TASCHEN Magazin Winter 2014/15 (Aktuelle deutsche Ausgabe)

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Winter 2014

Weltkulturerbe Stones Die offizielle Foto-Bio der Bad Boys des Rock

Robustes Mandat 75 Jahre Marvel-Comics

Seite 100

Erbfall Honecker Die DDR musealisiert Seite 134

Himmel und hรถlle William Blake illustriert Dante Seite 22

Foto von David Bailey

Est. 1980 Variety is the spice of life!

Seite 82


cartier.com

Panthère de Cartier New Collection


EACH AND EVERY TASCHEN BOOK PLANTS A SEED! Unseren jährlichen Ausstoß an Kohlenstoffdioxid kompensieren wir mit Emissionszertifikaten des Instituto Terra, einem Regenwaldaufforstungsprogramm im brasilianischen Minas Gerais, gegründet von Lélia und Sebastião Salgado. Das macht uns klimaneutral. Mehr über diese ökologische Partnerschaft erfahren Sie unter: www.taschen.com/zerocarbon

Inspiration: grenzenlos. CO2-Bilanz: null.



Liebe Buchwürmer,

Los Angeles, November 2014

Diese Saison haben wir nur Superlative im Programm: Superhelden, Superschurken und superschräge Vögel. Zur ersten Kategorie zählt ohne Zweifel Comiclegende Stan Lee. Dreieinhalb Jahre hat Stan uns tatkräftig dabei geholfen, eine Hommage an Marvel und den Stall seiner maskierten Rächer, Retter und Haudraufs zusammenzustellen. Nun hält er das erste Exemplar unseres Titanenwerks (S. 100) in seinen zweifellos stahlharten Händen, und es scheint ihm zu gefallen. Den gleichen Eindruck macht Keith Richards, der hier gerade unseren Kniefall vor der größten Rock-’n’-Roll-Band aller Zeiten signiert. Vier Jahre lang haben wir hemmungslos Fotoarchive auf der ganzen Welt (inklusive der privaten Archive der Stones) geplündert, um den zahllosen Stones-Fans weltweit das ultimative Fotoalbum über die Band präsentieren zu können. Mick, Keith, Ronnie und Charlie haben eine erkleckliche Zahl davon signiert, und so kommt das Buch gerade noch rechtzeitig vor Weihnachten in die Läden – für ein extralautes Fest (S. 82)! Ohne Zweifel zum fragwürdigeren Teil unserer Spezies zählt der verrückte Superschurke und Graf Porno der HippieMarvel-Legende Stan Lee Ära Michael Thevis, der legt Hand an Exemplar Nr. 1 unseres Opus magnum. Beverly Hills, Oktober 2014 im unheimlichen Labor seines sich zersetzenden Gehirns eine unheilige Ehe aus Psychedelia und Sex gestiftet hat. Mir fehlen da die Worte, schauen Sie selbst: S. 118. Aus dem Dunkel der Geschichte tritt uns auch Graubrotgesicht Erich Honecker entgegen, der rote Darth Vader des SED-Staates. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer zeigt uns der smarte junge Amerikaner Justin Jampol die zahllosen Relikte und Artefakte aus dem einstigen Schaufenster des Ostens, die er für sein Wende Museum in L.A. zusammengetragen hat – ein Trip hinter den Eisernen Vorhang mit mehr als 900 Seiten (S. 134). Ein Wiedersehen also mit den Helden und Schuften, die meine Jugend geprägt haben. Würde mich freuen, auch Ihnen mit diesen Titeln ein angenehmes Déjà-vuGefühl zu bescheren! Peace,

Keith Richards setzt seinen Namenszug in das von TASCHEN

vorgelegte offizielle fotografische Vermächtnis. Philadelphia, 2013. Foto von seiner Managerin Jane Rose

Benedikt Taschen


Est. 1980

Never bore, always excite! Front cover: Mick Jagger, London, 1973 © David Bailey.

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All photographs © TASCHEN GmbH unless noted otherwise: 8, 9 © Yang Liu Design; 14/15 © Colécción Alejandro Fernández de Araoz, Madrid; fotografía de Fernando Maquieira, Madrid; 16, 17b, 20 © Museo Nacional del Prado, Madrid; 18 © 2014 Kimbell Art Museum, Fort Worth, Texas / Art Resource, Nueva York / Scala, Florencia; 19 © Photo Wildenstein Institute, París; 21tr © Wallace Collection, Londres, Reino Unido / Bridgeman Images; 22/23, 28, 29t+dr © National Gallery of Victoria, Melbourne, Australia / Bridgeman Images; 25 © Tate, London 2014; 26/27 © Birmingham Museums Trust; 40/41 © Société Française de Photographie; 42 © Galerie Bilderwelt/ Bridgeman Images; 43 © LVR-LandesMuseum Bonn; 44 © ECPAD/France/ Cuvielle, Fernand; 45t, 45bl © Collection Peter Walther; 45c © Photograph by Frederick E. Ives, Gift of Eugene Ostroff, Division of Culture and the Arts, National Museum of American History, Smithsonian Institution, Washington D.C.; 45br © Courtesy of Multimedia Art Museum Moscow; 48, 49t © Sven A. Kirsten collection; 49b © Stephen Sandoval collection; 50t © Scott Schell collection; 50b © Tacoma Library; 52/53, 59, 60, 103 Courtesy of Heritage Auctions/HA.com; 54t+b, 57 © Brown & Bigelow; 55 © Grapefruit Moon Gallery collection; 56, 63 © Marianne Ohl Phillips collection, moppinup.com; 58 © Louis K. Meisel collection, greatamericanpinup.com; 61b Courtesy oft he Estate of George Petty, care of Ronald Feldman Fine Arts, New York; 62t © The Max Vargas Collection; 62b © Erwin and Gail Flacks collection; 64/65,

66, 67tr+cr+b; 68/69 © Beatrice Braun-Fock; © 2014 Atelier Robert Doisneau, Paris; 72/73 © Henri Dauman/daumanpictures.com. All rights reserved.; 74t © Robert Houston/AP/Corbis; 82/83 © Bowstir Ltd. 2014/mankowitz.com; 94/95 © Anton Corbijn; 74b, 75t © Bill Everheart; 76 Courtesy JFKL, Boston; 77t © Estate of Jacques Lowe; 78t © Hank Walker/Time & Life Pictures/Getty Images; 79 © Stan Wayman/Time & Life Pictures/Getty Images; 80 © International Center of Photography/Magnum Photos/Agentur Focus; 81t © Photo by Lawrence Schiller, Copyright © Polaris Communications, Inc. All Rights Reserved.; 78b, 81b © Paul Schutzer/Time & Life Pictures/Getty Images; 87 © David Bailey; 88/89 © Bent Rej; 90/91 © Ethan Russell; 92/93 © guywebster.com; 94/95 © Anton Corbijn; 100/101, 102t, 102b, 104, 105t+b, 106tl+tr, 107, 108, 109b © Marvel; 109tr © Conan Properties International LLC (CPI); 112/113, 117t+br © Lawrence Schiller; 114, 115b, 116 © Steve Schapiro; 122/123, 131tr © Volker Hinz; 124/125, 129bl © Neil Leifer/Sports Illustrated/ Getty images; 126 © L’Equipe/Offside Sports Photography; 127 © Press Association Images; 128b © Terry O’Neill/Getty Images; 128tl © Roger Parker/ Fotosports International;129tr © Imago/Kicker/Metelmann; 130 © Popperfoto/Getty Images; 131bl © Frans Hemelrijk/Witters; 136t © Landesarchiv Berlin/Horst Siegmann; 139 © Harald Hauswald/OSTKREUZ; 150, 152t, 152b, 153 © 2014 Darren Almond;156, 157t © Portman & Sommerschield; 157tr, 159bc © Avanto Architects Ltd; 157b © 2by4-architects; 158, 159bl © Martin Müller; 159t © Pasi Aalto; 159cl © TYIN tegnestue Architects; 160/161 © 2014 BUTT magazine; 162/163 © Giovanni Bianco.

Text: Harald Hellmann Design: Andy Disl & Benedikt Taschen Koordination: Florian Kobler & Jonas Scheler Produktion: Claudia Frey & Ute Wachendorf Directed and produced by Benedikt Taschen Printed in Germany Halbjährlich herausgegeben von TASCHEN Hohenzollernring 53, D–50672 Köln Tel: +49-221-20 18 00. contact@taschen.com Anfragen für Inserate an: media@taschen.com

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Liebe dein TASCHEN-Buch!

Buchempfehlungen von prominenten Freunden

Fettnäpfchenalarm

Lach- und Sachgeschichten zur Geschlechterdifferenz

Exzellenzinitiative Porträtmalerei

Unsterblich dank Diego Velázquez 18

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Der Sandmann

Émile Prisse d’Avennes entdeckt Ägypten

Im Jenseits ist die Hölle los

William Blake illustriert Dantes Göttliche Komödie

30 weltpremiere

in Schlummerland

Little Nemo total

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Westen was Neues

14–18 in Farbe

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Hollywoods güldene Dreißiger – ein Bilderbuch für Cineasten

100 Voll

Bitte nur Feinwäsche!

Pin-ups, das sexuelle Grundrauschen des 20. Jahrhunderts

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Winterwunderland

Wintermärchen – das Buch zum Lebkuchen

JFK-Superstar

Norman Mailer erfindet den New Journalism

Date mit einer Diva

Das Fotoalbum für Barbraphile

118 Genitalien

auf LSD

Vom Institut für ungewöhnliche Zustände empfohlen: Hippies splitterfasernackt!

Pariser Wanderungen

Unser Stadtführer: Robert Doisneau

auf die 12

Haut dich um: 75 Jahre Marvel – das Mega-Album

Im Banne fremder Götzen

Sven Kirsten kann’s nicht lassen – Tikimania Teil 3

Auf diese Steine können Sie bauen!

Monumental: Keith, Mick und Co. – die offizielle Foto-Bio

Tinseltown in Tinte

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11 Freunde sollt ihr sein

Das goldene Jahrzehnt des Fußballs

Zeitgeist auf 31 x 31 cm

Kühle Cover von Elvis bis Nirvana

Nachlasssache Honecker

Artefakte aus dem SED-Staat

Auf einen Blick

Infografiken erklären die Welt

Mondsüchtig

Durch die Nacht mit Darren Almond

Waldesrausch

Statt Brett vorm Kopf: Heiße Hütten

Geil und glücklich

Best of Butt Magazine!

Auf ein Wort, transzendentes Wesen!

10 Religionen, 100 Gebete 164

Die Rousseau COLLECTION

Einer unserer hingebungsvollsten Fans zeigt uns seine erstaunliche TASCHEN-Bibliothek

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Mein liebstes Buch von TASCHEN ist … Prominente empfehlen ihre Lieblingslektüre Illustrationen von Robert Nippoldt

„Mein neuester Lieblingstitel, Mann trifft Frau, ist so lustig! Yang Lius kleines Büchlein ist voller subtilem Witz und eignet sich perfekt für abendliche Unterhaltung –am besten natürlich mit Ihrer/Ihrem Liebsten!“

Ellen von Unwerth Renzo Piano „GENESIS ist ein tolles Buch, Salgados Liebeserklärung an unsere Welt. Nun, ich liebe sie auch, all diese Eisberge, Wälder und Ströme, einfach atemberaubend. Aber ich bin Architekt und liebe es genauso, dem Menschen in all dieser ungeheuren und beängstigenden Schönheit Schutzräume zu bauen.“

Robert Crumb

„Mir gefällt das Circus-Buch sehr gut; es ist voll toller, knalliger Bilder, die das Groteske und Bizarre der Zirkuswelt rüberbringen. Als Kind war ich mal in einem solchen Zirkus, und es war ein überwältigendes Erlebnis. Auch die vielen alten Zirkusplakate im Buch sind toll.“


Jeremy scott „Ganz klar, das John-LautnerBuch. Vielleicht aus purem Eigennutz, so kann ich Bilder meines Hauses herzeigen – wie vom Meister 1947 gebaut.“ „Zuerst einmal bin ich froh, dass es Benedikt Taschen gibt und er diese Bücher herausbringt. Mein Lieblingsbuch von TASCHEN ist der Reprint der domusMagazine, 1928-1999. Jeanne-Claude und ich haben Gio Ponti, den Gründer der Zeitschrift, 1960 kennengelernt.“

Christo

JULIAN SCHNABEL „Das Neo-Rauch-Buch gefällt mir, denn es sieht wie ein richtiges Buch aus.“ Heiliger Gottseibeiuns! Was für ein großartiger Zeichner. Absolut überkandidelte Verherrlichung der männlichen Sexualität. Ich habe mir das Buch gekauft und vier Jahre später auch eins seiner Bilder.“

MARK GROTJAHN


Wahrheit oder Pflicht? Ein Interview mit der Berliner Designerin Yang Liu, die holzschnittartige Klischees über Männer und Frauen mit cleveren Piktogrammen unter die Lupe nimmt

Sie haben in China, Deutschland, den USA und Großbritannien gelebt. Welche Unterschiede zwischen den Ländern sind Ihnen aufgefallen?

Schon in den alten Überlieferungen der Entstehung der Menschheit unterscheiden sich die Kulturen sehr voneinander. In China hat eine Göttin die Menschheit erschaffen, sie ist eher eine Freundin der Menschen. Und in der christlichen Kultur ist es ein Gott, zu dem man betet. Darin spiegelt sich vieles wider, was sich in den Kulturen mehr oder minder immer weiter fortsetzt. In China gab es nie eine Frauenbewegung in dem Ausmaß wie in Deutschland, aber der Prozess der Emanzipation hat sich in der Praxis teilweise stärker durchgesetzt. Seit

sein perfekter Abend

über 60 Jahren sind die Frauen finanziell selbstständig, deshalb ist meiner Generation die gesellschaftliche Rolle der einfachen Hausfrau vollkommen unbekannt, denn sie existiert schlicht nicht mehr. Die Frauen sind in diesen 60 Jahren gesellschaftlich rapide stärker geworden. So ist es inzwischen in Metropolen wie Beijing und Shanghai seit der Generation meiner Eltern gängig, dass fast ausschließlich die Männer den Haushalt führen, und durchaus üblich, dass Frauen, auch junge, Führungspositionen besetzen. In Deutschland muss man nach wie vor zwischen West- und Ostteil unterscheiden. Der Westen hat einen sehr langen und ereignisreichen Weg der Emanzipation hinter sich, und insgesamt ist Deutschland sicherlich in

vieler Hinsicht führend, was die gesetzliche Gleichstellung anbelangt. Dennoch gibt es sehr viele Haushalte, in denen die Frauen die meisten der erforderlichen Arbeiten zu bewältigen haben, vor allem wenn es um die Kinderbetreuung geht. Im östlichen Teil hingegen ist die Situation, wahrscheinlich wegen der politischen Vergangenheit, ähnlich der in China: Die Frauen sind vergleichsweise viel selbstständiger und weniger an die traditionellen Rollen gebunden als im Westen. In Deutschland werden aber trotz allem Frauen (und besonders junge) in Führungspositionen immer noch bestaunt.

Zeigen die Seiten mit den Schwächen Ihre eigenen Erfahrungen?


Gepäck Ich habe bei diesem wie auch bei meinem letzten Buch, Ost trifft West, versucht, über Erlebnisse, die mich persönlich betreffen, hinauszugehen. Es ist kein Selbstporträt, sondern eine Dokumentation meiner Wahrnehmungen in diesem Themenbereich. Deshalb stellt sich die Frage nicht in erster Linie, ob und inwieweit ich mich persönlich damit identifiziere. Vielmehr geht es hier darum, ob diese Themen eine Relevanz haben.

Was würde in Ihren Augen Gleichheit der Geschlechter darstellen?

In einer wirklich gleichgestellten Welt müsste jede/jeder so sein können, wie sie sind, ohne sich künstlich anders verhalten zu müssen, ohne sein Geschlecht verbergen zu müssen. In meinem Buch findet sich etwa die Doppelseite mit dem Mann, der sehr dominant einer Frau gegenübersteht, er wird sofort als Macho abgewertet. Hingegen wird eine Frau, die dasselbe tut gegenüber einem Mann, sehr positiv als starke Frau angesehen. Das ist zwar auf Anhieb sehr lustig, aber darin spiegelt sich eine Ungleichheit der Wahrnehmung. Ein Mann z. B. sollte auch im Alltag Kleider tragen können, ohne dass man ihn komisch anschaut, und eine Frau auch ruhig in einem Kleid statt in einem Hosenanzug zu Meetings gehen können, ohne sich über ihre Seriosität sorgen zu müssen.

von Mann zu Mann

Wie lange haben Sie an dem Buch gearbeitet?

Ich habe vor ca. 6–7 Jahren damit angefangen, nach meinem letzten Buch. Das Thema beschäftigt meinen internationalen Freundeskreis sehr. Frauen und Männer klagen und witzeln in allen Metropolen der Welt über dieselben Probleme. Als sich meine eigenen Lebensumstände änderten und ich vieles aus anderer Perspektive betrachten konnte, gewann das Buch immer klarer Kontur. Ich will genau wie beim Vorgänger auf keinen Fall belehrend sein. Wenn meine Leser anhand dieses Buches über sich selber lachen können, würde ich mich sehr freuen. Das ist wichtig, um sein Gegenüber anders zu betrachten.

möglichst tiefen Inhalt darzustellen. Das hat mich sicherlich ebenfalls unbewusst geprägt.

Sie spielen mit Klischees oder Stereotypen. Weshalb ist das sinnvoll?

Viele Themen sind heute wie vor 30 oder mehr Jahren genauso präsent und relevant, also für mich nicht wirklich Klischees oder Stereotypen. Vielmehr sind es vielleicht eher die ungern gesehenen oder zugegebenen kleinen Wahrheiten unserer Zeit. Ich hoffe, durch das Buch einen humorvolleren Umgang der Geschlechter miteinander zu bewirken. Es möge eine Lektüre bieten, bei der man über sich selber lachen und sich amüsieren kann, sein Ego dann etwas zurückstellt und ein wenig mehr Toleranz übt.

Gibt es einen Grund, weshalb Sie so gerne Piktogramme verwenden?

Piktogramme sind in allen Kulturen die ältesten Kommunikationsmittel. Die Schrift entwickelte sich aus einfachen Abbildern langsam zu bildhaften Schriftzeichen und danach zu Schriften, wie wir sie heute kennen. Ich möchte die visuellen Mittel so prägnant wie möglich halten, damit die Inhalte in den Vordergrund treten. In der traditionellen chinesischen Kultur hat die höchste Kunst den Anspruch, so wenige visuelle Mittel wie möglich zu verwenden, um einen —9—

Yang Liu. Mann trifft Frau Hardcover, 128 Seiten € 12


Maler der Maler Auf den Olymp der Porträtmalerei mit Diego Velázquez

Wenn Er nur verherrlicht wird, bin ich zufrieden: Das Porträt von Mutter Jerónima de la Fuente (Detail, 1620) gehört zu den seltenen Darstellungen von Mystikerinnen aus der Zeit von Velázquez. Es zeigt eine Nonne des Franziskanerordens, die zugleich Gründerin und erste Äbtissin des Klosters Santa Clara in Manila (Philippinen) war.




Manet nannte ihn den „Maler der Maler“. Sein Meisterwerk Las Meninas beflügelte Picasso derart, dass er 44 Variationen davon malte. Monet und Renoir, Corot und Courbet, Degas, Dalí und Francis Bacon ... für so viele Helden der modernen Kunst war – und bleibt – Diego Rodríguez de Silva y Velázquez Resonanzboden ihrer Inspiration. Mit virtuoser Technik gelang es Velázquez, in der Verbindung von Farbe und Licht, Umriss und Volumen die feinsten Gesichtszüge auf die Leinwand zu bannen. Er führte die Porträtmalerei zu schwindeler­regenden neuen Höhen, entdeckte das Pathos und die Menschlichkeit in jedem Gesicht, bei einem König oder Papst ebenso wie bei einer alten Frau beim Eierbraten.

„Es ist vollkommen richtig, was Velázquez als das Geheimnisvollste an seinen Bildern mit Zwergen, Geistesschwachen und Hofnarren bezeichnete – dass er diese Personen gemalt habe, als wären es Götter oder, besser noch, Wesen, über die das Göttliche erstrahlt.“ — María Zambrano, 1989

Linke Seite

Äsop (Detail), um 1639–1641

Velázquez porträtiert den antiken Fabeldichter Äsop als durch und durch menschliche Gestalt, die trotz des schäbigen Gewandes – eine Anspielung auf seine Herkunft als Sklave – eine ungeheure Präsenz ausstrahlt.

Hofnarr Juan Calabazas (Calabacillas), um 1637–1639

Possenreißer, Zwerge und Narren sorgten am Hof Philipps IV. für willkommene Unterhaltung und lockerten die sonst so strenge Etikette ein wenig auf. In Hofnarr Juan Calabazas porträtiert Velázquez den Dargestellten voller Respekt und Feingefühl.


Don Pedro de Barberana y Aparregui, 1631/32

Der Porträtierte wurde 1630 zum Ritter des Ordens von Calatrava geschlagen und gab wahrscheinlich wenig später dieses Bildnis in Auftrag. Velázquez zeigt Don Pedro mit dem hervorstechenden roten Kreuz des Ordens auf Wams und Umhang. Rechte Seite

Philipp IV. in hohem Alter (Detail), um 1651/54

Während seiner Zeit als Hofmaler schuf Velázquez etliche Porträts von Philipp IV., sodass wir nachvollziehen können, wie der König mit der Zeit alterte. Dieses Gemälde gehört zu den späten Porträts und zeigt Philipp in fortgeschrittenem Alter.

„Was mich in Spanien am meisten begeistert hat, was alleine schon die Reise wert war, ist das Werk von Velázquez. Er ist der Maler der Maler.“ — Édouard Manet, 1865




Linke Seite

Doña Antonia de Ipeñarrieta mit Sohn (Detail), 1631/32

Doña Antonia de Ipeñarrieta war eine der adligen Hofdamen der spanischen Königin Elisabeth II. Sie war zweimal verheiratet, zuerst mit Don García Pérez de Araciel, einem Ritter des Ordens von Santiago, und nach dessen Tod mit Diego del Corral y Arellano, mit dem sie sechs Kinder hatte.

Frau mit Fächer, um 1635

Die Identität der berühmten Frau mit Fächer bleibt ein Rätsel, doch aktuelle Forschungen deuten darauf hin, dass sie möglicherweise Französin war. Das Gemälde ist Anfang des 19. Jahrhunderts erstmals dokumentiert. Es gehörte damals dem Bruder Napoleons, Lucien Bonaparte.

XL

„Das maßgebliche Werk zu Velázquez.“ — El País, Madrid Velázquez. Das vollständige Werk Wildenstein Institute, José López-Rey, Odile Delenda Hardcover mit Ausklapper, 416 Seiten € 99,99 — 17 —


Oriental Affair – Depeschen vom Nil Émile Prisse d’Avennes, Abenteurer mit Kunstsinn


Grabanlage in der Nekropole von al-Asasif,

in Theben-West, mit einer Vielzahl von Grabbeigaben. Die alten Ă„gypter gaben ihren Verstorbenen alles mit auf die Reise ins Jenseits, was ihnen auch im Leben lieb und teuer gewesen war.


Eingeborener aus dem Lande Punt,

das man mit dem Arabia Felix der antiken Geografie gleichsetzt. Mit einem einfachen Lendenschurz bekleidet und mit einem Stock bewaffnet, treibt er einen mit strohgeflochtenen Tragetaschen beladenen Esel an. Dieses pittoreske Genrebild entstand zur Regierungszeit des letzten Königs der 17. Dynastie und zierte die Außenmauer eines Tempels in al-Asasif.

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Die Geburt der Ägyptologie aus dem Geist des Abenteuers Von Salima Ikram

Im 19. Jahrhundert waren viele Ägyptenreisende von den Schätzen und Monumenten des alten Ägypten derart überwältigt, dass sie ihre Eindrücke in begeisterten Reiseberichten und detaillierten Skizzen festhielten. Lange bevor die Ägyptologie eine anerkannte wissenschaftliche Disziplin wurde, legten diese Abenteurer mit ihren Aufzeichnungen das Fundament zur Erforschung der antiken ägyptischen Kultur. Achille-Constant-Théodore-Émile Prisse d’Avennes (1807–1879) war einer dieser Abenteurer. Als wissbegieriger Mensch beschränkte er sein Interesse nicht auf die altägyptische Hochkultur, sondern beschäftigte sich mit der Entwicklung der ägyptischen Kunst und Kultur von den Pharaonen bis zur islamischen Zeit. Auf der ersten seiner Reisen, auf denen er oftmals, in arabische Gewänder gehüllt, unter dem Pseudonym Idris Effendi auftrat, dokumentierte er 1836 zahllose historische Stätten des Niltals und andernorts. Prisse veröffentlichte seine Skizzen, Zeichnungen und Reproduktionen von Inschriften mittels Durchreibung auf Papier erstmals in dem Werk Monuments égyptiens (Ägyptische Monumente, Paris 1847), einer eher kleinen Sammlung von 51 Bildtafeln, die gleichermaßen beim akademischen wie beim breiten Publikum großen Anklang fand. Durch diesen Erfolg ermutigt, kehrte Prisse in den späten 1850ern nach Ägypten zurück und intensivierte seine Forschungen. Die Ergebnisse veröffentlichte er in Histoire de l’art égyptien (Geschichte der ägyptischen Kunst) und L’Art arabe (Arabische Kunst), zwei umfangreichen Text- und Bildsammlungen, die einen nahezu vollständigen Überblick über die ägyptische Kunst liefern. Obwohl im Alleingang entstanden, brauchen diese Werke auch den Vergleich mit den Berichten der großen, staatlichen Expeditionen jener Zeit nicht zu scheuen und stellen bis heute die umfangreichste Bilddokumentation ägyptischer Kunst dar. Prisse’ enzyklopädisches Wissen über die altägyptische Hochkultur steht in der Geschichte der Ägyptologie einzigartig da.

Wie gelang es Prisse, diese außergewöhnlichen Expeditionen und Publikationen zu realisieren? Salima Ikram: Prisse war ein sehr unge-

wöhnlicher und ambitionierter Mensch von ausgeprägter Entdeckungs- und Abenteuerlust. Diese führte ihn auch nach Ägypten und auf seine erste Forschungsreise. Allein unterwegs oder in Gesellschaft von nur

einer Handvoll Gefährten, gelang es ihm, ein großes Gebiet und eine immense Zahl historischer Stätten und Monumente zu erkunden und zu dokumentieren. Zugute kamen ihm seine gute Kenntnis des Landes und seiner Gebräuche sowie der arabischen Sprache, aber auch seine guten Kontakte vor Ort, etwa der zu Dr. Henry Abbott in Kairo, mit dem er einen Literaturzirkel gründete, in dem über die ägyptische Geschichte und Kunst diskutiert wurde. Die Verwendung eines arabischen Decknamens, Idris Effendi, ermöglichte es ihm darüber hinaus, unbehelligter zu reisen und Orte zu besuchen, zu denen westlichen Reisenden normalerweise kein Zutritt gewährt wurde.

Was macht Prisse’ Darstellungen aus künstlerischer Sicht so interessant?

SI: Prisse’ Zeichnungen und Aquarelle sind sachlich und präzise, fügen nichts hinzu und geben die altägyptischen Originale genauer wieder, als es die Werke anderer weltreisender Künstler seiner Zeit taten, die entweder meinten, ihrem Bildgegenstand einen klassischen Stempel aufdrücken zu müssen, oder ein viel zu naives Bild von Ägypten zeichneten. Zudem haben wir hier den Ausnahmefall, dass eine einzelne Person sämtliche Illustrationen anfertigte und auch den — 21 —

Produktionsprozess der Bücher persönlich überwachte, was seinem Werk einen harmonischen Gesamteindruck verleiht und es von allen anderen Kompendien seiner Zeit unterscheidet. Interessanterweise beinhaltet das Kapitel über Architektur nicht nur seine eigenen Architekturdarstellungen, sondern auch altägyptische Darstellungen von Gebäuden, vor allem jene, die man auf den Mauern der Grabanlagen in Armana fand. Auch Prisse’ gutes Auge für ornamentale Strukturen ist für die Geschichte der altägyptischen Kunst von hohem Wert, da es ihm ermöglichte, regionale Unterschiede zu erkennen und ihre Veränderungen im historischen Prozess nachzuverfolgen. Außerdem brachte er die unter Gelehrten lang diskutierte Idee wieder auf, dass es im alten Ägypten Musterbücher mit Ornamenten gegeben haben muss, die bei der Planung und Ausschmückung von Monumenten zur Anwendung kamen.

Welchen Einfluss hatte das Werk von Prisse?

SI: Zweifellos hat Prisse die Begeisterung für alles Ägyptische mit befördert, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz Europa erfasste. Seine Werke waren für alle, die sich damals mit Design und dekorativer Kunst befassten, von besonderem Interesse und dienten als Inspirationsquelle. Es ist daher gut vorstellbar, dass seine Darstellungen mit ihrer Detailgenauigkeit auch Einfluss auf die Arts-and-Crafts-Bewegung und den Jugendstil ausgeübt haben. Salima Ikram lehrt Ägyptologie in Kairo.

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Émile Prisse d’Avennes. Ägyptische Kunst Hardcover, 424 Seiten € 99,99


Visionen von Himmel und Hรถlle Zum 750. Geburtstag von Dante: William Blakes Zeichnungen zur Gรถttlichen Komรถdie


Kapaneus, der Gotteslästerer

Bei ihrer Wanderung durch den siebten Höllenkreis stoßen Dante und Vergil auf Kapaneus, einen der sieben Könige, die einst gegen Theben gezogen waren. In seinem Hochmut hatte er Jupiter heraus­ gefordert und war von diesem mit einem Blitzschlag getötet worden. Kapaneus wird mit einem Feuer­regen für seine blasphemischen Äußerungen bestraft.


Kunst und Jenseitsvorstellungen

Die vollständige Sammlung von William Blakes Illustrationen zur Divina Commedia von Sebastian Schütze

Der sozialrevolutionäre Utopist, esoteri­ sche Mystiker und visionäre Prophet William Blake (1757–1827) gehört zu den wichtigsten Vertretern der englischen Kunst um 1800. Als Dichter, Zeichner und Buchkünstler wurde Blake von seinen Künstlerfreunden Johann Heinrich Füssli und John Flaxman zwar hoch geschätzt, galt den meisten seiner Zeitgenossen jedoch als eher exzentrische Randfigur. Der Schriftsteller Edward FitzGerald beschreibt ihn gar als „a genius with a screw loose“. Zwischen 1824 und 1827 fertigte Blake 102 Zeichnungen zu Dante Alighieris Göttlicher Komödie an, die zu den eindrucksvollsten Deutungen des berühmten Gedichtes zählen. Ohne selbst je in Italien gewesen zu sein, war Blake mit dem Werk des toskanischen Dichters Dante (1265–1321) eng vertraut, in dessen Versen er eine verwandte Seele erkannte. Als Meisterwerk der Weltliteratur ge­feiert, gilt die 1321 vollendete Göttliche Komödie als das bedeutendste literarische Werk der italienischen Sprache. Dante beschreibt in 14.233 Versen, unterteilt in 100 Gesänge, seine Reise durch Hölle, Fegefeuer und Himmel und auf einer höheren Ebene den symbolischen Weg der Seele zu Gott. Dan­ tes komplexe Darstellung der Hölle ist

„Unsere Vorstellung vom Jenseits ver­ danken wir Dantes Kühnheit und schöpferischer Kraft.“ ohne Vorbilder, weder in der Literatur noch in der Theologie. Unterirdisch, in tiefe Finsternis gehüllt, liegt Dantes Inferno unter der Stadt Jerusalem und ragt wie ein spitz zulaufender Trichter bis ins Zentrum der Erde hinab. Es ist ein stren­ ger, gut organisierter Ort der Bestrafung, an dem alle Sünden einer präzisen Hierar­ chie unterliegen und nach einem genau durchdachten System von Vergeltungs­ maßnahmen geahndet werden.

Dantes Sprache lebt von der Kraft seiner Bilder, von der Fähigkeit, sie Gestalt an­ nehmen zu lassen, sodass dem Leser Hölle, Fegefeuer und Paradies plastisch vor Augen treten, das Abstrakte und Fremde plötzlich vertraut erscheinen. Seine poeti­

„Wie viele andere Künstler fesselten Blake be­sonders die im Inferno geschilderten Höllenqualen.“ sche Imagination schöpft dabei aus vielen Quellen, verbindet eigene Erfahrungen mit ausgedehnten Lektüren und einem weiten Kosmos von Bildern. So wird der steile Aufstieg auf den Läuterungsberg mit der Pietra di Bismantova, einem Felsplateau im nördlichen Apennin, verglichen, die Musterung des bunt gefleckten Schuppen­ kleides von Geryon, dem Hüter des achten Höllenkreises, mit den Teppichen von Ta­ taren und Türken. Den bis zum Äußersten gespannten Körper des Giganten Antaeus, der die beiden Höllenwanderer auf dem Eis des Kokytos absetzt, vergleicht Dante mit dem vom Sturm gebeugten Mast eines Schiffes, der schon im nächsten Moment zurückschnellen wird. Die Kraft solcher sprachlichen Bilder und die konkrete Be­ zugnahme auf Werke der bildenden Kunst mussten Künstler in besonderem Maße herausfordern, die Divina Commedia in reale Bilder zu übersetzen, man denke nur an die Werke von Botticelli, Raffael, Michelangelo, Doré, Delacroix oder Rodin. Allen voran galt Michelangelo, der sich zeit seines Lebens mit Dante auseinander­ gesetzt hat, als sein einflussreichster Inter­ pret. Und es gibt wohl keinen neuzeitlichen Text, der so häufig illustriert wurde. 1824 wurde William Blake von dem Land­ schaftsmaler John Linnell beauftragt, Il­ lustrationen für Dantes Divina Commedia anzufertigen. Zeitgenossen bezeugen, dass sich der bald 70-jährige Blake zugleich in kürzester Zeit des Italienischen bemäch­ — 24 —

tigte, um Dante im Original lesen zu kön­ nen. In seinen letzten Lebensjahren trafen die wenigen Besucher Blake in seiner Lon­ doner Wohnung, 3 Fountain Court Nähe Strand, meist im Bett sitzend an, „wie einen antiken Patriarchen oder einen sterbenden Michelangelo“, bei der intensiven Arbeit an den Dante-Zeichnungen. Die Verse der Commedia stets vor Augen, füllte er Seite um Seite eines großen, gebundenen Port­ folios mit Kent-Papier im Format von 53 x 37 cm. Dabei zielte er in keiner Weise auf eine gleichmäßige Berücksichtigung aller Textpartien oder gar eine systematische Il­ lustration jedes Gesangs ab. Wie viele an­ dere Künstler fesselten Blake be­sonders die im Inferno geschilderten Höllenqualen. 72 Blätter widmete er dem Inferno, 20 dem Purgatorio und zehn dem Paradiso. Es ging Blake um die unmittelbare Ausein­ andersetzung mit dem poetischen Text, darum, sein expressives Potenzial mit bild­ künstlerischen Mitteln auszuloten und seine Sprachbilder produktiv zu machen. Die einzelnen Zeichnungen befinden sich in sehr unterschiedlichen Stadien der Voll­ endung. Der Grad der Ausführung reicht von skizzenhaft angelegten bis zu voll aus­ geführten Blättern und ermöglicht so einen umfassenden Einblick in die Arbeitsweise des Künstlers. In der souveränen Beherr­ schung der technischen Mittel gelingt es Blake, die ganze Breite existenzieller Erfahrungen auszuschöpfen. Noch wenige Wochen vor seinem Tod ließ Blake, in einem Brief vom 25. April 1827, seinen Auftraggeber Linnell wissen: „Ich bin zu sehr mit Dante beschäftigt, um an irgendetwas anderes zu denken.“

Der korrupte Papst

Der achte Höllenkreis ist in zehn Gräben unter­ teilt, in denen verschiedene Gruppen von kor­ rupten Sündern ihre Strafen erleiden. Der dritte Graben ist den Simonisten vorbehalten, den­ jenigen also, die geistliche Ämter und Würden gegen Geld erwerben oder verkaufen. An den Wänden und auf dem Boden des dritten Grabens befinden sich große Löcher, die ähnlich wie ein Taufbecken gestaltet sind. In jedem steckt kopf­ über ein Simonist, sodass nur die Beine mit den brennenden Fußsohlen herausragen.


„Dantes komplexe Darstellung der Hölle ist ohne Vorbilder, weder in der Literatur noch in der Theologie.“



Der Kreis der Wollüstigen

Der zweite Höllenkreis ist den Wollüstigen vorbehalten, deren Seelen von einem gewaltigen Sturm getrieben werden. Vergil zeigt ihm einige berühmte historische und literarische Gestalten wie Semiramis, Kleopatra, Dido und Helena, aber auch Achill, Paris und Tristan. Dann möchte Dante mit einem der unglücklichen Liebespaare sprechen. Es sind Dantes Zeitgenossen, Francesca da Rimini und Paolo Malatesta. Francesca schildert dem Dichter mit solchem Pathos die Geschichte ihrer unglücklichen Liebe, dass dieser, von Mitleid bewegt, ohnmächtig zu Boden sinkt.



Der Styx mit den kämpfenden Seelen der Zornigen

Im fünften Höllenkreis steigen Dante und Vergil weiter hinab und erreichen den Sumpf Styx. Die Seelen der Zornigen stecken tief im schmutzigen Morast und streiten miteinander. Sie schlagen mit Händen, Kopf, Brust und Füßen aufeinander ein und zerreißen einander mit den Zähnen.

Die Heiligen Petrus und Jakobus mit Dante und Beatrice

Im Paradies hat Dante zuerst die Prüfung des heiligen Petrus über die theologische Tugend, den Glauben, bestanden. Nun kommt der heilige Jakobus herangeflogen, um ihn zur zweiten theologischen Tugend, der Hoffnung, zu befra­ gen. Die beiden mächtigen Apostel sind in lodernde Flammen eingeschlossen und schwe­ ben wie zum Handschlag aufeinander zu.

XL

„Die Göttliche Komödie gilt als das bedeutendste literarische Werk der italienischen Sprache. Das Gedicht beschreibt Dantes Reise durch Hölle, Fegefeuer und Himmel.“ — 29 —

William Blake. Die Zeichnungen zu Dantes Göttlicher Komödie Sebastian Schütze, Maria Antonietta Terzoli Hardcover, 324 Seiten mit 14 Ausklapptafeln € 99,99


Held im Pyjama: Little Nemo – alle Sonntagsseiten, im Ăœberformat


„Dieser Band ist nichts weniger als der Schlüssel zu McCays Zauberwelt, und einen solchen […] gab es bisher nicht einmal in McCays amerikanischer Heimat.“ — Timur Vermes, Welt am Sonntag



Little Nemo is back! Triumph eines Jahrhundertkünstlers Von Alexander Braun

Laufende Betten? Übervölkerte Trabantenstädte auf dem Mars? Zoomeffekte, Jahrzehnte bevor solche optischen Linsen erfunden wurden? Die Zeichenfeder von Winsor McCay (1869–1934) kannte zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Grenzen. Alles, was vorstellbar war, konnte auch gezeichnet werden. Alles, was gezeichnet werden konnte, wurde vor den Augen von Millionen von Lesern real. Die sprühende Energie eines neuen Jahrhunderts, in dem alles möglich schien, entlud sich in der Zeichenfeder des New Yorkers zu einem Disegno der Fantasie und der Spezial­­effekte. Man kann nicht umhin, Winsor McCay als Jahrhundertgenie zu bezeichnen. Er hat nicht nur den Comic mit experimentellen Bildfindungen auf ein ganz neues Niveau gehoben und das Erzählen in Fortsetzungen etabliert, sondern auch den Animati-

haben, umso verblüffender ist seine frühe Obsession für die Darstellung des Unbewussten und umso beschämender die Ignoranz der Kunstgeschichte, die diesen ersten Surrealisten des 20. Jahrhunderts weiterhin sträflich ignoriert. Eigentlich müsste jede Anthologie zum Surrealismus mit Winsor McCay beginnen und nicht mit André Bretons Erstem surrealistischen Manifest 1924. Weit vor Breton zeigte McCay der Welt die fantastische Mechanik

„Eigentlich müsste jede Anthologie zum Surrea­lis­ mus mit Winsor McCay beginnen.“ onsfilm erfunden und mit technischen Innovationen weiterentwickelt, die weit bis in die Zeit von Walt Disney Bestand hatten. Außergewöhnlich waren zu der damaligen Zeit auch seine Themen. Die beiden Hauptserien seines Comic-Œuvres, Little Nemo in Slumberland und Dream of the Rarebit Fiend, handeln beide von Träumen und Albträumen. Allein der Umfang ist keine Petitesse: 549 farbige Folgen Little Nemo, über 900 schwarz-weiße Folgen Rarebit Fiend, das sind fast 1.500 Träume in gut zwei Jahrzehnten! Und: McCays extravagante Traumarbeit begann bereits im Jahr 1904, quasi auf Augenhöhe mit der Erstausgabe von Sigmund Freuds Traumdeutung, die kurz vor 1900 erschien. McCay konnte Freuds Arbeit nicht gekannt Seiten 30–31: The New York Herald (auch alle weiteren), 8. September 1907. Linke Seite: 22. September 1907. Rechts: 31. Juli 1910. Seiten 34–35: 26. Juli 1908. — 33 —

des Traums, fand gültige Bilder für die zersetzende Kraft des Verdrängten. Warum nimmt die Kunstgeschichte das nicht zur Kenntnis? Weil es sich bloß um einen Comic handelt und nicht um Ölfarbe auf Leinwand? Der Comic war zur Jahrhundertwende keine defizitäre Randerscheinung im Potpourri der Entertainment-Industrie, ganz im Gegenteil: Er war ein Leitmedium! Der Comic stellte (zusammen mit der Fotogra-




fie) das erste bildliche Massenmedium des frühen 20. Jahrhunderts dar und trug wesentlich zur Demokratisierung des Bil-

„Die Leser schenkten ihre Gunst nicht der Zeitung mit dem besten Sportteil oder dem aktuellsten Feuilleton, sondern jenem Verlagshaus, das die beliebtesten und besten Comiczeichner unter Vertrag hatte.“ des bei. Während der Film noch an seinen beschränkten technischen Möglichkeiten arbeitete und die Zahl der Zuschauer überschaubar war, erreichte der Comic dank neuester Druckmaschinen ein Millionenheer von Zeitungslesern – und das jeden Tag. Insbesondere die großen Boulevard-

zeitungen erkannten die Zugkraft der Comics. Waren die Sonntagsausgaben der Zeitungen ohnehin gegenüber den Werktagsausgaben mit beigelegten und zum Teil in Farbe gedruckten Magazinteilen privilegiert, so erhöhte ein Druckbogen mit Comicstrips die Attraktivität einer Zeitung enorm. Mit Zeitungen konnte man viel Geld verdienen. Mit Zeitungen, denen Comic-supplements beigelegt waren, noch viel mehr. Die Leser schenkten ihre Gunst nicht der Zeitung mit dem besten Sportteil oder dem aktuellsten Feuilleton, sondern jenem Verlagshaus, das die beliebtesten und besten Comiczeichner unter Vertrag hatte. Im Gegensatz zu späteren Jahrzehnten partizipierten die Schöpfer hier zudem nicht unerheblich an der Wertschöpfung ihrer Kreationen. Setzten sich ihre Figuren erfolgreich am Markt durch, war auch ihr Zeichner ein gemachter Mann. Winsor McCay etwa kam aus einfachsten Verhältnissen, aus einer Holzfällerstadt an den

Großen Seen, hatte sich das Zeichnen mehr oder weniger selbst beigebracht und logierte bereits wenige Jahre nach seiner Ankunft in New York mit seiner Frau und den beiden Kindern in einem stattlichen Haus im Süden Brooklyns, erwarb ein Automobil samt Chauffeur, gönnte sich eine Haushaltshilfe und Köchin und bald auch ein Ferienhaus auf Coney Island. Die amerikanischen Metropolen wuchsen täglich um bis zu 2000 Einwanderer aus der Alten Welt. Sie alle dürsteten nach Brot, Arbeit und einem Dach über dem Kopf. Wenn das Nötigste eher schlecht als recht befriedigt war, verlangten die Neubürger nach Zerstreuung und Unterhaltung. Aber wer konnte das bieten? Das Radio war noch nicht erfunden, und der Film beschränkte sich (noch) auf ein Dasein als Jahrmarktsattraktion. Museen und Theater waren fest in der Hand bürgerlicher Eliten. Blieben also Kuriositätenkabinette in Form von Dime-Museen, Varietés, Freak- oder Side-Shows und der Comic! Die besten Produktionsmittel der Zeit, die teuersten und hochwertigsten Druckmaschinen, die je entwickelt wurden – schnell und vierfarbig –, wurden nicht für den Druck von Bildbänden angeworfen, sondern für Comicstrips. Die Zeitung eines großen Verlages konnte pro Tag eine Auflage von bis zu 1,5 Millionen

„Der Comic agierte an den Rändern der Anarchie und nahm sich inhaltliche und formale Freiheiten heraus, die sich andere Kunstformen schlichtweg nicht leisten konnten, ohne ihre Reputation zu gefährden.“ haben! Das hatte es noch nie gegeben: dermaßen attraktive Darstellungen in Farbe für ein dermaßen großes Massenpublikum und für so kleines Geld. Wenn wir heute in unserer medialen Welt wie selbstverständlich täglich Hunderte von Text- und Bildinformationen „konsumieren“, dann hat das dort seinen Anfang genommen – in den Comicstrips der Jahrhundertwende. Der Comic wusste die Gunst der Stunde zu nutzen: Goldgräberstimmung in einer jungen Kunstform, die noch keine Konventionen ausgebildet hatte. Die Verleger hatten schlicht noch keine Erwartungen an ihre Zeichner, weil niemand so genau wusste, Links: 12. Juni 1910. Rechte Seite: 23. September 1906. — 36 —




was bei den Lesern ankommen würde und was nicht. Andererseits fand das neue Medium auf einem Terrain weit entfernt vom tradierten bürgerlichen Kulturbetrieb statt. Der Comic agierte an den Rändern der Anarchie und nahm sich inhaltliche und formale Freiheiten heraus, die sich andere Kunstformen nicht leisten konnten. So ist das Werk von Winsor McCay nicht

„So ist das Werk von Winsor McCay nicht nur eine Explosion an Kreati­ vität, surrealistischer Fantasie und Art-décoGrandezza, sondern auch ein faszinierendes Sitten­ bild einer Gesellschaft im Aufbruch.“ nur eine Explosion an Kreativität, surrealistischer Fantasie und Art-déco-Grandezza, sondern auch ein faszinierendes Sittenbild einer Gesellschaft im Aufbruch. Höher, schneller, weiter – das frühe 20. Jahrhundert übertraf sich in Superlativen. Die Weltausstellungen stellten Besucherrekorde auf, und neue Erfindungen, vom Riesenrad bis zum Brutkasten für Linke Seite: 10. Juli 1910. Unten: 27. Dezember 1908.

Frühgeborene, versetzten die Menschen in Erstaunen. Die Bühnen am Broadway waren nicht nur die größten der Welt, sondern konnten gar für eine Wassershow geflutet werden. Die Musicalfassung von McCays Little Nemo war 1908 die aufwendigste und teuerste Bühnenshow, die jemals realisiert wurde. Und dennoch: Trotz der wirtschaftlichen Bedeutung des Comics in seiner Zeit und seines besonderen Stellenwertes für unsere heutige multimediale Kommunikationsgesellschaft droht dem Medium der Verfall. Den prächtigen farbigen Seiten der großen amerikanischen Sonntagszeitungen der Jahrhundertwende ist nur noch eine Lebensdauer von wenigen Jahren vergönnt, dann wird das übersäuerte und gebräunte Papier unwiederbringlich zerstört sein. Wo sind die großen Initiativen, die die Pioniertage des Comics retten, in neue historische Zusammenhänge stellen und damit für spätere Generationen als kulturelles Erbe zugänglich machen? Hier ist eine: Winsor McCays kompletter Little Nemo in Slumberland! Zum ersten Mal seit seiner Erstveröffentlichung ist McCays berühmteste Serie zusammenhängend zugänglich: alle 549 Folgen von 1905 bis 1927. Restauriert, farbkorrigiert (um dem damaligen Leseerlebnis so authentisch wie möglich zu entsprechen) und in einem übergroßen Format, damit dem

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Leser kein Detail entgeht! Ergänzt wird der Reprint durch ein umfangreiches Begleitbuch, das mit mehr als 600 Abbildungen die Entstehungszeit des Comics beleuchtet, Originalzeichnungen zeigt sowie in Leben und Werk von Winsor McCay einführt. Mehr McCay, mehr Little Nemo geht nicht. Damit manifestiert sich Winsor McCay endgültig als einer der wichtigsten Exponenten der Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts, dessen Bedeutung weit hinüberstrahlt in den Bereich der bildenden Kunst! Little Nemo is back! Und wird so schnell auch nicht wieder in Vergessenheit geraten. Ein später Triumph.

Winsor McCays Little Nemo – Gesamtausgabe Alexander Braun Hardcover, 2 Bände, 708 Seiten € 150


Weltende in Farbe Die wiederentdeckten Autochrom-Fotografien aus dem Ersten Weltkrieg

„… eröffnet einen neuen und völlig anderen Blick auf die Geschichte.“ — FotoMagazin, Hamburg


Paris, Rue Greneta, September 1915

Im September 1915 nahm Léon Gimpel in Paris in der Rue Greneta eine Serie mit Autochromen von Kindern auf, die für ihn ihr Kriegsspiel nachstellten. Die Bilder führen nicht zuletzt vor Augen, wie stark der Hass auf den deutschen Aggressor war und mit welcher Geläufigkeit die Kinder damit aufwuchsen. Der Titel des Fotos lautet: Auszeichnung der siegreichen Soldaten. Foto: Léon Gimpel


Weltkrieg Eins, verstörend real Von Peter Walther

Bis heute ist kaum bekannt, dass der Weltkrieg von 1914 bis 1918 die erste größere Auseinandersetzung war, in der das damals noch junge Medium Farbfotografie genutzt wurde. Da nur wenige Tausend Farbaufnahmen in den Archiven überliefert sind, kennen die meisten von uns die historischen Ereignisse, das Alltagsleben und die Schrecken dieses dramatischen Konflikts nur in monochromen Darstellungen. Die Schützengräben, die Soldaten und die 16 Millionen Toten dieser „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ existieren in unserem kollektiven Gedächtnis nur in SchwarzWeiß-Bildern, wodurch sie von unserer Gegenwart noch weiter entfernt scheinen. Das Autochrom-Verfahren, mit dem sich lange nur Spezialisten und Enthusiasten

beschäftigten, fand jüngst zunehmend mehr Aufmerksamkeit und führte dazu, dass nun eine breitere Öffentlichkeit den Ersten Weltkrieg staunend in Farbe wahrnimmt. Dieses 1904 von den Brüdern Lumière patentierte Verfahren basierte auf einer Glasplatte, die auf einer Seite mit winzigen farbigen Stärkepartikeln überzogen war, die die Aufgabe der bisher verwendeten drei Farbfilter übernahmen. Die Partikel gaben den Autochrom-Aufnahmen einen besonderen ästhetischen Reiz und ließen sie wie pointillistische Gemälde wirken. Während des ganzen Ersten Weltkriegs diente die Fotografie auf allen Seiten militärischen und propagandistischen Zwecken. Allein auf deutscher Seite waren im Herbst 1916 400 Mitarbeiter mit der Aufnahme

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und Auswertung von Luftbildern beschäftigt. Darüber hinaus entstanden in den von den Deutschen besetzten Gebieten Hunderttausende Passbilder zur Registrierung

„Zum ersten Mal in einem Krieg wurden aber auch millionenfach Privatbilder zur persönlichen Erinnerung oder zur Veranschaulichung des Frontlebens für die Familie aufgenommen.“ der Bewohner. Zum ersten Mal in einem Krieg wurden aber auch millionenfach Privatbilder zur persönlichen Erinnerung oder zur Veranschaulichung des Front-


lebens für die Familie aufgenommen. Im Vergleich zu dem Heer von Fotoamateuren nimmt sich die Anzahl der offiziellen bzw. akkreditierten Bildberichterstatter bescheiden aus: 15 waren es in der französischen Armee, 19 in der deutschen, 16 bei den britischen Streitkräften, drei bei den australisch-neuseeländischen und zwei bei den kanadischen Truppen. Während der Krieg von Beginn an auch ein Krieg der Worte war, ein verbales Gefecht, in dem es um die Deutungshoheit über Begriffe wie Kultur und Barbarei ging, wurde der Wert der Fotografie für die Propaganda auf allen Seiten zunächst unterschätzt. Je mehr sich die Auseinandersetzung jedoch zum zermürbenden Stellungskrieg entwickelte, umso wichtiger wurde die öffentliche Meinung im In- und Ausland. Nun setzten auch die Militärs auf die propagandistische Wirkungsmacht der Fotografie. Ab 1915 begann die Institutionalisierung der Foto- und Filmarbeit innerhalb der militärischen Strukturen. Besonders früh erkannte Churchill,damalsMarineminister,dieBedeutung der Propaganda. Nach der Niederlage der Briten und Franzosen beim Kampf um die türkische Halbinsel Gallipoli im April 1915 wurde zum ersten Mal diskutiert, den britischenStreitkräftenoffizielleBildberichterstatter beizuordnen. Ausgewählt wurde Ernest Brooks (geb. 1878), der ehemals als Pressefotograf für den Daily Mirror gearbeitet hatte. Die Bevölkerung im Heimatland sollte mit den Fotos beruhigt und nicht etwa durch die Darstellung der wahren Schrecken des Kriegs entmutigt werden. Setzt man die Menge der entstandenen Farbaufnahmen ins Verhältnis zu der gesamten fotografischen Überlieferung aus dem Ersten Weltkrieg, so erscheint sie verschwindend gering: Etwa 4.500 Autochrome mit Motiven des Kriegs und der Kriegsfol-

„Die Fotografie diente nunmehr auf allen Seiten militärischen und propagandistischen Zwecken.“ gen sind überliefert, wovon die meisten von Castelnau, Cuville, Gervais-Courtellemont und Tournassoud aufgenommen wurden. Das macht weniger als ein Tausendstel aller Schwarz-Weiß-Fotos aus dem entsprechenden Zeitraum aus. Bei der Frage, welchen Ausschnitt der Wirklichkeit uns die Bilder vermitteln, darf nicht außer Acht gelassen werden, unter welchen Bedingungen und Oben: Deutsche Soldaten in einer Schützengraben-Kantine, ca. 1915. Foto: Hans Hildenbrand Gegenüber: Österreichische Kriegsgefangene in Karelien, in der Nähe von Kiappeselga, 1915. Im Ersten Weltkrieg starb jeder vierte Soldat der Mittelmächte, der in russische Gefangenschaft geriet. Foto: Sergei Prokudin-Gorskii

mit welcher Absicht die Fotos damals aufgenommen wurden: Es handelt sich nicht um Momentaufnahmen der Wirklichkeit, sondern um sorgfältige Inszenierungen, bei denen technische und ästhetische Erwägungen ebenso zählten wie die Bildaussage. Kaum eines der Fotos ist unter Lebensgefahr an vorderster Front entstanden. Dies ließ schon die Schwerfälligkeit der Fotoausrüstung, die mit Platten, Stativ und verschiedenen Objektiven bis zu 15 Kilogramm wog, nicht zu. Gegen Schnappschüsse sprachen auch die relativ langen Belichtungszeiten von Autochrom-Platten – sechs Sekunden mussten die Porträtierten bei bedecktem Himmel stillhalten, bei Sonne war es immerhin noch eine ganze Sekunde. Die Farbe im Foto wirkt aus dem Abstand von einem Jahrhundert befremdlich, zugleich lässt sie das Geschehen in beängstigende Nähe zur Gegenwart rücken. Stellt man die zeitgenössischen Wirkungsabsichten und den

spezifischen Ausschnitt der Wirklichkeit in Rechnung, erlauben uns diese Bilder einmalige Einblicke in unsere Vergangenheit. Sie versetzen uns mit überraschender Unmittelbarkeit zurück in eine Katastrophe, die die Welt unwiederbringlich veränderte.

Der Erste Weltkrieg in Farbe Peter Walther Hardcover, 384 Seiten € 39,99



Wie die Fotos farbig wurden Seit wann gibt es echte Farbfotos?

Schon im 19. Jahrhundert gab es einzelne Versuche, Fotos in Farbe aufzunehmen. Ab 1902 wurde das Dreifarbensystem für professionelle Zwecke im Buch- und Zeitschriftendruck eingesetzt. Im Amateurbereich setzte sich die Farbfotografie mit der Einführung der Autochrom-Technik 1907 durch.

Worin unterscheiden sich Farbfotos von nachkolorierten Schwarz-Weiß-Fotos?

Bis heute besteht jedes Farbfoto eigentlich aus drei Schwarz-Weiß-Fotos. Darin sind die Farbinformationen für die drei Grundfarben getrennt als Helligkeitswerte enthalten. Durch die Kombination der drei Farben lässt sich jede andere Farbe darstellen. Diese Bildinformationen werden auf verschiedene Weise gespeichert: auf drei Teilen der Fotoplatte (Dreifarbenfotografie), nebeneinander als Rasterpunkte (bei den Autochromen und beim Sensor der Digitalkamera)

oder übereinander (in den drei Schichten eines Farbfilms). Dabei werden jedes Mal authentische Farbeindrücke aufgenommen. Im Unterschied dazu enthalten nachkolorierte Schwarz-Weiß-Fotos lediglich Farben, die aus der Erinnerung und teilweise aus der Fantasie nachempfunden wurden. Warum werden diese Autochrome erst jetzt gezeigt? Man wusste immer von den Bildern, aber sie waren in einem so schlechten Zustand, dass wir wenig damit anfangen konnten. Nur dank den Mitteln der modernen digitalen Technologie können wir die OriginalPlatten nun scannen und hochwertige Reproduktionen anfertigen. Stumpfe und häufig auch beschädigte Originale wurden zu brillanten Farbfotos. Die digitale Welt hat natürlich auch dazu beigetragen, dass wir besseren Zugang zu entlegenen Fotoarchiven auf der ganzen Welt haben.

Gegenüber: Ruine einer zerstörten Schmiede in der Rue des Trois Raisinets, Reims, 1917. Foto: Fernand Cuville Oben rechts: Schützengraben in der Champagne, Spätsommer 1915, stereoskopes Autochrome. Stereoskope Fotografie gab es schon seit Mitte der 1850er-Jahre. Foto: Hans Hildenbrand Oben: San Francisco nach dem Erdbeben, 1906, Hälfte einer Stereo-Dreifarbenfotografie. Foto: Frederic Ives Rechts: Peterstraße zur Zeit der Leipziger Messe, Frühjahr 1914. Bei der Dreifarbenfotografie wurden nacheinander drei Platten mit unterschiedlichen Filtern belichtet, was die Aufnahme von bewegten Motiven zum Problem werden ließ. Foto: Franz de Grousilliers, Rudolf Hacke Ganz rechts: Weihnachten in Nikolskoje, Russland, 1911. Der Christbaum mit kleinen Papierfahnen verschiedener Nationen symbolisierte die Hoffnung auf Völkerverständigung zu einer Zeit, in der sich der politische Horizont bereits verdüsterte. Foto: Piotr Vedenisov — 45 —

Welchen besonderen Blick auf den Ersten Weltkrieg bieten uns diese Bilder? Wie die meisten während des Ersten Weltkriegs aufgenommenen Bilder dienten auch diese Fotos oft Propagandazwecken. Aufgrund der technischen Grenzen des Autochrom-Verfahrens konnten die Fotografen außerdem nur statische Szenen einfangen. Trotzdem sind die Bilder von unschätzbarem Wert; sie sind die lebensnächste Darstellung des Ersten Weltkriegs, die wir haben. In Farbe wirken die Menschen, die Landschaften und viele Details dieses Konflikts trotz der 100 Jahre, die seitdem vergangen sind, viel gegenwärtiger.


Born to be bad: Das verbotene Hollywood der 1930er-Jahre

Als vor einigen Jahren eine neue Restaurierung des Films Tarzan and His Mate (Tarzans Vergeltung) herauskam, versetzte sie selbst hartgesottene Kenner in Erstaunen. Da tauchte der Schwimmund Filmstar Johnny Weissmuller spärlich bekleidet ein paar Kurven für die Unterwasserkamera – begleitet von einer splitternackten Jane. Josephine McKim, wie Weissmuller eine olympische Goldgewinnerin im Schwimmen, fungierte als Nacktdouble für seine Filmpartnerin Maureen O’Sullivan. So freizügig konnte es in der frühen Tonfilmzeit schon einmal zugehen. 1934, das Entstehungsjahr von Tarzan and His Mate, markiert aber auch das Ende dieses kurzen Frühlings. Nicht nur Tarzans paradiesische Freikörperkultur ging damals für Jahrzehnte verloren. Hollywood hatte sich einer Selbstzensur unterworfen, einem Code der guten Sitten. Inzwischen führen die vor seiner strikten Durchsetzung entstandenen Filme als „Pre-Code-Movies“ ein zweites Leben auf Festivals und DVDs - und genießen Kultstatus. Und auch den Namen des konservativen Filmpolitikers William Hays kennt man wieder – als Erfinder des nach ihm benannten „Hays Code“. Hays war ein kleiner, einfacher Mann aus Indiana, ein Presbyterianer mit frommem, ovalem Gesicht und Segelohren. Über zwei Jahrzehnte lang vermittelte Hays durchaus erfolgreich die Interessen

Hollywood in the 30s Daniel Kothenschulte, Robert Nippoldt Hardcover, 160 Seiten Bei TASCHEN nicht auf Deutsch erhältlich

der jungen Industrie nach Washington. Er schlichtete Rivalitäten zwischen den Studios und beruhigte alle Konservativen im Lande, und da gab es eine ganze Menge, die Hollywood als das neue Babel sahen. Dazu verfasste er mit den Repräsentanten der Studios im Jahre 1927 sein berüchtigtes Regelwerk: Der „Hays Code“ bestand aus elf Verboten und

Freizügige Pre-Code-Movies und weitere auf­regende Geschichten aus der Traumfabrik 26 sogenannten Pass aufs. Nicht in Filmen dargestellt werden durften in der Reihenfolge der Liste unter anderem: Blasphemie, Nacktheit (inklusive Schattenriss), verbotene Drogen, sexuelle Perversion, Prostitution, sexuelle Beziehungen zwischen der schwarzen und der weißen Rasse und Geburten. Dennoch gilt Hays’ Name heute etwas zu Unrecht als Synonym für Filmzensur. Wirklich befolgt wurde sein Code erst, als er 1934 seinen irisch-katholischen PR-Mann Joe Breen zum Chefzensor machte. Nun ging es zu wie in einer Diktatur. Kein Film durfte produziert werden, bevor er nicht dem Drehbuch zugestimmt hatte. Und fertige Filme wurden erst durch sein „Siegel“ für die Filmtheater, die dem Dachverband angehörten, akzeptabel. Eine Strafe von 25.000 Dollar bekräftigte, dass es diesmal keine Schlupflöcher mehr geben könnte. Das erste Exempel statuierte man – wer wäre

besser geeignet – an Mae West, deren Film It Ain’t No Sin radikal entschärft wurde und fortan den harmlosen Titel Belle of the Nineties trug. Doch auch viele der älteren Filme kamen noch unter Breens Messer, sobald sich ein Studio zu einer Wiederaufführung entschloss. Diese Schnitte vollzog man meist unwiederbringlich im Negativ, sodass spätere Zuschauer den Eindruck gewinnen konnten, die frühen Tonfilme seien lückenhaft erzählt. Lange hielt man die zuvor entstandenen frühen Tonfilme für theatralisch und langatmig. Das Gegenteil ist der Fall. Es sind oft rasant erzählte Filme, und ihr Feuer verdanken sie vielfach selbst­bewussten Frauenfiguren – gespielt von Stars wie Jean Harlow, Clara Bow, Constance Bennett, Miriam Hopkins oder Norma Shearer.


„Achtung, Zensur!“ 1 Mord, Rache 2 Provozierende Entblößung 3 Reizwäsche 4 Brutalität 5 Drogen und Drogenschmuggel 6 Alkoholmissbrauch 7 Tiefer Ausschnitt 8 Glücksspiel 9 Zielgerichtete Pistole 10 Thompson-Maschinenpistole



Tiki –Verwilderungsfantasien made in USA Von Marc Lambron

Kirsten parkt den Ford vor einem Restaurant in Glendale: Damon’s. „Aloha, willkommen auf unserem kleinen Atoll“, sagt er lächelnd und öffnet die Tür. Innen erwarten den Besucher pazifische Ministatuen aus der Ära Eisenhowers, ein diskret beleuchtetes Aquarium, von der Decke hängende Einbaumkanus und eine exotische Cocktailkarte für Geschäftsmänner à la Mad Men. Schneien vielleicht gleich Angie Dickinson oder Jack Lemmon herein? Und was hat dieses Polynesien aus Plastik eigentlich hier im Los Angeles von Rihanna und Matthew McConaughey zu suchen? Das ist die Frage aller Tiki-Fragen. „Der Tiki-Stil“, erklärt unser Experte für innerstädtische Lagunen, während er an der Bar einen Mai Tai schlürft, „ist das verlorene Paradies des amerikanischen Dolce Vita. Schon in den 1930er-Jahren entdeckte das

ebenfalls künstliche Eden namens Hollywood sein exotisches Pendant in Polynesien. Alles fing mit dem John-Ford-Film Hurricane (... und dann kam der Orkan) an, in dem Dorothy Lamour eine verführerische Inselschönheit spielt. Tikis stellen bei den Maori den ersten Menschen dar, aber auch Phallussymbole und den Gott der Künstler. Hollywood verwan-

„Sex und Urlaub bildeten die Grund­lage der Tiki-Mode.“ — Sven Kirsten delte den Kult jedoch in etwas ganz anderes. Inspiriert wurde die neue Modewelle von dem Filmmusical South Pacific, Vorbild für die kitschigen Filme, die Elvis später auf Linke Seite: Eine Hohepriesterin und eine flammende Osterinselstatue bewachen das Portal zum Restaurant Kahiki in Columbus, Ohio, dem Flaggschiff des Tiki-Pop. Oben: Das comichafte Maskottchen „Mr Bali Hai“ des Restaurants Bali Hai in San Diego. Beide sind nach einem populären Song benannt. Links: George Ono, der Barmanager des Kahiki, präsentiert stolz seine Kreationen.

Hawaii drehte. Zur gleichen Zeit verfolgte die ganze Welt gebannt die Reise der KonTiki, eines präkolumbischen Floßes, mit dem eine Expedition von Peru nach Polynesien segelte, um zu beweisen, dass Polynesien von Südamerika aus besiedelt worden war. Hollywood vereinnahmte den Kapitän, Thor Heyerdahl, indem es ihm 1951 den Dokumentarfilm-Oscar verlieh. „Das war die Dämmerung der Tiki-Ära“, sagt Kirsten. Der Tiki-Stil färbte auch auf die Idole der Leinwand ab. Frank Sinatra kippte Mai Tais. Marlon Brando, während der Dreharbeiten zu Meuterei auf der Bounty von den örtlichen Attraktionen bezaubert, kaufte eine polynesische Insel und heiratete den tahitianischen Star des Films. Dann setzte das Merchandising ein, frei nach dem Motto: Die Realität ist eine Insel, auf der du der Held bist. Schlemmertempel wie Don the Beachcomber oder Trader Vic hatten bald ganz Amerika mit ihren Tiki-Ketten inklusive Ananas, Plastikvegetation und freundlichen Hostessen überzogen. Sie servierten — 49 —


Oben: Ein komischer Unheiliger: „The Goof“ wachte über den Tiki-Tempel „The Hut“. Unten: „Miss Tacoma Home Show 1964“ mit Wohnzimmergötzen.

ihren Gästen Cocktails, die vom jamaikanischen Planter’s Punch oder dem kubanischen Daiquiri inspiriert waren. „Sex und Urlaub bildeten die Grundlage der Tiki-

„Ich mag den Humor dieser Objekte, sie haben dieselbe Düsternis wie B-Movie-Fantasien.“ — Josh Agle, aka Shag

Mode“, sagt Kirsten mit einem Augenzwinkern. „Die Ferienressorts wurden nach polynesischem Vorbild gebaut, das Gauguin’sche Traumdorf wurde zum Urlaubsort des Durchschnittsamerikaners. In dem ‚HulaMädchen‘ der Tiki-Kunst fand der sexuelle Puritanismus der 1950er ein Ablassventil. Ein ethnovisuelles Alibi.“ In Disneyland gab es ein „Tiki-Zimmer“ mit Tieren und automatisch gesteuerten Statuen – Vorläufer der Animatronic. Sogar Playboy-Herausgeber Hugh Hefner setzte auf Tiki-Optik, indem er seine Playmates vor Wasserfällen und Witco-Schnitzereien posieren ließ. „Die amerikanische Realität ist ein Konstrukt“, meint Sven Kirsten. „Die Ethnologie einer Täuschung sagt uns etwas über Sehnsüchte. Die Männer mit Aktentaschen, die in einem klimatisierten Albtraum leben, die Männer, die Billy Wilder in Das verflixte 7. Jahr und Das Appartement porträtierte, träumten beim Kauf einer Waschmaschine von barbusigen Tahitianerinnen. Anstelle der unerreichbaren Exotinnen — 50 —

stellten sie Tiki-Statuen wie Gartenzwerge rund um den Grill auf und fragten sich, wie man zurück zur Natur findet, wenn man neben einem Flughafen wohnt.“ Kirsten durchstöberte Antiquitätenläden und Flohmärkte, spürte Zeitzeugen auf, suchte im Telefonbuch von Los Angeles nach Restaurants und Wohnanlagen mit hawaiianisch klingenden Namen und ließ sich bei seinen Expeditionen von der Höhe der Palmen leiten. Nun ist er gern bereit, einige seiner Funde mit uns zu teilen. Marc Lambron ist Romancier und Mitglied der Académie française.

Tiki Pop Sven Kirsten Hardcover, 384 Seiten € 39,99


GRADUATE

F A L K E • P.O.BOX 11 09 - D-57376 SCHMALLENBERG / GERMANY


Ich hoffe, die Jungs zupfen heut’ Abend nicht zu heftig an meinem Rock Gil Elvgren für den Brown & Bigelow Kalenderverlag, 1946.


Nur nicht so schüchtern, Süßer! Dian Hansons wunderbare Welt der Pin-ups

„Ein Fest für die Augen – aber auch für’s Hirn, dank seines Reichtums an Informationen“ — Lui magazine, Paris


DER SELTSAME PIN-UP-PRINZ Von Dian Hanson

Hund nach und ließ sich all seine Zähne mit Gold überkronen. Gold war Wards Gott. 1903 jagte er ihm in Arizona nach, folgte dann dem Rausch 1906 nach Alaska und landete schließlich in National, Nevada, einer Goldgräberstadt. Hier schmuggelte Ward Erz aus den Minen von Bergbaugesellschaften, um eine Reise nach Mexiko zu finanzieren, wo er sich dem Kampf von Pancho Villa anschloss. Die Probleme der Bauern interessierten Ward nicht, doch er bewunderte den extravaganten Villa, der ihm die Häute des Viehs überließ, das er stahl, um seine Truppen zu ernähren. Ward verkaufte die Tierhäute in Texas und verdiente so 70.000 Dollar in drei Jahren. 1916 verließ er Mexiko. Zwei Jahre lang ließ er die Puppen tanzen, dann wurde er in Denver verhaftet und wegen Kokainhandels zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Als Bigelow im Gefängnis eingeliefert wurde, war Ward Vertrauensmann im Knast, hatte viele Freunde und besondere Privilegien. Ward kam zu Ohren, dass andere Insassen den reichen Geschäftsmann schikanierten, und bot dem verängstigten Mann einen Handel an: Schutz im Gefängnis gegen einen Job, wenn er wieder rauskam. Dankbar akzeptierte Bigelow das Angebot. Als Ward dann kurze Zeit später tatsächDer Kalenderverleger Herbert Bigelow war ein vorausschauender Geschäftsmann, technisch mit seinem Betrieb immer auf der Höhe der Zeit, doch leider auch distanziert, arrogant und in finanziellen Dingen etwas halbseiden. 1923 stand er wegen Steuerhinterziehung vor Gericht und landete für zwei Jahre im Knast. Dort traf er auf Charles Ward, einen Mann, der von Geburt an für eine Haftanstalt bestimmt war. 1886 im rauen Milieu der BremertonMarinewerft bei Seattle geboren, machte Ward bereits mit 14 Botengänge für örtliche Kneipen. Mit 16 trainierte er einen Kampfhund, der den besten Kampfhund der Marine bei einem Wettspiel besiegte, was ihm 1000 Dollar einbrachte. Die Hälfte des Gewinns gab er für einen Goldzahn im Maul des Hundes aus. Im Laufe der nächsten Jahre eiferte Charlie seinem — 54 —

lich in St. Paul auftauchte, war Bigelow zunächst nicht sonderlich begeistert. Doch zu seiner Überraschung erwies sich Ward als fleißiger Mitarbeiter mit innovativen Ideen. Er stieg im Unternehmen rasch auf, hielt sich stets in der Umgebung Bigelows auf und bezeichnete ihn als seinen besten Freund. Was der verweichlichte Bigelow für den Kumpel mit Goldzähnen empfand, ist nicht überliefert, aber um 1930 war

„Im Laufe der nächsten Jahrzehnte eiferte Charlie seinem Hund nach und ließ sich all seine Zähne mit Gold überkronen.“ Ward Direktor und stellvertretender Geschäftsführer des Unternehmens. Dank Charlie wurde Rolf Armstrong der bestbezahlte Pin-up-Künstler Amerikas; Charlie war es auch, der Earl Moran 1937 für 10.000 Dollar pro Jahr plus Ateliermiete und Modellhonorare verpflichtete und Gil Links: Eine siegreiche Allianz, Rolf Armstrong, 1945. Unten: Vertretermuster einer von Brown & Bigelow produzierten, mehrfach gefalteten WeihnachtsWerbekarte mit einem Bild von Bill Medcalf, um 1948.


Der extravagante Exhäftling – und Präsident des Brown & Bigelow Kalenderverlags – Charlie Ward, bekannt für seine verschwenderischen Partys, exotischen Autos, soliden Goldzähne und großartigen Pin-up-Kalender.



Elvgren 1944 mit dem verführerischen Angebot von 2000 Dollar pro Bild von Louis F. Dow abwarb. Entgegen hartnäckigen Gerüchten war es jedoch nicht Charlie, der am 19. September 1933 Bigelows Kanu auf dem Basswood-See zum Kentern brachte und ihn absaufen ließ, während der Bootsführer mitsamt Begleitung ans sichere Ufer schwamm. Allerdings erbte Charlie die Firma und ein Drittel von Bigelows Vermögen – ganz so, wie es ein Testament bestimmte, das kurz vor dem Unfall aufgesetzt worden war. So begannen die Herrschaft von Ward und das Goldene Zeitalter von Brown & Bigelow. Charlie stellte nun Exhäftlinge ein und half insgeheim Männern, die noch im Gefängnis saßen. Doch eine Sonderbehandlung gab es für seine Exknackis nicht. Schonungslos trieb er allesamt an, belohnte Spitzenkräfte mit Bonuszahlungen und Pin-up-Originalen und feuerte den Rest. Die Umsätze von B & B waren so hoch, dass einige Exangestellte gar ihr eigenes Glück versuchten und den Shaw-Barton-Kalenderverlag gründeten.

So unnachgiebig Ward auch als Geschäftsmann war, seinen Künstlern zahlte er mehr als jeder andere Kalenderverlag, ganz zu schweigen von den Zeitschriften. 1939 erhielt George Petty für eine Doppelseite in der Zeitschrift Esquire 100 Dollar, während B & B für ein vergleichbares Bild 1000 Dollar hinblätterte. Kein Wunder, dass jeder Pin-up-Künstler einen Vertrag mit B & B schließen wollte. Ward spendete auch so auffällig für wohltätige Zwecke, dass Life ihn als den „großzügigsten Mann der Welt“ bezeichnete. Diejenigen, die mit den finanziellen Verhältnissen von B & B vertraut waren, setzten dem entgegen, dass Charlie Ward am liebsten aber sich selbst gegenüber spendabel war. Zu seinem Luxusleben gehörten diverse Anwesen, er verfügte über eine Flotte außergewöhnlicher Autos, veranstaltete wöchentlich Partys für Hunderte von Gästen und hatte in seinen Taschen stets goldene Feuerzeuge, auf denen sein Name eingraviert war und die er Kellnern und Hotelpagen als Trinkgeld in die Hand drückte. Und freilich: Mit Diamanten und Goldschmuck war er besser ausgestattet als jeder Rapper der 1990er-Jahre. Die größte Extravaganz leistete sich Ward Linke Seite und unten: Der Künstler Gil Elvgren fotografierte die Vorlagen zu seinen Pin-ups selbst, zum 60. Firmenjubiläum 1956. Mit der so auch diese Aktstudien, nach denen er die Bilder größten zivilen Luftbrücke der amerikafür den Brown-&-Bigelow-Kalender 1952 malte. nischen Luftfahrtgeschichte ließ er 1800 Rechts: Nachdem sie für dieses Buch drei Jahre lang Keller und Dachböden im Mittleren Westen Verkäufer, Künstler und ihre Familien zu durchstöbert hatte, präsentiert die Herausgeberin vier Tage andauernden Bacchanalien nach Dian Hanson nun stolz das erste Exemplar samt seiner schicken Trageschachtel. St. Paul einfliegen. Man speiste Fasan und

„1939 erhielt George Petty für eine Doppelseite in der Zeitschrift Esquire 100 Dollar, während B & B für ein vergleichbares Bild 1000 Dollar hinblätterte. Kein Wunder, dass jeder Pin-up-Künstler einen Ver­trag mit B & B schließen wollte.“ Büffel und schlürfte Champagner – doch hinter der glänzenden Fassade sah es für B & B längst nicht mehr gut aus. Ward hatte das Unternehmen 1948 an die Börse gebracht, doch Mitte der 1950erJahre fraß sein Lebensstil die Gewinne auf und trieb die Aktienwerte nach unten. Als er am 26. Mai 1959 mit 73 Jahren in einem Hotelzimmer in Beverly Hills im Schlaf verstarb, hatte er mit seinem autokratischen Führungsstil dafür gesorgt, dass kein Nachfolger in der Lage war, das Unternehmen zu leiten. Aus Furcht, die Aktienwerte könnten noch tiefer fallen, verkauften die Verantwortlichen B & B schnell an die — 57 —

Standard Packaging Corporation, die drastische Einschnitte vornahm und das Unternehmen 1970 an Saxon Industries veräußerte. Während jener Saxon-Jahre wurde ein Katalog sämtlicher Pin-up-Werke im Besitz von B & B erstellt: Mehr als 1000 Armstrongs, Buells, Elvgrens, MacPhersons, Morans, Mozerts und Runcis wurden mit Preisen von 25 bis 100 Dollar bewertet. Ein Pin-up nach dem anderen wurde verkauft, und als die Verkäufe ins Stocken gerieten, wurden die restlichen Bilder im Zehnerpack für 100 Dollar verscherbelt. 1983 meldete Saxon Insolvenz an. Bis 1988 dämmerte die Firma noch dahin, dann wurde sie von William Smith Sr. aufgekauft, der sie mit seinen beiden Söhnen noch heute betreibt. Die Kunstwerke sind zwar weg und Kalender nicht mehr das Hauptprodukt des Unternehmens, doch haben die Smiths das umfangreiche Kalenderarchiv von B & B und das dazugehörige Copyright bewahrt. So verkaufen sie nun Lizenzen zum Abdruck von Bildern von Gil Elvgren, Rolf Armstrong, Zoë Mozert und anderen.

XL

The Art of Pin-up Dian Hanson Hardcover, 544 Seiten € 150


„Art Frahms vergnüglich-abstruse Darstellungen zeigen junge Ehefrauen, die versuchen, im Alltag klarzukommen, bis ihnen irgendwann doch noch das Höschen auf die Knöchel rutscht.“ — Sarahjane Blum, Grapefruit Moon Gallery

Schütteltest, eine von 12 Kalenderillustrationen von Art Frahm,

für seine Serien „peinlicher Zwischenfälle“ berüchtigt, bei denen die Unterwäsche junger, mit Einkäufen beladener Frauen jedes Mal für Verlegenheit in aller Öffentlichkeit sorgt, 1955.

Komm und hol dir ’ne Portion von Gil Elvgren

ist im Buch als Teil einer vierteiligen Ausklappseite abgebildet, auf der Elvgrens Cowgirl-Pin-ups gewürdigt werden; weitere Ausklappseiten sind in den Kapiteln zu George Petty und Alberto Vargas zu finden, 1959.

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Ein Bild von Bill Medcalf aus dem Kalender für Celebrity-Reifen von Kelly, Springfield (Ohio),

produziert von Brown & Bigelow, um 1954. Medcalf malte sowohl Autos als auch Frauen besonders gut und war entsprechend für Aufträge der Automobilbranche zuständig.

Earle Bergey gestaltete

zahlreiche Titelseiten für Silk Stocking Stories, High Heel Magazine und viele andere Zeitschriften, um 1935.

Miss January ’52 von George Petty. Er illustrierte die

RIGID-Kalender für 1952 und 1953, heute gesuchte Sammlerstücke.

„Was hatte es mit diesen Ballettschuhen auf sich? Im Gegensatz zu seinem häu­f igen Einsatz von Telefonen, die Bildtexte erleichterten, ließ Petty sich nie darüber aus.“ — Dian Hanson

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Der Schleier von Alberto Vargas.

Auch wenn dieses Bild auf 1924 datiert ist – inzwischen wissen wir, dass Vargas seine frühen Werke Jahre später nachträglich und viele zeitlich falsch eingeordnet hat. Die Kunstfertigkeit, die in diesem Akt zum Ausdruck kommt, lässt den Schluss zu, dass das Bild während seiner Zeit bei der Twentieth Century Fox, also zwischen 1930 und 1939, entstanden ist.

Als er für den Esquire arbeitete, schlug der Verleger Vargas vor,

seine Bilder unter dem abgekürzten Namen Varga zu veröffentlichen. Als sich der Künstler 1948 endlich aus dem Knebelvertrag mit der Zeitschrift lösen konnte, veröffentlichte er als Varga seinen eigenen, hier abgebildeten Pin-up-Kalender. Prompt hatte er eine Klage des Esquire am Hals, der sich die Rechte auf den Künstlernamen gesichert hatte.

Ein Werk von Peter Driben für das Cover der Oktober-Ausgabe der 1944 erstmals heraus­ gegebenen Zeitschrift Wink,

eines der sechs Kult-Magazine, die Robert Harrison in den 1940er- und 1950er-Jahren veröffentlichte. Dazu gehörten neben Wink Beauty Parade, Eyeful, Titter, Flirt und Whisper, die allesamt mit Titelbildern von Driben auf den Markt kamen, 1950.

„Alberto Vargas’ Leben war eine einzige Liebesgeschichte. Er liebte seine Mutter, er liebte seine Gattin, er liebte Frauen, und er liebte das Malen.“ — Theron Kabrich, San Francisco Art Exchange

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Paris gehรถrt uns Links und rechts der Seine mit Robert Doisneau


„Ich mache eine Reportage über Saint-Germain-des-Prés – die Kellerlokale, die Leute, die Künstler – eben alles, was die vorderste Front der westlichen Zivilisation ausmacht.“ — Robert Doisneau

Chez Inès, Saint-Germaindes-Prés, 1949.


Tatis Fahrrad (Paris, 1949)

Jacques Tati war einer von zahlreichen Künstlern, die von Doisneau porträtiert wurden.

„Er ist der penibelste Künstler, den ich kenne. Tati verbrachte zwei Stunden damit, das alte Fahrrad zu zerlegen. Diese Geduld hat er mit allen mechanischen Vorgängen: Auch ein Gag läuft mit der Präzision eines Uhrwerks ab.“

— Robert Doisneau


Mademoiselle Anita, La Boule Rouge, Paris, 1951 Beim Flanieren durch die Vororte entstanden einige der legendärsten Aufnahmen Doisneaus, etwa Mademoiselle Anita, Monsieur Barré’s Merry-Go-Round oder The Musical Butchers.

Tanz in der Rue de Nantes, 14. Juli 1955

Wimmelbild mit Schriftsteller: rechts am Bordstein Jacques Prévert, ein enger Freund des Fotografen.

Robert Doisneau Jean Claude Gautrand Hardcover, 540 Seiten € 49,99

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Die gebürtige Niederländerin Beatrice Braun-Fock

zog als 13-Jährige mit ihrer Familie von Amsterdam nach München. Sieben Jahre später, im Jahr 1919, veröffentlichte sie ihr erstes Bilderbuch und zählte bald zum Kreis der bedeutendsten deutschen Kinderbuchillustratoren. Braun-Fock arbeitete mit vielen berühmten Autoren wie James Krüss zusammen und illustrierte bis 1960 mehr als 50 Bücher. Ihr typisch humorvoller, unbefangener Stil zeigt sich in den Illustrationen zu Der Winter und die Kinder beispielhaft.


„Die perfekte Ergänzung für Kaminabende mit Kinderpunsch und dicken Decken.“

Schneeflöckchen, WeiSSröckchen, wann kommst du geschneit? Wintergeschichten aus aller Welt


zu

Die

Fäustlinge

Kinder des Nordlichts

schneekönig

Text von Florence Slobodkin, Illustrationen von Louis Slobodkin (1958)

Text und Illustrationen von Ingri und Edgar Parin d’Aulaire (1935)

Text von Tadeusz Kubiak, Illustrationen von Zbigniew Rychlicki (1968)

Zwillinge verlieren einen ihrer roten Fäustlinge, und die gesamte Nachbarschaft hilft suchen.

Ein Geschwisterpaar aus dem Volk der Samen durchlebt einen typischen Winter in Nordskandinavien.

Der Winter des Schneekönigs wird durch einen ungewöhnlichen Besucher beendet.

viele

Cowboyweihnachten

Ballade vom

Die Reise ins

PfefferkuchenLand

Text und Illustrationen von Joan Walsh Anglund (1972)

Text und Illustrationen von Einar Nerman (1939)

Ein kleiner Junge und sein Fantasie­freund Bär treffen Vorbereitungen für den großen Tag.

Bruder und Schwester reisen in ein zauberhaftes Wunderland.

der Winter und die

kinder

Neun

Tage bis

Weihnachten

was

marilenchen erlebte!

Text von Hilde Hoffmann, Illustrationen von Beatrice Braun-Fock (1959)

Text von Marie Hall Ets und Aurora Labastida, Illustrationen von Marie Hall Ets (1957)

Text und Illustrationen von Sibylle von Olfers (1905)

Der Winter kommt in die große Stadt und beschert allen Kindern Schneeferien.

Ein kleines Mädchen freut sich auf seine erste Posada, einen in Mexiko beliebten Vorweihnachtsbrauch.

Schneeflöckchen überraschen ein kleines Mädchen mit einer Einladung zur Schneekönigin.


Die freundliche Tierschar

Rote

Text von Laura Nelson Baker, Illustrationen von Nicolas Sidjakov (1957)

Die Nacht vor dem Christfest

Text von Clement C. Moore (1822), Illustrationen von Jessie Willcox Smith (1912)

Text und Illustrationen von Elsa Moeschlin (1935)

Mit Spannung (und Geschenken) erwarten die Stalltiere die Geburt des Jesuskindes.

In diesem amerikanischen Klassiker bringen der Weihnachtsmann und seine Rentiere Freude ins Haus.

Der kleine Peter bekommt zu Weihnachten ein wundersames Holzpferd geschenkt.

die zwölf weihnachtstage Text: Verfasser unbekannt, Illustrationen von Ilonka Karasz (1949) Eines der berühmtesten englischen Weihnachtslieder, in einen Bilderreigen umgesetzt.

das

pferd

Moy Moy Text und Illustrationen von Leo Politi (1960) Die „kleine Schwester“ hilft bei den Vorbereitungen für das chinesische Neujahrsfest.

Trotz eisiger Temperaturen und karger Landschaft hat der Winter Schriftsteller zu einigen der anrührendsten Geschichten aller Zeiten beflügelt. In aller Welt hat diese Jahreszeit der Feste, Traditionen und Religionen, der Abenteuer in Eis und Schnee Klassiker wie Clement Moores A Visit from St. Nicholas (Ein Besuch vom heiligen Nikolaus) oder schillernde Geschichten wie die Erzählung von einer vorweihnacht­lichen Posada-Parade in Mexiko-Stadt hervorgebracht. TASCHENs Wintermärchenbuch huldigt dieser bunten Vielfalt winterlicher Geschichten mit 13 Erzählungen von 1823 bis 1972. Vertreten sind Autoren und Illustra­toren aus Deutschland, Mexiko, Norwegen, Russland, Schweden, Ungarn und den USA und Geschichten über die Freuden des ersten Schnees, die Vorbereitungen auf den Weihnachtsmann, den Verlust von Fäustlingen und das chinesische Neujahrsfest. Jede dieser Geschichten zeichnet sich durch hinreißende Illustrationen und einen ans Herz gehenden Plot aus – zusammen ergeben sie die perfekte Unterhaltung für heimelige Winterabende vor dem Kamin.

Das Wintermärchenbuch. 13 Erzählungen aus aller Welt Noel Daniel (Hg.) Leinengebundenes Hardcover, 320 Seiten € 29,99


9. November 1960. Um elf Uhr (an der Ostküste) am Tag nach der Wahl hatte Nixon immer noch nicht klein beigegeben.

Man glaubte immer noch, Kennedy brauche elf weitere Wahlmännerstimmen zum Sieg (obwohl mindestens ein Fernsehsender ihn schon früher am Morgen zum Gewinner erklärt hatte). Anderthalb Stunden später brachten die Stimmen aus Minnesota ihn über den Berg. Bald darauf traf ein Telegramm ein, in dem es hieß: „Ich möchte mit diesem Telegramm meine Gratulation und meine besten Wünsche wiederholen, die ich gestern Abend im Fernsehen an Sie gerichtet habe. Ich weiß, dass alle Amerikaner geschlossen hinter Ihnen stehen werden, während Sie die Nation in den nächsten vier Jahren im Namen von Frieden und Freiheit führen.“ Nixons Berater Herb Klein verlas die gleiche Botschaft live im Fernsehen; endlich hatte Nixon seine Niederlage eingestanden. Foto: Henri Dauman


AmerikaS erste Seifenoper


Superman kommt in den Supermarkt

Innenansichten von John F. Kennedys Wahlkampagne im Jahr 1960 Von Norman Mailer

[…] Kaum jemand zweifelte daran, dass Kennedy nominiert werden würde, doch nach seiner Wahl wäre er nicht nur der jüngste je gewählte Präsident, sondern auch der im herkömmlichen Sinne attraktivste junge Mann, der je im Weißen Haus gesessen hätte, und seine Frau – so würden manche behaupten – könnte die schönste First Lady in unserer Geschichte sein. Notwendigerweise würde der Mythos noch einmal auftauchen, denn Amerikas Politik würde nun auch Amerikas Lieblingsfilm sein, Amerikas beliebteste Seifenoper, Amerikas Bestseller. Man denkt dabei an das Talent von Schriftstellern wie Taylor Caldwell oder Frank Yerby, oder ist es eher The Fountainhead, der eine solche Ausgestaltung des romantischen Rezepts enthielte? Oder ist es sogar eine der eigenen Arbeiten, die infrage gestellt wird? „Nun, hier haben Sie Ihren ersten Hipster“, sagt ein Autor, den man beim Parteitag kennt, „der reich geborene Sergius O’Shaugnessy“, und man ist versucht zu nicken, denn es könnte stimmen. Er ist ein Kriegsheld, und sein Heldentum ist redlich, sogar außergewöhnlich. Er ist ein Mann, der mit dem Tod konfrontiert war und sich aufgrund einer Kriegsverletzung einer Rückenoperation unterziehen musste, die ihn entweder töten oder seine Kraft wiederherstellen würde; der eine Frau gehei-

ratet hat, deren Gesicht für den Geschmack einer Demokratie, die ihre First Ladies lieber als Herrscherinnen am heimischen Herd sehen möchte, zu sehr die Fantasie beflügelt; ein Mann, der mit dem politischen Selbstmord flirtet, indem er nach Ansicht seiner politischen Altvorderen vier, acht oder zwölf Jahre zu früh zu einer Nominierung stürmt; ein Mann, der eine Woche vor dem Parteitag erklärt, dass die Jungen besser geeignet sind, Geschichte zu gestalten, als die Alten. Ja, das erregt Aufmerksamkeit. Dieser hier ist kein gewöhnlicher Kandidat, der nur nach der Sicherheit des Regelbuchs vorgeht […] An den folgenden Tagen hatte man Gelegenheit, Kennedy ein wenig zu studieren. Sein Stil bei den Pressekonferenzen war interessant. Obwohl er bei den Reportern nicht besonders beliebt war […], bewahrte er trotzdem eine entspannte Würde, die dem Applaus gegenüber gleichgültig schien, sein Auftreten erinnerte ein bisschen an einen guten Boxer […]. Seine Antworten besaßen einen guten geschmeidigen Witz, einen trockenen Harvard-Witz, einen ausgeprägten Sinn für Relationen, wenn er sich schwierige Fragen vom Hals hielt – stets waren seine Antworten zufrie-

denstellend genug, ohne dass er sich einer neuen Frage öffnete, die hätte weiter gehen können als die erste. Als ein Reporter ihn fragte: „Sind Sie für Adlai als Vizepräsident?“, kam das Grinsen zum Vorschein, und seine Stimme klang sehr trocken. „Nein, ich kann nicht sagen, dass wir Adlai als Vizepräsidenten erwogen haben.“ Und doch war eine flüchtige Distanziertheit in allem, was er tat. Man hatte nicht das Gefühl, dass dieser Mann mit seinem ganzen Gewicht und seinem ganzen Verstand im Raum anwesend war. Johnson bot sich vollständig an, er war ein politisches Tier […]; man wusste, dass sein Verstand bis zum Rand gefüllt war mit einem Kompendium aus politischen Fakten und Manövern. Kennedy wirkte zuweilen wie ein junger Professor, dessen Verhalten im Hörsaal angemessen war, dessen Geist sich aber mit irgendwelchen verzwickten Inhalten der Dissertation beschäftigte, an der er gerade schrieb. Vielleicht kann man diese Diskrepanz beschreiben, indem man sagt, dass er wie ein Schauspieler wirkte, der als der

„[Sein] Auftreten erinnerte ein bisschen an einen guten Boxer, schnell mit den Händen, sauber im Timing und einen halben Meter von seiner Ecke entfernt, wenn die Glocke die Runde beendet.“ Kandidat auftrat, ein guter Schauspieler, aber kein großartiger – man spürte die ganze Zeit, dass die Rolle eine Sache war und der Mann eine andere –, sie stimmten

Alle Abbildungen © Edwin Fotheringham — 74 —


nicht überein, der Schauspieler schien einen Hauch zu distanziert […], um ganz in der Rolle aufzugehen. Trotzdem dachte man kaum darüber nach, ob man dieses Ausweichen schätzen oder sich vor ihm hüten sollte. Es mochte ja sein, dass man die Tapferkeit einer überlegenen Sensibilität oder die Distanziertheit eines Manns beobachtete, der sich selbst nicht ganz real erschien. Und seine Stimme lieferte auch keinen Hinweis. Wenn Johnson redete, konnte man das Falsche vom Gefühlten unterscheiden; […] man sah seine Emotionen oder bildete es sich zumindest ein. Kennedys Stimme hingegen war nur eine mittelmäßige Stimme, zu scharf, fast schneidend, sie hatte irgendwie das metallische Schnarren einer Grille, sie war unpersönlicher als der Mann selbst und wurde so zu der am wenigsten beeindruckenden Qualität – neben dem Gesicht, der Figur, der Wortwahl und der Art, wie er sich bewegte, die insgesamt zu einer mehr als anständigen Präsentation führten, zu einer besseren, als man erwartet hatte. […] Seine Persönlichkeit hatte eine unterschwellige, kaum zu beschreibende Intensität […], seine Augen waren groß, die Pupillen grau, das Weiße strahlend, fast schockierend, sein eindrucksvollstes Merkmal: Er hatte die Augen eines Bergsteigers. Sein Aussehen wechselte mit seiner Stimmung, und das machte ihn immer interessanter als das, was er sagte. In einem Augenblick wirkte er älter, als er war, 48 oder 50, ein großer, schlanker, sonnengebräunter Professor mit einem angenehmen wettergegerbten Gesicht, nicht einmal besonders gut aussehend. Fünf Minuten später, […] hatte seine Erscheinung eine Metamorphose durchlaufen, er sah wieder wie ein Filmstar aus, seine Gesichtsfarbe lebhaft, sein Auftreten kultiviert, seine Gesten stark und schnell, erfüllt von der

„Kennedy hatte ein Dutzend Gesichter. Obwohl sie sich als Menschen überhaupt nicht glichen, fühlte man sich an jemanden wie Marlon Brando erinnert […].“ konzentrierten Vitalität, die ein erfolgreicher Schauspieler immer auszustrahlen scheint. Kennedy hatte ein Dutzend Gesichter. Obwohl sie sich als Menschen überhaupt nicht glichen, fühlte man sich an jemanden wie Marlon Brando erinnert, dessen Ausdruck sich kaum einmal ändert, dessen Erscheinung sich aber innerhalb von Minuten von einer Person in eine

„Amerikas Politik würde nun auch Amerikas Lieblingsfilm sein, Amerikas beliebteste Seifenoper, Amerikas Bestseller.“

andere zu verwandeln scheint, und man bemüht diesen Vergleich, weil Brandos wie Kennedys hervorstechende Eigenschaft das zurückgezogene und private Flair eines Mannes ist, der ein einsames Terrain der Erfahrung, des Verlustes und Gewinns und der Todesnähe durchschritten hat, die ihn von der Masse der anderen trennten. […] Von einem Mann, der eine Woche vor dem Nominierungsparteitag bei Kennedy in Hyannis Port war, hörte ich, dass er sich in einem Zustand tiefer Erschöpfung befunden hatte. „Nun, er sah beim Parteitag nicht müde aus“, bemerkte ich. „Oh, er hat sich drei Tage ausgeruht. Drei Tage ausruhen ist für ihn wie sechs Monate für uns.“ Man denkt an die drei Meilen, die er mit dem Gurt in seinem Mund geschwommen ist, und an McMahon, der sich hinter ihm daran festhielt. […] wie musste sich seine Psyche wohl in diesen fünf Stunden immer wieder motivieren? Dem Schmerz in seinen Kiefern ein Ventil zu verschaffen und den Zorn darüber zu nutzen, um ein Leben zu retten: Nicht viele Männer haben das apokalyptische Gespür dafür, dass Heldentum der beste Arzt ist. Wenn man eine grundlegende Kritik an Kennedy üben wollte, wäre es sein zu konventionelles öffentliches Auftreten, doch das schien weniger wichtig, als solch einen Mann im Amt zu haben; denn das Gesetz des politischen Lebens war so öde geworden, dass nur ein konventioneller Kopf — 75 —

diese Wahl gewinnen konnte. Ja, es konnte so lange keine Politik geben, die einen wieder berührte, bis das Land seinen Einfallsreichtum wiedergewinnen würde, seine Pionierlust auf das Unerwartete und Unkalkulierbare. Mit einem solchen Mann im Amt würde der Mythos der Nation vielleicht wieder aufleben, und der Umstand, dass er Katholik war, würde ein erstes existenzielles Vibrieren des Bewusstseins im Gemüt der weißen Protestanten auslösen. Denn zum ersten Mal in unserer Geschichte würden Protestanten den Schmerz und den kreativen Luxus spüren, sich selbst zumindest ein kleines bisschen als Teil einer Minderheit zu empfinden, und das wäre eine Erfahrung, die auch für die Besten von ihnen unermesslich wertvoll sein könnte.

XL

Norman Mailer. JFK. Superman kommt in den Supermarkt Hardcover, 370 Seiten € 99,99



11. Juli 1960. JFK besaß viele unterschiedliche Aktivposten, doch von größter Bedeutung

waren die Kennedy-Frauen, angefangen von Jackie über die Schwestern – Eunice (links), Jean und Pat – und die Schwägerinnen Joan und Ethel (Mitte und rechts) bis zur Matriarchin Rose. Alle arbeiteten hart für die Sache, ob bei vornehmen Nachmittagstees oder draußen auf der Wahlkampfbühne. Foto: Jacques Lowe

Mai 1960. Der besessene Zeitungsleser JFK benutzt während des Vorwahl­kampfs das schwache Licht

vor einer Halle von Butler Aviation (LaGuardia Airport, New York), um sich zu informieren. Foto: Ed Clark

„[…] nach seiner Wahl wäre er nicht nur der jüngste je gewählte Präsident, sondern auch der im herkömmlichen Sinne attraktivste junge Mann, der je im Weißen Haus gesessen hätte, und seine Frau […] könnte die schönste First Lady in unse­ rer Geschichte sein.“ — Norman Mailer

21. Oktober 1960: Vierte und letzte „Große Debatte“

aus den ABC-Studios in New York City. Eine Umfrage bei Zuschauern in 23 Großstädten ergibt ein Unentschieden. Foto: Cornell Capa


Ca. 9.–13. Juli 1960. Kennedy-Anhänger vor dem Knickerbocker Hotel in Hollywood. Da 45.000 bis 50.000 Delegierte in die Stadt strömten, waren die Hotels weit über die Innenstadt hinaus ausgebucht. Die größten Zusammenkünfte fanden in der Parteitagshalle während des eigentlichen Nominierungsprozesses statt, aber auch in Galerien, Hotelfoyers und Lokalen in der ganzen Stadt wurden Kandidaten propagiert. Foto: Hank Walker

Herbst 1960. Auf einer Fahrt durch Illinois richtet Paul Schutzer die Kamera auf seine Kollegen von der Presse. Heute wird die Annahme, dass die Medien kollektiv in Kennedy vernarrt gewesen seien, zumindest teilweise durch Norman Mailers Einschätzung entkräftet, er sei „bei den Reportern nicht besonders beliebt gewesen (zu sehr ihr Altersgenosse und trotzdem zu schwer zu verstehen …)“. Foto: Paul Schutzer

5. April 1960. Am Abend vor der Vorwahl in Wisconsin wird Senator Kennedy von einem Fernsehreporter aus dem Staat interviewt. Kennedy nahm an 10 der 16 demokratischen Vorwahlen in diesem Frühjahr teil, wobei er Staaten wie Ohio, Kalifornien und Florida ausließ, die chancenlose Gouverneure oder Senatoren ins Rennen schickten. Ohne Unterstützung von Parteiinsidern hatte Kennedys Team eine Strategie entwickelt, die unmittelbar auf die Menschen abzielte. Schlüsselsiege in genügend Vorwahlen würden beweisen, dass er noch vor dem Parteitag im Juli den „Makel“ seiner Jugend und seines Glaubens überwinden konnte. Siege in Wisconsin und West Virginia erwiesen sich als Treibstoff, der zum Erfolg bei allen Wahlen führte, an denen er teilnahm. Foto: Stan Wayman

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„Dieser Kandidat hat trotz seines Rufs, seines guten, gesunden, konventionellen, liberalen Rufs, die Patina jenes anderen Lebens, des zweiten amerikanischen Lebens, der langen elektrischen Nacht mit ihren Neon­ feuern, die zu leise murmelndem Jazz den Highway entlangführen.“ — Norman Mailer

19. Oktober 1960. Die Kennedys fahren in einer Konfettiparade

triumphal durch den „Canyon of Heroes“ in New York. Foto: Cornell Capa

8. November 1960. Pat hat Tränen in den Augen,

als Nixon neben ihr in seiner Fernsehansprache aus dem Ambassador Hotel der Menge erklärt: „Wenn ich die Tafel hier anschaue, obwohl noch einige Ergebnisse ausstehen … wenn der gegenwärtige Trend anhält, wird Senator Kennedy der nächste Präsident der Vereinigten Staaten sein.“ Das war noch kein offizielles Zugeständnis von Nixon, sondern eher, wie Herb Klein aus seinem Wahlkampfteam sagte, eine Art bedingtes Eingeständnis, das im Fall eines Irrtums noch ein Hintertürchen offenließ. Foto: Lawrence Schiller

20. Januar 1961. Unter den fünf Bällen zur Amtseinführung

an diesem Abend war der im National Armory in Washington der größte, wo einem Beobachter zufolge auf 10.000 Quadratmetern KennedyFans Schulter an Schulter warteten. Foto: Jacques Lowe — 81 —


Eine epochale Ausgabe im SUMO-Format in einer Auflage von 1600 Exemplaren, autorisiert und signiert von Mick, Keith, Charlie und Ronnie

Auch erh채ltlich im XL-Format.



Seite 83

Primrose Hill im Londoner Norden

war an einem windigen Morgen im November 1966 die Location der Wahl, um die für das Cover von Between the Buttons gedachten Fotos zu schießen. Die Band brach in aller Herrgottsfrühe unmittelbar nach einer nächtlichen Session in den Olympic Studios in Andrew Loog Oldhams RollsRoyce zu dem Fototermin auf. Für den angestrebten Weichzeichnerlook beschmierte der Fotograf einen der Glasfilter mit Vaseline. Gered Mankowitz. Primrose Hill, London (Art Edition Nr. 151–225)

Mick Jagger, New York, 2014 Foto: Brigitte Lacombe


3 Jahre, 4 Stones, 60 Reisen um die Welt: 1600 Signierte Exemplare Die ultimative, autorisierte, illustrierte Geschichte der gröSSten Rock-’n’-Roll-Band der Welt ist nicht nur ein kreatives Unterfangen epischen AusmaSSes, sondern auch eine logistische Meisterleistung. 30 Aluminiumkassetten wurden extra angefertigt, um die Seiten, die signiert werden sollten, zu den Bandmitgliedern zu transportieren. Wir reden hier von vier weltberühmten, ständig um den Erdball jettenden Stars, deren diverse Wohnorte und Büro-räume weltweit verstreut liegen. Die kostbaren Druckbögen reisten also von Ort zu Ort, bis jedes einzelne Blatt von Mick, Keith, Charlie und Ronnie eigenhändig unterschrieben war. Es war eine aufregende Reise für die Blätter: Sie zogen durch drei Kontinente, lieSSen Tausende von Kilometern hinter sich und begleiteten die Stones sogar auf ihrer Tournee durch Europa und die USA. Einige Hundert Signierseiten wurden aus unerfindlichen Gründen vom norwegischen Zoll konfisziert. Insgesamt brauchte es drei Jahre und zwei Weltreisen, bis endlich alle 1600 Signierseiten von Ronnie, Mick, Keith und Charlie abgezeichnet waren. Die signierten Blätter wurden mit einem Spezialtransport zu unserem Buchbinder in Italien gebracht. Dort entlud man sie sorgfältig und verwahrt sie in einem Tresorraum, so sicher wie Fort Knox, bis die leibhaftigen Bücher gedruckt, gebunden und fertig zum Ausliefern sind. Eine wahre Odyssee, aber mit welch hehrem Ziel: Die kostbarste Seite in der offiziellen Fotodokumentation der Rolling-Stones-Historie kann nun aufgeschlagen werden. Satisfaction garantiert!


Startschuss in Kürze:

Das ultimative Fotoalbum der Stones

Variation des Coverfotos von Mick Jagger für das Album Goats Head Soup. David Bailey. London (Art Edition Nr. 1–75) — 86 —


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„Dieses Buch ist nicht nur Rock ’n’ Roll, sondern eine Achterbahnfahrt durch 50 Jahre Erinnerungen!“ — Keith Richards

Keith vertreibt sich die Zeit mit Klavierspielen

„Wir haben mit jedem Song eine Zeit lang Spaß, und dann haben wir ihn satt und schreiben einen neuen. Aber wir kriegen den Horror, wenn sie in einer Diskothek irgendwas von uns spielen – normalerweise auch noch eine komplette LP oder so. Zuerst waren viele der Songs, die wir schrieben, auf andere zugeschnitten, aber jetzt braucht alles, was wir schreiben, nur noch uns zu gefallen.“ Keith Richards, Melody Maker, 24. September 1966. Bent Rej. Kopenhagen (Art Edition Nr. 76–150)



Keith und Mick backstage

im Los Angeles Forum. Ethan Russell. Los Angeles (Art Edition Nr. 301–375)


„Das ist ein richtiger Job. Einer für echte Kerle, der ein Leben lang dauert. Wenn mal irgendein Idiot den Beweis dafür antritt, dann bin hoffentlich ich das.“ — Keith Richards


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Dieses ungewöhnliche Foto der Stones kündet schon von den Psychedelika-Abenteuern der Band – ein volles Jahr früher, als das Einswerden mit der Natur allgemein in Mode kam. Aufnahmen aus demselben Shooting erschienen später auf der Vorder- und Rückseite des Covers der US-Version der ersten Stones-Compilation, Big Hits (High Tide and Green Grass). Guy Webster. Franklin Canyon Park, Los Angeles (Art Edition Nr. 226–300) — 93 —


„Wir hatten das Glück, mit einigen der besten Fotografen der Welt zu arbeiten, die viele magische Momente unserer Karriere einfingen. In diesem Band werden einige fantastische Bilder aus den vergangenen 50 Jahren zusammengetragen.“ — Mick Jagger

Zwei Tage nach dem Konzert im Népstadion am 8. August 1995 während der Voodoo Lounge-Tour.

„Das neue Stones-Album Voodoo Lounge ist herrlich dreckig, der Inbegriff des Rock ’n’ Roll, wie ihn die Stones vor gut 30 Jahren geprägt haben.“ Barbara O’Dair, Rolling Stone. Anton Corbijn. Budapest, Ungarn (Art Edition Nr. 376–450)



Dieses Buch im SUMO-Format – in Zusammenarbeit mit der Band produziert und von allen vier Mitgliedern signiert – dokumentiert die unglaubliche Karriere der Rolling Stones und ihren unfassbar coolen Lebensstil. Dank des ein­maligen Privatarchivzugangs enthält es über 500 Seiten mit groß­artigen Aufnahmen von David Bailey, Cecil Beaton, Anton Corbijn, Annie Leibovitz, Helmut Newton, Norman Parkinson, Albert Watson und über 60 weiteren Fotografen sowie Zeitdokumente, Essays und ein Vorwort von Expräsident Bill Clinton.




Limitiert auf ins­gesamt 1600 num­merierte Exemplare im SUMO-Format, jedes einzelne signiert von allen vier Bandmitgliedern Art Edition

Nr. 1–75: David Bailey, Mick Jagger, 1973. (S. 87) € 12.000 Nr. 76–150: Bent Rej, Keith playing the piano, 1965. (S. 88–89) Nr. 151–225: Gered Mankowitz, Smiling Buttons, 1966. (S. 83) Nr. 226–300: Guy Webster, Big Hits, 1966. (S. 92–93) Nr. 301–375: Ethan Russell, Mick and Keith “laugh”, 1972. (S. 90–91) Nr. 376–450: Anton Corbijn, Like a Rolling Stone, 1995. (S. 94–95) je € 8000

Collector’s Edition Nr. 451–1600: € 4000

Auch erhältlich im XL-Format 33 x 33 cm: € 100

Rolling Stones Hardcover in einer Schlagkassette, mit Ausklappern und Siebdruck-Kapitelopenern Hg. Reuel Golden 50 x 50 cm, 518 Seiten

SUMO Size


© 2014 Marvel, marvel.com

„Ein Werk von atemberaubender Schönheit, mit dem Feuer der Leidenschaft kompiliert.“ — Junot Díaz



Mein ist die Rache Marvel – Chronik einer einzigartigen Ideenschmiede Von Roy Thomas

Jack Kirby, der die dazugehörige Illustration anfertigte. Ebenso wie Jacob Kurtzberg und viele andere, die in der Comicbranche arbeiteten, sparte sich Stanley Lieber seinen wahren Namen für das Bedeutendere auf, das er gewiss eines Tages hervorbringen würde.

„Wir sprechen nun von einer ‚Comicindustrie‘, doch das Wort ‚Industrie‘ passt nur bedingt zu dem verrückten Haufen Unter­ nehmer, Gauner, Verkäufer, Drucker und Zeichner, die diesen explodierenden neuen Markt bedienen ... Keiner hat damit gerechnet, dass diese Modeerscheinung von Dauer wäre.“ — Gerard Jones

Prinz Namor der Sub-Mariner, Angel, Masked Raider, Ka-Zar ... Allesamt waren sie skrupellose Kampfhähne und Draufgänger, diese Vorläufer von Marvels Helden und Schurken, von denen es heute Tausende gibt. Sie waren auf Blut aus, und sie wollten die Welt verändern. Und auf gewisse Weise ist ihnen das auch gelungen.

Das Goldene Zeitalter von Marvel

Ab 1934 begann Martin Goodman, eine Reihe von Zeitschriften herauszubringen, die aus verschiedenen Firmen stammten. Seine Grundsätze als Herausgeber fasste er 1937 in einem Interview mit dem Literary Digest zusammen: „Wenn man Titel hat, die gut ankommen, veröffentlicht man ein paar mehr davon und macht einen netten Gewinn.“ An diese Grundsätze sollte er sich zeit seines Lebens als Herausgeber halten. 1939 war dann das Jahr, in dem Goodman die Comichefte entdeckte. Oder genauer gesagt: Es war das Jahr, in dem sie ihn entdeckten ...

Captain America Comics 1 war noch nicht an den Kiosken, als Timely schon einen weiteren Redakteur einstellte: Stanley Lieber. Redakteur Joe Simon bat den jungen Lieber, die Textgeschichte für Captain America Comics 3 zu schreiben, und hoffte so insgeheim, er könne sich den Teenager dadurch vom Leib halten. Das zweiseitige „Captain America Foils the Traitor’s Revenge!“ („Captain America vereitelt die Rache des Verräters!“) wurde damit die erste Geschichte, die unter dem Namen Stan Lee erschien – und es war die allererste Zusammenarbeit von Stan Lee und Seite 100–101­: Amazing Spider-Man 1 Titelbild; Zeichnungen: Jack Kirby, Tusche: Steve Ditko, März 1963. Oben: U.S.A. Comics 1 Eigenwerbung; Illustration: Bill King (vermutet), August 1941. Rechts: Marvel Comics 2 Originaltitelbild; Aquarell und Gouache: Bill Everett, 1939. Rechte Seite: All Winners Comics 4 Titelbild; Zeichnungen und Tusche: Al Avison, Frühjahr 1942. — 102 —

Als Joe Simon dann Timely verließ, bat Goodman Stanley, der sich nun tatsächlich „Stan Lee“ nannte, als Redakteur die Stellung zu halten, bis für Simon Ersatz gefunden wäre. Lee, der am 28. Dezember jenes Jahres gerade mal 19 wurde und erst acht Monate für Timely gearbeitet hatte, stürzte sich begeistert in seine neue Arbeit. In den frühen 1950er-Jahren weitete Goodman sein Heftprogramm aus, als ginge demnächst die Welt unter – Atlas



„Die Monumentalgeschichte eines Königreiches aus Rot, Blau und Gelb, präsentiert in einem wundervollen Prachtband. Ein würdiges Denkmal für all die Fantasten und Visionäre, deren Leidenschaft und Hingabe Marvels einzigartigen Stellenwert in der Geschichte der Popkultur ermöglicht haben. Schätze dich glücklich, Digger, du bist auf Gold gestoßen!“ — Glen David Gold


wurde bald zu einem der größten Comicverlage Amerikas. Manchmal hatte es den Anschein, als trüge die Hälfte aller Comics in den Verkaufsregalen die kleine Kugel. Was eine Zeit lang Goodman und die gesamte Comicbranche tatsächlich hätte zu Fall bringen können, war die wachsende Empörung angesichts dessen, was die Comics neuerdings veröffentlichten ... Im Jahr 1954, als mehr Comicserien

erschienen als je zuvor und je danach, nahm sich ein Senatsausschuss der Comics an, dessen Untersuchungen sogar im Fernsehen übertragen wurden. Wichtigster Zeuge war der vehementeste Kritiker der Comics, der Psychiater Fredric Wertham. EC-Verleger William M. Gaines, der vor den Ausschuss geladen wurde, machte die Sache nicht besser, sondern schlimmer, als er ein Titelbild verteidigte, das einen Mann mit einer bluttriefenden Axt und einem abgetrennten Frauenkopf in den Händen zeigte. Die Verleger konnten es kaum erwarten, dass die Untersuchungen endlich vorüber waren.

Und nichts war mehr wie zuvor!

Fast unmittelbar nachdem Fantastic Four 1 im August 1961 in den Verkauf gelangt war, wurde Lee und Goodman klar, dass sie einen Nerv getroffen hatten. Schon bevor die ersten Verkaufszahlen bekannt waren, trafen in den Timely-Büros Briefe ein – von Kindern, von Jugendlichen Linke Seite: The Incredible Hulk 1 Titelbild; Zeichnungen: Jack Kirby, Tusche: Jack Kirby (zugeschrieben), September 1962. Oben: Avengers Annual 2 Innenseite; Text: Roy Thomas, Zeichnungen: John Buscema, Tusche: Bill Everett, Sommer 1968. Links: Strange Tales 89 Innenseite, „Fin Fang Foom!“; Text: Stan Lee und Larry Lieber (zugeschrieben), Zeichnungen: Jack Kirby, Tusche: Dick Ayers, Oktober 1961. — 105 —

und sogar von Erwachsenen, die von den FF begeistert waren. Oh, es gab auch manche

„Die Redaktion damals? Das war der beste Job der Welt.“

— Herb Trimpe

Beschwerden. Einige forderten, man solle den Helden Kostüme verpassen, und ältere Leser, die noch die erste Torch kannten, meinten, der Held solle wieder sein klassisches Aussehen erhalten. Doch der überwiegende Teil der Kommentare war mehr als positiv. Die Leser waren fasziniert davon, wie die Figuren miteinander umgingen, es erschien ihnen so viel realistischer als in Superman oder Batman. Sogar der niederträchtige Mole Man erregte ihr Mitleid, denn welcher Jugendliche konnte sich nicht mit einem Mann identifizieren, den man verachtete und hasste, weil er anders war. Vielleicht trug Lees Vorhaben, Comics gehaltvoller zu gestalten, tatsächlich erste Früchte. Natürlich war er sich bewusst, dass Kirbys dynamische Zeichnungen ebenso entscheidend waren. Und einen der Helden zu einem grotesken Monster zu machen war eindeutig die genialste Idee von allen. Selbstverständlich wollte Goodman eine zweite Serie wie Fantastic Four. Und da feststand, dass die entscheidende Figur


Ganz links: X-Men 4 Titelbild; Zeichnungen: Jack Kirby, Tusche: Paul Reinman, März 1964. Links: Fantastic Four 59 Innenseite; Zeichnungen: Jack Kirby, Tusche: Joe Sinnott, Februar 1967. Rechte Seite: Amazing Fantasy 15 Originalzeichnung: Steve Ditko, 1962.

Ben Grimm war, sollte die zweite neue Reihe nicht von einem kostümierten Superhelden handeln, sondern von einer weiteren deformierten Kreatur. The Incredible Hulk kombinierte Elemente aus Frankenstein und Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Der dritte Held jenes Sommers hatte schon bald darauf Premiere. Lee liebte die kurzen Fantasy-Geschichten mit überraschendem Ausgang (in der Art der erfolgreichen Fernsehserie Twilight Zone), die er zusammen mit dem Künstler Steve Ditko entwickelte, der oft auch die Inhalte mitbestimmte. Also überredete er Goodman, den Titel und das Konzept des erfolglosen Amazing Adventures ab Amazing Adult Fantasy 7 (Dezember 1961) zu ändern, das nur eine Woche nach Fantastic Four 1 erschien. Die acht Ausgaben von AAF werden bis heute hoch geschätzt, doch die Verkäufe damals waren schwach. Daher wechselte der Titel mit Heft 15 im Sommer 1962 erneut – dieses Mal zu Amazing Fantasy. Außerdem führte die Serie einen jugendlichen Superhelden namens Spider-Man ein. Im Lauf der nächsten Jahre führten Lee und Ditko eine einzigartige Riege an Schurken ein: der Vulture, Sandman, Lizard, Electro, Dr. Octopus – kurz „Doc Ock“. Doch vor allem waren es die Spannungen zwischen den beiden Identitäten des Helden – Peter Parker und SpiderMan –, die diese Serie sofort erfolgreich machten. In den folgenden drei Jahren wurde aus ihr die am zweitbesten verkaufte Serie, direkt nach Fantastic Four.

Die nächste Generation

Im Sommer 1966 erschien ein junger Autor und Künstler (und ehemaliger Bühnenzauberer) namens Jim Steranko in den Büros

von Marvel und ergatterte den Auftrag, die „S.H.I.E.L.D.“-Serie in Strange Tales zu illustrieren. Während er zunächst nach Kirbys Skizzen zeichnete, übernahm er die Serie bald komplett und schrieb sie auch. Obwohl er von Kirby stark beeinflusst war, ließ Steranko auch visuelle Elemente aus Filmen, der Op-Art, Pop-Art und dem Surrealismus einfließen. Er war ein neuer Star ... und der erste neue Künstler in Goodmans Comicverlag seit mehr als einem Jahrzehnt.

„Comics sind für mich Märchen für Erwachsene ... Es sind gute Geschichten mit Figuren, die uns ähnlich, aber auch größer sind als wir.“ — Stan Lee

Marvels Conan the Barbarian erschien im Sommer 1970, geschrieben von Roy Thomas ( ja, derselben Person, die diesen Auszug zusammengestellt und das Buch geschrieben hat, das Sie vielleicht bald in Händen halten) und gezeichnet von Barry Smith. Nach verhaltenem Start entwickelte sich Conan zu einer der erfolgreichsten MarvelSerien der 1970er- und 1980er-Jahre. Ende 1972 hatte Marvel zum allerersten Mal die Verkaufszahlen von DC übertroffen und war zum erfolgreichsten Comicverlag der Welt geworden. Während des ganzen vorigen Jahrzehnts hatte Marvel dank der innovativen Comics von Lee, Kirby, Ditko und anderen gegenüber DC aufgeholt. Nun endlich hatte sich Marvels Art, Geschichten zu erzählen, voll ausgezahlt. Da Stan Lee nun zum Geschäftsfüh— 106 —

rer und Herausgeber von Marvel befördert wurde, konnte er keine eigene Comicserie mehr schreiben, und so tat sich eine gewaltige Möglichkeit für viele junge talentierte Autoren auf: Steve Englehart sorgte für ungewöhnliche, aber packende Abenteuer in The Avengers. Und Captain America machte er mit einem vom Watergate-Skandal inspirierten, von Sal Buscema gezeichneten Mehrteiler wieder zu einer Erfolgsserie. Autor Len Wein, den Chefredakteur Thomas beauftragt hatte, in Incredible Hulk einen stämmigen, kleinen Kanadier namens Wolverine einzuführen, erschuf diesen mit Künstler Herb Trimpe (und nach Skizzen von Romita). Er sollte der beliebteste aller Superhelden werden, die in den 1970er-Jahren debütierten. Frank Miller, ein Comicfan aus Vermont, der mit 21 Jahren damit begonnen hatte, seine Arbeiten an die Verlage Western und DC zu verkaufen, heuerte bei Marvel an, wurde erst Aushilfszeichner und übernahm dann innerhalb eines Jahres einzelne Ausgaben. Daredevil verkaufte sich zu jener Zeit schwach und erschien nur noch alle zwei Monate. Der langjährige Künstler der Serie, Gene Colan, hatte sie verlassen, um bald danach zu DC zu wechseln. Bei diesem Helden, der einer von Marvels menschlichsten war, brachte Miller von seiner ersten Ausgabe an (Heft 158, Mai 1979) seinen eigenen „Film noir“-Stil mit ein (oder „Comics noir“-Stil, wie man ihn bald nennen sollte) und machte Daredevil bald zu Marvels heißester Serie – und zur düstersten. Etliches war bei Marvel im Wandel ... Und die 1980er-Jahre hatten kaum begonnen. Schon bald sollte die ganze Welt auf Marvel aufmerksam werden.

XL

75 Jahre Marvel Roy Thomas (Hg.) Hardcover, 712 Seiten, mit 1,20 m langer Zeitleiste € 150




„Die zwei bedeutendsten Verlage der Welt tun sich zusammen, um ein Buch über die Kunst des Comics zu machen? Da bin ich dabei! Erst wenn TASCHEN sich ein Thema zur Brust genommen hat, ist das letzte Wort gesprochen. Dieses MarvelBuch ist sensationell!“ — Kevin Smith

A Marvel-Ous Evening …

Poster; Zeichnungen und Tusche: George Delmerico, 1972. Am 5. Januar 1972 („One Night Only!“) wurde die Carnegie Hall zum Treffpunkt der glorreichen Ideenschmiede. Mit dabei: Stan Lee, Spider-Man und seine Freunde, die Marvel-Redaktion sowie Direktor Alain Resnais, Autor Tom Wolfe, Beach Boy Dennis Wilson und die Chico Hamilton Players. Delmericos modernistisches Plakat war ein absoluter Hit.

Silver Surfer 4

Titelbild; Zeichnungen: John Buscema, Tusche: Sal Buscema, Februar 1969. „Wie auch schon zuvor Jack Kirby dachte John in den Dimensionen eines Künstlers, doch wo Jacks Fantasie keinerlei Grenzen gesetzt waren, blieb John bis zu einem gewissen Grad der Realität verhaftet. Seine Schöpfungen waren hervorragend, seine Layouts und Geschichten überzeugend und weitreichend, und seine erfundenen Welten waren so solide wie der Boden unter unseren Füßen.“ — Gerry Conway

Conan the Barbarian 4

Titelbild; Zeichnungen und Tusche: Barry Smith, April 1971. Das Layout zeigt noch deutlich Kirbys Einfluss, doch mit der 4. Ausgabe von Conan hatte Barry Smith ein ganz eigenes Repertoire künstlerischer Kniffe entwickelt. Seine Conan-Zeit steht für einen ganz besonders beeindruckenden Reifungsprozess. 1981 erzählte Smith Archie Goodwin in einem Interview: „Conan ... war für mich das absolute Glück. Jeder hätte den Job haben können … Ich las die Bücher von Conan, weil Roy [Thomas] mich darum gebeten hatte. Ich wusste zuvor nicht mal, wer Conan war. Die ersten drei Ausgaben sind einfach verkleidete Superhelden im Lendenschurz.“

Nick Fury, Agent Of S.H.I.E.L.D. 4

Titelbild; Zeichnungen und Tusche: Jim Steranko, September 1968. Der Künstler hat einen völlig neuen Begriff für seine Arbeiten geprägt (um einmal den überstrapazierten Begriff „psychedelisch“ zur Beschreibung seiner fantastischen Werke außer Acht zu lassen): Zap-Art. Die Bezeichnung passt, vereinigte er doch alle möglichen Techniken wie Fotografie, Collage, Filmposter und Werbung, um einen zeitgemäßen Look zu erschaffen. — 109 —


Nick Fury, Agent Of S.H.I.E.L.D. 1

Innenseite, „Who is Scorpio?“; Text und Zeichnungen: Jim Steranko, Tusche: Joe Sinnott, Juni 1968. Im Alter von 15 Jahren sah Jim Steranko Jules Dassins Film Rififi, der einen Banküberfall in völliger Stille zeigte. Dieser Kunstgriff kehrt in Sterankos eigenen Arbeiten wieder, indem er seine Geschichte erzählt, Stimmung und Tempo bestimmt sowie Spannung erhöht, ohne jegliche Dialoge, Beschreibungen oder Soundeffekte zu integrieren.

Fremdgesteuert

Fotografie, ca. 1982. Stan Lee zockt das SpiderMan-Videogame von 1982 am Atari 2600. Spidey feiert, der Green Goblin verzweifelt, und die Jungs warten auf die nächste Runde.

„Ein Geschichtsbuch, das dich umhaut – von und für MarvelSüchtige. Her damit!“ — Stan Lee

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GlamourĂśs und doch unkonventionell

Mit ihrem unverkennbaren Look wurde Barbra Streisand zu einer der wichtigsten Trendsetterinnen der Mode in den ausklingenden 60er- und frĂźhen 70er-Jahren. Foto: Lawrence Schiller

A Star Is Born Der kometenhafte Aufstieg der Barbra Streisand


Streisand schlüpft in das freizügige „Vorführmodell“ aus Die Eule und das Kätzchen Das Foto wurde als Aufmacher für die Filmplakate verwendet, zusammen mit dem anzüglichen Slogan: „In Doris’ Job musst du wissen, wie du dich verkaufst.“ Foto: Steve Schapiro


Der Streisand-Touch Von Patt Morrison

Wie oft mag Barbra Streisand im Lauf ihrer Karriere wohl fotografiert worden sein? Tausendmal? Zehntausendmal? Und jedes Foto davon erfasst doch nur einen Moment ihres schillernden Lebens. Es gibt jedoch eine Aufnahme, die einige der Wesensmerkmale besonders gut einfängt, die für Streisand so charakteristisch sind. Auf ihr sehen wir nicht die 1980er-Jahre-Babs mit dem typischen kugelrunden Lockenkopf und auch nicht die Barbra des 21. Jahrhunderts mit langer, gepflegter Pagenfrisur. Nein, Steve Schapiros Foto zeigt das halb im Dunkeln liegende Gesicht der jungen Naiven, dem ins Unbestimmte gerichteten Blick einer Wahrsagerin und der Nase

eines römischen Imperators, der der Welt seinen Willen aufzwingen will (Seite 116). Welche Wandlung Barbra Streisand in Hollywood durchlebte, verraten uns auch Lawrence Schillers Kamera und sein scharfes Auge. Was er und Schapiro über Jahrzehnte hinweg in ihren Bildern einfingen, waren die großen Kameramomente dieser Welt und eine Streisand, die rätselhaft ist, unnahbar, überschwänglich, nachdenklich und, ab und an, einfach nur ein glückliches Mädchen aus Brooklyn. Stars kommen und gehen. Wer für die eine Generation noch total angesagt ist, ist für die nächste schon abgemeldet. Zeit und äußere Umstände, Glück und Willenskraft

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haben Barbra Streisand geholfen, alle Widrigkeiten und Wechselfälle des Lebens unbeschadet zu überstehen. Sollte Mary Pickford, der Welt erster Filmstar, die Oscarverleihung 1969 im Fernsehen verfolgt haben, dürfte sie Riechsalz benötigt haben, als Streisand ihren Oscar in einem witzigen, gewagten Paillettenanzug von Scaasi entgegennahm – das erste Mal überhaupt, dass eine Oscargewinnerin die

Szene 1, Aufnahme 1 – Barbras allererster Filmmoment „Ich fand es einfach nur aufregend, die erste Klappe fotografieren zu können.“ — Steve Schapiro


Barbra Streisand mit dem Perlenohrring,

Los Angeles. In ihrer selbstironischen Art bezeichnete Streisand sich oft als hässliches Entlein, aber ihr Leinwanddebüt in Funny Girl – und die Aufnahmen, die Steve Schapiro während des Drehs von ihr machte – widerlegten dieses Märchen mühelos. Foto: Steve Schapiro


Bühne in Hosen betrat. Die Botschaft an Hollywood war unmissverständlich: Ich mache alles so, wie es mir passt! Diese Nase korrigieren lassen? Kein Gedanke. Streisand hatte vielleicht gar nicht die Absicht, Frauen mit kleinem „Makel“ zu ermutigen, ebenso selbstbewusst aufzutreten wie die Covermodels auf den Modemagazinen, doch genau das bewirkte sie. Ihr

übernahm, wurde zwar ihr Werk oscarprämiert, nicht aber sie selbst. Erst 2010 sollte eine Frau, Kathryn Bigelow, einen RegieOscar erhalten, und sinnigerweise war es Streisand, die ihn überreichte. Als sie Anfang der 1990er-Jahre Wahlkampf für die Demokraten machte, glaubten viele, dies wäre ihr erster Schritt auf das politische Parkett. Doch schon 1963 hatte sie auf Ein-

Limitiert auf ins­gesamt 1200 num­ merierte Exemplare, jedes von Steve Schapiro und Lawrence Schiller signiert. Hello Barbra! Die Starfotografen Steve Schapiro und Lawrence Schiller haben den Broadway-Publikumsliebling am Set, unterwegs und im Studio abgelichtet und ihren Aufstieg zum Hollywoodstar dokumentiert. Mit über 100 bisher unveröffentlichten Bildern.

Art Edition Nr. 1–100

Limitiert auf 100 nummerierte Exemplare, jedes mit dem Silbergelatine-Print Barbra for Harper’s Bazaar (1972), signiert von Steve Schapiro, 40 x 30 cm.

Art Edition Nr. 101–200

Gesicht war ihr Kapital, und zwar exakt so, wie es war. Und die spitzen Zungen Hollywoods? Sollten nur kommen. Weil Barbra immer geradeheraus war, anstatt bieder und brav zu sein, machte sie sich natürlich zum Ziel von Spott und Sticheleien. Was dachten sich die Hollywoodbosse angesichts dieser Diva aus Brooklyn, die Filme nur zu ihren Bedingungen drehen wollte? Sie wunderten sich, was aus dem bescheidenen „Funny Girl“ geworden war,

„… eine Streisand, die rätselhaft ist, unnahbar […] und, ab und an, einfach nur ein glückliches Mädchen aus Brooklyn.“ das Screwballkomödien drehte und lieber über sich selbst lachte, bevor andere es tun konnten. Damals wie heute wurden männliche Tugenden bei Frauen als Manko angesehen. „Warum eigentlich“, hat sich Barbra oft gefragt, „dürfen Männer von ihrer Arbeit besessen sein, aber Frauen nur von Männern?“ Über ein Jahrzehnt lang zählte ihr Name zu den Top Ten an der Kinokasse, doch als sie auch hinter die Kamera trat und – wie bei Yentl und Herr der Gezeiten – neben der Hauptrolle auch Regie und Produktion

ladung von Präsident Kennedy beim Korrespondentendinner im Weißen Haus den Demokratenschlager „Happy Days Are Here Again“ gesungen, der einer ihrer Standards werden sollte. Heute fließt ein nicht unbeträchtlicher Teil ihres imposanten Vermögens in Auffangprogramme für Kriegsveteranen, in Bildungsförderung, Familienberatung, Gender Studies sowie eine Initiative für mehr Rechtsstaatlichkeit. 50 Jahre sind vergangen, seit Funny Girl Broadway-Premiere feierte und Barbra Streisand es innerhalb von drei Wochen auf die Titelseiten von Time und Life brachte. In einer Premierenkritik war unter ihrem Foto zu lesen: „Barbra Streisand verkörpert einen Star.“ Dieses Verb traf ungefähr genau so lange zu, wie die Druckerschwärze der Schlagzeile zum Trocknen brauchte. Von diesem Moment an war sie ein Star – und ist es bis heute.

Limitiert auf 100 nummerierte Exemplare, jedes mit dem Silbergelatine-Print Streisand En Route to London (1969, siehe Seite 112– 113), signiert von Lawrence Schiller, 30 x 40 cm.

€ 1250

Collector’s Edition Nr. 201–1200

Limitiert auf 1000 nummerierte Exemplare, jedes signiert von Steve Schapiro und Lawrence Schiller.

€ 500

XL

In Einst kommt der Tag spielt

Streisand Daisy Gamble, eine junge Studentin, die von dem Psychiater Dr. Mac Chabot (Yves Montand) hypnotisch behandelt wird. Foto: Lawrence Schiller

Barbra Streisand Steve Schapiro, Lawrence Schiller Hardcover in einer Schlagkassette, 340 Seiten


Scarface, Ed Wood & DER SOMMER DER LIEBE

Aus Kalendoskope, 1968

„Eine Serie von Aktstudien, die eine künstlerische Ausweitung der FKK-Kultur darstellen …“, wenn zum Beispiel, wie hier, eine Zielscheibe auf den Hintern einer Frau projiziert wird.


Als der schlechteste Regisseur aller Zeiten auf psychedelisch machte

Von Dian Hanson

Glenda, Bride of the Monster (Die Rache des Würgers) und anderen Streifen, die so abgedreht daneben waren, dass er sich redlich den Spitzenplatz auf der Liste der schlechtesten Filmemacher der Welt verdiente. Nachdem Thevis in den 1950er- und frühen 1960er-Jahren noch kämpfen musste, um seine Familie mit einem Zeitungskiosk in Atlanta zu ernähren, war er um 1965 zu Wohlstand gekommen. Als er 1967 gemeinsam mit seinem neuen Partner aus der Unterwelt die Peepshowkabine erfand, wurde er noch reicher. Noch 1967 begann er, eigene Magazine herauszubringen, aber – Ironie der Geschichte – ausgerechnet der Mann, der in den 1970ern noch zwei Morde bege-

Oben: Das Fahndungsplakat des FBI, nachdem Michael Thevis es auf die Liste der zehn Meist­ gesuchten geschafft hatte. Die Beschreibung des Gejagten macht deutlich, wie er zu seinem Spitznamen „Scarface des Pornos“ kam. Rechts: Im Magazin Suck-Em-Up, 1971, ging es, durch verschwurbelte Ergüsse von Ed Wood Jr. flankiert, vage um das Thema orale Befriedigung. Unten: Doppelseite aus der Zeitschrift Groovie, 1970.

Nichts spiegelt die Faszination, die die Hippiekultur der späten 1960er-Jahre auf das heterosexuelle Publikum ausübte, so gut wider wie eine Ausgabe von Balling oder von Way-Out: Was den Normalbürger irritierte, waren nicht die Liebesperlen, langen Haare, Friedenssymbole oder Batik-TShirts, sondern der verrückte, wenig wählerische, mit bewusstseinsverändernden Drogen einhergehende Sex, der (mutmaßlich) in Ekstase gipfelte. Diese Vorstellung ließ einen anständigen Mann kirre und neugierig zugleich werden, aber auch ängstlich, neidisch und – sagen wir’s doch deutlich – verdammt scharf. Während sich die meisten nicht trauten, diese widersprüchlichen Gefühle zuzugeben, gab es andere, die genau das wagten und ausnutzten – Männer wie Michael Thevis, Verleger der wildesten psychedelischen Sexmagazine, der sich einen Namen als „Scarface des Pornos“ machte,

nachdem er es auf die Liste der zehn meistgesuchten Personen des FBI geschafft hatte. Diese Magazine zeigten ausgelassene Nackedeis in grellbunten, handgemalten Layouts, die wirkten, als wären sie von Hippies gestaltet. Doch Thevis’ rechte Hand war Edward D. Wood Jr., jener in Angorawäsche vernarrte Autor von Plan 9 from Outer Space (Plan 9 aus dem Weltall), Glen or

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„Ausgerechnet der Mann, der in den 1970ern noch zwei Morde begehen sollte, beschloss, Verleger von „Peace & Love“-Magazinen zu werden.“

hen sollte, beschloss, Verleger von „Peace & Love“-Magazinen zu werden. Es entbehrt auch nicht einer gewissen Ironie, dass er ausgerechnet einen Alkoholiker anheuerte, der Drogenfantasien für Balling, Belly Button, Skin & Bones, Wild Couples und andere Hefte der Hippiesubkultur schrieb.


Sein früherer Boss bei Bernel Associates, Bernie Bloom, schätzte Ed Wood sehr, nannte ihn „ein verrücktes Genie. Seiner Zeit weit voraus“ und fügte hinzu: „Jeder hatte Schiss davor, die Sachen zu machen, mit denen er kein Problem hatte.“ Aber vielleicht spielte er nur auf Woods Alkoholkonsum im Büro an, der toleriert wurde, weil Bloom behauptete, Wood könne besoffen besser schreiben als die meisten im nüchternen Zustand. Doch so wie Thevis irgendwann auf jene Männer losging, die ihn reich gemacht hatten, nahm Bloom schließlich die Unmengen mit Kaffee versetzten Wodka zum Anlass, Wood zu feuern. Komisch, sich vorzustellen, dass der Bewusstseinsstrom, der durch diese psychedelischen Hefte wabert, als wäre er unter Drogeneinfluss entstanden, lediglich durch altmodischen Schnaps in Gang gehalten wurde. Woods philosophische Tiraden passten zu den wallenden

„Der Bewusstseinsstrom, der durch diese psychedelischen Hefte wabert, wurde durch altmodischen Schnaps in Gang gehalten.“ Mustern und den Bräuten mit gespreizten Beinen in Wild Couples. Die meisten werden einwenden, der einzige Grund, warum Männer Thevis’ Magazine kauften, seien die Bilder mit den Mädchen gewesen – wozu dann überhaupt noch Text? Das Gesetz verlangte es. Artikel mit gesellschaftlichen Themen konnten ein Sexmagazin schützen. Woods Filmrezensionen, seine Rechts: Umschlagrückseite von Gallery, 1969, aus Michael Thevis’ Klassiker-Verlag. Unten: Die erste Ausgabe von Wild Couples, 1969, mit einem Text von Ed. Wood Jr. in Michael Thevis’ Pendulum Verlag veröffentlicht.

Geschichten und Leitartikel wuschen Balling rein. Doch er wurde abserviert, als Thevis sein Tätigkeitsfeld in die Filmproduktion ausweitete, um Peepshowgeld reinzuwaschen. 1973 finanzierte er den Film Blood of the Dragon, 1974 Seizure (Die Herrscherin des Bösen), Oliver Stones ersten Spielfilm, aber keinen der drei Pornofilme aus Woods später Schaffensphase. Wood wurde 1974 geschasst, denn zu jenem Zeitpunkt kamen psychedelische Magazine aus der Mode. Im selben Jahr kam Michael Thevis nach seiner Flucht aus dem Gefängnis auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher. Roger Underhill hatte mit dafür gesorgt, dass er verurteilt wurde, und bevor die Bundespolizei Thevis wieder schnappen konnte, war dieser längst vor Underhills Haus aufgetaucht: Er knallte ihn mit einer Flinte ab. Thevis wurde festgenommen und zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er starb am 20. November 2013 — 120 —

im Alter von 81 Jahren. Edward D. Wood Jr. wurde 1994 mit dem Kinofilm Ed Wood in die Unsterblichkeit katapultiert und zu einer viel geliebten Kulturikone. Way-Out, Wild Couples, Nude Rebels, Balling und wie die Hefte alle heißen, leben in diesem neuen TASCHEN-Band weiter.

The Psychedelic Sex Book Dian Hanson Hardcover im Schuber, 408 Seiten € 49,99


Freak out, Schwester: psychedelische Tanzeinlage, 1967, vom legend채ren Impresario und Rock-Promoter Bill Graham in Szene deliriert.


Fussball in DEN 1970ern

die 채ra der unschuld


PelĂŠ und Beckenbauer in der Dusche

nach dem Spiel gegen die Fort Lauderdale Strikers in Florida. Die Tatsache, dass dem Fotografen hier Zugang gewährt wurde, zeigt, wie anders die Stars der 1970er-Jahre im Vergleich zu den reservierten Akteuren von heute waren. Foto: Volker Hinz, Fort Lauderdale, 1977


Dino Zoff, der italienische Torwart,

erreicht diesen spektakulären Ball von Ernie Brandts nicht mehr. Es war der Ausgleichstreffer für die Niederlande, die das Spiel der zweiten Runde bei der WM 1978 schließlich 2:1 gewannen. Foto: Neil Leifer, Buenos Aires


Das Runde im Eckigen „Eine Liebeserklärung an wilde Zeiten: spektakuläre Bilder aus der goldenen Ära des Fußballsports.“ — Maxim.com, New York


Discoalarm im Stadion Kicken in den 70ern – Retrocharme pur! Von Barney Ronay

Johan Cruyff an der französischen Pass­kontrolle

Ajax gewann das Rück­runden-Hin­spiel im Europapokal gegen Marseille auswärts mit 2:1. Foto: unbekannt

Was dem Fußball in den 1970er-Jahren widerfuhr, war nicht so sehr eine bloße Veränderung, sondern vielmehr eine fundamentale Umgestaltung, bei der alle Oberflächen gewissermaßen durch leichteres, weicheres, eindeutig aus dem Weltraumzeitalter stammendes Material ersetzt wurden. Falls das Jahrzehnt des großen Wandels tatsächlich eine ganz besondere Magie versprühte, dann entsprang diese womöglich genau jenem eigenartigen Gefühl der Unschuld, das wäh-

rend der 1970er-Jahre noch immer existierte; dem Eindruck, wie flüchtig auch immer, dass etwas sich zwar verändert hatte, aber noch nicht verdorben war. Der Startschuss für diese Entwicklung war die Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko, das Turnier, das live und in Farbe auf allen Kontinenten übertragen wurde und nach wie vor als ein Höhepunkt expressiven, erfindungsreichen Fußballs gilt, verkörpert durch das großartige brasilianische Team — 126 —

um Pelé, Gérson und Jairzinho. Dennoch sollte in den 1970er-Jahren der europäische Fußball dominieren. Wesentlich zum Wandel trug auch bei, dass Zeitschriften und Zeitungen in Europa und auf dem amerikanischen Kontinent boomten, TV-Sender aus dem Boden schossen und die Öffentlichkeit sich zunehmend von der Unterhaltungsindustrie im weiteren Sinne faszinieren ließ. War der Teenager ein Produkt der 1950er-Jahre und der Popstar eines der 1960er gewesen, so wurde in den 1970ern nach immer mehr Prominenten verlangt. Die Maschinerie des Ruhms gierte nach neuen Stars und blickte über die etablierten Machtzentren von Musik und Film hinaus, um dann unvermeidlicherweise beim Fußball zu landen. Und der Fußball war bereit. Zu Beginn der 1970er-Jahre hatten Europas Superclubs damit begonnen, ihren Stars irrwitzig hohe Gehälter zu zahlen – eine Entwicklung, die in Pelés Jahresgehalt von 1,4 Millionen Dollar bei New York Cosmos gipfelte. Zugleich wurden Spielertransfers zwischen den Topligen üblicher, und eine bestimmte Sorte intelligenter, charismatischer und oft angenehm eigensinniger niederländischer und deutscher Spieler begann, das Image des Sports auf dem Rasen und darüber hinaus zu dominieren. Sogar in den taktischen Mustern gab es eine gewisse intellektuelle Kohärenz, als sich die Idee des „totalen Fußballs“ im europäischen Spitzenfußball etablierte. Dahinter steckte die Vorstellung, dass in der perfekten Mannschaft jeder Spieler in der Lage ist, auf jeder Position zu spielen, als Rädchen in einer eingespielten Maschine. Fußball war zuvor eine feudal strukturierte Industrie, geführt von Klubbesitzern, Direktoren und Managern, wobei die Spieler eine Art menschliches Vieh darstellten. Im Kontrast dazu war der totale Fußball der Ausdruck einer neuen Spielermacht, eine Art akademischer Fußballkollektivismus. Und das alles, wie nicht genügend betont werden kann, auch noch mit richtig guten Frisuren. Mit seiner Finca in Katalonien, seinem Saab Turbo und seinem unverblümten, unvermeidbar politischen öffentlichen Image war Johan Cruyff womöglich der Erste dieser neuen Spezies cooler europäischer Fußbal-


George Best vor einem seiner

Modeläden in Manchester; er eröffnete außerdem ein Reisebüro und zwei Nachtclubs. Kom­merziell erfolgreich war keines seiner Geschäfte. Foto: unbekannt

„Das meiste von meinem Geld hab ich mit Schnaps, Weibern und schnellen Autos durchgebracht. Den Rest hab ich verprasst.“ George Best


Links: Vier Frauen englischer Spieler sind ge­­ kommen, um das Team beim Spiel gegen Brasi­ lien anzufeuern: Kathy Peters (Frau von Martin), Judith Hurst (Geoff), Tina Moore (Bobby) und Frances Bonetti (Peter). Foto: Roger Parker, Guada­lajara Gegenüber unten: Fans während der WM 1974 in Deutsch­land. Foto: Neil Leifer

ler. Der gebürtige Amsterdamer Cruyff, der die Ajax-Jugendförderung durchlaufen hatte, um zur definitiven Verkörperung des totalen Fußballs zu werden, war zudem für seine konfuzianisch anmutenden Sprüche und sein unwiderstehlich provokatives Charisma bekannt. Sein Wechsel 1973 nach

Barcelona für 2 Millionen Dollar (an Ajax) und ein jährliches Salär von 600.000 Dollar machten ihn zum Superstar. Franz Beckenbauer verfügte über eine ähnlich eindrucksvolle Präsenz. Er kam im zerstörten München der Nachkriegsjahre zur Welt und wurde zum Inbegriff des Fußbal-

lers der 1970er mit großem Ego, jener Sorte Starspieler, die sich in eine Art Geschäftsführer in kurzen Hosen verwandelt zu haben schienen. In jeder Mannschaft, die er repräsentierte, war er ein Symbol für Kontrolle und Autorität, und er sollte während seines 50-jährigen Aufstiegs zu globaler Prominenz, der Deutschlands ökonomischen Triumph im selben Zeitraum widerspiegelte, zu einem der einflussreichsten Männer des deutschen Fußballs werden. Aber auch äußerlich veränderte sich etwas. Vom Aussehen her war der Alphamännchen-Fußballer der 1970er-Jahre weniger ein Hippie mit Ball als vielmehr Eigentümer einer kalifornischen Werbeagentur. Lederjacken mit breiten Aufschlägen, ohne jede Ironie getragene Medaillons, Luxusautos und edle Walnussholzverkleidungen: Dies waren die Statussymbole des neuen Spielersuperstars, beflügelt vom Zusammenprall aufkeimender Massenmedien und eines

Trikottausch?

Bobby Moore und seine Frau Tina, die das Trikot anhat, das normalerweise ihr Mann trägt. Foto: Terry O’Neill


Sports, der sich gerade dem Mainstream öffnete. Zum ersten Mal verbreitete sich Sponsoring, ein Prozess, der mit Pelés berüchtigtemDeal,denAnpfiffdesWeltmeisterschaftsfinales 1970 zu verzögern, weil er sich erst noch die Puma-Schuhe binden musste, erst richtig Fahrt aufnahm. Franz Beckenbauer und Kevin Keegan machten Werbung für Brut-Aftershave, und nach seinem Wechsel nach Hamburg 1977 wurde Keegan kurz zum medial präsentesten Fußballer der Welt. Er bekam auch den ersten Vertrag im Fußball, der es einem Spieler erlaubte, selbst aus seinen Bildrechten Gewinn zu erzielen. Günter Netzer lebte in Deutschland eine kontrolliertere Variante des Glamourlebens eines Spitzenfußballers. Wenn er nicht

Günter Netzer, im Trainings­­­anzug der deutschen Mannschaft,

bereitet sich auf das Freundschafts­ spiel gegen Griechenland vor. Er erzielte den ersten Treffer der Partie, die mit einem 3:1-Sieg endete. Foto: unbekannt, Piräus

„Vom Aussehen her war der AlphamännchenFußballer der 1970erJahre weniger ein Hippie mit Ball als vielmehr Eigentümer einer kalifornischen Werbeagentur. “ gerade für Borussia Mönchengladbach oder Real Madrid spielte, betrieb Netzer, ein wunderbar talentierter, wunderbar blonder, wunderbar unbekümmert kreativer Mittelfeldspieler, eine Disco namens Lovers Lane, sammelte Ferraris – in einem davon wäre er beinahe umgekommen – und strahlte dabei immer eine Aura feinfühliger, seelenvoller, deutscher Pop-Coolness aus. Die Verquickung von Mainstreammode und Promihype fand ihren ultimativen Ausdruck in der Nordamerikanischen Fußballliga. Die NASL war ein von großem Trara begleitetes Fußball-Start-up, zu dessen zahlreichen

Subunternehmen u. a. Team Hawaii, Chicago Sting, San Diego Jaws und natürlich – brillant, tief betrauert und unwiederholbar – New York Cosmos gehörten. Zwei Jahre lang, während deren Cosmos im Giant Stadium vor 80.000 Zuschauern spielte, A-Prominenz in der Kabine ein und aus ging und Pelé und Beckenbauer beide das CosmosTrikot trugen, waren sie kurzzeitig die glamouröseste Fußballmannschaft der Welt. Aber es konnte nicht ewig so weitergehen. Pelé ging 1977 in den Ruhestand, und die

NASL gab sieben Jahre später auf, als die 1970er-Jahre bereits von einer wesentlich rücksichtsloseren Ära abgelöst worden waren. Der Fußball hat sich seither bis zur Unkenntlichkeit verändert. Er ist nun eine strahlende globale Entertainmentindustrie, die manchmal mit dem erdverbundenen, eigenartig delikaten Stil der 1970er-Jahre nur entfernt verwandt zu sein scheint – dem letzten Jahrzehnt echter Unschuld. Barney Ronay ist leitender Sportredakteur beim Guardian.

Fußballbuch des Jahres 2014! Deutsche Akademie für Fußballkultur

The Beautiful Game. Fußball in den 1970ern Reuel Golden (Hg.) Hardcover, 300 Seiten € 39,99 — 129 —


PelĂŠ posiert vor seinem Mercedes,

dessen Nummernschild auf seine Torbilanz von 1000 Treffern verweist, die meisten davon fĂźr Santos. Foto: unbekannt


Unter der Dusche mit dem Kaiser und Pelé Reuel Golden interviewt den Fotografen Volker Hinz

Sie hatten als Fotograf einen sehr freien Zugang zu Franz Beckenbauer, sowohl in Deutschland als auch in den USA. Wie begann Ihr Verhältnis zueinander, und wie hat es sich entwickelt?

Zwei nette Kerle trafen aufeinander. Ich sollte für den Stern eine Story über Beckenbauers Transfer von Bayern München zu Cosmos in New York fotografieren. In den 1970ern war es viel leichter, an Stars ranzukommen. Der Stern war die führende illustrierte Wochenzeitschrift und hatte sowieso Zugang zu allen. Seitdem habe ich Beckenbauer noch viele Male fotografiert, und er war immer sehr angenehm und locker im Umgang.

Hier kommt der Kevinismus her: Kevin Keegan in der Umkleidekabine

in Hamburg, 1978. Dem muskulösen, aber nur 1,73 m großen Spieler wurde in Deutschland der Spitzname Mighty Mouse verpasst. Foto: Volker Hinz

Wie war er so als Mensch?

Franz Beckenbauer war und ist ein freundlicher und angenehmer Mensch. Wenn wir uns begegnen, begrüßt er mich immer noch mit: „Hallo Volker, wie geht’s? Schön, dich zu sehen.“

Braucht es einen besonderen Ansatz, um Fußballstars zu fotografieren?

Ich bin kein Sportexperte, sondern interessiere mich als Fotograf in erster Linie für Menschen. Ich beobachte sie, versuche sie zu verstehen und ihre Persönlichkeit so gut wie möglich mit der Kamera einzufangen.

Später, als Franz Beckenbauer in den USA spielte, fotografierten Sie das ganze Umfeld von New York Cosmos

und natürlich auch Pelé. War es eine aufregende Zeit? Und wie war Pelé?

Pelé und Beckenbauer sind zwei charismatische Typen, es hat also Spaß gemacht, sie zu beobachten. Ich hatte Glück, dass ich ständig in ihrer Nähe sein konnte. Ich versuche immer, „unsichtbar“ zu sein.

Inwiefern war es in den 1970ern anders, Sportstars zu fotografieren, als heute? Die Stars damals waren viel entspannter. Heute wimmelt es von Managern und

Als Slips noch Schlüpfer waren: Fanpost für die Spieler von Bayern München in der Spielzeit 1976/77. Foto: Volker Hinz

PR-Leuten. Die Spieler werden zu Produkten mit menschlichem Touch.

Was uns natürlich zu Ihrer berühmtesten Fußballaufnahme führt: Pelé und Beckenbauer in der Dusche. Erzählen Sie uns die Geschichte hinter diesem unglaublichen Schuss.

Einfach da sein! Verhalt dich ruhig, nimm dein Motiv ins Visier, drück ab und hau ab. Kein Gerede. Es gibt von dieser Szene nur drei Negative, und eines davon ist das perfekte Foto. Pelé hat einen tollen Körper und Beckenbauer einen knackigen Hintern. Beide benahmen sich ganz natürlich, weil kein Fotograf in der Nähe war!?

Schlussendlich behandelt dieses Buch die 1970er-Jahre mindestens genauso sehr wie den Fußball. Was stellt für Sie daran das Wesentliche dar?

Die Menschen waren insgesamt viel entspannter, die Stars standen nicht unter dem Diktat von PR-Beratern, es gab keine Social Media, kein Facebook, kein Twitter, keine Blogs. Stars gaben freizügiger Einblicke in ihr Privatleben. Beckenbauers Nationalspielerkollegen Paul Breitner habe ich zum Beispiel beim Planschen mit seinen Kindern in der Badewanne fotografiert.


Wenn Sie an Ihre Lieblingsalben denken, dann haben Sie die Cover vor Augen. Rock Covers zelebriert diese Kunstform mit nicht weniger als 750 Prachtexemplaren, die als wegweisend in die Rock- und Popgeschichte eingingen.


Rock Covers Robbie Busch, Jonathan Kirby, Julius Wiedemann Hardcover, 2 Bände, 552 Seiten â‚Ź 39,99


Schaufenster des Ostens 40 Jahre lang dominierte der Kalte Krieg das Weltgeschehen. Die DDR und die Bundesrepublik befanden sich in diesem globalen Konflikt an vorderster Front. Symbol dafür war die berüchtigte Berliner Mauer, die Liebende, Freunde und Familien, Kollegen und Mitbürger voneinander trennte. Das Wendemuseum in Los Angeles, das nach dem historischen Zeitraum um den Mauerfall 1989 benannt ist, präsentiert mehr als 2500 Artefakte, Designobjekte und Alltagsgegenstände aus der DDR. Seit seiner Gründung 2002 widmet sich das Museum der Kultur und Bildsprache des früheren Ostblocks und fördert verschiedene Sichtweisen auf diese vielschichtige Ära, die unsere Welt bis heute prägt. Staatsgeschenk

In Erinnerung an den 20. Jahrestag der DDR, 1969. Die DDR investierte beträchtliche Energie in ihre internationalen Beziehungen. Ursprünglich nur von den Ostblockstaaten, der Volksrepublik China und Nordkorea anerkannt, startete sie in den 1950er-Jahren eine Initiative, um diplomatische Beziehungen mit Staaten in anderen Teilen der Welt, insbesondere in Afrika, dem Nahen Osten und Ostasien, aufzunehmen. Staatschef Honecker besuchte zwischen 1971 und 1989 38 Länder und empfing 50 ausländische Delegationen. Dabei wurden auch Geschenke ausgetauscht.

Gedenkteller „Tag der Befreiung“, 1970

Wallendorfer Porzellan. Nach dem Zweiten Weltkrieg mussten Keramikhersteller wie Meißen zunächst die alliierten Reparationszahlungen ableisten, operierten jedoch ab den 1950er-Jahren als volkseigene Betriebe und produzierten neben den traditionellen feinen Teeservices, Tischgedecken, Vasen und Figurinen im staatlichen Auftrag auch Gedenkteller. Das Wendemuseum verfügt über eine große Sammlung solcher politischen Exemplare mit gemeinhin verständlichen sozialistischen Emblemen und Slogans.


„Mit lieben Grüßen aus Moskau/Chile der Hölle?“

Bearbeitetes Plakat von Erich Honecker, Generalsekretär der SED, 1989. Nach der friedlichen Revolution und dem Fall der Berliner Mauer floh Honecker nach Moskau. Nach einem kurzen Gefängnisaufenthalt in Berlin lebte er bis zu seinem Tod in Chile.


Architekturmodell Grenzübergangsstelle Friedrichstraße/Ecke Zimmerstraße, 1980er-Jahre

Stasi-Hauptabteilung VI, Berlin. Die Kreuzung der Friedrichstraße und der Zimmerstraße unweit des Potsdamer Platzes wurde zum Hochsicherheitsgrenzübergang für Ausländer, Diplomaten und Angehörige der westlichen Besatzungsmächte (Amerikaner, Briten und Franzosen) sowie im Staatsauftrag reisende Funktionäre. Auf der anderen Straßenseite, in Westberlin, waren die Alliierten in Form des weißen Wachhäuschens oder Informationsschalters auf dem Mittelstreifen vertreten, der als „Checkpoint Charlie“ bekannt wurde. Die wesentlich größere Grenzanlage auf DDR-Seite nahm ein zerbombtes, sechs Block großes Areal in Anspruch, mit Wachtürmen und Sperranlagen sowie Baracken für die Passkontrolle, die Inspektion von Fahrzeugen und eine Wechselstube.

Mauer entlang der Sektorengrenze in Berlin-Neukölln, 1961

„Wer an der Grenzübergangsstelle Checkpoint Charlie nach Ostberlin einreiste, musste oft vor den Baracken im Regen stehen, um auf die Passkontrolle und die Ausstellung eines Tagesvisums zu warten. 1985 wurde die östliche Hälfte des Übergangs überdacht und in Form einer internationalen Einreisestelle neu gestaltet, wie in diesem detailgetreuen Architekturmodell ersichtlich, das auch zur logistischen Ausbildung der Grenzsoldaten diente.“

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Unterstützt durch die Kampfgruppen begannen Bautrupps der DDR in den frühen Morgenstunden des 13. August 1971 mit dem Bau der Sperranlagen der Berli-ner Mauer. Mit über 160 Kilometern Stacheldraht und Betonplatten, Wachtürmen und Suchscheinwerfern wurde das kapitalistische Westberlin vom sozialistischen Ostberlin abgeriegelt und Freunde, Kollegen und Familienmitglieder voneinander abgeschnitten.


„Mirabeaus bekanntes Bonmot über das Preußen der Hohenzollern — ‚Andere Staaten besitzen eine Armee; Preußen ist eine Armee, die einen Staat besitzt.‘ — scheint in der DDR seine Entsprechung gefunden zu haben: eine Geheimpolizei im Besitz eines Staats.“ Aus dem Heft Merkmale des Äußeren von Personen, 1970

Stasi-Hauptabteilung VI. Ohne die Vorteile digitaler Systeme wurden die Mitglieder der Passkontrolle intensiv auf dem Gebiet der Gesichtserkennung geschult. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf nicht ohne Weiteres veränderbare individuelle Eigenschaften wie Ohren, Grübchen, Nasenlöcher und Augenlider. Die Einteilung variierte auch je nach rassischer und ethnischer Zugehörigkeit und Herkunft des Betreffenden.

Übungsblätter zur Gesichtserkennung, Lehrmaterial für den Grenzschutz, 1970

Stasi-Hauptabteilung VI. Die Stasi herrschte über eine Welt, in der routinemäßig die Post geöffnet, die Häuser verwanzt, Bürger agitiert und Dissidenten für „feindlich-negative“ Einstellungen und nonkonformistische Verhaltensweisen eingesperrt wurden. Am Ende hatte die Stasi etwa 180 Kilometer Akten, eine Million Fotos und 200.000 Ton-bänder zusammengetragen: Die Augen und Ohren des Staats waren anscheinend überall.

„Um der Stasi zur neuesten Westtechnik zu verhelfen, verschafften sich DDR-Agenten sowohl von den sowjetischen Bündnispartnern als auch von den Westmächten manchmal Geräte, um sie unter­ suchen, anwenden und in einigen Fällen nachbauen zu können.“

Funkzentrale der Stasi, 1960er

Hergestellt in der UdSSR. Die Stasi verfügte über ein umfassendes Instrumentarium für die Spionage im In- und Ausland, von Abhörund Aufnahmegeräten bis zu Kommunikationsanlagen und Elektrogeneratoren. Die heute klobig wirkenden Geräte gehörten damals zum Modernsten, was es gab.

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„Die Wirtschaftsgeschichte der DDR ließe sich auch anhand der seit 1949 auf­gestellten Wirtschaftspläne erzählen. Wie in der Sowjetunion behaupteten die Wirtschaftsplaner ihre Autorität, indem sie Quoten vorgaben, einerseits um die Motivation anzustacheln, aber auch, um die erbrachten Leistungen kontrollieren zu können.“

Plakat zum Aufbauprogramm, 1954

Eine Vielfalt von Propagandaplakaten sollte den ersten Fünfjahresplan der DDR anpreisen, eine Antwort auf den Marshallplan.

Plakat „2. Treffen der Jungen Pioniere, 12.–18. August 1955“

Nur wenige Eltern wollten ihre Kinder der Stigmatisierung aussetzen, die es bedeutet hätte, sich den Jungen Pionieren zu verweigern. Mehr als 90 Prozent der Kinder waren Mitglieder und hatten sich mit einem Gelöbnis verpflichtet, dem Staat zu dienen.

Leipziger Messemännchen, 1964

Als eine der ältesten Handelsmessen Europas wurde die Leipziger Messe 1946 in der sowjetischen Besatzungszone wieder zum Leben erweckt. Nach der Gründung der DDR 1949 wurde klar, dass sie ein Schaufenster der Industrieproduktion der Ostblockländer sein würde. Die DDR-Regierung, die sich sonst sehr misstrauisch gegenüber ausländischen Besuchern verhielt, zeigte in den Messewochen im Frühjahr und im Herbst ein anderes Gesicht, bot Zugverbindungen zwischen Westberlin und Westdeutschland zu Sonderpreisen an und vermittelte Unterkünfte. — 138 —


Mitarbeiter eines metallverarbei­ tenden Betriebs im Oderbruch, Brandenburg, 1990,

vor einem öffentlichen Aushang, auf dem die persönliche Leistung in Relation zum behördlich vorgegebenen Soll abzulesen war. Oderbruch, Brandenburg, 1990. Foto: Harald Hauswald



Aus der Geschichte unseres Betriebes – Ein Kapitel DeutschSowjetischer Freundschaft, 1981–1982 Gemeinschaftsarbeit Zirkel „Malerei und Grafik“, VEB Geräte- und Regler Werke „Wilhelm Pieck“, Teltow.


„Die DDR-Bürger reisten oft innerhalb der Grenzen ihres Landes und fanden Unterkunft in verschiedenen staatlichen Kur- und Freizeiteinrichtungen und -heimen. Reisen außerhalb der DDR, aber innerhalb des Ostblocks waren erlaubt, wenn man sich als zuverlässiger Bürger zeigte oder per Gruppenreise in andere sozialistische Länder wie die Tschecho­ slowakei oder Rumänien reiste.“

Familientagebuch, 1966

Unter der kleinsten Einheit verstand man in der DDR selten das Individuum im westlichen Sinn, sondern das Kollektiv, die Familie, das Team, die Hausgemeinschaft und am Arbeitsplatz die Brigade. Private und staatliche Fotoalben bieten unerwartete Einblicke, wie sich über vier Jahrzehnte die kollektive und individuelle Erinnerung in der DDR entwickelte.

Postkarte, Hotel Pomorie, Bulgarien, 1984 Schwimmbecken an Deck der „MS Völker­freundschaft“, 1983,

des Luxuskreuzfahrtschiffs der DDR, das Parteimitgliedern und einigen wenigen Privilegierten vorbehalten war. — 142 —


Speisekarte aus der Milchbar „Pinguin“, Leipzig, 1960er-Jahre

In beiden Teilen Deutschlands war die Milchbar, weitgehend synonym mit dem Eiscafé, in der frühen Nachkriegszeit sehr angesagt und wurde besonders von jungen Pärchen und Familien mit Kindern frequentiert. Manchmal waren es einzelne Lokale, die für jüngere Leute zum beliebten Treffpunkt wurden; andere waren an große Hotels, Bahnhöfe oder Einkaufszentren angegliedert. Auch im Ostberliner Palast der Republik war eine der elf gastronomischen Einrichtungen eine alkoholfreie Milchbar.

Einzelbilder, Sammlung Hoffman, 1958–1969

Die Sammlung Hoffman besteht aus 31 zwischen 1939 und 1969 aufgenommenen Super-8-Amateurfilmen. Die sorgfältig beschrifteten und aufbewahrten Filmrollen zeigen Geburtstags­ feiern, Feiertage, Urlaube und andere Familien­ereignisse.

Multimediainhalte aus dem Buch mit Smartphone oder Tablet bestaunen! Einfach die Blippar App gratis herunterladen, Gerät über die Abbildungen unten halten und die Animationen genießen.

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Das war die

DDR

Noch nie zuvor zeigte ein Buch ein derart breites Spektrum an Kunstgegenständen, Archivbeständen, Dingen aus der DDR: offizielle Symbole und oppositionelle Ausdrucksformen, Spektakuläres und Alltägliches, Massenproduziertes und Handgemachtes, Witziges und Tragisches.

Fotochrombilder aus „Uniformen der Nationalen Volksarmee der DDR 1956–1986“, 1990

Jenseits der Mauer: Kunst und Alltagsgegenstände aus der DDR Justinian Jampol Hardcover, 904 Seiten, mit 56-seitigem Faksimile eines Familienalbums € 99,99

— 144 —


REFLECTING THE NEWS ABOUT THE ART WORLD FROM ANTIQUITY TO CONTEMPORARY SUBSCRIBE NOW AT WWW.THEARTNEWSPAPER.COM/SUBSCRIBE William Cobbing, Bamiyan Mirror Series 215, Afghanistan, 2009 (detail)


Die Welt begreifen Infografiken erklären die Welt

Seit den frühesten Höhlenmalereien machen sich die Menschen ein Bild von der Welt und versuchen, sie zu verstehen und zu interpretieren. Mit unserer heutigen Datentechnologie können kreative Infografiker Umwelt, Technik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur in ihrer ganzen Komplexität immer besser und aus­ gefeilter darstellen und auf frappante Weise komplexe Zusammenhänge anschaulich machen.


Kriegsjahre

Basierend auf Daten der Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung (AKUF) in Hamburg, zählt diese Grafik, wie viele Kriege weltweit seit 1945 zu verzeichnen waren. Als Krieg gilt dabei ein bewaffneter Massenkonflikt mit kontinuierlichen Kampfhandlungen, an denen mindestens zwei bewaffnete Streitkräfte beteiligt sind, deren Operationen einen gewissen taktischen Organisationsgrad erkennen lassen. Seit 1945 ist die Anzahl stetig angestiegen, mit einem Höhepunkt in den frühen 1990er-Jahren. Design: Ole Häntzschel. Recherche: Martina Stolz, Frederike Milbrandt, 2011.

Seiten 148–149:

„The insanely great history of Apple“

Die Produkte des Computerkonzerns Apple galten vielfach als wegweisend, sowohl in ihrem Design wie auch in der Erschließung neuer Nutzungs­formen und Zielgruppen. Diese „Geschichte von Apple“ zeigt alle Produkte von 1976 bis 2012, unterschieden nach Software (grün), Ein- und Ausgabezubehör wie Mäusen, Monitoren etc. (gelb), Desktop-Rechnern (orange), All-in-one-Rechnern (rot), Laptops (dunkelblau) und mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets (hellblau). Design: Pop Chart Lab, 2013.

XL

Unsichtbare Stadt

In urbanen Ballungsräumen leben sehr viele Menschen auf engstem Raum zusammen – mit enormen Herausforderungen für die Stadtverwaltungen. Die Stadt New York unterhält eine Hotline für Anrufe (311), die keine Notfälle sind. Die Visualisierung zeigt für eine Woche im September 2010, welche Themen die meisten Anrufe ausgelöst haben – vom Hauptproblem Lärm bis hin zu Straßenschäden, Nage­ tieren, dem damaligen Mietzuschussprogramm der Stadt oder zur Entsorgung von FCKW-Müll. Design: Pitch Interactive, Wired Magazine, 2010.

Understanding the World Sandra Rendgen, Nigel Holmes Hardcover, 456 Seiten € 49,99




Flatford@Fullmoon, GB 2000.


Einer ist wach Darren Almonds kontemplative Nachtlandschaften

Er fotografiert nur mit dem Licht des Vollmonds und Belichtungszeiten von über einer Viertelstunde: Der britische Künstler Darren Almond bereist die Welt, um Landschaften in den Momenten mit der Kamera einzufangen, wenn sie am stillsten und geheimnisvollsten sind. Von englischen Weiden bis zum Yosemite National Park, von japanischen Küsten bis zu den Eisfeldern der Arktis verleiht der Mondschein Almonds Bildern eine fast gespenstische Poesie, die den Betrachter über Vergänglichkeit und die Kostbarkeit der Natur nachdenken lässt.


„Beim Betrachten von Darren Almonds Bildern fragt man sich, was Begriffe wie Landschaft und Natur in einer Welt bedeuten, in der die Umwelt sich so rasant verändert, dass beide zum Mythos und zur bloßen Erinnerung zu verkommen drohen.“

Shan Shui Fullmoon, China 2008.

— The Guardian, London

Fullmoon@Moonbow, Kap Verde 2013.

Darren Almond. Fullmoon Hans Werner Holzwarth (Hg.) Hardcover, 400 Seiten € 49,99 — 152 —


„Bei langen Belichtungszeiten sieht man nie, was man fotografiert. Aber man gibt der Landschaft mehr Zeit, sich zu offenbaren.“ — Darren Almond

Fullmoon@Rügen V, Deutschland 2004. — 153 —


Darren Almond. Fullmoon Art Edition, XXL-Format Limited Edition von nur 3 x 60 nummerierten Exemplaren, jedes von Darren Almond handsigniert

Hardcover, in Leinen gebunden, in einer Aufklappbox mit Prägung. 48 x 48 cm, 400 Seiten, jedes Buch von Darren Almond signiert. Mit einem handsignierten OriginalC-Print: 47 x 47 cm Papiergröße. Fullmoon@Moonbow (2011). Fotografiert von der brasilianischen Seite der Iguazu-Wasserfälle bei Vollmond. Fullmoon@Porto Mosquito (2013) (S. 152). Fotografiert zwischen den schwarzen Vulkanfelsen an der Küste von Kap Verde bei Vollmond.

Fullmoon@Porto Mosquito, Brasilien 2011.

Fullmoon@Horseshoe Bend (2012). Fotografiert vom Ufer des Colorado River in Arizona bei Vollmond. jede Edition € 1500

XXL

Fullmoon@Horseshoe Bend, Arizona 2012. — 154 —


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“A manifesto for anyone who cares about art” HANS ULRICH OBRIST

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Leben in den Wäldern Kreative Hüttenarchitektur

Die Four-cornered Villa ist gut

isoliert und wird von einem Holzofen geheizt. „Grundidee war“, so die Architekten, „ein Beispiel für ein nachhaltiges Landhaus zu geben, das sich von normalen finnischen Landhäusern unterscheidet, die ganzjährig elektrisch beheizt werden, um das Einfrieren der Rohre zu verhindern.“


Four-CORNERED VILLA AVANTO ARCHITECTS

Die Insellage dieses Hauses inspirierte die Architekten dazu, vier verschiedene Ausblicke zu betonen, drei davon zeigen den See, der vierte den Wald im Westen. Die Architekten: „Man hat Morgenlicht am Frühstückstisch, Mittagslicht im Esszimmer und Abendlicht im Wohnzimmer. Es gibt im Haus kein fließendes Wasser; Elektrizität ‚liefert die Sonne‘. Zum Heizen wird ausschließlich Holz aus dem nahe gelegenen Wald verwendet.“

ISLAND HOUSE 2by4-architects

Loosdrechtse Plas heißt die Seengegend, in der sich auf einem schmalen Inselgrundstück dieses Haus befindet, das „die Interaktion mit der natürlichen Umgebung je nach Bedürfnislage ermöglichen soll“. Eine Glasfassade und eine dunkle Fläche aus Holz können vollständig auf eine Holzterrasse geöffnet werden. Die Ost-West-Ausrichtung ermöglicht es, Sonnenaufgang und Sonnenuntergang zu betrachten.

— 157 —


STORKHOUSE

TERENOBU FUJIMORI Dieses Gästehaus wurde mit Eichenholz, verkohltem Holz (Yakisugi), Ried, Ziegelsteinen sowie Beton erbaut. Trotz der geringen Größe bietet es Platz für vier Personen. Es hat seinen Namen, „Storchenhaus“, weil auf dem Dach in den Frühlings- und Sommermonaten Störche nisten sollen. Der Architekt hat eigens für dieses Projekt Holzmöbel entworfen. Auch mit seinem Storchenhaus gelingt es Fujimori wieder, japanische Traditionen modern zu interpretieren.


BOATHOUSE TYIN

Dieses Bootshaus wurde anstelle eines Vorgängers aus dem 18. Jahrhundert errichtet. Die Einfachheit des alten Gebäudes, sein günstiger Standort und der ehrliche Materialeinsatz sollten zu einer wesentlichen Inspirationsquelle für den Neubau werden. Für das Projekt aus Norwegischer Kiefer kamen Fenster eines in der Nähe gelegenen Bauernhauses zum Einsatz und für einen Teil der Verkleidung im Inneren Materialien des alten Bootshauses. Die Architekten: „Den ausgezeichneten architektonischen Eigenschaften des Bootshauses liegen rationale Entscheidungen im Hinblick auf verwendete Materialien, Baumethoden und Gestaltungsdetails zugrunde.“

„Brauchen wir in unseren mo­dernen Häusern dann tatsächlich immer mehr Platz? Steht nicht möglicherweise ein Weniger an Wohnraum eher im Einklang mit der Welt, in der wir leben?“ – Philip Jodidio

Cabins Philip Jodidio Hardcover, 468 Seiten € 49,99 — 159 —


Spiel die B-Seite Das Beste aus dem BUTT Magazine, von 2001 bis heute

„Das Konzept von BUTT ist bahnbrechend: ein kluges kultiviertes Schwulenmagazin, das gleichzeitig herrlich versaut ist. BUTT ist wichtig. BUTT füllt eine Lücke.“ — Bruce LaBruce


Überbordender Enthusiasmus und rasende Neugier waren schon immer die treibende Kraft hinter dem BUTT Magazine. Was als kleines Projekt auf Papier anfing, hat sich mit 29 Printausgaben, einer Website, einem jährlichen Abreißkalender und vielen hysterischen Zusammenkünften zu einer weltweiten BUTTBewegung ausgeweitet. In ähnlicher Feierlaune wurde dieser attraktive Wälzer zusammengestellt. FOREVER BUTT präsentiert die spannendsten Artikel, großartigsten Fotos und hemmungslosesten Interviews von BUTTs Anfängen im Jahr 2001 bis heute. Forever Butt Gert Jonkers, Jop van Bennekom Hardcover, 560 Seiten € 29,99


Buddhismus

Wie ein massiver Fels nicht vom Wind erschüttert wird, gerät ein Weiser nicht durch Tadel und Lob ins Wanken. Ruhig wie das Wasser eines Sees schreitet der Weise voran, egal, was ihm widerfährt, sei es Freude oder Schmerz. Die meisten rennen am Ufer auf und ab, doch diejenigen, die dem Dharma folgen, werden den Fluss der Verwirrung überqueren, um zur Erleuchtung zu gelangen.

Protestan­ tismus Nun, wo ich mich schlafen lege, bitte ich dich, Herr, meine Seele zu beschützen. Möge deine Liebe die ganze Nacht über mich wachen und mich mit dem Morgenlicht aufwecken. Amen.

Katholizismus

Heiliger Georg, du hast beherzt gegen den Drachen des Stolzes, der Lüge und der Täuschung gekämpft. Weder Schwert noch Tod konnten dich von der Liebe zu Christus abbringen. Mit Inbrunst flehe ich im Namen dieser Liebe zu dir, mir mit deiner Fürsprache zu helfen, den Versuchungen zu widerstehen, die mich umgeben, und mutig die Herausforderungen zu meistern, die mich bedrängen, damit ich geduldig das Kreuz tragen kann, das mir auferlegt ist, und die Krone gewinnen möge.

Islam

Shinto

Ich suche Zuflucht bei dem Herrn der Menschen, dem Herrscher der Menschen, dem Gott der Menschen, vor jeglicher heimtückischen Versuchung, die in den Herzen der Menschen lauert.

Möge ihr Segen dich begleiten auf deinem täglichen Weg. Möge ihr Segen dich begleiten, in der Dunkelheit wie im hellen Licht. Mit ihrer göttlichen Anmut mögen sie deinen Geist führen, deine Bürde leichter machen und dir ewigen Schutz gewähren. — 162 —


Kabbala

Von jedem menschlichen Wesen strahlt ein Licht direkt bis in den Himmel. Und wenn zwei Seelen, die füreinander bestimmt sind, einander finden, vereinigen sich ihre Lichtströme, und ein einzelner, heller Lichtstrahl entspringt ihrem vereinten Wesen.

Say a little prayer 10 Religionen. 100 Karten für Seele und Geist

Konfuzianismus

Fehler zu machen und sich danach nicht zu ändern ist ein wirklicher Fehler.

Judentum

Gewähre uns Frieden, dein wertvollstes Geschenk, oh du ewiger Quell des Friedens. Möge Zufriedenheit herrschen im Staatsgebiet der Nationen, Gesundheit und Glück in ihren Häusern. Stärke die Bande der Freundschaft und Kameradschaft zwischen allen Bewohnern unserer Länder. Pflanze Tugend in jede Seele, und möge die Liebe deines Namens die Wohnungen und Herzen weihen. Schreibe uns ein ins Buch des Lebens, und gewähre uns ein Jahr des Wohlstands und der Freude. Gepriesen seist du, oh Herr, der du den Frieden gibst. Amen.

Candomblé

Hinduismus

Om. Wir verehren und bewundern dich, oh Shiva, der du drei Augen hast. Du bist die süße Freude, der Duft des Lebens, der uns ernährt, uns Gesundheit bringt, dank deiner gedeihen wir. So wie der Stängel der Gurke schwächer wird, wenn die Zeit gekommen ist, und sich der Kürbis von der Ranke löst, so befreie mich von Fesseln und Tod, und verweigere mir nicht die Unsterblichkeit. — 163 —

Starker Orixá, der du so üppig gedeihst. Oh Herr Obaluayê, lass die Gesundheit immer stark sein, und bringe sie in mein Haus und zu meiner Familie.

Say a Little Prayer. 10 Religionen, 100 Gebete Giovanni Bianco € 29,99


Bibliophile Ekstasen

Der belgische Sammler René Rousseau öffnet die Türen seiner gewaltigen TASCHEN-Sammlung und lässt uns an seiner Obsession teilhaben


Wer hat sich das ausgedacht? Wer veröffentlicht so was? Es war dieses kleine Buch, ein Geschenk von meinem Vater aus dem Jahre 1997, das erstmals meine Aufmerksamkeit auf Benedikt Taschen lenkte. Es handelte sich um Jan Saudek: eine atemberaubende Gegenüberstellung von Erotik und Verfall, dem langen allmählichen Abgleiten von der Jugend ins Alter. Als ich das Buch zum ersten Mal durchblätterte, wurde ich ganz rot. Vor Scham? Scheu? Erregung? Oder einfach nur vor Staunen, dass jemand den Mut gehabt hatte, das zu publi-

Rousseaus TASCHENSammlung: 179 Collector’s und Art Editions sowie mehr als 650 reguläre Ausgaben von den kleinsten Appetithappen bis zu XXL-Büchern zieren? Ich musste mehr über diesen Menschen erfahren! 2007 bekomme ich Wind von einer Veröffentlichung über Vanessa del Rio, ebenfalls bei TASCHEN. Als Teenager war ich mit Vanessa wohlvertraut. In einem düsteren Kino in Amsterdam servierte mir dieser Latina-Pornostar meinen ersten „Erwachsenenfilm“ und hinterließ dabei einen unvergesslichen Eindruck. Da ist sie wieder – auf dem Buchmarkt und in meinem Kopf! Ein Anruf in der Kölner Zentrale ist angesagt! Ich spreche mit dem Leiter des Direktvertriebs, der mich überredet, mir meine erste Collector’s Edition zuzulegen. Ein paar Tage später wird mir Vanessa ins Gegenüber: Supersammler René Rousseau mit dem Buch, das Erinnerungen weckte an jüngere Jahre, als er noch zarter besaitet war. Rechts: Das Herzstück der Bibliothek ist eine acht Meter lange Vitrine mit tiefen eingebauten Schubladen.

Haus geliefert, eingewickelt in braunes Packpapier und Karton – eine Aufforderung, sie rasch zu entblößen. Meine Hände zittern, als ob ich wieder 16 wäre, während ich Vanessa Schicht um Schicht von ihren Hüllen befreie. Der Einband ist mit Leopardenfellmuster bedruckt, und mit dem verführerischen kirschroten Kussabdruck der Einleitung zieht sie mich sofort wieder in ihren Bann. Von diesem Augenblick an bin ich TASCHEN rettungslos verfallen. Ich telefoniere erneut und frage, ob sie noch etwas ähnlich Kühnes und Künstlerisches auf Lager haben. Es wird ein langes Gespräch: über die verschiedenen Editionen, über die Künstler und ihre Kunst, über ex-treme Formate, über Sammler und Technik. Meine Leidenschaft ist geweckt. TASCHEN schickt mir ein paar „Teaser“, die Appetit-häppchen der Bücherwelt. Und sie funktionieren, sie sind für sich schon kleine Kunstwerke! Von da an hebe ich jede Verpackung, jedes Papier, jeden Umschlag, jeden Karton auf. Es kommt mir vor, als schüfe Benedikt diese Bücher eigens für mich. TASCHEN ist für mich zur Obsession geworden. Etwas später, als ich An Encyclopedia des dänisch-isländischen Künstlers Olafur Eliasson in Händen halte, weiß ich: Es gibt kein Zurück mehr! Dieser Band mit den rieselnden Regentropfen auf dem Umschlag ist noch immereinesmeinerLieblingsstücke. Von da an eskaliert das Ganze. Eine Collector’s Edition nach der anderen wird mir nach Hause geliefert. Zu meinen absoluten Favoriten gehört das TASCHEN-Buch über das Werk des Tierillustrators und Malers Walton Ford. Der Kunstdruck zeigt Kolibris, die zwischen „Leimblüten“ gefangen sind, was schon bald zu einer treffenden Metapher für meine wachsende TASCHENSammlung wird. An den Wänden entlang, unter Betten, auf Tischen, unter Tischen, wo immer sich ein Platz findet, haben sich inzwischen TASCHEN-Bücher angesammelt. Bei meiner Frau und unseren neun Kindern macht sich stiller Unmut breit. — 165 —

Es wird mir klar, dass die Sammlung vereint werden muss, sichtbar an einem Ort versammelt, aber dass jedes Buch auch individuelle Aufmerksamkeit und seinen eigenen Lebensraum verdient. Ich blicke aus dem Fenster auf den Wagenschuppen aus dem 19. Jahrhundert, in dem ich lange Zeit exotische Vögel züchtete, und sofort schießt es mir durch den Kopf: Das wird mein TASCHEN-Museum. Meine Ruhmeshalle! Nach einer nachhaltigen Renovierung, wie es solchen Büchern geziemt, findet meine TASCHEN-Bibliothek in einem Vogelhaus ihr neues Heim. Mit Walton Fords Kolibri-Druck schließt sich der Kreis. Die ganze Geschichte gibt es auf taschen.com

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Die Entdeckung der Welt seit 1888

Eine Reise durch die Zeit mit National Geographic in drei spektakul채ren B채nden


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National Geographic. In 125 Jahren um die Welt 3 Bände in Schubern € 399

„Seit Jahren hat mich kein Buch so inspiriert.“

— Thesartorialist.com


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Los Angeles Pop-Up-Galerie 8070 Beverly Blvd.

Vorzugshabitat


„TASCHEN beweist immer exquisiten Geschmack und Stilgefühl, sei es in Content oder im Design ... das Niveau ist unerreicht.“ —Matt Weiner

für den smarten Buchwurm


„Ein unvergleichbares Portrait der Männer und Frauen, die die Kultur der letzten fünfzig Jahre geprägt haben.“

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Limited Edition nummeriert & signiert € 2000


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