syndicom - die zeitung

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Nr. 9 25. 9. 2015

www.syndicom.ch Gewerkschaft Medien und Kommunikation

die zeitung

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Nur Politclowns im Wahlzirkus? Etwas belustigt schaue ich in die Manege des Wahlzirkus und beobachte, wie dort zahlreiche Polit-Clowns, begnadete Selbstdarstellerinnen, Worthülsen-Jongleure und Warmluft-Akrobatinnen unterwegs sind. Die inhaltslosen Aussagen von Kandidierenden auf Prospekten und Plakaten, «sauglatte» Wahlvideos und x-beliebige Events lassen bei mir als interessierter Wählerin Zweifel aufkommen: Spielt es wirklich eine Rolle, wer im Herbst gewählt wird? Das haben sich die Gewerkschaften syndicom und SEV auch gefragt. Deshalb haben wir eine Firma beauftragt, das Stimmverhalten der 200 Nationalrätinnen und Nationalräte seit der letzten Wahl auszuwerten. Wir wollten wissen, wer wohl die Interessen unserer Mitglieder am besten vertreten hat. Wer machte sich für einen Service public stark, der breit verankert ist und trotzdem beweglich bleibt, um auch auf neue Bedürfnisse der Bevölkerung reagieren zu können? Wer sorgte dafür, dass die grossen staatsnahen Unternehmen wie Post, SBB und Swisscom die richtigen Rahmenbedingungen haben, um ihre Dienstleistungen für alle in hoher Qualität zu erbringen? Und wer will diese Unternehmen einfach zerschlagen und privatisieren – ohne Rücksicht auf die Konsequenzen für die Angestellten? Wer forderte gesetzliche Regelungen für faire Löhne, gute Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz? Wer sorgte sich um die RentnerInnen, damit Menschen nach ihrer Pensionierung nicht in Armut leben müssen? Wer setzte sich ein für eine vielfältige und unabhängige Medienlandschaft? Wer verfolgte eine Sozial­ politik, die nicht ausgrenzt, sondern die grundlegenden Bedürfnisse aller Menschen deckt? Die Fakten sprechen eine klare Sprache. Es sind PolitikerInnen aus dem linken, grünen und teils aus dem Mitte-Lager, welche die Anliegen der Gewerkschaften in den letzten 4 Jahren unterstützt haben. Den bürgerlichen PolitikerInnen – insbesondere denjenigen aus der SVP – waren sie egal. Wenn du jetzt deinen Wahlzettel ausfüllst, kannst du dich auf solche Fakten stützen. Oder aber du lässt dir einreden, es gäbe noch viel wichtigere Probleme für dich. Zum Beispiel das «Asylchaos», die vielen MigrantInnen oder schlicht der «Untergang des Abendlandes». Selbst wenn die SVP bei diesen Themen viel Lärm macht, heisst das noch lange nicht, dass sie damit etwas zur Lösung beitragen kann oder will. Du kannst am 18. Oktober entscheiden, ob deine Arbeitsstelle in Zukunft noch sicher ist oder ob deine Rente im Alter ausreicht. Du hast das Privileg (und das Risiko) der freien Wahl. Nütze es. Bernadette Häfliger Berger, Vizepräsidentin syndicom

telecom/It

GAV grafische industrie

Brandneuer GAV der Callcenter: eine kritische Würdigung von beiden Seiten  Seite 7

Zwei Tage vor Verhandlungstermin kam die Absage der Zeitungsdruckereien  Seite 10

Das grosse syndicom-Polit-Ranking

Wer kämpft für uns?

Welche ParlamentarierInnen haben sich in den letzten vier Jahren für die Anliegen der Gewerkschaften engagiert? Antworten liefert das im Auftrag von syndicom und SEV erstellte Polit-Ranking zum Abstimmungsverhalten im Nationalrat.  › Seiten 2 und 3

© AL AIN C ARRUPT

Edito

Verpackungsdruck

Arbeitsniederlegung bei Südpack Sechs Entlassungen in einer Woche, darunter ein syndicom-Mann. Diese Hiobsbotschaft nahmen Gewerkschaften und Arbeitnehmende nicht einfach so hin.  Es herrscht dicke Luft bei den 120 Angestellten des Verpackungsunternehmens Südpack in Bioggio (TI). Hier ist syndicom zusammen mit der christlichen Gewerkschaft OCST Sozialpartnerin eines Betriebs-GAV. Gegen Ende August kündigte die Südpack fünf Kollegen auf einen Schlag, wenige Tage später, am 28., auch dem Gewerkschafter Diego Moretti, Vizepräsident der syndicom-Sektion Ticino e Moesano. Die angeblich aus wirtschaftlichen Gründen ausgesprochenen Entlassungen erfolgten ohne Absprache mit der Personalkommission oder den Sozialpartnern. syndicom kritisiert dieses Vorgehen aufs Schärfs-

te. Unverzüglich leitete die Gewerkschaft Schritte ein: Noch am Abend des 28. versammelte sich syndicom vor Ort mit den Arbeitnehmenden und verlangte die Rücknahme der Entlassungen. Am 31. August erfolgte ein Treffen mit der Geschäftsleitung, das zu keiner Einigung führte. Nur wenige Stunden später riefen die Gewerkschaften deshalb die Arbeitnehmenden zu einer weiteren Protestversammlung auf. Am 1. September legten die Mitarbeitenden von Südpack ihre Arbeit nieder, bis die Geschäftsleitung zu weiteren Gesprächen einlenkte. Am Tag darauf folgte ein ähnliches Szenario. Nun brachten die Protes-

te der Mitarbeitenden Erfolg! Die Geschäftsleitung zeigte sich endlich verhandlungsbereit. In einer letzten Gesprächsrunde am 14. September konkretisierten sich erste Vorschläge: für die sechs entlassenen Kollegen soll ein Sozialplan erstellt werden. Ausserdem sollen künftig die Personalkommission und die Sozial­ partner bei jeder einzelnen Entlassung einbezogen werden. syndicom wird nichts unversucht lassen, dass die Mitarbeitenden ihre Anstellung bei Südpack behalten können. Weitere Entscheidungen werden zusammen mit der Belegschaft an einer nächsten Versammlung gefällt. (syndicom)


2 | Hintergrund  Wahlen am 18. Oktober

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Wer kämpft für uns?

Das grosse syndicom-Polit-Ranking

Die Auswertung der Abstimmungen im Nationalrat zeigt es deutlich: SP und etwas weniger deutlich die Grünen stimmen so, wie es sich die das Resultat einer Auswertung, welche die Berner Kommunikationsagentur Border Crossing AG vorgenommen hat. Die Datenbasis lieferten Welche Parlamentarierinnen und Parlamentarier stehen den Gewerkschaften und dem Service public nahe, welche sind am weitesten davon entfernt? Diese Fragen stellen sich die Gewerkschaften syndicom und SEV (Gewerkschaft des Verkehrs­ personals). Dabei wollten sie sich nicht auf Bewertungen in subjektiv definierten Fragebogen wie Smartvote verlassen, sondern sie suchten den Tatbeweis. Sie beauftragten die Berner Kommunikationsagentur Border Crossing AG mit der Auswertung der Abstimmungen im Nationalrat. Unter der Leitung der Kommunikations- und Medienwissenschaftlerin Aline Clauss ist eine Rangliste, oft auch Ranking genannt, entstanden.

Bestätigt Erwartungen Die Resultate decken sich weitgehend mit der Auswertung, die der SEV vor vier Jahren erstmals vorgenommen hatte. Sie sind auch nicht überraschend, sondern bestätigen, was zu vermuten war. Einerseits zeigt sich, dass SP und Grüne den beiden Gewerkschaften und ihren Anliegen am nächsten stehen, andererseits ist die SVP am anderen Ende der Liste anzutreffen. Deutlich ist auch die Reihung dazwischen: An die Grünen schliesst sich die GLP an, dann folgen CVP und BDP mit einer breiten Streuung, in der auch erste FDP-Namen auftauchen, danach kommt der Hauptharst der FDP, und die SVP als praktisch geschlossener Block am Schluss. Die beiden EVP-Vertreterinnen finden sich in der ersten Hälfte, aber weit aus-

einander, wogegen die beiden Lega-Delegierten am Ende der FDP, aber noch vor der SVP zu finden sind.

Parteien geschlossen oder durchmischt? Unter dem Aspekt der Trennschärfe sticht die SVP deutlich heraus, und auch die GLP ist praktisch geschlossen zwischen SP/Grüne und CVP/FDP anzutreffen. Die SP bildet am Anfang einen geschlossenen Block, strahlt dann aber in die GPS aus. Diese wiederum überschneidet sich in Teilen einerseits mit der SP, andererseits mit der GLP. CVP, BDP und FDP sind zwar in dieser Reihenfolge platzierbar, haben aber starke gegenseitige Überschneidungen. Die Grundhaltung der Gewerkschaften für eine soziale, offene Schweiz spiegelt sich im Resultat deutlich: Die auf Eigennutz und Abschottung ausgerichteten Parteien am Ende des Rankings stellen sich selbst gerne als Volksparteien dar, die das «einfache Volk» vertreten, ihr Abstimmungsverhalten zeigt das Gegenteil.

Anwesenheit zahlt sich aus Die Unterschiede innerhalb der einzelnen Parteien zeigen, dass einerseits die inhaltlichen Positionen gelegentlich abweichen, andererseits ist auch die An- bzw. Abwesenheit abgebildet. Diese spielt durchaus eine gewisse Rol-

Wert 1.000 1.000 1.000 0.958 0.958 0.955 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.917 0.909 0.909 0.909 0.900 0.895 0.875 0.875 0.875 0.875 0.875 0.867 0.867 0.864 0.833 0.833 0.833 0.833 0.792 0.792 0.792 0.792 0.792 0.792 0.789 0.750 0.750 0.750 0.750 0.750 0.750

Name Fridez Hardegger Ruiz Graf-Litscher Nordmann Piller Carrard Allemann Amarelle Birrer-Heimo Hadorn Heim Maire Marra Nussbaumer Schwaab Semadeni Tornare Tschäppät Tschümperlin Galladé Kiener Nellen Schneider Schüttel Masshardt Gross Bernasconi (Roth-) Chopard-Acklin Jositsch Reynard Sommaruga Mahrer Rossini Voruz Fehr Feri Jans Steiert Aebischer Badran John-Calame Naef Rytz Thorens Goumaz Graf Carobbio Guscetti Glättli Ingold Leutenegger Oberholzer Munz Schelbert

Vorname Pierre-Alain Thomas Rebecca Ana Edith Roger Valérie Evi Cesla Prisca Philipp Bea Jacques-André Ada Eric Jean Christophe Silva Manuel Alexander Andy Chantal Margret Ursula Nadine Andreas Maria Max Daniel Mathias Carlo Anne Stéphane Eric Jacqueline Yvonne Beat Jean-François Matthias Jacqueline Francine Martin Regula Adèle Maya Marina Balthasar Maja Susanne Martina Louis

Partei SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP SP GPS SP SP SP SP SP SP SP SP GPS SP GPS GPS GPS SP GPS EVP SP SP GPS

Kanton JU ZH VD TG VD FR BE VD LU SO SO NE VD BL VD GR GE BE SZ ZH BE FR BE ZH GE AG ZH VS GE GE VS VD ZH AG BS FR BE ZH NE ZH BE VD BL TI ZH ZH BL SH LU

Wert 0.750 0.739 0.708 0.708 0.708 0.700 0.700 0.682 0.682 0.667 0.667 0.667 0.667 0.667 0.667 0.667 0.667 0.667 0.667 0.652 0.625 0.625 0.625 0.609 0.591 0.545 0.417 0.417 0.417 0.391 0.375 0.375 0.375 0.375 0.333 0.333 0.333 0.333 0.333 0.304 0.292 0.292 0.292 0.292 0.261 0.261 0.250 0.250 0.250

Name Schenker Gysi Leuenberger Pardini van Singer Friedl Trede Gilli Wermuth Böhni Flach Gasser Girod Kessler Maier Moser Müller Vischer Weibel Fischer Bertschy Chevalley Grossen Schmid-Federer Streiff-Feller Bäumle Amherd Markwalder Neirynck Meier-Schatz Lohr Quadranti Riklin Vogler Barazzone Guhl Landolt Müller-Altermatt Ritter Bulliard-Marbach Candinas de Buman Germanier Lehmann Büchler Hassler Buttet Darbellay Derder

Vorname Silvia Barbara Ueli Corrado Christian Claudia Aline Yvonne Cédric Thomas Beat Josias F. Bastien Margrit Thomas Tiana Angelina Geri Daniel Thomas Roland Kathrin Isabelle Jürg Barbara Marianne Martin Viola Christa Jacques Lucrezia Christian Rosmarie Kathy Karl Guillaume Bernhard Martin Stefan Markus Christine Martin Dominique Jean-René Markus Jakob Hansjörg Yannick Christophe Fathi

Partei SP SP GPS SP GPS SP GPS GPS SP GLP GLP GLP GPS GLP GLP GLP GPS GPS GLP GLP GLP GLP GLP CVP EVP GLP CVP FDP CVP CVP CVP BDP CVP CSP CVP BDP BDP CVP CVP CVP CVP CVP FDP CVP CVP BDP CVP CVP FDP

Kanton BS SG GE BE VD SG BE SG AG TG AG GR ZH SG ZH ZH AG ZH ZH LU BE VD BE ZH BE ZH VS BE VD SG TG ZH ZH OW GE AG GL SO SG FR GR FR VS BS SG GR VS VS VD

möglichkeiten und grenzen des rankings

«Abstimmungen sind

Der Block der selbst ernannten «Volksparteien» will das Gegenteil der Gewerkschaften.

Mark Balsiger, Inhaber der Berner Kommunikationsagentur Methode und Wirkung der Erhebung.  Interview: Nina Scheu syndicom: Weshalb figurieren von 200 amtierenden NationalrätInnen nur 197 auf der Liste? Mark Balsiger : Drei Politisie-

© BÉATRICE DEVÈNES

rende, die erst in diesem Jahr in den Nationalrat nachrückten, haben wir nicht ausgewertet. Das wäre gegenüber allen anderen nicht fair gewesen, weil diese an viel mehr Abstimmungen teilnahmen und folglich mehr «Fehlentscheidungen» hätten fällen können. Bei den 2015er-Neulingen handelt es sich um Christine Häsler (GPS, BE), Rudolf Winkler (BDP, ZH) und Jean-Pierre Graber (SVP, BE).

Stunde der Wahrheit ∙ Welche Interessen vertreten die ParlamentarierInnen letztlich bei den einzelnen Geschäften?

aus rund 5000 verschiedenen Abstimmungen, die im Nationalrat stattfanden, in einem mehrstufigen Selektionsverfahren 24 sehr relevante Geschäfte heraus-

«Unentschuldigtes Fehlen bei einer Abstimmung wird als Stimmenthaltung gewertet.» gefiltert. In diesen ging es um Sozialpolitik, Verkehr, Energie, Service public und um gewerkschaftliche Anliegen.

Wie wurden die 24 bewerteten Geschäfte ausgewählt?

Nach welchen Kriterien wurde das Stimmverhalten gewichtet?

Im Zeitraum von der Wintersession 2011 bis und mit der Sommersession 2015 wurden

Zuerst wurde die Position von syndicom und SEV in den 24 gewerteten Abstimmungen


Wahlen am 18. Oktober  Hintergrund | 3

syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015

Das Vorgehen

Gewerkschaften des Service public vorstellen. Dies ist die Abstimmungen der letzten vier Jahre.  Peter Moor* Wert 0.250 0.250 0.250 0.250 0.250 0.250 0.227 0.222 0.217 0.208 0.208 0.208 0.188 0.182 0.167 0.167 0.167 0.167 0.167 0.136 0.130 0.125 0.083 0.083 0.056 0.050 0.043 0.042 0.042 0.042 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 0.000 −0.042 −0.083 −0.083 −0.083 −0.250 −0.250 −0.292 −0.333 −0.333 −0.375 −0.375 −0.417 −0.500

Name Feller Gmür Hiltpold Humbel Müller Romano Grunder Siegenthaler Gasche Gschwind Moret Schneider-Schneiter Perrinjaquet Fässler Bourgeois Fluri Français Glanzmann-Hunkeler Hess Lüscher Schläfli Cassis Eichenberger-Walther Huber Lustenberger Stolz Pfister Caroni Regazzi Vitali Merlini Monnard Müller Noser Schilliger Walti Schneeberger Fiala Pantani Portmann Hausammann Wasserfallen Pezzatti Müller Quadri Gössi Grin Aebi Veillon

Vorname Olivier Alois Hugues Ruth Leo Marco Hans Heinz Urs Jean-Paul Isabelle Elisabeth Sylvie Daniel Jacques Kurt Olivier Ida Lorenz Christian Urs Ignazio Corina Gabi Ruedi Daniel Gerhard Andrea Fabio Albert Giovanni Pierre-André Philipp Ruedi Peter Beat Daniela Doris Roberta Hans-Peter Markus Christian Bruno Walter Lorenzo Petra Jean-Pierre Andreas Pierre-François

Partei FDP CVP FDP CVP CVP CVP BDP BDP BDP CVP FDP CVP FDP CVP FDP FDP FDP CVP BDP FDP CVP FDP FDP FDP CVP FDP CVP FDP CVP FDP FDP FDP FDP FDP FDP FDP FDP FDP Lega FDP SVP FDP FDP FDP Lega FDP SVP SVP SVP

Kanton VD SZ GE AG LU TI BE BE BE JU VD BL NE AI FR SO VD LU BE GE SO TI AG UR LU BS ZG AR TI LU TI NE AG ZH LU ZH BL ZH TI ZH TG BE ZG SG TI SZ VD BE VD

Wert −0.500 −0.542 −0.542 −0.542 −0.583 −0.583 −0.600 −0.625 −0.636 −0.667 −0.708 −0.708 −0.708 −0.733 −0.750 −0.750 −0.750 −0.750 −0.750 −0.792 −0.792 −0.792 −0.792 −0.792 −0.818 −0.833 −0.833 −0.833 −0.833 −0.833 −0.875 −0.875 −0.875 −0.875 −0.909 −0.909 −0.917 −0.917 −0.917 −0.917 −0.917 −0.917 −0.917 −0.950 −0.958 −0.958 −1.000 −1.000 −1.000 −1.000

Name Walter Freysinger Parmelin Rusconi Amaudruz von Siebenthal Herzog Joder Bugnon Stamm Binder Borer de Courten Golay Clottu Giezendanner Killer Mörgeli Rime Brand Hurter Keller Müller Stahl Rösti Flückiger-Bäni Frehner Miesch Pieren Rutz Fehr Knecht Reimann Wobmann Amstutz Geissbühler Aeschi Bortoluzzi Büchel Egloff Estermann Rickli Schwander Nidegger Brunner Heer Matter Müri Reimann Schibli

Vorname Hansjörg Oskar Guy Pierre Céline Erich Verena Rudolf André Luzi Max Roland F. Thomas Roger Raymond Ulrich Hans Christoph Jean-François Heinz Thomas Peter Thomas Jürg Albert Sylvia Sebastian Christian Nadja Gregor A. Hans Hansjörg Maximilian Walter Adrian Andrea Martina Thomas Toni Roland Rino Hans Yvette Natalie Simone Pirmin Yves Toni Alfred Thomas Felix Lukas Ernst

Partei SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP MCR SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP SVP

Kanton TG VS VD TI GE BE TG BE VD AG ZH SO BL GE NE AG AG ZH FR GR SH NW SG ZH BE AG BS BL BE ZH ZH AG AG SO BE BE ZG ZH SG ZH LU ZH SZ GE SG ZH ZH LU SG ZH

Aus den rund 5000 Abstimmungen, die im Nationalrat von der Wintersession 2011 bis zur Sommersession 2015 stattfanden, hat die Kommunikationsagentur Border Crossing AG in mehreren Schritten 24 Entscheidungen herausgefiltert, in denen es um Fragen der Sozialpolitik, des Service public oder um gewerkschaftliche Anliegen ging. Ausgewählt wurden nur Abstimmungen, die nicht einstimmig ausfielen, da einstimmige Resultate keinen Einfluss auf die Wertung gehabt hätten. Danach hat Border Crossing bei syndicom und SEV die Position in der jeweiligen Abstimmung abgefragt; für einen Tastendruck in Übereinstimmung mit den Gewerkschaften gab es +1, für die gegenteilige Haltung -1, für Enthaltung oder unentschuldigtes Fehlen 0. Entschuldigtes Fehlen wurde ausgeklammert. Die summierte Punktzahl wurde anschlies­ send durch die Anzahl gewerteter Abstimmungen geteilt, was wiederum zu einem Wert zwischen 1 und –1 führte. Somit konnten auch jene ParlamentarierInnen bewertet werden, die im Verlauf der Amtszeit in den Rat nachgerutscht waren. Lediglich jene drei, die erst 2015 in den Rat kamen, wurden nicht gewertet, da zu wenige Abstimmungen vorhanden waren. (pm)

le: «Häufig entscheiden sich Parlamentarier, an einer Abstimmung nicht ­teilzunehmen, statt eine von der Parteimeinung abweichende Stimme abzugeben», erläutert Mark Balsiger von Border Crossing im Interview (siehe unten).

Die Eindeutigen Eine Nationalrätin und zwei Nationalräte der SP verzeichnen die Bestnote, eine glatte 1: Rebecca Ruiz (VD), Pierre-Alain Fridez (JU) und Thomas Hardegger (ZH). Dies bedeutet, dass sie immer abgestimmt haben, und zwar immer übereinstimmend mit der Haltung, die SEV und syndicom in der jeweiligen Frage vertreten. Rebecca Ruiz ist allerdings erst auf die Sommersession 2014 nachgerückt und hat deshalb nur an 12 Abstimmungen teilnehmen können. Am andern Ende der Liste haben vier Nationalräte der SVP eine

ebenso glatte –1 erhalten: Thomas Matter (ZH), Felix Müri (LU), Lukas Reimann (SG) und Ernst Schibli (ZH). Sie waren immer anderer Meinung als die Gewerkschaften. Auch hier hat es Nachgerückte: Thomas Matter und Ernst Schibli waren ebenfalls nur an 12 Abstimmungen dabei. Felix Müri war zweimal entschuldigt, ist also mit 22 Abstimmungen in der Wertung vertreten.

Die «Abweichler» Deutliche Ausreisser nach oben, also in Richtung der gewerkschaftlichen Haltung, sind bei der FDP Christa Markwalder (BE) und bei der SVP Markus Haus­ ammann (TG), mit einer Abweichung entgegen der gewerkschaftlichen Haltung fällt GLP-Präsident Martin Bäumle (ZH) auf.

* Leiter Kommunikation SEV

wie die Bergetappen der Tour de France» Border Crossing AG, die das ParlamentarierInnen-Ranking für syndicom und SEV erstellt hat, spricht über

Welchen Einfluss haben Absenzen auf das Ranking? Unentschuldigtes Fehlen bei einer Abstimmung wurde gleich gewertet wie eine Stimmenthaltung. Dies aus dem Grund, dass sich ParlamentarierInnen häufig dazu entscheiden, an einer Abstimmung lieber nicht teilzunehmen, statt eine von der Parteimeinung abweichende Stimme abzugeben. Anders verhält es sich mit entschuldigten Absenzen: Hatte ein Nationalrat in einer Abstimmung entschuldigt gefehlt, so floss diese

Abstimmung nicht in die Wertung mit ein, das heisst, die summierte Punktzahl wurde am Schluss durch eine Abstimmung weniger geteilt. Durch dieses Verfahren konnten auch jene Parlamentarier bewertet werden, die in der laufenden Legislaturperiode in den Rat nachgerutscht waren und nicht an allen 24 Abstimmungen hatten teilnehmen können – die Abstimmungen, die vor ihrem Eintritt in den Rat stattgefunden hatten, wurden nicht gezählt.

Worauf soll man bei der Interpretation der Ergebnisse besonders achten? Das Ranking präsentiert sich wie die Rangliste der Tour de F­ rance, aber Vorsicht: es umfasst nur die schwierigen Bergetappen in

den Pyrenäen. Die Besten dieses Rankings müssen deshalb nicht generell die besten Parlamentarier aus Gewerkschaftssicht sein – und schon gar nicht die einflussreichsten.

schliesslich die Mehrheit bei einem umstrittenen Geschäft erreichten.

Grundsätzlich: Was kann man aus so einem Ranking ersehen – und was nicht?

Der Einfluss solcher Rankings auf das Wahlverhalten ist umstritten. Weshalb macht es trotzdem Sinn, das Abstimmverhalten der ParlamentarierInnen unter die Lupe zu nehmen?

Auf einfache Art und Weise erhalten die Leserinnen und Leser einen Überblick, welche Parlamentarier weitgehend auf dem Kurs der Gewerkschaft abstimmten. Bei der Selektion der Geschäfte haben wir nur sehr relevante und knappe berücksichtigt. Dieses Ranking bildet aber beispielsweise nicht ab, welche ParlamentarierInnen mit geschicktem Taktieren und vielen Einzelgesprächen

Rankings sind per se umstritten, und das kommt nicht von ungefähr: Ich habe in den letzten Monaten mehrere gesehen, welche die rein quantitative Anzahl Vorstösse werteten. Verkürzt: Je mehr Vorstösse, desto mehr Punkte. Mit Verlaub, aber das ist Mumpitz. Aussagekräftig wäre es, wenn man erheben würde, wie viele der Vorstösse überwiesen wurden und, noch besser, wie viele tatsächlich eine Verän-

© REMO EISNER

abgefragt. Anschliessend haben wir die Position der Gewerkschaften mit dem Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Parlamentsmitglieds verglichen. (Details siehe Box oben.)

derung angestossen haben. Das ist enorm aufwendig und wird deshalb nicht gemacht. Zurück zu Ihrer Frage: Für die Mitglieder Ihrer Gewerkschaft ist es beim Ausfüllen der Wahlzettel hilfreich, wenn ihnen aufgezeigt werden kann, wie die ParlamentarierInnen bei relevanten Geschäften abstimmten. Gerade in Kantonen mit zahllosen Kandidaturen – Zürich über 850, Bern über 650 – ist eine solche Orientierungshilfe wertvoll.


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syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015 Wahlen 2015

Gastkommentar

Wie smart ist Smartvote?

Supermarkt-Alarm

Die Spinne und ihre Tücken Entwickelt hat das Smartspider-System unter anderem Politgeograf Michael Hermann. 2003 konnten die Wahlberechtigten bei den Parlamentswahlen zum ersten Mal darauf zurückgreifen. Betrieben wird Smartvote vom politisch neutralen Verein Polittools mithilfe finanzieller Unterstützung von Gemeinden, Parteien, Medien und Privatper-

© SMAR T VOTE. CH/SOTOMO. CH

Rund einen Monat vor den eidgenössischen Wahlen sind sie überall: Die Köpfe auf den Plakaten, die uns angrinsen, umrahmt von Wahlslogans und Partei­ logos. Die Videos, die Werbeflyer. Am 18. Oktober wählen Schweizerinnen und Schweizer ein neues Parlament. Doch nicht nur junge Erwachsene sind überfordert angesichts des Plakate­ dschungels, von Begriffen wie Proporz und Majorz, panaschieren oder kumulieren. Denn viele Stimmberechtigte kennen zwar ihre eigene Wertehaltung sehr gut, nicht aber diejenigen der Parteien oder gar der Kandidierenden. Solchen Personen sollen Online-Wahlhilfen wie Smartvote weiterhelfen. Das Prinzip scheint einfach: Wählende und Kandidierende beantworten die gleichen 30 oder 75 Fragen zu politischen Themen. Schliesslich wertet das System aus, mit welchen Kandidierenden die Wählende die meisten Übereinstimmungen hat. Die Grafik «Smartspider» unterstreicht dann das Resultat bildlich.

© Z VG

Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung auf die Politik und unsere politische Mitsprache? Sind Online-Wahlhilfen tatsächlich transparente Wegweiser oder machen sie uns Wählende vielmehr zu Marionetten?  Ramona Thommen*

Es wimmelt von Wahl- und Abstimmhilfen wie Smartvote oder Vimentis und ihren Fragebögen. Viele Medien stützen sich auf deren Analysen – oder Pseudo-Analysen, denn wenn man näher hinschaut, sind die Fragen so schlecht formuliert oder so sehr aus dem Kontext gerissen, dass die Bürgerinnen und Bürger nicht weiter sind, wenn sie ihre Antworten mit jenen der Kandidierenden verglichen haben. Die Beantwortung einer politischen Frage mit Ja oder Nein kann, selbst wenn es mit einem vagen «eher ja» oder «eher nein» geschieht, stark vom Kontext abhängen. Smartvote etwa berücksichtigt auch die Gründe für eine Haltung nicht und ordnet Leute, die die Kehrichtsackgebühr ablehnen, weil sie unsozial ist, in die Kategorie der Umweltschutzgegner ein – selbst wenn die Personen gerechtere Alternativen durchaus befürworten. Die Fragebögen haben noch einen Mangel: Sie reduzieren eine öffentliche Sache auf eine Art Supermarkt der einzeln betrachteten Kandidierenden. Ein politischer Erfolg ist jedoch immer ein kollektiver Erfolg. Hinter einer Wahl stehen immer eine Partei, ihre aktiven Mitglieder, ihre Logistik und die Zugkraft ihrer Liste. Die Gewerkschaften können ein Lied davon singen: Ein Sieg in einer Volksabstimmung ist immer das Ergebnis der gemeinsamen Anstrengungen sehr vieler Menschen. Im Parlament gilt dasselbe: Niemand gewinnt allein. Mit dem simpel konstruierten Ansatz, dass die Politik lediglich eine Summe von Individuen ist, die Ja oder Nein sagen, vermitteln Smartvote und Co. ein verzerrtes oder sogar falsches Bild von unserer Demokratie. Jean Christophe Schwaab, Nationalrat SP/VD

Smartvote ∙ Welche Wahrheit gaukelt uns die smarte Spinne vor?

sonen. Doch das System ist nicht unumstritten, aus mehreren Gründen. Einer ist die Art der Auswertung. Füllt man nämlich selbst einen Fragebogen aus, so erscheinen auf der Liste erst einmal kaum bekannte Namen. Mit diesen Personen hat man selbst zwar die grösste Übereinstimmung bei den Antworten. Würde man sie aber tatsächlich wählen, würde man kaum etwas bewegen, die eigene Stimme ginge nämlich unter. Die wirklich bekannten und wohl auch chancenreicheren Namen folgen erst auf den hinteren Plätzen der Auswertung. Dass sich Wählende eher für diese entscheiden, zeigt auch die «Selects»-Studie des Politologen Georg Lutz. Fak-

toren wie die Parteizugehörigkeit oder Erfahrung gewichten Wählende allgemein stärker bei ihren Kandidierenden. Zudem wollen die meisten gar nicht unbedingt die grösstmögliche prozentuale Übereinstimmung mit jemandem. Vielmehr werden Kandidierende bevorzugt, die zwar eine ähnliche Wertehaltung haben, aber viel extremere Positionen vertreten. Georg Lutz erklärte das einst folgendermassen: Ein Wähler, der sich mehr soziale Gerechtigkeit wünsche, wähle tendenziell eher einen Politiker, der den Kapitalismus abschaffen möchte. Dies obschon das tatsächlich gar nicht im Sinne des Wählers sei.

Begrenzter Nutzen Ein weiterer wunder Punkt bei Smartvote ist die Fragestellung: Sie lässt nur Ja- oder Nein-Antworten zu, die Beweggründe aber lässt sie aus. So ist die Zuordnung zu einer politischen Haltung schwierig. Beispielsweise kann jemand aus religiösen Gründen gegen gentechnisch veränderte Organismen sein oder aber, weil er ökologisch denkt. Politiker und Parteien stiessen sich während der vergangenen Jahre immer wieder an den Fragebögen und forderten ein Mitspracherecht. Mittlerweile dürfen sie die Fragen im Vorfeld anschauen, ein Vetorecht bei der Auswahl will Smartvote ihnen aber nicht

geben. Für PolitologInnen ist klar: Smartvote kann zwar bei der rationalen Auswahl der passenden Kandidaturen helfen. Und das tut es mittlerweile, wie die «Selects»-Wahlstudie belegt: Rund 375 000 Personen nutzen die Seite. Doch dürfe man das Instrument nicht überschätzen. Denn genau messbar sind politische Einstellungen nicht. Und genau das täuschen die Grafik und die Prozentangaben vor.

* Freie Journalistin www.easyvote.ch www.ch.ch/Wahlen www.vimentis.ch/Wahlen www.civicampus.ch

srg-«politbox» on tour

Politische Bildung mit dem iPhone Sollen die Schweiz und Europa Flüchtlinge aufnehmen? Sollen gleichgeschlechtliche Paare heiraten dürfen? Was sagen eigentlich die jüngeren Stimmbürgerinnen und Stimmbürger – um deren Zukunft es geht – zu den aktuell meistdiskutierten gesellschaftlichen Themen? Mit dem «Politbox»-Projekt will dies die SRG herausfinden.

Die Jungen sollen mitreden Mit einer Quiz-App, einem Internet-Sendeformat und Interaktionen auf Social-Media-Kanälen wie Facebook, Twitter und Insta­ gram will es die SRG wissen. Konrad Weber, Redaktionsleiter der «Politbox», erklärt: «Das Projekt soll den Jungen zeigen,

dass die Themen, die sie beschäftigen, sehr wohl politisch sind. Und dass sie mit ihrer Stimme etwas bewegen können.»

Meinungsbildung leicht gemacht mit Social Media Mit der Quiz-App können Jugendliche aus diversen Themengebieten wie Militär, Familie oder Mobilität je 32 Fragen beantworten. Zusätzlich tourt seit Anfang Sommer der «Politbox»-Bus durch das ganze Land. Von Orten, an denen sich junge Menschen gerne aufhalten, wird live in allen Landessprachen gesendet. So fragte die «Politbox»-Redaktion in Grüsch (GR): Wo dürfen Jugendliche im öffentlichen Raum fei-

ern? Oder in Lugano (TI): Sollen die Grenzen für Flüchtlinge geöffnet oder soll die Zuwanderung beschränkt werden? Gerade Jugendliche haben oft einen anderen Zugang zu aktuellen gesellschaftlichen Themen als die älteren Generationen.

dürftige Wahlbeteiligung Leider bleibt ihre Position oft ungehört aufgrund der tiefen Wahlbeteiligung: Noch immer gehen von den über 65-Jährigen zwei Drittel an die Urne, während bei den 18- bis 24-Jährigen nur ein Drittel die Stimme abgibt. Doch lassen sich junge Erwachsene durch eine QuizApp und Livesendungen tatsächlich zum Urnengang bewegen?

Redaktionsleiter Weber wiegelt ab: «Unser Hauptziel ist es nicht, Leute an die Urne zu bringen.» Viel mehr wolle man den Jungen zeigen, dass ihre Meinung sehr wohl zähle. Und dass sie bei vielen Themen mitreden und mit ihrer Stimme auch etwas bewegen könnten. «Auf den ­Social-Media-Kanälen erreichen wir ein jüngeres Publikum. Das ist ein Erfolg, den wir mit klassischen Formaten nicht verbuchen konnten», so Weber.

Service public oder nicht? Dem Verband Schweizer Medien geht das Angebot zu weit: «Politbox» verletze die Konzession, sagt VSM-Verbandsdirektorin Verena Vonarburg. Die Game-

App sei «kein Service ­ public». Deshalb reichte der Verband beim Bundesamt für Kommunikation (Bakom) eine Anzeige wegen Konzessionsverletzung ein. Die SRG-Richtlinien besagten, dass Online-Inhalte mit einem Sendebezug einen direkten, zeitlichen und thematischen Bezug zu redaktionellen Sendungen und Sendeteilen aufweisen müssen. Die SRG sieht das anders: Die Politberichterstattung sei eine ihrer Kernaufgaben – diese werde – in interaktiver Form – nun für ein jüngeres Publikum angeboten.

Ramona Thommen www.srf.ch, Politbox


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syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015

Wo Post drauf steht, muss auch Post drin sein – STOP Auslagerung!

Wagenführer der Post formieren Widerstand

Am 4. September gab die Post bekannt, dass sie ab Ende 2016 keine eigene Lastwagen-Flotte mehr betreiben wird. Stattdessen sollen die Logistik-Dienstleistungen vollständig an externe Subunternehmen ausgelagert werden. Nur zwei Tage später fanden sich die LKW-Chauffeure der Post zu einer ersten Versammlung mit syndicom in Olten ein. Die Anwesenden diskutierten zunächst über eine allfällige Vereinbarung mit der Post, welche die Konsequenzen der Auslage-

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rung für das Personal abfedert. Die Bilanz der Versammlung war bald klar: Es braucht keine Vereinbarung mit der Post. Die Jobs müssen bei der Post bleiben!

einstimmiger widerstand Auch an der zweiten Versammlung vom 20. September bekräftigen die rund 80 TeilnehmerInnen ihren Widerstand gegen die geplante Auslagerung. Sie fordern von der Post, mindestens den aktuellen Bestand an Personal «inhouse» zu belassen und diesen auch in Zukunft zu erneu-

© Z VG

Letztes Wochenende versammelten sich die LKW-Chauffeure der Post ein weiteres Mal in Olten, um über ihren Widerstand gegen die geplante Auslagerung des Postsachentransports zu diskutieren. Zusammen mit syndicom wollen sich die Betroffenen vehement dagegen wehren, dass die Post die Stellen der über 180 Wagenführer streicht und das gesamte Volumen an externe Transport­ firmen vergibt.

Post-Wagenführer sind «auf Achse» ∙ syndicom protestiert mit den Wagenführern gegen die Auslagerung der Lastwagenflotte.

ern. Damit sichert sich die Post Qualität sowie Know-how und geht weniger Risiken beim internen Postsachentransport ein.

Konkrete Forderungen Ausserdem forderte die Versammlung von der Post, dass die Frist für die Einreichung von Alternativvorschlägen zur Auslagerung verlängert werden soll. Damit wird eine solide Diskus-

sion ermöglicht. Zudem verlangen die Wagenführer erstens, dass die Post während der Verhandlungsphase keine weiteren Touren auslagert, und zweitens, dass alle Vorbereitungsarbeiten für die Neuausrichtung des Postsachentransports gestoppt werden. Nicht zuletzt sollen im Postsachentransport keine Kündigungen ausgesprochen werden. Die Wagenführer haben

syndicom mit der Vertretung ihrer Interessen gegenüber der Post mandatiert.

Kampagne gestartet Unter dem Slogan «Wo Post drauf steht, muss auch Post drin sein – Stop Auslagerung!» startet nun eine breite Mobilisierungskampagne, an der sich alle Angestellten der Post beteiligen können. (syndicom)


Branchen | 7

syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015 Branchen-GAV Contactcenter

Was taugt das neue Vertragswerk? Seit vielen Jahren steht die Call- und Con­tact­ center-Branche eher in einem schlechten Licht: Unbeliebt bei der Bevölkerung wegen störenden Anrufen zu jeder Tages- und Nachtzeit oder aggressiven Verkaufsmethoden, bei den Mitarbeitenden aufgrund der schlechten Arbeitsbedingungen. Diese Missstände haben Avocis und Capita erkannt und 2014 die anstehenden GAV-Verhandlungen mit syndicom dazu

genutzt, den neuen Branchenverband Con­ tact­swiss zu gründen. Die Unterzeichnung des Branchen-GAV erfolgte im Mai 2015, seit September 2015 ist der GAV in Kraft. Für syndicom bedeutet der Abschluss dieses Branchen-GAV das Erreichen eines Meilensteins, war es doch ein lange angestrebtes Ziel, die Arbeitsbedingungen in den Call- und Contactcentern zu verbessern.

© JENS FRIEDRICH

Die Verhandlungsführer von syndicom und Contactswiss nehmen Stellung zu Highlights und Defiziten im neuen Gesamtarbeits­ vertrag (GAV) der Contact- und Callcenter-Branche – und dessen Bedeutung für die Zukunft.  Patrick Probst, Geschäftsleiter konform

Daniel Münger, Giorgio Pardini (syndicom), Peter Weigelt, Milo Stössel (Contactswiss)

6 Fragen zum GAV

Das sagt Contactswiss

Das sagt syndicom

Wie kam es zu diesem GAV-Abschluss?

Peter Weigelt, Präsident: In den vergangenen Jahren erschien unsere Branche in den Medien regelmässig in Verbindung mit negativen Schlagzeilen. Dabei ging es einerseits um sozialpartnerschaftliche und konsumentenrechtliche Fragen. Die zwar vielfach überspitzt, aber leider auch oft zu Recht vorgebrachte Kritik führte dazu, dass das Image unserer Branche in der breiten Öffentlichkeit auf einen Tiefpunkt sank. Für uns als seriöse und qualitativ hochstehende Anbieter, aber auch für unsere Kunden und vor allem für unsere Mitarbeitenden ist diese Wahrnehmung inakzeptabel. Dieser negativen Reputation wollen wir wirksam entgegentreten, unter anderem mit einem GAV.

Giorgio Pardini, Sektorleiter: Dem GAV-Abschluss ging ein 15-jähriges Engagement von syndicom in der Branche voraus. Bereits Anfang 2000 ist es uns gelungen, zwei Firmenverträge abzuschliessen. Ein übergreifendes Vertragswerk ­scheiterte damals an den heterogenen Positionen der Arbeitgeber. Dann häuften sich negative Medienberichte zu den Arbeitsbedingungen in den Callcentern – und zu Arbeitskonflikten, in die auch syndicom involviert wurde. Für uns war klar: in dieser Branche, die eine hohe Flexibilität und Kompetenz der Arbeitnehmenden verlangt, braucht es verbindliche Standards. Mit Avocis fanden wir einen Verbündeten. Gemeinsam wollen wir die Callcenter-Branche durch geregelte Arbeitsbedingungen attraktiver machen.

Gab es bei den Verhandlungen Knacknüsse?

Milo Stössel, Vizepräsident: Der GAV schafft Berechenbarkeit und Sicherheit für die Arbeitnehmenden, da viele normative Bestimmungen nun schwarz auf weiss für alle einsehbar sind. Natürlich ging den zahlreichen Bestimmungen oft eine intensive Diskussion voraus. Es darf aber festgehalten werden, dass wir in vielen Fragen gegenseitig auf Akzeptanz und Verständnis gestossen sind. Eigentliche Stolpersteine gab es nicht, zumal die in Contactswiss zusammengeschlossenen Unternehmen bereits vor dem GAV-Abschluss die besten Arbeitsbedingungen der Branche garantierten.

Daniel Münger, Zentralsekretär: Die grössten Knacknüsse waren die Mindestlöhne und die Kündigungsfristen. Bei den Mindestlöhnen war uns wichtig, dass wir diese nach Berufsfunktion festlegen konnten. Noch nicht erreicht haben wir einen flächendeckenden Mindestlohn von 4000 Franken ab dem ersten Anstellungsjahr.

Welches sind aus Ihrer Sicht die Highlights bei diesem GAV-Abschluss?

Peter Weigelt, Präsident: Uns war die Frage des Mindestlohns besonders wichtig. Dabei ging es uns weniger um dessen Höhe, sondern vielmehr um eine flexible, regional abgestützte Definition. Die vereinbarte Regelung sieht keinen gesamtschweizerisch fixierten Mindestlohn vor, sondern einen regional differenzierten. Damit trägt der GAV der dezentralen Struktur unserer Branche Rechnung. Zudem mussten wir uns als Arbeitgeber zu einem Verband zusammenschliessen, um mit einer Stimme gegenüber den Gewerkschaften auftreten zu können. Diese längst fällige Organisation der «Dienstleister für Dritte» ist ein durchaus wünschbarer Nebeneffekt.

Giorgio Pardini, Sektorleiter: Essenziell ist zunächst das Vertragswerk als Ganzes, ein gutes Fundament, das wir in Zukunft noch weiterentwickeln können, um die Arbeitsbedingungen an die Wertschöpfung in der Branche anzupassen. Dann gibt es verschiedene Eckwerte, die für uns besonders wichtig waren. Beispielsweise die folgenden fünf: – Mindestlöhne für Einsteiger genauso wie für Fachkräfte. – Verpflichtung der Arbeitgeber, bei Massenentlassungen die Gewerkschaften zu konsultieren und Sozialpläne mit ihnen auszuhandeln. – Aus- und Weiterbildungsrechte der Arbeitnehmenden, damit sie arbeitsmarktfähig bleiben. – 25 Tage Ferien ab dem 5. Dienstjahr und Arbeitszeitbeschränkung auf 42 Wochenstunden. – Jährliche Lohnverhandlungen auf Branchenebene, damit sich die Löhne fair entwickeln.

Wo sehen Sie noch Defizite?

Milo Stössel, Vizepräsident: Im Vertragswerk selber gibt es aktuell aus unserer Sicht keine offenen Baustellen. Das grösste Defizit ist sicherlich, dass unser GAV noch nicht allgemeinverbindlich ist. Wir werden uns jedoch in den kommenden Monaten bemühen, unsere Mitbewerber vom Nutzen eines GAV und einer einheitlichen Sprache zu überzeugen, mit dem Ziel, die Allgemeinverbindlichkeit zu befördern.

Daniel Münger, Zentralsekretär: Die Kündigungsfristen sind sicherlich noch zu kurz, die Jobunsicherheit zu gross, hier besteht Handlungsbedarf. Dieses Defizit zu beheben, wird unser grosses Ziel sein, wenn es darum geht, den GAV zu erneuern. Die Zwischenzeit wollen wir gemeinsam mit Contactswiss dazu nutzen, beim Bundesrat die Allgemeinverbindlichkeit des GAV für die Branche zu erwirken.

Wie beurteilen Sie den neuen GAV im Vergleich mit anderen Branchen?

Peter Weigelt, Präsident: Wir haben nicht als sozialpolitische Gegner verhandelt, sondern als Partner. Wenn ich andere Branchen anschaue, so hat man oft das Gefühl, es müsse in solchen Verhandlungen immer Sieger und Verlierer geben. Das war bei uns nicht so. Wir haben uns gegenseitig respektiert. Diese Transparenz und Verlässlichkeit hat ein Vertrauen geschaffen, welches hoffentlich fortbesteht.

Giorgio Pardini, Sektorleiter: Bezogen auf die Dienstleistungsbranche ist dies ein guter Vertrag. Er geht über die reinen Betriebsvereinbarungen hinaus, wie man sie sonst häufig antrifft. Der GAV hat gewerkschaftliche Substanz. Er schreibt beispielsweise vor, dass eine paritätische Kommission eingesetzt wird, welche die Durchsetzung der Vertragsbestimmungen überwacht.

Welche ­Bedeutung hat der neue GAV für die Zukunft der Contactund Callcenter-­ Branche?

Peter Weigelt, Präsident: Weil Leistungen immer vergleichbarer werden, gewinnen weiche Faktoren wie ein guter Kundenservice und absolute Verfügbarkeit an Bedeutung. Zudem stehen weitere Auslagerungen von Contact-Services an, da die Komplexität solcher Dienstleistungen zunehmend Spezialisten erfordert. Ich bin deshalb überzeugt, dass unsere Branche weiter wächst und auf zusätzliche und gut qualifizierte Mitarbeitende angewiesen ist. Ein guter Ruf der Branche sowie transparente und faire Arbeitsbedingungen tragen dazu bei, dass wir künftig bessere Rekrutierungschancen haben. Der GAV ist in diesem Umfeld ein wichtiges und vor allem sichtbares Signal.

Giorgio Pardini, Sektorleiter: Der GAV ist die Plattform, um den technologischen Wandel zu begleiten und in den Arbeitsbedingungen immer wieder neu abzubilden. Die Branche ist einem starken Wandel unterworfen. Es gibt immer neue Produkte und Dienstleistungen, und die Kommunikationskanäle vermehren sich. Parallel dazu schärft sich das Berufsbild, beispielsweise durch die neu eingeführte Ausbildung «Fachfrau/Fachmann Kundendialog». Dies muss sich auch im GAV niederschlagen. Aus Respekt vor einer anspruchsvollen Arbeit, die viel zeitliche und kommunikative Flexibilität voraussetzt.


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syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015


Branchen | 9

syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015 GAV Presse und elektronische Medien

Verleger für GAV-Verhandlungen In den Wochen vor dem jährlichen Verlegerkongress knallte es gewaltig. Mit der Ankündigung eines Joint Ventures zwischen Ringier, der SRG und der Swisscom brachte das Verlagshaus Ringier die Kollegen im Verbandspräsidium in Rage. Dort neidet man dem als «Trio Infernal» diffamierten Werbeverbund nicht nur die zukünftigen Einnahmen, sondern stört sich auch am Einschluss des momentanen Lieblingsfeindes SRG, die seit Monaten unter schärfstem Beschuss der ­privaten Medienhäuser steht. Vor allem Pietro Supino von Tamedia scheint zu glauben, er könne seine eigenen Taschen durch eine Zerschlagung des medialen Service public noch praller füllen. Die Folge der offenbar recht unzimperlich geführten Diskussion im Präsidium von

© Z VG

Es rumort im Verband «Schweizer Medien»: die Mitglieder des Verlegerverbandes wollen erstmals nach elf Jahren wieder über einen Gesamtarbeitsvertrag verhandeln. Und Ringier signalisiert die Bereitschaft, einen Betriebs-GAV abzuschliessen.  Nina Scheu

Erst nachdem es von den Mitgliedern gemassregelt worden war, diskutierte das Verbandspräsidium über GAV-Verhandlungen als Jahresziel 2016.

«Schweizer Medien» war Ringiers sofortiger Austritt aus dem Deutschschweizer Verlegerverband. Im ersten Unmut gab das zweitgrösste Schweizer Medienhaus bekannt, dass man sich überlege, auch aus dem Westschweizer Verband «Médias S ­ uisse» auszutreten. Das allerdings wäre ein fatales Signal – auch weil «Médias Suisse» über die CCT, das Pen-

Keine Totalfreigabe des Postmarktes

Bundesrat: «Das Briefmonopol finanziert die Grundversorgung» Der vom Bundesrat am 18. September veröffentlichte «Evaluationsbericht 2015 zu den Auswirkungen der Marktöffnung im Postbereich» zeigt auf, dass für die KundInnen keine Vorteile aus einer weiteren Liberalisierung des Briefmarktes feststellbar sind. Damit teilt der Bundesrat eine Einschätzung, welche syndicom schon lange vertritt. Der Bundesrat schlägt dem Parlament deshalb vor, an der Monopolgrenze von 50 Gramm festzuhalten. Wir begrüssen diesen Entscheid.

Breite Bevölkerung hat nichts von der Freigabe Der Bericht kommt zum ernüchternden Schluss, dass die Liberalisierung des Briefmarktes in anderen europäischen Ländern nicht zu sinkenden, sondern vielmehr zu steigenden Preisen geführt hat. Von den Marktöffnungen profitierten vor allem die Grosskunden. Die Privatkunden haben davon nichts oder bezahlen gar die höhere Zeche. Gestützt auf seinen Bericht schlägt der Bundesrat dem Parlament vor, auf eine weitere Deregulierung des Postmarktes in der Schweiz zu verzichten. syndicom begrüsst diesen Entscheid und erachtet ihn als vernünftig. Der Bericht stellt auch fest: Mit dem Monopol kann die Grundversorgung solide finan-

ziert werden. Als Branchengewerkschaft erwarten wir deshalb von der Konzernleitung der Post, dass sie Abbaumassnahmen zur reinen Kostenoptimierung in der Grundversorgung stoppt und ein Zeichen setzt.

Weitere Evaluationen Der Bundesrat kündigt im Bericht weiter an, im Jahr 2016 weitere Evaluationen im Postmarkt vorzunehmen, um allfällige Änderungen der Post-Gesetze vorzubereiten. syndicom wird diese Entwicklung genau beobachten und wenn nötig alle politischen Mittel ergreifen, um Fehlentwicklungen mit fatalen Konsequenzen für den Service public zu verhindern.

Branche absichern durch Gesamtarbeitsverträge Die bisherige Öffnung des Postmarktes hat in der Schweiz zu keinem massiven Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen geführt. Dies auch dank der erfolgreichen Strategie von syndicom, mit Gesamtarbeitsverträgen die Standards in der Branche zu regulieren. Ein wichtiger Schritt waren die kürzlich mit dem Arbeitgeberverband KEP & Mail abgeschlossenen Verhandlungen über einen Branchen-GAV. Der Vertrag wird zurzeit bei den Sozialpartnern ratifiziert. (syndicom)

dant zum GAV, in die Sozialpartnerschaft eingebunden ist.

Betriebs-GAV für Ringier Ringier hatte in den vergangenen Jahren mehrmals durchblicken lassen, dass man nicht glücklich sei über die Weigerung des Verlegerverbandes, mit den Gewerkschaften GAV-Verhandlungen für die Deutschschweiz und das Tessin aufzunehmen.

Darum fragten syndicom und Impressum nach dem Eklat bei Ringier nach, ob es jetzt – ohne Verbandsfesseln – wohl möglich sei, einen Betriebs-GAV auszuhandeln? Und Ringier antwortete postwendend, dass man an Gesprächen interessiert sei. Da tat sich der Verlegerverband einiges schwerer. Ein längeres Wortgefecht an der Mitgliederversammlung zwischen dem Präsidium, dem Geschäftsführer unserer Schwestergewerkschaft Impressum und dem Verlagsvertreter der WOZ, das in einem geharnischten Votum des Herausgebers der sicher nicht linkslastigen «Jungfrau Zeitung» endete, der das Verhalten des Verlegerpräsidiums als «undemokratisch» bezeichnete, endete mit dem überraschend einstimmigen Abstimmungsergebnis, es solle in die Jahreszie-

le 2016 von «Schweizer Medien» aufgenommen werden, dass ein Vertragsentwurf zuhanden des Präsidiums auszuarbeiten sei, der als Grundlage für kommende GAV-Verhandlungen genutzt werden könne.

Ein nationaler Medien-GAV? Dieser Beschluss ist nach elf Jahren des vertragslosen Zustands eine Sensation. Natürlich werden die GAV-Gegner im Präsidium versuchen, den Beschluss der Mitgliederversammlung zu torpedieren. Aber ein erster Schritt ist gemacht. Es wird helfen, wenn Ringier mit einem guten Betriebsvertrag Massstäbe setzt. Das Redaktionspersonal braucht geregelte Arbeitsbedingungen und Mindestlöhne. Da gibt es noch viel zu verbessern und zu tun. Wir freuen uns darauf, es anzupacken.


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syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015

GAV Grafische Industrie 2016

Die Drückeberger

Zum ersten Mal hätten sich die Exponenten der grossen Zeitungsdruckereien der Diskussion mit ihren Betriebskommissionen und den Gewerkschaften stellen wollen. Doch zwei Tage vor der vereinbarten Verhandlungsrunde sagten die Vertreter der NZZ-, Ringier-, Tamedia- und AZ-Druckereien ab.  Nina Scheu

Absurde Forderungen ohne Not Diese leiden ja weder unter der Frankenstärke – denn Zeitungen werden kaum exportiert und aus Zeitgründen auch nicht im Ausland gedruckt – noch stecken sie in einer Existenzkrise, die viele Akzidenz-Druckereien tatsäch-

Ergebnis der zweiten Verhandlungsrunde zur Erneuerung des Gesamtarbeitsvertrags zwischen syndicom/Syna und Viscom am 26. August gewesen. Umso penibler ist, dass es nun nicht zustande gekommen ist. © YVES SANCEY

Die Gesprächsverweigerung der Zeitungsdruckereien ist ein Affront: Nicht nur gegenüber den Betriebskommissionen, die bereit waren, die ins Stocken geratenen Verhandlungen wieder in Gang zu bringen, sondern sogar gegenüber den vier anwesenden Delegierten des Arbeitgeberverbands Viscom, die den absurden Forderungen stellvertretend Nachdruck verleihen sollten. Andernfalls drohen einige Zeitungsdruckereien offenbar mit ihrem Austritt aus dem Verband, aber persönlich für ihre Forderungen einstehen können sie nicht. Trotz dieser beleidigenden Geringschätzung bewiesen die BeKo-Präsidenten ihren guten Willen und gaben den ViscomDelegierten ihre Argumente mit auf den Weg, auf dass sie versuchen mögen, die Zeitungsverleger zur Vernunft zu bringen.

Ihre Sitzplätze waren reserviert ∙ Die Zeitungsdrucker erschienen nicht zum zusammen vereinbarten Termin.

lich bedroht. Trotzdem wollen sie noch mehr Gewinne auf Kosten ihrer Angestellten. 42 Stunden soll die normale Arbeitswoche zählen, und die Zuschläge sollen so empfindlich gekürzt werden, dass den Einzelnen über 1000 Franken monatlich fehlen können.

Arbeitsplatz nicht verlassen werden kann. • 100 und mehr Franken Verlust durch Streichung der Mahlzeitenzuschläge und der Vermögensbildung. • Hunderte von Franken könnte zudem die Streichung der Besitzstandwahrung kosten.

Einige Zahlenbeispiele:

Die Gesprächsverweigerung und die unverschämten Forderungen der Zeitungsdrucker stellen eine Geringschätzung der Kolleginnen und Kollegen dar, die in der Nacht arbeiten. Sie lässt uns auch zweifeln, ob der Viscom überhaupt einen GAV will oder nur noch nach der Pfeife der Branchenriesen tanzt. Das anberaumte Treffen der Betriebskommissionen mit den Zeitungsdruckereien war das wichtigste

• 500 bis 900 Franken weniger nur durch die Senkung der Nachtzuschläge von 60 oder 90% auf nur noch 40% (zum gesetzlichen Zeitzuschlag von 10%). • Gratisarbeit im Wert von 200 bis 300 Franken durch Verlängerung der Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden. • Bis über 300 Franken Lohnverlust durch Streichung der extra Pausenentschädigung, wenn der

Frühpensionierung bleibt auf dem Tisch Denn trotz des weniger angespannten Klimas als im Juni waren sich die Sozialpartner in anderen Punkten auch Ende August nicht näher gekommen. Und trotz vehementen Widerstands der Unternehmer bestanden die Gewerkschaften auf ihrer Hauptforderung: dem Frühpensionierungsmodell, das nicht nur realisierbar, sondern dringend notwendig ist. Um die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer besser vor Arbeitslosigkeit zu schützen, aber auch, um den Nachwuchs zu sichern. Damit die Jungen nach der Lehre in der Branche einen Arbeitsplatz finden und weiterarbeiten können. Viscom hatte zu Beginn der Verhandlung offen erklärt, dass die Forderungen der Arbeitgeber einen massiven Abbau des GAV nach sich ziehen würden. Die Einführung der 42-Stunden-Wo-

7. November, Tag der Typografie 2015 in Luzern · Tickets sind immer rasch ausverkauft, melde dich frühzeitig an! Infos zum Veranstaltungsprogramm findest du online. Grosses Feature in der nächsten Ausgabe der syndicom-Zeitung. www.eintagdertypografie.org.

Hilf mit, die Kolleginnen und Kollegen der grafischen Industrie zu mobilisieren, hilf mit, neue Mitglieder zu gewinnen. Wir wollen gemeinsam den Druck erhöhen! Setze dich mit deinem zuständigen Sekretariat in Verbindung (Adressen auf syndicom.ch), organisiere eine Aussprache in deinem Betrieb – deiner Region. Und reserviere dir den 5. Dezember. Dann treffen wir uns an der Branchenkonferenz grafische Industrie zum GAV in Bern. Mut zum Druck: der Kampf geht weiter!

che als Normalarbeitszeit und die Herabsetzung der Zuschläge für Nachtarbeit auch in den Zeitungsdruckereien (die wir als Urheber der Forderungen vermuten) seien allerdings wegen der «schwierigen Situation in der Branche» gerechtfertigt.

Keine chinesischen Verhältnisse! syndicom wehrt sich weiter entschieden gegen solche Angriffe auf die Arbeitsbedingungen. Die Probleme der Branche werden nicht auf dem Buckel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelöst! Die nächste GAV-Verhandlungsrunde findet am 30. September statt.


Aktuell | 11

syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015 Pensionskassen

Kurzmeldungen

Die paritätische Verwaltung der PK-Gelder ist wichtig Der Verein PK-Netz – getragen von nicht weniger als 17 Gewerkschaften und Berufsverbänden – hilft den StiftungsrätInnen der Arbeitnehmer­seite mit Kursen und Beratung. Präsident Urs Eicher im Gespräch.  Interview: Urban Hodel*

© Z VG

fen nicht überbewertet werden. Ausserdem waren die Renditen der Pensionskassen in den letzten Jahren trotz schwierigem Umfeld respektabel. Hinter Schwarzmalerei stehen immer auch handfeste Interessen. Es wird versucht, den Versicherten massive Kürzungen aufzuzwingen. Die aktuelle Situa­tion macht unsere Arbeit umso wichtiger.

Urs Eicher · Präsident des Vereins PK-Netz, ehem. Präsident der Gewerkschaft Kapers

Urs Eicher, worum geht es beim PK-Netz? Urs Eicher: Es geht primär darum, dass die Stiftungsräte unabhängig und gut ausgebildet werden, um die Interessen der Arbeitnehmenden in den Pensionskassen vertreten zu können. Ausserdem ist der Austausch unter Stiftungsräten enorm wichtig.

Aktuell hört man über die Zweite Säule vor allem Bad News. Zum Beispiel der starke Franken, die Negativzinsen ... Der langfristige Blick der Pensionskassen muss beachtet werden – kurzfristige Schocks dür-

Das heisst, das PK-Netz setzt sich auch politisch ein? Klar. Mit den 17 Mitgliederverbänden sind wir eine gewichtige Stimme. Wir bringen uns zum Beispiel bei Vernehmlassungen im Bereich der Zweiten Säule ein. Vor allem die Rentenreform 2020 ist für das PK-Netz ein grosses Thema. Hier engagieren wir uns für die Paketlösung, nur so erreichen wir Kompensationsmassnahmen. Das Rentenniveau darf nicht gesenkt werden. Wir thematisieren die Rentenreform 2020 auch an unserer Herbsttagung vom 29. Oktober in Bern. Wir debattieren die Vorlage mit Ständeräten und VertreterInnen von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbänden.

Teilweise wird kritisiert, dass die Miliz-Führung der Pensionskassen der sachlichen Komplexität nicht gerecht werden kann.

Die Zweite Säule wurde mit einem Sozialversicherungscharakter ins Leben gerufen, vor allem die paritätische Verwaltung der Vorsorgegelder ist ein Beweis dafür. Diese Errungenschaft muss verteidigt werden. Gerade syndicom ist ein gutes Beispiel: In den wichtigen Pensionskassen ist syndicom in den Stiftungsräten vertreten. Leider nicht in allen. Die berufliche Vorsorge kennt unterschiedliche Solidaritäten, wie Aktive und Rentner, Verheiratete und Unverheiratete oder lang Lebende und kurz Lebende. Gerade deshalb ist die Stimme der ArbeitnehmerInnen in den Pensionskassen so wichtig. Um in der Thematik zurechtzukommen, bieten das PK-Netz und Movendo den Stiftungsräten Weiterbildungen an. Wir passen die Themen jeweils den aktuellen Herausforderungen an. So haben wir diesen Herbst, zusätzlich zu unserer Tagung und dem Anlageseminar, ein Seminar zum Thema Frankenstärke organisiert.

Alle Kurse für PK-Stiftungsrätinnen und -räte auf Movendo.ch und PK-Netz.ch. * Geschäftsführender Sekretär beim PK-Netz

Fotoausstellung Landesmuseum Zürich

An die Arbeit! Geschlechterrollen in der Arbeitswelt sichtbar. Natürlich fehlt auch die Dokumentation der individualisierten, gegenwärtigen Arbeitswelten nicht. So hält die Fotoausstellung zugleich die Geschichte der Arbeit, der Individuen bei der Arbeit und die Entwicklung der Fotografie während der vergangenen rund 150 Jahre fest. Eine attraktive Ausstellung für Museumsliebhaber Innen und für die ganze Familie. © SCHWEIZERISCHES NAT IONALMUSEUM

Das Landesmuseum Zürich hat einen Schatz aus seinem Archiv gehoben. Es präsentiert 500 Bilder zur Geschichte des Werkplatzes Schweiz seit Beginn der fotografischen Abbildung. Die Ausstellung ist mit Original- und Neuabzügen, starken Vergrösserungen, Touchscreens und Projektionen sehr abwechslungsreich gestaltet. Um 1860 noch wird das Indi- Briefträger in Savigny (VD), 1952 viduum als namenloser Repräsentant eines Berufes abge- Menschen sind auf einem einzibildet, kunstvoll und aufwendig gen Bild individuell erkennbar. inszeniert. Um die Jahrhundert- Das Kollektiv gilt hier jedoch wende werden kollektive Dar- noch mehr als das Individuum. stellungen von ArbeiterInnen Erst allmählich rücken die einüber die Sekretärinnen bis hin zelnen Menschen der Arbeit ins zu den Patrons aktuell. Ebenso Zentrum. lichtet man nun grosse Bauwer- Eine Reportage aus den 70er-Jahke ab. Ein wunderbares Beispiel ren über eine Maurerin oder ist die Aufnahme der Baustelle das Porträt der ersten Verkehrs­ einer «mechanischen Ziegelei» polizistin in Zug machen die sich in Allsch­wil: Mehr als hundert abzeichnende Veränderung der

Julia Gerber Rüegg, Regionen­leiterin syndicom Zürich Die Ausstellung läuft von September bis Januar. syndicom-Mitglieder zahlen gegen Vorweisung des Mitgliederausweises den halben Eintrittspreis.

Diskussion: Ergebnisse der «Claire»-Umfrage Wie in der letzten Zeitungsausgabe erwähnt, hat syndicom eine Umfrage zur neuen Job-Architektur bei Swisscom durchgeführt. Diesen Monat sind die Ergebnisse zuerst im Firmenvorstand und anschliessend an einer Firmenkonferenz Swisscom Group diskutiert worden. Ab Ende September stellen wir die Ergebnisse der Umfrage an 21 grösseren Swisscom-Standorten vor. Nutze die Gelegenheit und diskutiere mit, was an der neuen Job-Architektur angepasst werden sollte. (SF) www.syndicom.ch/claire «Too big to fail»-Club hat ein neues Mitglied Postfinance gehört seit anfangs September zu den systemrelevanten Banken der Schweiz. Nun muss das Finanzinstitut besondere Anforderungen bei den Eigenmitteln und der Liquidität erfüllen sowie einen Notfallplan ausarbeiten. Systemrelevant sind jene Banken, deren Ausfall die Schweizer Volkswirtschaft und das schweizerische Finanzsystem erheblich schädigen würde. Auf die Kunden von Postfinance werde der Entscheid keine Auswirkungen haben, sagte Postfinance-Chef Hansruedi Köng. Es bleibt abzuwarten, welche Konsequenzen der Entscheid auf das Unternehmen und auf die Mitarbeitenden im Besonderen haben wird. (red) mogelpackung: initiative «Pro Service public» Das Parlament empfiehlt, die Volksinitiative «Pro Service public» abzulehnen. Sie stärke den Service public nicht, sondern schade ihm, warnten Nationalrätinnen und Nationalräte von links bis rechts. Weil sich kein Ratsmitglied für die Initiative aussprach, stimmte der Nationalrat gar nicht erst ab. Hinter der Initiative stehen die abonnementenstarken Konsumzeitschriften «K-Tipp», «Saldo», «Bon à Savoir» und «Spendere Meglio». Die Initiative müsste eigentlich «Kontra Service public» heissen, sie ist eine «Mogelpackung», fanden einige Ratsmitglieder. Richtig: Wenn die bundesnahen Unternehmen keine Gewinne machen können, tätigen sie auch keine Investitionen mehr. Das führt zur Erosion des Service public und Druck auf die Arbeitsbedingungen. Langfristig könnte dies die Grundversorgung durch Post, SBB und Swisscom in ernsthafte Gefahr bringen. (red) Neuer medienfonds Der Verein «Real21 – die Welt verstehen» zur Förderung der Berichterstattung über Themen der globalen Entwicklung unterstützt Medienschaffende mit Beiträgen bis zu 10 000 Franken. Gefördert werden globale Themen, Recherchen und Geschichten, «die in den Schweizer Medien mangels Ressourcen oft auf der Strecke bleiben». Projekte können bis spätestens 15. November eingegeben werden. (red) www.real21.ch SRG baut ab 40 Millionen muss die SRG sparen, geplant sind Kürzungen beim Programm und ein Stellenabbau. Wir finden: Der Service-public-Betrieb muss eine hohe journalistische Qualität sicherstellen und gute Arbeitsbedingungen garantieren! syndicom bietet den Angestellten beim Kampf gegen die Abbaumassnahmen ihre Solidarität und Unterstützung an. (red)

Branchenkonferenz des Sektors Presse und elektronische Medien und Berner Medientag 31. Oktober Dieses Jahr legen wir die beiden Anlässe auf den gleichen Tag am gleichen Ort: Die Branchenkonferenz der Medienschaffenden von syndicom findet am Vormittag, der Berner Medientag am Nachmittag des Samstags, 31. Oktober, im Progr Bern statt. An der Branchenkonferenz präsentieren wir die Ideen für eine neue GAV-Kampagne und schauen mit Gästen des Reporterforums die heutigen Arbeitsweisen im Recherchejournalismus an. Die persönliche Einladung wird den syndicom-Mitgliedern vor Ende September verschickt. Die Teilnahme ist nach Anmeldung gratis. Der 25. Berner Medientag «über den Zustand der Berner Medien» ist im Netz auf bernermedientag.ch. Samstag, 31. Oktober 2015 10.15 bis 13 Uhr Branchenkonferenz syndicom, Kulturpunkt im Progr, Parterreraum 009, Speichergasse 4, Bern 13 bis 14 Uhr Imbiss 14 bis 17 Uhr Berner Medientag, Aula des Kulturzentrums Progr, Bern


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syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015

Neu im Kino

Nicht nur Spiesser und Altnazis

Er war Deutscher, Jude, Sozialdemokrat, Homosexueller – Staatsanwalt Fritz Bauer (1903–1968) war ein unerschrockener Pionier einer «anderen» BRD. Dennoch ist er heute fast vergessen. Lars Kraumes Film «Der Staat gegen Fritz Bauer» setzt ihm ein längst fälliges Denkmal. Der Film wurde in Locarno mit dem Publikumspreis ausgezeichnet.  Geri Krebs te Adenauers Staatssekretär ist. Und eine Entlassung Globkes würde auch Adenauer politisch nicht überleben. Was wiederum die BRD destabilisieren würde – und das liessen die Amerikaner um keinen Preis zu.»

«Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich Feindesland.» Der Satz ist nicht filmische Zuspitzung, sondern so überliefert und zeigt, in welcher Welt sich der Mann bewegte, der, einst der Nazi-Mordmaschinerie entkommen, nach dem Krieg dennoch an den Aufbau einer demokratischen BRD glaubte.

Kunstfigur als Gegenspieler

Am Beginn von «Der Staat gegen Fritz Bauer» sieht man ihn ein einziges Mal in einer Originalaufnahme. Die jungen Menschen in Deutschland seien nun bereit, die ganze Wahrheit über die Nazi-Vergangenheit zu erfahren, sagt Bauer bei einer Fernseh­ ansprache mit dem Pathos der frühen 1960er-Jahre. Es geht um den Prozess gegen Adolf Eichmann, der damals, 1961, in Jerusalem stattfand. Niemand wusste in dem Moment, dass Bauer es gewesen war, der dem Mossad Eichmanns Aufenthaltsort in Argentinien übermittelt hatte. Fritz Bauer nahm das Geheimnis mit ins Grab, erst Jahre nach seinem Tod wurde es bekannt. Dass man ihm als deutschem Beamten die heimliche Auslieferung eines Deutschen an einen ausländischen Geheimdienst als

© LOOK NOW

Fritz Bauer, Eichmann und der Mossad

Vertraute in Feindesland ∙ Staatsanwalt Bauer (links, Burghart Klaussner) und Staatsanwalt Angermann (Ronald Zehrfeld).

Hochverrat ausgelegt hätte, war ihm klar. Und dass bei ihm das Vertrauen in die BRD-Justiz nicht allzu gross war, muss nicht verwundern. Der eingangs zitierte Satz spricht dafür. Fritz Bauer war als junger jüdischer Amtsrichter und SPD-Mitglied nach Hitlers Machtergreifung 1933 in ein KZ verschleppt worden, mit viel Glück wieder freigekommen und danach ins

Exil gegangen. Das ganze bewegte Leben dieses Mannes, der ab 1950 in der jungen BRD als Staatsanwalt tätig war, liesse sich kaum in zwei Filmstunden erzählen, dessen war sich Regisseur Lars K ­ raume bewusst.

«Das würden die Amerikaner nicht zulassen» So beschränkt sich sein Biopic weitgehend auf die Jahre

von 1957 bis 1961. Fritz Bauer stiess bei Ermittlungen gegen Nazi-Täter auf Eichmanns Spur und entschloss sich endlich zum Mossad-Coup, denn: «Niemand von Bonn bis Washington will Eichmann in Deutschland vor Gericht. Denn Eichmann würde Namen nennen. Etwa den von Hans Globke, der als Jurist einst die ‹Nürnberger Rassengesetze› mitverfasste und der heu-

Bauer, im Film grossartig von Burghart Klaussner («Das weis­ se Band») verkörpert, fasst so die Konstellation in seinem «Feindesland» gegenüber einem engen Vertrauten zusammen. Der Vertraute ist der junge Staatsanwalt Karl Angermann, gespielt von Ronald Zehrfeld («Phoenix»), und seine Figur ist aus den Biografien mehrerer Personen erschaffen. Mit diesem Kunstgriff öffnet sich spannungsreich eine weitere Dimension: Angermann ist, wie Bauer, schwul, unterdrückt aber sein Sexualleben nicht so wie jener und gerät deshalb in der Spiesser­welt der Adenauer­ ära nicht nur in staatlich verordnete Isolation, sondern auch mit dem Gesetz in Konflikt. So zeigt der Film zwei Menschen, die, ihrer Welt geistig voraus, Akteure einer zukünftigen Welt sind.

Ab 1. Oktober in den Deutschschweizer Kinos

Recht so!

Der folgende Fall wurde dem Rechtsdienst vorgetragen: «Ich bin Grafi­ kerin und arbeitslos. Im Zusammenhang mit einer Wiedereingliederungsmassnahme hatte mich meine RAV-Beraterin mündlich von einem bestimmten Kontrolltermin mit ihr befreit, falls ich vorher noch kein Erstgespräch mit der Eingliederungsstelle hätte führen können. Ziel dieses RAV-Kontrolltermins war nämlich, Bilanz zu ziehen über das Erstgespräch. Das mit der Eingliederungs­stelle vereinbarte Datum lag dann tatsächlich erst nach dem Kontrolltermin. Ich teilte meiner RAV-Beraterin dies per E-Mail mit und bat, die Kontrolle zu verschieben. Ich erhielt keine Antwort, erschien nicht zur Kontrolle und ging, ohne mir gross Gedanken zu machen, zum Interview für die Eingliederungsmassnahme. Zu meinem grossen Erstaunen erhielt ich 9 Einstelltage aufgebrummt – ich sei ohne wichtigen Grund nicht zum Gespräch mit meiner RAV-Beraterin erschienen!» syndicom und unser Mitglied gingen in diesem Fall bis vor Bundesgericht – und bekamen Recht. Nach den ersten Instanzen hat in deinem Fall das angerufene Bundesgericht schliesslich die mündliche Abmachung zwischen deiner RAV-Beraterin und dir als glaubhaft eingestuft. Die 9 Einstelltage wurden dank der Intervention des syndicom-Rechtsdienstes wieder aufgehoben. Dazu haben verschiedene Umstände beigetragen: Zunächst hast du dich per E-Mail

bei deiner RAV-Beraterin gemeldet und hast die ausgetauschten E-Mails aufbewahrt. Zudem war im Protokoll des vorangehenden Kontrollgesprächs ausdrücklich das Ziel des nächsten Gesprächs festgehalten: Begleitung der Massnahme bzw. dein Feedback zum ersten Gespräch in der Institution, die dir eine Wiedereingliederungsmassnahme anbietet. Auch wurdest du

zum vorangehenden Kontrollgespräch von einem Angehörigen begleitet. Dieser konnte bestätigen, was mündlich für das nächste Gespräch vereinbart worden war. Zudem wurde deine Bitte, das Kontrollgespräch zu verschieben, drei Wochen im Voraus zugestellt. In deiner Angelegenheit war vor Bundesgericht letztlich allerdings das ärztliche Zeugnis entscheidend, das dir wegen eines medizinischen Problems Schwierigkeiten bei der Bewältigung alltäglicher administrativer Aufgaben attestiert. Um Unannehmlichkeiten zu vermeiden, rate ich dir für die Zukunft, lieber einmal zu viel als zu wenig an einem vereinbarten Kontrollgespräch teilzunehmen. Und empfehle dir, dich immer per Post (und bei wichtigen Briefen per Einschreiben) an deine RAV-Beraterin zu wenden. Falls eine Antwort ausbleibt, solltest du telefonisch

oder schriftlich nachhaken. Im Zweifel ist es besser, wenn du dich zum Gespräch einfindest, als davon auszugehen, es sei annulliert worden. Dass es im Recht oft auf die Details ankommt, zeigt der folgende, nicht so gut ausgegangene Fall: Ein RAV-Berater hatte einer Versicherten mündlich eine falsche Auskunft erteilt, die obendrein nicht in seine Zuständigkeit fiel. Er hatte ihr bezüglich der «Angaben der versicherten Person» (AVP) geraten, nicht alle Arbeitgeber aufzuführen, da sie nur zu 50 Prozent arbeitslos gemeldet sei (ein falscher Rat!). Hier konnte die Frau keinen schriftlichen Beweis für die falsche Auskunft erlangen. Sie wurde für diesen Fehler des Beraters haftbar gemacht und sanktioniert. Man konnte sich nicht auf den Grundsatz von Treu und Glauben berufen, denn der RAV-Berater hatte sich nur mündlich und darüber hinaus

© Z VG

Erfolg vor Bundesgericht

Isabelle Ernst-Pauchard lic. iur., Rechtsanwältin syndicom-Rechtsdienst

zu einer ausserhalb seiner Kompetenz liegenden Frage geäus­ sert. Die Frage gemäss AVP-Formular liess keine Interpretation zu, sie lautete: «Haben Sie bei einem oder mehreren Arbeitgebern gearbeitet?», und sie musste vollständig beantwortet werden, auch wenn die betreffende Frau nur im Umfang von 50 Prozent arbeitslos gemeldet war. Wir freuen uns mit dir über den Erfolg vor Gericht und raten allen Mitgliedern zur Vorsicht im Sinne der hier rekapitulierten Vorgehensweisen.


Aktuell | 13

syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015 Mitgliederporträt

Er kennt die Löhne von uns allen

Jährlich erscheint das Zürcher Lohnbuch: ein Zahlenwerk von 800 Seiten. Ein unentbehrliches Instrument unter anderem zur Arbeitsmarkt­kontrolle. Aber auch ein Schmöker für Liebhaber kurioser Berufe. Philipp Mülhauser schreibt es.  Michael Stötzel Es mag sich anhören wie mühsame Erbsenzählerei. Doch offensichtlich hat Philipp Mülhauser Spass an dieser Arbeit, die ihn schon seit 17 Jahren einnimmt. Angefangen hatte alles 1998. Damals arbeitete er noch beim Kantonalen Amt für Industrie, Gewerbe und Arbeit (Kiga) im Aargau. Der Amtsleiter brauchte Zahlen zu den orts- und branchenüblichen Löhnen für die Arbeitsbewilligungen für Ausländerinnen und Ausländer. Und gab seinem Sachbearbeiter Mülhauser den Auftrag, diese Zahlen zusammenzustellen. Die Geburt des Lohnbuchs. Er erzählt rückblickend: «Ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kind.» Immerhin, als gelernter Schriftsetzer und Gewerkschafter kannte er sich mit Gesamtarbeitsverträgen gut aus. Und er hatte sich in seinem Amt auch bereits mit dem Arbeitsgesetz befasst. Ganz «jungfräulich» war er also nicht.

© PATRICK GUTENBERG

Eingestellt wegen zu vieler Daten

Philipp Mülhauser und seine Datenbank · Auch das fertige Kompendium ist ein sorgfältig gestaltetes Papierbuch.

Was sollten ein Kinooperateur oder ein Wasserballspieler mindestens verdienen? Wie viel bekommen der Alleinkoch bei der Seeschifffahrt, die evangelisch-reformierten Pfarrerinnen und Pfarrer in Zürich oder die Mitglieder der Unia-Geschäftslei-

«Wichtig ist, dass ich das Gras wachsen höre.» Philipp Mülhauser

tung? Das Zürcher «Lohnbuch» sagt es uns. Für die neuste Ausgabe dieser Sammlung Schweizer Löhne hat Philipp Mülhauser 9300 Lohnangaben zusammengetragen. Praktisch alle in der Schweiz ausgeübten Berufe und deren Mindestentlöhnung auf

den jeweiligen Sprossen der Karriereleiter sind im Buch versammelt. Im Zeitalter von Wikipedia hat allein schon die Idee so einer Gesamtschau etwas sympathisch Altertümliches. Mülhauser teilt sich zwar mit anderen Kolleginnen und Kollegen einen grossen Büroraum im Z ­ ürcher Amt für Wirtschaft und Arbeit. Doch für das Lohnbuch ist er ganz alleine zuständig. «Eine One-ManShow», sagt er. Und das ist wirklich überraschend: Ein Einziger, der die ganze Datenflut auslöst und dann auch noch bändigt. Mülhausers Quellen sind Angaben aus sämtlichen Gesamtarbeitsverträgen, dazu Lohn­empfehlungen von Arbeitgeberverbänden und Informa-

tionen der Gewerkschaften. Im Unterschied etwa zur Lohnstrukturerhebung des Bundesamtes für Statistik zeigt Mülhausers Lohnbuch keine tatsächlich bezahlten Gehälter, sondern die in den Branchen verbindlichen oder auch nur «empfohlenen» Mindestlöhne.

Ein Rennen gegen die Zeit Jeweils im Frühling kommt die aktuelle Sammlung heraus. Die Hauptarbeit dazu beginne im Spätherbst, erklärt der 63-Jährige, dann, wenn die neuen Löhne vereinbart werden. Es sei stets «ein Rennen» gegen die Zeit, sagt Mülhauser. Und wenn sich die Verhandlungen der Sozialpartner hinziehen? «Wichtig ist eben, dass ich das Gras wachsen höre.» Allerdings, schränkt er ein, blieben seine Daten immer «eine Momentaufnahme».

Die erste Ausgabe des damals noch «Aargauer Lohnbuchs» war nicht mehr als ein dünnes Heftchen. Das änderte sich schnell. Auch wegen neuer Gesamtarbeitsverträge, die als Konsequenz des geöffneten Arbeitsmarktes abgeschlossen wurden. Die Datenmenge wurde so gross, dass der Kanton 2008 entschied, die ganze Übung abzubrechen: «Die Grenze der Belastbarkeit ist überschritten», hiess es. Offenbar nicht für Mülhauser. Er folgte «seinem» Projekt nach Zürich. Dort hatte die Volkswirtschaftsdirektion entschieden, das Lohnbuch weiterzuführen.

Zwei Kilo Transparenz Weil es längst zum unentbehrlichen Instrument für die Tripartiten Kommissionen in den Kantonen geworden war. Sie stützen sich bei ihren Lohnkontrollen und bei der Feststellung ortsüblicher Löhne in Branchen ohne GAV auf Mülhausers Listen. Und diese Listen werden länger, Jahr für Jahr. Das «Lohnbuch 2015» umfasst bereits 800 Seiten und wiegt fast 2 Kilo. An die 1300 Exemplare seien bis jetzt abgesetzt, das Buch sei damit selbsttragend. Das Interesse habe sich «wie ein Ölfleck ausgedehnt», sagt der Autor. ArbeitsmarktkontrolleurInnen, Personalverantwortliche oder Sozialversicherungsfachleute greifen zu. Auch Gerichte nutzen das Buch, wenn sie Geldstrafen festsetzen oder bei Scheidungen den Unter-

halt berechnen. Nach 17 Jahren Arbeit am Lohnbuch dürften Mülhausers Kenntnisse darüber, was die Beschäftigten in der Schweiz mindestens verdienen sollten, einmalig sein. Was ihm seine Zahlen aber nicht erlauben, ist eine genauere Prognose. Was bringt die bevorstehende Lohnrunde? Er erwartet weitgehende Stagnation. Und trotz der beispiellosen Transparenz, die das Buch über die Löhne schafft, ist auch nach 17 Jahren ein Tabu nicht gebrochen. Mülhauser: «Es fällt uns in der Schweiz nach wie vor extrem schwer, über unsere Löhne zu reden.»

Das Lohnbuch 2015 kann unter http://goo.gl/0woL3T zum Preis von 65 Franken bestellt werden.

Philipp Mülhauser Paradiesvogel 1969 begann Mülhauser eine Ausbildung als Schriftsetzer. Damals, erzählt er, war das noch ein Beruf von «Paradiesvögeln». Schriftsetzer waren gebildet, sehr gefragt, und gewerkschaftlich hoch organisiert. Autor und Layouter Aufgrund von Augenproblemen musste er jedoch den Beruf aufgeben. Er wechselte zur Büroarbeit, zunächst bei einer Versicherung, dann bei der kantonalen Verwaltung des Aargaus. Dort begann er mit der Herausgabe des Lohnbuchs. Als das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich 2009 die Herausgabe des Buchs übernahm, zog er mit an die Limmat. Seine Ausbildung zum Schriftsetzer nutzt er heute noch bei der schwierigen Gestaltung des praktisch nur aus Tabellen bestehenden Werkes. Er sagt mit sichtlichem Stolz: «Man sieht dem Buch nicht an, dass es nur mit dem Schreibprogramm Word gemacht ist.» Gewerkschafter Mülhauser ist seit seiner Lehrzeit Mitglied der Gewerkschaft syndicom bzw. ihrer Vorläuferinnen GDP und comedia. Er verdient als «Sachbearbeiter Arbeitsmarktbeobachtung» monatlich 6800 Franken netto.


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syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015

Weiterbildung

Arbeitsrecht für die Praxis D2.2.1507: 29. und 30. Oktober, Das neue Rialto, Basel. Inhalt: Einzelarbeitsvertragsrecht, Gesamtarbeitsvertragsrecht, Arbeitszeit, Kündigung, Gleichstellung. Referent: Thomas Gabathuler (Rechtsanwalt). Kollektive Entlassungen: Was tun? D1.8.1509: 29. und 30. Oktober, Solbadhotel, Sigriswil. Inhalt: Konsultation, Alternativen zu Entlassungen, Mobilisierung, Sozialplan. Referenten: Christian Gusset (Unia), ­Manuel Wyss (Unia). Sitzungen leiten und gestalten D1.8.1513: 13. November, Bahnhofbuffet, Olten. Inhalt: Verschiedene Sitzungsarten, Leitungsrolle, Moderationstechniken, Verfahren zur Problemlösung und Entscheidungsfindung. Referentin: Danièle Lenzin (Erwachsenenbildnerin).

Arbeiten im Verkauf: Folgekurs D4.6.1502: 16. bis 18. November, Hotel Freienhof, Thun. Inhalt: Die Inhalte des Basiskurses werden vertieft und aktualisiert. Die persönliche Weiterbildung steht im Zentrum. ReferentInnen: Carlo Mächler (Poststellenleiter), Beatrice Gäggeler, Barbara Kipfer, Silvia Schwab (alle MA Verkauf). Infos und Anmeldung syndicom.ch (Kursangebote, syndicom-Weiterbildungskurse). Helias Adobe DPS: Ipad and more 21. bis 23. Oktober. Referent: Peter Laely. Anmeldeschluss: 29. September. Interaktive Dokumente und Magazine für Tablets 2. bis 4. November. Referent: Andreas Burkard. Anmeldeschluss: 13. Oktober. Entwicklung eines Logos 11. und 12. November. Referentin: Isabelle Macciacchini. Anmeldeschluss: 20. Oktober. Adobe Muse 18. und 19. November. Referent: Dieter Wassmer. Anmeldeschluss: 27. Oktober.

Kommunikation – Grundlagenseminar D2.4.1532: 24. und 25. November, Restaurant Aarhof, Olten. Inhalt: Kommunikationsmodelle, Gesprächsstile, Diskussionsstrategien. Referentin: Emiliana Della Torre (Movendo).

Infos und Anmeldung Helias-Kurse finden in der Regel im syndicom-Bildungszentrum, Looslistras­se 15, Bern, statt. Anmeldung: Helias.ch.

Info und Anmeldung Die Kosten werden für Mitglieder meistens von der Gewerkschaft getragen. Mit deiner Anmeldung klären wir die Kostenfrage ab und informieren dich unverzüglich. Anmeldung: www.movendo.ch, per Mail: info@movendo.ch, Telefon: 031 370 00 70.

Leute zum Reden bringen: So machts der Staatsanwalt und so eine Recherchejournalistin 13. November (1 Tag). Leitung: Catherine Boss, Redaktorin Recherchedesk, Tamedia, und Christoph Ill, Leitender Staatsanwalt, Kanton St. Gallen.

MAZ

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Protokollführung D1.8.1515: 12. und 13. Oktober, Seminarhaus Boldern, Männedorf ZH. Inhalt: Bedeutung und Arten von Protokollen, Instrumente zur raschen Erfassung des Gehörten, professionelle Gestaltung des Protokolls. Referent: Gerhard Friedl (Erwachsenenbildner).

Arbeiten im Verkauf: Basiskurs D4.6.1501: 9. bis 11. November, Seminar­hotel Sempachersee, Nottwil. Inhalt: Telco, Verkauf und Produkteschulung, Lohn und Arbeitszeit, Focus, Gesprächsvorbereitung, Umgang mit Zielen, Motivation, Umgang mit Konflikten im Team, Aktuelles von syndicom, Infos über Projekte usw. ReferentInnen: Carlo Mächler (Poststellenleiter), Beatrice Gäggeler, Barbara Kipfer, Silvia Schwab (alle MA Verkauf).

Unser berühmtestes Mitglied ist gestorben

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Word: Aufbaukurs (MS Office 2013) D2.6.1526: 2. Oktober, TEKO, Olten. Inhalt: Dokument- und Formatvorlagen definieren und zuweisen, Kopf- und Fusszeile einfügen, Abschnittswechsel definieren, Grafiken und Diagramme platzieren und beschriften, Verzeichnisse erstellen. Referent: Peter Schriber (Informatikberater).

syndicom-Kurse

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MOvendo

adrian frutiger

Fast alle kennen sein Werk, aber nur wenige seinen Namen. Der Schriftdesigner Adrian Frutiger (24. 5. 1928–10. 9. 2015) war der international wohl bekannteste Vertreter der «Schweizer Typografie». Nicht zuletzt wegen seiner Kreationen geniesst die Schweizer Schriftgestaltung weltweit bis heute einen hervorragenden Ruf. Frutigers Schriften, allen voran die «Univers», finden sich in der Pariser Metro (oben rechts) ebenso wie auf Flughäfen und Hinweisschildern auf der ganzen Welt, auf den Schweizer Verkehrsschildern und allen deutschen Strassenkarten, auf der Apple-Tastatur und auf Euro-Noten, in zahlreichen Firmenlogos und natürlich in Zeitungen und Büchern. Adrian Frutiger war gerade mal 18 Tage nach seinem Lehrabschluss als Schriftsetzer in Inter­laken dem damaligen Schweizerischen Typographenbund beigetreten (oben sein Mitglieds­büchlein), der ältesten Gewerkschaft der Schweiz und Vorgängerorganisation von syndicom. Ihm zu Ehren setzen wir diesen Text in der von ihm entworfenen und nach ihm benannten «Frutiger». (red)

Kompaktkurs Audiovisueller Produzent: Storytelling für Web und Mobile 12. November 2015 bis 3. Februar 2016 (6 Tage). Leitung: Dozierende aus der Praxis. Schreiben wie eine Schriftstellerin 18. bis 20. November (3 Tage). Leitung: ­Angelika Overath, Autorin, «Neue Zürcher Zeitung». Mit iPhone & Co. von unterwegs berichten: Mobile Reporting 2. und 3. Dezember (2 Tage). Leitung: Thom Nagy, Digitalstratege, «TagesWoche»; Konrad Weber, Redaktor und Community-Manager SRF News. Kundenzeitschriften: Die kreative Blat tmache 3. und 4. Dezember (2 Tage). Leitung: Bernhard Weissberg, Kommunikationsberater, Weissberg Consulting. Infos und Anmeldung: MAZ.ch

Das syndicom-Sudoku Zu gewinnen gibt es einen (übertragbaren) Gutschein für eine Hotelcard, gespendet von unserer Dienstleistungspartnerin Hotelcard. Die Lösung (die dreistellige Zahl aus den farbigen Feldern, Reihenfolge: von links nach rechts) wird in der nächsten Ausgabe zusammen mit dem Namen des Gewinners oder der Gewinnerin veröffentlicht. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen. Lösung und Absender auf einer A6-Postkarte senden an: syndicom-Zeitung, Monbijou­ strasse 33, Postfach, 3001 Bern. Einsendeschluss: Montag, 12. Oktober. Kreuzworträtsel Die Lösung des syndicom-Kreuzworträtsels aus Nr. 8 lautet: zIMMERWALD. Gewonnen hat Gotthelf Meier aus Winterthur. Er erhält Reka-Checks im Wert von 50 Franken. Wir gratulieren herzlich!

Leserbrief Stopp Auslagerung bei der Post! Der Entscheid der Post kam nicht überraschend. Jetzt wissen wir Wagenführer endlich, woran wir sind. Jahrelang wurden wir mit Floskeln und ausweichenden Antworten abserviert. Von uns wird verlangt, dass wir uns gegenüber den Vorgesetzten und Kunden korrekt und pflichtbewusst verhalten. Dies hätten wir auch von der Post uns gegenüber erwartet. Sie dagegen hat uns ausbluten lassen und uns zu spüren gegeben, dass wir unerwünscht sind. Die Argumente, mit denen die totale Auslagerung gerechtfertigt wird, sind ein Hohn für alle Wagenführer. Nicht einmal jetzt wird uns die Wahrheit gesagt. Die sieht so aus: Gewinnmaximierung ist das oberste Gebot. Dafür wird alles getan. Die Wagenführer sind da nur im Weg, zu teuer und nicht mehr erwünscht. Wenn unsere Jobs gestrichen werden, erhalten andere einen grösseren Bonus. Zudem muss auch der neue Prunkbau finanziert werden. Eine solche Kommunikation hätte an der Lage nichts geändert, wäre aber wenigstens ehrlich gewesen. Auch in Olten (am 6. 9., s. Seite 6, Anm. d. Red.) hatte niemand von der Post den Mut, vor die Versammlung zu treten. Mit der Auslagerung werden in der Transportbranche prekäre Arbeitsplätze geschaffen. Die Branche ist am Boden. Da gehören Übertretungen der Gesetze zur Tagesordnung. Sogar Schwarzarbeit ist weit verbreitet. Die Transporteure, denen die Post Aufträge erteilt, sind da keine Ausnahme. Das wissen wir alle. Für die Wildwest-Methoden, die in dieser Branche herrschen, ist die Post mitverantwortlich. Mit ihrer Gewinnmaximierungspolitik dreht sie bewusst an der Abwärtsspirale. Wir Wagenführer lassen uns das nicht gefallen. Wir werden für unsere Jobs kämpfen. «Wo Post drauf steht, muss auch Post drin sein. Stop Auslagerung!» (Name der Redaktion bekannt)


Service | 15

syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015 Unsere Pensionierten laden ein Pensionierte Medien Aarau Mittwoch, 7. Oktober, 14.15 Uhr, Monatshock im Restaurant Viva in Aarau. Peter Rymann Region Basel Sektion Post Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, wir besinnen uns wieder auf unseren Turnus: Jeden ersten Montag im Monat ist Versammlung. Das heisst, unsere nächste Monatsversammlung findet am 5. Oktober wie gewohnt um 14.30 Uhr im Restaurant Bundesbahn, Hochstrasse 59, Basel, statt. Ganz nach dem Motto: Jede Zusammenkunft macht Spass, bei Orientierung, Gespräch und Jass. Der Vorstand freut sich auf euer Erscheinen. Ernst Knaus, Präsident Pensioniertenverein Region Basel Wanderung Geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die Wanderung vom 22. Oktober führt uns von Hochwald nach Büren SO. Nach langem Hin und Her habe ich mich zu dieser Wanderung entschlossen, eigentlich wollte ich nach ­Fehren ins neu eröffnete «Hofer», dies hat aber ab September nur noch temporär offen. Wir treffen uns um 13.10 Uhr am Bahnhof Dorn­ach-Arlesheim, Bus 67 Abfahrt 13.18 Uhr nach Hochwald. Wir wandern nach Büren ins Restaurant Traube, das allen gut bekannt ist. Auch für die Jasser ist gesorgt. Es sind alle herzlich eingeladen: die Sektoren 2 + 3 sowie Ehefrauen und PartnerInnen. Nicht-Wanderer nehmen den Zug 15.31 Uhr Basel SBB ab, Bus 111 Liestal ab 15.51 Uhr, Büren an 16.02 Uhr. Diese Wanderung ist nachzulesen unter www. pensyba.ch. Ich hoffe auf eine grosse Wanderschar. Euer Wanderleiter Othmar Pensioniertenvereinigung Bern Geschätzte Kolleginnen und Kollegen. Unsere Monatsversammlung findet am Donnerstag, 1. Oktober, um 15 Uhr im Saal des Restaurants Casa d’Italia, Bühlstrasse 57, 1. Stock, in Bern statt. Als Referentin werden Ursula Marti, Präsidentin der SP Kanton Bern, und evtl. noch andere Kandidaten anwesend sein.

Wir nehmen Abschied

Bald sind Wahlen; wir sind gespannt, was sie uns zu sagen haben. Wir hoffen auf zahlreiches Erscheinen und ein reges Mitdiskutieren. Beat Thierstein, Sekretär Rentnertreff der Mediengruppe Schaffhausen Der nächste Hock findet am Mittwoch, 7. Oktober, 15 Uhr im Restaurant Stauffacher statt. Wir freuen uns auf zahlreiche Teilnahme. Karin und Herbert Verein des pensionierten Postpersonals St. Gallen und Umgebung Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich lade euch herzlich ein, am Mittwoch, den 30. 9., um 14 Uhr der Herbstversammlung im «Bären» in der Speicherschwendi beizuwohnen. Es freut mich immer, wenn viele Mitglieder schon um 12 Uhr mit dem Vorstand das Mittagessen geniessen. Bitte nicht vergessen: man kann von den 200-Franken-Gutscheinen auch RekaChecks beziehen! Gutscheine an die Reka nach Bern senden, es wäre schade, sie verfallen zu lassen. Im Namen des Vorstandes Kaspar Gallati Pensionierte Zofingen Medien Am Freitag, 2. Oktober, findet unsere Herbstwanderung statt. Mit dem Bus Linie 1, Zofingen ab 13.52 Uhr, bis Bahnhof Aarburg. Wanderung: Der Aare nach bis Restaurant Ocean-Bar zu den Frühlingsrollen! Retour ab Bahnhof Rothrist mit dem Bus. Eure Wanderkollegen F. u. P.

Pensionierte Zürich Medien 7. Oktober: Niederländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Die Führung im Kunsthaus Zürich vermittelt uns einen repräsentativen Überblick über diese Epoche («das Goldene Zeitalter» der Niederlande). Wir erhalten Informationen über die Entwicklung der niederländischen Malerei, insbesondere zu den Galeriebildern von Rubens, van Dyck und Brouwer – den Stillleben von Snyders, Fyt und Seghers – den Gemälden Jan Brueghels des Älteren und weiterer flämischer Maler. Führung von 14 bis 15 Uhr. Treffpunkt: 13.50 Uhr in der Eingangshalle des Kunsthauses. Anmeldungen bis Donnerstag, 1. Oktober, an Jürgen Schendekehl, Sonnenbergstrasse 35, 8032 Zürich, Tel. 044 252 13 35, Mail juergen.schendekehl@bluewin.ch. Jürgen Schendekehl

Willi Aegerter, Sektion Lötschberg Post, 91 Jahre, Mitglied seit 1971.

Postveteranen Zürich Unsere erste Versammlung nach der langen Sommerpause findet am Donnerstag, 8. Oktober, 14.30 Uhr im Volkshaus Zürich statt. Stefan Regli wird uns ein Referat halten über das Thema «PostLogistics: zielgerichtete Logistiklösungen von A bis Z». Wir hoffen auf eine grosse Teilnehmerzahl zu diesem für uns sehr interessanten Thema. Mit freundlichen Grüs­ sen Der Vorstand

Werner Hachen, Sektion Bern Postpersonal, 84 Jahre, Mitglied seit 1949.

Georg Bossart, Sektion Zentralschweiz, 85 Jahre, Mitglied seit 1948. Fritz Dönz, Sektion GIV Zürich/Ostschweiz, 88 Jahre, Mitglied seit 1956. Michel Duroux, Sektion Region Basel, 86 Jahre, Mitglied seit 1948. Willy Eigenmann, Sektion GIV Zürich/ Ostschweiz, 76 Jahre, Mitglied seit 1958. Werner Feuz, Sektion Lötschberg Post, 86 Jahre, Mitglied seit 1951. René Graber, Sektion Bern Postpersonal, 81 Jahre, Mitglied seit 1955.

Siegfried Häseli, Sektion Aargau, 90 Jahre, Mitglied seit 1957. Niklaus Kägi, Sektion Ostschweiz, 74 Jahre, Mitglied seit 1954. Georg Kernen, Sektion Zürich Logistik, 51 Jahre, Mitglied seit 1981. Rolf Koller, Sektion Zürich Logistik, 66 Jahre, Mitglied seit 1985. Hanspeter Moser, Sektion Region Basel, 65 Jahre, Mitglied seit 1966.

Gitarrenstudien Max Springs Zeichnungen sind vielerorts anzutreffen, auch regelmässig in unserer Gewerkschaftszeitung. Seine Arbeit bei der Zeitschrift «Akustik Gitarre» trägt zum zweiten Mal Früchte: In einem neuen Buch setzt sich Spring überaus vergnüglich mit den charakterlichen Eigenheiten des Gitarristen auseinander. (red) Bestellung: max@maxspring.ch

Fritz Scheidegger, Sektion Bern Post­ personal, 87 Jahre, Mitglied seit 1958. Hansrudolf Schenk, Sektion Lötschberg Post, 75 Jahre, Mitglied seit 1958. Christian Schneebeli, Sektion Ostschweiz, 63 Jahre, Mitglied seit 1970. Paul Schwab, Sektion Bern Postpersonal, 89 Jahre, Mitglied seit 1958. René Speck, Sektion Zentralschweiz, 87 Jahre, Mitglied seit 1950. Heinrich Stämpfli, Sektion Bern, 92 Jahre, Mitglied seit 1957.

Leserbrief Pensionskassen auf der Gewinnerseite Wenn es um die Zukunft unserer Sozialwerke geht, sind sich bürgerliche Kreise nicht zu schade, Schreckensszenarien an die Wand zu malen, um die junge Generation gegen die ältere auszuspielen. Es steckt viel Selbstzweck dahinter, wenn behauptet wird, unsere Altersvorsorge s­ tehe infolge der demografischen Alterung auf der Kippe und die aktive Generation müsse für die Renten der Alten aufkommen, ohne dass ihre eigenen Renten später abgesichert seien. Es herrscht Verschwiegenheit, wenn es darum geht, wie viel die Pensionskassen von ihrer Rendite an die Versicherten weiter­geben. Von den ergiebigen Renditen der letzten Jahre in der Höhe von mindestens 5 bis 6 Prozent wurden den Aktiven nur 1,5 % gutgeschrieben, bei den Pensionierten waren es 3,5 %. Durch diese enormen Zinsgewinne wuchs beispielsweise im Jahr 2013 das Polster der Pensionskassen um 32 Milliarden Franken; 21 Milliarden stammten von der aktiven Bevölkerung und 11 Milliarden von den Rentnerinnen und Rentnern. Zusätzlich verrechneten die rund 2200 Pensionskassen fast 6 Milliarden Franken z­ ulasten der Versicherten für Administration, Vermögensverwaltung und externe Beratung – was

Erich Aemisegger, Sektion Ostschweiz, 81 Jahre, Mitglied seit 1963.

19 % einer jährlichen Renten- und Kapitalauszahlung gleichkommt. Als Zustupf infolge der Legal Quote dürfen sich die Privatversicherer mit staatlichem Segen jährlich rund 600 Millionen Franken in die eigene Tasche schieben. Die Pensionskassen machen mit den Jungen wie mit den Alten ein gutes Geschäft und wohnen auf der Gewinnerseite. Dieser Verdunkelung und Selbstbedienung bei der 2. Säule steht die AHV gegenüber: das auf dem Umlageverfahren beruhende, transparente Sozialwerk. Obschon sich die Zahl der RentnerInnen seit 1975 von 900 000 auf über 2 Millionen mehr als verdoppelt hat, blieb das Prämienvolumen mit je 4,2 % Arbeitnehmerund 4,2 % Arbeitgeberbeiträgen stabil. Nur 1-mal in diesen vierzig Jahren musste die AHV mit einem zusätzlichen Mehrwertsteuer-Prozent alimentiert werden. Die unschlagbare Leistungsfähigkeit der AHV rührt daher, dass die Beitragspflicht gegen oben unbeschränkt ist, während die Renten oben plafoniert sind, sodass auch Millionen­ einkommen nicht höhere Renten erzielen als durchschnittliche Löhne. Die AHV-Renten konnten in der Vergangenheit infolge einer effizienten Wirtschaft finanziert werden – trotz immer weniger Erwerbstätigen pro rentenberechtigte Person. Höhere Produktivität der Arbeitnehmenden führte zu höheren

Löhnen und damit auch zu einem höheren AHV-Beitragsvolumen. Mit der Initiative AHVplus sollen die AHV-Renten um 10 Prozent angehoben werden. Alleinstehende würden damit 200 Fr. und Ehepaare rund 350 Fr. mehr Rente erhalten. Diese Zuschläge würden einerseits den schleichenden Kaufkraftverlust kompensieren, und anderseits würden wir dem in der Bundesverfassung verankerten Artikel näherkommen, nach welchem Rentnerinnen und Rentner «ihr gewohntes Leben in angemessener Weise» weiterführen können. Wenn die Einsparungen für Ergänzungsleistungen in Abzug gebracht werden, würde die Einführung von AHVplus rund 3,7 Milliarden Franken kosten. Je 0,4 zusätzliche Lohnprozente würden genügen, um diese nötige Aufbesserung der AHV-Renten zu finanzieren. Die Initiative AHVplus wird mit grosser Wahrscheinlichkeit am 5. Juni 2016 vor das Volk kommen. In der verbleibenden Zeit geht es für uns Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter darum, Jung und Alt zu überzeugen, dass eine Aufwertung der AHV vordringlicher ist, als die unsichere und intransparente 2. Säule weiterhin zu stärken, wie dies im Reformpaket «Altersvorsorge 2020» vom Bundesrat vorgeschlagen wird. Heinz Thommen

Werner Trachsel, Sektion Zürich Telecom, 80 Jahre, Mitglied seit 1965. Ernst Urwyler, Sektion Bern, 88 Jahre, Mitglied seit 1953. Hans Weber, Sektion Zürich Logistik, 76 Jahre, Mitglied seit 1999. Andreas Wolfisberg, Sektion Zentralschweiz, 54 Jahre, Mitglied seit 1983. IMpressum

syndicom-Zeitung Redaktion: Naomi Kunz Tel. 058 817 18 18, redaktion@syndicom.ch Layout: Katja Leudolph Korrektur: Ulrike Krüger Adressänderungen: syndicom, Adressverwaltung, Monbijou­strasse 33, Postfach, 3001 Bern Tel. 058 817 18 18, Fax 058 817 18 17 Inserate: stab@syndicom.ch Druck: Ringier Print Ebikonerstrasse 75, 6043 Adligenswil Verlegerin: syndicom – Gewerkschaft Medien und K ­ ommunikation. «syndicom» erscheint 12 Mal im Jahr. Ausgabe Nr. 10 erscheint am 23. Oktober. Redaktionsschluss: 5. Oktober.


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syndicom | Nr. 9 | 25. September 2015

syndicom im SGB

Lohnrunde 2016: Unsere Forderungen In den meisten Branchen und Unternehmen der Schweizer Wirtschaft präsentiert sich die Lage positiv. Deshalb forderten die SGB-Verbände an der Medienkonferenz vom 2. September – möglichst generelle – Lohnerhöhungen bis zu 1,5 Prozent. Besonders zu berücksichtigen seien die Löhne der Frauen. Ein Überblick zu den Branchen von syndicom.  Alain Carrupt* Die grossen Unternehmen in den Bereichen Logistik und Telekommunikation weisen bei Umsatz und Gewinn im ersten Halbjahr eine sehr stabile Entwicklung auf. Im Vergleich zu den Vorjahres­zahlen zeigt sich, dass sie die Auswirkungen des «Wechselkursschocks» ohne markanten Ein­ bruch kompensieren konnten. Mit ihrer guten Performance tragen sie wesentlich dazu bei, dass das Wirtschaftswachstum in der Schweiz anhält – allerdings auf einem sehr tiefen Niveau. Auch die grossen Medienhäuser haben diese Situation und den seit Jahren anhaltenden Strukturwan­del in der Branche gut bewältigt. Etwas schwieriger präsentiert sich die Lage für viele Betriebe in der grafischen Industrie und für den Buchund Medienhandel, wo der Preis- und Margendruck durch die Überbewertung des Frankens stark zugenommen hat.

Auch diese Lohnmassnahmen werden per April 2016 umgesetzt. Die Er­gebnisse der Lohnrunde bei der Post gelten auch als Leitlinie für die anderen Unternehmen, wel­ che Dienstleistungen im Post- und Paketmarkt erbringen.

© YOSHIKO KUSANO

Swisscom: 1 Prozent ist die Ansage

Lohnerhöhungen stützen die konjunktur Für syndicom ist klar, dass die aktuelle Lohnrunde für die wirtschaftliche Stabilität der Schweiz eine grosse Bedeutung hat. Die Unternehmen, die ihren Umsatz zu einem grossen Teil auf dem Binnenmarkt erzielen, spielen dabei eine wichtige Rolle und haben eine hohe gesamtwirtschaftli­che Verantwortung. Dies gilt besonders für die staatsnahen Unternehmen Post und Swisscom. Denn nur wenn sich die Reallöhne ihrer Angestellten erhöhen – vor allem die tiefen und mittleren Löhne –, bleibt die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen im Inland stabil und stützt somit die Konjunkturerholung. Dank der negativen Teuerung und der tiefen Zinsen haben alle Unternehmen nach wie vor einen ausreichend grossen Spielraum für Lohnerhöhungen. syndicom hält zudem an ihrer gewerkschaftli-

che Strategie fest, in den Verhandlungen konse­ quent die Einführung von fairen Mindestlöhnen zu fordern. Jüngstes Beispiel dafür ist der neue Gesamtarbeitsvertrag mit Contactswiss (s. Seite 7), einem Arbeitgeberverband der Branche Callund Contactcenter. Ab September 2015 gelten dort für die rund 2000 Angestellten Mindestlöhne pro Jahr zwischen 50 072 Franken (Region Zürich) und 42 000 Franken (Region Tessin).

Wichtiges Signal der Post Die Post konnte im ersten Semester 2015 sowohl Betriebsergebnis als auch Gewinn weiter stei­gern. Es ist also gerechtfertigt und angebracht, die Saläre der Angestellten kontinuierlich anzu­ heben und das Personal auf diese Weise am Erfolg und am Produktivitätsgewinn des Unterneh­ mens zu beteiligen.

Alain Carrupt: «Nur wenn die Reallöhne erhöht werden

– vor allem die tiefen und mittleren Löhne –, bleibt die Nachfrage im Inland stabil und die Konjunktur kann sich erholen.» syndicom hat im Rahmen der Verhandlungen über den GAV mit der Schwei­ zerischen Post auf Konzernebene bereits im Frühsommer die Lohnerhöhungen für 2016 festge­legt. In den beiden Konzerngesellschaften Post CH AG und PostFinance AG werden die Löhne individuell um 0,6 Prozent erhöht. Zudem erfolgt eine Einmalzahlung von 400 Franken, welche im April 2016 ausgerichtet wird. Bei der Konzerngesellschaft PostAuto Schweiz AG werden 0,4 Prozent für individuelle Lohnerhö­hungen bereitgestellt.

Lohnerhöhungen sind nicht nur möglich, sondern auch nötig Grosse Teile der Schweizer Wirtschaft laufen gut. Insbesondere die Binnenwirtschaft ist gewachsen. Der Spielraum für Lohnerhöhungen, die im Portemonnaie zu spüren sind, ist da. «Deshalb sind – bei allen Unterschieden zwischen Branchen und Unternehmen – Lohnverbesserungen im Umfang bis 1,5 Prozent gut begründet», sagte SGB-Präsident Paul Rechsteiner an der Medienkonferenz. SGB: Frauenlöhne müssen steigen Vor allem müssen die Frauenlöhne überdurchschnittlich angehoben werden, um geschlechtsbedingte Lohndiskriminierung effizient zu bekämpfen, fordert der SGB einstimmig. Normalverdienende kommen zu kurz Nachholbedarf besteht bei tiefen und mittleren Einkommen. «Die Bilanz bei den Löhnen der letzten zehn Jahre zeigt, dass hohe und höchste Einkommen unverhältnismässig zugelegt haben», so Rechsteiner. Zu wenig profitierten Normalverdienende. Berufsleute in Ausbildung gingen leer aus. Nach Abzug der Teuerung hatten sie Ende des Jahrzehnts sogar noch weniger als im Jahr 2002 (Medianlohn: –0,5 Prozent). Das beste Rezept, diesen Nachholbedarf zu stillen, sind Lohnerhöhungen in fixen Frankenbeträgen. Damit endlich jene profitieren,

Bei der Swisscom steht die nächste Lohnrunde erst im Frühjahr an. syndicom wird voraussicht­lich mit der Forderung einsteigen, die Löhne um 1 Prozent zu erhöhen. Angesichts der sehr soli­ den Entwicklung von Umsatz und Gewinn bei Swisscom ist mit einem guten Abschluss in der Lohnrunde zu rechnen. In der übrigen Telecombranche werden die Löhne in der Regel im Nachgang der Lohnrunde bei Swisscom festgelegt. Entscheidend für die Forderungen sind die Geschäftszahlen des 3. und 4. Quartals. Es zeigt sich aber bereits heute, dass sich bei

die zu kurz gekommen sind, fordern die SGB-Gewerkschaften verbreitet die Anhebung der Mindestlöhne um 100 Franken. Verbesserungsbedarf zeigt sich auch bei langjährigen Mitarbeitenden, bei welchen das Lohnwachstum in den letzten 10 Jahren deutlich hinter dem Schweizer Mittel zurückgeblieben ist. Unia, SEV und VPOD: generelle Erhöhungen stehen an Die Unia fordert für das Bauhauptgewerbe eine generelle Lohnerhöhung von 1,5 Prozent. Für das boomende Ausbau- sowie das Transportgewerbe verlangt Unia 1 Prozent generell mehr Lohn, für Chemie und Pharma bis zu 120 Franken mehr pro Monat, für ­Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sowie die Lebens- und Genussmittel­industrie je 80 Franken. Auch im Detailhandel werden gezielte Lohnerhöhungen für ausgebildete und erfahrene Beschäftigte eingefordert. Bei den Bahnen ohne GAV fordert der SEV eine generelle Lohnerhöhung von 100 Franken. Bei Bahnen mit GAV-Löhnen wird ein Teil der Erhöhungen für die Stufenanstiege reserviert. Bei mehreren Bahnen wird der SEV zusätzliche Freitage einfordern. Laut VPOD müssen im öffentlichen Dienst Lohnerhöhungen, Stufenanstieg und Beförderungen gemäss den Bestimmungen der jeweiligen Lohnsysteme vollständig gewährt werden. (sgb)

Sunrise, UPC Cablecom und Salt sowohl Umsatz als auch Gewinn weniger positiv entwickeln als bei Swisscom. Gerade die Telekommuni­kation reagiert sehr schnell und empfindlich auf Veränderungen in der Binnenmarkt-Nachfrage.

mindestens 100 Franken mehr in den Medienhäusern syndicom fordert für die grossen Medienhäuser, in denen trotz schwierigem Umfeld (Sen­kung der Margen und Preisdruck aufgrund der Überbewertung des Frankens, Werberückgang in Printmedien, Verlagerung von Druckaufträgen ins Ausland) erfolgreiche Jahreser­ gebnisse zu erwarten sind, den Beschäftigten ihren Anteil am Erfolg in Form von Lohnerhöhun­ gen von mindestens 100 Franken zu garantieren. Im Fokus stehen dabei die grossen Unternehmen wie Ringier, die NZZ-Gruppe, Tamedia und AZ Medien. Tamedia hat für das erste Halbjahr 2015 dank Sondereffekten einen Ge­winn von über 70 Millionen Franken ausgewiesen. Dieser soll endlich als «echte» Dividende an die Angestellten in Form von Lohnerhöhungen zurückgegeben werden. Die Gewinne, die mit der di­gitalen Werbung realisiert werden, müssen zudem konsequent ins Personal und die publi­zistische Qualität investiert werden. Wichtig ist zu beachten, dass die einzelnen Lohnforderungen von syndicom erst definitiv sind, wenn sie durch die zuständigen Branchenorgane der Gewerkschaft formell verabschiedet worden sind.

* Präsident syndicom


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