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Christmas Island Insel der Krabben und Walhaie

32 | REISE CHRISTMAS ISLAND CHRISTMAS

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,, H H alt an!“, ruft mir mein Partner zu. Natürlich halte ich an. Gefühlt das 300. Mal. Christian springt raus, schnappt sich ein abgebrochenes Palmblatt und tut das, was er am besten kann: rote Krabben von der Straße fegen. Die Insel ist voll davon. 10, 20 oder sogar bis zu 40 Millionen sollen es sein. Während Christian Krabben fegt, sinniere ich darüber, wie man 40 Millionen Krabben zählt, die wild durcheinanderrennen. Ich komme zu dem Schluss, dass die Wissenschaftler vielleicht die überfahrenen Krabben pro Quadratmeter hochgerechnet haben. Bei den Road Trains, die auf der Insel unterwegs sind, würde die Berechnung wohl in astronomische Höhen gehen, denn Road Trains bremsen nicht so wie wir. Also passt das Rechenmodell auch nicht. „Auf jeden Fall sind es zu viele“, denke ich mir. Schon vor einer Stunde wollten wir an den Dales (tiefe Einschnitte in der zerklüfteten Kalksteinküste) mit dem wunderschönen Wasserfall mitten im Dschungel sein. Nachdem alle Krabben auf die Seite gefegt sind, fahre ich vorsichtig zwei Meter weiter. „Stopp!“, ruft Christian. Eine Krabbe hat in selbstmörderischer Art und Weise umgedreht und sitzt nun genau vor meinem Vorderreifen. Der Palmwedel erwischt auch sie, in hohem Bogen fliegt sie ins weiche Laub neben der Straße. „Geht!“, ruft mir mein Buddy zu. Als das Auto anrollt, knackt es verdächtig unter dem Hinterreifen. Des einen Freud, des anderen Leid. Wer will sich schon anmaßen, 40 Millionen Krabben unter Kontrolle zu haben, die noch dazu quer laufen, links oder rechts. Wer die Richtung wechselt, hat verloren. Im Rückspiegel sehe ich, wie sich Hunderte Rote Krabben wie die Kannibalen in Daniel Defoes „Robinson Crusoe“ genüsslich über den soeben platt gefahrenen Kameraden hermachen. Wie sagte ich gerade? Des einen Freud, des anderen Leid. Auf Christmas Island hat dieser Satz eine dauerhafte Bedeutung. 30 Minuten später haben wir endlich

TEXT UND FOTOS // WERNER THIELE ISLAND

DIE INSEL DER KRABBEN

Kleiner Ausschnitt des großen Krabbelns.

den kleinen Parkplatz erreicht. Von hier geht ein Wanderweg an die Dales, Rote und Blaue Krabben inklusive. Dazu noch die allgegenwärtigen riesigen Robber Crabs, die Palmendiebe, wie sie auf Deutsch heißen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Krabbenwanderung

Die nur eine Flugstunde südlich von Java mitten im Indischen Ozean gelegene und für ihre einzigartige Natur weltberühmte Insel wäre zwar geografisch eher Indonesien zu zurechnen, gehört aber dennoch politisch zu Australien. Man ist geneigt, Christmas Island mit Galapagos zu vergleichen.

FOTO // JACQUELINE WEIDELI

Wirklich allein ist man während der Krabbenwanderung auf Christmas Island nie. Autofahren wird streckenweise verboten, auch zu Fuß ist man gefordert, keine Krabbe zu zertreten.

FOTO // JACQUELINE WEIDELI

Die Artenvielfalt der 135 Quadratkilometer großen Insel lässt den Betrachter meist sprach los zurück – und dies über wie unter Wasser. Nirgendwo sonst gibt es mehr Rote oder Blaue Landkrabben. Steile Klippen erheben sich über ein topasblaues Meer, am Himmel segeln die nur hier vorkommenden goldenen Seeschwal ben. Im blauen Meer beeindrucken Riffe mit pulsierendem Leben, tropfsteinbestandene Grotten, bunte Critters und alle Arten von Haien. Christmas Island – das sind 365 Tage im Jahr Weihnachten für Taucher und Naturfreunde. ist aber nur eines der Highlights, die Christmas Island zu bieten hat. Ein gro ßer Teil der überwiegend mit tropischem Regenwald bestandenen Insel steht unter Naturschutz. Die rot gefärbten Land krabben sind dabei die wahren Stars des Eilands. Einhergehend mit dem Natur schauspiel der Krabbenwanderung startet auch die Walhaisaison, die hier zu dieser Jahreszeit besonders ausgeprägt ist. Al lerdings trifft man auf die majestätischen Meeresbewohner mit etwas Glück auch ganzjährig. Doch die Unterwasserwelt wäre auch ohne Walhaie atemberaubend: Über 200 Korallenarten sind rund um Christmas zu bestaunen und die Wassertemperatur liegt ganzjährig bei angenehmen 26 bis 29 Grad. Steilwände und Grotten, die in Tropfsteinhöhlen enden, wechseln ab mit Korallengärten, in denen Tischkorallen oft gestapelt übereinanderwachsen.

Die Insel ist jedenfalls auch über Wasser ein Highlight: Viele der Arten sind endemisch, also nur auf Christmas Island anzutreffen. Man sollte sich abseits des Tauchens die Zeit nehmen, diese Naturschätze zu entdecken. Die außergewöhnliche Insel gilt als eines der letzten geheimnisvollen und kaum betauchten Ziele im Indischen Ozean.

Sind die Krabben unterwegs, kommt man teilweise nur noch sehr langsam voran. Die Krabben stehen unter Schutz und entsprechend ist Rücksichtnahme angeraten.

Die wenigen Strände der Insel, wie hier Dolly Beach, bieten ein einzigartiges Panorama.

Die solitäre Lage Hunderte Kilometer vor der Südküste Javas und die Abgeschiedenheit von anderen Inseln oder Festlandmassen haben auf Christmas Island zudem über wie unter Wasser eine einzigartige Vielfalt und Kombination an endemischen Lebensfor men hervorgebracht.

Das umgebende Saumriff befindet sich nur wenige Meter vom Strand und fällt in meist traumhaft bewachsenen Steilwänden in große Tiefen ab. Fischschwärme, Großfische, Mantas, Walhaie, aber auch Riff-, Hammer-, Seiden- oder Tigerhaie geben sich in den nahrungsreichen Gewässern ein Stelldichein. Der Fischreichtum, gemischt mit Makromotiven, endemischen Arten sowie bunten Unterwasserlandschaften, atemberaubenden Steilwänden und anfängertauglichen Tropfsteinhöhlen, begeistert jeden Taucher, egal ob Neuling oder Weltreisender. Die Riffe sind großteils in einem erstklassigen Zustand, der Fischbestand naturbelassen, da keine kommerzielle Fischerei betrieben wird.

Die beste Zeit für den Tauchsport ist ganzjährig, doch speziell die Termine rund um die große Krabbenwanderung ziehen natur gemäß besonders viele Reisende an, auch wenn diese Termine am Beginn der Regen zeit sind, was nicht viel heißt. Meist regnet es nur wenige Minuten und der Regen wird hier – anders als sonst irgendwo – oft regelrecht von den Tauchern herbeigesehnt, ist er doch der Garant für das Einsetzen der Krabben wanderung. Weitab von den Kontinentalmassen liegen die Sichtweiten ganzjährig zwischen 25 und 40 Metern An der Küste kann die Sicht temporär eingeschränkt sein, wenn es in der Regenzeit einmal kurz, aber heftig regnet und die Insel über kleine Bäche und Wasserfälle entwässert. Doch selbst dann gilt: Kaum ist der Regen vorbei, hat die Strömung alles bereinigt und das Meer strahlt wieder topasblau.

Tölpel sind auf der Insel weit verbreitet und lassen die Fotografen ganz nahe an sich heran.

Blaue Krabben leben endemisch auf Christmas Island. Meist findet man sie an kleinen Wasserläufen.

Christmas Island ist zu einem großen Teil mit tropischem Regenwald bedeckt und wird aufgrund seiner vielfältigen und zu einem großen Teil endemischen Flora und Fauna auch gern als Galapagos Australiens bezeichnet. Die knallroten WeihnachtsinselLandkrabben (Gecarcoidea natalis) kommen nur hier und auf den Kokos-Keeling-Inseln vor. Neben den Roten Landkrabben gibt es auf der Insel auch die weltweit größte Population an Palmendieben (sehr große Landkrabben). Die wirbellosen Tiere der Weihnachtsinsel sind bis heute kaum er forscht und Hunderte Arten warten noch auf ihre Beschreibung. Jedes Jahr zu Beginn der Regenzeit, also unseres Winters (November/Dezember), ergießt sich dann über Christmas Island eine rote Flut. Wenn der erste Regen fällt, ist dies der Auslöser für ein Naturschau spiel, das auf der ganzen Welt einzigartig ist und das es nur auf Christmas Island zu bestaunen gibt: Besagte 40 Millionen Landkrabben setzen sich dann wie auf ein stilles Kommando in Bewegung, verlassen ihre Wohnhöhlen in den tiefen Wäldern der Insel und ziehen in Richtung der wenigen Strände, um sich zu paaren und um abzu laichen. Denn erst, wenn es nass und etwas bewölkt ist, können die Krabbelmeister dem Liebesgeschäft nachgehen, ohne Gefahr zu laufen, unterwegs in der gleißenden Sonne zu vertrocknen. Die erste Welle bilden die Männchen, die in Strandnähe ein Liebes nest, sprich eine kleine Erdhöhle bauen. Ein paar Tage später kommen dann die Herzensdamen an den Stränden an und in den kleinen Erdhöhlen findet statt, was halt so stattfinden muss. Die Weibchen begeben sich danach zum Wasser, um ihre Eier in das Meer abzulaichen, wo sie sich entwickeln können, während die Herren das tun, was Männchen halt so tun: Sie wandern zurück in den Wald, um sich nach getaner Liebesmüh auszuruhen.

Auch Drachenmuränen findet man um Christmas Island.

Federsterne finden sich in allen Farben und drängen sich an strömungsexponierten Ecken meist dicht an dicht. Die Steilwände rund um die Insel sind üppig bewachsen, der Fischreichtum überzeugt.

Die Bestandsdichte an Palmendieben (Robber Crabs) gilt auf Christmas Island als die größte der Welt.

Achtung: Wer sich zum Fotografieren auf den Boden legt, um eine bessere Perspektive zu bekommen, kann schnell Besuch bekommen. Rote Krabben kennen kein Ausweichen!

Der kleine Wasserfall an den Dales ist eines der beliebtesten Ausflugsziele der Insel und der beste Ort, um Palmendiebe und Blaue Krabben zu finden.

Die Weibchen werden es ihnen schon bald gleichtun und die rote Flut wandert ein weite res Mal – diesmal eben in die andere Richtung.

Etwa vier bis sechs Wochen später ergießt sich eine dritte rote Flut über die Insel: Wenn die kleinen Krabben geschlüpft und etwa acht bis zehn Millimeter groß sind, wabert ein flächen deckender roter Teppich aus rund 50 Milliarden kleinen Krabben landeinwärts. Über Letzteres sinniere ich, als wir nach dem Besuch der Dales zu unserer Unterkunft zurückfahren. Krabbenpflug montiert, während sein Kumpel mit einem Gartenbesen die Krabben von der Straße fegt. „Ja, das sind halt Profis hier, wieso haben wir das nicht?“, lästert Christian. Er ist wie immer mit einem Palmblatt damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass sich die 40 Millionen Krabbelmeister nicht markant im Profil der Reifen unseres Geländewagens reduzieren. Diesmal allerdings geht der Weg bergauf und der fleißige Palmwedelfeger kann seine sportlichen Qualitäten unter Beweis stellen, während ich mich im untersetzten Gang darum kümmere, dass die Kupplung nicht anbrennt. „Was würde er nur machen, wenn wir hier zur Rückwanderung der Baby-Krabben gekommen wären? Laubbläser?“, geht es mir durch den Kopf. Ich fange an, Tränen zu lachen. Christian dreht sich zu mir. „Wes isch o so luschtich?“, höre ich sein Schwyzerdütsch. „Nichts. Ich musste nur grad über einen Witz nachdenken“, lüge ich. „Denn isch ja guaet.“

Ja, ist es. Christmas Island ist echt gut. Eigentlich fantastisch. Mit und ohne Krabbenbesen.

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