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Fachteste – die Turnfest-Disziplin schlechthin?
POLARISIERENDE DISZIPLINEN STARK IM AUFWIND
Früher oft belächelt, haben sich die Fachteste und der Fit+Fun im letzten Jahrzehnt zur Turnfest-Disziplin schlechthin gemausert. An den elf Turnfesten, die diesen Sommer stattfanden, waren allein in den Fachtesten 12 649 Turnende am Start. Sie sind an den Turnfesten kaum mehr wegzudenken.
Foto: Jakob Hefti
Daniel Tuchschmid
Verantwortlicher für Fachtest-, Fit+Fun- und Jugendparcours-Wertungstabellen
An ihnen führt an einem Turnfest kein Weg vorbei: Wer in einem Turnverein mitturnt, kommt früher oder später in seiner Karriere in Berührung mit den Fachtesten. Ob Allround, Korbball, Volleyball oder Unihockey, diese Disziplinen polarisieren und sind im Turnfest-Programm nicht mehr wegzudenken. So absolvierten beispielsweise am letzten «Eidgenössischen» 2019 in Aarau insgesamt 13 722 Turnende diese Disziplin. «Vor allem beim Allround sind die Teilnahmezahlen seit 2008 stark gestiegen», bestätigt Tiziana Hämmerli, Ressortchefin Fachteste.
Trainingsaufwand nötig
In ihrem Übungsablauf verlangen die Fachteste den Turnenden verschiedene Fähigkeiten ab. So sind Koordination, Kondition, Differenzierung, Rhythmisierung und Orientierung mitentscheidend für eine hohe Punktzahl. Trotz der Vielseitigkeit und der grossen Teilnahmezahlen, die Fachteste kämpfen in der Turnfamilie stets um Akzeptanz. «Früher hiess es oft, wer eine gute Note erzielen wolle, müsse einfach Fachteste machen», weiss Daniel Tuchschmid. Die Zeiten, in denen Fachteste und Fit+Fun aus Spass und ohne zahlreiche Trainingseinheiten gespielt werden konnten, seien längst vorbei, sagt der Verantwortliche für sämtliche Fachtest-, Fit+Fun- und Jugendparcours-Wertungstabellen und stellvertretender Ressortchef Fit+Fun: «Für eine gute Note muss heute mehr investiert werden. Ohne grossen Trainingsaufwand ist dies nicht mehr möglich. Die Fachteste sind agiler und schneller geworden.»
Beliebte Alternative
Bei den Fachtesten gehe es auch darum, eine gute Alternative zu den bewährten Turndisziplinen zu schaffen, so Tuchschmid. Ähnlich tönt es von Elias Fürst, Oberturner des Turnvereins Gunzgen, stellvertretend für die fachtestabsolvierenden Vereine. «Wir haben in unserem Verein weder Geräte- noch Gymnastikturnende. Die Fachteste sind der gängigste Weg, um an einem Turnfest im Vereinswettkampf teilzunehmen», sagt er.
Auch bei den Turnern sind die Fachteste nicht mehr wegzudenken.
Die Anfänge dieser Turnfest-Disziplin gehen bis in die 1970er-Jahre zurück. Einst wurden die Fachteste, die zu Beginn nur von Turnerinnen wettkampfmässig ausgeübt wurden, vom männlichen Geschlecht noch belächelt. Es dauerte bis ins Jahr 2002, ehe die Fachteste Allround, Korbball und Volleyball auch bei den Turnern an einem Eidgenössischen Turnfest ausgetragen wurden. Bei den Frauen feierte der Fachtest Allround bereits 1991 in Luzern seine ETF-Premiere. Seit 2015 steht mit dem Fachtest Unihockey die jüngste Disziplin im TurnfestAngebot.
Für verschiedene Altersklassen
Als ähnlicher Turnfest-Klassiker gilt der Fit+Fun. Dieser wurde einst auf der Basis der Fachteste entwickelt und richtet sich an die ältere Turngeneration. Er hat die Nachfolge des einstigen «FitPlaFrau» angetreten, der in den 80er-Jahren von den Frauen geturnt wurde. «Es war uns ein Anliegen, eine Disziplin zu konzipieren, die in verschiedenen Altersklassen durchgezogen werden kann», blickt Rosmarie Mancini auf die Entstehungsgeschichte von Fit+Fun zurück. Mancini
Seit 2015 steht der Fachtest Unihockey im Turnfest-Angebot. Er ist somit das jüngste Produkt aus der Fachtest-Reihe. Fotos: Thomas Ditzler
war als ehemalige Verantwortliche Fachtest Allround und ehemalige Leiterin Fachgruppe Fit+Fun eine Frau der ersten Stunde, was die Fachteste und den Fit+Fun betrifft.
Bei der Entwicklung der Fachteste lag das Augenmerk auch darauf, Material zu verwenden, welches bereits in einer Turnhalle vorhanden ist. «Zudem wollten wir die verschiedenen Aufgaben möglichst auf den gleichen Spielfeldern aufbauen, damit Zeitaufwand und Platzbedarf in Grenzen gehalten werden konnten», so Mancini weiter. Ein Pluspunkt, den auch Gunzgen-Oberturner Fürst anspricht: «Um die Fachteste zu absolvieren, braucht es wenig Vorbereitungsarbeit für die Trainings. Das ist ein grosser Vorteil.»
Im Hinblick auf das ETF 2013 in Biel wurde Fit+Fun mit sechs neuen Aufgaben an die Fachteste angepasst. «Alle haben damals ihre Ideen eingebracht. Es wurde ausprobiert, gespielt und optimiert», erzählt Rosmarie Mancini. Während einige Aufgaben auf einem Spielbrett «trocken» durchgespielt wurden, mussten andere Übungen in einer Turnhalle gespielt werden, damit die Abläufe richtig notiert werden konnten.
Vereine für Testzwecke
Auch heute werden die neuen Aufgaben durch das Ressort Fachteste erstellt. In der Regel werden die Aufgaben im ETF-Zyklus alle sechs Jahre angepasst. In der Entwicklungsphase werden die neuen Übungen von Vereinen für Testzwecke ausprobiert und durchgespielt. «Diese Phase ist wichtig, weil die Fachtest-Erfinder meistens bereits ballgewandt sind. Diese Voraussetzungen sind aber nicht in allen Riegen gegeben», sagt Mancini. Stehen die Aufgaben dann einmal fest und wurden abgesegnet, werden diese durch die kantonalen
In den 80er-Jahren ... wurden die Fachteste und «FitPlaFrau» ausschliesslich von Turnerinnen ausgeübt. Foto: Archiv STV
Ausbildungspersonen an die Vereine weitervermittelt.
Nicht nur bei den Fachtesten, sondern auch im Fit+Fun konnte in den vergangenen zehn Jahren ein Anstieg der Interessierten verzeichnet werden. «Fit+Fun hat sich vom Baby zum Erwachsenen entwickelt», sagt Hildegard Berlincourt, Ressortchefin Fit+Fun. Zu Beginn sei der Fit+Fun von den Vereinen meistens nebenbei gespielt worden. «Heute ist Fit+Fun eine vollwertige Vereinswettkampf-Disziplin», freut sich Berlincourt.
Sowohl die Fachteste aber auch der Fit+Fun werden derzeit vorwiegend von den Turnvereinen in der Deutschschweiz absolviert. Dies soll sich im Hinblick auf das kommende Eidgenössische Turnfest 2025 in Lausanne jedoch ändern. Wie an der Konferenz Sport des Schweizerischen Turnverbandes im Frühling kommuniziert wurde, ist es ein grosses Anliegen, dass diese Disziplinen auch in der Westschweiz vermehrt Fuss fassen und gefördert werden. Diesbezüglich wird gemeinsam mit der Union Romande de Gymnastique (URG) ein Pilotprojekt lanciert. Damit soll der Aufwärtstrend des Turnfest-Klassikers weitere Jahre anhalten.
Text: Thomas Ditzler / Alexandra Herzog
Hildegard Berlincourt
Ressortchefin Fit+Fun
HERR ÜBER ALLE ZAHLEN
Foto: zvg
Daniel Tuchschmid
Wie entsteht eigentlich eine Fachtest-Note und die jeweilige Wertungstabelle für die insgesamt acht Fachtest-, sechs Fit+Fun- und drei Jugendparcours-Übungen?
Herr über alle Zahlen und Noten ist Daniel Tuchschmid. Der stellvertretende Wettkampfleiter Fit+Fun am ETF 2019 und heutige stellvertretende Ressortleiter Fit+Fun beim STV konzipiert seit rund 18 Jahren die Wertungstabellen und Auswertungen aller Fachteste, Fit+Fun- und Jugendparcours-Aufgaben. «Steht eine Übung einmal fest, geht es darum, gute Vereine zu finden, die einige Testabläufe absolvieren», sagt der 45-Jährige aus dem st. gallischen Gossau. Anhand dieser Resultate gilt es dann abzuschätzen, welches optimale Werte sind und welche Punktzahlen möglich. Sind diese Idealwerte bestimmt, wird daraus die neue Fachtest-Formel erstellt. «Die grösste Schwierigkeit ist es, bei einer neuen Übung eine Tabelle zu erstellen, weil dort die Richtwerte noch fehlen», sagt Tuchschmid. Von null aus müsse er dann eine Notenskala erstellen. Der zeitliche Ablauf sieht in der Folge dann so aus, dass nach dem ersten TurnfestSommer mit einer neuen Übung die Resultate analysiert und entsprechend angepasst werden.
In den darauffolgenden Turnfest-Saisons werden die Ergebnisse weiter überwacht und nötigenfalls nochmals ein wenig angepasst. «Das Ziel ist es, dass die Wertungstabellen der Übungen zwei, drei Jahre vor dem ETF nicht mehr verändert werden müssen», erklärt Tuchschmid. Bis eine neue Wertungstabelle steht, vergehen in der Regel rund sechs Monate. In seiner Arbeit sei er stark auf die Erfahrungen und den Austausch mit den Ressort- und den Kantonalverantwortlichen angewiesen. Diese liefern wichtige Hinweise für die Erstellung der neuen Wertungstabellen.