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ARTHUR BONDAR
Die Entdeckung des Archivs Viele der wichtigen Ereignisse des 20. Jahrhunderts erscheinen uns sehr fern. Wir erinnern uns nur noch gelegentlich und mit einem verhältnismäßig geringen Interesse daran. Die Welt und ihre geopolitische Situation hat sich so schnell verändert, dass wir historische Ereignisse mit unterschiedlichen Interpretationen betrachten können. Manchmal versuchen Politiker und offizielle Propaganda, einige Seiten unserer Geschichte neu zu schreiben oder auch zu löschen, aber es ist nicht möglich, die Erinnerungen einer Nation vollständig zu tilgen. Es ist unmöglich, wenn die Erinnerung nur im Boden begraben wird. Denn sie wird keimen und sich früher oder später auf unterschiedliche Art und an verschiedenen Orten zeigen. Die persönliche und historische Dimension des Zweiten Weltkrieges war für viele Generationen des sowjetischen Volkes prägend, so auch für mich. In dieser Zeit wurden meine beiden Großmütter vom Naziregime als Zwangsarbeiterinnen aus der Ukraine nach Deutschland verschleppt: Eine arbeitete in einer Torf-Fabrik und die andere als Gouvernante in einem deutschen Haushalt. Und das ist nur eines von Millionen Beispielen, wie Geschichte unser aller Leben beeinflusst. Meine Faszination, die Geschichte selbst festzuhalten und zu überdenken, war einer der Gründe, weshalb ich Fotograf geworden bin. 2016 entdeckte ich eine Online-Anzeige, in der die Negative eines sowjetischen Fotografen aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs zum Verkauf angeboten wurden. Ich war fasziniert und reagierte sofort. Ich kontaktierte die Anbieterin und am nächsten Tag trafen wir uns. Während
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wir uns unterhielten, hat sie mir in Kürze von dem Fotografen Valery Faminsky berichtet. Nachdem der Fotograf verstorben war und später auch seine Frau, die sich weiter um sein Archiv gekümmert hatte, entdeckten die Verwandten in deren Wohnung das Archiv. Keiner von ihnen war an Fotografie interessiert, daher beschlossen sie, es zu verkaufen. Als ich fragte, ob russische Museen oder Stiftungen das Archiv für ihre Sammlungen erwerben wollten, antwortete sie, dass trotz des großen Interesses für alle nur eine Schenkung in Frage kam, da keine Budgets für das Archiv vorhanden waren. Ich sah mir einige der Negative an und begriff, dass ich ein bedeutendes Stück Geschichte in den Händen hielt. Während der Sowjetzeit erlebten wir sehr viel Propaganda und Zensur über den Zweiten Weltkrieg. Doch in diesem Moment sah ich in Faminskys Bildern eine persönliche und sehr viel menschlichere Wahrnehmung des Krieges. Sein humanistischer und künstlerischer Blick fokussierte sich auf das Schicksal der Menschen auf beiden Seiten des Konflikts. Nachdem ich alle Kriegs-Negative Faminskys erworben hatte, erkannte ich beim Scannen der Bilder, die Faminsky in Deutschland zwischen April und Mai 1945 aufgenommen hatte, das Ausmaß und den Wert der historischen Dokumente. Je mehr Negative ich scannte, umso tiefer ging ich ein in den Strom der Geschichte – unserer unbekannten Geschichte. Ich fühle mich geehrt, diese wiederentdeckt zu haben.
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02/03 Reichstag. Berlin, Mai 1945 Reichstag. Berlin, May 1945
27 Abladen eines verletzten Soldaten am Medpunkt in der Friedrichstraße. Berlin, 30. April 1945 (Ritterstraße) Unloading a wounded soldier at the field hospital in Friedrichstrasse. Berlin, April 30, 1945 (Ritterstrasse)
29 „So wie man 1941 in den Wald hinein gerufen hat, so schallt es 1945 heraus.“ Umgebung von Berlin, Mai 1945 ‘What goes around in 1941, comes around in 1945.’ Suburbs of Berlin, May 1945
40 Panzerbrigade während einer kurzen Pause. Seelower Höhen, April 1945 Tank brigade during a rest. Seelow Heights, April 1945
41 Beim Warten auf ein Auto auf dem Weg zum Medsanbat (medizinisches Bataillon). Ostdeutschland, April 1945 Waiting for a car to the Medsanbat (mobile field hospital), Eastern Germany, April 1945
42 Krieg, Frontstraße nach Berlin. Ostdeutschland, April 1945 War, road to the Berlin frontline. Eastern Germany, April 1945
43 Krieg, Frontstraße nach Berlin. Ostdeutschland, April 1945 War, road to the Berlin frontline. Eastern Germany, April 1945
47 Einlieferung eines Verletzten an der Evakuierungsstelle mit Hunden. In der Nähe der Seelower Höhen, April 1945 Delivery of a wounded man to the evacuation point, by dogs. Near the Seelow Heights, April 1945
31 „Eine Wunde bleibt eine Wunde, aber Arbeit bleibt Arbeit.“ Berlin, Mai 1945 ‘A wound remains a wound, but work remains work.’ Berlin, May 1945
33 Berlin, Mai 1945 (Wallstraße, Blick auf den Spittelmarkt) Berlin, May 1945 (view of Spittelmarkt, seen from Wallstrasse)
34 Berlin, Mai 1945 (Geschütze, auf den Reichstag zielend) Berlin, May 1945 (aiming guns at the Reichstag)
35 In der Nähe des Reichstagsgebäudes. Berlin, Mai 1945 Near the Reichstag. Berlin, May 1945
44 Vorort von Berlin, April 1945 Suburb of Berlin, April 1945
45 Vorort von Berlin, April 1945 Suburb of Berlin, April 1945
46 Berlin, Mai 1945 Berlin, May 1945
36 Transport von Verletzten aus der Kampfzone mit Hunden. In der Nähe der Seelower Höhen, April 1945 Transport of the wounded from the battlefield with dogs. Near the Seelow Heights, April 1945
37 Auf eigenen Beinen zum Verbandswechsel und zurück zur Truppe. In der Nähe der Seelower Höhen, April 1945 Walking wounded get their bandages changed and go back to their unit. Near the Seelow Heights, April 1945
38 Ostdeutschland, April 1945 Eastern Germany, April 1945
39 Politische Information zwischen den Kämpfen. Ostdeutschland, April 1945 Political information between the battles. Eastern Germany, April 1945
48 Abschied von den gefallenen Kameraden. Ostdeutschland, in der Nähe der Seelower Höhen, April 1945 The last goodbye to fallen comrades. Eastern Germany, near the Seelow Heights, April 1945
49 Der einzig überlebende Kämpfer einer Panzerbesatzung. Ostdeutschland, in der Nähe der Seelower Höhen, April 1945 The only surviving member of a tank crew. Eastern Germany, near the Seelow Heights, April 1945
51 Salutschüsse zum Abschied für die gefallenen Panzersoldaten. Ostdeutschland, April 1945 A last salute to fallen tank crews. Eastern Germany, April 1945
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