Inhaltsverzeichnis
Linde Safety Pilot……………………………………………………………………………..…........................ 1 B. Walter, F. Lidle Autonome Flurförderzeuge der Zukunft: Intelligent dank selbstorganisierter Kooperation und fahrzeugbasierter, dynamischer Wegplanung……………………………............................................................9 V. Viereck
„FiFi“ – Elektrohubwagen: Gestengesteuerte Bedienung ohne Deichsel…………………................................. 17 A. Trenkle, J. Rappl, K. Furmans
Innovative Methoden zur Entwicklung lärmarmer Maschinen…………………………...…………………...... 29 J. Scholten, F. Baranski
Theoretische, simulative und experimentelle Untersuchung des Nachlaufverhaltens von Schleppzügen............ 43 S. Ulrich, K. Krivenkov, R. Bruns
Rechtliche Anforderungen zur Ausrüstung und Nutzung der Fahrerrückhalteeinrichtung und zur Ausbildung von Staplerfahrern in der EU……..……………………………………………………………....... 61 M. Gaub
Flottenmanagement in der Intralogistik………………………………………..…………..……………………. 63 J. Sellentin
Toyota Li-Ionen – neue Maßstäbe setzen ...…………………………………………………....…….................. 65 K. Hesse
Verlustleistungsuntersuchung am Elektrostapler-Antriebssystem.....….…..……………………........................ 71 K. Iuchi, M. Hammer, M. Erggelet, P. Ruatto
Linde Safety Pilot DIPL.-BETRIEBSW. BJÖRN WALTER UND DIPL.-ING. FRANK LIDLE
Linde Material Handling GmbH
Kippunfälle mit Gabelstaplern sind zwar relativ selten, doch wenn solch ein Unfall passiert, sind die Folgen oft gravierend. Sie reichen von Sachschäden bis hin zu schweren oder gar tödlichen Verletzungen des Fahrers oder von Personen aus dem Arbeitsumfeld. 25% der tödlichen Unfälle sind Kippunfälle [1].
Abbildung 1: Kippunfall eines Gegengewichtsstapler Um solche Unfälle zu vermeiden tragen nicht nur der Betreiber sowie der Führer des Flurförderzeugs eine Verantwortung. Auch die Hersteller von Staplern sind dazu verpflichtet, die Basis für einen sicheren Betrieb der Fahrzeuge zu schaffen. Die Kennzeichnung der maximalen Tragfähigkeit in Form von Traglasttabellen oder – diagrammen ist der seit langem praktizierte Standard.
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Abbildung 2: Verantwortung für den sicheren Betrieb von Flurförderzeugen Die kennzeichnenden Größen der Tragfähigkeit sind die zulässige Last bei einem vorgegebenen Lastschwerpunktabstand und der zugehörigen Hubhöhe. Für den Bediener eines Staplers sind unter diesen drei Größen oftmals eine oder mehrere unbekannt oder nur grob abschätzbar. In Einsätzen, in denen zunächst unbekannte, wechselnde Lasten zu handhaben sind, muss der Staplerfahrer das Lastgewicht, den Lastschwerpunktabstand und die Höhe, auf die die Last gehoben werden soll, kennen. In der Praxis bleibt ihm oft keine andere Möglichkeit, als sich auf sein „Gefühl“ zu verlassen, das auf seiner individuellen Erfahrung im Umgang mit seinem Fahrzeug beruht. Das Verhalten und die Risikofreude des Fahrers haben somit einen großen Einfluss auf die Sicherheit des Arbeitsbetriebs. Eine große Hilfe für die Aufgabenstellung an den Führer eines Staplers sind also Informationen zu den benannten unbekannten Größen beim Lasthandling. Hier setzt der Linde Safety Pilot (LSP) an. LSP ist ein Assistenzsystem, das dem Fahrer hilft, den durch die Last und ihren Schwerpunkt entstandenen Beladungszustand des Staplers zu beurteilen. LSP wird in zwei Ausführungen für Gegengewichtsstapler angeboten. Die Grundausführung, LSP Select, verfügt über Sensoren zur Bestimmung des Lastgewichts und der Hubhöhe. Der Druck im Hydrauliksystem des Hubgerüsts wird mit einem Drucksensor gemessen und mit Hilfe der bekannten konstruktiven Größen (Zylinderdurchmesser/ Hubkettenübersetzung) in das Lastgewicht umgerechnet. Zur Erfassung der Hubhöhe wird ein speziell dafür neu entwickelter Seillängengeber eingesetzt, der in das Hubgerüst integriert wurde. LSP Select visualisiert diese Sensorgrößen sowie die des seit langem serienmäßigen Neigewinkelsensors in einer übersichtlichen Anzeige. Mit den genannten Messgrößen alleine lässt sich die Beladungssituation des Fahrzeugs noch nicht vollständig erfassen. Hierzu ist die Kenntnis des Lastmoments erforderlich. Zur sicheren Erfassung des Lastmoments kann die Hinterachslast des Fahrzeugs genutzt werden. Hierfür hat Linde einen einzigartigen Achslastsensors für Lenkachsen entwickelt. So ergänzt der Achslastsensor die Ausrüstung des Linde Safety Pilot zur Vollversion LSP Active.
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Abbildung 3: Sensorik zur Erfassung der Beladungssituation eines Staplers mit LSP Active An den Lagerzapfen der Pendellenkachse wurde jeweils eine Messzelle mit Dehnmessstreifen appliziert, deren Signale die Lagerkräfte zwischen Lenkachse und Fahrzeug erfassen. Bei bekanntem Radstand kann damit das Lastmoment bzw. der Lastschwerpunktabstand errechnet werden. Um einen hohen Performancelevel zu erreichen sind alle eingesetzten Sensoren redundant ausgeführt. Alle erfassten bzw. daraus berechneten Größen werden auch bei LSP Active zur Visualisierung für den Fahrer in einer grafischen und numerischen Anzeige aufbereitet. Die bekannte Kennzeichnung der Tragfähigkeit durch ein Diagramm oder eine Tabelle wird also ergänzt um eine übersichtliche dynamische Traglastanzeige, die den Fahrer aktuell über die bei der aufgenommenen Last mit ihrem Lastschwerpunktabstand maximal zulässige Hubhöhe und zulässige Vor- und Rückneigung des Hubgerüsts informiert.
Abbildung 4: Elektronische Traglastanzeige Linde Safety Pilot Active
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Aus den erfassten Sensorsignalen lässt sich nicht nur diese zusätzliche Anzeige generieren. Sie ermöglichen es auch im Grenzbereich der Tragfähigkeit in Hub- und Neigebewegungen des Fahrzeugs aktiv einzugreifen. Verfügt die Fahrzeugsteuerung also zusätzlich über Daten zur maximalen Tragfähigkeit, dann ist eine Reduzierung der Hub- und Neigebewegung bis hin zum Stoppen der Bewegung möglich. Dieser aktive Eingriff wird zusätzlich unterstützt durch entsprechende optische und akustische Warnungen an den Fahrer.
Abbildung 5: Anzeige und Eingriffe in verschiedenen Arbeitsbereichen im Stapelbetrieb mit LSP Active Aber nicht nur im „quasi statischen“ Stapelbetrieb besteht Kippgefahr, auch in fahrdynamischen Situationen ist eine Unterstützung des Fahrers sinnvoll, insbesondere beim überschneidenden Fahren und Heben. Dies ist zwar nicht zulässig, aber doch häufig in der Praxis zu beobachten. Eine zu große Fahrgeschwindigkeit und Beschleunigung bzw. Verzögerung sowie Querbeschleunigung durch Kurvenfahrt stellen eine erhebliche Gefährdung der Fahrzeugstabilität dar. Auch in solchen Situationen bietet die Sensorik von LSP Active die Chance, durch aktiven Eingriff auf die Fahrfunktionen eine Fehlbedienung oder Fahrfehler präventiv zu vermeiden oder im akuten Fall deren Folgen abzumildern. LSP Active unterstützt den Fahrer, potenziell gefährliche Fahrmanöver zu vermeiden und das Fahrzeug in Grenzsituationen besser beherrschbar zu halten. Auch dabei ergänzen entsprechende Anzeigen den aktiven Eingriff, um den Fahrer zu warnen. Das Assistenzsystem LSP kann lediglich im Rahmen der technischen Möglichkeiten von Sensorik und 4
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Steuergeräten Informationen anzeigen oder auf den Betrieb des Fahrzeugs Einfluss nehmen. Äußere Randbedingungen des Einsatzorts wie Bodenneigung und –unebenheiten oder pendelnde Lasten können von LSP nicht erfasst werden. Um die Performance des Fahrzeugs nicht unnötig zu beschneiden erfolgen unterhalb von 0,5 m Hubhöhe keine Eingriffe in Fahr- und Arbeitsfunktionen. Aus diesen Gründen bleibt letztlich die Verantwortung für den Betrieb und Einsatz beim Fahrer und Betreiber.
Abbildung 6: Möglichkeiten und Grenzen des Assistenzsystems LSP Active Um die Eingriffsmöglichkeiten von LSP Active individuell auf jedes Fahrzeug anzupassen ist eine Parametrierung der Fahrzeugsteuerung notwendig. Hierzu werden Daten zur Ausrüstung des Staplers hinsichtlich Hubgerüst, Anbaugerät, Bereifung, Tragfähigkeit und das Gesamtgewicht des unbeladenen Fahrzeugs berücksichtigt. Diese Informationen werden über die Diagnoseschnittstelle in die Steuerung eingespielt.
Abbildung 7: Parametrierung des Assistenzsystems LSP Active Sowohl beim LSP Select als auch beim LSP Active wird die Mensch-Maschine-Schnittstelle mit einem zusätzlichen vollgrafischen Farbdisplay dargestellt. Zur Interaktion des Bedieners mit den Systemen dient ein in die Armlehne des Fahrersitzes integriertes Bedienteil mit Dreh-Drück-Encoder und zwei Tasten. Damit kann intuitiv durch das hierarchisch gegliederte Menü navigiert werden.
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Abbildung 8: Mensch-Maschine-Schnittstelle des Linde Safety Pilot Darin finden sich viele weitere nützliche und informative Funktionen und Anzeigen wie z. B.die Hubhöhen- und Neigevorwahl die das immer wiederkehrende Ein- und Auslagern von Waren in Regale deutlich erleichtert. Eine weitere oft nachgefragte Funktion ist die Lastwaage. Hier kann mit einem halbautomatisch ablaufenden Wiegevorgang, der nur kurze Zeit in Anspruch nimmt, die Genauigkeit der Lastgewichtserfassung deutlich gesteigert werden. Die Lastwaage beinhaltet eine Summenfunktion mit undo / redo Möglichkeit sowie eine Tara- Funktion.
Abbildung 9: Funktionsbild der Lastwaage im LSP Menü Zur Reduzierung der TCO wurde einstellbareHubbegrenzungen integriert.
auch
ein
Gabelzinkenverschleißschutz
sowie
Der Einzug elektronischer Komponenten wie Steuergeräte und Sensoren in moderne Flurförderzeuge schreitet unaufhaltsam voran und eröffnet neue Möglichkeiten zur Erhöhung von Transparenz, Sicherheit und Komfort. Der Linde Safety Pilot setzt neue Maßstäbe und ermöglicht damit eine hohe Produktivität bei gleichzeitig hoher Sicherheit für Fahrer und Betreiber.
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Abbildung 10: Linde Safety Pilot Key Visual Quellen: [1]
Bruns, R. Prof. Dr.-Ing.: Sicherheitsnachweis für Stapler. Hebezeuge und Fördermittel, Berlin 42 (2002) 7-8.
Abkürzungen: LSP TCO
Linde Safety Pilot Total Cost of Ownership
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Autonome Flurförderzeuge der Zukunft: Intelligent dank selbstorganisierter Kooperation und fahrzeugbasierter, dynamischer Wegplanung DIPL.-ING. VOLKER VIERECK STILL GmbH – Vorentwicklung ZUSAMMENFASSUNG: Die im Rahmen von Forschungsaktivitäten entwickelten autonomen STILL-Transportroboter „FM-X autonom“ und „CX-T autonom“, die im Szenario einer vollautomatischen Be- und Entladung von Routenzügen kooperieren, werden vorgestellt. Ziel ist es, Antworten zu liefern auf den Bedarf an hochflexiblen automatisierten Transportfahrzeugen, die durch den Anwender selbst auf einfachste Weise in Betrieb genommen und an Prozessveränderungen angepasst werden können.
FIRMENPROFIL STILL bietet maßgefertigte innerbetriebliche Logistiklösungen weltweit und realisiert das intelligente Zusammenspiel von Gabelstaplern und Lagertechnik, Software, Dienstleistungen und Service. Mit über 7.000 Mitarbeitern, vier Produktionsstätten, 14 Niederlassungen in Deutschland, 20 Tochtergesellschaften im Ausland, sowie einem weltweiten Händlernetz ist STILL erfolgreich international tätig. Mit höchster Qualität, Zuverlässigkeit und innovativer Technik, erfüllt STILL heute und in Zukunft die Anforderungen kleiner, mittlerer und großer Unternehmen.
HERAUSFORDERUNG DES MARKTES Aufgrund der gestiegenen Komplexität und Dynamik der Einsatzgebiete spielen Flexibilität und Wandelbarkeit in der Logistik eine immer wichtigere Rolle. Darüber hinaus nimmt auch die Bedeutung von Automatisierungen der innerbetrieblichen Logistikprozesse rasant zu. Bedingt durch die kontinuierlich wachsenden Anforderungen rückt die Teil- oder Vollautomatisierung von diversen Lagervorgängen oder der internen Produktionsversorgung immer mehr in den Fokus. Ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen interessieren sich mehr und mehr für die Automatisierung von Lager- bzw. Transportabläufen. Eine hohe Komplexität bzgl. Planung und Auslegung, Ersteinrichtung und Anpassung heutiger Automatisierungslösungen erfordert jedoch jeweils den Einsatz von Spezialisten, was zu hohen und schwer kalkulierbaren Investitionskosten für Beschaffung, Wartung und Anpassung führt, so dass die Implementierung einer solchen Automatisierungslösung dann oft nicht stattfindet.
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LÖSUNGSANSATZ Zur notwendigen Verringerung der Komplexität und der damit einhergehenden Reduzierung des erforderlichen Invests für Ersteinrichtung und Anpassung einer Automatisierungslösung, entwickelt STILL Automatisierungslösungen, die es dem Anwender erlauben, fahrerlose Transportsysteme selbstständig in Betrieb zu nehmen, zu betreuen und an Veränderungen der Logistikprozesse anzupassen. Richtungsweisend für die Entwicklung ist dabei die Beachtung folgender Eckpunkte: • • •
Deutliche Senkung von Einrichtaufwand und –komplexität Erhöhung der Eigenintelligenz der Transportfahrzeuge bis hin zur eigenständigen Anpassung ihres Fahrverhaltens an veränderte Umgebungsbedingungen Erhebliche Vereinfachung der Bedienbarkeit
Mit dem Ziel, weitreichende zukunftsorientierte Lösungen für die genannten Eckpunkte zu entwickeln, engagiert sich STILL seit einigen Jahren im Bereich der Forschung zu mobiler Robotik und arbeitet hier intensiv mit verschiedenen Instituten und Universitäten zusammen. Beispielhaft seien an dieser Stelle hierzu zwei aktuelle Forschungsprojekte genannt: • marion – „Mobile autonome, kooperative Roboter in komplexen Wertschöpfungsketten“; (BMWi-Verbundprojekt) – hat die Roboterisierung der Arbeitsprozesse mit autonomen Fahrzeugen unter besonderer Berücksichtigung der Kooperation der beteiligten Maschinen zum Ziel. marion wurde unter Beteiligung der Partner CLAAS, Atos, DFKI und STILL vom 01.08.2010 bis 30.11.2013 durchgeführt. • Hub2Move – (EffizienzCluster LogistikRuhr; BMBF) - Das Verbundprojekt Hub2Move folgt dem Leitbild eines beweglichen Lagers, wobei das Akronym gleichbedeutend für Materialflusssysteme steht, bei denen die Funktionselemente des physischen Warenflusses an wechselnde Anforderungen leicht angepasst oder zur Funktionserfüllung an einen besser geeigneten Ort verlegt werden können. Ziel ist es, die Flexibilität und Effizienz der logistischen Leistungserbringung für den physischen Warenfluss zu erhöhen. Hub2Move wird unter Beteiligung der Partner Fraunhofer IML, Lanfer Automation GmbH & Co.KG, Linogistix GmbH, Transportanlagen Ryll GmbH, Die im Projekt marion im Anwendungsfall Intralogistik erzielten Ergebnisse, sollen im Folgenden anhand einer vollautonomen Be- und Entladung von Routenzügen verdeutlicht werden.
DIE LÖSUNGEN VON MARION FÜR DAS ANWENDUNGSFELD INTRALOGISTIK Der folgende Abschnitt zeigt im Rahmen des Forschungsprojekts marion entwickelte bzw. weiterentwickelte autonome STILL-Transportroboter, deren Fähigkeiten insbesondere im Bereich der Umgebungswahrnehmung und entsprechend eigenständiger Verhaltensanpassung liegen.
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Abbildung 1: STILL CX-T autonom und STILL FM-X autonom kooperieren für eine vollautonome Be- und Entladung von Routenzugtrailern Das entwickelte System ermöglicht einen flexiblen Einsatz von Transportrobotern auch in Prozessen, die einem ständigen Wandel unterliegen. Hierfür wurden Werkzeuge entwickelt, die es dem Betreiber erlauben, automatisierte Fahrzeuge mit geringstem Aufwand selbst in Betrieb zu nehmen oder deren Einsatz nach Bedarf anzupassen. Ein Schlüsselfeature hierfür bildet das entwickelte dynamische Fahrwegplanungssystem, das auf den Fahrzeugen selbst zum Einsatz kommt. Es ermöglicht den Fahrzeugen unter den aktuellen Umgebungsbedingungen entsprechend optimale Fahrwege zum Zielort (z.B. einer Palette in einem Regal) zu bestimmen und anschließend abzufahren. Sich ändernde Platzverhältnisse werden automatisch berücksichtigt. Eine aufwendige Fahrwegkonfiguration zu jedem einzelnen Stellplatz eines Lagers entfällt. Abbildung 2 stellt diese Aufwände einer konventionellen Fahrwegsdefinition der marion-basierten Vorgabe, bei der lediglich die gewünschten Einsatzbereiche der Transportroboter spezifiziert werden müssen, gegenüber.
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Abbildung 2 – Links: Konventionelle Fahrwegdefinition; Rechts: marion basierte Vorgabe des gewünschten Einsatzbereichs der Transportroboter
Das eine derartige Eliminierung der Konfigurationsaufwände möglich ist, verdeutlicht eindrucksvoll Abbildung 3. Ausgehend von einer Startposition ermittelt das Fahrwegplanungssystem, lediglich unter Nutzung der aktuellen Daten seiner Umgebungssensorik, jeweils den für die Situation optimalen Anfahrtweg an einen Stellplatz einer Palette in einem Regal. Beispielhaft sei hier auf die dargestellte Gangende-Situation verwiesen, in der bei Anfahrt des letzten Stellplatzes des Regalganges, aufgrund des begrenzten Rangierraums, automatisch eine vorgezogene Wendung des Fahrzeugs geplant wird. Sind die eingesetzten Transportroboter folglich in der Lage, durch derartige Algorithmen in Echtzeit und Onboard, optimale Fahrwege zu beliebigen Zielen zu ermitteln, so besteht keine Notwendigkeit für eine aufwendige und statische Vordefinition von Fahrwegen mehr. Der Konfigurationsaufwand wurde entscheidend reduziert.
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Abbildung 3: Unter Verwendung des dynamischen Fahrwegplanungssystems kostenoptimale Fahrwege zu einem vorgegeben Palettenstellplatz
ermittelte
Im Szenario der vollautonomen Be- und Entladung von Routenzügen kommen zwei autonome STILLFahrzeuge zum Einsatz. Dabei handelt es sich um das Schleppfahrzeug „STILL CX-T autonom“, das mit mehreren Anhängern ausgestattet im Routenbetrieb läuft und um den autonomen Schubmaststapler „STILL FM-X autonom“, der für die Be- und Entladung der Schleppzuganhänger eingesetzt wird. Die Fahrzeuge orientieren sich mit Hilfe eines 3D-Laserscanners an ihrer natürlichen Umgebung und benötigen so keine künstlichen Landmarken zur Navigation. Sie kommunizieren auf direktem Weg miteinander, tauschen benötigte Informationen aus oder delegieren Subaufträge aneinander. Diese Funktionalität nutzt beispielsweise das Schleppzugfahrzeug, wenn es den Auftrag bekommt, einen Ladungsträger an einem definierten Zielort abzusetzen. Es erfragt dazu in der Fahrzeugflotte geeignete zur Verfügung stehende Fahrzeuge zum Entladen und vergibt anschließend auf Basis der zurückgemeldeten Kostenschätzungen der Entladefahrzeuge, einen entsprechenden Subauftrag an das am besten geeignete Fahrzeug. Schon während der Fahrt zum Entladeort schätzt der Schleppzug „CXT-autonom“ die Position seiner Anhänger und publiziert diese auch dem Entladefahrzeug „FM-X autonom“. Sobald beide Fahrzeuge den Zielort erreicht haben, vermisst das Entladefahrzeug den realen Standort des zu entladenden Trailers sehr genau und plant anschließend einen kostenoptimalen Fahrweg zum ermittelten Zielpunkt, wie in Abbildung 4 dargestellt. Die aktuell in 2D und 3D erfassten Platzverhältnisse und eventuelle Hindernisse (Wände, Paletten, Kartons, etc.) werden dabei berücksichtigt.
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Abbildung 4: Routenzug und FMX mit geplantem Fahrweg des FMX zur Anfahrt an den Anhänger
Der Trailer wird entladen, wobei sich das Entladefahrzeug dabei permanent an seinem Ziel, dem Trailer bzw. der aufzunehmenden Palette orientiert und so in der Lage ist, bestehende Resttoleranzen auszugleichen. Anschließend gehen beide Fahrzeuge ihren erhaltenen Folgeaufträgen nach, sofern erforderlich, werden sie erneut zur Erfüllung ihnen gestellter Aufgaben eigenständig in Kooperation treten.
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Abbildung 5: Reale Umsetzung des Kooperationsszenarios zwischen FM-X autonom und CX-T autonom mit 3 Anhängern
Dieses Szenario zeigt eindrucksvoll, dass selbst eine so anspruchsvolle Aufgabe wie die Entladung von Anhängern mit ihren großen Positionsabweichungen von automatisierten Transportrobotern gemeistert werden kann. Dank intuitiv bedienbarer Konfigurationswerkzeuge sinkt dabei für den Betreiber die gefühlte Komplexität, da er nur die für seinen Prozess tatsächlich notwendigen Vorgaben zu machen hat, die automatisierungsspezifischen Planungen werden von den Fahrzeugen selbst übernommen.
ZUSAMMENFASSUNG Mit der Beteiligung an verschiedenen Forschungsprojekten und der Kooperation mit Instituten und Universitäten unterstützt STILL die Weiterentwicklung neuester Verfahren und Technologien im Bereich Fahrerloser Transportsysteme und der mobilen Robotik. Das vorgestellte Projekt marion sowie das marion Ziel-Szenario der vollautomatischen Be- und Entladung von Routenzügen durch kooperierende autonome STILL Transportroboter belegen eindrucksvoll, welche Möglichkeiten sich durch den Einsatz autonomer Transportsysteme im intralogistischen Bereich und der Produktion ergeben. Gekoppelt mit der Erhöhung der Eigenintelligenz der Fahrzeuge, wodurch eine deutliche Steigerung des Autonomiegrades ermöglicht wird, sinkt der durch den Anwender zu erbringende Konfigurationsaufwand erheblich. Im Vergleich zu klassischen Ansätzen wird nur noch ein Bruchteil an Informationen benötigt, um ein autonomes Fahrzeug sicher und mit höchster Transportleistung zu
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betreiben. Ergänzt um die Fähigkeit, sich selbst an Umgebungsveränderungen anzupassen, erfüllen zukünftige autonome STILL-Transportroboter darüber hinaus den Bedarf an höchster Flexibilität im Einsatzfall.
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„FiFi“-Elektro-Gabelhubwagen Gestengesteuerte Bedienung ohne Deichsel DIPL. INFORM. ANDREAS TRENKLE, B. SC. JÖRDIS RAPPL UND PROF. DR.-ING. KAI FURMANS Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme (IFL) ZUSAMMENFASSUNG: Um den manuellen Transport in der Intralogistik zu erleichtern, wurde ein Fahrerloses Transportfahrzeug (FTF) entwickelt, das berührungslos vom Bediener gesteuert wird. Die Steuerung erfolgt durch Gesten- und Personenerkennung basierend auf 3D-Daten der Umgebung. Diese Abhandlung beschreibt Zielsetzung und Betriebsarten von „FiFi“ und erläutert die Möglichkeiten und Herausforderungen beim Transfer der FiFiFunktionen auf einen Elektro-Gabelhubwagen.
1. MOTIVATION Die Interaktion von Menschen mit Maschinen der Intralogistik geschieht üblicherweise über spezialisierte Bedienelemente. Eine Kransteuerung erfolgt z.B. über ein mit Tastern ausgestattetes Bediengerät, das über Funk oder Kabel angebunden ist. Beim Gabelhubwagen besteht das Bedienelement aus der Deichsel und Stellteilen. Die Interaktion mithilfe von Bedienelementen hat den Nachteil, dass die Hände des Benutzers gebunden sind und damit nicht für andere Aufgaben zur Verfügung stehen. Die Gestensteuerung hat den Vorteil, dass sie ohne spezielle Ausrüstung genutzt werden kann. Sie erlaubt, dass eine Person ein Gerät steuert, ohne dass eine Datenverbindung zwischen Bediengerät und dem zu steuernden Element vorhanden sein muss. Dies ermöglicht eine insgesamt einfachere Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Als Demonstrator dieser Technik wurde am Institut für Fördertechnik und Logistiksysteme (IFL) das gestengesteuerte Fahrzeug „FiFi“ entwickelt. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurden in Kooperation mit dem Industriepartner Bär Automation zwei Versuchsfahrzeuge aufgebaut, die in verschiedenen Reifegraden das Potenzial der Gestensteuerung und der Personenverfolgung zeigen. Ein Benutzer kann sich mithilfe einfacher Gesten bei dem Fahrzeug anmelden; das Fahrzeug folgt ihm bis sich der Benutzer abmeldet. Außerdem können weitere Funktionen, wie zum Beispiel das Heben und Absenken der Plattform gesteuert werden. Die geringe Distanz zwischen Mensch und FiFi – beispielsweise beim Kommissionieren, lässt die Arbeitsbereiche von Mensch und Maschine verschmelzen. Dies birgt die besondere Herausforderung der sicheren Interaktion zwischen Mensch und Maschine. In diesem Beitrag wird zuerst der Stand der Technik im Bereich der Personenverfolgung dargestellt. Anschließend werden in Kapitel 3 die Betriebsarten und Funktionen von FiFi beschrieben. In Kapitel 4 werden die sicherheitstechnischen Herausforderungen der gestengesteuerten Bedienung eines
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Elektro-Gabelhubwagens dargestellt. In Kapitel 5 werden die Anwendungsbereiche eines GabelhubFiFi erklärt und der Nutzen des Einsatzes erläutert. Abschließend folgt ein Ausblick auf zukünftige Forschungsvorhaben.
2. STAND DER TECHNIK: GESTENSTEUERUNG UND PERSONENVERFOLGUNG Nachfolgend werden zum einen Produkte vorgestellt, die Personen folgen und zum anderen Forschungsprojekte beschrieben, die sich mit Gestensteuerung und Personenverfolgung beschäftigen. Während bei der Personenverfolgung aus Position und Bewegung des Benutzers Befehle generiert werden, nutzt die Gestensteuerung einzelne Bewegungen der Gliedmaßen zur Befehlserzeugung. Im kommerziellen Bereich sind bereits Fahrzeuge verfügbar, die dem Benutzer folgen. Hierzu zählt ein Golf-Trolley (Abbildung 1) des Unternehmens Caddytrek der sich vom Nutzer entweder mittels Fernsteuerung steuern lässt oder einem Ultraschallsender folgt, den der Nutzer bei sich trägt. Mit einem Eigengewicht von 15 kg können bis zu 20 kg zugeladen werden.
Abbildung 1: Golf-Trolley folgt seinem Benutzer (Quelle: www.caddytrek.com) Ein weiteres Produkt ist der angetriebene Einkaufswagen „Budgee“ (Abbildung 2) von Five Elements Robotics, der dem Träger eines Senders folgt und dabei Einkäufe mit einem Gewicht von bis zu 20 kg transportiert. Sender und Fahrzeug kommunizieren hierbei über Ultraschall und ZigBee.
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Abbildung 2: Folge-Einkaufswagen „Budgee“ (Quelle: www.5elementsrobotics.com) Bei beiden Systemen muss der Nutzer auf die Befahrbarkeit des Terrains achten und berücksichtigen, dass weder Hindernisse noch Vertiefungen erkannt werden. Schutzeinrichtungen, die das Anfahren von Personen verhindern sind nicht vorhanden. In der Forschung ist die Personenverfolgung eine in der Robotik angesiedelte Disziplin. „Person Following Robots“ (PFR) erfassen die Umgebung mittels Sensoren, interpretieren die Rohdaten mittels Algorithmen und generieren daraus Steuerbefehle. Der in [Kob06] vorgestellte PFR (siehe Abbildung 3) nutzt eine Segwayplattform als Fahrantrieb, verarbeitet 2D-Daten eines Laserscanners und Videodaten einer omnidirektionalen Kamera. Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde die Verfolgung von Personen im Außenbereich bei Geschwindigkeiten von bis zu 2,3 m/s realisiert.
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Abbildung 3: Person-Following-Robot (PFR) auf Basis einer Segwayplattform Der in Abbildung 4 dargestellte PFR nutzt Algorithmen zur Verkürzung des Fahrwegs bei Personenverfolgung durch einen Hindernisparcours [Doi12]. Die 3D-Kamera Kinect ist durch einen zusätzlichen Mechanismus horizontal und vertikal schwenkbar und kann Personen dadurch ohne Fahrbewegungen optisch verfolgen. Bei Vergrößerung des Abstandes führt das Fahrzeug Fahrbewegungen zur Verfolgung aus. Die Kinect wird zur Personenverfolgung und ein Laserscanner zur Lokalisierung bzw. zur A-priori-Erstellung einer Umgebungskarte genutzt. Läuft die Person einen Umweg, kürzt das Fahrzeug ab. In einem Hindernisparcours wurde mit einem kombinierten Verfahren zwischen Personenverfolgung und Pfadplanung eine Verkürzung der Pfade um 29,6 % erreicht.
Abbildung 4: PFR für Experimente zur Verkürzung des Fahrweges
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3. BETRIEBSARTEN UND FUNKTIONEN VON FIFI Wie in der Einleitung erläutert, zielt FiFi darauf ab, den Bediener bei manuellen Transporten sowohl körperlich als auch geistig zu entlasten. Die körperliche Entlastung geschieht durch die Substitution der Deichsel mit einem Kamerasystem. Das Ziel der mentalen Entlastung soll durch die Reduzierung der Aufmerksamkeit, die für das Transportsystem nötig ist, erreicht werden. Zur Erreichung dieser Ziele wurden zwei Versuchsfahrzeuge entwickelt. Das erste Fahrzeug ist mit einer Hubvorrichung ausgestattet und kann Kleinladungsträger mit einem Gewicht von bis zu 20 kg transportieren (Abbildung 5). Das von Bär Automation entwickelte Versuchsfahrzeug (Abbildung 6) kann sowohl Lasten von bis zu 250 kg tragen als auch Kommissionierwägen ziehen. Details zu den eingesetzten Fahrzeugkomponenten sind in [Tre13] erläutert.
Abbildung 5: FiFi beim Transport eines Kleinladungsträgers
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Abbildung 6: Von B채r Automation entwickeltes FiFi Um den Einsatz von FiFi flexibel und effizient zu gestalten, wurden vier unterschiedliche Betriebsarten definiert (Abbildung 7). Der Benutzer kann nach Anmeldung je nach Bedarf zwischen den Betriebsarten wechseln.
Abbildung 7: Betriebsarten und Funktionen von FiFi
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Im Folgemodus ist vor allem die Personenerkennung aktiv. FiFi folgt einem sich bewegenden Nutzer indem es einen konstanten Abstand zur Person hält. Der Nutzer kann sich bewegen ohne auf FiFi zu achten und währenddessen andere Tätigkeiten ausführen. Der Rangiermodus ermöglicht eine Feinpositionierung z.B. zur Aufnahme oder Abgabe von Ladungsträgern. Hierbei wird statt der Personen- die Gestenerkennung eingesetzt. Als Referenz werden die Hände des Benutzers verwendet. Der Linienfolgemodus ist für längere Transportstrecken geeignet, in denen keine Interaktion mit dem Nutzer stattfinden. Wenn der Nutzer FiFi an eine optische Spur abgibt, folgt es dieser selbstständig unter Nutzung einer Spurführungskamera. Um größere Warenmengen zu transportieren, können im Clustermodus mehrere Fahrzeuge gleichzeitig einem Bediener folgen. Dabei folgt das erste Fahrzeug dem Bediener im Folgemodus und alle darauffolgenden dem Vorgängerfahrzeug. Der Hybridmodus ist eine Kombination aus Folgemodus und Linienfolgemodus. FiFi folgt der Linie und hält dabei einen konstanten Abstand zum Bediener. Mittels Übergabefunktion kann der Benutzer FiFi zur Auf- oder Abnahme eines Ladungsträgers nahe an sich heran bewegen. Der Abstand zwischen FiFi und Mensch ist dabei gering, weshalb die Fahrgeschwindigkeit aus Sicherheitsaspekten reduziert wird. Die Hubfunktion erlaubt das ergonomische Anheben der transportierten Kisten. Dabei soll sich das Fahrzeug selbstständig an die Größe des Bedieners anpassen. Zusätzlich kann der Benutzer den Hub mittels Geste auf die gewünschte Höhe positionieren. Integrierte Sicherheit ist notwendig, weil FiFi aufgrund der Personenverfolgung und der direkten Interaktion ständig im Kontakt mit Personen ist.
4. SICHERHEITSTECHNISCHE ANFORDERUNGEN AN EINEN GESTENGESTEUERTEN ELEKTROGABELHUBWAGEN Die für FiFi eingesetzten Betriebsarten und Funktionen lassen sich auf einen Elektro-Gabelhubwagen übertragen. Hierfür wird die Deichsel durch das 3D-Kamerasystem ersetzt. Beim Einsatz einer Deichsel muss sichergestellt werden, dass die Eingaben des Bedieners durch Betätigung der Stellteile eindeutig die gewünschte Funktion ausführen. Die Stellteile zur Ausführung der Fahrbewegung und dem Anheben/Absenken der Last müssen den in [EN 3691] beschriebenen Anforderungen genügen und so beispielsweise beim Loslassen wieder in die neutrale Ausgangsposition zurückkehren. Dabei liegt die Verantwortung für die sichere Ausführung der Fahrbewegungen beim Bediener, der entsprechend geschult sein muss. Durch den Einsatz des 3D-Kamerasystems und der Algorithmen zur Verarbeitung der Daten besteht die Möglichkeit, dass die Gesten und Bewegungen des Bedieners falsch interpretiert werden. Die FiFiSchnittstelle entspricht somit nicht den Anforderungen an eine Lenkdeichsel oder eine klassische Bedieneinheit zur Fernsteuerung nach [EN 3691]. Hieraus ergeben sich Risiken für den Bediener und Personen im Wirkbereich, denen mittels Schutzmaßnahmen begegnet werden muss. 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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Neben der Norm für Elektro-Gabelhubwagen [EN 3691] ist auch die Norm für Fahrerlose Transportfahrzeuge [EN 1525] nicht umfassend auf FiFi anwendbar, da darin „Ferngesteuerte Flurförderzeuge […] nicht als fahrerlose Flurförderzeuge betrachtet [werden]“ [EN 1525, Abs. 1.2]. Damit der Gabelhub-FiFi trotz nicht-sicherer Eingabe den Anforderungen der Maschinenrichtlinie genügt, sind technische Schutzmaßnahmen zur Reduzierung der Risiken erforderlich. Aus sicherheitstechnischer Sicht wird FiFi nicht als handbetriebenes sondern als autonomes Fahrzeug betrachtet. Da hierzu keine umfassende Norm verfügbar ist, ist eine Risikobeurteilung nach [EN 12100] erforderlich. Große Verletzungsrisiken ergeben sich durch das Anfahren einer Person, das Quetschen von Füßen und durch das Anheben oder Absenken der Last. Abhilfe schaffen zwei Laserscanner, die den Fahrbereich in Vorzugsfahrtrichtung und zur Seite der Gabeln abdecken (siehe Abbildung 8). Der Laserscanner in Vorzugsfahrtrichtung schützt vor. Kollisionen mit dem Bediener. Die Schutzfeldgröße wird dabei abhängig von der aktuellen Fahrgeschwindigkeit eingestellt. Der Laserscanner auf der Seite der Gabeln muss während dem Rangieren aktiv sein und trotzdem die Aufnahme von Paletten erlauben. Dies kann durch die Einteilung des Rangiermodus in zwei Phasen erreicht werden: - Rangieren zur Positionierung: Der Bediener positioniert das Fahrzeug im Rangiermodus mit angehobenen Gabeln. Der Laserscanner ist aktiv wodurch Kollisionen vermieden werden. - Rangieren zur Palettenaufnahme: Die Gabeln sind abgesenkt, der Laserscanner ist inaktiv. Zur Reduzierung der Verletzungsgefahr wird die Geschwindigkeit auf 0,3 m/s begrenzt und ein akustisches Warnsignal ausgegeben (vgl. [EN 1525]).
Abbildung 8: Laserscanner-Schutzfelder beim Gabelhub-FiFi
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Aufbauend auf diesen Schutzmaßnahmen können die bei FiFi umgesetzten Interaktionskonzepte für Gesten und Sprache auf den Gabelhub-FiFi übertragen werden. Die hierdurch realisierbaren Anwendungsszenarien werden im Folgekapitel beschrieben.
Abbildung 9: Gesten zur Steuerung des Gabelhub-FiFi
5. ANWENDUNGEN UND NUTZEN EINES GABELHUB- FIFI Durch Kombination der Betriebsarten können die Funktionen von FiFi in zahlreichen Anwendungen eingesetzt werden. FiFi kann beim Transport von Großladungsträgern zum Einsatz kommen. Dabei kann der Benutzer im Rangiermodus, durch Steuerung mit den Handflächen, die Gabeln von FiFi exakt unter eine Palette fahren. Mittels Hubgeste (siehe Abbildung 9 und Abbildung 10) werden die Gabeln mitsamt Palette angehoben. Anschließend läuft der Mitarbeiter einfach los wodurch der in Abbildung 11 dargestellte Folgemodus aktiviert wird und FiFi dem Mitarbeiter in konstantem Abstand folgt.
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Abbildung 10: Anheben der Palette mittels Hubgeste
Abbildung 11: Gabelhub-FiFi im Folgemodus Bei der Palettenkommissionierung ermöglicht FiFi dem Bediener die Fokussierung seiner Aufmerksamkeit auf den eigentlichen Kommissionierprozess, da das Fahrzeug selbstständig folgt. Um eine effiziente Kommissionierung mit möglichst kurzen Laufwegen zu ermöglichen, wird die Kamera in diesem Betriebsmodus schräg nach hinten ausgerichtet. FiFi bewegt sich dabei so, dass sich die Palette stets neben dem Bediener befindet. Um die Kommissionierung auch in engen Gassen zu ermöglichen, kommt der Hybridmodus zum Einsatz. Hierbei bleibt FiFi auf der Spur und hält dabei den Folgeabstand zum Kommissionierer. Bewegt sich dieser seitlich weg um Güter aus dem Regal zu entnehmen und die Palette zu beladen, bleibt FiFi stehen, bis der Bediener wieder ins Sichtfeld läuft. FiFi fährt nach Erledigung der Kommissioniertätigkeiten selbstständig in den nächstgelagerten Bereich, z.B. der Verpackung und ist an der Endposition der Leitlinie wieder für die Bedienung durch einen anderen Benutzer bereit. FiFi bietet hier zahlreiche Vorteile gegenüber manuellen Systemen: 26
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Neben den Vorteilen der körperlichen und mentalen Erleichterung beim Kommissionieren ergibt sich ein großer Nutzen durch die Verknüpfung von verschiedenen Arbeitsbereichen mittels Linienfolgemodus und der daraus folgenden Verkürzung von Laufwegen.
6. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK FiFi ermöglicht durch Gestensteuerung und Personenverfolgung sowohl körperliche als auch geistige Entlastung, da Nutzer sich ohne körperliche Anstrengung auf die eigentliche Tätigkeit konzentrieren können. In zukünftigen Forschungsarbeiten wird die Erfassung und Interpretation der Gesten und Bewegungen eines Nutzers mittels der 3D-Kamera weiter untersucht. Ziel ist, dass FiFi bewusste Gesten von natürlichen Bewegungen während des Arbeitsablaufes eines Mitarbeiters unterscheiden kann und somit den Mitarbeiter in jeder Situation „versteht“. So soll FiFi einerseits zurückweichen, wenn der Bediener ein Regalfach nutzen will, vor dem FiFi steht und andererseits soll FiFi stehen bleiben, wenn der Bediener in der gleichen Situation einen Ladungsträger von FiFi entnehmen möchte.
Quellen: [Kob06]
Kobilarov, Marin; Sukhatme, Gaurav; Hyams, Jeff; Batavia, Parag: People tracking and following with mobile robotusing an omnidirectional camera and a laser. IEEE International Conference on Robotics and Automation. 2006.
[Doi12]
Doisy, Guillaume; Jevtic, Aleksandar, Lucet, Eric; Edan, Yael: Adaptive PersonFollowing Algorithm Based on Depth Images and Mapping. Workshop on Robot Motion Planning: Online, Reactive, and in Real-time. 2012.
[Tre13]
Trenkle, A., Seibold, Z., Stoll, T., Furmans, K.: FiFi – Steuerung eines FTF durch Gesten- und Personenerkennung. Logistics Journal. 2013.
[EN 3691]
DIN EN ISO 3691-1 - Sicherheit von Flurförderzeugen – Sicherheitsanforderungen und Verifizierung – Teil 1: Motorkraftbetriebene Flurförderzeuge mit Ausnahme von fahrerlosen Flurförderzeugen, Staplern mit veränderlicher Reichweite und Lastentransportfahrzeugen (ISO 3691-1:2011)
[EN 1525]
DIN EN 1525 - Sicherheit von Flurförderzeugen - Fahrerlose Flurförderzeuge und ihre Systeme; Deutsche Fassung EN 1525:1997
[EN 12100]
DIN EN ISO 12100 - Sicherheit von Maschinen - Allgemeine Gestaltungsleitsätze Risikobeurteilung und Risikominderung (ISO 12100:2010)
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Innovative Methoden zur Entwicklung lärmarmer Maschinen PROF. DR.-ING. JAN SCHOLTEN UND DR.-ING. FILIP BARANSKI IBAF – Institut für Baumaschinen, Antriebs- und Fördertechnik GmbH,
ZUSAMMENFASSUNG: Der Beitrag skizziert die Prinzipien innovativer akustischer Messverfahren unter Verwendung von akustischen Kameras und einem 3D-Laserscanner sowie neue Simulationsmethoden zur Lärmprognose von Maschinensystemen. Anhand konkreter Beispiele aus dem Bereich der Flurförderzeuge und der mobilen Maschinen wird die Leistungsfähigkeit dieser Methoden im Rahmen der Entwicklung lärmarmer Produkte dargestellt. Im Ergebnis werden auf dieser Basis Entwicklungszeiten und – kosten reduziert und anforderungsgerechte, praxistaugliche Lösungen entwickelt.
EINLEITUNG Außengeräuschemissionen bei der Fahrt oder während des Stapelns, Geräuschim-missionen am Arbeitsplatz des Staplerfahrers oder an Arbeitsplätzen im Umfeld, Gesamtgeräuschbelastung in Industriehallen oder auf Lagerplätzen - akustische Herausforderungen können vielfältig sein. Je detaillierter und auch je früher das akustische Systemverhalten einer Maschine im Entwicklungsbzw. Planungsprozeß Berücksichtigung findet, desto effizienter können Konzepte und Maßnahmen zur Lärmreduzierung erarbeitet werden. Ein fundiertes akustisches Systemverständnis erlaubt dabei die möglichst exakte Abstimmung der Konzepte und Maßnahmen auf den vorliegenden oder prognostizierten akustischen Istzustand. Aufgrund der Komplexität der Maschinen und der häufig instationären Betriebsweise erweist sich eine messtechnisch gestützte Istzustandsanalyse mit herkömmlichen Messverfahren zur lokalen Schalldruckmessung häufig als unzureichend. Der Beitrag stellt ausgehend von etablierten Methoden, wie dem Nahfeldscanning, mit akustischen Kameras und 3D-Lasersystemen innovative Messmethoden vor, die ein differenziertes akustisches Bild der betrachteten Maschine liefern und somit zur Entwicklung eines vertieften Systemverständnisses beitragen. Akustische Kameras ermöglichen die detaillierte Visualisierung und Lokalisierung von Schallemissionen durch Messungen mit Mikrophonarrays. Dabei können die Meßobjekte bei instationärer Betriebsweise aus der Distanz, d.h. ohne Beeinflussung des Betriebs unter realen Bedingungen analysiert werden. Neue Möglichkeiten ergeben sich durch die Kopplung der Kamerasysteme mit einem 3D-Laserscanner zur Erfassung der dreidimensionalen Kontur komplexer Messumgebungen. Die messtechnisch erfassten Emissionen können so exakt schallemittierenden
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Komponenten und Strukturbereichen zugeordnet werden. Auch akustische Randbedingungen, die zu Reflexionen führen, werden erfasst. Modelle zur simulationsgestützten Lärmprognose bilden die relevanten Schallquellen und die Struktur der betrachteten Maschine mit den jeweiligen spezifischen akustischen Eigenschaften auf Basis von 3D-CAD-Modellen ab. Die hierauf aufbauende Berechnung der abgestrahlten Schallfelder kann bereits in der Planungs- oder Entwicklungphase einen Beitrag zum akustischen Systemverständnis liefern. Durch Variantenberechnungen kann somit in einer frühen Phase die Auswahl und Detailgestaltung von Konzepten zur Lärmreduktion, die Festlegung des Maschinenlayouts im Sinne der Anordnung von akustisch relevanten Komponenten, die Bewertung der Wirksamkeit von z.B. Hauben oder Verblendungen sowie die Auswahl und Gestaltung von Schalldämpfern und Dämmsystemen unterstützt werden. Sowohl die Außengeräuschemission von Maschinen als auch die Lärmimmission am Fahrer-/ bzw. Bedienerarbeitsplatz lassen sich mit den vorgestellten messtechnisch und simulationstechnisch basierten Methoden nachhaltig reduzieren bzw. vermeiden.
ETABLIERTE UND NEUE SYSTEMVERSTÄNDNISSES
METHODEN
ZUR
ENTWICKLUNG
EINES
AKUSTISCHEN
Schallquellenlokalisierung mit dem Nahfeldscanning Die durch das IBAF – Institut in den letzten Jahren eingesetzte akustische Analyse- und Bewertungsmethodik zielt vor dem Hintergrund der Komplexität moderner Maschinen und Geräte zunächst auf die Erarbeitung eines globalen und dennoch differenzierten akustischen Bildes. Hierzu werden für einen stationären oder zumindest quasi-stationären Betriebszustand Messungen mit mehreren nebeneinander angeordneten Mikrofonen durchgeführt, die entweder auf einem fahrbaren Stativ im Nahfeld an der Maschine vorbeigeführt werden oder an denen sich die Maschine selbst vorbeibewegt. Dieses sogenannte Nahfeldscanning bildet die Basis für die Identifikation aller relevanten Geräuschquellen und Emissionsorte und erlaubt zudem die Charakterisierung der Emissionen im Frequenzbereich. Die Ableitung gezielter Optimierungs- und Entwicklungsansätze stützt sich auf ein aus den Messergebnissen abzuleitendes Geräuschquellenranking und eine Potentialbewertung der möglichen Optimierungsrichtungen. Als beispielhafte Anwendung sei die akustische Optimierung eines Seitenstaplers angeführt. Neben der konkreten Problemlösung liefert das für dieses bestehende Gerät erarbeitete Systemverständnis eine Grundlage zur gezielten Berücksichtigung akustischer Anforderungen bei Neuentwicklungen. Im Rahmen der Analyse des Staplers liefert das Nahfeldscanning neben der örtlichen Verteilung des mittleren Schalldruckpegels gem. Bild 1 für jeden Messpunkt die spektrale Verteilung des Schalldruckes.
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Abbildung 1: Geräuschquellenanalyse, Nahfeldscanning eines exemplarisch betrachteten Seitenstaplers Nach Abgleich mit den systemspezifischen, potentiellen Erregern sind für die als relevant einzustufenden Frequenzen durch weiterführende lokale Messungen Schwingungserreger, Übertragungswege des Körper- und ggf. Flüssigkeitsschalls und schließlich die Luftschall emittierenden Bauteile zu identifizieren. Das hierauf aufbauende Geräuschquellenranking bewertet die einzelnen Quellen bezüglich ihres jeweiligen Beitrages zur Gesamtemission und legt damit die erforderliche Reihenfolge gezielter Maßnahmen zur Geräuschreduzierung fest. Die Umsetzung von Maßnahmen zur Reduzierung der Emission einer einzelnen Quelle ist im Sinne der Verringerung des Gesamtpegels nur sinnvoll, wenn dieser durch diese Quelle maßgeblich beeinflusst wird. Demnach konzentriert sich die Erarbeitung von Optimierungsansätzen zunächst auf die identifizierte Hauptschallquelle und erst im Anschluss daran auf die nachgeordneten Quellen. Ein derartiges Vorgehen gewährleistet einen technisch und wirtschaftlich optimierten Entwicklungsprozess. Im konkreten Ergebnis konnten insb. gezielte Optimierungsansätze im Bereich des Lüfter- und Antriebssystems erarbeitet werden. Tonale Anteile des Lüftergeräusches können durch optimierte Lüfterblattgeometrien, breitbandige Anteile durch optimierte An- und Abströmung sowie ggf. durch auf den akustischen Istzustand zugeschnittene Kulissenschalldämpfer reduziert werden. Elastische Anbindungen von Komponenten des Antriebsstranges, bei denen das Einfügungsdämpfungsmaß auf das Anregungsspektrum abgestimmt ist, liefern ebenfalls einen wesentlichen Beitrag zur Verminderung der Geräuschemission. Weiterführende sekundäre Maßnahmen, wie die Kapselung des Motorraums oder einzelner Aggregate, sind bzgl. der zu verwendenden Materialien auf die akustische Charakteristik der Maschine abzustimmen. Schallquellenlokalisierung mit akustischen Kameras und 3D-Laserscannern Das am Beispiel des Seitenstaplers vorgestellte Schalldruckscanning erfordert Messungen im Nahfeld der Maschine, um eine ausreichende örtliche Auflösung unterschiedlicher Teilschallquellen zu erlangen. Insbesondere bei Messungen während der Fahrt oder während realer Arbeitsprozesse stellt dies oftmals eine technische und mitunter auch sicherheitstechnische Herausforderung dar. Weitere Einschränkungen der Anwendbarkeit ergeben sich aus der Notwendigkeit eines, bezogen auf die Schalldruckemission, für die Dauer des Scan-Prozesses möglichst stationären Betriebszustandes. Eine innovative Messtechnik, die akustische Kamera, bietet hier wesentliche Vorteile und ermöglicht die Messung der Geräuschemissionen aus der Distanz. Die mit der akustischen Kamera erfassten Schallemissionen können mit Hilfe von Akustikfotos visualisiert, lokalisiert und bzgl. relevanter Frequenzen analysiert werden (vgl. Bild 2). Die Aufzeichnung der Emissionen über einen längeren 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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Zeitraum erlaubt es, instationäre Betriebszustände mit sich ggf. verschiebenden Hauptschallquellen zu erfassen. Bei Bedarf können einzelne identifizierte Schallquellen mit Hilfe einer Auswertealgorithmik virtuell eliminiert werden, um das Geräuschreduktionspotential zu quantifizieren.
Abbildung 2: Akustikfoto als Grundlage für die akustische Optimierung; links – Gesamtemission, rechts – Fokussierung auf die Hauptschallquelle Die von IBAF für die meisten Anwendungsfälle im Bereich der akustischen Analyse mobiler Maschinen und fördertechnischer Geräte eingesetzte akustische Kamera ist ein Starrarray mit 48 Mikrofonen und einer integrierten Digitalkamera, welches aufgrund seines Aufbaus (3,4 m Durchmesser) auch Emissionen im unteren Frequenzbereich bis zu etwa 100 Hz erfasst. Typische Messdistanzen für die akustische Kamera liegen zwischen 5 und 800 m. Auch die Erfassung bewegter Objekte ist somit problemlos möglich. Grundlage des Messverfahrens mit der akustischen Kamera ist die Erfassung der Laufzeitunterschiede eines Schallereignisses an einem Punkt x einer Bildebene (virtuelle Messebene; virtuelle Fläche im Fokusabstand der integrierten Digitalkamera) zu jedem einzelnen der M Mikrofone des verwendeten Arrays (planare Arrays, Kugel-, Starrarrays) [1].
Abbildung 3: Funktionsprinzip einer akustischen Kamera (Quelle gfai tech; vgl. auch [1]); hier planares Array Der ermittelte effektive Schalldruck wird nach einer Farbskala auf das ebene optische Bild des Messobjektes in der Bildebene kartiert. Auf diesem Weg entsteht ein anschauliches Bild der 32
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Schalldruckverteilung. Grafisch dargestellt wird dabei der effektive Schalldruck am Immissionsort, d.h. am Array und somit i.d.R. im Fernfeld. Die Bildebene liegt im Regelfall direkt vor dem Messobjekt. Bei Objekten mit in der Tiefe verteilten Emissionen gelingt daher die Zuordnung der Emissionen zu den schallemittierenden, dreidimensionalen Oberflächen oder den in der Tiefe verteilten Emittern nicht mehr exakt. Um diese Restriktion aufzuheben, setzt IBAF zusätzlich zur akustischen Kamera einen 3D-Laserscanner ein, der die Messobjekte sowie die Kamera selbst als 3D-Punktwolke erfasst. Somit sind die Abstände der einzelnen Mikrofone zu jedem erfassten Punkt der 3D-Oberfläche des Messobjektes und nicht nur zu einer ebenen Bildfläche bekannt und es kann eine direkte Zuordnung der Emissionen im Raum erfolgen. Bild 4 zeigt die Anwendung dieser Technik zur 3D-Kartierung an einem Beispiel aus der Automobilindustrie (hier: Kamera mit einem planaren Ringarray), das ohne Einschränkungen auf andere Anwendungen zu übertragen ist.
Abbildung 4: Anwendungsbeispiel für die Kopplung einer akustischen Kamera (hier: Ringarray mit 48 Mikrofonen) mit einem 3D-Laserscanner
Entwicklung eines akustischen Systemverständnisses Die in den vorherigen Abschnitten zusammengestellten akustischen Bilder dienen lediglich der Veranschaulichung der mit der eingesetzten Messtechnik zu erzielenden Ergebnisse. Im Weiteren wird die ganzheitliche Anwendung der Methodik zur Entwicklung eines akustischen Systemverständnisses am Beispiel eines Staplers und einer mobilen Maschine vorgestellt. 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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Globale Außen- und Innenschalldruckmessungen bei unterschied-lichen Betriebszuständen Zunächst werden im Regelfall globale Schalldruckmessungen mit Einzelmikrofonen gem. Hüllflächenverfahren durchgeführt. Ziel ist es dabei, ein erstes globales akustisches Bild der Maschine zu erhalten. Zu diesem Zweck wird der emittierte Schalldruckpegel für mehrere zuvor abgestimmte Referenzbetriebszustände mit z.B. 4 Mikrofonen aufgezeichnet (Positionierung in Anlehnung an Normvorgaben). Dabei bietet es sich an, systematisch einzelne Antriebe/Erreger ab- bzw. zuzuschalten (z.B. Lüfter) und die Betriebsdrehzahlen zu variieren. Durch die vergleichende Bewertung der Emissionsspektren gelingt die teilweise Separation der von den einzelnen Antrieben/Erregern emittierten Geräusche sowie die Identifikation relevanter Betriebszustände. In ähnlicher Weise werden zur Ermittlung des akustischen Istzustandes am Fahrerarbeitsplatz Schalldruckmessungen im Bereich des Fahrerkopfes (rechtes bzw. linkes Ohr, Positionierung in Anlehnung an Normvorgaben) durchgeführt. Hier werden die Konfigurationen/Betriebszustände ebenfalls in sinnvollen Grenzen variiert. Im Ergebnis liegt ein erstes grobes akustisches Systemverständnis vor, auf dessen Basis die weitere Messstrategie zur Vertiefung dieses Verständnisses konkretisiert wird. So werden beispielsweise Betriebszustände und Gerätekonfigurationen für die nachfolgenden Messungen sowie die einzusetzende Messtechnik ausgewählt, Frequenzbereiche für die Messwertaufnahme und –filterung festgelegt sowie Messpositionen und –abläufe definiert. Schallquellenlokalisierung und Immissionscharakterisierung mittels akustischer Kamera und 3D-Laserscanner Bild 5 zeigt allseitige akustische Plots eines Seitenstaplers, wie sie für einen ausgewählten Referenzbetriebszustand mit der akustischen Kamera aufgezeichnet wurden. Für alle vier Seiten kann der jeweilige Hauptemissionsort identifiziert werden.
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Abbildung 5: Allseitige akustische Plots für einen Seitenstapler, Messungen im Stand mit Maximaldrehzahl der Antriebe
Wie oben beschrieben, zeigen die Plots den auf den Messpunkt, d.h. die Position der Kamera einwirkenden Schall, der jeweils durch die Bildebene vor dem Messobjekt hindurchtritt. Eine genauere Zuordnung zur dreidimensionalen Geometrie der einzelnen Baugruppen und Strukturbereiche würde durch Kopplung der Messungen mit dem 3D-Laserscanner möglich (vgl. Bild 4). Bild 6 zeigt für den offenen Bedienstand einer mobilen Maschine, der eine entsprechende räumliche Tiefe aufweist, die exemplarische Gegenüberstellung eines lediglich mit der akustischen Kamera aufgenommenen Emissionsplots und eines zusätzlich auf die 3D-Geometrie projizierten Bildes, das bereits eine wesentlich differenziertere Zuordnung der Emissionen zu einzelnen Bauteilen und Strukturbereichen zulässt. Eine weitere Steigerung der Ergebnisgüte kann durch zusätzliche Messungen mit einem Kugelarray im Bereich des Bedienerkopfes und erneute Zusammenführung mit einem 3D-Laserscan erreicht werden. Bild 7 zeigt die Aufstellung des Arrays und das sich ergebende akustische Bild. Demnach sind für das konkrete Beispiel wesentliche auf den Bediener einwirkende Immissionsanteile aus Emissionen des Antriebsstranges zu berücksichtigen, die durch den Bodenbereich und die Vorderwand des Bedienstandes zum Bedienerohr übertragen werden.
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Abbildung 6: Exemplarischer Vergleich der Quellenlokalisierung mit einer akustischen Kamera (links) und bei Kopplung mit einem 3D-Laserscanner (rechts)
Abbildung 7: Immissionsplots für einen Bedienstand, Messungen mit Kugelarray
Ableitung eines akustischen Systemverständnisses Auf Basis der Ergebnisse globaler Schalldruckmessungen sowie der Schallquellen-lokalisierung und Emissionscharakterisierung mittels akustischer Kamera und ggf. 3D-Laserscanner wird ein akustisches Systemverständnis für die betrachtete Maschine erarbeitet. Die relevanten Erreger sowie die spezifischen Körper-, Luft- und ggf. Flüssigkeitsschallübertragungswege werden identifiziert. Das Systemverständnis kann anschließend als Grundlage für 36
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- die akustische Optimierung der messtechnisch analysierten Maschine, - die Übertragung auf Maschinen anderer Leistungsklassen aber vergleichbare Grundkonzeption sowie - die Entwicklung lärmarmer neuer Produkte herangezogen werden. Darüber hinaus kann das Systemverständnis als Basis für die erstmalige Erarbeitung eines Simulationsmodells zur entwicklungsbegleitenden Lärmprognose im Rahmen der Entwicklung neuer Maschinen dienen, wie es im Folgenden am Beispiel einer mobilen Maschine vorgestellt wird.
NEUE METHODEN ZUR ENTWICKLUNGSBEGLEITENDEN LÄRMPROGNOSE Modellbildung und Simulation für Gesamtmaschinenemissionen Die vorgestellten messtechnisch basierten Methoden benötigen das reale Messobjekt und sind somit erst für ausgeführte oder zumindest prototypisch realisierte Maschinen einsetzbar. Werden zuverlässige Abschätzungen der zu erwartenden Emissionen bereits während der Planungs- oder Entwicklungsphase gewünscht, sind simulationstechnisch basierte Methoden gefragt. Zur Berechnung der Lärmimmissionen an Arbeitsplätzen innerhalb von Industriehallen stehen heute akustische Simulationsmethoden zur Berechnung und Darstellung, Beurteilung und Prognose des Lärms zur Verfügung [2]. Die Raumgeometrie einschließlich potentieller Einbauten etc. wird aus 3DCAD-Modellen in das akustische Modell überführt. Die Zuweisung der entsprechenden Materialeigenschaften (z.B. frequenzabhängiger Absorptionskoeffizient) zu den modellierten Wänden und Begrenzungsflächen ermöglicht die näherungsweise Berücksichtigung der realen akustischen Randbedingungen. Schallquellen werden als Punkt-, Linien- oder flächige Quellen abgebildet und geeignet parametriert. Neben der üblichen Darstellung der Verteilung des Lärmniveaus auf die Arbeitsplätze können auf dieser Basis virtuelle akustische Modelle erarbeitet werden, die es ermöglichen, in Form eines Geräuschquellenrankings die für beliebige Bewertungspunkte jeweils relevanten Quellen zu identifizieren, so dass gezielte Optimierungsmaßnahmen zur Lärmreduzierung entwickelt werden können. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen kann auf Basis vergleichender Simulationen vor deren Umsetzung bewertet werden und auf diesem Weg ein Kosten/NutzenVergleich erfolgen. Die kurz umrissene und für raumakustische Fragestellungen zum Stand der Technik zu zählende Methode kann übertragen werden auf die Prognose der Emissionen von Maschinen. Die äußeren Wände bzw. Begrenzungsflächen stellen hier beispielsweise die Hüllflächen gem. Normvorgabe dar, die über die entsprechende Materialzuweisung als schalldurchlässig definiert werden. Im Inneren dieser Flächen werden wiederum die einzelnen Erreger durch Punkt-, Linien- oder flächige Schallquellen abgebildet, die entsprechend zu parametrieren sind. Einhausungen, Hauben und Abdeckungen etc. können um diese Quellen herum als innere Wände mit Absorptions- und Reflexionseigenschaften modelliert werden, gleiches gilt für alle weiteren relevanten Strukturelemente der Maschine.
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Bild 8 zeigt exemplarisch ein Lärmprognosemodell für eine mobile Maschine. Als Begrenzungsfläche ist eine Halbkugel gem. Normvorgaben vorgesehen, im Zentrum wird die virtuelle Maschine positioniert. Der Dieselmotor, das Pumpenverteilergetriebe, die Hydraulikpumpen, der Abgasschalldämpfer sowie motorisch angetriebene Anbaugeräte werden als Punktschallquellen berücksichtigt. Während der Schalldämpfer und die Anbaugeräte als offene Schallquelle betrachtet werden, bilden mehrere bzgl. ihrer akustischen Eigenschaften geeignet parametrierte Wände die Einhausung des Motorraums unter Berücksichtigung struktureller Öffnungen für die Luftkühlung ab.
Abbildung 8: Modell zur Lärmprognose für eine exemplarisch betrachtete mobile Maschine, Hüllfläche gem. Normvorgaben
Die Parametrierung der Schallquellen kann unter Nutzung von Herstellerangaben, von Erfahrungswerten oder auf Basis der Ergebnisse der messtechnisch gestützten Istzustandsanalysen von z.B. Vorserienmaschinen erfolgen.
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Abbildung 9: Simulierte Schallemission für die exemplarisch betrachtete mobile Maschine Gem. Bild 9 kann die Schalldruckverteilung auf der Hüllfläche oder in jedem anderen interessierenden Raumpunkt bzw. auf jeder anderen relevanten Fläche simuliert werden. Das vorgestellte akustische Prognosemodell der mobilen Maschine kann bei Bedarf schrittweise um weitere Geräuschquellen und die Luftschallabstrahlung beeinflussende Strukturelemente erweitert werden. Auf Basis von Vergleichsrechnungen können z.B. - alternative Konzepte bzgl. des Layouts im Sinne der Anordnung von akustisch relevanten Komponenten, - die Anordnung und Gestaltung (Geometrie und Material) von Anbauelementen wie Hauben oderVerblendungen oder - die Auswahl und Gestaltung von Schalldämpfern bewertet und Lärmreduzierungsstrategien festgelegt werden. Modellbildung und Simulation für Kabinen Im Rahmen der Entwicklung akustisch optimierter Kabinen kommt, neben der Luftschallbeaufschlagung der Kabine, der Körperschallanregung über die im Regelfall elastisch ausgeführte Kabinenlagerung eine besondere Bedeutung zu. Das Einfügungsdämpfungsmaß der Kabinenlager ist auf die maschinenseitig zu erwartenden Anregungsfrequenzen abzustimmen. Da eine vollständige Entkopplung in der Regel nicht gelingt, ist sicher zu stellen, dass keine akustisch relevanten Eigenfrequenzen und Eigenformen der Kabinenstruktur angeregt werden. Eine FE-gestützte 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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Modalanalyse der Struktur ist dabei aufgrund der zu erwartenden Eigenfrequenzdichte im akustisch relevanten Anregungsfrequenzbereich im Allgemeinen nicht zielführend. IBAF führt daher für die Kabinenstrukturen FE-gestützte Körperschallanalysen in den aufgrund der zu erwartenden Anregungen relevanten Frequenzbereichen durch. Ergebnisse derartiger Analysen sind frequenzabhängige relative Körperschallmaße für die einzelnen Strukturbereiche der Kabine. Auf dieser Basis sind akustisch relevante Strukturbereiche zu identifizieren und ggf. erforderliche konstruktive Modifikationen, wie Rippen, Sicken, Blechstärken- oder Materialänderungen etc. vergleichend zu bewerten. Bild 10 zeigt als ein exemplarisches Teilergebnis einer Körperschallanalyse die akustisch relevante Schwingschnellenverteilung einer Konstruktionsvariante einer Kabinenstruktur. Im Weiteren bietet sich eine Überprüfung des Kabineninneren bzgl. akustischer Eigenformen des eingeschlossenen Luftvolumens an. Die üblichen Abmessungen moderner Kabinen und die Wellenlängen typischerweise vom Antriebsstrang angeregter Schwingungen können in ungünstigen Fällen zum Auftreten stehender Wellen, d.h. akustischer Resonanzen, im Kabineninneren führen. Dieser Effekt macht das Bedienen der Maschine über längere Zeiten unmöglich, losgelöst von der hiermit verbundenen Überschreitung vorgegebener Expositionsgrenzwerte. Abhilfe schafft in einem solchen Fall in der Regel lediglich die Anpassung der geometrischen Abmessungen der Kabine, d.h. ein modifizierter Kabinenentwurf. Bild 10 zeigt exemplarisch das FE-vernetzte Volumen einer neu entworfenen Kabine und Ergebnisse einer Modalanalyse zur Identifikation der akustischen Eigenformen.
Abbildung 10: Vibroakustische Simulationen einer Kabinenstruktur; links: FE-Strukturmodell zur Körperschallanalyse zur Identifikation akustisch relevanter Strukturbereiche; rechts: FE-Modalanalyse zur Identifikation akustischer Eigenformen des eingeschlossenen Luftvolumens
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ZUSAMMENFASSUNG Die akustische Optimierung und die gezielte Entwicklung lärmarmer Maschinen erfordert ein akustisches Systemverständnis. Je detaillierter und früher das akustische Systemverhalten im Entwicklungsprozess Berücksichtigung findet, desto effizienter können Konzepte und Maßnahmen zur Lärmreduzierung erarbeitet werden. Am Beispiel eines Staplers und einer mobilen Maschine wurde die Anwendung innovativer Messverfahren unter Verwendung von akustischen Kameras und einem 3D-Laser-Scanner präsentiert. Die besonderen Vorteile dieser Verfahren für die Analyse komplexer Systeme und die Entwicklung des akustischen Systemverständnisses wurden aufgezeigt. Eine neue Simulationsmethode zur entwicklungsbegleitenden Lärmprognose wurde vorgestellt und an einem Beispiel angewendet. Auf Basis der Simulationen können bereits in frühen Entwicklungsphasen Konzept- und Layoutfestlegungen oder die Auswahl und Gestaltung von z.B. Hauben, Verblendungen, Schalldämpfern und Dämmsystemen unterstützt werden. Zusammengefasst zeigt der Beitrag an konkreten Beispielen aus dem Bereich der Flurförderzeuge und mobilen Maschinen, wie die gezielte Kombination etablierter und neuer mess- und simulationstechnisch gestützter Methoden die Entwicklung lärmarmer Maschinen ermöglicht. Die gezielte Anwendung der Methoden in frühen Phasen reduziert Entwicklungszeiten und –kosten.
Quellen: [1]
[2]
Feierabend, J.: Die Akustische Kamera – ein effektives Werkzeug zur Schallquellenlokalisierung, Maschinenakustik 2008, VDI-Bericht 2052, Düsseldorf, 2008 Baranski, F.: A New Method for the Acoustic Analysis of Noise Sources in Industry Halls, Euronoise, Prag, 2012
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Theoretische, simulative und experimentelle Untersuchung des Nachlaufverhaltens von Schleppzügen DR.-ING. STEPHAN ULRICH, PROF. DR.-ING. RAINER BRUNS UND M.ENG. DIPL.-ING. (FH) KONSTANTIN KRIVENKOV Helmut-Schmidt-Universität Lehrstuhl für Maschinenelemente und Technische Logistik (MTL) ZUSAMMENFASSUNG: Schleppzüge haben für den innerbetrieblichen Materialtransport in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Wichtige Eigenschaften sind die Manövrierbarkeit und die Spurtreue, da sie maßgeblich den Flächenbedarf bestimmen. In diesem Beitrag wird das Nachlaufverhalten von Schleppzügen, die sich durch ihr Fahrwerks- und Lenkkonzept unterscheiden, untersucht sowie eine neue Lenkkinematik vorgestellt. Um die Spurtreue der verschiedenen Konzepte objektiv vergleichen zu können, werden zunächst Fahrmanöver und ein Gütekriterium definiert, so dass die Abweichungen von der Spurtreue quantitativ beschrieben und verglichen werden können. Mit einem in diesem Beitrag vorgestellten analytischen Modell können bereits für die stationäre Kreisfahrt wichtige Aussagen über die Spurabweichungen getroffen werden. Zusätzlich werden Simulationen durchgeführt, die eine tiefere physikalische Modellierung und die Untersuchung komplexerer Fahrmanöver erlauben. Außerdem wird dargestellt, dass auch die Art des Fahrmanövers Einfluss auf die Spurabweichung hat. Fahrwerks- und Lenkkonzepte, die bei stationärer Kreisfahrt ein sehr gutes Nachlaufverhalten aufweisen und bisher als spurtreu bezeichnet wurden, zeigen beim Ein- oder Ausfahren aus der Kurve zum Teil erhebliche Spurabweichungen.
EINLEITUNG Neben den klassischen Anwendungsbereichen, wie dem Gepäcktransport auf Flughäfen und Bahnhöfen werden Routenzüge zunehmend zur Materialversorgung von Montagearbeitsplätzen in der Produktion verwendet. Gerade für den innerbetrieblichen Materialtransport haben sie auch im europäischen Raum in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Ein Grund für den zunehmenden Einsatz von Routenzügen in der Produktion ist der Wunsch, Arbeitsplätze hochfrequent mit dem benötigten Materialen wirtschaftlich versorgen zu können, um die Bevorratung möglichst gering zu halten. Die geforderte erhöhte Flexibilität in der Produktion erfordert auch eine leicht wandelbare Materialversorgung. Vor diesem Hintergrund ist der Routenzug als Bindeglied zwischen effizienten aber unflexiblen Stetigförderern und flexibel einsetzbaren aber für die ständige Versorgung von Produktionslinien ineffizienten Unstetigförderern wie Flurförderzeugen zu sehen.
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Ein Routen- oder Schleppzug besteht aus einem motorisch angetriebenen Schleppfahrzeug und einem oder mehreren Anhängern. Die Anhänger müssen einfach, schnell und ohne weitere technische Hilfsmittel be- und entladen werden können. Gerade im Produktionsumfeld ist zudem die Spurtreue der Anhänger eine wichtige Eigenschaft, da sie maßgeblich den benötigten Flächenbedarf beeinflusst und sicherheitsrelevant ist. Weitere Informationen zum Einsatz und zur Technik von Routenzügen sind u.a. in [BEU1988], [BEU1990] und [SCH1998] zu finden. Die Studie [GUE2012] zeigt den aktuellen Stand und die Entwicklung des Einsatzes von Routenzügen.
ACHS- UND LENKKONZEPTE Auf dem Markt ist eine Vielzahl unterschiedlicher Achs- und Lenkkonzepte verfügbar, angefangen von sehr einfachen, wie z.B. Anhänger mit Mitlaufrollen bis zu aufwändigen Allradgelenkten Routenzügen, die aktiv durch Stellmotoren gelenkt werden. Bei der Entwicklung oder Auswahl eines Konzeptes muss abgewogen werden, ob ein einfaches und günstiges Konzept, das jedoch ggfs. über eine schlechte Spurtreue verfügt, verwendet wird, oder teure Routenzüge mit aufwändigen Lenkmechanismen genutzt werden sollen. Eine Auswahl vielfach verwendeter Achs- und Lenkmechanismen, anhand derer im Folgenden die Spurtreue diskutiert wird, ist in Abbildung 1 dargestellt. Grundsätzlich kann zwischen 2-Rad- und 4Rad-Anhängern unterschieden werden. Die 2-Rad-Anhänger verfügen in der Regel über eine starre Deichsel, die über eine Kupplung mit der Deichsel des nächsten Anhängers verbunden ist. Der Drehpunkt der Kupplung, der maßgeblich das Lenkverhalten beeinflusst, kann mittig oder weiter vorn angeordnet sein. Die Räder sind nicht gelenkt. Diese einfache Bauweise hat jedoch den Nachteil, dass die Achsen unter den Lasten angeordnet sind, so dass die Last entsprechend angehoben werden muss. Zudem sind die Anhänger abgekoppelt nicht standsicher. Als Beispiele für das Lenkkonzept 4-Rad-Anhänger sind die Drehschemellenkung und die AllradAchsschenkellenkung genannt. Bei der Drehschemellenkung ist eine starre Deichsel mit der vorderen Achse verbunden und an den vorderen Anhänger angekoppelt. Beim Abbiegen des vorderen Fahrzeuges, wird über die Deichsel die gesamte vordere Achse eingelenkt. Ein deutlich aufwändigeres System ist die Allrad-Achsschenkellenkung. Hier werden alle Räder gelenkt. Dies kann entweder aktiv durch Stellmotoren oder mechanisch geschehen. Die motorische Lösung erfordert die Versorgung jedes Anhängers mit elektrischer oder hydraulischer Leistung sowie die Weiterleitung von Steuer und Sensorsignalen. Bei der mechanischen Lenkung, wird über die Auslenkung der Deichsel ein Hebelmechanismus betätigt, der die einzelnen Räder verstellt. Auch diese Lösung ist mit einem erheblichen konstruktiven Aufwand verbunden. Insbesondere die Anbindung der hinteren Achse, ist gerade bei der Verwendung von U-Rahmen, bei denen der Lenkmechanismus über den oberen Rahmen geführt werden muss, aufwändig und verschleißanfällig.
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Abbildung 1: Beispiel für Lenk- und Achskonzepte von Routenzuganhängern Zur Analyse der Spurtreue dieser Konzepte ist es notwendig neben der stationären Kreisfahrt, bei der der Lenkradius konstant ist auch instationäre Vorgänge mit veränderlichem Kurvenradius zu betrachten. Beispielsweise ist der 2-Rad-Anhänger mit mittig angeordnetem Kupplungspunkt bei stationärer Kreisfahrt spurtreu (Abbildung 2 links). In einigen Veröffentlichunge wird dieses Konzept daher auch als spurlaufend bezeichnet. Betrachtet man jedoch denselben Routenzug beim Hineinfahren in eine Kurve, so stellt man fest, dass der Anhänger erheblich von der Spur abweicht (Abbildung 2 rechts). Er wird zunächst entgegen der Kurve ausgelenkt. Dies ist gerade für ungeübte Fahrer problematisch, da das Ausschwenken vielfach nicht zum Erfahrungswissen gehört.
Abbildung 2: 2-Rad-Anhänger mit starrer Deichsel mit mittigem Kupplungspunkt bei stationärer Kreisfahrt (links) und beim Hineinfahren in die Kurve (rechts) 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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Der 2-Rad-Anänger mit weiter vorn angeordneten Kupplungspunkt zieht hingegen bei stationärer Kurvenfahrt in die Kurve (Abbildung 3), ist aber bei Änderungen des Kurvenradius deutlich gutmütiger, weshalb dieses Konzept auch vielfach verwendet wird.
Abbildung 3: 2-Rad-Anhänger mit starrer Deichsel mit Kupplungspunkt bei stationärer Kreisfahrt (links) und beim Hineinfahren in die Kurve (rechts) Der 4-Rad-Anhänger mit Drehschemellenkung zieht ebenfalls leicht in die Kurve, während der allradgelenkte bei entsprechender Einstellung der Lenkkinematik bzw. Steuerung der Stellmotoren spurtreu läuft (Abbildung 4).
Abbildung 4: 4-Rad-Anhänger mit Drehschemellenkung (links) und Allrad-Achsschenkelleknung (rechts) bei stationärer Kreisfahrt Wird auch bei dem Vierradgelenkten das Hineinfahren in die Kurve betrachtet, so zeigt sich bei gleicher Lenkkinematik bzw. Ansteuerung der Stellmotoren ebenfalls eine nicht zu vernachlässigende Spurabweichung. Auch dieses Konzept wird vielfach als spurtreu bezeichnet, da nur die stationäre Kreisfahrt betrachtet wird. 46
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Diese Darstellung lässt vermuten, dass es kein Lenkkonzept geben kann, das in allen Situationen spurtreu ist, solange der Lenkeinschlag des jeweiligen Rades in einer festen Form mit dem aktuellen Lenkeinschlag des ihm vorausfahrenden Rades verkoppelt ist. Die alleinige Information des Lenkeinschlages des vorausfahrenden Rades reicht fĂźr die Einstellung des Lenkwinkels nicht aus, da keine Information Ăźber die aktuelle Lage des Fahrzeuges berĂźcksichtigt wird. Bei jedem Lenkkonzept, das diese feste Kopplung hat, muss daher ein Kompromiss angestrebt werden, der eine mĂśglichst geringe Gesamtspurabweichung in den relevanten Fahrsituationen hat. Die Spurtreue in allen Fahrsituationen kĂśnnte durch ein aktives Lenksystem mit Lenkmotoren realisiert werden, das neben dem aktuellen Lenkeinschlag, weitere Informationen wie die Lenkeinschlagsänderung verwendet. Die Darstellung zeigt, dass die einfache Betrachtung der stationären Kreisfahrt, nicht ausreicht die Spurtreue eines Routenzuges zu beurteilen. Eine allgemein anerkannte MaĂ&#x;zahl, die die Gesamtspurabweichung in relevanten Fahrsituationen quantifiziert, kĂśnnte helfen die Spurtreue der Routenzugkonzepte vergleichbar zu machen.
GĂœTEKRITERIUM UND TESTSZENARIEN Eine exakte Definition der Spurtreue von RoutenzĂźgen ist den Autoren nicht bekannt. Es wird daher vorgeschlagen hierunter folgendes zu verstehen: Ein Routenzug ist spurtreu, wenn sich korrespondierende Punkte des Schleppfahrzeugs und der Anhänger stets auf der gleichen Bahnkurve (Trajektorie) bewegen. Es ist offensichtlich, dass eine mathematisch exakte Spurtreue technisch nicht realisierbar ist. Bereits kleinste StĂśrungen z.B. durch den Schräglauf der Räder wĂźrden zu Abweichungen zwischen den Bahnkurven fĂźhren. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die „Spurtreue“ als GĂźtekriterium fĂźr das Nachlaufverhalten der Anhänger ungeeignet, da sie als binäre GrĂśĂ&#x;e nur die beiden Ausprägungen „treu“ oder „nicht treu“ besitzt. Um das Nachlaufverhalten der Routenzuganhänger quantitativ bewerten zu kĂśnnen, wird deshalb im Folgenden statt der Spurtreue die Spurabweichung als GĂźtekriterium herangezogen. Die Spurabweichung wird dabei als maximaler Abstand Δs zwischen der Bahnkurve eines Referenzpunktes des Schleppfahrzeugs und der Bahnkurve des korrespondierenden Punktes eines Anhängers definiert, wobei der Abstand normal zur Bahnkurve des Referenzpunktes gemessen wird (vgl. Abbildung 5). Das Vorzeichen der Spurabweichung ist positiv, wenn die Bahnkurve des Referenzpunktes näher am lokalen KrĂźmmungsmittelpunkt verläuft als die Bahnkurve des Anhängerpunktes. Bei Kurvenfahrten ist die Spurabweichung also positiv, wenn der Anhänger einen grĂśĂ&#x;eren Kreis als das Schleppfahrzeug durchläuft. Die so definierte Spurabweichung ist eine Länge und somit eine dimensionsbehaftete GrĂśĂ&#x;e. FĂźr die vergleichende Beurteilung der GĂźte des Nachlaufverhaltens ist es daher sinnvoll, die Spurabweichung auf eine Bezugslänge zu beziehen und somit dimensionslos zu machen. Hier wurde als Bezugslänge die Länge L a der Anhänger gewählt, um die relative Spurabweichung Ď zu bilden: ∆s
Ď =đ??ż 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
đ?‘Ž
47
Abbildung 5: Geometrische Bestimmung der Spurabweichung Durch das eingeführte Gütekriterium kann die Spurtreue quantifiziert werden. Um verschiedene Fahrwerks- und Lenkkonzepte vergleichen zu können, müssen Testszenarien definiert werden, die zur Ermittlung des Gütekriteriums verwendet werden können. Wesentliche Parameter sind •
die Trajektorie des Schleppfahrzeugreferenzpunktes,
•
die Geschwindigkeit beim Durchfahren der Trajektorie sowie
•
der Beladungszustand der Anhänger.
Die Trajektorie sollte einerseits praxisrelevant sein und andererseits alle möglichen Effekte, die die Spurtreue beeinflussen können, abdecken. Eine naheliegende Trajektorie ist die Kreisfahrt mit konstantem Radius (vgl. Abbildung 6). Diese wird für die durchgeführten Untersuchungen insbesondere für den Vergleich der analytischen Lösung mit den Simulationsergebnissen genutzt. Im Folgenden wird jeweils ein Kurvenradius von 3.000 mm verwendet.
R = 3.000 mm R = 3.000 mm
Abbildung 6: Kreisfahrt und U-Turn
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Eine deutlich höhere Praxisrelevanz im Lager- oder Produktionsbereich hat hingegen der U-Turn, bei dem auch das Hinein- und Hinausfahren aus der Kurve untersucht werden kann.
ANALYTISCHE BERECHNUNG DER SPURABWEICHUNG Spurabweichung von 2-Rad-Anhängern Für die Berechnung der Spurabweichungen der vier bis fünf Anhänger eines Routenzugs genügt es, einen einzelnen Anhänger isoliert zu betrachten. Die resultierenden Gleichungen können dann beginnend beim ersten Anhänger sukzessive auf alle weiteren Anhänger angewendet werden. Hierzu werden die Anhänger von vorne nach hinten durchnummeriert (Index i). Für jeden Anhänger wird dann ausgehend von der Lage des jeweiligen Schlepppunktes P s,i der Radius R a,i der Kreisbahn des fiktiven Rades in der Mitte der Radachse bestimmt. Der Schlepppunkt ist der Ort der Kupplung des Schleppers bzw. des voranfahrenden Anhängers. Der Schlepppunkt bewegt sich auf einem Kreis mit dem Radius R s,i . Da die Räder ohne Schräglauf abrollen, muss die Gerade durch den Schlepppunkt und durch den Achsmittelpunkt P a,i die Kreisbahn von P a,i tangieren. Wie in Abbildung 7 dargestellt ist, spannen der Kreismittelpunkt P 0 , der Schlepppunkt P s,i und der Achsmittelpunkt P a,i ein rechtwinkliges Dreieck auf. Nach dem Satz von Pythagoras gilt daher für den Kreisbahnradius R a,i des Anhängermittelpunktes:
L Ra,i2 = Rs,i2 − Ld + a 2
2
Hierin wurde für den Abstand zwischen dem Schlepppunkt und dem Achsmittelpunkt die Summe aus Deichsellänge L d und der halben Anhängerlänge L a eingesetzt. Für die Berechnung der Spurabweichung wird der Mittelpunkt der Schlepperhinterachse P sh als Referenzpunkt und der Mittelpunkt P a,i der jeweiligen Anhängerachse als korrespondierender Punkt gewählt. Die gesuchte Spurabweichung ist dann gleich der Differenz der entsprechenden Kurvenradien.
ρi =
Ra,i − Rsh La
=
1 2 2 ⋅ Rs,i − ( Ld + 0,5 La ) − Rsh La
Bei der sukzessiven Berechnung der Bahnradien und Spurabweichungen der Anhänger muss beachtet werden, dass sich die Bahnradien der Schlepppunkte von Anhänger zu Anhänger ändern. Der Schlepppunkt des ersten Anhängers ist der Ort der Kupplung des Schleppers. Befindet sich die Kupplung mit einem Abstand L k hinter der Hinterachse des Schleppers, so bewegt sich die Kupplung und somit der Schlepppunkt des ersten Anhängers auf einer Kreisbahn mit dem Radius = Rk R= s1
Rsh2 + L2k
Die Schlepppunkte P s,i der weiteren Anhänger sind die Orte der Kupplungen der jeweils voranfahrenden Anhänger. Wie aus der Abbildung 7 ersichtlich ist, bilden auch die drei Punkte P 0 , P a,i und P s,i ein rechtwinkliges Dreieck, so dass für die Bahnradien der Schlepppunkte gilt:
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R= s,i+1
L R a,i2 + a 2
2
Abbildung 7: Geometrische Größen des 2-Rad-Anhängers Die Anwendung der hergeleiteten Gleichungen auf ein praxisnahes Beispiel zeigt, dass bei der Kreisfahrt eines Routenzugs mit Zweiradanhängern erhebliche Spurabweichungen auftreten. Mit den Daten eines handelsüblichen 2-Rad-Anhängers (vgl. Tabelle 1) ergeben sich die in Tabelle 2 dargestellten Werte für die Fahrt auf einem engen Kreis mit einem Radius von 3.000 mm bezogen auf den Mittelpunkt der Vorderachse des Schleppers. Tabelle 1: Maße der 2-Rad-Anhänger
50
Anhängerlänge
L a = 2040 mm
Anhängerbreite
B a = 990 mm
Deichsellänge
L d = 650 mm
Kurvenradius Schlepper
R s1 = 3000 mm
Abstand Kupplung/Achse
L k = 490 mm
Achsabstand Schlepper
L s = 1460 mm
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Tabelle 2: Kurvenradien und Spurabweichungen des 2-Rad-Anhängers bei der Kreisfahrt i
R s,i [mm]
R a,i [mm]
ρi
1
3000
2492
-0,23
2
2693
2112
-0,42
3
2346
1647
-0,64
4
1938
982
-0,97
5
1416
-
-
Mit diesem Routenzug ließe sich ein derartig enger Kreis nur mit vier Anhängern fahren, da der Kurvenradius des fünften Anhängers negativ wird. Die Kreisfahrt ist für Routenzüge kein Fahrmanöver, das im praktischen Einsatz gefahren werden muss. Bei einer 180°-Kehrwende (U-Turn) wird aber immerhin ein Halbkreis durchfahren. Aufgrund der Spurabweichungen der Anhänger werden diese hierbei nicht der Bahnkurve des Schleppfahrzeugs genau folgen, sondern die Kurve etwas „abkürzen“, wodurch es zu Kollisionen mit Personen oder Gegenständen kommen kann. Spurabweichung von 4-Rad-Anhängern Bei den vierrädrigen Anhängern (C- oder U-Rahmen mit Allrad-Achsschenkellenkung) werden alle Räder durch die Deichsel mithilfe einer Lenkkinematik aktiv gelenkt, wobei die Lenkwinkel der beiden Räder einer Achse jeweils gleich groß sind. Die Vorderräder werden entgegengesetzt zu den Hinterrädern eingelenkt. Die Lenkwinkel der Vorderräder und der Hinterräder sind somit betragsmäßig gleich groß; sie besitzen jedoch unterschiedliche Vorzeichen. Für die Berechnung der Bahnradien der Achsmittelpunkte P av,i und P ah,i wird davon ausgegangen, dass die Lenkwinkel φ v,i der Vorderräder gleich dem Winkel φ d zwischen der Deichsel und der Mittelachse des Anhängers sind (vgl. Abbildung 8). Der Geschwindigkeitsvektor in der Vorderachsmitte zeigt dann in Richtung der Deichsel, so dass die Gerade durch die Punkte P s,i und P av,i den Bahnkreis des Achsmittelpunktes tangiert. Folglich spannen die Punkte P 0 , P s,i und P av,i wieder ein rechtwinkliges Dreieck auf und es gilt:
R= av,i+1
R s,i2 − L2d
Da die Lenkwinkel vorne und hinten betragsmäßig gleich groß sind, sind auch die Bahnradien der Achsen Mittelpunkte gleich groß:
Rav,i = Rah,i
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Beim 4-Radanhänger ist es sinnvoll, den Anhängermittelpunkt P m als korrespondierenden Punkt für die Bestimmung der Spurabweichung zu wählen. Der zugehörige Kurvenradius R m,i ergibt sich aus den geometrischen Verhältnissen zu: = Rm,i
2 Rav,i − 0,25 L2a
Hiermit erhält man schließlich die normierte Spurabweichung des i-ten Anhängers:
= ρi
1
Rs,i2 − L2d − 0,25 L2a − Rsh La
Die Kupplungen am Heck der Anhänger liegen im Allgemeinen nur kurz hinter der Hinterachse. Für den Schlepppunkt des nachfolgenden Anhängers kann daher näherungsweise der Kurvenradius des Mittelpunktes der Hinterachsen verwendet werden:
Rs,i+1 ≈ Rah,i In der Tabelle 4 sind die Ergebnisse der Berechnung für einen handelsüblichen 4-Rad-Anhänger (vgl. Tabelle 3) bei der Kreisfahrt mit einem Kurvenradius des Mittelpunktes der Vorderräder des Schleppers von 3.000 mm dargestellt.
Abbildung 8: Geometrische Größen des 4-Rad-Anhängers
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Tabelle 3: Maße des 4-Rad-Anhängers Anhängerlänge
L a = 2760 mm
Anhängerbreite
B a = 1540 mm
Deichsellänge
L d = 1080 mm
Kurvenradius Schlepper
R s1 = 3300 mm
Abstand Kupplung/Achse
L k = 490 mm
Achsabstand Schlepper
L s = 1460 mm
Tabelle 4: Kurvenradien und Spurabweichungen des 4-Rad-Anhängers bei der Kreisfahrt i
R s,i [mm]
R a,i [mm]
ρi
R m,i [mm]
1
3000
2799
-0.19
2435
2
2799
2582
-0.28
2182
3
2582
2345
-0.39
1896
4
2345
2082
-0.51
1558
5
2082
1779
-0.67
1123
Die Spurabweichungen ρ i der Anhänger sind beim 4-Radfahrwerk deutlich kleiner als beim 2Radfahrwerk. Dennoch werden insbesondere die hinteren Anhänger erheblich in die Kurve hineingezogen. Würde der Routenzug z.B. eine Kehrtwende (U-Turn) um ein Hindernis herum fahren, so könnten auch hier die hinteren Anhänger mit dem Hindernis kollidieren.
ENTWICKLUNG EINES NEUEN LENKKONZEPTES Mithilfe der gewonnenen Erkenntnisse wurde ein Routenzug mit einem neuen Lenkkonzept entwickelt, der folgenden Anforderungen gerecht werden soll: •
Einfach: Das Achs- und Lenkkonzept soll möglichst einfach aufgebaut sein. Insbesondere soll keine Lenkinformation von einer Achse zur nächsten übertragen werden müssen. Dadurch kann auf komplizierte mechanische Lenkkonstruktionen verzichtet werden.
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• •
Außerdem muss keine elektrische oder hydraulische Verbindung zwischen Schlepper und den einzelnen Routenzuganhängern vorgesehen werden. Geringe Spurabweichung: Trotz passiver Lenkung sollen in allen Fahrsituationen nur geringe Spurabweichungen auftreten. Modular: Die Routenzughänger sollen leicht austauschbar sein, so dass je nach Anforderung C-, E- oder U-Rahmen verwendet werden können.
Diese Anforderungen werden gelöst, indem zunächst der Rahmen und das Fahrwerk baulich voneinander getrennt werden (Abbildungen 9 und 10). Das Transportmodul, hier beispielhaft als URahmen ausgeführt, wird jeweils vorn und hinten fest an das Achsmodul gekoppelt.
Abbildung 9: 3D-Modell der Rahmen und Achsmodule des Routenzuges
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Abbildung 10: Modularer Routenzug Die Achsmodule bestehen jeweils aus zwei Kragarmen zur Anbindung der Lastmodule, einer Radachse und einer Koppelstangen die den Kragarm 端ber eine Linearf端hrung mit der Radachse verbinden (Abbildung 11). Diese Kinematik f端hrt dazu, dass die Lenkwinkel zwischen Rad- und L辰ngsachse des vorderen und hinteren Kragarms gleich sind.
Abbildung 11: 3D-Modell des Achsmoduls des Routenzuges
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Bei stationärer Kreisfahrt läuft die Verlängerung jeder Radachse dementsprechend genau durch den Kreismittelpunkt. Die Spurtreue für die stationäre Kreisfahrt ist dadurch auf eine sehr einfache Art gewährleistet. Die Lastmodule zwischen den Radachsen sind einfach austauschbar, da kein Lenkgestänge oder keine Medienversorgung über die Anhänger geführt werden muss. Es ist dadurch auch mögliche, in einem Routenzug unterschiedliche Lastmodule einzusetzen und je nach Bedarf auszutauschen. Zudem muss die Last nicht wie bei den diskutierten 2-Rad-Anhängern über die Räder gehoben werden. Wie das oben diskutierte einachsige Lenkkonzept mit mittig angeordnetem Kupplungspunkt, ist auch dieses in der dargestellten Form beim Hinaus- und Hineinfahren in die Kurve nicht spurtreu, wie im nachfolgenden Kapitel beschrieben.
SIMULATION DER SPURABWEICHUNG Bei der Simulation der Kinematik von Routenzügen werden in jedem Zeitschritt ausgehend von der Bewegung des Schleppers sukzessive von vorn nach hinten die translatorischen und rotatorischen Geschwindigkeiten der einzelnen Anhänger bzw. Elemente unter Vernachlässigung des Schräglaufs der Räder berechnet. Die Bewegung des Schleppers wird dabei für das jeweilige Fahrmanöver aus den Zeitverläufen der Fahrgeschwindigkeit und des Lenkwinkels bestimmt. Die nachfolgende numerische Integration ergibt sowohl die beiden Ortskoordinaten eines Referenzpunktes als auch den Lagewinkel des jeweils betrachteten Anhängers. Die Vernachlässigung des Schräglaufs der Räder vereinfacht das Simulationsmodell gegenüber einer vollständigen Dynamiksimulation erheblich und ermöglicht trotzdem die Untersuchung des Nachlaufverhaltens bei komplexen instationären Fahrmanövern. Das seitliche Ausbrechen eines Anhängers infolge von Querkräften (Fliehkräfte bei schneller Kurvenfahrt, Deichselzugkräfte bei engen Kurvenfahrten) lässt sich mit dem Kinematikmodell allerdings nicht simulieren. Zur weiteren Vereinfachung wurde das in der Fahrzeugtechnik bewährte Einspurmodell verwendet, bei dem die beiden Räder einer Radachse zu einem fiktiven, mittig angeordneten Ersatzrad zusammengezogen werden. Die Modellierung des Bewegungsverhaltens der unterschiedlichen Routenzugkonzepte ließ bereits vor der eigentlichen Simulation wesentliche grundsätzliche Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Anhängerfahrwerke deutlich erkennen. Denn alle untersuchten Routenzüge können durch eine Kette aus starren Kettengliedern, die jeweils paarweise durch Drehgelenke mit vertikaler Drehachse verbunden sind, abgebildet werden. Die Kettenglieder eines Routenzugs können dabei durchaus unterschiedlich lang sein. Jedem Kettenglied, das eine Deichsel oder einen Anhänger darstellen kann, wird dann eine i.a. lenkbare Radachse zugeordnet. Die Fahrwerkskonzepte unterscheiden sich jedoch durch die Position der Radachse auf dem Kettenglied und die Art und Weise, wie der Lenkwinkel aus den lokalen Lagegrößen gebildet wird. Mithilfe der Kinematiksimulation wurde das Nachlaufverhalten der drei unterschiedlichen Routenzüge beim Durchfahren eines U-Turns mit einem Kurvenradius von 3 m untersucht. Die Routenzüge mit den Zwei- und den Vierradanhängern bestehen jeweils aus fünf Anhängern. Der Routenzug mit dem neuartigen Lenkmechanismus hat stattdessen zehn Anhänger, die jedoch deutlich kürzer sind. Die Transportkapazitäten aller drei Routenzüge sind somit vergleichbar.
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Als wesentliches Ergebnis der Kinematik Simulation sind in den Abbildungen 12 bis 14 die Bahnkurven (Trajektorien) des Mittelpunktes der Schlepperhinterachse und der Anhängermittelpunkte aufgetragen. Deutlich zu erkennen ist, dass die zwei- und vierrädrigen Anhänger die enge Kurve stark schneiden. Dagegen liegen die Trajektorien der Anhänger mit dem neuen Lenkmechanismus trotz der großen Anzahl von Anhängern relativ nahe beieinander. Allerdings ist hier auch eine Spurabweichung zur Kurvenaußenseite zu beobachten.
j
g
p
,
g
6.5 5.5
Schlepper
y - Koordinate in m
4.5 3.5 2.5 1.5 0.5 -0.5
0
1
2
TRAJEKTORIEN_UT | 10.6.2014
3
4
5
6
7
8
9
10
X - Koordinate in m
Abbildung 12: Trajektorien der Anhängermittelpunkte des 2-Rad-Anhängers
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57
j
g
p
g
6.5 5.5 Schlepper
y - Koordinate in m
4.5 3.5 2.5 1.5 0.5 -0.5
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
X - Koordinate in m
TRAJEK_UT_4RAD | 10.6.2014
Abbildung 13: Trajektorien der Anh채ngermittelpunkte des 4-Rad-Anh채ngers
j
g
p
,
g
p
6.5 Schlepper
5.5
y - Koordinate in m
4.5 3.5 2.5 1.5 0.5 -0.5
0
1
TRAJEK_UT_MTL1 | 10.6.2014
2
3
4
5
6
7
8
9
10
X - Koordinate in m
Abbildung 14: Trajektorien der Anh채ngermittelpunkte des neuen Routenzug-Konzeptes
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ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK In diesem Beitrag wird die Spurtreue von typischen Fahrwerks- und Lenkkonzepten von Routenzügen untersucht. Um die Spurtreue quantitativ bestimmen zu können und vergleichbar zu machen, werden zunächst ein Gütekriterium definiert und Testszenarien vorgeschlagen. Dieses könnte zukünftig in den Typenblättern der Anhänger für ausgewählte Fahrmanöver angegeben werden, um dem Anwender eine bessere Abschätzung des Platzbedarfes für die Fahrgassen der Routenzüge zu ermöglichen. Ein entwickeltes analytisches Modell erlaubt die Untersuchung der Spurtreue und die Ermittlung des Gütekriteriums für die stationäre Kreisfahrt. Diese Berechnung zeigt erhebliche Spurabweichungen für die vielfach eingesetzten Konzepte. Mit einem entwickelten Simulationsmodell werden auch komplexere Fahrmanöver, wie das Hinein- und Hinausfahren aus einer Kurve untersucht. Es wird gezeigt, dass insbesondere Lenkkonzepte, die bei der stationären Kreisfahrt spurtreu sind - und bisher vielfach als spurtreu bezeichnet wurden - hier erhebliche Abweichungen im Nachlaufverhalten aufweisen. Mithilfe der gewonnen Erkenntnisse wird eine neue besonders einfach aufgebaute Lenkkinematik vorgestellt, die ein gutes Nachlaufverhalten hat und ohne eine Aufwendige Weiterleitung der Lenkinformation an die nachfolgenden Achsen auskommt. In nachfolgenden Arbeiten soll die vorgestellte Lenkkinematik weiterentwickelt werden, um das Nachlaufverhalten weiter zu verbessern.
Quellen: [BEU1988]
Kraftbetriebene Flurförderzeuge - Schlepper und schleppende Flurförderzeuge, DIN 15172, Beuth Verlag, Berlin 1988
[BEU1990]
Kraftbetriebene Flurförderzeuge - Schleppzüge mit ungebremsten Anhängern, VDIRichtlinie 3973, Beuth Verlag, Berlin 1990
[GUE2012]
Stand und Entwicklung von Routenzugsystemen für den innerbetrieblichen Materialtransport – Ergebnisse einer Studie, Technische Universität München Lehrstuhl für Fördertechnik Materialfluss Logistik, Studie, Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Wi.-Ing. Willibald A. Günthner u.a.
[HIN1994]
Modellbildung und Regelung induktiv geführter Kommissionierfahrzeuge, Universität der Bundeswehr Hamburg, Fachbereich Maschinenbau, Dissertation, Dipl.-Ing. Claus Hinrichsen, Hamburg 1994
[SCH1998]
Fördermaschinen Hebezeuge, Aufzüge Flurförderzeuge, Fördertechnik und Baumaschinen; ab Seite 372, Martin Scheffler, Klaus Feyrer, Karl Matthias, Vieweg Verlag 1998, ISBN 3-528-06626-1
[SCH2010]
Modellbildung und Simulation der Dynamik von Kraftfahrzeugen, Dieter Schramm, Manfred Hiller, Roberto Bardini, Springer Verlag 2010, ISBN 978-3-540-89315-8
10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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Rechtliche Anforderungen zur Ausrüstung der Fahrerrückhalteeinrichtung und zur Ausbildung von Staplerfahrern innerhalb der EU DIPL.-ING. MARCUS GAUB Berufsgenossenschaft Handel und Warendistribution (BGHW)
- Der Beitrag lag bei Drucklegung des Tagungsbandes leider nicht vor. –
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Flottenmanagement in der Intralogistik M. SC. JÖRN SELLENTIN Jungheinrich AG
Flottenmanagementsysteme stellen heute einen wichtigen Aspekt in der Intralogistik dar. Mit ihnen lässt sich der Betrieb von Fahrzeugflotten effektiv analysieren und optimieren. Der Einsatz von Flottenmanagementsystemen ist dabei nicht auf Flurförderzeuge begrenzt, sondern kann im gesamten Umfeld der Intralogistik angewendet werden. Flottenmanagementsysteme können dem Kunden Vorteile hinsichtlich der Erhöhung des sicheren Betriebs der Flurförderzeuge, der Zugangskontrolle, der Kostenreduzierung, der Produktivitätserhöhung, der Verbesserung der Verfügbarkeit und der Wartungsplanung schaffen. Derzeitig befinden sich Produkte von speziellen Anbietern für Flottenmanagementsysteme sowie von Flurförderzeugherstellern auf dem Markt. Jungheinrich bietet mit dem Flottenmanagementsystem ISM Online ein eigenes Produkt in dem Geschäftsfeld an. Dieses beinhaltet vier voneinander unabhängige Module: 1. Basis Mit diesem Modul erhält der Kunde eine standortübergreifende Übersicht über die Stammdaten seiner Fahrzeuge. Die Daten werden aus dem Jungheinrich-System dem Kunden auf seine Fahrzeuge gefiltert zur Verfügung gestellt. 2. Betriebskosten Dieses Modul stellt die Finanz-, Miete-, Servicekosten der Fahrzeugflotte detailliert fahrzeugbezogen dar. Die Daten werden aus dem Jungheinrich-System dem Kunden auf seine Fahrzeuge gefiltert zur Verfügung gestellt. 3. Sicherheit Das Modul unterstützt die personenbezogene Zugangskontrolle zu den Fahrzeugen mit Konfigurationsmöglichkeit per Web – Anwendung. Zur Vermeidung von Gewaltschäden werden Schocks geloggt und den fahrerbezogen ausgewertet. Zudem lässt sich die Sicherheit im Lager durch Zustandsprüfungen erhöhen, wodurch nur einwandfrei funktionierende Fahrzeuge eingesetzt werden. Dieses Modul benötigt pro Fahrzeug ein Zugangselement, eine Schocksensorik sowie eine Funkanbindung an den ISM Online Server. 4. Produktivität Mit diesem Modul lässt sich die Auslastung der Fahrzeugflotte analysieren. Über graphische Auswertungen kann die Nutzung der Fahrzeuge analysiert werden. Prognosen zu den erwarteten Betriebsstunden ermöglichen detaillierte Planungen. Basis für die Berechnungen ist hierbei das Nutzungsverhalten der Fahrzeuge. So lassen sich standortbezogene und standortübergreifende Fahrzeugeinsätze analysieren und planen. 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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ISM Online ist webbasiert und intuitiv zu bedienen. Einfache, übersichtlich gestaltete Grafiken und Tabellen erleichtern dem Nutzer das Arbeiten mit dem Flottenmanagement-System. Dieses ist sowohl für die Steuerung von Jungheinrich-Flotten als auch von Mischflotten ausgelegt. Der Betrieb von Mischflotten mit Flottenmanagementsystemen stellt den Kunden bisher vor eine Herausforderung. Zwar bieten viele Hersteller eine Umrüstung von Fahrzeugen auf ihre Systeme an, diese stellt aber eine Veränderung der Maschine dar, womit der Umrüster die Verantwortung über die Konformität der gesamten Maschine übernimmt. Eine Umrüstung kann daher nur mit entsprechender Unterstützung der beteiligten Hersteller mit gutem Gewissen durchgeführt werden. Durch den steigenden Anteil an Elektronik in Flurförderzeugen schwindet zudem die Möglichkeit, auf einfache Weise Informationen abzugreifen oder in die Maschine einzugreifen. In einer branchenübergreifende Arbeitsgruppe initiiert vom VDI Arbeitskreis Rhein-Main ist der VDIRichtlinienentwurf 4458 zu Flottenmanagementsystemen mit der Zielsetzung entstanden, Standards zu schaffen, um die Nutzung von Flottenmanagementsystemen verschiedener Anbieter in Mischflotten zu verbessern. Diese Richtlinie beinhaltet unter anderem eine offene Schnittstelle zu Flurförderzeugen, die es ermöglicht, die für Flottenmanagementsysteme benötigten Fahrzeugkomponenten in die Flurförderzeuge zu integrieren. Die Schnittstelle stellt zunächst die Basisinformationen wie Betriebsstunden und Betriebszustände dar und nimmt Vorgaben wie Freigabe und Langsamfahrt an das Fahrzeug entgegen. Durch die offene Schnittstelle wird eine klare Aufteilung der Verantwortlichkeiten der beteiligten Hersteller erreicht und es wird die notwendige Basis geschaffen, den Kundenwunsch nach einem speziellen Flottenmanagementsystem in Mischflotten professionell zu erfüllen. Durch zukünftige Erweiterungen der Schnittstelle können weitere Daten zur Verfügung gestellt werden oder zusätzliche Anforderungen wie z. B. Batterieflottenmanagement umgesetzt werden.
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Toyota Li-Ionen – neue Maßstäbe setzen DIPL.-WIRTSCH.-ING. KAI HESSE Toyota Material Handling Deutschland GmbH EINLEITUNG Das Thema Batterien beschäftigt uns schon seit 1800. Zu diesem Zeitpunkt entdeckte Alessandro Volta den kontinuierlichen Stromfluss zwischen Elektroden. Voltas experimentierte mit verschiedenen Metallen insbesondere Zink, Silber und Kupfer. Gut 50 Jahre später veröffentlichten Sinsteden und Plante erste Messergebnisse über Bleiakkumulatoren. Der Schwede Jungner erfand 1899 den NiCd Akkumulator. Es dauerte weitere 50 Jahre bis die Technik erfolgreich im Markt eingeführt wurde. Getrieben durch die mobile Anwendung von elektronischen Geräten wurde in den 70er und 80 Jahren des 20sten Jahrhundert diese Technik weiter entwickelt und es entstand die NiMH-Systeme. In Europa fanden sich keine Hersteller, die in diese Systeme investieren wollten. Das japanische Ministerium für Wirtschaft, Handel und Industrie (MITI) förderte die Weiterentwicklung dieser Systeme sowie die Entwicklung neuer und anderer Speicher. Das Ergebnis waren marktreife NiMH (um 1990) und Lithium-Ionen Zellen 1991. Bis heute haben japanische Unternehmen eine führende Rolle. Seit 2003 gibt es einen rasanten Wachstum von Herstellern aus China und Korea. Europäische und amerikanische Unternehmen haben minimale Marktanteile bei der Produktion von Li-Ion-Zellen. Hier konzentriert man sich auf Nischenanwendungen (und hofft auf die Masseneinsatz von Li-Ionen im Automobilbereich). Eine dieser Nischen ist der Einsatz von Li-Ionen-Systemen in Flurförderzeugen. Verschieden Hersteller bieten mittlerweile Lösungen an. Diese unterscheiden sich zum Teil in der chemischen Zusammensetzung und auch im Grad der Integration in das Flurförderzeug. Technisch haben sich die Systeme bewährt. Auch unter Kosten-Nutzen Gesichtspunkten gibt es viele Vorteile. Allerdings scheinen die Anschaffungskosten die Kommerzialisierung zu erschweren. Toyota Material Handling hat sich Ende 2013 getraut, diesen Schritt zu gehen und bieten für verschiedenste Baureihen serienmäßig vollintegrierte Li-Ionen-Systeme an.
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LI-IONEN IST DER BLEISÄUREBATTERIE ÜBERLEGEN Li-Ionen-Syteme bringen einige Vorteile und Neuerungen im Vergleich zur bekannten Blei-SäureBatterie. So sind Zwischenladungen nun ausdrücklich erwünscht. Da mit sehr hohen Strömen geladen werden kann, verkürzen sich die Ladezeiten drastisch. Eine Vollladung ist bereits in einer Stunde möglich. Des Weiteren kann eine wesentlich größere Energiemenge entnommen werden und Batteriekapazitäten können dadurch reduziert werden. Natürlich bedeutet das neue Ladeverhalten ein gewisses Umdenken bei den Bedienern. Ein weiterer Vorteil für den Bediener ist der Fakt, dass es sich um wartungsfreie Systeme handelt. Somit ist keine Pflege notwendig und es können keine Fehler gemacht werden, die zu einer Reduzierung der Lebensdauer führen. Im Vergleich zur BleiSäurebatterie ist die Lebensdauer mit bis zu 5000 Zyklen 2-3-mal so lang. Li-Ionen-Systeme sind unempfindlich gegenüber Belastungsspitzen. Die höhere Leistungsfähigkeit resultiert nicht nur aus der höheren nutzbaren Energiemenge, sondern auch der größeren Energiedichte. Dadurch haben die Systeme einen höheren Wirkungsgrad.
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Abbildung 1: Wesentliche Faktoren eines Li-Ionen-Systems
DIE CHANCEN Die Li-Ionen-Systeme bietet eine Vielzahl von Möglichkeiten und ganz neue Blickwinkel. Am offensichtlichsten ist der Vorteile des Zwischenladens z. B. bei Arbeitsunterbrechungen wie Pausen. Dieses kann dazu führen, dass mein bei intensiven Einsätzen auf eine Wechselbatterie verzichten kann. Neben der Reduzierung der Kosten für einen 2ten Batteriesatz werden ebenso Personalkosten gespart. Da die Batterie quasi wartungsfrei ist spart der Kunde Servicekosten. Es sind weder eigenes Personal z. B. fürs Wassernachfüllen, noch Herstellerpersonal nötig. Das Zwischenladen ist überall möglich, da beim Laden des geschlossen System keine Gasung entsteht. Das kann sogar bedeuten, das ausgewiesen Ladebereichen nicht mehr notwendig sind oder anders genutzt werden könnten. Auch aufwendigen Belüftungssysteme sind nicht mehr notwendig. Auch bei Umweltaspekten bietet die Technologie Vorteile. Keine Belastung durch giftige Schwermetalle; ebenso ist ein Auslaufen der Batterie nicht mehr möglich. Da zum Laden Hochfrequenztechnik zum Einsatz kommt, ist ein effizienteres Laden möglich. Es gibt kein Überladen mehr, dies kann bis zu 30‘% Energieeinsparung bedeuten, schont Ressourcen und trägt zu einer bessere CO2 Bilanz bei.
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DIE HERAUSFORDERUNGEN Li-Ionen-Zellen benötigen Sicherheitssysteme bzw. Batteriemanagementsysteme um das System vor Überhitzung zu schützen. Da das Flurförderzeug unmittelbar auf die Parameter Einfluss nimmt, sollte es voll ins Gerät integriert werden. Toyota Material Handling setzt derzeit Nickel-Magnesium-KobaltZellen ein. Allgemein hat sich aber noch kein Standard in Bezug auf die chemische Zusammensetzung herausgearbeitet. Somit muss die Betrachtung hier differenziert werden. Die größte Herausforderung ist heute der Anschaffungspreis. Bei gleicher Kapazität (Ah) kann eine Li-Ionen bis zu 10-mal soviel kosten, wie eine vergleichbare Bleisäurebatterie. Die Entwicklung der Zellen und die Kostenreduzierung wird aber in anderen Industrien stattfinde, z. B. der Automobilsektor (siehe Toyota Prius Plug-in Hybrid). Der Recyclingprozess stellt die Hersteller auch noch vor gewisse Herausforderungen und macht es heute schwierig eine umweltfreundliche Widerverwertung der Zellen Darzustellen.
DER ZIELKUNDE Besonders lohnenswert ist das System, wenn der Kunde einen intensiven Einsatz und hohe Einsatzzeiten hat. Es ist heute bereits möglich, dass bei 2-3-Schicht-Einsätzen mit einem Li-IonenSystem gearbeitet werden kann hat. Durch richtiges Lademanagement ist hier kein Batteriewechsel notwendig. Bei diesen Einsätzen zahlen sich die höheren Anschaffungskosten häufig schon nach 1-3 Jahren aus. Viele Unternehmen haben Programme etabliert, um den CO2-Ausstoß zu verringern. Die Li-Ionen-Technik kann einen großen Beitrag hierzu leisten, da Energie eingespart wird und effizienter eingesetzt wird. Die Produktivität wird durch den Einsatz von Li-Ionen-Systemen erhöht, da diese eine sehr stabile Spannung während der gesamten Entladephase haben. Aus diesem Grund bietet eine Li-Ionen Batterie dem Fahrer immer die gleiche Leistung und Produktivität, unabhängig davon, ob die Restkapazität in der Batterie 80 % oder nur noch 20 % beträgt. Bei einer Blei-Säure Batterie nimmt die Leistungsfähigkeit gegen Ende der Entladephase ab.
TOYOTA LI-ION EINZIGARTIG AM MARKT Beim Toyota Li-Ion handelt es sich um ein vollintegriertes System. Es ist via CAN-Bus an die Kommunikation des Flurförderzeuges angebunden. Diese bis dato einmalige Integration erhöht die Sicherheit bei der Bedienung drastisch. Es wird z. B. erkannt, wann die Batterie leer wird, in die Unterspannung geht oder gar ein einzelnes Modul ganz abschaltet. Diese Information wird an die Steuerung des Flurförderzeugen gemeldet und es werden ggf. Sicherheitsprogramme aktiviert. Z. B. kann die Geschwindigkeit reduziert, eine limitierte Bedienzeit signalisiert oder Funktionen beschränkt werden. Diese Zustände und Informationen werden dem Bediener in der Standardanzeige des Flurförderzeuges angezeigt.
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Abbildung 2: Vollständige Integration in das FFZ
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist das patentierte Poldesign. Es ermöglich nicht nur eine einfache und intuitive Trennung des Stromflusses. Der Zellendeckel und die Polspannung sind dicht verschweißt, so führt z. B. auch Reinigen mit Hochdruck weder beim Gerät noch bei der Batterie zu Kriechströmen. Des Weiteren dient dieser Anschluss auch zum Verbinden mit dem Ladestecker.
Abbildung 3: Toyota Li-Ion-System
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Durch diese vollständige Integration ist das System optimal auf die Parameter des Gerätes abgestimmt und erhöht nicht nur die Sicherheit, sondern ist auch vom Hersteller zugelassen. Angeboten werden 100, 150, 200 und 300 Ah-Systeme. Es hat sich gezeigt, dass größere Kapazitäten nur sehr selten notwendig sind. Durch das neue Ladeverhalten wird das System schneller und häufiger geladen. Auch kann mehr Energie entnommen werden im Vergleich zu einer Bleisäurebatterie.
FAZIT Im Sinne von „Kaizen“ – Toyotas Prinzip der stetigen Verbesserung – wurde die neuartige Antriebstechnologie im Vorfeld durch umfangreiche Feldtests mehrfach erprobt. Unterm Strich stehen eine höhere Geräte-Verfügbarkeit sowie eine deutliche Verringerung der Flottenverbräuche. Die Markteinführung der neuen „Li-Ion“-Baureihe erfolgte Ende 2013. Erste reguläre Verkäufe bestätigen die großen Chancen die das Li-Ionen-System versprechen. Das Interesse und auch die Akzeptanz des Marktes zeigen, dass Kunden heute schon bereit sind einen höheren Anschaffungspreis zu investieren, wenn sich dieser auf die Laufzeit des Gerätes rechnet. Mit Toyota Li-Ion wurde im Bereich der 24 V Geräte (Niederhub) gestartet. Derzeit findet die Ausweitung dieser Technologie auf immer mehr Gerätetypen in unserem Portfolio statt, also auch auf die 48 V Geräte.
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Verlustleistungsuntersuchung am Elektrostapler-Antriebssystem DIPL.-ING. KAZUTAKA IUCHI, DIPL.-ING. MICHAEL HAMMER, DIPL.-ING. MIRIAM ERGGELET UND DR.-ING. PAOLO RUATTO ZF Friedrichshafen AG
EINLEITUNG Aufgrund der begrenzten Energiespeicherkapazität hat das Thema Antriebswirkungsgrad bei Elektrostapler-Fahrzeugen eine große Bedeutung. Je höher der Antriebswirkungsgrad desto länger können die Fahrzeuge gefahren bzw. bei gleicher Einsatzzeit mit geringerer Speicherkapazität betrieben werden. Somit rückt das Thema Wirkungsgrad in den Fokus des Wettbewerbs für die Getriebezulieferer der Stapler-Antriebstechnologien. Zur Optimierung des Wirkungsgrades (bzw. zur Reduzierung der Verlustleistungen) sind Kenntnisse über auftretende Verluste vom Staplerantriebssystem und der einzelnen Komponenten erforderlich. In diesem Beitrag soll die allgemeine Vorgehensweise der ZF Friedrichshafen AG bzgl. Der Verlustleistungsuntersuchung und -optimierung an einem Getriebe für einen heckangetriebenen Elektrostapler für Lagertechnik beispielhaft dargestellt werden.
VERLUSTLEISTUNGSUNTERSUCHUNGEN IN DER ZF ZF ist ein weltweit führender Technologiekonzern in der Antriebs- und Fahrwerktechnik. ZF entwickelt und fertigt innovative und qualitativ hochwertige Produkte zur Verbesserung der Mobilität von Menschen und Gütern sowie verbundener Technologien. Die Antriebstechnik für Stapler gehört zu der Division Industrietechnik, in der ZF seine Aktivitäten für die Anwendungen „abseits der Straße“ bündelt. In Bild 1 werden einige Getriebe der Fa. ZF beispielshaft dargestellt. Um die technologische Zukunft des Konzerns zu sichern, aber vor allem um Synergien unterschiedlicher Geschäftsbereiche zu nutzen und Kernkompetenzen auf den Ebenen des Technologiefortschritts und der Innovation anbieten zu können, werden in der Zentralen Forschung & Entwicklung die operativen Entwicklungsbereiche des ZF-Konzerns bzgl. Des Themas Grundlagen-, Querschnitts-, Methodenund Prozessentwicklung unterstützt. Um auf die umfangreichen Kenntnisse über Verlustverhalten unterschiedlichster Komponenten und Getriebetypen zurückgreifen zu können, gehört auch das Thema Verlustleistungsanalyse und -optimierung auf Getriebe- und Komponentenebene zu Synergiethemen des Konzerns. Experten aus verschiedenen Fachdisziplinen arbeiten zusammen um dieses Synergiethema zu unterstützen. Diese Experten sorgen einerseits für eine ständige Weiterentwicklung der Methoden, andererseits stellen sie sicher, dass innerhalb eines Entwicklungsprozesses mit vergleichbaren Ansätzen gearbeitet wird. Denn nur wenn ein Ergebnis mit gleichem Ansatz erzeugt wurde, bleibt die Aussage über Produktfamilien hinweg vergleichbar. Eine strukturierte Datenablage gewährleistet hierbei reproduzierbare Ergebnisse und einen Erfahrungsaufbau, der über die einzelnen Entwicklungsprojekte hinweg langfristig Bestand hat.
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Abbildung 1: Auszug aus dem ZF-Getriebe Portfolio
DURCHFÜHRUNG DER VERLUSTLEISTUNG AN EINEM STAPLERGETRIEBE In diesem Beitrag wird eine detaillierte Verlustleistungsuntersuchung beispielshaft vorgestellt, welche an einem Seriengetriebe ZF-ERGOMAT der Baureihe „GK“ durchgeführt wurde. Mit der GKBaureihe bietet ZF einen universellen Antriebsbaukasten für EStaplerfahrzeuge. Die von ZF für diese Anwendung patentierte Hypoidverzahnung liefert dem Kunden ein Optimum aus Leistung, Lebensdauer und hoher Übersetzung auf kleinstem Bauraum. Eine Verlustleistungsanalyse des aktuellen Seriengetriebes ist stets ein wesentlicher Bestandteil bei der Entwicklung eines wirkungsgradoptimierten Getriebes. Es soll entwicklungsbegleitende Hinweise zur Verlustreduzierung der künftigen Getriebegeneration liefern und gleichzeitig als Referenz/Benchmark dessen dienen. Bei einer detaillierten Verlustleistungsuntersuchung wird die Analyse komponentenweise durchgeführt. Durch die Aufschlüsselung der Verluste in einzelne Komponenten ist es möglich die sogenannten quick-win Verluste, die am größten und am einfachsten zu reduzieren sind, zu ermitteln und Verbesserungsmaßnahmen zur Verlustleistungsreduzierung abzuleiten. Die Kombination der aufgeschlüsselten Verluste mit dynamischen Fahrzeugmessungen/-simulationen lässt eine Abschätzung des Kosten-Nutzenverhältnisses zwischen Verbesserungsmaßnamen und Energieeinsparung zu. Die Hauptverlustkomponenten der betrachteten Getriebereihe, welche durch Erfahrungen der Analyse unterschiedlicher Getriebeprodukte abgeleitet wurde, sind in Bild 2 dargestellt. Diese sind • Sechs Lager (vier Kegelrollen- und zwei Rillenkugellagern) • Zwei Radialwellendichtungen
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• Stirnrad- und Hypoid/Kegelrad-Verzahnungspaare Bei der Untersuchung werden die Einzelverluste zwischen lastabhängigen Verlusten und lastunabhängigen Verlusten unterschieden und analysiert (Bild 2). Lastunabhängige Verluste werden auch Leerlauf-, Durchtriebs- oder Schleppverluste genannt.
Abbildung 2: Verlustkomponente der ZF-ERGOMAT Getriebe der Baureihe GK
Die Schleppverluste lassen sich durch Änderung der Einbausituation, Geometrie oder Schmierungszustand, also durch die Änderung der physikalischen Randbedingungen, welche für die Verlustentstehung verantwortlich sind, vergleichsweise einfacher reduzieren als die lastabhängigen Verluste. Denn die Verzahnungseigenschaften, welche die lastabhängigen Verluste maßgeblich beeinflussen, werden stets belastungs-, akustisch-, wirtschafts- und wirkungsgradoptimal ausgelegt, so dass zumeist kostenintensivere Maßnahmen benötigt werden, um den Wirkungsgrad durch Verfeinerung der Oberflächenstruktur oder Einsatz von Spezialölen usw. weiter steigern zu können. Bei einer Verlustleistungsuntersuchung liegt somit das Hauptaugenmerk auf der Analyse der Schleppverluste.
DURCHFÜHRUNG DER VERLUSTLEISTUNGSMESSUNG Die Aufteilung der Gesamtgetriebeverluste auf die Komponentenebene kann praktisch durch die Messung am Komponentenprüfstand oder Messung am Gesamtgetriebe durch Differenz/SplitMessungen und/oder theoretisch durch die Berechnung mit physikalischen Verlustberechnungsformeln durchgeführt werden. Bei einer Verlustleistungsuntersuchung eines Seriengetriebes wird bei ZF die Durchführung beider angestrebt. Denn durch den Abgleich der Messergebnisse mit der Berechnung lassen sich die einzelnen physikalischen Effekte und im Getriebe entstehende lokale Randbedingungen für die Verlustentstehung am besten abbilden und so eine ggf. neue oder noch unbekannte Verlustquellen besser und schneller identifizieren. Die Durchführung
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theoretischer und praktischer Verlustleistungsuntersuchungen spart somit Entwicklungsschleifen und führt zur Reduzierung des Gesamtentwicklungsaufwandes.
unnötige
Für die Verlustleistungsoptimierung des Prototyp-/Seriengetriebes wird oft eine Getriebemessung benötigt, da bei der Verlustleistungsberechnung sowohl theoriebasierte Formeln als auch von Messungen abgeleitete Modelle zum Einsatz kommen. Ein Beispiel für theoriebasierte Berechnungsansätze sind Wälzlagerverluste nach Katalogformeln. Bei einigen Verlusten wie den Planschverlusten der Verzahnung in Öl weichen die Umgebungsbedingungen wie die Wandabstände so stark von dem theoretischen Ansatz ab, dass diese durch Versuchsergebnissen abgeglichen werden müssen. Diese müssen am Komponentenprüfstand oder am Gesamtgetriebe ermittelt werden. Um einen guten physikalischen Abgleich der Berechnung mit der Messung durchführen zu können, ist es wichtig, nicht nur einzelne Betriebspunkte der Lastenheftpunkte zu vergleichen, sondern unterschiedliche Drehmoment- und Drehzahlbereiche zu betrachten. Bei den untersuchten GK-Getrieben wurden die experimentellen Verlustleistungsuntersuchungen auf einen modernen Prüfstand der ZF Friedrichshafen AG durchgeführt (Bild 3). Antriebsmomente und Drehzahlen wurden für die Messung so variiert, dass der Hauptbetriebsbereich des Getriebes (S60Leistung) abgedeckt wurde. Durch die Messung der Momente am Getriebeeingang und -ausgang werden die Differenzmomente gebildet und diese als Verlustleistung ausgewertet. Da bei Lagerfahrzeugen wie der E-Stapleranwendung Wirkungsgrade beider Fahrtrichtungen von Relevanz sind, wurden die Messungen für beide Fahrtrichtungen durchgeführt.
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Abbildung 3: Getriebeprüfstand der ZF und Prüfparameter durchgeführter Messung
Erkenntnisse aus der Messung: • Die Messung unterstreicht den guten Getriebewirkungsgrad des ZF-Getriebes •
Es wurden Wirkungsgrade von bis zu 95 % gemessenen
• Auffällig bei der Messung war, dass unterschiedliche Verlustmomente in Abhängigkeit der Drehrichtung gemessen wurden •
Die drehrichtungsabhängige Differenz der Verlustmomente wurde bei allen Antriebsmomenten ermittelt. Im Mittel betrug der Wirkungsgradunterschied 2.6 %. Einen Großteil dieses Unterschieds lässt sich auf eine geometriebedingte, drehrichtungsabhängige Verzahnungsverlustleistung zurückführen.
• Die mit höher werdender Antriebsdrehzahl steigende Verlustleistungsdifferenz weist noch auf unterschiedliche Schleppmomente in Abhängigkeit der Drehrichtung hin (Bild 4). Absolut betrachtet fällt der Unterschied klein aus. Da die Antriebsmaschine bei höheren Antriebsdrehzahlen
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jedoch ein niedrigeres Drehmoment zur Verfügung stellen kann, wirkt sich dieser Schleppmomentunterschied auf den Gesamtwirkungsgrad stark aus. •
Beispiel: Durchschnittlich gemessener drehrichtungsabhängiger Schleppmomentunterschied bei 3500 rpm betrug ca. 10 %. Bei der genannten Drehzahl macht dies einen Unterschied von ca. 1 % Gesamtgetriebewirkungsgrad aus (abhängig vom Antriebsmoment).
Um die aus der Messung gewonnenen Erkenntnisse genauer zu analysieren, wurde einetheoretische Wirkungsgraduntersuchung durchgeführt.
Abbildung 4: Differenz der gemessenen, richtungsabhängigen Verlustmomente (normiert)
DURCHFÜHRUNG DER VERLUSTBERECHNUNG In einer frühen Getriebeentwicklungsphase müssen die Konzepte theoretisch verglichen und bewertet werden, um einen fairen und belastbaren Vergleich gewährleisten zu können. Einfache Berechnungsansätze mit angenommenen Randbedingungen reichen in dieser Phase aus, zumal für detaillierte Berechnungen viele erforderliche Eingabedaten noch nicht bekannt sind. Da teilweise recht viele Konzeptvarianten in kurzer Zeit bewertet werden müssen, wird eine schnelle Modellerstellung und eine kurze Reaktionszeit bis zur Erzeugung von Berechnungsergebnissen gefordert.
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Liegt eine Messung des Prototyp-/Seriengetriebes hingegen vor, so wird diese zum Abgleich der Verlustleistungsberechnung des Gesamtgetriebes verwendet, um lokale Getrieberandbedingung abzubilden und eine detaillierte Verlustleistungsuntersuchung durchzuführen. Die Berechnung der Komponentenverluste erfolgt mit Berechnungsmethoden, die von der zentralen Berechnungsabteilung festgesetzt worden sind. Mit Hilfe von hausintern entwickelten Berechnungstools werden die Verluste der Getriebe auf dem aktuellen Stand der Technik theoretisch ermittelt. Die Verwendung eines hauseigenen Tools hat den Vorteil, dass dieses schnell und flexibel erweitert werden kann. Diese Anforderung ist eine wichtige Voraussetzung bei dem breiten Produktportfolio von ZF. Sollte eine detaillierte Simulation benötigt werden, um das Verlustphänomen abzubilden, kommt kommerzielle 3D-Simulations Software wie die Finite-Elemente-Methode (FEM) für die Berechnung der Bauteilbelastung oder rechnerunterstützte Strömungssimulationen (CFD) zum Einsatz. Um Optimierungspotenziale für das untersuchte Staplergetriebe herauszufinden, werden dieAnteile der Verlustkomponenten am Gesamtwirkungsgrad gewichtet. Berechnete und mit Messungen abgeglichene Verlustmomente werden in Bild 5 dargestellt. Da die Verlustleistungsmessung über breite Drehzahl- und Drehmomentbereiche erfolgte, lagen unterschiedliche Komponentendrehzahlen und Belastungszustände vor. So konnten die gemessenen Verlustmomente auf Komponentenebene physikalisch abgeglichen werden und als Gesamtverlust zusammengefasst werden (Bild 5 links). Physikalischer Abgleich garantiert, dass alle Verluste richtig abgebildet wurden und dient gleichzeitig zur Verifizierung der Messergebnisse. Die berechnete Aufteilung der Verluste auf Komponentenebene wird beispielhaft für 10 Nm dargestellt (Bild 5 rechts).
Erkenntnisse aus der Berechnung: • Theoretische Analyse bestätigte einen sehr guten Wirkungsgrad des Seriengetriebes. • Auch auf der Komponentenebene wurde nahezu ein optimales Verlustverhalten bei der jeweiligen Komponente berechnet. • Im belasteten Zustand erzeugen die lastabhängigen Verzahnungsverluste größte Verluste. • Bzgl. Schleppmoments werden durch die schnelldrehenden Bauteile die größten Verluste erzeugt. Also durch antriebsseitige Dichtungen und Lager, aber vor allem durch das Planschen des großen Antriebsstirnrades. • Die Lagerverluste der Kegelrollenlager sind von deren Vorspannung abhängig. 10. Hamburger Staplertagung, 26. Juni 2014
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• Das Planschen des Abtriebsrades trägt einen geringen Anteil zur Gesamtverlusterzeugung bei, da dies nur mit geringer Drehzahl dreht. Entscheidende Übereinstimmung mit den Wirkungsgradmessungen am Gesamtgetriebe für unterschiedliche Drehrichtungen konnten physikalisch nur durch Erhöhung des Planschverlustes des großen Stirnrades am Antrieb erzielt werden. Das drehrichtungsabhängige Verlustverhalten ließ so einen Öl-Stau vermuten, der aufgrund des großen Antriebsstirnrades erzeugt wird.
DETAILLIERTE VERLUSTLEISTUNGSANALYSE ZUR ABLEITUNG DER OPTIMIERUNGSMAßNAHMEN Um die gewonnenen Erkenntnisse aus der Verlustleistungsmessung/-berechnung zu verifizieren, wurde das Strömungsverhältnis im Getriebe mittels dreidimensionaler Strömungsberechnung (CFDRechnung) näher untersucht. Mit einer CFD-Simulation können strömungsmechanische Probleme mit numerischen Berechnungsverfahren approximativ gelöst werden. Vorteile solcher Berechnungen sind, dass eine Analyse von Fluid-Strömungen störungsfrei erfolgen und dessen Strömungseigenschaften an nicht erreichbaren, durchschaubaren oder messbaren Stellen durchgeführt werden kann. Die Berechnung geschieht unter Zuhilfenahme von Computern, um die zum Teil nichtlinearen partiellen Differenzialgleichungen zweiter Ordnung zu lösen. CFD-Berechnungen werden in ZF eingesetzt, um unter anderen die Strömungsphänomene wie • Schmierölverteilung in Getrieben und Achsen • Hydrodynamischen Komponenten (Pumpen, Retarder, Ölleitungen) • Kühler für Fahrzeuge, Kühler für Hybridmodule oder E-Maschinen stationär oder transient zu untersuchen. Dabei können Geschwindigkeit, Druck, Schleppverlust, Wärmeleitung, Konvektion und Wärmestrahlung usw. für ein bzw. mehrere Fluide in Ein- und Mehrphasenströmungen ermittelt werden. So wurde auch das GK-Getriebe mit einer CFD-Berechnung simulativ abgebildet und untersucht, ob im Getriebe ein ungewollter drehrichtungsabhängiges Öl-Stau vorhanden und ob dieser für die unterschiedlichen Schleppverluste verantwortlich ist. Die Analyse des Strömungsbildes und des statischen Druckes zeigen Indizien hierfür. Die Ergebnisse einer CFD-Simulation werden im Folgenden näher erläutert. Nachfolgende Abbildungen in Bild 6 stellen die Ölgeschwindigkeiten und die Öl-Stromlinien im Umfeld der Antriebsstirnräder bei einer Antriebsdrehzahl von 3500 rpm dar. Es ist zu erkennen, dass das Öl von den Antriebsstirnrädern gefördert und Richtung Gehäusewand beschleunigt wird. Durch die (wegen Bauraumvorgaben bedingten) unterschiedlichen Wandabstände um die Stirnräder, entstehen unterschiedliche Strömungsverhältnisse in Abhängigkeit der Drehrichtung. Auf den rechten Abbildungen von Bild 6 ist zu entnehmen, dass die Strömung um die Antriebsräder durch das Abtriebsrad beeinflusst wird. Die Drehrichtung des Tellerrades unterstützt bzw. arbeitet gegen die Ölströmung, so bleibt bei einer Drehrichtung das Öl am Stirnrad „gefangen“, wobei bei der anderen Drehrichtung das Öl in den Abtriebsraum „entweichen“ kann. Dies führt zu unterschiedlichen Geschwindigkeitsniveaus um das Stirnrad.
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In den unteren Abbildungen in Bild 6 ist der Druckaufbau zwischen Verzahnung und Gehäuse dargestellt. In Abhängigkeit der Drehrichtung des großen Stirnrades, wird bei einer Drehrichtung (Ansicht A, großes Rad gegen Uhrzeigersinn) das Öl immer wieder zurück in dem Raum gefördert, wo es mit dem Zahnrad zusammen stößt und so höhere Drücke aufgebaut werden. Erkenntnisse aus der Strömungssimulation: • Aufgrund des unterschiedlichen Strömungszustands wurde mit einer CFD-Simulation ein Schleppmomentunterschied von 9.6 % bei 3500 rpm in Abhängigkeit der Drehrichtung berechnet. Dies bestätigen die bisherigen Erkenntnisse der Verlustleistungsuntersuchungen. • Dies ist die Folge von • •
unterschiedlichen Wandabständen um das Stirnrad unterschiedlichen Strömungsverhältnissen im Ölrohr
in Abhängigkeit der Drehrichtung.
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Abbildung 6: Ergebnisse der CFD-Berechnungen
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ABGELEITETE OPTIMIERUNGSMAßNAHMEN AUS DER VERLUSTLEISTUNGSANALYSE Durch detaillierte Verlustleistungsuntersuchung auf Komponentenebene konnten die Verlustbringer im Getriebe identifiziert und daraus die Verbesserungsmaßnahmen abgeleitet werden. Bei der auf Lebensdauer geschmierter ERGOMAT Getriebe der GK-Reihe spielt die Ölführung eine maßgebende Rolle. So können die drehrichtungsabhängigen Strömungsverhältnisse durch Einsatz eines ÖlLeitblechs gezielt beeinflusst werden. Die Wirksamkeit davon wurde bei der ZFArbeitsmaschinenachse bereits nachgewiesen. Diese Maßnahmen können zusätzlich durch Änderung der Gehäusegestaltung unterstützt werden, indem der Abstand der Verzahnung zum Gehäuse erhöht wird. Die Platzierung weiterer Ölleitrohre zwischen An- und Abtrieb wäre noch denkbar, um dem Öl im Stirntriebraum bessere Ausweichmöglichkeit zu geben. Bei antriebsseitigen Komponenten, wie die Rollenkugellagern oder das große Antriebsstirnrad, soll bestrebt werden, dass diese weniger Öl zum Planschen sehen. So wird überprüft, ob die Ölstandabsenkung realisiert oder eine Ausweichmöglichkeit des mit Betriebstemperatur ausdehnenden Öles geschaffen werden kann. Durch die Absenkung der Ölmenge könnte gegebenenfalls die Spannkraft des Dichtrings reduziert werden, was zur weiteren Verlustreduktion führt. Um keine Vorspannverluste bei Lagern zu erzeugen, können die Kegelrollenlager durch Fest-Loslagerung ersetzt werden, wenn Kosten und Bauraum diese Änderung zulässt. Bei der Optimierungsmaßnahme muss natürlich beachtet werden, dass die Kühlung,Schmierung und Dichtung des Getriebes weiterhin gewährleistet wird. Mit einer Verifizierungsmessung und einer CFD-Berechnung soll die Wirksamkeit der durchgeführten Optimierungsmerkmale überprüft werden.
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK In der Praxis hat sich die projektbegleitende Wirkungsgradoptimierung durch Messung und Berechnung bewährt. Mit Hilfe dieser werden die Getriebeverluste auf dem aktuellen Stand der Technik analysiert und daraus eine wirkungsgradoptimierte Konstruktion abgeleitet. Durch die gesammelten Erfahrungen aus vielen Versuchen und Berechnungen unterschiedlichster Getriebeanwendungen ist ZF in der Lage, eine detaillierte Aussage über das Verlustverhalten zu treffen. Das Getriebe beeinflusst den Energieverbrauch des Fahrzeuges durch seine inneren Verluste und durch seine Übersetzung die Betriebspunkte des Antriebsmotors. Da je nach Fahrzeug und Zyklus andere Motorbetriebspunkte durchfahren werden, soll die Beurteilung eines Antriebsstranges bezüglich seiner Verlustleistungsreduzierung der Getriebe durch dynamische Simulation mit der Streckensimulation getroffen werden. In diesem Gebiet besitzt ZF auch fundiertes Know-How und Erfahrungen im Konzern. Um die stetig steigende Anforderung an Effizienz der E-Stapler gerecht zu werden, ist es notwendig, dass Fahrzeughersteller, Berechnung, Versuch und Motorlieferanten eng zusammenarbeiten und ihre Erfahrungen austauschen. Nur so kann garantiert werden, dass die Erfahrung bei der Getriebeentwicklung in die nächste Generation einfließt (Bild 7).
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Abbildung 7: Wirkungsgradoptimierungsprozess
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