverix hingegen mied die Beschäftigung mit der Religion. Caturix war ein guter Lehrer und hatte immer eine Handvoll Druidenschüler um sich versammelt. Ab und zu war auch ein Mädchen darunter, was andere Druiden teilweise ablehnten. Aber Caturix schätzte den Verstand seiner Schüler und es war ihm gleich, ob sie Jungen oder Mädchen waren. Auch die Herkunft und Abstammung beeinträchtigten nicht seine Auswahl; Hauptsache, das Kind war klug genug, das umfangreiche Wissen zu erlernen und auch anzuwenden. Elverix ließ ihm hier freie Hand. Er war ein Krieger, um Gerechtigkeit bemüht. Im Rat der Weisen, der Versammlung aller Druiden aus dem Umland, führte er stets

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das Wort, genoss weithin Respekt und erfuhr zuerst von den wichtigen Ereignissen der Umgegend. Doch nun blickte der alte Fürst besorgt in die Zukunft.

Erborix wachte erst spät am Morgen in den Armen seiner geliebten Avena auf. Schon lange hatte sie mit offenen Augen neben ihm gelegen und seinen muskulösen Körper bewundert. Sein dunkler Bart mit den geflochtenen Spitzen, sein dichtes langes Haar verliehen ihm eine freundliche und sympathische Ausstrahlung. ,Er sieht wirklich gut aus‘, dachte sie. ,Warum ist er nur so oft unterwegs? Ja, er ist ein erfolgreicher Händler, wir haben einigen Wohlstand. Doch meine Einsamkeit wiegt das nicht auf.‘ Sein Gähnen riss sie aus ihren Gedanken. Erborix lächelte sie an und seine grünen Augen strahlten dabei. „Es ist so schön, in deinen Armen aufzuwachen“, sprach er und streckte sich. „Du hast ja auf deiner Reise kaum etwas gegessen, mein lieber, fauler Rabe“, lachte sie. Den Vogelnamen gab sie ihm oft seiner Klugheit, der großen Nase und der dunklen Haare wegen. „Richtig schmal bist du geworden!“ Deutlich erkannte man die Rippen- und Hüftknochen. Seine sonnengebräunte Haut ließ die Fingerringe und den eleganten, goldenen Reif um seinen Hals besonders strahlen, das Zeichen der einflussreichen Krieger. „Niemand verwöhnt mich so wie du!“, schmeichelte er. „Nirgends schmecken die Speisen besser als bei dir. Deshalb habe ich mich beeilt, nach Hause zu kommen.“ „Das sagst du jetzt, nachdem du mich für so viele Tage verlassen hast. Und nun willst du mich mit schönen Worten betören!“, lachte sie und knuffte ihn dabei scherzhaft in die Seite. „Du bist ein wilder Rabe gewesen, letzte Nacht!“ Ihre langen Haare hingen wirr herab. Geschlafen hatten sie nur wenig. „Ich hab dich sehr vermisst, Avena. Die Zeit wurde mir lang auf dieser Reise und ich hatte große Sehnsucht nach dir. Aber ich habe immer das Gefühl, dass irgendetwas in der Ferne auf mich wartet.“ Ihre Miene wurde finster. „Vielleicht wartet dort der Tod auf dich. Verlass mich nie mehr, Erborix! Hörst du?“ Lachend zog Erborix sie zu sich heran, aber sie entwand sich geschickt seinem Griff und hüllte sich in ein Fell. Als hätte sie es geahnt, polterte es an der Türe und Elverix kam herein

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gestapft. Zufrieden sah er zu, wie sein nackter Sohn kampfbereit nach einem Holzscheit griff. „Ah, der alte Torwächter hat wirklich nicht gelogen. Willkommen zurück, mein Sohn! So ein Wahnsinn, im Gewitter zu reiten, aber du hattest wohl Verlangen nach deiner Frau. Leg dein Gewand an und komm nach draußen. Ich habe mit dir zu reden.“ Der Fürst sprach selten unnötige Worte. Er zwinkerte Avena zu. „Gib dem Kerl etwas zu essen. Der sieht ja ganz verhungert aus, dein Rabe!“, lachte er. „Er findet mich draußen auf dem Platz beim Speerwurf!“ Erborix wusste, wenn sein Vater mit den Speeren übte, konnte er sich Zeit lassen. Er wusch sich gründlich mit eiskaltem Quellwasser und zog ein weiches Gewand aus Rehleder an. Leise singend brachte Avena frisches Brot, Honig und kühle Milch herbei. Hungrig brach er ein Stück vom knusprigen Gebäck ab und stippte es in die süße Masse. „Mmmh, es ist köstlich“, lobte er und vertilgte eine große Portion. Blinzelnd trat er wenig später aus der Stube in das helle Licht des sonnigen Vormittags. Das Gewitter hatte sich verzogen und keine Wolke trübte den blauen Himmel. Sein Vater stand vor dem Gemeinschaftshaus und warf mit den Speeren auf eine Strohpuppe. Interessiert sah ihm Erborix dabei zu. Der Fürst hatte einen starken Wurfarm und verstärkte diese Kraft mit einer Speerschleuder. Sie bestand aus einem geflochtenen Behältnis aus Weidenholz und einem daran befestigten, langen Lederband. Das Ende des Speerschafts hatte er in das Weidenrohr gesteckt und dann warf er den Speer mit Hilfe des Lederbandes am ausgestreckten Arm. Diese sinnreiche, lederne Verlängerung des Wurfarmes gab der hölzernen Waffe mit ihrer geflügelten, zweischneidigen Spitze aus Eisen eine enorme Wucht und Durchschlagskraft. Beinahe täglich übte Elverix diese schwierige Wurfkunst und hatte eine erstaunliche Zielgenauigkeit erlangt. ,Gut, dass der Vater nicht zu meinen Feinden gehört‘, dachte sich Erborix. Schaudernd sah er zu, wie Speer auf Speer in eine weit entfernte Strohpuppe drang. Plötzlich kamen seine Schwestern, Tari und Berid, kichernd aus dem Elternhaus gerannt. Sie fielen ihm zur Begrüßung um den Hals. Auch der Fürst hatte sie gehört und drehte sich erfreut zu seinen erwachsenen Kindern um. „Ah, da bist du ja schon, Rabe von Avena!“, rief Elverix. Dass er schon fast eine Stunde geübt hatte, ehe sein Sohn bei ihm eintraf, war ihm offenbar nicht aufgefallen.

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„Gibst du mir jetzt auch diesen Namen, Vater? So lang ist meine Nase ja wohl wirklich nicht“, schmunzelte er. Aber sein Vater schwieg und gab den jungen Frauen ein Handzeichen, woraufhin sie Erborix ein Lächeln schenkten und wieder im Haus verschwanden. „Elverix hat wohl etwas mit ihnen vereinbart“, wunderte sich der Fürstensohn und blickte ihnen nach. „Was hat der alte Fuchs denn nun schon wieder vor?“ Obwohl der Fürst deutlich kleiner war als Erborix, legte er diesem seine Hände auf die Schultern und blickte ihn schweigend an. ,Beim Belenus, diese Augen hat er von seiner Mutter. Sie lebt in ihm weiter!‘, dachte der Vater und sagte dann leise: „Weißt du, ich träumte das nahe Ende meiner Herrschaft und werde gewiss bald dem heiligen Fluss des Lebens nicht mehr folgen können. Es wird ein neuer, starker Arm die Wege der Menschen leiten müssen!“ Erborix hatte den Eindruck, als wären die Augen des obersten Druiden kurz etwas feucht geworden. „Darüber möchtest du mit mir reden?“, fragte er besorgt und begann zu frieren, obwohl ihn die Sonnenstrahlen wärmen sollten. Sein Vater schien jetzt so fern von dieser Welt, bleich, faltig, mit starrem Blick. Es schien so, als sei er um dutzende Jahre gealtert. „Vater, was …?“ „Komm mit!“ Mit schnellen Schritten ging Elverix voran und der Sohn folgte ihm hastig zum Kreis des Lichts. Unweit vom Coverna­ berg lag das Nemeton, eine Art Kalender, mit dem anhand von Toren und Geländeerhebungen der Sonnenstand bestimmt wurde. Vor ewigen Zeiten hatten weise Druiden den Kreis angelegt, das wichtigste Heiligtum der ganzen Region mit hohen Wällen, Eingangstoren und einem mächtigen, aufragenden Eichenpfahl in der Mitte. Rätselhafte Schriftzeichen waren in diesen Pfahl eingeritzt. Wenn das Licht der Sonne in einem festgelegten Winkel durch hölzerne Tore schien, konnten die Druiden daran bestimmte Tage erkennen. In Verbindung mit Landmarken berechneten sie so den Verlauf des Jahres. Besonders Aussaat und Ernte waren von elementarer Wichtigkeit für das Überleben der Siedler, und der Kalender des Nemeton bestimmte diese Zeiten. Erborix hatte vieles von dem geheimen Wissen erlernt und verstand die grundsätzlichen Funktionen der Anlage. ,Lange müssen die Vorväter nach einem solchen Platz gesucht und über viele Jahre den Lauf der Sonne beobachtet haben‘, dachte er, während er schweigend seinem Vater nacheilte. Die Alten vermuteten, das Wissen darum sei von den stürmischen Inseln des Westens gekommen, wo die Britannier lebten;

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aber niemand wusste, wie alt das Heiligtum eigentlich war. Große Krieger hatten ihr Grab in der Nähe dieses Platzes gefunden, sogar eine Fürstin aus dem Süden lag hier begraben. Mystisch und unheimlich wirkte der Ort, wenn die Tore im Mondlicht lange Schatten warfen. Hier verband sich die Welt der Vergangenheit mit der Gegenwart. Seit Jahrhunderten wurde von den dort verborgenen Schätzen berichtet: von Gold und Bronze in den Hügeln, Edelsteinen, heiligen Gegenständen und mächtigen Waffen. Aber niemand beging den Frevel und wagte es, eines der geheimnisvollen Gräber zu öffnen. Die ganze Anlage wirkte trotz ihrer Größe sehr einfach, aber man spürte förmlich die magische Ausstrahlung, die von diesem besonderen Platz ausging. Wenn die Kinder vom Nemeton sprachen, flüsterten sie immer hinter vorgehaltener Hand. Selbst die lauten, stürmischen Krieger wurden hier schweigsam. „Vater, was willst du mir zeigen?“, fragte Erborix den Älteren und unterbrach damit die bedrückende Stille. Doch der Fürst ging schweigend weiter und gab das unmissverständliche Handzeichen, ihm weiter zu folgen. Sie überquerten einen schmalen Weg und gelangten jetzt auf das Gelände des Heiligtums. Der Fürstensohn war schon lange nicht mehr hier gewesen und blickte sich aufmerksam um. Still und friedlich war es hier. Unzählige bunte Sommerblumen erstrahlten im satten Grün der Wiese, lockten Bienen, Hummeln und Schmetterlinge an. Kleine, mit hellen Steinchen bedeckte Pfade bezeichneten die vier Himmelsrichtungen und vereinigten sich im Zentrum des Kreises hinter dem zweiten Wall – dort, wo der Pfahl den Mittelpunkt der Anlage bildete. Sie erreichten eines der inneren Tore. Der Fürst drehte sich um und fasste seinen Sohn am Arm. „Bleib jetzt stehen, Erborix. Du darfst den inneren Kreis nicht betreten!“ „Ich weiß doch, Vater. Was tun wir hier?“ „Nun, was ich dir sagen möchte … also …“, stammelte Elverix nervös und blickte ihm tief in die Augen, „weißt du, auch dein Onkel Caturix konnte die Ahnungen nicht deuten. Er meinte, ich hätte zuviel Met getrunken. Doch er versuchte, ständig abzulenken. Ich denke, er weiß mehr, aber er spricht nicht darüber.“ „Vater, was denn? So sag es doch endlich!“ Erborix war aufgewühlt. „Du bist ein mutiger Krieger, mein Sohn. Aber du bist kein Druide, trotz aller Weisheit, die dir deine Mutter mitgab. Auch mein

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Vater war einst unser Anführer und ich hatte großen Respekt vor ihm. Wer soll mir nachfolgen, wenn nicht du? Wer wird einmal der neue Herr des Covernaberges? Und wer wird diesen heiligen Ort beschützen? Ich bin sicher, du wirst bald die Geschicke unseres Dorfes leiten und den Menschen beistehen.“ ‚Oh nein‘, dachte Erborix. ‚Schon wieder diese Geschichte.‘ Obwohl sein Vater gerne den Luxus aus dem Ertrag der Handelsreisen genoss, quälte er ihn oftmals mit unerfreulichen Gesprächen über Druidenweihe und Nachfolge. Sie hatten schon einigen Streit deswegen gehabt. „Ich bin noch nicht bereit für die Prüfung“, sagte er vorsichtig, damit der Alte sich nicht wieder aufregte. „Es warten noch andere Aufgaben auf mich. Jeder Mensch bewirkt Veränderungen, so wie es sein Schicksal vorsieht. Du bist der Fürst und wirst es noch lange sein. Eines Tages werde ich gewiss eine andere Bestimmung erfüllen, aber noch ist es zu früh dazu!“ „Du hast die Sturheit deiner Mutter! Warum müsst ihr immer wie die großen Ochsen gegen alle Wände laufen?“, sagte der Fürst verärgert und verzog sein Gesicht. Erborix konnte das Schmunzeln nicht verbergen; sein Vater war öfters am Widerstand seiner Frau gescheitert. Doch der Fürst sah ihn verstimmt an. „Vater, irgendwann wirst du mich verstehen! Du hast mir immer geraten, auf das Gefühl im Bauch zu achten. Es sagt mir, dass ich noch warten soll!“ Ein unwirsches Brummen war die einzige Antwort. Dann deutete Erborix auf das Zentrum des Heiligtums. Den dunklen Pfahl im Mittelpunkt des Kreises schützte eine bronzene Abdeckung vor Verwitterung, mitunter pflegten die Druiden das Holz mit Bienenwachs. „Erzähl mir mehr über diesen Ort, Vater. Was ist hier vor langer Zeit geschehen?“ „Du weißt, dass manchmal der Himmel über dem Kreis offen ist, obwohl es ringsum regnet. Auch hat der Blitz den Holzstamm stets verschont. Wir wissen nicht, welcher mächtige Gott seine schützenden Hände über dem Nemeton ausstreckt. Einst kamen sehr viele Menschen hierher und brachten Opfergaben und Reichtümer mit ins Land. Jeder kennt die großen Grabhügel und die Geschichten, die sich um sie ranken. Doch das Vermögen brachte Feindschaft, Neid und Tod. Deine Vorväter verboten die wertvollen Gaben. Seitdem bleiben die Fremden fern und opfern an anderen Heiligtümern. Der Platz hat trotzdem nicht an Macht verloren!“ Erborix dachte an die Boten, die die kalendarischen Beobachtungen der Druiden an andere

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Siedlungen übermittelten. Sie erhielten dafür eine kleine Entlohnung von den Empfängern. Opfergaben hatte er jedoch noch nie gesehen. Wo waren die wertvollen Gegenstände geblieben, von denen die Alten erzählten? „Wenn du bereit bist, werde ich dich in alle Geheimnisse einweihen, mein Junge. Es gibt noch einige Dinge an diesem Platz, von denen du nichts weißt! Sicher bist du neugierig. Lerne, bereite dich vor und lege in einem Jahr die Prüfung vor dem Rat ab“, sagte Elverix listig. Nun war Erborix verärgert. ‚Hat der Fürst mir eben nicht zugehört?‘, dachte er und sprach dann laut: „Ich bin noch nicht bereit dazu. Das sagte ich dir doch!“ Der Ältere grunzte unwillig: „Eines Tages wirst du es bereuen. Du solltest dich entscheiden, ob du Händler, Krieger oder Druide sein willst. Du kannst nicht alles auf einmal sein! Beim Belenus, dein Lebensweg ist so ungewiss wie die Schrift auf dem schwarzen Pfahl.“ „Ist er das nicht immer? Erzähl mir lieber von deinen Sorgen, Vater. Warum hast du mich hierher geführt? Weshalb muss dieser Platz geschützt werden?“ „Ich weiß nicht, wovon du sprichst, Erborix.“ „Du hast mir doch eben von beunruhigenden Träumen erzählt?“ „Ach … Wer von uns ist denn der Träumer?“ Hatte Elverix versucht, ihn reinzulegen – im Angesicht des Heiligtums? Was sollte das bedeuten? Er hatte doch den besorgten, weltentrückten Blick und die bleiche Haut seines Vaters gesehen. „Ich glaube, du solltest dich wieder nach einer Frau umsehen. Noch leben meine Schwestern bei dir im Haus, aber sie werden bestimmt bald Ehemänner haben. Dann bist du allein!“, riet Erborix fürsorglich. „Du glaubst wohl, dass ich seltsam werde, so wie der alte Torwächter? Es wird für mich keine andere Frau mehr geben. Komm, wir gehen zurück! Vielleicht bist du ein anderes Mal vernünftiger.“ Nachdenklich lief Erborix mit seinem Vater zurück zum Dorf. Sie nahmen einen anderen Weg als zuvor und trafen auf einer Lichtung Caturix an, der ein paar Kinder unterrichtete. Im Schatten mächtiger Bäume saßen die Schüler auf mitgebrachten Fellen und hörten dem Mann aufmerksam zu. „Wer die Namen der einhundert Gottheiten aufsagen kann, ist würdig, den Pfad der Druiden zu beschreiten“, sprach dieser gerade und lächelte die Besucher an. Aber er ließ sich nicht stören und redete weiter zu den Kleinen. Der Fürst und sein Sohn nahmen etwas abseits

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auf einem umgestürzten Stamm Platz und lauschten neugierig den Worten des Lehrers. „Viele Götter haben ihren Sitz in den heiligen Bäumen oder in den jahrhundertealten Wegen. Gedenksteine sind ihnen gewidmet, die an den verschiedensten Orten stehen“, sprach Caturix. „Wie heißt der Schutzgott des Covernabergs?“ „Cernunnos“, riefen die Kinder einstimmig. „Richtig! Cernunnos, der Gott mit dem Hirschgeweih. Das war einfach. Aber …“, rief er schmunzelnd aus und zwirbelte seinen Bart: „Jetzt wird es schwieriger! Wer kann mir denn die wichtigsten Feste nennen?“ „Sohn von Vedo, was weißt du von den Jahresfesten?“ „Imbolg zum Anfang der Aussaat, Beltaine zum Anfang des Sommers, und dann, hm …?“ „Lugnasat zur Ernte und Samhain, wenn bald der Schnee fällt!“, rief die kleine Iri vorlaut. „Sehr schön Iri, aber nächstens wartest du, bis du gefragt wirst! Anderen ins Wort zu fallen, gehört sich nicht für Druiden!“ „Ich bin ja noch keine …“, sagte das Mädchen beleidigt und ahnte gleichzeitig, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Nun hatte sie ihren Lehrer erzürnt, der sie tadelnd anblickte. „Wenn ihr Druiden werden wollt, dann verpflichtet ihr euch den Regeln der Weisheit und werdet euer Leben lang lernen müssen. Viele von euch sind fasziniert von den Waffen und ihr träumt von großen Heldentaten. Aber Druiden sind mehr als Krieger. Zuerst müssen sie Demut und Respekt lernen. Kämpfen ist wichtig, aber Kämpfe zu vermeiden noch wichtiger! Das Leben ist ein Fluss, es folgt dem Lauf der Natur. Nichts geschieht zufällig, alles hat seinen Ursprung und jede Handlung ihre Folgen! Merkt euch das gut! Ihr ahnt gar nicht, wie viel es noch zu lernen gibt.“ Nun folgte eine lange Rede über das Wissen, das ein Druide haben sollte und die Kleinen verdrehten die Augen. Elverix lächelte und betrachtete die missmutigen Mienen der Schüler. Caturix redete ununterbrochen auf sie ein und Iri senkte beschämt den Kopf. Nun gab der Fürst seinem Sohn einen Klaps auf die Schulter. „Caturix hat die Kleinen ordentlich im Griff, nicht wahr? Besser wir gehen jetzt – ich bin ja auch nicht immer ein vorbildlicher Druide. Lass uns nun trinken gehen. Die Krieger werden dich bereits erwarten.“ Nebeneinander liefen sie zurück zum Berg und sprachen über Erborix’ Reise. Nur das Thema der Nachfolge und seinen weiteren

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Lebensweg erwähnten sie nicht mehr. Erborix fühlte sich unwohl, denn die Launen seines Vaters hatten merklich zugenommen. ‚Ob er krank ist und deswegen diese Stimmungsschwankungen hat? Oder liegt es an den merkwürdigen Vorahnungen?‘, dachte er besorgt.

Mühsam hatte das Bauernpaar eine Waldfläche gerodet und mit Hilfe seines einzigen Ochsen und einem Holzpflug den neuen Acker angelegt. Erst als die Sonne im Westen unterging und die Wolken orangerot färbte, war ihr Tageswerk vollbracht und sie gingen schweren Schrittes nach Hause. Es war nur ein kurzes Wegstück durch einen dichten Eichenwald, dann konnten sie schon ihr ärmliches Haus erkennen. „Sag mal, hast du die Türe nicht geschlossen?“, wunderte sich die Frau. „Doch, doch. Sogar den Riegel hab ich überprüft, als wir losgezogen sind. Du hast Recht, der Eingang steht weit offen!“ „Und auch die Stalltür!“ Beunruhigt näherten sie sich dem Gebäude. „Es wird doch wohl kein Bär eingebrochen sein?“ „Kein Bär dieser Welt könnte den doppelten Riegel öffnen. Vielleicht haben wir einen Gast?“ überlegte der Bauer. „Aber weshalb sollte ein Besucher die Tür vom Ochsenstall auflassen?“ Vorsichtig betraten sie die Stube. Eine Bank lag umgestürzt auf dem Boden, daneben lagen die Scherben eines tönernen Topfes, die Asche der Feuerstelle war verstreut. Aber außer ihnen befand sich niemand im Raum. „Schau mal, hier sind Fußabdrücke auf dem Boden. Es sieht so aus, als habe jemand etwas gesucht.“ Die ausgemergelte Frau stieß einen Fluch aus. „Das teure Messer ist weg. Es müssen Diebe hier gewesen sein. Lass uns nach den Vorräten schauen, schnell!“ Sie liefen aus der Tür hinaus und blickten plötzlich entsetzt in die finsteren Mienen mehrerer Männer, die Spieße und Dolche auf sie richteten. Schnell wollte der Bauer seine Frau ins Haus drängen und die Tür schließen, doch ein hünenhafter Kerl versperrte ihnen den Weg. „Bleibt besser stehen!“, drohte er. Ein muskulöser Bursche mit stechendem Blick trat hervor und spielte mit dem entwendeten Messer. Seine auffällige Narbe auf der Stirn wies ihn als Geächteten aus. „Was wollt ihr von uns?“, schrie der Hausherr. „Habt ihr uns bestohlen?“

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„Wünsche einen guten Abend, mein schmutziger Freund! Sehen wir etwa aus wie Diebe?“ „Was wollt ihr von uns? Lasst uns in Ruhe!“, rief der Alte aufgeregt und versuchte, das Messer zu erhaschen. Aber der unheimliche Fremde war schneller. „Aber bitte, guter Mann“, sagte dieser spöttisch. „Das hier habe ich mir nur ausgeliehen! Was meint ihr dazu, reizendes Weib?“ „Gebt uns sofort die Klinge zurück! Sie ist mein wertvollster Besitz!“ „Soso, den wertvollsten Besitz habe ich hier also in der Hand! Mehr habt ihr wirklich nicht? So ein paar Silberstückchen oder gar etwas Gold?“ „Nein, nur das Messer! Gib es uns sofort wieder!“, schrie die Frau erzürnt. Mit gespielter Verwunderung betrachtete der Mann die Klinge und den fleckigen Holzgriff. „Hmm, das glaubt ihr also? Dieses elende Ding ist euch teuer, aha.“ Aber dann beendete der Fremde sein gestelztes Gebaren und flüsterte unheilvoll: „Ihr habt noch etwas viel Wertvolleres! Aber zuvor gebe ich euch das Messer wieder!“ Mit diesen Worten stieß er ihr die Waffe in die Brust. Sie riss die Augen weit auf, fiel auf die Knie und sank röchelnd zu Boden. Hustend spuckte sie hellrotes Blut und versuchte zu atmen. Doch sie bekam keine Luft mehr und stieß nur noch gurgelnde Geräusche aus. Ihr entsetzter Gatte stützte die Sterbende und streichelte wimmernd ihren Kopf, aber ein Fußtritt warf ihn um. Zwei Männer packten ihn beidseits und drehten seine Arme grob nach hinten. Er schrie vor Schmerz und Wut. „So, mein Freund. Wir werden jetzt nett miteinander plaudern. Es gibt in dieser Gegend Leute, die etwas wohlhabender sind als du und uns mehr bieten können, als nur einen Ochsen und ein Messer. Sicher hast du mir viel zu erzählen über ihre Dörfer und Besitztümer. Auch über die Krieger. Ich will wissen, wie viele sich in dieser Gegend aufhalten! Schwatzen wir ein wenig, was es Neues gibt.“ „Du verfluchter Mörder, mein Weib hast du getötet! Ich werde dir gar nichts …“ Doch ein Faustschlag in den Magen unterbrach seinen Ausruf und er krümmte sich keuchend nach vorn. „Sehr unfreundlich bist

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du, Bauersmann. Und benutzt die falschen Wörter! Na, dann werden wir deine Zunge etwas lösen müssen, damit ordentliche Sprache aus deinem Maul kommt!“ Die anderen Kerle lachten laut. Er würde reden, das wussten sie genau. Als die Sonne untergegangen und die Nacht hereingebrochen war, hatte der Mann sein Leben ebenfalls verloren. Das tote Ehepaar lag unweit seines Hauses in einem Gebüsch versteckt. Die Schurken waren davon gezogen, nachdem sie ihr Opfer grausam gefoltert und schließlich ermordet hatten. Der Bauer hatte ihnen erzählt, was sie wissen wollten.

Im Dorf oberhalb der bewaldeten Hänge des Covernaberges gab es ein großes Gemeinschaftshaus. Um die längliche Feuerstelle in seinem Innern standen zwei grob gezimmerte, niedrige Bänke aus Eichenholz. Nun hockten etwa 20 Kämpfer darauf und warteten auf ihren Anführer. Auch eine Frau saß dabei – Berana, die Kriegerin und Druidin. Diesen Rang hatten nur wenige Frauen, obwohl sie bei Angriffen oftmals auch die Waffen gegen ihre Feinde erhoben. Einst hatte Caturix das kluge und starke Mädchen zu seinen Schülern genommen. Sie war für ihn wie eine Tochter und erfüllte ihn immer noch mit Stolz. „Ein Weib als Kriegerin!“, hatten die anderen gelacht. „Da sind ja unsere kleinen Söhne besser, sogar wenn sie in ihre Wickel scheißen! Sie soll ihrem Mann das Mahl bereiten, Kornbier brauen und für Nachwuchs sorgen.“ Mit solchen und ähnlichen Worten war Berana von den Männern oftmals verhöhnt worden. Doch eines Tages hatte sich das Blatt gewendet: Auf einem Markt in Antunnacum hatten schwer bewaffnete Sklavenhändler die friedlichen Leute überfallen. Einer von ihnen wollte Berana vergewaltigen, doch sie hatte ihm ihre Gewandnadel ins Ohr gerammt und ihn anschließend mit seiner eigenen Kampfaxt enthauptet. Danach hatte die junge Frau den blutigen Schädel des Toten gegen seine Kumpane geschleudert und war halbnackt, wie eine Furie, auf die Männer losgegangen. Dies und ihr Furcht erregendes Geschrei schlug die Angreifer in die Flucht, die sogar die meiste Beute zurückließen. Seit diesem Vorfall auf dem Markt hatte Berana den Respekt der anderen Krieger erworben und die

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Spötter verstummten endgültig. Die schöne Kampfaxt hatte sie behalten und es durch ständige Übung damit zur Meisterschaft gebracht. Nie wieder sollte ein Mann es wagen, ihr das Gewand zu zerreißen. So saß sie nun als einzige Frau anerkannt im Kreis der Krieger. Als Elverix und Erborix den Raum betraten, erhoben sich alle respektvoll und die Gespräche verstummten. „Willkommen zurück, mein Freund! Schön, dass du wieder in unserer Runde bist!“ Erfreut umarmte ihn ein alter Waffengefährte. Auch die anderen begrüßten Erborix herzlich, klopften ihm auf die Schultern und schüttelten seine Hand. Dankbar erwiderte er ihre aufrichtigen Gesten. „Vielen Dank, Männer und auch dir, Berana!“ Erborix schenkte ihr einen liebenswürdigen Blick und wuchtete zwinkernd einen prallen, großen Fellsack auf den Tisch. Alle drängten sich heran, um zu sehen, was er da mitgebracht hatte. „Kommt nur herbei und schaut euch das an!“, sagte der Fürstensohn lächelnd. Jeder wollte als Erster einen Blick in den Sack werfen. Erborix löste die Verschnürung. Dann zog er einen beeindruckenden Tierschädel aus dem Sack. Ein langes Maul mit gewaltigen Zähnen kam dabei zum Vorschein. „Oh, was beim Ogmios ist das denn?“, rief ein alter Kämpfer und sprang einen Schritt zurück. „Ein Drachenschädel! Ein richtiges Ungeheuer!“, staunte der Fürst. Die Krieger blickten verblüfft auf das fremdartige Relikt. „Wo hast du ihn erlegt, Erborix? Wo leben denn solche Bestien?“ Er sah sie belustigt an: „Den hab ich nicht erlegt, sondern von einem Händler aus den östlichen Reichen erworben. Angeblich sind diese Tiere schon seit ewigen Zeiten ausgestorben!“ Kurz dachte er an seine Begegnung mit dem Auerochsen. „Aber wer weiß, vielleicht lebt noch solch ein Untier in unseren Wäldern, was meinst du, Vater?“ Erborix schnitt dazu eine fürchterliche Grimasse und alle lachten schallend auf. „Das Drachenhaupt hat mich viel Gold gekostet, aber der Spaß mit euch war es mir wert. Stellt ihn zu euren Totenköpfen auf das Brett. Ich schenke ihn euch! Vater will ja schon lange einen Schädel aus meiner Hand dort sehen!“ Und wieder brüllten sie vor Lachen, nur Elverix blickte griesgrämig zu Boden.

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An der Innenwand des Langhauses war ein Brett befestigt und darauf standen etwa 30 Trophäen. Es waren die Köpfe früherer Feinde, die dort einen Ehrenplatz für ihre Tapferkeit im Kampf erhalten hatten. Die meisten davon hatte Elverix erbeutet. Erborix hasste diesen abscheulichen, bei den Kriegern weit verbreiteten Kult. ‚Wer ist bloß auf den merkwürdigen Einfall gekommen, Totenköpfe als Zierde der Versammlungsräume zu benutzen?‘, dachte er. Jetzt stellten sie seinen Drachenschädel dazu. Der Fürst nickte anerkennend, denn es war ein beeindruckender Gegenstand. „Was hast du denn noch mitgebracht?“, fragte Berana lächelnd. „Ja, zeig es uns, Erborix“, riefen alle neugierig. „Seht her, Almandin und Rubine. Blaue Saphire! Sie wurden jenseits des südlichen Meeres gefunden. Bergkristalle aus dem Alpgebirge! Gold aus Etrurien und Heilkräuter aus Massilia! Gewandstoff aus Gallien!“ Bewundernd nahm ein Krieger die Kostbarkeiten in die Hände und betrachtete sie. Dann reichte er sie vorsichtig weiter. Im Schein der Flammen funkelten die Steine und die feinen Goldfäden im Gewebe glänzten in mattem Schimmer. Staunendes Gemurmel erfüllte den Raum. Erborix freute sich an ihrer Begeisterung. Großzügig verteilte er seine Geschenke: „Bitte, liebe Freunde, nehmt die Sachen als Zeichen meiner Dankbarkeit!“ Diese Geste bezeugte den Respekt und die Freundschaft, die Erborix den anderen entgegenbrachte. Schließlich übernahmen sie die Sorge für seinen Besitz, seinen Anteil an der Gemeinschaftsarbeit und auch den Schutz für seine Avena, wenn er auf Reisen war. Doch die Geschenke waren nur nebensächlich: Es war üblich, dass Erborix auf seiner Wanderschaft Waren des Dorfes mitnahm und unterwegs gewinnbringend eintauschte, was allen auf dem Covernaberg zugute kam. „Morgen werde ich euch und den anderen aus dem Dorf den Erlös aus meiner Reise geben. Ich muss noch alles aufteilen, aber ihr werdet zufrieden sein!“ Etwas Stolz schwang in seiner Stimme mit, denn er war sehr erfolgreich gewesen. Emsig hantierten die zufriedenen Krieger mit den Geschenken und betrachteten sie voll Freude. Erborix stand lächelnd hinter ihnen und beobachtete das fröhliche Treiben. Plötzlich verspürte er eine tiefe Trauer. ‚Sonst habe ich auch immer etwas für Mutter mitge-

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bracht. Dies war die erste Reise nach ihrem Tod‘, dachte er bedrückt. Ihm fielen ihre Worte auf dem Sterbebett ein: „Verlass dich nie zu sehr auf Götter oder andere Leute. Tue, was dein Bauch dir sagt; dein inneres Gefühl – das ist wichtig. Blicke hinter die Schleier und setze deinen Verstand ein, mein Junge!“ Bedauerlich, sie hatte so viel Wissen besessen, das sie an ihn weitergeben wollte. Stets hatte sie wirksame Heiltränke gekannt – nur ihr eigenes Leiden konnte sie damit nicht lindern. Irgendeine innere Krankheit hatte sie aufgezehrt und bereits nach wenigen Tagen sterben lassen. Sanft war sie in den ewigen Schlaf gefallen, als eine unbekannte Erlösung von ihr Besitz ergriffen und gleichzeitig Leben und Schmerz von ihr genommen hatte. Geistesabwesend stand Erborix im Gemeinschaftsraum. Berana bemerkte zuerst seine Verstimmung. Sie ahnte seine trüben Gedanken und rief deshalb laut: „Los, Männer, lasst uns trinken, bis die Sinne schwinden!“ Ihr Ruf wurde lautstark begrüßt und der Fürst klatschte in die Hände. Dann legte er dem Sohn den Arm liebevoll um die Schulter. „Ja, so soll es sein! Unser Wohltäter schaut schon ganz traurig. Dagegen muss ich als Anführer einschreiten!“, rief Elverix. Jubel mischte sich in seine Worte und auch Erborix lächelte nun wieder. Auf ein Handzeichen hin brachten die Fürstentöchter große Krüge heran, randvoll gefüllt mit feinem Honigwein. Dann verteilten sie Becher und Trinkhörner. Die Frau eines Kriegers brachte einen Korb mit herrlich duftendem Brot und stellte ihn neben die Feuerstelle. Erborix staunte, dass sein Vater die Schwestern nur mit Handzeichen anwies. Die jungen Frauen waren doch früher immer so widerspenstig und kaum zu bändigen gewesen. ‚Vielleicht liegt das an Mutters Tod und sie helfen dem Vater, damit zurecht zu kommen?‘, dachte er. „Mädchen, ich danke euch“, freute sich der Fürst. „Ist die Überraschung fertig?“ „Aber sicher, Vater. Genau so, wie du es haben wolltest. Warte einen Moment!“ Tari eilte nach draußen und kurz darauf trugen zwei Bauern ein kleines, knusprig geröstetes Schwein heran und stellten es vor Elverix auf den niedrigen Tisch. Zufrieden strahlend trat Caturix hinter ihnen in den Gemeinschaftsraum – er hatte die Gaumenfreuden heimlich vorbereitet. Berid reichte ihm und seinen Helfern gefüllte Trinkhörner. Die Anwesenden grölten vor Freude und prosteten ihrem Anführer zu.

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Der schnitt mit einem Messer dicke Stücke vom Schweinefleisch ab und verteilte diese an die Anwesenden. Frisches Brot diente als Unterlage für die saftigen Scheiben. „Esst und trinkt, wer weiß schon, was morgen ist!“, rief der Fürst und legte Erborix ein mächtiges Stück Fleisch auf den Brotfladen. Bald waren nur noch genüssliches Schmatzen und Schlürfen zu hören, gelegentlich wuschen sie sich zwischendurch die Finger in kleinen Tonschalen. Als von der Mahlzeit nur noch die Knochen übrig und die Trinkhörner schon einige Male gekreist waren, begann ein Barde, alte Weisen zu singen. Er erzählte in seinen Liedern von den Helden der vergangenen Tage, sang von den Drachen, die einst den Fluten des Rhynn entstiegen waren und die nahen Wälder niedergebrannt hatten, von den hübschen Maiden, die den Männern den Kopf verdrehten. Bei manchen Melodien stimmten die anderen lauthals mit ein, aber meist lauschten sie andächtig der Musik. Noch lange kreisten die Hörner und Becher, bis lediglich ein winziger Rest des guten Honigweins übrig war. Schon längst war die Sonne untergegangen und die finstere Nacht hatte sich auf das Land herabgesenkt. Kaum einer konnte noch alleine stehen und die gesprochenen Worte blieben unverstanden. Das Feuer war inzwischen verloschen, und nur noch ein paar glimmende Holzscheite lagen in der Asche. Langsam kehrte im Versammlungsraum wieder Ruhe ein. Nach und nach schwankten die Krieger davon und kehrten in ihre Häuser zurück. Avena grinste, als man ihr den betrunkenen Erborix in die Stube legte. Seine Schwestern hatten ihn scherzend gestützt und geleitet, denn er konnte selbst nicht mehr geradeaus gehen. In dieser Nacht war es um seine Wildheit geschehen. Leise sang er eine bekannte Melodie – völlig falsch. Er lachte über seine schrägen Töne und versuchte, es besser zu machen. „Was habt ihr mit meinem Raben gemacht? Der kann ja fast nicht mehr stehen und singen kann er auch nicht mehr.“ „Wo der herkommt, gibt es noch ein paar andere von dieser Sorte. Und die können auch nicht mehr singen!“ Die jungen Frauen gingen lachend davon. Avena schüttelte belustigt den Kopf und runzelte die Stirn. „Dann wird er das Geheimnis erst später erfahren“, dachte sie.

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Auf dem mit goldenen Löwenköpfen verzierten Thron saß der Herrscher Groß-Assyriens, König Assurbanipal, und blickte auf die Anwesenden herab. Viele bedeutende Menschen hatten sich heute in der Hauptstadt Ninive versammelt, um im Palast den Wettstreit der Schmiede zu erleben, darunter etliche Fürsten, Hauptleute und die Elite der Handwerker. In der prächtigen Halle mit Mosaiken aus Lapislazuli, Marmor und Edelmetallen umringten die Anwesenden erwartungsvoll einen großen Holzklotz, einen Amboss aus Bronze sowie mehrere Bündel aus Schilf – so dick, wie das Bein eines Mannes. Siegessicher blickte Turak, der Hofschmied des Herrschers, in die Menge und übergab sein Schwert an einen hochgestellten Anführer, damit dieser damit die Prüfung ausführen konnte. „Ich danke dir, Turak“, sagte der Soldat und nickte dem etwa 45-jährigen, bärtigen Mann zu. „Diese Klinge wird dem Herrscher Ehre machen!“, lächelte der Schmied zuversichtlich. Nun sollte sein Schwert gegen die Waffen anderer Handwerker bestehen, um die beste Klinge des Reiches zu finden. Kein Zweifel, dass er den Sieg davontragen würde! Der Hofschmied war ein stolzer und gelehrter Mann, der mehrere Sprachen beherrschte. Er war schreibkundig und verstand sich neben der Schmiedekunst auch auf die Verarbeitung von Juwelen, Gold und Edelhölzern. König Assurbanipal belohnte Turak fürstlich für seine Meisterwerke, ließ ihn im Palast residieren und gab ihm viele Gehilfen und Sklaven, die ihm zur Hand gingen. Der Schmied war einst als Waisenkind mit adliger Abstammung in den Palast nach Ninive gekommen, hatte eine umfangreiche Ausbildung durch die besten Lehrer erhalten und war später zu einem der obersten Handwerker des Königs ernannt worden. Dadurch genoss er die Privilegien eines Fürsten, musste aber seine Künste ganz in den Dienst des Herrschers stellen. Turak hatte gelegentlich Liebschaften mit Frauen der Oberschicht, durfte aber nicht heiraten oder eigene Kinder haben. Seit vielen Jahren fertigte er meisterhafte Klingen für Assurbanipal, den kriegerischen Herrscher und Sammler erlesener Rüstungen. Ganz in der Tradition der alten Hethiter, einem Volk, das die Assyrer assimiliert hatten, trachtete Turak nach Fortschritten in der Metallbearbeitung. Diese Erkenntnisse des Hofschmiedes wurden an ausgewählte, zuverlässige Schmiede weitergegeben, und sie lieferten den Soldaten verbesserte Bewaffnung.

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… mehr in Ihrer Buchhnadlung …


Immer leichtere und beständigere Klingen waren von großem as Land Kelten um Rhein und im 6. Jahrhundert Vorteil in dender zahlreichen Schlachten und Mosel Eroberungen. Assyrien, das Land, das inzwischen von Euphrat Tigris bis nach Ägypten vor Christus: Gerade von einer und langen Reise zurückgekehrt, reichte, lag ständig im Kampf mit seinen Feinden. muss der junge Druidensohn Erborix einen blutigen Überfall „Fangt jetzt an!“, rief Assurbanipal ungeduldig. Sein oberster aufLeibwächter seine Heimatsiedlung miterleben. Angeführt von dem aus schwang das erste Schwert gegen ein Schilfbündel, umder die Schärfe zuder prüfen. DanachKrieger stach er in den Holzklotz Benro, – so konnte Gemeinschaft keltischen ausgestoßenen enter die Biegefestigkeit und Eindringtiefe zeigen. Zuletzt versetzte er führen Sklavenhändler unter anderem Erborix’ Schwester Tari. dem Bronzeamboss einen Hieb – so ließ sich die Güte der Schneide Auf der Suche nach Tari besteht zahlreiche Gefahren erkennen. Ein Hofschreiber ritzte dieErborix Ergebnisse in eine Tafel aus weichem Ton. findet unerwartet Verbündete im Stammesland und Abenteuer, Sieben verschiedene warenum heute Wettstreit. „Gleich der Germanen und mussWaffen das Rätsel einimmysteriöses assyriwerdet ihr sehen, dass mein Hofschmied wieder gewinnt und die sches lösen, das er von einem erhält. Nahe besteSchwert Klinge des Reiches hergestellt hat!“,Sterbenden protzte der Herrscher vor dem keltischen Heiligtum seiner Heimatsiedlung kommt derden Anwesenden. Turak senkte geschmeichelt den Kopf, während diedie anderen Schmiede mit verkniffenen Mienen den weil streitbare Druidenkriegerin Berana auf zusahen. die SpurIn eines vergangenen neun Jahren hatte niemand Turaks Werke übertreffen geheimnisvollen Goldschatzes. können. Nun sollten die letzten Prüfungen mit seinem Schwert Als Erborix’ Widersacher mit einer geschehen. Plötzlich erhaschteBenro er denschließlich hämischen Blick seinesSöldStellvertreters. Turakdie befürchtete plötzlich die Farbe nerarmee gegen Siedlung zieht, Schlimmes um Racheund zu üben undwich den ihm aus dem Gesicht. Mit Herzklopfen sah er zu, wie der Soldat seine Schatz der Druiden zu erobern, geht es um mehr als nur das Waffe erhob und wuchtig zuschlug. Der Schmied hielt die Luft an: Schicksal des Schneide kleinen Dorfes. Die scharfe durchdrang mühelos das dicke Schilfbündel. Die Anwesenden klatschten Beifall. Nun ging es weiter und der folgende Stich ließ die Schwertspitze tief in den Holzklotz eindringen. Josef Sax wurde 1966 in Wittlich geboren. Heute lebt er in Wolken nahe Staunende Worte und erneuter Beifall waren zu hören. dem „Goloring“ genannten keltischen Heiligtum, alsPrüfung. „EifelTurak atmete hörbar aus und verfolgte nervösdas dieauch letzte Lächelnd schwang der Mit Krieger das Debütroman Schwert überführt seinem und Stonehenge“ bekannt ist. seinem SaxKopf den Leser ließ es mit aller Wucht auf den bronzenen Amboss sinken. Mit einem in die faszinierende Welt der Kelten an Rhein und Mosel. Packend lauten und hellen Ton zersprang die Klinge in mehrere Teile und vererzählt von den denobersten Abenteuern eines jungen Kriegers einer Zeit, deren letzteerdabei Leibwächter an der Wange.in Die Bruchstücke fielen klangvoll aufheute den Steinboden undwerden der Hofschmied spannende Zeugnisse wiederentdeckt und unserhatte Bild das von Gefühl, ohnmächtig zu werden. der keltischen Kultur und dem Leben unserer Vorfahren verändern. Atemlose Stille herrschte im Raum – dann entstand eine große Unruhe und ein Teil der anwesenden Leute bog sich vor Lachen. „Das soll die beste Klinge des Reiches sein? „Hahaha“ spottete ein Adliger, „seht euch das an! Mit solchen Waffen werden wir die Babylonier schlagen, bis sie vor Gelächter sterben. Und die Ägypter können …“ „Schweigt! Kein Wort mehr will ich von euch hören, sonst rollen

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www.suttonverlag.de 34


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