Nr. 8 28. 8. 2015
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Telecom/IT
Grafische Industrie
Flächendeckend: syndicom diskutiert Swisscoms «Claire» mit den Belegschaften Seite 5
Es wird ernst: Wir müssen den GAV retten, oder «Printed in Switzerland» war einmal Seite 7
syndicom-Jugend
Typografie
Am See: Zusammen politi sieren, zusammen feiern auf der Jugendkonferenz in Biel Seite 8
Fertig lustig: Nach 82 Jahren hören die «Typografischen Monatsblätter» auf Seite 13
Der Streit um die Geschichte der Schweiz
Verherrlichte Geschichte Geschichte betrifft nicht nur die Vergangenheit. Sie ist eine «Auseinandersetzung mit der Gegenwart und auch Stellungnahme zur Zukunft», sagt der Historiker Hans Ulrich Jost, und: «Geschichte ist wichtig für die Politik: Sie ist eine Waffe, die in strategischen Kontroversen über Werte und Visionen häufig eingesetzt wird.» Reaktionär denkende Kreise versuchten schon immer, die Geschichte nach ihren Vorstellungen auszulegen und diese mit Mythen und Legenden zu untermauern. Im Vorfeld der Herbstwahlen bieten ihnen die Jubiläen von Morgarten (1315), Marignano (1515) und des Wiener Kongresses (1815) entsprechend Gelegenheit, die Abschottung und Isolation der Schweiz als historisch begründete Entwicklungen zu feiern. Die reaktionäre Geschichte, die von den Siegern geschrieben wird, zeichnet das verklärte Bild einer direkten Demokratie seit 1291 – indem sie die Besiegten in ihrer Analyse ausblendet. Dabei zeigt die Forschung einer ganzen Reihe von HistorikerInnen eine völlig andere Sicht der Ereignisse. Längst ist belegt, dass es sich bei den nationalen Legenden vielfach um nachträgliche Konstruktionen handelt – und dass die Neutralität nicht etwa in Marignano begründet, sondern der Schweiz am Wiener Kongress von den Grossmächten verordnet wurde. Die Schweizer Geschichte lässt sich auch aus einer anderen Perspektive betrachten: von ihren Volksaufständen her, vom progressiven Widerstand. Usterbrand (1832), Generalstreiks (1902, 1907 und 1918), Zimmerwald (1915), Kampf um die
AHV (1947), Mai 1968, «Züri brännt» und «Lôzanne bouge» (1980–82), Frauenstreik (1991), Kampf um die SBB-Werkstätten in Bellinzona (2008): Aus diesen Quellen müssen wir schöpfen, damit unser Denken nicht von den Darstellungen vereinnahmt wird, die uns die Konservativen aufzwingen wollen. Ihre Geschichte ist in erster Linie die Geschichte alter
änner aus der herrschenden Oberschicht. Unsere Geschichte M und damit unsere Zukunft ist die Geschichte sozialer Kämpfe für Freiheit, Würde und Solidarität. Und wir müssen darauf achten, wer sie schreibt. Yves Sancey Geschichte und Gegengeschichte: Seiten 2 und 3
Poststreik in Deutschland
Spatz in der Hand
© JÜRGEN SEIDEL
Der deutsche Poststreik vom vergangenen Juni, von der Gewerkschaft Verdi als Erfolg gewertet, hinterlässt bei der Basis einen bitteren Nachgeschmack. Udo Theiss
Bonn im Juni ∙ Vier Wochen streikten die Pöstler.
Für Sigrun Schmid, Sprecherin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, war der am 5. Juli abgebrochene vierwöchige Streik bei der deutschen Post ein Erfolg: «Es ist uns gelungen, für die 140 000 Tarifangestellten ein umfassendes Schutzpaket auszuhandeln.» Nach 40-stündigen Verhandlungen erklärte die Gewerkschaftsleitung den Streik damit für beendet.
Ursprünglich war das Streik-Ziel, die Post AG dazu zu bringen, die Gründung der 49 DHL-Delivery-AGs zurückzunehmen. Dort leisten die Beschäftigten die gleiche Arbeit wie die direkt bei der Post AG angestellten DHL-Mitarbeitenden. Allerdings zu 20 Prozent weniger Lohn und entschieden schlechteren Arbeitsbedingungen. «Die deutsche Verfassung verbie-
tet das ‹Wegstreiken› von Firmen», erklärt Sigrun Schmid. Deshalb sei in dieser Frage nichts zu machen gewesen.
Basis kämpferischer Ein grosser Teil der Basis hingegen zeigt sich schwer enttäuscht über den mageren Ausgang des Arbeitskampfes.
Fortsetzung auf Seite 4