b o s n i s c h / k r o a t i s c h /s e r b i s c h f ü r »A l m a n a c h /J a h r b u c h «
Jahrbuch für Integration in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft – 2012 / 2013
01
„ IM
CHANCE
“
Schlechte Nachrichten gibt es genug. Hier kommt eine gute: Im Integrationsbereich ist in den letzten fünf Jahren mehr passiert als in drei Jahrzehnten zuvor. Vorwort Heißen Sie Öztürk oder Jugović?
Foto © Marko Mestrovic
MIT EINANDER LIEGT DIE
Liebe Leser, Liebe leserinnen!
Und Konzerne und Banken haben
Nein? Glück gehabt. Mit Namen wie
längst verstanden, dass die fast 1,6
diesen haben Sie es ziemlich schwer.
Millionen Österreicher mit interna
Der Wohnungsmakler wird eher
tionalen Wurzeln ein Gewinn und
keine Wohnung für Sie finden. Von
keine Belastung sind.
einem Bewerbungsgespräch können Sie meistens nur träumen und zur
Natürlich geht immer alles noch
Polizei sollten Sie ganz besonders
besser. Natürlich gibt es in der Asyl-
nett sein. Selbst wer perfekt inte-
und Abschiebepraxis noch schrei-
griert ist und Deutsch spricht wie ein
ende Ungerechtigkeiten. Es schadet
Schönbrunner, ist 2012 in Österreich
aber nicht, einmal eine positive
vor Alltagsrassismus nicht sicher.
Bilanz zu ziehen – ohne die Konflikte und Probleme zu leugnen.
Aber jetzt zur guten Nachricht. Im
»Seit einigen Jahren ist die ‚Das Boot ist voll‘Politik am Rückzug.«
Integrationsbereich geht endlich
Seit fünf Jahren berichtet das biber,
etwas weiter. Seit einigen Jahren
das Magazin für neue Österreicher,
ist die »Das Boot ist voll«-Politik am
direkt aus den multiethnischen Co-
Rückzug. Wirtschaft, Politik, Inter
mmunities. Clemens Neuhold und
essensvertretungen und Vereine
Marina Delcheva haben für Sie unser
arbeiten an einem neuen, offeneren
Know-how im Bereich Vielfalt zu-
Österreich.
sammengefasst. Wir haben unseren ersten Jahresbericht für Integration
Probleme nicht leugnen – Auf Regie-
»Almanah« genannt, das ist die in
rungsebene gibt es mit Sebastian
vielen slawischen Sprachen übliche
Kurz im Integrationsbereich »good
Bezeichnung für ein Nachschlage-
news« zu berichten. Der Staatssekre-
werk. Einen besseren Überblick
tär hat wenig gesetzliche Kom pe-
werden Sie nirgends finden.
tenzen, verfügt dafür aber über Engagement und Können. Institutionen
gerechtigkeit muss sein
wie Polizei, Heer und Schulen be-
Schreiben Sie uns Ihre Meinung:
mühen sich offensiv um Mitarbeiter
kravagna@dasbiber.at
mit Migrationsbackground. Anders als viele andere europäische Millionen metropolen hat es zudem Wien unter Bürgermeister Michael Häupl geschafft, ehemalige Problemviertel wie die
Dr. Simon Kravagna
Gegend rund um den Brunnenmarkt
Herausgeber und Chefredakteur von
in Vorzeigeprojekte zu verwandeln.
das biber
1,569
39 %
Millionen Menschen in Österreich haben Migrationshintergrund. Das ist jeder Fünfte.
39 % der Wiener Wohnungseigentümer sind Migranten.
282.200
In Österreich lebende Migranten transferieren jährlich 780 Millionen Euro in ihre Heimatländer. Jährlich wandern 130.000 Menschen nach Österreich ein und 100.000 ab.
haben ex-jugoslawische Wurzeln.
04
18 %
9 %
Ein Migrant lebt in Wien auf durchschnittlich 30 m 2 . Öster reicher haben 13 m 2 mehr zur Verfügung.
Menschen haben türkische Wurzeln
512 .000
Der Durchschnittsösterreicher ist 42 Jahre alt. Ausländische Staatsangehörige sind um sieben Jahre jünger.
€ 780.000.000 Nach erweiterter Definition ist jeder zweite Wiener Migrant.
Jeder 3. Migrant ist hier geboren.
Vielfalt in Zahlen
Österreich ist die Summe seiner Bürger. Die Nachkommen der Gastarbeiter und die neuen Zuwanderer aus aller Welt machen einen wachsenden Teil dieser Rechnung aus.
Österreicherinnen gebären im Schnitt 1,3 Kinder, Türkinnen in Österreich 2.
Migranten geben 20 Milliarden Euro pro Jahr aus. Das ist die doppelte Kaufkraft Kärntens. Touristen geben in Österreich jährlich 16 Milliarden Euro aus.
Türken sparen 18 Prozent ihres Einkommens, doppelt so viel wie Österreicher.
05
Der Markt Markt: Das sind türkische Eckgeschäfte, die wir früher Greißler nannten; das ist der rot-weiß-rote Supermarkt, der serbische Schokolade führt; das ist eine heimische Bank, die auch Rumänisch spricht; das ist ein Zuwanderer, der sein mitgebrachtes Wissen in Österreich investiert; das ist das, was Menschen täglich zusammenbringt.
S 08–S 09 Ajvar for Austria p e r s i s c h f ü r » M o t o r«
Auf den Geschmack der Heimat wollen Zuwanderer nicht verzichten. Die Supermarktregale für »Ethnofood« werden breiter. Foto © Philipp Tomsich
S 10 Der K(r)ampf um den Titel Daheim top, in Österreich flop? Warum es Österreich schadet, wenn Zuwanderer unter ihrem Wert geschlagen werden. Foto © Marco2811/Fotolia
S 12–S 13 Meine Bank spricht Jugo Hochzeitskredite für Türken, Beratungen auf Serbokroatisch: Die Banken kämpfen um jeden Cent der Migranten. Foto © Philipp Tomsich
06
Zuwanderer integrieren. Bei aller Liebe für Schnitzel
Gewürzen, Keksen, Süßwaren, Scho-
oder Sachertorte – die Liebe zum neuen Heimatland
koladen, Kaffeesorten und Packerl-
geht nur sehr bedingt durch den Magen.
suppen bis hin zu Limonaden und Energy-Drinks.«
»Ohne Sudzuk-Wurst, Argeta-Pastete oder Vegeta-Gewürze könnte ich nicht leben.«
Mit kleinen Portionen werden die tendenziell größeren ZuwandererHaushalte nicht abgespeist. Im Ethnofood-Regal gilt XL statt Small. »Käse, Hülsenfrüchte oder eingelegtes Gemüse gibt es bei uns in Gebinden bis zu fünf Kilo«, sagt Satek.
Grundnahrungsmittel – Bei einer Kaufkraft der Migranten von 20 Milliarden Euro sowie einem Migranten-
Wie immer kommt es auch beim
Anteil von 20 Prozent in Österreich und 50 Prozent in
Ethnofood auf die Marke an. »Marken,
Wien blieb den Supermärkten nichts anderes übrig,
die in den Herkunftsländern eine
Der süße Geschmack der Heimat
als die Lieblingsmarken der Migranten ins Sortiment
hohe Bekanntheit haben«, gehen
aufzunehmen. Zur asiatischen Kokosmilch und zur Soja-
am besten, sagt Berkmann. Dazu
sauce, die es schon seit den 90er-Jahren im Supermarkt
zählen zweifelsohne »Eurokrem«-
gab, gesellten sich plötzlich die »Grundnahrungsmittel«
Schokolade und »Domaćica«-Kekse.
Betäubung – zum Prozedere. In
der türkischen und ex-jugoslawischen Community wie
Die »absoluten Verkaufsschlager«
Österreich wird das Tier sofort nach
Sarma-K raut, Ajvar oder Sudzuk-Wurst. »Früher kam
bei Zielpunkt sind das türkische
dem sogenannten Schächtschnitt
unsere Wurst per Bus aus Sarajevo, jetzt kommt sie
Joghurt-Getränk »Gazi« und der ser-
betäubt. Das genügt manchen Tier-
vom Supermarkt nebenan«, erzählt Aljović.
bische Doncafe.
schützern aber nicht. »Wir halten
Schächtung – ein Halsschnitt ohne
alle Richtlinien ein. Aber es ist trotz-
Ajvar for Austria Text: Clemens Neuhold Fotos: Phlipp Tomsich
,Vier Pfoten‘«, sagt Nakhai. Kein Luxus mehr – Egal ob HalalFleisch, Schoko oder Kraut: Ethnofood darf kein Luxus sein, das haben die Supermärkte erkannt. »Am Anfang war uns das zu teuer«, sagt
In den heimischen Supermärkten dehnen sich die Regale für Ajvar, Ayran oder Argeta immer weiter aus. Ethnofood – eine rot-weiß-rote Erfolgsgeschichte.
»Am Anfang war das Sortiment nicht so groß, doch
Aljović. Mittlerweile sind die Pro-
dann haben wir es wegen der guten Nachfrage bei
dukte teilweise billiger als in türki
Merkur und Billa Stück für Stück erweitert. Wir ent
schen Supermärkten wie Etsan oder
decken immer wieder neue Länder und Produkte«,
Burak, hat ein biber-Preisvergleich
erzählt Karin Nakhai, Pressesprecherin von Rewe. »Wir
ergeben. An das dortige Angebot an
haben unser Ethnofood-Sortiment besonders dort
Ethnofood kommen die heimischen
stark ausgeweitet, wo es einen starken Anteil an neuen Österreichern gibt«, sagt Spar-Sprecherin Nicole
Ajvar: Grundnahrungsmittel wie das tägliche Brot
Der Markt
Supermärkte natürlich nicht ran, dafür gibt es beim »Österreicher« mehr Alltagsware.
Berkmann. Damit meint sie zum Beispiel Wiener
Die 21-jährige Melisa Aljović ist in Bosnien geboren. Bei
Bezirke mit einem hohen Anteil an türkischen oder exjugoslawischen Migranten, den größten Zuwanderer
Halal – legal – Ein heikler Punkt
Umgekehrte Integration – Neue Be-
gruppen neben den Deutschen (für die ein eigenes
ist Halal-Fleisch, das Merkur oder
gehrlichkeiten weckt das erweiterte
Ethnofood-Regal wohl mager ausfallen würde).
Zielpunkt in ihr Sortiment aufge-
Sortiment auch bei den Öster rei-
nommen haben. »Halal« bedeutet
chern, die mit neuen Geschmäckern
ihrem Beruf fragt niemand mehr, ob sie »integriert« ist:
08
dem ein Spagat zwischen ,halal‘ und
»Früher kam unsere Wurst per Bus aus Sarajevo, jetzt kommt sie vom Supermarkt nebenan.«
Sie unterrichtet Deutsch. Doch selbst für sie gibt es eine
Lebenselixier – Besonders eifrig geht Zielpunkt
»erlaubt«. Für gläubige Muslime ist
experimentieren oder die »Grund-
Grenze der Anpassung an Österreich: die Schwelle zur Küche.
das Thema Ethnofood an. »Wir haben in 100 Filialen
Fleischverzehr nur zulässig, wenn bei
nahrungsmittel« der Migranten von
»Ohne Sudzuk-Wurst, Argeta-Pastete oder Vegeta-Gewürze
be gonnen, mit 25 Produkten im Regal«, erzählt der
der Schlachtung der Name Allahs
Reisen kennen. Die Zuwanderungs
könnte ich nicht leben«, sagt sie. Wenn es ums Essen geht,
ehemalige Zielpunkt-Eigentümer Jan Satek. »Mittler
erwähnt und das Fleisch von einem
welle ins Ethnofood-Regal der
müssen sich die österreichischen Lebensmittel in die tradi-
weile umfasst die Produktpalette 80 Produkte in 300
muslimischen Fachmann geprüft
Migranten rollt – Integration einmal
tionellen Kochgewohnheiten, Geschmäcker und Zutaten der
Filialen. Das Angebot reicht von landestypischen
wird. Traditionell gehört auch die
umgekehrt. 09
Migranten als große Chance für Wien
Unternehmer mit Migrationshintergrund haben eine große Bedeutung für die Wiener Wirtschaft.
Interview Menschen mit Migrationshintergrund sind ein »wichtiger Teil der Wiener Wirtschaft geworden«, betont Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien. Wer in einem anderen Land einen Betrieb
Der K(r)ampf um den Titel
Die Rechtsberatung der AK Wien berät über 385.000 Menschen im Jahr – telefonisch, per E-Mail oder persönlich im Gespräch, auf Wunsch auch in in Türkisch, Serbisch, Bosnisch und Kroatisch.
Viele Zuwanderer arbeiten unter ihrem Ausbildungs niveau. Talente gehen verloren. Ihre Titel sollen schneller anerkannt werden.
Die AK-Info-Broschüren zur Lohnsteuerveranlagung, zum Arbeitsrecht und für freie Dienstnehmer Innen gibt es in türkisch, serbisch, bosnisch und kroatisch.
Text: Clemens Neuhold Foto: Thomas Lehmann
Der Markt Die heute 59-jährige Dragiza Szlauer (siehe oben)
Betroffenen. Und dem Land gehen
hat an der Universität in Ljubljana ein Studium
wichtige Talente verloren«, sagt
der Slawistik abgeschlossen und schon an der
die AK-Bildungs expertin Gabriele
Uni Graz unterrichtet. Als sie nach Österreich
Schmid.
kam, bat sie in Wien um die Anerkennung ihres Studienabschlusses. Nach langem Hin und Her und
Doch seit einigen Monaten kommt
vielen Behördengängen stand fest: Sie sollte acht
Bewegung in die Debatte: Der Zu-
Prüfungen nachholen, darunter Slowenisch-Kurse,
gang zur Anerkennung von Hoch-
Die AK fördert Weiterbildung für ihre Mitglieder mit dem AKBildungsgutschein im Wert von 100 Euro. Rund 17.000 Bildungsgutscheine waren es im vergangenen Jahr. Damit werden auch Kurse, etwa zum Perfektionieren von Deutsch oder der eigenen Muttersprachen, unterstützt. ArbeitnehmerInnenvertreterInnen mit ausländischem Pass engagieren sich auch innerhalb der AK: Sie haben als AK-Mitglieder selbstverständlich das passive wie aktive Wahlrecht.
gründet, der wolle bleiben, Teil der Gesellschaft werden und etwas aufbauen. Knapp ein Drittel aller Wiener Unternehmer haben Migrationshintergrund. Laut Jank sind sie für die Bundeshauptstadt in mehrfacher Hinsicht unverzichtbar. So sorgen migrantische Unternehmer für ein vielfältiges Produkt- und Dienstleistungsangebot.
Foto © Meinrad Hofer
AK Wien für neue ÖsterreicherInnen
Vor allem aber schaffen sie zusätzliche Arbeitsplätze. In Wien sind es mehr als 25.000 Menschen, die
in
den
Betrieben
migrantischer
Unterneh-
mer beschäftigt sind. Diese Unternehmer nutzen ihre Kontakte in die Heimatländer für Handelsbe ziehungen und bringen mit ihrer eigenen Sprache
Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien im Interview
und Kultur spezielles Wissen ein – im Jahr 2012 haben Menschen aus rund 90 Ländern ein Unternehmen in
Rund ein Drittel der Unternehmer
mal. In der Wirtschaftskammer Wien
Wien gegründet. Die Wiener Wirtschaft ist damit ein
in Wien hat migrantischen Hinter-
haben wir daher eine Reihe von Netz-
gutes Beispiel für gelebte Integration, von der alle
grund. Welche Bedeutung haben
werkplattformen eingerichtet, die
Wienerinnen und Wiener profitieren.
diese für Wien?
migrantische Unternehmer nutzen
Unternehmen mit migrantischem
können.
Aus diesem Grund setzt die Wirtschaftskammer
Hintergrund prägen unsere Wirt-
Wien seit einigen Jahren gezielte Maßnahmen zur
schaft entscheidend mit. Sie bringen
Was tun Sie für migrantische Be-
besseren Unterstützung und Beratung migrantischer
zusätzliche Produkte und Dienstleis
triebe noch?
Unternehmer.
tungen in die Stadt und stärken mit
Wir bieten eine ganze Reihe von
ihren grenzüberschreitenden Kon-
Serviceangeboten speziell für Unter-
takten den Wirtschaftsstandort.
nehmer mit Migrationshintergrund.
die sie in Graz selbst unterrichtet hatte. Sie ver-
schulabschlüssen wird leichter wer-
zichtete entnervt und nahm eine Arbeit als Be-
den. Im nächsten Jahr sollen öster-
treuerin von behinderten Menschen an. »Ich habe
reichweit vier bis sechs neue Anlauf-
immer gerne unterrichtet – und ein bisschen kann ich
stellen im AMS eingerichtet werden.
das ja auch in diesem Beruf.«
Sie bieten für alle, die im Ausland
Welche Bedeutung haben Netz-
tungen in verschiedenen Sprachen,
eine Berufsqualifikation erworben
werke?
mehrsprachige Infoterminals und
Wie viele ausländische Berufsabschlüsse und Hoch-
haben, erstmals gebündelt Informa-
Das wichtigste ist, auch außerhalb
Broschüren, Mentoringprogramme
schuldiplome, passte auch der Abschluss von Dragiza
tionen und Unterstützung an. »Ein
der eigenen Community Netzwerke
sowie Informationsveranstaltungen.
Szlauer nicht so einfach ins österreichische System.
erster wichtiger Schritt. Wir wollen,
aufzubauen. Das betrifft die Bezieh
Darüber hinaus schärfen wir mit
Seit Jahren fordert die Arbeiterkammer (AK) Erleich-
dass das ausgebaut wird, damit
ungen zu Kooperationspartnern und
speziellen Kampagnen das öffent-
terungen bei der Anerkennung von Berufs- und Hoch-
Menschen wie Frau Szlauer künftig
schulabschlüssen aus dem Ausland. Dennnoch wird
die Chance bekommen, das Können,
jeder dritte Zuwanderer unter seiner Qualifikation
das sie mitbringen, auch bei uns zu
beschäftigt und bezahlt. »Das ist frustrierend für die
nutzen«, so Schmid.
10
Mehr Infos dazu:
Die AK im Netz:
wko.at/wien/diversity
wien.arbeiterkammer.at www.youtube.com/AKOesterreich www.facebook.com/Arbeiterkammer oder als app fürs smartphone In Kooperation mit der Wirtschaftkammer Wien
Dazu zählen etwa Gründungsbera-
Lieferanten ebenso wie zum ei-
liche Bewusstsein für das Thema
genen Kundenstock. Nur wer sich
»Migration und Wirtschaft«. Wiens
möglichst breit aufstellt, nutzt auch
Wirtschaft spricht alle Sprachen,
seine wirtschaftlichen Chancen opti-
und darauf können wir stolz sein. 11
Text: Clemens Neuhold Foto: Philipp Tomsich
Der Markt Bei einer türkischen Hochzeit sind 1.000 Gäste keine
und mittlerweile eine Selbstverständ-
Seltenheit – und 1.000 Geschenke auch nicht. Von
lichkeit. »Manche bankenspezifischen
Bulgarisch. »Wir haben in jeder
Geld bis Gold gibt es alles. Doch was macht der
Begriffe oder Zusammenhänge ver-
dritten Filiale mindestens einen
Hochzeitskorb mit der Raiffeisen-Schleife und der
steht man in der Muttersprache ein-
Mitarbeiter mit besonderen Sprach-
»Sumsi«-Sparbüchse zwischen all diesen Gaben?
fach am besten«, sagt Bosek.
risch, Tschechisch, Rumänisch oder
kenntnissen. Somit können 15 Prozent der 1.000 Vertriebsmitarbeiter
Wo dieser Korb auftaucht, hat das Paar einen türkischen »Hochzeitskredit« von Raiffeisen aufgenommen, um die sündteure Hochzeit zu finanzieren. Der Kredit ist ein Konsumkredit mit kurzer Laufzeit. Das Hochzeitspärchen kann ihn mit dem Geld, das es bei der Hochzeit bekommt, gleich zurückzahlen.
»Das Angebot spricht sich im Grätzel herum.«
»Manche Fachbegriffe versteht man in der Muttersprache oft besser.«
beraten«, sagt Retail-Vorstandsdirektor Wolfgang Klein. »Ethnobanking ist kein kurzfristiger Trend, sondern basiert auf einer demografischen Entwicklung, auf die wir laufend reagieren müssen. Wir nehmen Vielfalt als Chance wahr.«
»Ethnobanking« will er das aber
Aber ist Ethnobanking in frem-
nicht nennen. »Den Begriff verwen-
den Sprachen nicht gegen die Be-
den wir nicht, der schubladisiert
strebungen der Integrationspolitik;
zu sehr.« Die Bank Austria hat über
gegen das Ziel, dass alle Migranten
100 Mitarbeiter mit türkischen,
möglichst gut Deutsch sprechen?
Grätzl-Tratsch – Die Raiffeisen ist bei Ethnobanking
serbischen, kroatischen oder bos-
Klein sagt nein: »Unser Angebot
Pionier in Österreich. Noch zentraler als der Hoch-
nischen Wurzeln, die auch in der
orientiert sich nicht an der Integra-
zeitskredit ist die Beratung in der Muttersprache der
Muttersprache beraten, und sieht
tionspolitik, sondern an den Kunden
Kunden aus den größten Zuwanderer-Gruppen – also
sich ebenfalls »führend« im Be-
und ihren Bedürfnissen.« Bosek
auf Türkisch, Serbisch, Kroatisch oder Bosnisch. »Rund
reich Ethnobanking. Sie will das
meint dazu: »Es geht nicht nur um
30 Prozent der Kredite, die wir im Bereich der tür-
Angebot aber, wie es Vorstand
die Sprache. Kunde und Berater
kischen Community vergeben, haben mit Hochzeiten
Rainer Hauser ausdrückt, »bewusst
teilen so auch ihren kulturellen Hin-
oder Haushaltsgründungen zu tun. Außerdem ist die
nicht marke tingmäßig ausschlach-
tergrund. Und diese Gemeinsam-
Zahl der Neukunden mit persönlicher Migrations
ten« und schil dert die Filialen mit
keit verstärkt das Vertrauen.«
geschichte an einigen Standorten überproportional«,
dem Sonderangeb ot für Migranten
zieht Georg Kraft-Kinz, Vize-Chef der Raiffeisen Wien/
nicht eigens aus.
»Letztens hatte ich einen Kunden
Die Vielsprachige – Die Bawag P.S.K.
aus meinem Nachbardorf am Balkan
Niederösterreich Bilanz. Dafina Radić berät in einer
Meine Bank spricht Jugo
ihre Kunden in deren Muttersprache
Raiffeisen-Filiale in Ottakring Kunden aus dem Balkan
und es stellte sich heraus, dass er
raum. »70 bis 80 Prozent meiner Neukunden haben
bewirbt ihr Angebot offensiv. Sie
kam. Sie können sich vorstellen, dass
Migrationshintergrund«, sagt sie. »Das Angebot spricht
setzt in ihren Filialen neben Türkisch
wir nicht sofort über Kreditkondi
sich im Grätzl herum.« Oft würde sich das Gespräch auf
und BKS auch auf Polnisch, Unga-
tionen sprachen«, lacht Radić.
Bosnisch oder Serbisch zunächst um die Familie oder die Orte am Balkan drehen, aus denen man stammt. Wenn die Schüchternheit durch den Small-Talk über-
Seit fünf Jahren locken Banken gezielt Migranten in ihre Filialen. Ethnobanking nennt sich das. Wirkt es? Eine Bilanz.
wunden sei und es dann um die konkrete Beratung gehe, kippe das Gespräch nicht selten ins Deutsche,
Ethnobanking:
erzählt Radić. Andere Kunden vertrauen gerade
» Beratung in der Muttersprache
dann lieber der Muttersprache, wenn um Zinsen und
» Kredite für Spezialanlässe wie Hochzeiten
Tilgungsraten gefeilscht wird. »Persönliche Beratung ist das Entscheidende, kaum gefragt sind Info-Folder in anderen Sprachen«, sagt Kraft-Kinz. Bei der Erste Bank kämen die vergünstigten Über wei sungen ins ehemalige Jugoslawien gut an, sagt Privat- und Firmenkundenvorstand Peter Bosek. Auch
» billige Überweisungen in die Heimat » Sponsoring für Projekte in der Community » gemeinsames Fastenbrechen im Ramadan
die Beratung in der Muttersprache sei ausgebaut worden 12
13
Wie wirken sich Vielfalt und Migration auf Markt und Wirtschaft aus?
Lehre mit Matura – kostenfrei!
Foto © Fotolia
Die Berufsmatura – Lehre mit Reifeprüfung – erhöht die Chancen auf dem Arbeitsmarkt, macht fit für die berufliche Karriere und öffnet die Türen zu Pädagogischen Hochschulen, Fachhochschulen und Universitäten in Österreich – und das kostenfrei!
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Auch Unternehmen schätzen diese Initiative, denn sie eite er-eintritt_210x140_abf__Layout tritt_210x140_abf__Layout freier-eintritt_210x140_abf__Layout 1 1 29.11.2012 1 29.11.2012 1 29.11.2012 16:06 16:06 Seite 16:06 Seite 1 Seite 1 1 sichert höherqualifizierte und motivierte Mitarbeiter Innen mit Aufstiegsmöglichkeiten.
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So funktioniert’s: Fotos von oben v. l. n. r.: © Kapsch AG © REWE International AG © Eva Kelety © VWfi © BMASK © WKW © Husar
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Georg Kapsch
Frank Hensel
Präsident der Industriellenvereinigung
Vorstandsvorsitzender REWE International AG
»Eine richtig gesteuerte
»Mit rund 40.000 Mit-
Migrationspolitik ver-
arbeitern ist auch in
stärkt nicht nur die wirt-
unserem Unternehmen
schaftliche Dynamik,
die interkulturelle Zu-
sondern erhöht auch
sammenarbeit und die
die Kompetenzen der
damit verbundene Inte-
Bevölkerung in unserem
gration von zugewan-
Land. Im internationalen
derten Menschen von
Wettbewerb sind diese
enormer Bedeutung.
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Georg Kraft-Kinz
Rudolf Hundstorfer
Brigitte Jank
Dietmar Hoscher
Generaldirektor-Stv. Raiffeisen Niederösterreich-Wien
Sozialminister
Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien
Vorstandsdirektor Casinos Austria
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Peter Hanke Geschäftsführer der Wien Holding
»Die Zuwanderung in
»Die nachhaltige Integra-
»Rund ein Drittel der
»Migration zählt zweifel-
ein enormes Potenzial
den vergangenen Jahren
tion, insbesondere ju-
Wiener Unternehmer
los zu den sensibelsten
für wirtschaftlichen
und Jahrzehnten hat
gendlicher MigrantInnen,
hat einen migrantischen
und wichtigsten gesell-
Fortschritt. Mitarbeiter
Österreich reicher ge-
ist Voraussetzung für
Hintergrund. Allein
schaftspolitischen Auf-
Innen mit Migrations-
macht. Internationalität
die Weiterentwicklung
im vergangenen Jahr
gaben der Gegenwart
hintergrund sind eine
und Mobilität sind
unserer Gesellschaft
haben Unternehmer
und Zukunft. Menschen
Bereicherung für jedes
wesentliche Faktoren
und Wirtschaft. Wir
aus mehr als 80 unter-
mit Migrationshinter-
Unternehmen, da sie
im internationalen
stehen vor der Heraus-
schiedlichen Ländern
grund sind wichtig für
eine frische und offene
Wettbewerb. Die be-
forderung, Bildungs-
in Wien eine Firma
unsere Gesellschaft und
Sichtweise in ihre
wusst gewollte und
benachteiligungen so-
gegründet. Sie prägen
Kultur. Ihr Know-How ist
Arbeit mit einbringen.
zugelassene kulturelle
wie Bildungsabbrüche
unsere Wirtschaft ganz
eine Bereicherung, ihr
Diesen Beitrag nutzt die
Vielfalt bereichert jeden
und die damit verbun-
entscheidend, bringen
mitunter völlig anderer
Wien Holding in ihren
von uns. Jeder Mensch
dene Ausgrenzungs-
zusätzliche Produkte
Zugang eröffnet neue
fünf Geschäftsfeldern –
zählt, nicht die Herkunft,
gefährdung junger
und Dienstleistungen in
Perspektiven und Chan-
Immobilien, Kultur,
nicht der Reisepass.
Menschen mit Migra-
die Stadt und stärken
cen. Es ist an der Zeit,
Logistik, Umwelt und
Ich will in einem Land
tionshintergrund noch
mit grenzüberschrei-
dass wir alle Integration
Medien – als wichtigen
leben, das von der Welt
stärker als bisher zu
tenden Kontakten den
nicht als Pflicht sehen,
Impuls für Projekte.«
profitiert.«
vermeiden.«
Wirtschaftsstandort.«
sondern als Gewinn.« 15
Marketing mit Respekt
Vor einigen Jahren haben österreichische Firmen die Migranten als Zielgruppe entdeckt. Marktforscherin Christina Matzka erklärt, weshalb Türken speziell umworben werden und warum Banken Ethnomarketing brauchen. Interview Warum werden Migranten immer
In welchen Branchen zahlt sich
interessanter für die Marktforschung
Ethnomarketing aus?
und die Wirtschaft?
Auf jeden Fall im Banksenktor und
Es ist allen Unternehmen klar ge-
am Automarkt. Das Auto ist noch
worden, was das für eine große Zahl
immer ein Statussymbol und hat
an Personen ist, die eine große Kauf-
bei unterschiedlichen Gruppen ein
kraft hat. Früher dachte man: »Mi-
anderes Image. Auch im Mobilfunk-
granten sind arm. Und wenn sie Geld
sektor ist es sinnvoll: Vor allem Mi-
haben, dann schicken sie es eh heim.«
granten schauen irrsinnig genau auf
Die Zahlen haben gezeigt, dass das
die Tarife, weil mobile Kommunika
nicht so ist.
tion einen größeren Anteil ihres
Wenn’s um Beste Beratung geht, ist nur eine Bank meine Bank. Willkommen, Welcome, Merhaba und Dobar dan! Raiffeisen in Wien begrüßt die Vielfalt! www.raiffeisenbank.at/ethnobanking
Budgets ausmacht. Was unterscheidet die migrantische Zielgruppe von anderen Gruppen
Ganz große Firmen wie Coca-Cola
wie Frauen oder ledigen Männern
oder Red Bull verzichten gänzlich
mit hohem Einkommen?
auf Ethnomarketing …
Das sind die verschiedenen Lebens-
Weil das große Marken sind. Das
weisen. Ein österreichischer Banken-
iPhone ist ein gutes Beispiel. Das
Boss hat mal gesagt: »Wenn ich einen
braucht kein Ethnomarketing. Da ist
Österreicher mit seiner Familie zu
die Ansprache jeder Zielgruppe so
mir in die Bank einlade, kommen
stark vorhanden, dass es ein Selbst-
vier bis fünf Personen. Wenn ich die
läufer ist. Aber der Mobilfunkanbieter,
Familie eines türkischen Kunden ein-
der mit dem iPhone wirbt, sollte
lade, kommen 30 bis 40 Personen.«
schon an Ethnomarketing denken.
Christina Matzka ist Mitbegründerin des auf Migranten-
Das sind Dinge, die es gilt auszu
Marktforschung spezialisierten Marktforschungsinstituts
nutzen, wenn ich Marketing mache.
Was ist denn ein Musterbeispiel für »Migranten-Marketing«?
»EthnOpinion«. Dieses führt seit Dezember 2010 österreichweit Online-Umfragen, Fokusgruppen und Inter
Man unterscheidet also nur nach
views unter Migranten durch. Die Firma wurde vom
dem Migrationshintergrund. Sind
Hochzeitskredit speziell für Türken
Marktforschungsinstitut »Meinungsraum«, der Agentur
Faktoren wie Alter oder Einkom-
ein. »Nivea« hat auch mit einem Kip-
Als erstes fällt mir der »Raiffeisen«-
»Skills« und von biber gegründet. Sie verfügt über ein
men egal?
ferl geworben. Für die Zielgruppe,
Online-Panel mit etwa 4.500 Respondenten und befragt
Was ich bloß nicht machen darf, ist
die es ansprechen soll, hat dieses
diese regelmäßig und in verschiedenen Muttersprachen
Ethnomarketing für die 1,5 Millionen
Symbol eine große Bedeutung. Aber
Migranten in Österreich zu betreiben.
die anderen werden so nicht vor
Bei jeder Marketing- und Marktfor
den Kopf gestoßen. Generell sollte
zu Community-Themen.
schungsentscheidung muss ich ganz
man mit Symbolen arbeiten, die
genau nachdenken, welche Migranten-
von allen freundlich aufgenommen
gruppen ich ansprechen möchte. Je
werden.
weiter die Integration fortgeschritten ist, desto geringer werden diese ethnischen Unterschiede werden. 16
Text: Marina Delcheva Foto: Phlipp Tomsich
17
Die Politik Der anonyme »Ausländer« von gestern ist der »neue Österreicher« von heute. Lange Zeit sprachlos, sucht die Politik wieder nach Worten und Werten für ein besseres Zusammenleben. Höchste Zeit, denn zwischen Schulhof und Gemeindebau fällt die Vielfalt manchen schwer. Da braucht es neben klaren Werten und Worten eine Vielfalt an konkreten Antworten.
S 20–S 21 »Türkenbelagerung muss man nicht kennen« Der erste Staatssekretär für Integration, Sebastian Kurz, zieht Zwischenbilanz und verrät, was seine Leistung war. Foto © ÖVP
r u m ä n i s c h f ü r »S t i m m e «
S 23 »Was ist Österreich?« Die »Rot-Weiß-Rot-Fibel« soll Zuwanderern Österreich und seine Werte näherbringen. Wir bitten Promis zur Werte-Wertung. Foto © Frank Leonhardt/dpa/picturedesk.com
S 24–S 27 Radau im Bau Im Gemeindebau kristallisieren sich kulturelle Konflikte auf engstem Raum. Auf Tour mit Michael Häupls »Peace-Keepern«. Foto © Christian Wind
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Konkret haben wir zehn Millionen Euro in die
um an die Spitze zu kommen. Aber
bei Migranten höher als bei der
sprachliche Frühförderung gesteckt, das Verbot für
ich sehe positive Trends: In der Bun-
Durchschnittsbevölkerung. Es gibt
Ausländer bei der freiwilligen Feuerwehr aufgehoben,
desschülervertretung hat rund die
extrem viele erfolgreiche und flei-
mit der Caritas Lerncafés aufgebaut, ein Paket gegen
Hälfte einen Migrationshintergrund.
ßige Migranten. Und zwar die über-
Schulpflichtverletzungen geschnürt und die Zahl der
Oder nehmen sie meinen Obmann
wältigende Mehrheit.
Zuwanderer erhöht, deren Ausbildung anerkannt wird.
der Jungen ÖVP in Salzburg, der heißt Asdin El Habbassi und wird
Sie wollen Vorbereitungsklassen für
»Wer sich im Herzen als Österreicher fühlt, soll auch so behandelt werden.«
sicher, wenn er will, eine politische
Schüler mit Deutschdefiziten. Dort
Karriere machen.
würden Migranten zusammenge-
Wie ist die Quote in Ihrem direkten
sich minderwertig fühlen und ab-
Umfeld?
sondern, kritisiert eine bosnisch-
Wir haben Gott sei Dank keine
stämmige Deutschlehrerin aus dem
pfercht Ausländerdeutsch lernen,
Quote. Aber unter meinen engsten
biber-Umfeld.
Mitarbeitern gibt es eine mit un-
Ich finde das extrem scheinheilig,
Was haben Sie bis zur Wahl im Oktober noch vor?
garischen und einen mit deutsch-
was da gesagt wird. Derzeit lassen
Ein Staatsbürgerschaftswesen neu, eine »Rot-Weiß-
kroatischen Wurzeln und einer ist
wir es zu, dass Ausländer, die nicht
Rot-Fibel«, die unsere Werte von Anfang an vermittelt,
in der Türkei aufgewachsen; in der
Deutsch können, in die Sonderschule
und den Staatsbürgerschaftstest neu, bei dem es mehr
Integrationsabteilung selbst sind es
abgeschoben werden. Das, finde ich,
um Fragen des Zusammenlebens als um historisches
noch viel mehr.
ist das wirkliche Verbrechen. Und wir setzen Kinder, die nicht Deutsch
Faktenwissen gehen soll. Es ist nicht notwendig für die Integration, dass jemand weiß, wann die Zweite Türken-
Zu Ihrer Bedingung für die Express-
sprechen, in den Unterricht mit Ma-
belagerung war.
Staatsbürgerschaft: Wie viele Wiener
thematik und Sachunterricht, anstatt
arbeiten drei Jahre durchgehend
ihnen vorher zumindest drei Monate
Was sind die drei wichtigsten Werte für Neuzu
ehrenamtlich?
lang Deutsch beizubringen. Das ist fahrlässig. Die Zahl der Schulab
wanderer?
In Wien weiß ich es nicht. Aber in
Unser Demokratieverständnis, die Religionsfreiheit,
ganz Österreich arbeiten 43 % der
brecher ist unter den Migranten
die Gleichstellung von Mann und Frau.
Bevölkerung ehrenamtlich. Wenn wir
viermal so hoch.
unsere Zivilgesellschaft, die auf frei-
»Türken belagerung muss man nicht kennen« Text: Clemens Neuhold Fotos: Philipp Tomsich
Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz über seine Leistung, warum man auch ohne das Wissen über »1683« integrierbar ist und wie Migranten Freunderlwirtschaft lernen.
Machen Sie bis 2018 als Staatssekretär weiter? Oder
willigem Engagement aufgebaut
Egal, wie viel man leistet, am
überlassen Sie vielleicht das Feld einem Neo-Öster-
ist, erhalten wollen, sollten wir
Schluss hält noch die öster r ei-
reicher?
Migranten in die Vereine bringen.
chische Freunderlwirtschaft die
nalrat kandidieren. Danach gibt es ein Wahlergebnis, Koalitionsverhandlungen und dann wird man sehen, ob es wieder ein Integrationsstaatssekretariat gibt. Übrigens: Ein Neo-Österreicher könnte auch ein anderes Ministerium übernehmen. Die Politik macht zu
»Qualifikation muss entscheiden, nicht Herkunft.«
Die Politik
Die Qualifikation muss entscheiden, nicht die Herkunft. Wir unterstützen etwa ein Programm der Wirtschaftskammer, das gut Qualifizierten, die unsere Kultur noch nicht so gut kennen, hilft, durch einen Mentor ein Netzwerk zu bekommen. Das hilft
oft den Fehler, dass, wenn sich jemand mit Migrations-
Integration durch Leistung ist Ihr Motto. Was war Ihre
hintergrund engagiert, gleich gesagt wird: Du bist jetzt
Wie steht es mit einem Moscheen-
für Integration zuständig, so wie die Frau für Frauen
Verein?
politik und der Junge für die Jugend-Agenden.
Darüber reden wir derzeit mit der
Eine türkische Kollegin meint: Am
SPÖ. Es sollte jedenfalls integrativ sein.
Schluss bleibe sie wegen ihrer dunk-
beim persönlichen Karriereweg.
leren Hautfarbe immer die Türkin.
Ist in Österreich ein türkischstämmiger Minister
Leistung?
denkb ar?
Wie soll sich das Ehrenamt ausge-
Diskriminierung ist ein Wahnsinn.
Es ist gelungen, von einer emotionalen, verfahrenen
Das hoffe ich doch sehr! Das ist möglich und wün-
hen für Zuwanderer im täglichen
Es ist unsere Pflicht als Mehrheits-
Debatte zu einem sachlichen Diskurs über Integration zu
schenswert. Wenn wir in die Wirtschaft schauen, gibt
Existenzkampf?
bevölkerung, Zuwanderern gegen-
kommen. Wir haben zwischen Asyl und Integration unter-
es viele Neo-Österreicher, die super sind.
Machen wir endlich Schluss mit
über offen zu sein, und nicht nach
dem Vorurteil, dass alle Migranten
der Hautfarbe zu urteilen, sondern
schieden und wir haben ein Bewusstsein dafür geschaffen,
20
Zuwanderer draußen.
Derzeit schaut es so aus, als würde ich für den Natio
dass viele Menschen mit Migrationshintergrund schon in
Warum sind noch so wenige Migranten in der Politik?
im Existenzkampf sind und nicht
nach der Leistung. Wer sich im Her-
Österreich geboren und damit genauso Österreicher sind
Die Parteien waren lange zu wenig offen für
fähig, ein selbstbestimmtes Leben
zen als Österreicher fühlt, soll auch
wie jene ohne ausländische Wurzeln.
Migranten. Außerdem muss man schon lange aktiv sein,
zu führen. Die Akademikerquote ist
so behandelt werden. 21
Was ist Österreich? Text: Marina Delcheva
Das Staatssekretariat für Integration bastelt gerade an einer »Rot-Weiß-Rot-Fibel« für neue Österreicher. Darin enthalten: österreichische Grundwerte wie Demokratie, Gleichstellung von Mann und Frau sowie Religionsfreiheit. Der Almanah fragte vorab bei fünf heimischen Promis nach, was Österreich für sie bedeutet.
Die Politik
Aylin Kösetürk
Eser Ari-Akbaba
Fadi Merza
Ali Rahimi
Alev Korun
Austria’s Next Topmodel 2010
Wetterfee bei »Wien heute«
Thaibox-Weltmeister
Teppichhändler
Nationalratsabgeordnete der Grünen
»Was ist Österreich?« »Einzigartig. Hier findet man einfach alles.«
»Eine Nation in
»Österreich ist ein
»Österreich ist meine
»Mein Land, für das
Mitteleuropa,
schönes, demokratisches
Heimat. Mit Österreich
ich mich bewusst
ein EU-Mitgliedstaat,
Land, in dem Sicher-
verbinde ich das Gefühl,
entschieden habe.
meine Heimat.«
heit – im Gegensatz zu
angekommen zu sein.
Denn mir wurde die
vielen anderen Ländern –
Österreich steht aber
österreichische
großgeschrieben wird.
auch für Zukunft – meine
Staatsbürgerschaft
Österreich ist ein Land,
und unsere Zukunft, die
im Unterschied zu
in dem man seine Träume
wir auch nur gemeinsam
Staatssekretär Kurz
verwirklichen kann!«
gestalten können.«
nicht geschenkt.«
»Was sind die drei wichtigsten Werte Österreichs?«
DIE.NACHT ERWACHT 22
jeden DI 22:00
»Kultur, Stabilität und Sicherheit.«
»Demokratie und
»Sicherheit,
»Sicherheit, Sozial-
»Demokratie, Rechts-
Religionsfreiheit. Das
Lebensqualität,
partnerschaft
staatlichkeit und
ist mal das Wichtigste.«
Multikulturalität.«
und Demokratie.«
Meinungsfreiheit.«
»Was sollte jeder Neuankömmling über Österreich wissen?« »Historisches,
»Die Bildungseinrich-
»Österreich ist ein
»Ich denke, dass es
»Dass Vielfalt unsere
Aktuelles
tungen, dass Wien die
schönes Land – ein
wichtig ist, zu ver
Stärke ist und es hier
und traditionelle
Hauptstadt ist, dass
Land, in dem man
suchen, die österrei-
Chancen zu ergreifen
Werte.«
die deutsche Sprache
sowohl viele Rechte
chische Geschichte
gibt, aber genauso Vor-
für die Österreicher
als auch Pflichten
und Kultur mit all ihren
urteile, die einem nicht
sehr wichtig ist, die
hat. Jeder kann hier
Eigen- und Besonder-
erspart bleiben. Dass es
Handynetzbetreiber,
vieles erreichen,
heiten kennenzulernen
weltoffene und solidari
die Notrufdienste, die
wenn man sich an die
und zu verstehen. Für
sche Menschen in Öster-
Sehenswürdigkeiten,
Regeln hält, darum
beides ist die Sprache
reich gibt, so wie solche,
die Sachertorte, rechts
sollte sich jeder
eine Grundvoraus-
die Fremden skeptisch
stehen und links gehen
Neuankömmling
setzung, ohne die ein
gegenüberstehen.
(U-Bahn), … – aber
hier ANPASSEN!«
gutes Zusammenleben
Und: dass es »DIE Ös-
nur schwer möglich ist.«
terreicher« nicht gibt.«
Fotos v. l. n. r.: © Kosmas Pavlov © Lucia Bartl © Irene Schaur © Rahimi & Rahimi GmbH © Jürg Christandl
alles mit der Zeit!«
23
»Wir haben gekickt, bis die Polizei kam. Dann haben wir uns hinter der Ecke versteckt, bis sie weg war, und das Spiel ging weiter«, schildert der 12-jährige Monir einen Lausbubenstreich, der zum Erwachsenwerden einfach dazugehört. Neben ihm hängt der 14-jährige Mohamed lässig auf der Bank. »Wenn sich die alten Leute aufgeregt haben, sind wir schon einmal frech geworden – aber nicht sehr frech.« Auch das sollte weiter nicht aufregen. Tut es aber: im AlfredKlinkan-Hof in Wien-Donaustadt. Denn dort kickten nach der Schule nicht nur die zwei Amigos bis in die Dunkelheit. Aus der ganzen Nachbarschaft kamen bis zu 80 Nachwuchs-Alabas, denn einen besseren Ort zum Kicken als den von vier Hochhausfronten eingesäumten Rasen konnte sich kein Bubenherz erträumen. Die vielen »Fußballspielen verboten«-Schilder standen dem Traum nicht im Weg.
»Wenn sich die alten Leute aufgeregt haben, sind wir schon einmal frech geworden – aber nicht sehr frech.« Für die österreichischen Pensionisten, die (damals selbst noch jung) in 1970er-Jahren in den Gemeindebau zogen, wurde der Kickertraum zum Albtraum. Durch das Sogsystem in der Häuserschlucht erreichte der Lärmpegel ein Ausmaß, das kein Arbeitsinspektor in einer Fabrik dulden würde. Vorbei der ruhige Lebensabend.
Radau im Bau Text: Clemens Neuhold Fotos: Christian Wind
24
Häupls »Peace-Keeper« – Eingesessene Österreicher,
Umbauen gegen den Lärm: Der »Generationenhof« wird die alte Fußballwiese im Alfred-Klinkan-Hof in Wien Donaustadt ersetzen
die eine Ruh’ haben wollen, versus Zuwanderer, die
Alte gegen neue Österreicher: Im Wiener Gemeindebau ist der Konflikt, den niemand offen anspricht, nicht zu überhören. Seit 2010 schickt die Stadt Wien ihre Friedenswächter aus. Ist die Mission erfolgreich? Eine Gemeindebau-Schau in drei Akten.
Die Politik
eine andere Lautstärke gewohnt sind: Das ist der Stoff,
sperrten. Jetzt wird aus dem Fuß-
aus dem Konflikte im Gemeindebau gemacht sind. Der
ballhof ein »Generationenhof« - mit
die Hof-Unruhelage. »Unter den Türken ist es eher üblich, dass nicht
Lärm ist der häufigste Grund, warum die Wohnpart-
einer Sitzlaube für die Alten, coolen
die Eltern, sondern die älteren Geschwister auf die Kinder im Hof auf-
ner der Stadt Wien ausrücken. 2010 ins Leben gerufen
»Smarties«-Sitzsteinen für die Ju-
schlichten die Wohnpartner Konflikte vor Ort; sie sind
gend und einer Kletterwand für die
passen«, glaubt Spitzer einen Grund
so etwas wie die »Peace-Keeper« im Gemeindebau.
Kinder. Für die Kicker wird eine Wie-
zu kennen, warum es heute leben-
»Lärm ist Lärm«, lautet ihre Devise. Man unterscheidet
se außerhalb der Wohnhausanlage
diger als früher zugeht. Wie auch
bewusst nicht zwischen Migranten und eingesessenen
gesucht.
Seit Anfang 2000 zogen viele kinderreiche Mi-
immer: Der Generationenhof soll‘s richten und wieder für mehr Res
Österreichern. Doch oft verläuft die Front genau dort. Hof-Unruhelage – Von Stiege 3
pekt voreinander sorgen. Derzeit ist
kommt der Hof-Techniker in seinem
die Baustelle noch komplett einge-
granten-Familien in die Gemeindebauten ein, das
Blaumann des Weges. Mietervertre-
zäunt. Kostenpunkt des Projekts:
Umfeld wurde bunter und lauter. Mit dem Lärmpegel
terin Elke Spitzer ruft ihn, ihr Hof-
300.000 Euro, transparent ausge-
der einen stieg der Frustpegel der anderen. Diese
Echo hallt dreimal so laut zurück.
schrieben am Gerüst. Das gibt so
Ausgangslage ist von der Donaustadt bis zum Wiener-
»In unserer Zeit haben alle Angst
manchem Österreicher Grund zum
berg ähnlich. Im Klinkan-Hof ging das so weit, dass die
vorm Hauswart gehabt, solche Leut’
Nörgeln à la: »Sau teuer und eh bald
Wohnpartner den illegalen Fußballhof vorübergehend
fehlen heut«, kommentiert der Mann
wieder hin.« 25
Die 10-jährige Nina, deren Eltern aus Tschetschenien
Was die Bewohner neben dem
reien schaukelten sich immer mehr
stammen, und die 11-jährige Sarah mit ägyptischen
Lärm noch spaltet, ist der Neid. Als
auf, der Abschnitt der Siedlung be-
Wurzeln können die Neueröffnung nicht erwarten. Sie
vor rund zehn Jahren kinderreiche
kam den Beinamen »Kampfhof«. Die
Drei Amigos – Sie kickten, bis die
rütteln am Zaun. »Der alte Hof war voll chillig. Wann
Familien in den Waldbrunner-Hof
Lage eskalierte, als vor der Tür einer
Polizei kam. Heute ist der Hof ge-
sperrt er endlich wieder auf?« Der Zaun droht um-
einzogen, legte man Wohnungen
türkischen Familie gezündelt und
sperrt und die drei echten Neo-
zukippen. Es wäre nicht das erste Mal. Immer wieder
zusammen. Dass die Zuwanderer
die Stiege mit Hakenkreuzen vollge-
Österreicher, die in Wien geboren
soll der Zaun auf die Wiese gekracht sein, weil sich
nun größere Wohnungen hatten,
schmiert wurde. Die Peace Keeper
sind und perfekt Deutsch sprechen,
Jugendliche aus Spaß dagegen katapultierten. Isleyen
sorgte bei den Alteingesessenen für
rückten aus und gingen zwischen
treten das Leder auf einer Wiese
Halil von Stiege 3 hält den Betonsteher gerade noch
Ärger, obwohl sie pro Kopf gerech-
außerhalb des Hofs.
fest. »Ich verstehe die Kinder. Es ist normal, wenn
net noch immer mehr Wohnfläche
Kinder spielen wollen, wo sollen sie denn hin?« Der
hatten.
geborene Türke wohnt im 8. Stock. Der Lärm, der in
Die Stimme der Mieter – Elke Spitzer ist Mietervertreterin und
den letzten Jahren vom Fußballfeld nach oben drang,
Im Waldbrunner-Hof soll ein riesi
störte ihn nicht. »Die älteren Leute sind da empfind-
ger Gemeinschaftskeller wieder für
licher.« Er erzählt von anonymen »Scheiß-Ausländer!«-
mehr Harmonie sorgen. Gemeinsam
Rufen, die immer wieder aus einem der vielen Fenster
mit Kollegin Patricia Lang von den
in den Hof drangen und die Kinderstimmen ein paar
Wohnpartnern richtet ihn Dervisoski
Sekunden übertönten.
gerade ein. Box-Studio, Lerncafé,
»Es ist normal, wenn Kinder hier spielen. Wo sollen sie denn hin?«
versucht, den Überblick über die
»Man hat sich gar nicht mehr gegrüßt, jetzt sagt man wieder Hallo.«
Computerclub, Nachhilferaum und
die Fronten. Ihre Antwort: Eine Groß-
Kinderkrippe sollen hier für gute
gruppen-Mediation zwischen öster
Vibes sorgen. Geld gibt es keines
reichischen und türkischen Mietern.
von der Stadt, deswegen sind Be-
Die Mediation leitet Claudia Hage
wohner wie der ehemalige türkische
nauer vom Wohnpartner-Team Flo-
Box-Profi gefragt, der den Kindern
ridsdorf. »Neue, ungewohnte Situa
zeigt, was eine Harke ist, oder die
tionen sorgen oft für Irritation.
österreichische Pensionistin, die
Wichtig ist, dass die Leute mitei-
Konflikte im Hof zu behalten. Für
Zwiebelattacken – Szenenwechsel: dritter Bezirk. So
Kin d ern mit Deutschschwächen
nander reden«. Die Türken zögerten
die jungen Kicker sucht sie eine Ver-
weiträumig und offen der Alfred-Klinkan-Hof, so eng
hilft. Die Einrichtung für den Keller
zunächst. Doch dann schaltete sich
einswiese außerhalb vom Bau.
und verwachsen der Karl-Waldbrunner-Hof. Er rangiert
tragen die beiden Power-Frauen
eine türkische Wohnpartnerin ein
auf der Gemeindebau-Luxus-Skala im untersten Drittel.
aus Verlassenschaften im Bau zu-
und überzeugte 20 türkische Fami-
Die dichten Sträucher sind als Lärmdämpfer gegen
sammen.
Betonflächen zwischen dem Gestrüpp versucht ein indisches Mädchen gerade, ihren Rekord im Gaberln von 31-mal zu brechen. Daneben hockerln Erem und Musti mit Hund Leonardo auf einer Steinmauer. Erem erzählt von einem wütenden »Müllwerfer«, der Tische
lien, mitzumachen. »Man hat sich gar nicht mehr gegrüßt, jetzt sagt
die dicke Luft im Hof gepflanzt. Auf einer der kleinen
»Die Türken machen was sie wollen.«
man wieder Hallo«, freut sich Hage nauer über erste Erfolge. »Die Lage hat sich total beruhigt. Das ist vor allem den Frauen auf beiden Seiten zu verdanken.«
und Stühle aus dem Fenster geschleudert haben soll. Das Gerücht bestätigt sich nicht, aber eine Bewohnerin
26
Hakenkreuze im »Kampfhof« – Zu-
Als Sprecherin der türkischen Be
erzählt von Zwiebeln und Tschick-Stummeln, die aus
rück nach Transdanubien, in den
wohner tritt die junge Sultan Erdogan
den Fenstern gepfeffert werden, wenn es jemandem
Gemeindebau Jedleseer Straße in
auf. Sie fetzte sich im Kampfhof
zu laut wird. »Multi-Kulti ist halt ein bissl laut«, sagt
Floridsdorf. Hier flogen noch bis
regelmäßig mit ihrer Nachbarin
Austro-Türkische Freundschaft –
Mietervertreterin Güldan Dervisoski aus Mazedonien,
vor Kurzem die Fetzen – und die
Michelle Kührer. Dann kam die Me-
Michelle Kührer (l.) und Sultan
»aber wir leben gerne hier und passen uns an«. Ge-
türkischen Teppiche. Diese wurden
diation und die beiden lernten sich
Erdogan sind heute dicke Freunde
meinsam mit anderen Frauen und Müttern versucht
wiederholt auf den Gebüschen zum
von einer neuen Seite kennen. Heute
und vermitteln zwischen »ihren
sie, Ordnung in die enge Hofwelt zu bringen. »Wir sind
Trocknen aufgehängt oder gleich
sind die beiden dicke Freunde. Zu-
Leuten«. Vor der Mediation konnten
der Hof der starken Frauen. Wir greifen ein, wenn sich
auf der Hofwiese ausgebreitet. »Die
sammen arbeiten sie am besseren
sich die beiden Nachbarinnen nicht
die Kinder hauen, wir teilen unser Essen, wir verschö-
Türken machen, was sie wollen!«,
Klima im Bau. Sie versuchen, »ihre
riechen.
nern den Hof.« Die Frauen kommen aus dem Kongo,
bekamen Mietervertreter bei ihren
Leut‘« davon zu überzeugen, dass
aus Indien, der Türkei oder eben Mazedonien. »Echte«
Rundgängen ständig zu hören. Und so
es hilft, sich zu grüßen, nicht gleich
Österreicher sehe man hier kaum. Doch gesprochen
mancher Türke beschwerte sich über
zu schimpfen, wenn etwas fremd ist
wird Deutsch, denn das ist die Sprache, die all diese
die »ausländerfeindlichen« Österrei
und die Teppichstange anstatt der
Nationen verbindet.
cher. Die Scharmützel und Reibe-
Sträucher zu benutzen. 27
»Wenn man muss, lernt man schnell« Wiens Bürgermeister Michael Häupl über seine Vorstellung von Integration, strenge Haumeister und den echten Wiener im Jahr 2050. Interview Warum wird die Rennbahnsiedlung
Im Gemeindebau ist Fußballspielen verboten, überall
durch Sprache, Bildung und Ausbil-
kicken junge Migranten. Sollen die Verbotsschilder
dung haben wir eine 100-prozentige
nie ein Pariser Banlieue?
weg oder die jungen Kicker?
Übereinstimmung.
Weil wir aufpassen, dass es keine sozialen Ghettos in Wien gibt. Die
Das ist ein Beispiel dafür, dass gutes Zusammenleben nicht nur durch strenge Regeln funktioniert. Konflikte
70 Prozent der Volksschüler haben
Wohnsituation in Wien ist eine völlig
im Gemeindebau hat es immer gegeben, früher hieß
Migrationshintergrund. Muss sich
andere. 45 Prozent der Wohnungen
das Bassena-Streit. Junge Leute wollten etwas anderes
Wien an Schulen mit 100 Prozent
in Wien sind gefördert.
als Ältere. Uns hat damals der autoritäre Hausmeister
Migranten-Anteil gewöhnen?
vertrieben. Heute sollte man mehr miteinander reden
Um den Anteil geht es nicht. Für
Wie viele Migranten haben Sie im
und Lösungen wie etwa Ballkäfige finden.
mich ist nicht entscheidend, wo
Team?
jemand geboren ist, sondern dass
Unter den Stadträten etwa Renate
Bei Gemeindebauten mit bis zu 50 Prozent türkisch-
er Deutsch kann und eine ent-
Brauner. Die hat einen deutschen
stämmigen Mietern – stimmt die Durchmischung noch?
sprechende Ausbildung bekommt.
Vater und hat damit nach unserer
Wenn man sich den neuen Migrationsbericht an-
Quantitativ ist die Zuwanderung zu
Definition einen Migrationshinter-
schaut, haben fast 50 Prozent der Wiener Migra
bewältigen.
grund. Im Gemeinderat sind es einige.
Wenn jemand ständig beschimpft wird, darf man sich
Wie schaut der »echte« Wiener
Wann ist Wien bereit für einen tür-
nicht wundern, dass es entsprechend zurückschallt.
2050 aus?
kischstämmigen Bürgermeister?
Wie der echte Wiener 1910. In
Darüber mache ich mir keine Ge-
Die Leute, die zu uns kommen, wollen keinen Radau,
meinem geliebten Ottakring wie
danken. Die Frage stellt sich eher, ob
sondern ein besseres Leben für sich und ihre Kinder.
auch in Favoriten waren die »Ziegel-
ich irgendwann eine Nachfolgerin
Aber wir müssen sicherstellen, dass die Menschen ihre
Böhm« essenzieller Bestandteil.
tionshintergrund. Wichtig ist der gegenseitige Respekt.
bekomme. Die Frauen haben schon die Mehrheit im Stadtsenat.
Kinder in die Schule schicken und alle Deutsch lernen. Ohne Kontrolle geht es nicht.
Warum wird Favoriten nicht Neukölln?
Wo gibt es Ihre Lieblings-Cevapi?
Beim Thema Deutsch passt kein Blatt Papier zwischen
Weil wir versuchen, zu einer ande-
Die mache ich mir selbst, natürlich
Sie und Staatssekretär Sebastian Kurz.
ren Verteilung zu kommen. Nehmen
mit Ajvar.
Es passt kein Blatt zwischen all jene Menschen, die
Sie den Bezirk mit den meisten Aus-
Integration ernst nehmen. Jeder, der schon einmal
ländern, den 15. Bezirk. Die Wahl
länger im Ausland war, weiß: Wenn man muss, lernt
ergebnisse dort falsifizieren die
man eine Sprache ganz schnell.
Thesen von Strache. Und wenn ich
Was unterscheidet Sie und den Staatssekretär?
das Berlin-Kreuzberg, ohne den
Das Trennende will ich nicht betonen. Bei Integration
Umweg der Gewalt.
mir heute Ottakring anschaue, ist
28
Text: Clemens Neuhold Foto: Michele Pauty
29
Schön war es im Hotel Mama, wo die Wäsche gewa-
Ayse und ihr Mann Özkan, beides
schen, die Hemden gebügelt und der Kühlschrank
Bankangestellte, waren lange Zeit
voll war. Aber jetzt wird es Zeit für die Suche nach
auf Wohnungssuche und erlebten
den eigenen vier Wänden. Papa hat harte Zeiten für
Unglaubliches. »Niemals hätte ich
die Wohnungssuche prophezeit. Als Gastarbeiter mit
gedacht, dass es heute noch für
gebrochenem Deutsch und ausländischem Namen
Migranten so schwer ist, eine Woh-
hatte er es schwer, eine Wohnung zu finden. Doch wir
nung in Wien zu finden«, sagt die
sind jung, sind hier aufgewachsen, integriert, sprechen
24-Jährige. Özkan meint: »Was wir
perfekt Deutsch – da muss es doch egal sein, dass wir
uns alles von den Vermieter anhören
Öztürk, Jugović oder Erkurt heißen.
»Mit euren vielen, lauten Festln passt ihr nicht in unsere ruhige Wohnanlage.«
Die 5 härtesten Absagen:
•
Neben den Absagen wie »wenn Österreicher aus« waren es die un-
eich zu klan. Es ist
ausgesprochen Dinge, die veracht-
ja bekannt, dass die Tiakn
enden Blicke, die wehtaten. Das
•
junge Paar hat sogar daran gedacht, auszuwandern, aber die neue Heimat wieder zu verlassen, das hätten sie nicht verkraftet: »Als Kinder sind
29, ist in Wien aufgewachsen, ist Geschäftsmann und hat ein geregeltes Einkommen. Er sucht eine 2-Zimmer
Land.« wir Ausländer nehmen, ziehen die
»Die Wohnung ist für
Gebärmaschinen san.« Schon vergeben – Der gebürtige Türke Ibrahim Erkurt,
mussten, ist eine Schande für dieses
»Ausländer nehmen wir
wir weg aus der Türkei, weil unsere
Wohnung – und das schon seit Jahren. Es liegt nicht
nicht, da ziehen
Eltern auf ein besseres Leben in Ös-
daran, dass Ibrahim nicht aktiv sucht oder bei der Su-
die Österreicher aus.«
terreich hofften. Jetzt schon wieder
che zu kritisch ist. Er ist schon lange nicht mehr wählerisch. Täglich durchforstet er akribisch jedes Inserat
•
unsere Heimat zu verlassen, das würden wir nicht verkraften.«
in Internet und Zeitung. Doch meist kommt es nicht einmal zu einem Besichtigungstermin, da es am Tele-
»Kurz und bündig:
fon bereits heißt: »Die Wohnung ist schon vergeben.«
Wir wollen keine Ausländer
Der 29-Jährige ist sich jedoch sicher, dass nur sein
als Mieter.«
türkischer Name ihm die Tür zur neuen Wohnung versperrt: »Einmal, da wollte ich es wissen und hab’ unter
•
einem österreichischen Namen angerufen. Der Vermie-
Wir müssen draußen bleiben Text: Melisa Aljović Fotos: Phlipp Tomsich
30
ter machte sich freundlich einen Besichtigungstermin
»An Ausländer vermieten?
mit mir aus, obwohl es für Herrn Erkurt, zwei Minuten
Das tu ich mir nicht an.«
zuvor hieß, die Wohnung sei bereits vergeben.«
•
Laute(r) Jugos – Ivona und Marko, sie ist Frisörin, er
Wir sind jung, integriert, sprechen Deutsch, haben Arbeit. Wir heißen Öztürk und Jugović – und finden keine Wohnung.
Die Politik
»Wie woa des noch amal, woher san Sie jetzt genau?« Endstation Gemeindebau – Sie blieben und suchten weiter. Nach zig Absagen fanden sie dann eine Wohnung im Gemeindebau. Ihre Nach-
Facharbeiter, schaffen es dank ihrer international klin-
»Lieber einen
genden Namen oft bis vor die Wohnung, aber keinen
österreichischen
barn – ausschließlich Ausländer. Ihr
Schritt weiter. Bei ihrem südländischen Teint werden
Studenten ohne
Ausblick – graue Fassaden. »Nach-
die Vermieter dann stutzig: »Wie woa des noch amal,
Einkommen als einen
dem wir am privaten Wohnungs-
woher san Sie jetzt genau?« Und sobald rauskommt,
Ausländer mit.«
markt keine Chance hatten, be-
dass das Paar ursprünglich aus Kroatien ist, aber in
warben wir uns um eine Gemeinde-
Österreich geboren wurde, kommt auch prompt die
wohnung, die uns schließlich zuge-
Absage: »Mit euren vielen, lauten Festln passt ihr nicht
sprochen wurde«, sagen die gebür-
in unsere ruhige Wohnanlage.« Und Auf Wiederschaun.
tigen Türken. Lieber wäre ihnen eine
Ibrahim, Ivona und Marko stehen für viele junge Mi-
private Wohnung gewesen, aber
granten, die es nicht fassen können, dass sich seit
man nimmt, was man kriegt. »Bevor
Papas Gastarbeiter-Zeiten nicht viel geändert hat am
ich mit rassistischen Vermietern in
Wiener Wohnungsmarkt; dass auch im 21. Jahrhundert
einem Haus lebe, teil ich mir eher ein
ein »ić« im Nachnamen oder ein dunkler Teint genügen,
WC mit unseren polnischen Nach-
um unerwünscht zu sein.
barn«, sagt Özkan. 31
Doch nicht nur die beiden führt der letzte Ausweg
Auch am privaten Wohnungsmarkt
in den Gemeindebau, viele Migranten finden dort Zu-
gab es Verbesserungen: Diskrimi
flucht vor dem harten privaten Wohnungsmarkt. Für
nie rende Inserate wie »keine Aus-
Ausländer blieb der Gemeindebau bis 2006 noch ver-
länder« oder »nur Inländer« sind
schlossen. Dann öffneten sich seine Tore auf Druck der EU.
seit 2004 offiziell verboten. Doch sie finden sich immer noch in Zei-
»Bevor ich mit rassistischen Vermietern in einem Haus lebe, teil’ ich mir eher ein WC mit unseren polnischen Nachbarn.«
Wie wehrt man sich?
Sobald der Verdacht auf eine Diskriminierung bei der Wohnungssuche besteht, sollte man Beweise sammeln. »Am besten ist es, in solchen Fällen gleich ein Gedächtnisprotokoll zu
tungen, weil die Strafe gering ist.
erstellen und sich damit an uns zu wenden«, sagt Frau Salinger von der
Zunächst gibt es bloß eine Verwar-
Gleichbehandlungsanwaltschaft.
nung und später eine Höchststrafe von 360 Euro. Es gibt mehrere
Sie und ihr Team richten sich dann an den Vermieter und weisen ihn auf die
Organisationen (siehe rechts »Wie
Gesetzeslage hin. Denn im Gesetz heißt es: »In Österreich sind Diskriminie-
wehrt man sich?«), die Betroffenen
rungen bei Gütern und Dienstleistungen, unter anderem bei der Miete oder
helfen, sich gegen die Diskriminie-
dem Kauf einer Wohnung, aufgrund des Geschlechts und der ethnischen Zugehörigkeit ausdrücklich verboten.«
rung am Wohnungsmarkt zu wehren. Aber viel mehr als ein Entschuldi-
Gleichbehandlungsanwaltschaft
Ein Türke kommt selten allein – Da fühlten sich plötz-
gungsschreiben des Vermieters oder –
Taubstummengasse 11, 140 Wien
lich die Österreicher gegenüber den Ausländern be-
im Fall einer Klage bei Gericht – ein
0800/206 119 oder 01/532 02 44
Die Betroffenen können schon froh sein, wenn sie eine Entschuldigung erhal-
nachteiligt: »Das ist selbstverständlich nicht der Fall.
paar hundert Euro Schadensersatz
www.gleichbehandlungsanwaltschaft.at
ten. Falls einem das nicht reicht, kann man vor Gericht gehen und im besten
Die Vergabe der Gemeindewohnungen basiert auf
springen dabei nicht raus. Und das
Fall einen Schadensersatz von einigen hundert bis tausend Euro einklagen. Frau Salinger wünscht sich, dass viele Betroffene vor Gericht gehen und die
Anspruch auf die Wohnung hat man aber auch nach einer Intervention nicht.
transparenten Richtlinien, die gesetzlich verankert
Umtaufen als letzte Chance
ist nur wenig Trost, wenn man so
Zara Zivilcourage
sind«, sagt Hanno Csisinko, Sprecher von Wohnbaus-
auf eine Wohnung? Das kann
wie zuletzt die Öztürks diesen Satz
und Anti-Rassismus-Arbeit
Diskriminierung damit öffentlich machen. Bei ausländerfeindlichen Inseraten
tadtrat Michael Ludwig. Die Organisation Zara, die sich
es wohl nicht sein.
hört: »Die Wohnung ist für eich zu
+43 (1) 929 13 99
fordert sie schon beim ersten Vergehen eine saftige Strafe. Eine generelle Ver-
für Zivilcourage und gegen Rassismus einsetzt, bestä-
klan. Es ist ja bekannt, dass die
office@zara.or.at
schärfung der Gesetze ist laut Ministerium für Arbeit, Soziales und Konsumen-
tigt, dass für Österreicher und Migranten zumindest im
Tiakn Gebärmaschinen san.«
www.zara.or.at
tenschutz nicht geplant.
Gemeindebau die gleichen Spielregeln gelten. Erschienen im biber 04/12.
Fledermaus-Haus Als ich als kleines Mädchen nach Österreich kam, war ein kalter Pfarrh aus-Keller mein Zuhause. Gemeinsam mit meiner Familie und anderen Ausländern wohnte ich dort eine gefühlte Ewigkeit. Einige Lungen-
Inklusion voraus!
sichern. Als Unternehmen mit ge-
Österreich und im speziellen Wien
sellschaftlicher Verantwortung hat
war und ist schon von je her ein
SIMACEK Facility Management Group
Land von Einwanderern. Bei einem
GmbH CSR als Managementsystem
Familienunternehmen, das seit 70
in allen Arbeitsprozessen verankert.
Jahren am Markt ist, mit einem
DIM (Diversity Management) ist
Frauenanteil von über 70 Prozent und
entzündungen später zogen wir in ein »richtiges« Haus – Fledermäuse
Personelle Vielfalt, Diversität in Bezug auf Alter und
Bestandteil der CSR Strategie, wird
einem nicht geringeren Mitar beiter -
und Schimmel inklusive. Damals im kleinen, unbeheizten Zimmer, das
Geschlecht, ethnische und religiöse Zugehörigkeit,
aber auch als eigenständiges Sys-
anteil von Menschen mit Migrations-
ich mit Mama, Tante und Cousins teilte, schwor ich mir: Wenn ich groß bin,
körperliche Behinderung oder sexuelle Orientierung
tem gesehen. Es geht uns hierbei
hintergrund ist es selbstverständ-
kauf’ ich mir eine schöne, bunte Wohnung – nur für mich und meine Mama.
werden immer öfter als Chance erkannt, wertge-
immer um das »Nichtgleichmachen«,
lich, dass Diversitätsmanagement
schätzt und im positiven Sinne in die erfolgreiche Ent-
sondern um Inklusion und die Be-
einen sehr wichtigen Stellenwert
16 Jahre später ist es soweit. Mit einem österreichischen Pass in der
wicklung des Unternehmens eingebracht.
Hand, einem Einkommensnachweis und perfekten Deutschkennt-
reicherung der Diversität für den
in unserem Unternehmen einnimmt.
Geschäftserfolg.
Der Dialog mit unseren Stakeholdern, der Netzwerkgedanke und die Parti-
nissen begebe ich mich auf Wohnungssuche – und verzweifle. Frau Aljović ist den Vermietern offenbar nicht gut genug, nicht öster
Es ist ein Prozess, der kontinuierli-
reichisch genug. Hinter jedem »Schon vergeben« der Vermieter steckt
ches Lernen erfordert, und es betrifft
Eine Wirtschaft, die das Potenzial
eine freie Wohnung, die auf Urösterreicher wartet – so kommt es mir
immer die Menschen und die Orga
der personellen Vielfalt nicht nur
nisation, die sich einem Wandlungs-
akzeptiert, sondern auch stärkt und
wachstum auch öffnet. Es ist uns
fördert, ist eine Wirtschaft, die nach-
Persönlich nehme ich das Ganze nicht. Denn meine Freunde, alles Vor-
wichtig, die Unterschiedlichkeiten zu
haltig Ihre Zukunft sichert.
zeige-Migranten, haben meist noch viel ärgere Storys und Wohnungs-
stärken und das Gemeinsame zu
mittlerweile vor.
fördern. Die kulturelle Vielfalt von
Torturen erlebt. Jetzt frage ich mich, liebe Vermieter und Politiker: Wie ist das jetzt mit der Integration? Sollen wir brav arbeiten, soll ich
Diese Wertschätzung wird zur Wertschöpfung im
Menschen mit Migrationshintergrund
weiter in der Schule Kindern Deutsch beibringen und trotzdem zurück
Unternehmen. CSR und Diversity Entwicklungen zu
bringt eine Bereicherung in unsere
fördern und zu unterstützen bedeutet die Zukunft zu
Arbeitswelt.
ins Fledermaus-Haus? 32
zipation stehen ebenfalls im Fokus.
Kommentar von Melisa Aljović
www.simacek.com Foto © Simacek
Bezahlte Anzeige
33
Foto © Istockphoto.com
Was bedeutet Integration für Sie? Nachgefragt
Der nächste Deutschkurs ist nur einen Klick entfernt.
Das Online-Angebot www.sprachportal.at zeigt Zuwanderern schnell und einfach den Weg zum nächsten Deutschkurs und bereitet interaktiv auf die Prüfungen vor.
Maria Vassilakou
Claudia Schmied
Cornelia Kogoj
Alexander Wrabetz
Johann Gudenus
Vizebürgermeisterin von Wien
Bildungsministerin
Generalsekretärin der Initiative Minderheiten
ORFGeneraldirektor
Klubobmann der FPÖ Wien
Der Österreichische Integrations
Angeboten wird ein Online-Kurs auf
»Integration ist: respekt-
fonds (ÖIF) bietet ab sofort einen
A1-Niveau. Interaktives Lernen ist
volles Zusammenleben
mich: respektvoll
eigentlich nichts mehr,
Notwendigkeit, die zur
eine Bringschuld der
neuen Online-Service für Migrant/
laut Experten eine sinnvolle Ergän-
in Vielfalt; die Möglich-
zusammenleben.
da es in den letzten
Selbstverständlichkeit
Zuwanderer. Sie sollten
innen an: Das Sprachportal soll
zung zu regelmäßigen Deutsch-
keit, seine Chancen
Unsere Schule soll in
Jahren symbolisch
werden muss. Dazu
ja nicht nur bei uns,
Deutschlernen so einfach wie möglich
kursen. Online-Kurse auf höheren
auf eine gute Ausbil-
der sprachlichen und
derart aufgeladen und
trägt der ORF nach
sondern vor allem auch
machen und Zuwanderern optimale
Niveaustufen (A2 und B1) sind in
dung, einen guten
kulturellen Diversität
missbraucht wurde,
besten Kräften bei, sei
mit uns leben wollen.
Unterstützung bei der Suche nach
Planung.
Arbeitsplatz, ein gutes
eine Chance sehen.
dass es mittlerweile
es mit dem in türkischer
Um ihnen das Erreichen
Leben wahrnehmen zu
,Chancengerechtigkeit‘,
völlig sinnentleert ist.«
und deutscher Sprache
dieses Ziels zu ermög-
Fit für die Prüfung? – Ähnlich wie bei
können – und das, ohne
,Inklusion‘ und
auf ,Okto‘ ausgestrahlten
lichen, müssen wir
Alle Kurse auf einen Blick – Mit dem
der Führerscheinprüfung besteht
dauernd nach seiner
,Potenzialorientierung‘
,WienHeute – Haber
ihnen umfangreiche
Sprachportal fasst der ÖIF erstmals
auf dem Sprachportal die Möglich-
Herkunft beurteilt zu
sind die Schlüssel
Magazin‘ oder durch
Hilfestellung leisten.
alle eigenen Deutschkurse sowie
keit, eine Prüfungssituation nachzu-
werden.«
für gelingende Inte-
Information über unter-
Wer aber mit unseren
grationspolitik.«
schiedliche Lebens-
westlich-demokra
welten, ihre Besonder-
tischen Werten nicht
heiten, Geschichten,
zurechtkommt, der
einem passenden Deutschkurs bieten.
externe Deutschkurse von zertifi-
stellen und unter Zeitdruck Fragen
zierten Kursinstituten auf einer Seite
zu beantworten.
übersichtlich zusammen – und das
• Kursangebote finden • Online Deutsch lernen • Lehrmaterial gratis herunterladen www.sprachportal.at Hotline: +43 (1) 715 10 51-250
34
»Integration heißt für
»Das I-Wort bedeutet
»Integration ist eine
»Integration ist für mich
für ganz Österreich. Auch das Prü-
Mehr Service – Zeitgleich mit der
Erfahrungen und
soll sich eine andere
fungsangebot des ÖIF wird erklärt,
Vors tellung des Sprachportals star-
Perspektiven in all
Heimat suchen.«
Prüfungstermine in ganz Österreich
tet der ÖIF auch seine Sprach-
unseren Medien und
sind auf einen Blick einsehbar.
Hotline. Unter der Telefonnummer
Programmen.«
(01) 715 10 51-250 können sich ZuOnline Deutsch lernen – Mit dem
wanderer auch persönlich über pas-
Sprachportal erweitert der ÖIF sein
sende Deutschkurs-Angebote bera-
Angebot auch in Richtung e-Learning:
ten lassen. Bezahlte Anzeige
Fotos v. l. n. r.: © Die Grünen © Repolusk © Initiative Minderheiten © Ingo Pertramer © präsentationsart.com
35
arbeit & karriere Der Vater baute Häuser mit seinen Händen, die Mutter putzte sie und die Tochter baut sie nun als Architektin um: Der GastarbeiterGeneration folgt eine Generation neuer Österreicher, die alte Rollenmuster abstreifen. Der Staat hat ein Auge auf sie geworfen. Er braucht sie als Lehrer, Soldaten, Polizisten. Und er schätzt sie als Unternehmer, die den Standort Österreich in Bewegung halten.
S 38–S 39 Migranten-Power Der Staat will neue Österreicher als Lehrer, Soldaten oder Polizisten, doch der Zustrom an Bewerbern stockt aufgrund von Berührungsängsten und anderen Hürden. tschechisch für »machen«
S 40 Red ma Deutsch, Kollega Wie viel Deutsch am Arbeitsplatz muss sein und wie viel Muttersprache ist erlaubt? Über die Deutschpflicht hinter der Wurst-Theke.
S 42–S 43 Wer ist hier der Boss? Polnische IT oder asiatische Feinkost: Wir stellen Zuwanderer vor, die in Österreich ihr eigenes Firmenimperium aufgebaut haben. Foto © Dream-Emotion/Fotolia.com
36
Text: Clemens Neuhold Foto: Reinhard Lang
Arbeit & Karriere
Zuwanderer sind am Jobmarkt noch immer stark benachteiligt, beim Staat sind sie jedoch gefragt wie nie.
Die 29-jährige Adina Mircioane hat zwei Jobs: Po-
Gemessen an der Gesamtzahl
immer mehr – in manchen Wiener
lizistin und Dolmetscherin. Fürs Übersetzen geht
von 6.000 Wiener Polizisten ist der
Hauptschulen liegt ihr Anteil bei
so manche Mittagspause auf der Inspektion drauf;
Anteil der Migranten in Uniform aber
80 Prozent, österreichweit bei 20
ihre Kollegen wissen, dass sie Mircioane jederzeit ru-
noch immer winzig – er liegt aktuell
Prozent. Da werden Lehrer, die auf
fen können, wenn sie gerade einen Rumänen verhören,
bei 120 Personen. Deswegen geht
diese Schüler besonders eingehen
der kein Deutsch kann. Mircioane ist wegen ihrer aus-
die Aktion »Wien braucht dich«, mit
können, weil sie ähnlicher Herkunft
ländischen Wurzeln besonders gefragt. Das trifft auf
der die Polizei gezielt Migranten
sind, zu Schlüsselkräften.
die Mehrzahl der Zuwanderer nicht zu. In Österreich
anheuert, weiter. »Die einen trauen
werden mehr als ein Drittel der Migranten im Job stark
sich den Job bei der Polizei nicht
benachteiligt, hat die Arbeiterkammer erhoben. Sie
zu. Andere haben ein negatives Bild
können das, was sie durch ihre Herkunft mitbringen –
von der Polizei. Oder es scheitert
andere Sprachen, kulturelles Wissen über ausländische
an den Deutschkenntnissen«, sagt
Mitbürger – nicht ausspielen und werden gerade des-
Mircioane.
wegen oft schlechtergestellt. Doch es ändert sich was, und der Staat ist die treibende Kraft dahinter.
Eine weitere Hürde hat mit der
»Viele haben sich gar nicht als Migranten geoutet.«
Tradition zu tun: Für manche Eltern
»Am Anfang haben sich alle gewundert, warum ich keinen Akzent habe.«
ist es einfach undenkbar, dass ihre Tochter Polizistin wird. Dieselbe
heer wünscht sich mehr Migranten
Hürde, nur umgekehrt, gibt es beim
in seinen Reihen. Die Wehrdienst-
Lehrerberuf, der schnell einmal als
berater im Heerespersonalamt, die
zu unmännlich gilt. Die sichere (Schul-)Bank – Dabei ist
und sprachlichen Defiziten ein, er-
der Job sicher, die Ferien sind groß-
klärt Major Barthou vom Ministerium
Schon 2007 hat die Wiener Polizei das Ziel ausge-
zügig und der Bedarf ist noch größer
für Landesverteidigung. Für sie gibt
rufen, für jedes Revier einen Migranten wie Mircioane
als bei der Polizei. Zigtausende Leh-
es eine eigene Sprachförderung. Spe-
zu finden, der hilft, sprachliche Barrieren zu durchbre-
rerposten werden in den nächsten
ziell bei Auslandseinsätzen, unter
chen. »Am Anfang haben sich alle gewundert, warum
Jahren frei, weil eine Pensionierungs-
anderem in Bosnien oder im Kosovo,
ich keinen Akzent habe«, sagt Mircioane. Jetzt ist sie
welle anrollt. Dazu kommt der Aus-
rückt der Migrationshintergrund sch-
eine von vier PressesprecherInnen und damit die Stim-
bau der Ganztagsschule, wo zusätz-
nell in den Vordergrund – rasche Auf-
me der Wiener Polizei. Eine weitere Pressesprecherin
liche Lehrer gebraucht werden.
stiegschancen inklusive. Und falls
sorgt im 4. Bezirk für Recht und Ordnung.
auf ein Berufsheer umgestellt wird, Im Regierungsprogramm 2008
könnten noch mehr Jobs beim Heer
wurde das Ziel, den Anteil von
winken.
Lehrern mit Migrationshintergrund
Melek Yapakci bekam einen Korb als sie sich bei der
38
Freiwillige rekrutieren, gehen speziell auf Interessenten mit Akzenten
ist aus dem Iran. Und Mircioanes kleine Schwester
Wanted: MigrantenPower
In Reih und Glied – Auch das Bundes-
zu vergrößern, extra verankert. Seit
»Sie wünschen? Prejete si?« – Und
her wird an den Pädagogischen
auch bei privaten Firmen werden
Hochschulen speziell auf die Mehr-
Migranten begehrter. Wenn im Call-
sprachigkeit der Lehrer-Anwärter
Center des Internetanbieters UPC
geachtet. Außerdem wird bei man-
schon nach dem Abheben klar
gelnden Deutschkenntnissen am
wird, dass der Kunde die tech-
Anfang noch ein Auge zugedrückt.
nischen Details auf Deutsch nicht
»Viele, die schon österreichische
verstehen wird, schalten die Be-
Staatsbürger waren, haben sich
rater zu einem Kollegen, der die
gar nicht als Migranten geoutet«,
Muttersprache des Kunden spricht.
sagt Rüdiger Teutsch, der Experte
Ein Drittel der Mitarbeiter bei UPC
im Unterrichtsministerium. »Dabei
sind Migranten. »Wir freuen uns
Polizei bewarb. Also wurde sie Österreichs einzige
ist Mehrsprachigkeit etwas Tolles.«
über jeden Mitarbeiter, der auch
muslimische Kadersoldatin. Heute nimmt nicht nur
Migranten stehen im Bildungssektor
weitere Sprachen beherrscht«, sagt
das Heer, sondern auch die Polizei Migranten wie
im Hintergrund. Dabei werden die
die Sprecherin des Unternehmens
Adina Mircioane (s. oben) mit Handkuss.
Schüler mit Migrationshintergrund
ganz pragmatisch. 39
Red ma Deutsch, Kollega
Die Zahl der Betriebe steigt, in denen Migranten die Mehrheit stellen. Für die Chefs stellt sich nun die heikle Frage: Wie viel Deutsch ist Plicht, wie viel Muttersprache erlaubt? Text: Clemens Neuhold Foto: kali9/istockphoto.com
Bisherige Bilanz Staatsekretariat für Integration Arbeit & Karriere
können die Mitarbeiter untereinan-
Jahrzehntelang wurde das Thema Integration sehr
welche Hautfarbe oder Religion je-
Damit wurde das Thema einerseits
der reden wie sie wollen. »Bei dem
emotional behandelt. Oft mit Sicherheit und Asyl
mand hat – entscheidend ist, was
versachlicht, andererseits der Fokus
Nationalitäten-Mix ist uns das egal«,
in einen Topf geworfen, und Migranten daher meist
jemand hier in Österreich für die
weg von Sicherheit und Asyl gelenkt
sagt Sprecherin Ursula Riegler.
entweder als Täter oder als Opfer dargestellt. Mit
Gesellschaft beiträgt. Diesen Beitrag
auf jene Lebensbereiche, um die es
»Wehe, ich höre ein persisches oder türkisches Schimpfwort!« Die Politik sieht das Thema, ab-
Arbeit & Karriere
ner Integrationsstadträtin Sandra
Gesetz im Ministerrat beschlossen
Frauenberger meint: »Es gilt, Mehr-
» Caritas-Lerncafes
Flächendeckend in ganz Österreich ausgebaut
sprachigkeit noch stärker vor den
» Einführung des Sprachportals
Gratis-Deutschkurse für alle
Vorhang zu holen.« Der für Inte-
» Hausbesuchsprogramm für bildungsferne Migrantinnen
In 24 Standorten ausgebaut
» Förderung für Kinder und Jugendliche
z. B. Stipendien, 2 Millionen im Jahr 2012
los: Wie viel Deutsch ist Pflicht und wie viel Mutter-
streng: »Die Konzernsprache ist
kisch spricht, wird der Mitarbeiter
grundsätzlich Deutsch. Im Großhan-
auf Türkisch antworten.«
ausgeschlossen fühlen. Zusammenarbeit funktioniert
delslager ist Deutsch aber nicht so
nur, wenn jeder Deutsch spricht.« Für Migranten blei-
wichtig. Generell darf man bei uns
sagt biber-Redakteurin Alexandra Stanić. Auch bei
Vereinfacht, Rechtsanspruch von wenigen Monaten
Und wie ist die Arbeitssprache
» AMS-Migrantenindex
Gesetz im Ministerrat beschlossen
im Fußball, der ohne die vielen Zu-
» Aufhebung Migrantenverbot bei Feuerwehr
Umgesetzt
wanderer arm dran wäre? Ziemlich
» Arbeitsmarkt-Paket, z. B. für Mangelberufe
1,8 Millionen beschlossen für 2012
Deutsch. Darauf achten besonders
» Jungjournalisten-Mentoring
Lehrgänge bereits begonnen
jene Trainer, die selbst Migranten
» Ausbau WKO-Mentoring-Programm am Arbeitsmarkt
Läuft bereits
sind. Beim Ex-Trainer der Austria, Ivica Vastić, wird sowohl am Rasen als auch in der Kabine nur Deutsch gesprochen.
Amir
Kolahdouzian
vom Multi-Kulti-Amateurverein FC
dass Mitarbeiter untereinander Deutsch sprechen sol-
reden, in welcher Sprache man mag –
»Wehe, ich höre ein persisches oder
len – damit das Miteinander fein funktioniert und sich
Hauptsache man kümmert sich gut
türkisches Schimpfwort.« Das kostet
die Teams gut verstehen.« Auch die Lebensmittelket-
um die Kunden«, sagt Sprecherin
bei ihm einen Euro.
te Zielpunkt stellt dazu unmissverständlich fest: »Die
Nicole Berkmann. Bei McDonalds
40
Arbeit: » Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikationen
Royal Persia ist besonders streng:
Billa heißt es auf Anfrage: »Wir haben eine Regelung,
Deutsch: Paket im Ministerrat beschlossen, Strafen verdoppelt
sprache erlaubt? Anker stellte klar: »Niemand soll sich
wenn es um die Arbeit geht, sprechen wir Deutsch«,
Viele dieser Maßnahmen, von denen einige vom unabhängigen Expertenrat für Integration vorgeschlagen wurden, sind bereits umgesetzt:
» Schulabbrecher: Erleichterung des Nachholens von Abschlüssen
Vordergrund. »Wenn ein Kunde Tür-
»Wir lieben, lachen und lästern in der Muttersprache;
in Wissenschaft und Gesellschaft.
Gudenus), eher liberal. Die Wie-
Deutsch.« Spar sieht es nicht so
sprache zu pflegen?
ermöglichen.
10 Millionen pro Jahr neu verhandelt und beschlossen
Headline brach im vergangenen Jahr eine Diskussion
- oder im Lager? Und ist es nicht auch gut, die Mutter-
Leistung. Es geht nicht darum, woher jemand kommt,
» Schulpflichtverstoße durch Eltern
Sebastian Kurz sieht die Kunden im
»Es gilt, Mehrsprachigkeit noch stärker vor den Vorhang zu holen.«
che und Bildung, am Arbeitsmarkt,
» Sprachförderung im Kindergarten
Arbeits- und Umgangssprache ist
im Gespräch mit Landsleuten nur, wenn ein Österrei-
wirklich geht: Maßnahmen für Spra-
anerkennen und vor allem zunächst
wird Deutsch gesprochen!«, Johann
»Türkisch-Verbot für Bäckereiangestellte.« Diese
cher daneben steht? Wie schaut’s aus im Pausenraum
muss man einfordern, aber auch
wurde ein neuer Zugang etabliert: Integration durch
gesehen von der FPÖ (»Bei uns
gration zuständige Staatssekretär
ben aber viele Fragen offen. Gilt der Deutschvorrang
der Schaffung des Staatssekretariats für Integration
Gesellschaft: » Dialogforum Islam
Erste Ergebnisse, z. B. Imam-Ausbildung, Transparenzpaket
» Staatsbürgerschaftsreform
Novelle vorgelegt
» Integrationsbotschafter an Schulen
Projekt »Zusammen Österreich« gestartet, läuft 1 Jahr
» Strafen für Zwangsverheiratung im Ausland
Gesetz im Ministerrat beschlossen
» Integrationsglossar
Bereits im Umlauf
» Medienpreis für Integration
Bereits 2012 erstmals vergeben
Bezahlte Anzeige
41
Mija Friedländer-Chon (Bild links) steht an der Spitze von elf AkakikoFilialen (Foto © Mija Friedländer). Davor Sertić (Bild rechts) startete mit seiner Speditionsfirma Unitcargo von Wien aus durch (Foto © Unitcargo).
Arbeit & Karriere
Foto © Unitcargo
Text: Marina Delcheva
Sie schaffen tausende Jobs und kurbeln die Wirtschaft an. Jeder zehnte österreichische Unternehmer hat Migrationshintergrund – vom Catering-Magnaten bis zum IT-Genie.
Foto © Mija Friedländer
Wer ist hier der Boss?
»Ich habe mein Leben lang sehr schwer für andere geha-
Aus dem Liebespaar ist heute eines der erfolgreichsten
Die Sushi-Königin – Mija Friedländer-
Der Transport-Tycoon – Eigentlich war
ckelt. Jetzt arbeite ich endlich für mich selbst«, sagt Ne-
Geschäftspaare Österreichs geworden. Seit Juni 2012 ist
Chon, Geschäftsführerin von Akakiko,
Davor Sertić schon immer in Öster
sim Aywan. Die Austro-Türkin betreibt eine 24-Stunden-
DiTech auch im Buchhandel vertreten. Die IT-Firma be-
betreibt heute das größte Asia-Gas-
reich – er kam als Baby mit seinen
Bäckerei in Wien mit fünf Angestellten.
treibt gemeinsam mit der Buchkette Thalia in Wien einen
tronomie-Unternehmen Österreichs.
Eltern nach Wien. Trotzdem spricht
»Shop im Shop« und verkauft dort ihre PC-Bestseller.
Die gebürtige Südkoreanerin steht
er fließend Serbokroatisch, und Ost-
an der Spitze von elf Res tau rant -
europa ist sein lukrativstes Geschäfts-
Attila, der »Hummerkönig« – Über 60 Airlines, 16 For-
filialen, drei Franchise-Restaurants
feld. 2004 gründete der gebürtige
in Zypern und etwa 200 Angestellten.
Sie ist eine von 68.400 Migranten, die laut Statistik Austria eine eigene Firma gegründet haben. Das ist jeder zehnte Neo-Österreicher. In der Hauptstadt haben sogar 38 Prozent
mel-1-Rennen und die Fußball-Europameisterschaft
der 110.000 Wiener Unternehmer einen Migrationshinter-
2012: Fluggäste, Rennfahrer und Fußballfans werden
grund, so die Wirtschaftskammer Wien. 30 Prozent davon
weltweit mit den Gourmetmenüs von Attila Dogudan
Friedländer-Chon kam 1979 nach
sind Frauen.
verköstigt. Der gebürtige Türke zog als Zehnjähriger
Österreich und arbeitete ursprüng
Europa und Asien. Die Spedi tions-
mit seinen Eltern von Istanbul nach Wien. 1981 über-
lich als Krankenschwester. Parallel
firma hat Zweignieder l assungen
Sehr oft machen Zuwanderer mit ihrem Sprung in die
nahm er das Familienrestaurant »Kervansaray« und
dazu betrieb sie ein Obst- und Ge-
in der Slowakei, in Bulgarien, der
Selbstständigkeit aus der Not eine Tugend: Ausländer sind
gründete drei Jahre später einen Partyservice. 1987
müsegeschäft am Naschmarkt. 1994
Türkei und seit November 2012 auch
aufgrund ihrer Herkunft, ihres Namens oder ihrer Bildungs-
holte Airline-Chef Niki Lauda Dogudans Cateringme-
eröffnete sie unter dem Fanta sie-
in Schweden. Unitcargo wickelt
abschlüsse, die in Österreich nicht anerkannt werden, häufig
nüs von Do&Co an Board. Es folgten weitere Catering-
namen »Akakiko« ihr erstes eigenes
jährlich 15.000 LKW-Komplett l a
benachteiligt. Die eigene Firma ist oft der schnellste Ausweg
Verträge mit internationalen Fluglinien und Aufträge
Restaurant und brachte das da-
dungen ab.
aus schlecht bezahlten Hilfsjobs.
für Sportevents wie das ATP Masters in Madrid und die
mals eher unbekannte Sushi nach
Formel 1. Do&Co betreibt an weltweit 22 Standorten
Österreich. »Ich wollte einfach nach
Davor Sertić setzt in doppelter
Manche Gründer haben wahre Imperien aus einer kleinen
Gourmetküchen und beschäftigt 5.000 Mitarbeiter. Im
der Geburt meines vierten Kindes
Hinsicht auf Vielfalt: Er beschäftigt
Branche erobert (Foto © DiTech
Firma gemacht. Der »Almanah« stellt vier Migranten-Bosse
vergangenen Geschäftsjahr hat das Unternehmen 466
wieder selbstständig tätig sein. Ich
Mitarbeiter aus über 14 Ländern mit
GmbH).
und ihr Lebenswerk vor.
Millionen Euro umgesetzt.
konnte selbst entscheiden und war
14 Muttersprachen – von Türkisch
Aleksandra und Damian Izdebski haben mit DiTech die heimische IT-
Kroate seine eigene Speditionsfirma Unitcargo. Heute transportieren etwa 5.000 LKWs Güter in 40 Länder in
dadurch in der Lage, meine eigene
bis Albanisch. Zudem sind 23 seiner
Kreativität zu entfalten«, sagt die
33 Angestellten Frauen. Im Vorjahr
1999 in ihrer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung begonnen, Com-
Geschäftsfrau. 16 Stunden Arbeit pro
erwirtschaftete die Firma 10 Mill -
puter zu reparieren und Software zu warten – die Geburtsstun-
Tag und Erreichbarkeit rund um die
ionen Euro Umsatz. 2012 sollen
de von DiTech. 13 Jahre später leitet das Ehepaar ein landes-
Uhr waren der Preis, den die vier-
es, trotz kriselnder Wirt s chaft,
weites IT-Unternehmen mit 20 Zweigstellen, 300 Mitarbeitern
fache Mutter für ihre Selbstständig-
20 Millionen werden, verspricht
und einem Jahresumsatz von 105 Millionen Euro. Neben
keit bezahlen musste.
Sertic.
Die IT-Stars – Damian und Aleksandra Izdebski haben
dem klassischen Verkauf baut DiTech eigene Computer unter
dem
Markennamen
»dimotion«
und
versorgt
über 450.000 namentlich registrierte Kunden. Damian und Aleksandra kamen 1992 im Alter von 16 Jahren mit ihren Eltern nach Österreich. Die gebürtigen Polen sprachen kein Wort Deutsch und hatten kaum Geld. Die
42
beiden lernten einander als Jugendliche vor der polnischen
Attila Dogudan beschäftigt mit
Kirche in Wien kennen, wo sie um 50 Schilling pro Stunde
Do & Co 5.000 Mitarbeiter weltweit
Zeitungen verkauften, um sich ihr Taschengeld zu verdienen.
(Foto © DO & CO). 43
Welche Vor- und Nachteile haben Migranten am Arbeitsmarkt? Nachgefragt
Petra Draxl
Ursula Simacek
Leiterin des AMS Wien
Geschäftsführerin der SIMACEK Facility Management Group
44
Hartwig Löger
Vorsitzender Gewerkschaft vida
Vorstandsvorsitzender von UNIQA Österreich
»Vom Gastgewerbe bis
»DER Vorteil von Migran-
zur Pflege – einige
tinnen und Migranten ist
Branchen könnten ohne
die Fähigkeit, sich in ver-
Beschäftigte mit Migra-
schiedenen Kultur- und
tionshintergrund zu-
Sprachwelten bewegen
sperren. MigrantInnen
zu können. Sprachliche
tragen wesentlich zum
und kulturelle Vielfalt ist
Funktionieren der Wirt-
eine gesellschaftliche
schaft sowie zum sozia-
Tatsache, die Unterneh-
len und kulturellen Leben
men konstruktiv nutzen
bei. Gleichzeitig werden
sollten. Auf dem Weg zu
sie oftmals im öffentlichen
echter Chancengleich-
Diskurs negativ darge-
heit am Arbeitmarkt ist
stellt und im Arbeitsleben
die Anerkennung von
diskriminiert. Wir leben
im Ausland erworbenen
und arbeiten gemeinsam,
Qualifikationen oft eine
arbeiten wollen, finden
von Menschen mit
daher wollen wir auch
Hürde und führt zur Be-
keine gravierenden
Migrationshinter-
die gleichen Rechte und
nachteiligung von Men-
Benachteiligungen
grund bringt eine
gute, gerechte Lebens-
schen mit Migrations-
vor. MedizinerInnen
Bereicherung in unsere
bedingungen für alle.«
hintergrund.«
aus dem Iran werden
Arbeitswelt. Der Vorteil
sich mit der Frage der
liegt klar auf der Hand:
Anerkennung ihrer
Menschen aus unter-
Ausbildung in Öster
schiedlichen Nationen
reich auseinandersetzen
bringen neue Impulse
müssen, ansonsten aber
für die Wirtschaft und
auf wenig Vorurteile
die Gesellschaft. Für
stoßen, vor allem wenn
Menschen mit geringem
sie gut Deutsch können.
Ausbildungshinter-
Anders jene Menschen,
grund bzw. keinen
die gering qualifiziert
Sprachkenntnissen gibt
sind, deren Ausbildung
es sicherlich Barrieren
schwer anerkannt wird
im Arbeitsleben. Es gibt
machen einen tollen Job,
Erfolges ist nicht nur die
und die schlecht Deutsch
aber einige Branchen, in
unabhängig von ihrer
geheime Geschmacks-
sprechen. Wiener Unter-
denen durch Aus- und
Herkunft. Wir sind stolz
formel von Coca-Cola,
nehmen gehen immer
Weiterbildungsmaß-
auf die Vielfalt in unseren
sondern auch die gute
positiver auf Menschen
nahmen Qualifikationen
Teams und wissen diese
Mischung aus lokalen
mit Migrationshintergrund
und Sprachkenntnisse
zu schätzen. Der Team-
und internationalen
zu. Es ist die Mehrspra-
erworben werden
geist und die Leidenschaft
Mitarbeitern. Allein bei
chigkeit, das Verstehen
können, wie in unserer
unserer Mitarbeiter, Öster-
uns in Österreich arbei-
unterschiedlicher Kul-
Branche und im
reichs bester Gastgeber
ten Menschen aus mehr
turen, das heute ein wert-
Speziellen in unserem
zu sein, sind zwei kon-
als 20 Nationen.«
volles Plus ausmacht.«
Unternehmen.«
krete Beispiele dafür.«
»Deutsche, die bei uns
Fotos v. l. n. r.: © AMS Wien/Hromek © Simacek © Alexandra Kromus © Uniqua © Stadtschulrat Wien © WKW
Rudolf Kaske
»Die kulturelle Vielfalt
Andreas Schwerla
Philipp Bodzenta
Managing Director McDonald’s Austria
Director Public Affairs, Coca-Cola
»Unsere Mitarbeiter
»Das Geheimnis unseres
45
Die Feile immer dabei
Technikerinnen sind gefragt wie nie. Eine Chance für Migran tinnen, die technische Raffinesse mitbringen. stolz. In Kooperation mit dem AMS wird Damen gleich welcher Altersgruppe und Herkunft die Möglichkeit geboten, über den sogenannten zweiten Bildungsweg in die TechWelt einzusteigen – und noch ein-
Foto © ÖBB/Knopp
mal richtig Karriere zu machen. Feile immer dabei – Mehrsprachigkeit ist besonders von Vorteil – gerade wenn frau in internationalen Konzernen arbeitet. Trotzdem haben es Frauen mit Migrationshintergrund
Bahn frei zur Lehre mit Qualität
in Österreich oft doppelt schwer. »Häufig haben zugewanderte Frauen
450 neue Lehrstellen, 1.850 Lehrlinge, 22 Berufe – und das mit Auszeichnung. Die ÖBB fahren als größter Ausbilder des Landes mit Hochgeschwindigkeit in Richtung Zukunft.
in ihrer Heimat eine Ausbildung gemacht, die bei uns nicht angerechnet wird«, sagt Schroll. Auch Mariam Kaskandelov fühlt
Der Startschuss für die neue Bewerbungsphase bei
ist in Wirtschaft und Industrie eine
den ÖBB ist gefallen. Mit der Ausschreibung von
gefragte Fachkraft. Die Hälfte aller
insgesamt 450 Lehrstellen im kaufmännischen und
Lehrlinge bleibt nach positivem Lehr-
technischen Bereich. Österreichs Wirtschaft braucht
abschluss bei den ÖBB beschäftigt,
junge Menschen, die gut ausgebildet sind. Und die
und auch die andere Hälfte ist am
Jugendlichen brauchen Lehrplätze, wo sie gefördert
Markt sehr gefragt. Dieser Erfolg und
Foto © ÖBB/Deopito
Arbeit & Karriere
sich an der Werkbank pudelwohl. Während sie an einem Kontaktsegment feilt, erzählt die 32-jährige
Wenn Salma Easmikhan morgens zur Arbeit fährt,
und Kärnten die fünf besten Studen
Armenierin und wie Salma ausgebil-
hat sie immer zwei dicke Wälzer dabei. »Nie ohne
tinnen mit Scheinen statt Blüten
dete Kindergarten-Pädagogin, dass
mein englisches und bengalisches Wörterbuch«, sagt
belohnen. Auch bei A1, Infineon, Ver-
sie bei ihrem zweiten Einstieg in die
die 31-Jährige aus Bangladesch. Schließlich geht’s
bund oder Siemens werden die Da-
Berufswelt unbedingt etwas ganz
bei ihr tagtäglich um die hohen Gesetze der Physik:
men heiß umworben.
anderes machen wollte. Neben ihr
Wie funktionieren Strom und Widerstand? Worauf
feilt Josephine Akpam Imanlemen
das offizielle Gütesiegel als »staatlich
Mobil und schnell – Die ÖBB beför-
muss sie beim Gewindeschneiden achten und was zum
aus Nigeria, die daheim zehn Jahre
Frauenpower in der Technik – Nicht nur zwei Gleis-
ausgezeichneter Lehrbetrieb« unter-
dern jährlich 450 Millionen Kunden
Kuckuck ist ein »Vorhängeschloss«? Salma will das
bautechnikerinnen, sondern auch 300 weitere Mitar-
strichen. Ein weiterer Beweis für die
an ihr Reiseziel. Mit der umwelt-
genau verstehen, denn sie wird Elektrotechnikerin.
beiterinnen sind mit einer Ausbildung bei den ÖBB zu
Qualität der Ausbildung sind die
freundlichen E-Mobility-Flotte, die zu
und gefordert werden. Beides bieten die ÖBB an.
diese Qualität werden zusätzlich durch
Text: Delna Antia Foto: Michele Pauty
ihrem Traumjob gefahren. Immer mehr junge Frauen
Preise für die ÖBB-Lehrlinge. Mit dem
92 Prozent auf Ökostrom und erneu-
Salma ist eine der wenigen Frauen in Österreich, die
nutzen die Chance einer Lehre bei den ÖBB, auch in
Sieg bei der Berufsweltmeisterschaft
erbare Energien setzt, fahren täglich
sich für eine technische Ausbildung entschieden haben.
technischen Berufen.
2011 in London bestätigte die Ausbil-
6.500 Personen- und Güterzüge. Mit
Nur jede Fünfte wagt den Schritt in die Männerdo
Qualität auf ganzer Schiene – Die Bahn ist nicht nur
»Frauen sind die besseren Männer.«
in der Gasindustrie arbeitete. Salma hat in Bangladesch Chemie studiert, abschließen konnte sie das Studium nicht. Für den Job als Kinder-
Für Helmut Schroll, Ausbildungs-
gartenlehrerin reichten in Österreich
dungsgruppe der Mechatroniker die
Kundenorientierung, gesellschaftlicher
mäne, denn noch immer gilt das Klischee: »Frauen und
leiter der Siemens AG, gilt sogar:
ihre Deutschkenntnisse nicht und
hohe Qualität der Ausbildung.
Verantwortung und Pünktlichkeit be-
Technik? Das kann ja nicht gut gehen.«
»Frauen sind die besseren Männer.«
sie galt als »zu unsportlich«. Jetzt,
einer der größten, sondern auch einer der besten
Weil sie von Natur aus mehr Fein-
in der Ausbildung zur Elektronikerin,
Scheine statt Blüten – Von wegen. Firmen und Kon-
fühligkeit und Feinmotorik mitbrä
braucht’s weder Sprachraffinesse
wegen die ÖBB das System Bahn
Ausbildungsbetriebe in Österreich. 97 Prozent der
Wer ab jetzt auf die Qualitätsschiene
nachhaltig in Richtung Zukunft.
Lehrlinge bestehen ihren Lehrabschluss beim ersten
der ÖBB umsteigen möchte, der
zerne ringen um die weiblichen Tech-Genies, Förder
chten – was gerade für Montage-
noch Fitness. Hier sind einfach nur
Antritt. Der hohe Anteil an positiven Lehrabschlüssen
findet alle weiteren Infos und Online-
ungen lauern hinter jeder Ecke – wie etwa die lustige
arbeiten nützlich sei. Daher ist man
echte Männer, äh, Frauen gefragt.
ist der beste Beweis für die Qualität von Ausbildung und
Bewerbungsmöglichkeiten
Initiative »1.000 Euro statt Blumen«, wo der Elektrover-
im Siemens-Haus auf das Projekt
Ausbildern. Wer einen Lehrabschluss bei den ÖBB hat,
oebb.at/lehrberufe
band FEEI und die technischen Fachhochschulen Wien
»Frauen in die Technik« besonders
46
unter:
Bezahlte Anzeige
Erschienen im biber 04/12.
47
Medien, kultur & sport Es gibt Stimmen, die grenzen ab und grenzen aus. Und es gibt Stimmen, die setzen sich spielend über Grenzen hinweg. Stimmen aus Musik, Ballett, Literatur oder Sport, die nur die eigenen Grenzen kennen, an die sie jeden Tag aufs Neue gehen.
S 50–S 51 Ballett ist sprachlos
t ü r k i s c h f ü r »V i e l f a l t«
Die gebürtige Serbin Vesna Orlic ist die Ballettmeisterin der Volksoper. Glück ist für sie grenzenlos, die Konkurrenz unter den Künstlern auch. Foto © Michele Pauty
S 54–S 5 5 biber-Akademie Die biber-Akademie bildet junge Journalisten aus, die aus akademischen Diskursen über Migration und Integration lebendige Geschichten machen. Foto © Philipp Tomsich
S 56–S 58 Der Alaba-Effekt Star-Kicker David Alaba bricht rassistische Stereotype spielend auf. Kinderfreundin Vanessa Spanbauer über den »Alaba-Effekt«.
48
49
War es schwierig, 1987 nach Österreich zu kommen?
Und das Schlimmste?
Das war es nicht. Ich habe die damalige Chefin der
Die
»Carmina
scheiden. Tänzer zu sein bedeutet sehr
Volksoper, Susanne Kirnbauer, in Belgrad kennen-
Burana«. Das war für mich eine
viel harte Arbeit und Konsequenz.
gelernt. Sie wollte mich dann unbedingt hier an der
Entweder-Oder-Sache. Entweder ich
Karina Sarkissova hat ihren Weg
Volksoper engagieren. Und so wurde ich einfach abge-
habe Erfolg oder ich höre auf mit
gewählt, um berühmt zu werden.
worben.
dem Ballett. Ich weiß nicht, wie ich
Ich gehe einen anderen.
Premiere
von
Das muss jeder für sich selbst ent-
einen Misserfolg weggesteckt hätte. Haben es ausländische Künstler, die heute nach
Wer wird der nächste Ballettsuper-
Österreich kommen, leichter oder schwerer?
Sie sind Ballettmeisterin an der
star in Österreich?
Eher schwerer. Die Grenzen sind heute offen. Die
Volksoper und Stellvertreterin von
Das ist noch schwer zu sagen. Aber
Konkurrenz ist somit sehr groß. Wenn etwas ausge
Manuel Legris, dem Direktor des
es gibt ein paar ganz junge Tänzer,
schrieben wird, melden sich heute über 200 Tänzer.
Wiener Staatsballetts. Eigentlich
bei denen man sehen kann, dass sie
Es ist sicherlich härter als damals, einen Platz zu
sind Sie die mächtigste Frau im
alle Voraussetzungen mitbringen.
bekommen.
österreichischen Ballettgeschehen.
»Die Österreicher lernen von den Ausländern und die Ausländer von den Österreichern.«
In den »Seitenblicken« sieht man
Welche Voraussetzungen braucht
Sie aber nie.
denn eine Ballerina oder ein Ballett-
Es gibt eben auch Leute, die im
tänzer?
Hintergrund große Arbeit leisten.
Am Anfang sind die körperlichen
Als Tänzerin war ich im Vordergrund
Voraussetzungen und das Talent
und jetzt arbeite ich hinter den Ku-
die Hauptsache. Wenn man das hat,
lissen. Am wohlsten fühle ich mich
muss man sehr viel arbeiten, um
auch heute noch im Ballettsaal.
die Technik zu beherrschen. Und dann muss man sehr viel an seiner
Ballett ist sprachlos Text: Marina Delcheva Fotos: Michele Pauty
Würde die österreichische Kulturlandschaft ohne
Was halten Sie davon, wenn andere
Persönlichkeit und an seinem Aus-
Künstler aus dem Ausland genauso gut funktio
Ballerinas wie Karina Sarkissova
druck arbeiten. Viele kleine Mäd-
nieren? Also ohne Sopranistinnen aus Moskau,
medial sehr präsent sind und sehr
chen sehen am Ballett nur die rosa
ohne Balletttänzer aus Serbien oder Dirigenten
viel von ihrem Privat- und Intim
Tutus. Man übersieht oft, welch
aus Japan?
leben nach außen tragen?
harte Arbeit dahintersteckt.
Sie würde schon funktionieren, aber so funktio -
Sie ist die mächtigste Ballerina Österreichs. Die Ballettmeisterin der Volksoper Wien, Vesna Orlić, erzählt, warum die österreichische Kultur »Ausländer« braucht und wieso ihr Glück grenzenlos ist.
niert sie eben noch besser. Die Österreicher lernen von den Ausländern und die Ausländer von den Österreichern. Das ist eine sehr gute Mischung, deshalb entwickeln sich hier die klassische Musik und das Ballett sehr gut. Der Balletttanz braucht keine Deutschkenntnisse. Leute aus der ganzen Welt treffen sich in Wien und verständigen sich durch den
Zur Person
Tanz und die Musik. Sie haben das mittelalterliche Werk »Carmina
Medien, Kultur & Sport
Burana« sehr erfolgreich an der Volksoper inszeniert. War es schwierig, dieses alte Stück auf die Bühne zu bringen?
Sie sind seit 25 Jahren in Österreich in der Ballettwelt zu
Ich habe das Stück modernisiert. Ich wollte unbedingt
Hause. Sind Sie stolz auf die österreichische Ballettkultur?
Chor, Ballett und Orchester auf der Bühne vereinen. Die
Ja, ich bin sehr stolz. Ich bin ja ein Teil dieser Ballettkultur.
Arbeit war nicht leicht, aber es hat alles auch mit großer
Fühlen Sie sich heute mehr als Österreicherin oder als
so wie ich es mir von Anfang an gewünscht habe.
Unterstützung der Volksoper wunderbar funktioniert – Serbin? Ich denke nicht oft darüber nach. Ich bin ein glücklicher
50
Vesna Orlić wurde in Belgrad, Serbien, geboren und kam 1987 im Alter von 19 Jahren als Ballerina an die Volksoper Wien. Sie tanzte in zahlreichen
Was war das Schönste, das Ihnen in Ihrer Laufbahn als
Stücken als Solistin und ist heute Ballettmeisterin und Stellvertreterin des
Mensch – verwurzelt in beiden Kulturen. Mit meiner Familie
Ballerina passiert ist?
Ballettdirektors der Wiener Staatsoper. Sie ist als Choreografin tätig und
bin ich sehr verbunden und auch mein Mann ist Serbe. Aber
Es sind mir viele schöne Sachen passiert. Ich könnte
unterrichtet zudem an der Ballettschule der Wiener Staatsoper. Im Früh-
Wien ist meine Stadt. Die Menschen haben mich hier sehr gut
mich nicht nur für eine schöne Situation entscheiden.
ling 2012 inszenierte sie sehr erfolgreich »Carmina Burana« an der Volks
aufgenommen.
Ich liebe diesen Beruf einfach sehr.
oper. Im Staatsballett sind 102 Tänzer aus circa 27 Nationen tätig. 51
Die ganze Welt für Österreich
Zwei Zuwanderer, die für ihre Bücher und Filme Standing Ovations bekommen, ein Dirigent und eine Stargeigerin, die Musikhallen verzaubern. Vier Grenzgänger und ihre Geschichte.
Medien, Kultur & Sport
Text: Marina Delcheva
Albena Danailova spielt die erste Violine und ist
von 1982 bis 1984 ihr Direktor. Er
Konzertmeisterin der Wiener Philharmoniker. Die bul-
diri gierte mehrmals das Neujahrs-
garische Violinistin studierte an Musikschulen in Hamburg
konzert der Wiener Philharmoniker
und Rostock. Nach ihrem Studium spielte Danailova
und nahm gemeinsam mit Andrea
unter anderem mit den London Philharmonics. 2006
Bocelli »Sentimento« – eines der er-
wurde sie Konzertmeisterin des Bayrischen Staats
folgreichsten Alben der klassischen
orchesters. Zwei Jahre später wurde sie als Konzert
Musikgeschichte – auf. 2005 wurde seine erste eigene Oper »1984«
meisterin des Orchesters der Wiener Staatsoper engagiert. Im Vorjahr avancierte sie zudem zur ersten Violine der Wiener Philharmoniker. Die Musikerin ist
Albena Danailova, Konzertmeisterin (Foto © Lois Lammerhuber)
(nach dem Roman von George Orwell) uraufgeführt. Derzeit ist er
auch als Solistin international erfolgreich. Sie ist regel-
Chefdirigent der Münchner Philhar-
mäßig in Israel, den USA, Deutschland und Bulgarien zu
moniker.
Gast. Danailova gewann zahlreiche Musikpreise wie den Dimitré
»Tibor Varga«-Spezialpreis und den »Vittorio Gui«-Preis.
Dinev
schreibt
Stücke
und Erzählungen. Er wurde 1968 in Nina Kusturica ist Regisseurin und Filmemacherin. Sie
Plowdiv, Bulgarien, geboren und
wurde 1975 in Mostar, Bosnien, geboren und floh mit ih-
floh 1990 nach Österreich. Er studierte Philosophie und Russisch
rer Familie in den 1990er-Jahren vor dem JugoslawienKrieg nach Wien. Die Tochter einer Schauspielerin und eines Dirigenten studierte Regie und Schnitt an der
Nina Kusturica, Filmem acherin und Regisseurin (Foto © Mobilefilm)
in Wien und hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Dane-
Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien.
ben schrieb er Erzählungen und
Schon ihr Diplomfilm »Auswege« wurde 2003 inter-
Dramen. Der Durchbruch gelang ihm
national bekannt. Der Spielfilm über häusliche Gewalt
2003 mit seinem Bestseller »Engels
wurde bei den Filmfestspielen von Berlin gezeigt und
zungen«. Da Dinev den Roman, wie
eröffnete in Österreich die Diagonale. 2009 brachte
den Großteil seiner Werke, auf Deutsch
Kusturica den Dokumentarfilm »Little Alien« heraus, in
geschrieben hatte, wurde das Buch
dem sie minderjährige Asylwerber auf ihrem gefähr-
für den bulgarischen Markt in seine
lichen und illegalen Weg durch Europa begleitete. Der
Muttersprache übersetzt. Sein Stück
Film lockte 30.000 Zuseher in die heimischen Kinos.
»Eine heikle Sache, die Seele« wurde
Mit dem berühmten Regisseur Emir Kusturica ist die
Lorin Maazel, Dirigent (Foto © Chris Lee)
2008 am Volkstheater Wien urauf geführt. Neben den Erfolgen in
Filmemacherin entfernt verwandt.
Schweiz ist er auch in seiner Heimat
US-amerikanischen Familie in Paris geboren. Schon
Bulgarien ein gefragter Autor und
als Kind war er ein begabter Dirigent, Komponist und
Dramaturg. Dinev wurde mit zahl-
Violinist und dirigierte als Neunjähriger ein Studen-
reichen Preisen wie dem Mannheimer
tenorchester. Er studierte in Pittsburgh Mathematik,
Literaturpreis, dem »Buch.Preis« der
Philosophie und Sprachen. Danach setzte er seine
Arbeiterkammer Oberösterreich und dem »Writer in Residence«-Preis
musi kalische Ausbildung fort. Maazel leitete jahrelang Konzerte und Opern der Salzburger Festspiele. 1964 debütierte er an der Wiener Staatsoper und war 52
Dimitré Dinev, Schriftsteller (Foto © Reinhard Werner)
der »One World Foundation« in Sri Lanka ausgezeichnet.
BERND PREIML + FM4 + DYNAMOWIEN
Öster reich, Deutschland und der Lorin Maazel ist Dirigent. 1930 wurde er als Sohn einer
53
biber-Akademie:
Medienmacher mit Migrationsvordergrund In zehn Monaten hat die biber-Akademie 20 Jungjournalisten mit Zuwanderungsgeschichte ausgebildet. Die Absolventen setzen ihre Praktika in großen heimischen Redaktionen fort oder machen gleich Karriere in der Pressearbeit.
Medien, Kultur & Sport
angekommen. »Ohne Fleiß kein
style-Redakteurin bei msn.at. Auch
Preis«, sagt Delna Antia, die von
im Ausbildungsjahr 2012/2013 wer-
und haben Einblicke in sonst verborgene, migrantische
Jänner bis Februar biber-Akademi-
den neue, junge Talente durch die
Welten erhalten.
kerin war. Aufgrund ihres Enga
biber-Schule gehen und mehr Vielfalt
gements und ihrer journalistischen
in die österreichische Medienwelt
Je vier Stipendiaten wurden zwei Monate lang in
Fertigkeiten ist sie als neue Chefin
bringen.
der biber-Redaktion ausgebildet und konnten eigene
vom Dienst in der biber-Redaktion
Berichte und Reportagen im Heft veröffentlichen. Die
geblieben. Ali Cem Deniz absol-
Partnermedien der biber-Akade-
Akademieleiter Clemens Neuhold, Thomas Frank und
vierte nach der biber-Akademie ein
mie sind der ORF, »Der Standard«,
Ivana Martinović hielten Schreibwerkstätten und be-
Praktikum bei FM4, wo er derzeit
»Die Presse«, die »Kleine Zeitung«,
treuten die Stipendiaten beim Recherchieren, Schreiben
als freier Redakteur eigene Beiträge
die Gratiszeitung »Heute«, die »Wie-
und Veröffentlichen. Zwei weitere Monate absolvieren
auf Sendung bringt. Ayper Cetin
ner Zeitung«, der »Kurier«, »News«
die biber-Akademiker in einem Partnermedium oder in
wollte den Newsroom der »Zeit im
und die Bezirksblätter. Das Projekt
den Pressestellen großer österreichischer Firmen.
Bild« von innen sehen. Ihre Arbeit
wird mit Hilfe der Industriellen
als ZiB-Praktikantin wurde mit einer
vereinigung, des Staatssekretariats
bibers Musterschüler – Neben Filiz Türkmen haben
Praktik umsverlängerung belohnt.
für Integration, der Novomatic,
19 weitere Stipendiaten die biber-Akademie absol-
Maida Dedagić wurde nach Absol
der OMV und der BAWAG P.S.K.
viert. Einige von ihnens sind bereits in der Medienwelt
vierung der biber-Akademie Life -
finanziert.
Text: Marina Delcheva Foto: Phlipp Tomsich
»Ich muss gestehen, am Anfang
betreut den Social-Media-Auftritt des
war ich etwas voreingenommen und
Hauses und ist Ansprechpartnerin
abgeschreckt, da mir Menschen in
für Journalisten. Ihr Kopftuch war
Anzügen immer sehr suspekt er-
dabei nie ein Thema. »Nur manchmal
schienen und ich nie so recht wusste,
sind Leute, die von außen ins Haus
wie ich mich in ihrer Gegenwart
kommen, für einen kurzen Augen-
Franz Wohlfahrt
Sebastian Kurz
Michaela Huber
Rudolf Leeb
Christoph Neumayer
Generaldirektor Novomatic AG
Staatssekretär für Integration
Senior Vice President Corporate Communications & Public Affairs, OMV
Leiter Sponsoring & Community Affairs der BAWAG P.S.K.
Geschäftsführer der Industriellen vereiningung
verhalten soll«, sagt Filiz Türkmen
blick verblüfft über mich. Aber meis
(siehe links), »aber in Wahrheit sind
tens überspielen sie das sehr gut
hier alle sehr nett und die Arbeit ist
und nehmen es einfach als Tatsache
»Novomatic will zu einer
super.« Die gebürtige Türkin war
hin«, erzählt die junge Austro-Türkin.
lebendigen Zivilgesell-
lichung der Integrations-
naler Öl- und Gaskon-
punkt des Sponsorings
einigung unterstützt
schaft beitragen und
debatte sehr wichtig.
zern, in dem mehr als
der BAWAG P.S.K., er-
gerne die biber-
eine der ersten Absolventinnen der
»Mir ist eine Versach-
»Wir sind ein internatio-
»Bildung, ein Schwer-
»Die Industriellenver-
biber-Akademie und ist heute Social-
Ihre Herkunft und ihr Aussehen
unterstützt daher die
Journalisten mit Migrati-
60 verschiedene
höht die Durchlässigkeit
Akademie, da hier
Media-Beauftragte und Mitarbeiterin
seien kein Nachteil bei der Arbeit,
Akademie für Nach
onsbackground können
Nationen an einem
der Gesellschaft und
offene und kritische
der Presseabteilung in der Industri
sagt Türkmen. Manchmal ist eine
wuchsjournalisten. Jour-
viel dazu beitragen und
Strang ziehen. Das
verbessert die Berufs-
junge Menschen als
ellenvereinigung (IV). Daneben ab-
zweite Muttersprache sogar von
nalisten mit migran-
daher unterstützen wir
macht uns erfolgreich
chancen Jugendlicher.
zukünftige journa
solviert sie gerade ihren Master in
Vorteil. Wenn der türkische Wirt-
tischem Background
die biber-Akademie.
und stark. Integration
Die biber-Akademie
listische Exzellenz
Publizistik an der Universität Wien.
schaftsminister das Haus besucht,
bringen eine neue,
Zudem geht es mir aber
wird bei uns gelebt
ist ein Angebot, das
Österreichs ausgebildet
sagt Filiz als einzige »Merhaba«
längst überfällige
auch einfach darum,
und gespürt, einer von
unmittelbar wirkt.
und gefördert werden.«
Durch die ehrwürdigen Gänge der
statt »Hello!« und wechselt ein paar
Sichtweise in die fest-
dass Integration gelebt
uns ist immer in einem
Learning by doing ist
IV am Schwarzenbergplatz in Wien
Worte auf Türkisch mit ihm.
gefahrene Integrations-
wird und auch möglichst
unserer 30 Länder
die beste Methode, um
debatte in Österreich ein.«
viele Menschen mit
neu. Und daher hat uns
in einen Beruf hinein-
spazieren eigentlich nie Kopftuch
54
tionen finden. Auch ein paar Exoten – »waschechte« Österreicher – sind durch die biber-Schule gegangen
trägerinnen. Außer Filiz Türkmen.
Vielfalt in den Medien – Die biber-
unterschiedlichsten
als OMV die Idee der
zuwachsen. Wir halten
Die 25-Jährige steigt mit einem
Akademie wurde 2011 gegründet,
Lebensgeschichten im
biber-Akademie sofort
diesen Ansatz für gut
Laptop unter dem Arm in den Pater
um engagierte Jungjournalisten mit
Journalismus beschäf-
begeistert. Wir wün-
und werden auch die
noster – der älteste Aufzug seiner
migrantischen Wurzeln zu rekru-
tigt sind. Herzliche
schen viel Erfolg und
kommenden Projekte
Art in Österreich – und fährt in den
tieren und auszubilden. Ihre kultu-
Gratulation an alle
freuen uns auf die neue
begleiten.«
Absolventinnen und
Kommunikationsge
Absolventen für die
neration!«
Newsroom. Die ehemalige biber-
relle Vielfalt und ihre Kontakte in
Akademikerin setzte ihr Praktikum
die ethnischen Communities sollen
in der IV fort und blieb gleich dort.
redaktionell genutzt werden und
Heute schreibt sie Pressemeldungen,
den Weg in die heimischen Redak-
Fotos v. l. n. r.: © Novomatic © Philipp Tomsich © OMV © Philipp Tomsich © IV
Leistung! Und viel Erfolg allen Neuen!« 55
Vor kurzem ist mir was Witziges passiert. Hinter mir
beschimpft, dumm angeredet oder
am Gehsteig höre ich zwei Männerstimmen und ein
bekommt gleich einen Bodycheck,
paar Wortfetzen tiefstes Wienerisch. Ich bemerke,
nicht nur von Erwachsenen, sondern
wie die Männer versuchen, mich einzuholen. Ihre
teilweise auch schon von Kindern.
Schritte werden schneller. Mental bin ich schon auf
Man wird unterschätzt oder gleich
eine rassistische Ansage oder den x-ten dummen
für völlig blöd gehalten. Für mich
Spruch auf Englisch gefasst. Doch nein. Die zwei – ich
ist dieser Alltagsrassismus längst
schätze sie auf 45 Jahre – beginnen ganz normal mit
normal geworden. Ich kenne ihn von
mir zu quatschen und wollen meine Herkunft wissen.
klein auf. Sowas beginnt schon im
Huch, das ist neu. Verdutzt erkläre ihnen, dass ich Ös-
Kinderwagen, wenn jemand deine
terreicherin bin und mein Vater aus Nigeria stammt.
weiße Mutter attackiert, weil sie ein
»Wie der Alaba!«, sagt der eine mit großen Augen.
Kind mit einem Schwarzen hat. In
Noch komplett überrascht von der Situation sage ich:
der Schule wollte mich ein Lehrer
»Ja, mit dem hab´ ich als Kind sogar gespielt.« Zur Er-
in den Deutschkurs für Ausländer
klärung: Man kannte sich in der Community, unsere El-
schicken. Auf meine Antwort »Ich
tern waren befreundet. Und so krabbelte ich mit dem
bin kein Ausländer« entgegnete er:
späteren Star-Kicker zwischen Bauklötzchen und der
»Doch!«
Holzlokomotiven um die Wette. Erst kürzlich hab ich alte Fotos von uns beiden gefunden. Die zwei Männer sehen mich noch eine Zeit staunend an und wünschen mir einen »ganz, ganz schönen Tag«.
»Man wird beschimpft, dumm angeredet oder bekommt gleich einen Bodycheck.«
Nationalspieler Alaba – ein All-Star am heimischen Fußballhimmel (Foto © Karl Schöndorfer/picturedesk.com)
»Ich bin ein sogenannter Mischling.« In der Innenstadt könnte man eine gewisse Weltoffenheit voraussetzen, wenn einen dann aber am Graben ein Anzugträger aus dem Nichts so fest anrempelt, dass man fast in den nächsten Werbeaufstel-
Danke David! Durch dich scheint sich etwas zu tun
ler hineinkracht, sieht man, dass es
in Österreich. Das verfestigte Bild vom dunkelhäutigen,
damit nicht so weit her ist. Auch die
aidskranken Drogendealer bekommt Risse – durch Ta-
tägliche Fahrt mit den Öffis ist nicht
lente wie Alaba, bei denen die Hautfarbe vielen egal ist.
immer so angenehm, wenn man als
Aus automatischer Ablehnung wird Neugierde. Viel-
»Neger« beschimpft wird. Nur ist
leicht kommt nur mir das so vor, aber es tut sich was.
eben genau das nichts Besonderes mehr. Eigentlich traurig! Ich denke
Der AlabaEffekt Text: Vanessa Spanbauer Foto: Eibner/EXPA/picturedesk.com
56
»Unser David« – »Alaba schreibt Geschichte« – »Heilsbringer«. In den Medien ist National-Kicker David Alaba ein Superstar. BiberRedakteurin Vanessa Spanbauer erzählt, wie der »Alaba-Effekt« ihr Leben beeinflusst.
Österreichs Champions – Auch andere Schwarze
mir nur meinen Teil und versuche, es
werden Teil dieses neuen Bildes, etwa Alabas Schwe-
in manchen Situationen mit Humor
ster Rose, die Finalistin bei Popstars war, oder Lydia
zu nehmen. Lustig wird es, wenn
Obute, die Gewinnerin von Austria’s Next Topmodel. Claudia Unterwerger kennt man als Stimme von FM4
Die Autorin lernte Alaba schon früh kennen (Foto © Vanessa Spanbauer)
zwei alteingesessene Wienerinnen im 39A über die »krimineuln« – ja,
und als Gesicht vom ZIB-Flash. Und Arabella Kiesbau-
ich beherrsche Wienerisch perfekt –
er ist ja schon lange ein Fixstern am österreichischen
Ausländer herziehen, dabei auf mich
Fernsehhimmel. Ziemlich gestaunt habe ich über den
zeigen und denken, ich verstehe
Privatsender Puls 4, der David, Rose, Lydia Obute und
sie nicht. Wenn ich mich dann kurz
India Callender, die Finalistin des Kiddy Contests 2011,
vorm Aussteigen umdrehe und kon-
von Plakatwänden strahlen hat lassen – mit dem Titel:
tere: »Jo, passt scho, i versteh’ eich
»Österreichs Champions«. Ist das ein neues Movement?
besser, ois ihr glaubts!« kontere, sind deppate Blicke garantiert.
Es wäre höchste Zeit, denn Veränderung ist bitter
Medien, Kultur & Sport
nötig in einem Land, wo für dich als Schwarzer kein
»Mischling« ist schon o.k. – Ich bin
Tag ohne Rassismus zu vergehen scheint. Man wird
ein sogenannter Mischling. Geboren 57
und aufgewachsen bin ich in Österreich. Mit meiner
das mit geringerem Hautkrebsrisiko!
sagter. Paradox bleibt das ganze Hin
afrikanischen Familie habe ich fast keinen Kontakt,
Außerdem falle ich durch meine Haut-
und Her trotzdem, denn ich war ja
daher fehlt der Bezug zur Kultur Nigerias. Ich bin durch
farbe auf und bleibe den Leuten im
immer nur ein Österreicher. Die Frage
und durch Österreicherin. Wer mich kennt, würde nie
Gedächtnis. Das kann auch von Vor-
»Woher kommst du?«, versuche ich
auf die Idee kommen, etwas Afrikanisches an mir zu
teil sein. Man scheint sich sehr leicht
immer mit einem knappen »aus Wien« oder »aus Österreich« zu be-
suchen. Die Außenwelt sieht das jedoch anders. Für
an mich zu erinnern. Bei Rock-Kon-
die Leute auf der Straße bin ich Ausländerin. Ja, ich
zerten – surprise, ich höre keinen Hip-
antworten. Darauf folgt fast immer:
bin zweisprachig aufgewachsen – Hochdeutsch und
Hop – passiert es mir regelmäßig, dass
»Woher wirklich?« oder mein ganz be-
Wienerisch. Ich bin außen dunkel und innen weiß, ein
Musiker mich in der weißen Masse
sonderer Lieblingssatz: »Du schaust
fleischgewordenes Bounty eben.
der Zuschauer erkennen und grüßen.
»Integration fängt bei jedem selbst an«
Österreichs Spitzensportlerinnen und Spitzensportler als Botschafter für einen fairen Umgang miteinander.
so exotisch aus!« Dann wird drauflos geraten. Und natürlich beginnen sol-
Medien, Kultur & Sport
I am from Austria – Vielleicht werden
che Gespräche sehr oft auf Englisch.
ich nicht. Ich bin beides, doch andere Leute wollen oft,
meine Schokoladen-Seiten durch
Aber davon kann mein Baby-Freund
Gemeinsam gewinnen – und manchmal auch ge-
Daniela Iraschko (Skispringen) –
dass ich mich für eine Seite entscheide. Ich sage selber
den Alaba-Effekt bald noch ange-
ja ein Lied singen.
meinsam verlieren. Der Teamgedanke ist im Sport
»Gerade Sport und vor allem der
Mischling zu mir, also kann man mich ruhig auch so be-
ein ganz wesentlicher Faktor. Und beim Thema Inte-
Grundgedanke des Sportes unter-
zeichnen. Nur »Mulatte« finde ich nicht so toll.
gration verhält es sich genauso. Daher treten sowohl
scheidet nicht zwischen Geschlech-
das Sportministerium als auch Österreichs Spitzen-
ter, Rasse, Kulturen und Klassen.
Innere Konflikte, ob ich schwarz oder weiß bin, habe
»Ich bin außen dunkel und innen weiß, ein fleischgewordenes Bounty eben.«
sportlerinnen und Spitzensportler für Fairness und
Fussball ist wohl der bekannteste
Toleranz ein.
und einfachste gesellschaftliche In-
Das Sportministerium vergibt zum Beispiel jährlich den Integrationspreis Sport an besonders zukunfts-
Markus Rogan gewann insgesamt 34 Medaillen bei Olympischen Spielen, Welt- und Europameisterschaften (Foto © GEPA)
tegrationsmotor. Doch Integration fängt bei jedem selbst an, nur so kann man es gemeinsam leben.«
trächtige Projekte, die sich über sportliche Angebote um die Integration von Menschen mit Migrationshinter-
Armin Stremitzer (Hockey) – »Sport
grund verdient machen. Für Projekte zum Thema Inte-
ist völkerverbindend und vermittelt
gration und Sport stellt das Sportministerium jährlich
grundlegende Werte des Zusam-
rund 300.000 Euro zur Verfügung.
menlebens wie Respekt, Teambe-
lege ich viermal, zu welchem Friseur ich gehe. Ein
Die Gewinner der zwei Hauptpreise 2012 waren
sozial-integrativen Eigenschaften
österreichischer oder türkischer Friseur kann mit
»Sport Fair bindet« des ASKÖ, bei dem Mädchen mit
meinen Haaren nicht umgehen. Aber auch bei den
und ohne Migrationshintergrund zwischen 12 und 15
Afro-Friseuren gibt es Probleme, weil meine gek-
Jahren miteinander Sport treiben und »ESK geht neue
Schokoladen-Seiten – Eines meiner größten Probleme ist mein Haar. Schon in meiner Kindheit war
Zur Person
reitschaft und Solidarität. Diese
meine weiße Mutter damit über fordert. Jetzt über-
haben somit Vorbildwirkung für die Daniela Iraschko ist Österreichs erfolgreichste Skispringerin und gewann Gold bei der Ski-WM 2011. (Foto © privat)
Gesellschaft.« Violetta Oblinger-Peters (Kanu
räuselten Haare für sie ungewohnt lang sind. Viele,
Wege«, ein Projekt des Eggenberger Sportklubs Graz,
auch total fremde Menschen, verspüren das Bedürf-
bei dem Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit
sport) – »Meiner Erfahrung nach
nis, meine Haare einmal anzugreifen, manche be-
gezielten Integrationsmaßnahmen im Fußball in das
kann Sport in höchstem Maße inte-
neiden mich um meine Krause, aber nur, weil sie nicht
österreichische Vereinsleben eingebunden werden.
grationsfördernd sein, denn Sport
wissen, wie mühsam sie ist. Ich wiederum versuche seit
lerInnen kommen zusammen, um
Jahren alles, um sie loszuwerden. Mein Glätteisen ist
ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
mein heiligstes Gerät.
Österreichs Sportstars treten für Integration ein:
Es gibt keine Barrieren, gesellschaft-
Markus Rogan (Schwimmen) – »Integration ist Tole-
denn als AthletIn wird die sportliche
liche Vorurteile spielen keine Rolle,
»Ich bin zweisprachig aufgewachsen – Hochdeutsch und Wienerisch.«
ranz, Neugier und inzwischen absolut notwendig um Erfolg zu haben. Ich habe das Glück beide
Leistung unabhängig von Nationalitäten bewertet. Sport ermöglicht ein
Seiten kennen gelernt zu haben. Zuerst als Österrei-
integratives Miteinander, in dem man
cher mit neuen Freunden aus aller Welt die zu uns
einander näher kommen und Anders-
nach Wien zum Training kamen. Dann, als Gast
artigkeit kennen lernen kann.«
Vanessa Spanbauer wurde am 2. November 1991 in Wien als Tochter
in Amerika, als Trainingspartner in Italien und als
einer Österreicherin und eines Nigerianers geboren. Derzeit studiert
Teil des stärksten internationalen Schwimmvereines
Nicht nur mit meinen Haaren, auch mit meiner »ge-
sie Anglistik und Geschichte an der Universität Wien. 2010 begann
der Welt, mit Mitgliedern von jedem Kontinent. In
bräunten« Haut kann ich bei manchen Punkten. Immer
Vanessa für das Online-Musikmagazin »Enemy.at« zu schreiben. Im
jedem Umfeld zeigt sich das gleiche Bild: Je offener
mehr rennen ja ins Solarium und werden dabei höch-
Herbst 2012 absolvierte sie gemeinsam mit 3 anderen Stipendiaten die
und neugieriger die einzelnen Teammitglieder sind
stens orange. An mich kommen sie nicht heran. Ich bin
biber-Akademie. Im »Alaba-Effekt« verarbeitet sie ihre Erlebnisse von
von einander zu lernen, desto erfolgreicher ist die
von Natur aus braun und zwar zu jeder Jahreszeit und
Rassismus bis hin zur plötzlichen Akzeptanz. (Foto © Philipp Tomsich)
Mannschaft als ganzes.«
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Armin Stremitzer ist Kapitän der österreichischen Hockey-Nationalmannschaft (Foto © GEPA)
Bezahlte Anzeige
Violetta Oblinger-Peters ist Kanutin und wurde 2008 Olympiadritte im Kanuslalom. (Foto © GEPA)
59
Wien Holding:
Dafür steht Vielfalt
Wer in Wien Vielfalt und Integration sagt, sollte auch Wien Holding sagen. Mitarbeiter aus den unterschiedlichsten Ländern, 70 Unternehmen unter einem Dach und unschlagbar gute Events – das alles vereint der städtische Konzern.
Kultur • Immobilien • Logistik • Umwelt • Medien
Arbeiten, ganz nah am Wasser – Natasa Pavlovic ist
Dem Star ganz nah – Zuhdija Begic
Nach dem Ferialjob im Marketing
gebürtige Serbin und lebt seit 1973 in Österreich. Nach
ist gebürtiger Bosnier und lebt seit
top – Auch Angela Djuric hat ihre
dem Abschluss der Handelsschule in Salzburg zog
1970 in Wien. »Ein volles Haus ist
Wurzeln in Bosnien, ist jedoch in
sie nach Wien. Seit neun Jahren ist sie nun ein fester
das Schönste, ich krieg noch immer
Wien aufgewachsen. Sie fühlt sich
Bestandteil der Personalabteilung im Hafen Wien.
Gänsehaut, wenn 16.000 Menschen
weder als Bosnierin noch als Öster-
»Was mir besonders gut gefällt, ist, dass mich mein
jubeln«, sagt er über seine Arbeit als
reicherin, aber sehr wohl als Wie-
Arbeitgeber, der Hafen Wien, nominiert hat, 2011 am
Betriebsleiter der Wiener Stadthalle.
nerin. »Deswegen arbeite ich auch
Management-Programm der Wien Holding teilzu
In 27 Jahren Betriebszugehörigkeit
gerne bei der Wien Holding. Wien
nehmen. Im Laufe der Zeit sind die Kollegen aus den
hat er viele Stationen und Abteilun-
ist eine großartige Stadt und hat so viel zu bieten, immer ist irgendetwas
verschiedensten Unternehmungen der Wien Holding
gen durchlaufen, heute führt er 80
zu einer tollen Arbeitsgruppe zusammengewachsen
Kollegen. Ursprünglich wollte Zuhdija,
los. Mit ihren Tochterunternehmen
und ich freue mich, wenn wir uns im Rahmen diverser
der von seinen Kollegen liebevoll
trägt die Wien Holding viel dazu
Tagungen und Veranstaltungen immer wieder bege
»Sudo« genannt wird, an der gra-
bei und ich finde es toll, hier auch
gnen und unsere Erfahrungen austauschen können.« Guide im Kunst Haus Wien – Lalaine Cerrade ist gebür-
Wien Holding GmbH Universitätstraße 11, 1010 Wien T +43 (1) 408 25 69-0 F +43 (1) 408 25 69-37 office@wienholding.at www.wienholding.at
60
fischen Lehranstalt studieren. Aber
dazuzugehören.« Nach ihrem Ba-
ähnlich wie Lalaines Mutter wollte
chelor in Kommunikationswirtschaft
auch sein Vater, dass er »etwas Ge-
absolvierte sie 2008 ein Ferialprak-
Topevents wie das Erfolgsmusical »Elisabeth« im Raimund-
tige Filippina und seit 2004 im Kunst Haus Wien tätig.
scheites« lernt, deshalb absolvierte er
tikum bei der Wien Holding. Dank
theater, Pink in der Wiener Stadthalle, Großprojekte wie
Ursprünglich wollte sie Künstlerin werden. Da ihre
eine Lehre als Maschinenschlosser.
guter Leistungen und Elan wurde
die Entwicklung des Standortes Neu Marx, der Twin City
Mutter aber andere Pläne mit besseren Erfolgs-
Nach acht Jahren Tätigkeit bei einer
sie 2011 durch die Anstellung im Bereich Marketing und Öffentlich-
Liner auf der Donau und Topwellness in der neuen Therme
aussichten für sie hatte, studierte sie Marketing
Stahlfirma in Wien Wieden wollte
Wien. All diese Projekte und Umsetzungen haben eines
management. Ihre Aufgaben im Kunst Haus sind
er etwas Neues probieren. Das war
keitsarbeit ein fixer Bestandteil des
gemeinsam: Sie wurden von der Wien Holding realisiert.
im Aufsichtsbereich und im Einsatz als Guide an-
dann die Entscheidung für Zuhdija,
Wien-Holding-Teams und macht im
Insgesamt 70 Unternehmen erfüllen ihre kommunale Auf-
gesiedelt. Ihrer Liebe zur Kunst konnte Lalaine
beim Unterhaltungs-Unternehm en
Management-Programm 2013 als
gabe und schaffen gleichzeitig einen Mehrwert und bessere
auch privat nie abschwören und so ist sie nach wie vor
Wiener Stadthalle anzuheuern.
bisher jüngste Teilnehmerin mit.
Lebensqualität für die Stadtbewohner. Diese Arbeit und
als Künstlerin in Wien tätig. Dabei experimentiert sie
Leistung, die zum Erfolg führt, wird in der Wien Holding von
liebend gern mit neuen Materialien, wie man auf ihrer
Mitarbeitern aus unterschiedlichen Ländern übernommen.
Homepage www.lalaine-art.com bewundern kann.
Fotos v. l. n. r.: © Felicitas Mattern, © Katrin Bruder, Foto 3 u. 4 © Eva Kelety
Bezahlte Anzeige
61
Das ist doch Ghetto Text: Clemens Neuhold Foto: Lucia Bartl
Mit seinem provokanten Buch »Wir kommen« landete der 25-jährige Linzer Inan Türkmen in den Bestseller-Listen und mitten in einem medialen Wirbelsturm. Jetzt will er nicht mehr der »Wuttürke« der Nation sein. Interview Wie hat dein Buch, das im Frühjahr
es ist scheißegal, woher du kommst.
2012 erschienen ist, dein Leben ver-
Ich bin weder Türke, Kurde noch Ös-
ändert?
terreicher. Also wie soll ich integriert
Direkt danach setzte es 80-Stunden-
sein?
Wochen zwischen Uni und Interviews. Die Reaktionen in den Medien und
Was hältst du von Sebastian Kurz?
Internetforen waren heftig. Das war
Er ist okay. Ich hab eine 50:50-
eine Zeit lang anstrengend, wenn
Meinung von ihm. Ab und zu sind
da alles auf einmal auf dich einpras-
gute Ideen dabei und ab und zu
selt. Da hab ich kurz nachgedacht,
greife ich mir als einer, der beide
ob das alles so gut war.
Seiten sehr gut kennt, auf den Kopf
Die Presse hat dich zum Wuttürken
auf so eine Idee? Wenn du heute im
und denke mir: Wie kommt man gemacht.
letzten Kindergarten-Jahr vor der
Bei einem der ersten Interviews
Volksschule in eine Vorbereitungs-
habe ich alles ironisch beantwortet.
klasse mit 20 Ausländern und einer
Sie fragten: »Warum bist du eigent-
Lehrerin kommst, ist das Ghetto,
lich so wütend?«, und ich hab gesagt,
das funktioniert nicht. Ohne so früh
ich wär’ halt immer wütend, schon
österreichische Mitschüler zu haben,
gleich nach dem Aufstehen. Ich wur-
hätte ich nie so gut Deutsch gelernt.
de ganz ernst zitiert, ohne Ironie! In
Ein verpflichtender Kindergarten von
den Medien geht das sehr schnell,
drei bis sechs Jahren: Das würde
dass man falsch dargestellt wird.
wirklich helfen.
Türkmens These – »Egal, ob ihr uns mögt oder nicht, ob
Bist du also eher der Guttürke, der
Das klingt nach einem politischen
ihr uns integriert oder nicht, ob ihr uns in der EU haben
Vorzeigemigrant?
Programm.
wollt oder nicht, unser Einfluss in Europa wird steigen.
Schon gar nicht. Ich hasse »Vor-
Für mich ist das ein soziale, keine politische Frage. Ich kriege auch ab
Denn wir sind jünger, hungriger und stärker als ihr.«
zeigemigrant«, das ist für mich ab-
Türkmen beschreibt in seiner Streitschrift »Wir kommen«
wertend gemeint. Ich habe keinen
und zu Anrufe, wo die Leute sagen:
die boomende türkische Wirtschaft auf der einen, und
Migrationshintergrund, ich bin in Ös-
»Hey, rede mit der und der Familie,
den wachsenden Einfluss der Auslandstürken in Ländern
terreich geboren und aufgewachsen.
die wollen die Kinder nicht jeden Tag in den Kindergarten schicken.«
wie Österreich oder Deutschland, auf der anderen Seite. Hältst du dich für gut integriert?
Ich versuche, den Eltern zu erklären,
Nein. Ich bin in Linz multikulti auf-
wie unglaublich wichtig ein regel
gewachsen und froh darüber. Bei
mäßiger Kindergartenbesuch ist.
uns gibt es diese sinnlose Integra tionsfrage nicht. Wenn wir essen
62
Wie geht’s für dich nach dem Studi-
gehen, sitzt ein Kurde neben einem
um weiter?
Türken, ein Türke neben einem Öster-
Ich werde auf jeden Fall in die
reicher, ein Österreicher neben einem
Türkei gehen und dann nach Linz
Rumänen. Wir sind eine Familie und
zurück. Dort bin ich zu Hause.
Schon mal gehört von? Von der gratis Nachhilfe für Schüler mit Migrationshintergrund bis zur kostenlosen Unternehmensbera tung auf Türkisch: Diese Institutionen bieten umfassenden Service zum Thema Integration und Vielfalt.
Initiative Minderheiten
Verein Medien-Servicestelle Neue ÖsterreicherInnen
Mingo Migrant Enterprise
Caritas Lerncafés
Der »Verein zur Förderung des Zu-
Die Service-Einrichtung ist eine An-
Die Start-up-Initiative »Mingo« der
Alle Kinder, ob mit oder ohne Migra-
sammenlebens von Minderheiten und
laufstelle für österreichische Journa-
Stadt Wien ist ein Serviceprogramm
tionshintergrund, sind in den Lern-
Impressum Medieninhaber:
Mehrheiten« engagiert sich seit 1991
listen. Die Medienservicestelle wurde
der Wirtschaftsagentur Wien. Es
cafés der Caritas willkommen. An
biber Verlagsgesellschaft mbH
für mehr Akzeptanz auf gesellschaft-
2011 von der Arbeiterkammer, der
richtet sich an Firmengründer, Jung-
22 Standorten österreichweit wird
Herausgeber und Chefredakteur:
licher und politischer Ebene. Ziel ist
Skills Group, des Vereins Wirtschaft
unternehmer und Selbstständige
kostenlose Lern- und Nachmittags-
Simon Kravagna
es, einzelne ethnische Minderheiten
für Integration und der Industriellen-
mit Migrationshintergrund und in-
betreuung angeboten. Ehrenamt-
Chefredaktion:
miteinander zu vernetzen und ihre
vereinigung gegründet. Sie liefert als
formiert in verschiedenen Sprachen
liche und hauptberufliche Mitarbei-
Clemens Neuhold,
Anliegen an die Öffentlichkeit zu
neutrale Informationsquelle Zahlen,
über Förderangebote rund um die
ter helfen beim Lernen sowie bei der
Marina Delcheva (stellv.)
bringen. Die Arbeit reicht dabei von
Daten und Fakten rund um das
Firmengründung. Das Service reicht
Vorbereitung auf Schularbeiten und
Gestaltung:
Informationsveranstaltungen bis zu
Thema Migration. Rechercheanfragen
von kostenlosen Workshops und
Tests. Weitere Informationen und
ortnerundweihs.com
Lobbying bei NGOs und Politik. Die
werden von jungen Journalisten,
Coachings bis zur Vermittlung von
Standorte der Cafés sind über die
Christoph Weihs (Art Direction),
Non-Profit-Organisation ist in Wien
manche davon mit Migrationshin-
günstigen Büros für den Firmen-
Homepage der Caritas abrufbar.
und Innsbruck tätig.
tergrund, unentgeltlich aufbereitet
start.
Melanie Gelbmann (Grafik), akirasakurai.com (Artwork)
und veröffentlicht. Verein zur Förderung
Anzeigen:
Wirtschaftsagentur Wien | mingo
www.caritas.at/hilfe-einrichtungen/lerncafes/
des Zusammenlebens von
Verein Medien-Servicestelle Neue
Ebendorferstraße 2
Minderheiten und Mehrheiten
ÖsterreicherInnen
1010 Wien
(Initiative Minderheiten)
Media Quarter Marx 3.4
www.mingo.at
Gumpendorfer Straße 15/13
Maria-Jacobi-Gasse 1
A-1060 Wien
1030 Wien
+ 43 (1) 966 90 01
+ 43 699 150 970 80
www.minderheiten.at
www.medienservicestelle.at
Irina Obushtarova Fotochef: Philipp Tomsich Lektorat: Sabine Schmidt Druck:
Diversity-Referat der Wirtschaftskammer Wien
Verein Wirtschaft für Integration
Das Diversity-Referat der WKW
Der seit 2009 bestehende Verein
Auflage: 55.000 Stück
Leykam Druck GmbH & CoKG, Bickfordstraße 21, 7201 Neudörfl
Österreichischer Integrationsfonds (ÖIF)
M-Media, Diversity Mediawatch Austria
berät Wiener Unternehmer, die die
sieht Mehrsprachigkeit und Zuwan-
Vielfalt ihrer Mitarbeiter (Geschlecht,
derung als Stärke des Wirtschafts-
Migrationshintergrund, Behinderung,
standortes Wien. Als Hauptaufgabe
Kontakt:
Der ÖIF ist ein Fonds der Republik
M-Media unterstützt Migranten und
sexuelle Orientierung) im Unter
sieht der Verein seine Tätigkeit im
BIBER Verlagsgesellschaft mbH
Österreich und Partner des Innen-
deren Medien bei der redaktionellen
nehmen fördern möchten. Das Refe-
Bildungsbereich, aber auch den
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien
ministeriums (BMI). Das Hauptan-
Erarbeitung von relevanten Themen
rat ist auch eine Anlaufstelle für
Kampf für Chancengleichheit am
Tel.: 01/957 75 28
liegen der schon 1960 gegründeten
und sieht sich als Brücke zu österrei-
Unternehmer mit Migrationshinter
Arbeitsmarkt und die Bewusstseins
redaktion@dasbiber.at
Organisation ist die Förderung der
chischen Mainstream-Medien. Einmal
grund und berät diese in ihrer Mutter-
bildung und Information der Ge-
sprachlichen, beruflichen und gesell-
wöchentlich erscheint in der Tages-
sprache. Zu den Tätigkeiten des
sellschaft über die Vorteile der Zu-
Es gelten die aktuellen
schaftlichen Integration von Mi-
zeitung »Die Presse« eine Migra -
Referats gehören Mentoring-Pro-
wanderung. Gegründet wurde der
Anzeigenpreise Dezember 2012.
granten in Österreich. Zu den Akti-
tionsseite, die von M-Media-Redak-
gramme für migrantische Unter-
Verein 2009 von Ali Rahimi, einem
Alle Rechte vorbehalten.
vitäten zählen Sprachförderungen,
teuren gestaltet wird. Migranten
nehmer oder die Kontaktaufnahme
Unternehmer mit persischen Wur-
Das Magazin und alle enthaltenen
Projekt- und Bildungsförderungen,
und ihre unterschiedlichen Lebens-
mit Förderstellen. Jedes Jahr ver-
zeln, und Georg Kraft-Kinz, stell-
Text- und Bildbeiträge sind
Information der Öffentlichkeit zu den
welten sollen einer breiten Öffent
leiht die WKW den mit 3.000 Euro
vertretender Generaldirektor der
urheberrechtlich geschützt und
Themen Integration und Migration
lichkeit frei von Klischees gezeigt
dotierten »DiversCity-Preis« an Un-
Raiffeisenbank NÖ-Wien. Der Rede
geistiges Eigentum der jeweiligen
sowie Hilfestellungen bei der Integra-
werden. Das Leistungsangebot des
ternehmer, die sich außerordentlich
wettbewerb
tion am Arbeitsmarkt. Der ÖIF un-
Vereins reicht von Medienberatung
um
unterschiedlicher
Schüler mit fremder Muttersprache
Für unverlangt eingeschicktes
terstützt das BMI bei der Umsetzung
für Organisationen bis zu Workshops
Herkunft oder unterschiedlichen Ge-
ist eines von vielen Förderprojekten
Text- und Bildmaterial wird keine
seiner Integrationsvereinbarungen.
und Trainings für Medienfachleute.
schlechts oder um Mitarbeiter mit
des Vereins.
Mitarbeiter
»Sag’s
Multi«
für
Behinderung bemühen.
64
Österreichischer
M-Media Verein zur Förderung
Integrationsfonds
interkultureller Medienarbeit
Autoren und Gestalter.
Haftung übernommen. Druckfehler und Irrtümer vorbehalten.
Verein Wirtschaft für Integration WKW, Diversity-Referat
quartier21/MQ
Schlachthausgasse 30
Franz-Josefs-Kai 27/1
Stubenring 8-10
Museumsplatz 1e-1.4
A-1030 Wien
A-1010 Wien
1010 Wien
1070 Wien
+ 43 (1) 710 12 03-0
+ 43 (1) 533 87 47-36
+ 43 (1) 514 50 10 70
+ 43 (1) 944 48 46
www.integrationsfonds.at
www.m-media.or.at
http://wko.at/wien/diversity
www.vwfi.at
© 2012 biber UID ATU 6369 3346 FN 297923y
65
Redefreiheit
sponsoring.casinos.at Serviceline +43 (0) 50 777 50
Sie schreibt über Freiheit, redet gern über Demokratie und liebt Schokolade. Tahrin Alam hat im Vorjahr den Redewettbewerb »Sag’s Multi« gewonnen.
» Hiermit bitte ich die Anwesend en,
Text und Foto: Marina Delcheva
»aber wenn mich jemand fragt, wo-
alles Bedrückende wegzuden ken
her ich komme, antworte ich immer:
und für einen Moment die Person
‚aus Wien‘.« Tahrin gehört einer
zu sein, die man wirklich ist. Es
jungen Generation an, die nicht
ist höchste Zeit, sich aus dem auf-
mehr nach der Herkunft oder nach
gesetzten Lächeln, der erlogenen
der Religion fragt. Sie hat Freunde
Mimik, die unsere wahren Gesichter
mit den unterschiedlichsten Nach-
verbergen, zu befreien, die wir
namen und Hautfarben, ohne zu
einst aufsetzten, um von anderen
wissen, woher sie oder ihre Eltern
Personen Akzeptanz zu erlangen«,
stammen. »Ich werde eigentlich nur
schreibt die 15-jährige Tahrin Alam in
von Erwachsenen gefragt, wo ich
ihrer Siegesrede. Die Schülerin mit
herkomme, nie von Jugendlichen«,
bengalischen Wurzeln hat den Ju-
sagt sie. »Mittlerweile wundere ich
gendredewettbewerb »Sag’s Multi«
mich eher, wenn jemand ein echter
in der Kategorie der neunten und
Österreicher ist.«
zehnten Schulstufe gewonnen. Trotzdem gehört Tahrins Herkunft
Sags Multi
»Ich rede einfach gern, stunden-
zu ihrem Alltag. Ihre alleinerziehen-
lang; über Politik, Umwelt, über
de Mutter ist in der bengalischen
Der Redewettbewerb »Sag’s Multi« wird heuer
Freiheit, über Musik«, sagt sie und
Community stark verwurzelt und
zum vierten Mal vom »Verein Wirtschaft für Inte-
zupft die offenen Schuhbänder ihrer
versucht ihre beiden Töchter im
gration« (VWfI) veranstaltet. Mitmachen dürfen
»Doc Martens« zurecht. »Ich gehe
Sinne ihrer Herkunft zu erziehen.
Jugendliche zwischen 13 und 20 Jahren, die eine
zum Beispiel heikel mit dem Thema
Auch ihre Familiengeschichte lässt
andere Mutters prache als Deutsch haben.
Krieg um, der bringt keiner Seite
Tahrin nicht los. In ihrer Rede über
etwas. Und ich bin wirklich froh,
Freiheit spricht sie auch über ihren
Heuer starten 406 Teilnehmer aus sieben Bundes-
dass die Amerikaner Obama ge-
bengalischen Großvater, der 1971
ländern in den Wettbewerb. Sie werden ihre Reden
wählt haben. Er wirkt kompetent
als Kriegsoffizier für die Unabhän-
zum Teil auf Deutsch und zum Teil in ihrer Mutter-
und nicht so kapitalistisch«, sagt die
gigkeit Bangladeschs gekämpft hat:
sprache verfassen. Dabei sind insgesamt 45 Sprachen
Schülerin des Schulschiffs in Wien.
»Ich frage mich schon seit Längerem,
vertreten – von Albanisch bis Urdu. Mit der Initiative
Der Kellner setzt ihr eine Jumbo-
wie weit die Menschen gehen wür-
möchte der VWfI die Mehrsprachigkeit von Jugend-
Tasse heißen Kakao vor. »Oh, meine
den, um Freiheit zu erlangen. Viele
lichen fördern. Auf die Gewinner warten Bildungs-
heiße Schokolade kommt. Ich liebe
Soldaten sterben im Kugelhagel
reisen in verschiedene Hauptstädte Europas. Die
Schokolade.«
eines Krieges, nur damit ihre Familien, ihre Freunde in Freiheit leben
Vorjahresgewinner haben Istanbul, Moskau und Brüssel besucht.
»Ich bin Wienerin« – Tahrins Eltern
können. Anhand meiner eigenen
kommen aus Bangladesch. »Ich
Familie kann ich sagen, dass man
Infos unter: www.sagsmulti.at
wurde von klein auf so erzogen,
bereit ist, das Leben dafür aufs Spiel
dass ich Bengalin bin«, erzählt sie,
zu setzen.«
66
Foto: Peter Svec
... zum Abschluss
ar r r, H e p Sop
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r ü f ! n n i n o w i e rat G g n i e t E In die Pl
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f Muf
, den n e dia Geg die kas In nd e i u w oj ltig rri St ungen . ä f l a g e o vi ben. H Ström hinwe s t s i nd en r le de usik Höre üsse u Grenz enden . m t l l d lle ind un in f We a nn et. reten iese E über a r verb rden k d n i we ölke terp all d um erb er. k v ihre In rtiert Publik ieses V macht i met s o u s o e d g p M enen /Ga und ützt ans bar alle H in d ress tr kteure nterst spür t t t. n ane Exp indet A stria u gratio r Pl e d e 3 in verb nos Au mit Int 201 i r s a a a u C ekt, d ebr j 2. F 2 Pro . am u.a Live
Gut für Österreich.
67
h er osc H r a
Studierende und sozial benachteiligte Kinder lernen mit- und voneinander – eine Initiative mit Zukunft. Dass Kinder unabhängig von ihrer Herkunft eine Chance auf Ausbildung haben, ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen Anliegen überhaupt. Darum haben Caritas, WU Wien und REWE International AG im Jahr 2010 die Initiative «Lernen macht Schule» ins Leben gerufen. Jährlich unterstützen seither rund 120 Studierende der WU als «Lernbuddys» unentgeltlich etwa 200 Kinder und Jugendliche aus benachteiligten Verhältnissen. Die Aktivitäten reichen von Lernhilfe über gemeinsame Freizeitgestaltung bis hin zur Stärkung der Deutschkenntnisse. Aktuelle Infos zur Initiative «Lernen macht Schule» finden Sie unter www.lernen-macht-schule.at. 68